Wo bleibt Jeeves?
Roman
Aus dem Englischen von
Thomas Schlachter
Suhrkamp
Jeeves stellte die zischend heißen Eier mit Speck auf den Frühstückstisch, und Reginald (»Kipper«) Herring und ich leckten uns die Lippen, fuhren die Ellbogen aus und begannen tüchtig reinzuhauen. Besagter Herring ist ein Freund aus frühester Kindheit und mir innig verbunden durch unauslöschliche Erinnerungen, um es einmal so auszudrücken. Vor Jahren haben wir, kleine Knirpse noch, in Malvern House, Bramley-on-Sea, eingesessen – in jener privaten Vorbereitungsschule also, die unter dem Zepter des Magisters Aubrey Upjohn stand, eines Erzhalunken der Extraklasse. Seite an Seite harrten wir in Upjohns Büro so manches Mal einer gehörigen Tracht Prügel, appliziert von einem Rohrstock, der biß wie eine Schlange und stach wie eine Natter, wie mal einer gesagt hat. Man könnte uns also schon fast als zwei alte Kämpen bezeichnen, die Schulter an Schulter am Sankt-Crispinus-Tag gefochten haben (falls das der korrekte Begriff ist).
Nachdem ich den plat du jour weggeputzt und mit mehreren Schlucken stärkendem Kaffee eskortiert hatte, wollte ich schon nach der Orangenmarmelade greifen, als ich im Korridor das Telefon bimmeln hörte und es abnehmen ging.
»Bei Bertram Wooster«, sagte ich, kaum hatte ich mich an den Apparat angekoppelt, »hier spricht der Hausherr persönlich. Ach, grüß dich«, fügte ich hinzu, denn die durch die Leitung dröhnende Stimme gehörte niemand anderem als Mrs. Thomas Portarlington Travers von Brinkley Court, Market Snodsbury bei Droitwich – oder schlichter ausgedrückt: meiner guten und achtbaren Tante Dahlia. »Ein herzliches Hallihallo, treue Ahnin«, sagte ich hocherfreut, betrachte ich es doch stets als Privileg, mit dieser Dame einen kleinen Plausch zu halten.
»Auch dir ein schallendes Servus, du kleiner Schandfleck in der Landschaft«, gab sie herzlich zurück. »Welch angenehme Überraschung, dich zu solch früher Stunde wach anzutreffen. Oder bist du gerade erst von einer deiner Zechtouren heimgekehrt?«
Eilends verwahrte ich mich gegen die üble Nachrede.
»Keineswegs. Nicht im entferntesten. Seit einer Woche stehe ich mit den Hühnern auf, um Kipper Herring Gesellschaft zu leisten. Er wohnt hier, bis er sein neues Domizil beziehen kann. Erinnerst du dich noch an den guten alten Kipper? Im vorletzten Sommer habe ich ihn einmal nach Brinkley mitgenommen. Hat ein Blumenkohlohr.«
»Ich weiß, wen du meinst. Gleicht Jack Dempsey.«
»Aufs Haar. Sogar noch mehr als Jack Dempsey selbst. Kipper arbeitet auf der Redaktion der Thursday Review – welche dich zu ihren treuen Leserinnen zählen mag oder nicht – und hat im Morgengrauen dort anzutanzen. Wenn ich ihm von deinem Anruf erzähle, wird er dir gewiß seine herzlichsten Grüße entbieten, denn er hält große Stücke auf dich. ›Die perfekte Gastgeberin‹, so apostrophiert er dich gern. Es tut gut, wieder einmal deine Stimme zu hören, Tantchen. Wie läuft’s denn in Market Snodsbury?«
»Wir wursteln uns durch. Aber ich rufe nicht aus Brinkley an. Im Moment bin ich in London.«
»Und wie lange noch?«
»Heute nachmittag kehre ich heim.«
»Dann komm doch zum Lunch.«
»Das schaffe ich nicht, tut mir leid. Ich hänge mir bei Sir Roderick Glossop den Futterbeutel um.«
Das erstaunte mich doch sehr. Der renommierte Gehirnspezialist, auf den sie da anspielte, war ein Mann, mit dem ich nur ungern getafelt hätte, da in unsere Beziehung eine gewisse Kühle gekrochen war, seit ich mit ihm in Lady Wickhams Haus in Hertfordshire geweilt und seine Wärmflasche in den frühen Morgenstunden auf Geheiß Robertas, der Tochter des Hauses, mit einer Stopfnadel angestochen hatte. Dies war natürlich ein reines Versehen gewesen, hatte ich doch diejenige seines Neffen Tuppy Glossop anstechen wollen, mit dem ich damals in Fehde lag. Hinter meinem Rücken hatten die beiden jedoch die Zimmer getauscht. Eins dieser fatalen Mißverständnisse.
»Gütiger Himmel, warum tust du das?«
»Warum nicht? Wo er doch die Zeche zahlt!«
Da war was dran – wer den Shilling nicht ehrt, ist des Pfundes nicht wert et cetera –, doch an meiner Überraschung änderte das nichts. Ich konnte es kaum fassen, daß ein vermeintlich freier Mensch wie Tante Dahlia das Mittagskotelett ausgerechnet in Gesellschaft dieses furchteinflößenden Seelenklempners zu verzehren trachtete. Aber das Leben lehrt uns früh, daß Tanten ihren eigenen Kopf haben, und so zuckte ich bloß mit der einen oder anderen Schulter.
»Du mußt das natürlich selbst wissen, wenngleich mir dein Handeln überstürzt erscheint. Bist du eigens nach London gekommen, um mit Glossop zu schmausen?«
»Nein, ich will den neuen Butler abholen und mit nach Hause nehmen.«
»Den neuen Butler? Was ist denn aus Seppings geworden?« »Er hat uns verlassen ...«
Ich schnalzte mit der Zunge. Da ich besagten Majordomus stets geschätzt und in seinem Kabinett auch so manchen Portwein gepichelt hatte, betrübte mich diese Nachricht ungemein.
»Was du nicht sagst!« entgegnete ich. »Wirklich schade. Ein bißchen tatterig hat er auf mich tatsächlich gewirkt, als ich ihn das letzte Mal sah. Tja, c’est la vie. Alles Fleisch vergeht wie Gras, kann man da nur sagen.«
»... um nach Bognor Regis in Urlaub zu fahren.«
Ich entschnalzte die Zunge.
»Ach so, das ist natürlich was anderes. Schon komisch, wie im Moment all diese Stützen des Haushalts in die Welt ausschwärmen. Jeeves hat mir ganz ähnliches über die großen Völkerwanderungen des Mittelalters erzählt. Übrigens tritt auch er heute vormittag seinen Urlaub an. Er will in Herne Bay auf Krabbenfang gehen, und ich komme mir vor wie der Bursche in dem Gedicht, der seiner lieben Gazelle – oder irgend ’ner verwandten Kreatur – nachtrauert. Keine Ahnung, wie ich ohne ihn auskommen soll.«
»Das kann ich dir sagen. Hast du ein sauberes Hemd?«
»Mehrere.«
»Und eine Zahnbürste?«
»Zwei sogar – und beide von erlesenster Qualität.«
»Dann pack sie ein. Du wirst morgen nach Brinkley kommen.«
Die Schwermut, die sich stets wie zäher Nebel auf Bertram Wooster legt, kaum tritt Jeeves seinen alljährlichen Urlaub an, klarte merklich auf. Nur weniges finde ich ersprießlicher als einen Aufenthalt in Tante Dahlias ländlichem Logis: pittoreske Landschaft, Kieswege, Kanalisation, Wasser aus firmeneigener Quelle – und nicht zuletzt die überragende französische Küche des überragenden französischen Kochs Anatole, welcher ein veritables Geschenk des Himmels für die Magensäfte ist. Kurzum: Ich schien da einen Royal Flush in der Hand zu halten.
»Was für ein vortreffliches Angebot«, sagte ich. »Damit löst du all meine Probleme und läßt deinem Zauberhut Fortuna höchstselbst entsteigen. Verlaß dich auf mich. Morgen nachmittag wirst du meine Wenigkeit im Sportwagen vorfahren sehen, übers ganze Gesicht strahlend und mit einem lustigen Liedchen auf den Lippen. Gewiß spornt meine Anwesenheit Anatole zu neuen Höchstleistungen an. Weilt denn sonst noch jemand in der alten Schlangengrube?«
»Summa summarum sind’s fünf Insassen.«
»Fünf?« Ich nahm mein Zungenschnalzen wieder auf. »Da wird Onkel Tom aber schön schäumen!« sagte ich, denn die Abneigung des alten Krauters gegen Besucher war mir wohlbekannt. Schon ein einziger Wochenendgast kann ihm das Leben gründlich vergällen.
»Tom ist nicht da. Er ist mit Homer nach Harrogate gefahren.«
»Potz Blitz, da hat er sich aber anspruchsvolle Urlaubslektüre ausgesucht.«
»Ich spreche nicht von seiner Lektüre, sondern von seinem Begleiter. Homer Cream. Großer amerikanischer Tycoon, der momentan in unseren Gefilden weilt. Er leidet unter einem Magengeschwür, weshalb ihm sein Medizinmann eine Brunnenkur in Harrogate verschrieben hat. Und Tom begleitet ihn dorthin, um ihm das Händchen zu halten und sich des Abends anzuhören, wie scheußlich die Dreckbrühe schmeckt.«
»Antagonistisch.«
»Wie bitte?«
»Pardon, ich meine altruistisch. Dir ist das Wort wohl nicht bekannt, aber Jeeves hat es schon öfters in den Mund genommen. Es wird auf Menschen angewandt, die sich selbstlos aufopfern und der Kosten nicht achten.«
»Selbstlos aufopfern? Denkste! Tom steckt mit diesem Cream in äußerst wichtigen Geschäftsverhandlungen. Wenn alles glattgeht, wird er richtig Kasse machen, und zwar steuerfrei. Und darum streicht er ihm jetzt wie ein Jasager in Hollywood um den Bart.«
Ich nickte verständnisvoll (was allerdings für die Katz war, da meine Tante mich ja gar nicht sehen konnte). Mir leuchtete das Kalkül meines angeheirateten Onkels durchaus ein. T. Portarlington Travers ist ein Mann, der seine Schäfchen bereits herdenweise ins trockene gebracht hat, doch ist er keineswegs abgeneigt, noch ein paar weitere Exemplare in den guten Stall zu treiben, denn er vertritt die – notabene vollkommen plausible – Meinung, daß jeder kleine Batzen, den man dem bereits Gescheffelten hinzufügt, der entscheidende kleine Batzen mehr ist. Und die Umgehung der Steuerpflicht gehört ohnehin zu seinen Steckenpferden: Ihn reut jeder Penny, den Väterchen Staat ihm abluchst.
»Aus diesem Grund hat er mich, als er mir den Abschiedskuß gab, mit Tränen in den Augen gebeten, Mrs. Cream und ihren Sohn Willie zu verhätscheln und auf Händen zu tragen. Und ergo gehören die beiden nun zu Brinkleys Inventar.«
»Wie war das noch gleich – Willie?«
»Kurzform für Wilbert.«
Ich sann nach. Willie Cream. Der Name sagte mir irgend etwas. Ich glaubte ihn schon einmal gehört oder in der Zeitung gelesen zu haben, doch mehr wollte mir dazu nicht einfallen.
»Adela Cream schreibt Detektivromane. Bist du einer ihrer Fans? Nein? Dann lies dich gleich bei deiner Ankunft ein – schaden kann das nicht. Ich habe mir sämtliche Bände besorgt. Sie sind übrigens sehr gut.«
»Es wird mir ein Vergnügen sein, ihre Elaborate zu begutachten«, erwiderte ich, denn auf dem Gebiet des Kriminalromans bin ich ein wahrer Con-Dingsbums. Connaisseur, genau, so heißt es doch, oder? »Auf eine Leiche mehr oder weniger kommt es mir wirklich nicht an. Doch halten wir fest: Zu den Insassen gehören Mrs. Cream und ihr Sohn Wilbert. Und wer sind die anderen drei?«
»Da wäre zunächst Lady Wickhams Tochter Roberta.«
Ich schreckte auf, als hätte mich eine unsichtbare Hand gezwickt.
»Wie bitte? Bobbie Wickham? Ojemine!«
»Warum die Aufregung? Kennst du sie?«
»Und ob ich sie kenne!«
»Ach so, jetzt verstehe ich. Gehört sie etwa zu der Schar von Gänsen, mit denen du schon mal verlobt warst?«
»Das nicht gerade. Nein, verlobt waren wir nie. Was jedoch einzig daran lag, daß sie mir nicht entgegenkommen wollte.« »Dann hat sie dich also abblitzen lassen?«
»Jawohl – Gott sei Dank.«
»Was gibt es da Gott zu danken? Sie ist doch ein fleischgewordener Schönheitswettbewerb.«
»Stimmt, abstoßend wird man sie kaum nennen können.« »Eine Wucht ist sie – Punktum!«
»Durchaus, aber ist es alles, eine Wucht zu sein? Wie steht’s mit dem Gemüt?«
»Ist ihr Gemüt denn nicht erste Sahne?«
»Weit gefehlt. Unter aller Kanone ist’s. Ich könnte dir Dinge erzählen ... Aber Schwamm drüber. Alte Wunden.«
Ich hatte mich anschicken wollen, zirka siebenundfünfzig Gründe aufzuzählen, die es dem umsichtigen Mann, der Wert auf seinen Seelenfrieden legte, angeraten erscheinen ließen, einen großen Bogen um diese rothaarige Geisel der Menschheit zu machen, doch da ich mich wieder meiner Orangenmarmelade zuwenden wollte, glaubte ich, daß solche Erklärungen zuviel Zeit in Anspruch nehmen würden. Hier genüge einfach die Feststellung, daß ich längst aus der Narkose erwacht und mir inzwischen vollauf bewußt war, welch ungeheuren Dienst mir diese Trine erwiesen hatte, als sie meinem Vorschlag, die Gottesmänner und Brautjungfern herbeizutrommeln, eine schroffe Absage erteilt hatte, und ich will auch verraten, warum.
Tante Dahlia hatte mit ihrer Umschreibung des fraglichen Görs als fleischgewordenem Schönheitswettbewerb den Nagel auf den Kopf getroffen. Die Außenhülle war durchaus so beschaffen, daß jeder, der ihrer ansichtig wurde, auf den Absätzen zurücktaumelte und einen verdatterten Pfiff ausstieß. Doch B. Wickham verfügte nicht nur über Augen wie ein Sternenpaar, Haare röter als die Kirsche sowie Sex-Appeal, espièglerie und alle weiteren Schikanen, sondern auch über den Charakter und die allgemeine Weltanschauung einer tickenden Zeitbombe. In ihrer Gegenwart beschlich einen stets das mulmige Gefühl, irgend etwas werde gleich krachend in die Luft gehen. Man wußte nie, was sie vorhatte und in welch trübe Tinte sie einen leichten Herzens zu schubsen gedachte.
»Miss Wickham, Sir«, hatte Jeeves mir einst warnend bedeutet, als die Fieberkurve ganz oben stand, »läßt den nötigen Ernst vermissen. Sie ist frivol und flatterhaft. Guten Gewissens könnte ich niemandem empfehlen, eine junge Dame zur Lebenskameradin zu nehmen, die einen dermaßen roten Haarschopf hat.«
Sein Urteil war wohlbegründet. Ich habe bereits erwähnt, daß mich diese junge Frau einmal mit List und Tücke dazu brachte, in Sir Roderick Glossops Schlafgemach zu schleichen und dessen Wärmflasche mit einer Stopfnadel zu traktieren, was aber für ihre Begriffe noch harmlos war. Mit einem Wort: Roberta, Tochter von Sir Cuthbert † und Lady Wickham, Skeldings Hall, Hertfordshire, war das reinste Pulverfaß, dem all jene, die ein friedliches Leben zu führen trachteten, besser aus dem Weg gingen. Mir wurde ganz blümerant beim Gedanken daran, mit ihr im selben Haus eingesperrt zu sein, umgeben von sämtlichen Möglichkeiten, die ein Landgut einer unternehmungslustigen Frau bietet, die ihre Nächsten in die Bredouille stürzen will.
Ich taumelte noch unter diesem Schlag, als meine Tante schon zum nächsten ausholte, welcher mich endgültig auf die Bretter schicken sollte.
»Und dann sind da noch Aubrey Upjohn und seine Stieftochter Phyllis Mills«, sagte sie. »Damit wären wir komplett. Was ist dir nur? Hast du Asthma?«
Vermutlich spielte sie auf das erstickte Röcheln an, welches mir über die Lippen gekommen war, und ich muß zugeben, daß es sich tatsächlich nach den letzten Worten einer sterbenden Ente angehört hatte. Andererseits hatte ich allen Grund zum Röcheln. Ein schwächerer Mann hätte aufgeheult wie eine Todesfee. Vage erinnerte ich mich, was Kipper Herring mir einst gesagt hatte. »Weißt du, Bertie«, philosophierte er damals, »du und ich müssen für vieles dankbar sein. So hart uns das Leben auch anfaßt, in einem Gedanken finden wir doch Halt: Mögen Wolken aufziehen und den Horizont verdüstern, mögen wir mit dem Schuh in einen Nagel treten oder unbeschirmt in den Regen geraten, mögen wir beim Frühstück feststellen, daß uns schon jemand das braune Ei weggeschnappt hat – stets bleibt uns die tröstliche Gewißheit, daß wir Aubrey ›das Rabenaas‹ Upjohn nie mehr zu Gesicht bekommen werden. Bitte halt dir das in Zeiten der Trübsal fest vor Augen«, hatte er gesagt, welchem Rat ich auch immer gefolgt war. Und nun stand der alte Zausel also wie aus dem Boden gewachsen da. So was hätte noch den größten Haudegen zur sterbenden Ente mutieren lassen.
»Aubrey Upjohn?« stammelte ich. »Du meinst doch nicht etwa meinen Aubrey Upjohn?«
»Doch, genau den. Kurz nach deiner Flucht aus seinem Zuchthaus führte er Jane Mills heim, eine steinreiche Freundin von mir. Bei ihrem Tod hinterließ sie eine Tochter – mein Patenkind. Upjohn ist inzwischen pensioniert und strebt eine politische Karriere an. In Wettkreisen munkelt man, daß ihn hohe Tiere in der Konservativen Partei für die kommende Nachwahl im Bezirk Market Snodsbury aufstellen wollen. Bestimmt kannst du es kaum erwarten, ihn wiederzusehen. Oder graut dir etwa davor?«
»Wo denkst du hin! Wir Woosters fürchten weder Tod noch Teufel. Aber warum hast du ihn nach Brinkley eingeladen?« »Hab’ ich doch gar nicht! Ich wollte lediglich Phyllis bei mir haben, aber er hat sich ihr angehängt.«
»Dann hättest du ihn eben an die frische Luft setzen sollen.« »Das habe ich nicht übers Herz gebracht.«
»Schwache Leistung!«
»Und außerdem brauche ich ihn in eigener Sache. Er wird in der Höheren Schule von Market Snodsbury die Preise überreichen. Bei uns herrscht wieder einmal Rednernotstand. Irgendwer muß die Racker über Ideale und die große, weite Welt außerhalb der Schulmauern aufklären, und da drängt er sich doch förmlich auf. Ich habe gehört, er sei ein brillanter Rhetor. Nur ein Problem hat er: Er gerät aus dem Tritt, wenn er seine Rede nicht vor sich liegen hat und daraus vorlesen kann. ›Rückgriff auf die Notizen‹, so nennt er das. Phyllis hat es mir erzählt. Sie tippt ihm das Zeug ab.«
»Was für ein mieser Roßtäuschertrick!« ereiferte ich mich. »Selbst ich, der ich es nie über den Vortrag des Liedes ›Ein Bäuerlein zur Hochzeit geht‹ an Dorfkonzerten hinausgebracht habe, würde mich nicht erdreisten, vor mein Publikum zu treten, ohne den Text auswendig zu können, und dabei kommt man beim guten alten ›Bäuerlein‹ ganz gut über die Runden, indem man unentwegt ›Bim, bam, bim, bam, bim bam, ich eil’ zu Euch, Madame‹ singt. Kurzum ...«
Ich hätte weitergesprochen, doch in diesem Augenblick bat sie mich, die Klappe zu halten, gab mir noch den freundlichen Rat, nicht auf Bananenschalen zu treten, und legte auf.
Mit Füßen, die als bleischwer zu bezeichnen keine Übertreibung wäre, entfernte ich mich vom Apparat. Das war ja eine schöne Bescherung! Eine Bobbie Wickham mit ihrem Hang, Unfrieden zu stiften und die Zivilisation auf jede erdenkliche Art in ihren Grundfesten zu erschüttern, war schlimm genug. Fügte man ihr aber auch noch einen Aubrey Upjohn hinzu, dann resultierte daraus ein hochexplosives Gemisch. Ich weiß nicht, ob Kipper bei meiner Rückkehr bemerkte, daß ich von des Gedankens Blässe angekränkelt war, wie ich es Jeeves schon einmal habe ausdrücken hören. Wahrscheinlich nicht, denn der Verzehr von Toast und Orangenmarmelade nahm ihn vollauf in Beschlag. Und doch verhielt es sich so. Nicht zum erstenmal in meinem Leben witterte ich entsetzliches Unheil. Welche Gestalt dieses annehmen würde, konnte ich natürlich nicht sagen – es mochte sich so oder anders präsentieren –, doch eine Stimme schien mir ins Ohr zu flüstern, daß in nicht allzu ferner Zukunft mit einem Schlag unter Bertrams Gürtellinie zu rechnen sei.
»Kipper, das war Tante Dahlia«, sagte ich.
»Ach, die gute Haut«, erwiderte er. »Eine der besten, das kannst du ihr ruhig ausrichten. Niemals vergesse ich jene glücklichen Tage in Brinkley, und falls es ihr konveniert, lasse ich mich von ihr gern wieder einmal bewirten. Weilt sie in London?«
»Ja, noch bis heute nachmittag.«
»Na, dann mästen wir sie doch nach allen Regeln der Kunst, oder?«
»Nein, sie schlägt sich den Wanst schon andernorts voll. Beim Seelenklempner Sir Roderick Glossop, um genau zu sein. Du kennst ihn nicht zufällig, oder?«
»Nur von deinen farbigen Schilderungen. Ist wohl ein ziemlich harter Brocken.«
»Einen härteren wirst du schwerlich finden.«
»War das nicht er, der in deinem Schlafzimmer vierundzwanzig Katzen angetroffen hat?«
»Dreiundzwanzig«, korrigierte ich. In diesen Dingen nehme ich es sehr genau. »Und die Katzen gehörten auch gar nicht mir. Meine Cousins Claude und Eustace hatten sie in meiner Wohnung deponiert. Doch meine Erklärung stieß auf taube Ohren. Er ist ein miserabler Zuhörer. Hoffentlich taucht er nicht auch noch in Brinkley auf.«
»Gehst du denn nach Brinkley?«
»Morgen nachmittag.«
»Da kannst du dich ja auf etwas freuen!«
»Tatsächlich? Ich bin mir da nicht so sicher.«
»Ja spinnst du? Denk doch nur an Anatole und seine famosen Dinners! Hast du nie von jener Peri gehört, die tieftraurig vor dem Garten Eden stand?«
»Jeeves hat sie schon mal erwähnt.«
»Tja, genau so geht es mir beim Gedanken an Anatoles Dinners. Wenn ich mir überlege, daß er Tag für Tag solche auf den Tisch zaubert, ohne daß ich dort bin, bricht es mir fast das Herz. Wie kommst du darauf, daß du dich nicht auf etwas freuen kannst? Brinkley Court ist doch ein Paradies auf Erden.«
»In vielerlei Hinsicht schon, nur hat es im Moment auch seine Schattenseiten. Für meinen Geschmack erinnert die Atmosphäre viel zu sehr an jenes alte Kirchenlied, in dem es heißt: ›Wo allseits Anmut leuchtet, und nur der Mensch ist schlecht.‹ Rate mal, wer zur Stunde in der alten Penne haust? Aubrey Upjohn.«
Offensichtlich hatte ich ihm einen gehörigen Schrecken eingejagt. Er riß die Augen auf und ließ vor Verwunderung eine Toastscheibe fallen.
»Der alte Upjohn? Mach keine Witze.«
»Doch, er ist dort. In Fleisch und Blut, nicht nur als Ölbild. Und dabei hast du mich erst neulich mit dem Satz aufgemuntert, ich bekäme ihn nie wieder zu Gesicht. Mögen Wolken aufziehen, hast du, wie du dich erinnern wirst, gesagt ...«
»Aber was führt ihn nach Brinkley?«
»Das habe ich meine alte Muhme auch gefragt, und ihre Erklärung leuchtete mir ein. Offensichtlich hat er, kaum hatten wir ihn damals aus den Augen gelassen, eine ihrer Freundinnen geheiratet, eine gewisse Jane Mills. Aufgehalst hat er sich dabei zudem eine Stieftochter namens Phyllis, deren Patin Tante Dahlia ist. Meine Anverwandte hat nun die kleine Mills nach Brinkley eingeladen, und Upjohn hat sich angeschlossen.«
»Verstehe. Kein Wunder, zitterst du wie Espenlaub.«
»›Wie Espenlaub‹ würde ich nicht sagen, aber ... ja, daß ich zittere, kann ich nicht bestreiten. Wenn ich nur schon an sein Fischauge denke!«
»Und an die breite, nackte Oberlippe. Ein recht unschöner Anblick, wenn man von seinem Teller aufschaut. Na, dafür wirst du Phyllis mögen.«
»Wieso, kennst du sie?«
»Wir haben in der Schweiz Bekanntschaft geschlossen, das war letztes Jahr über Weihnachten. Gib ihr einen kräftigen Klaps auf die Schulter und grüß sie von mir. Nettes Mädchen, wenn auch dußlig. Sie hat mir gar nie erzählt, daß sie mit Upjohn verwandt ist.«
»So was hängt man ja auch nicht an die große Glocke.«
»Stimmt. So wenig wie man seinerzeit engere Beziehungen zu Jack the Ripper an die große Glocke gehängt hätte. Was hat er uns während unserer Haft in Malvern House doch dauernd für einen Schlangenfraß vorgesetzt! Kannst du dich noch an die Sonntagswürstchen erinnern? Und an den Hammeleintopf mit Kapernsoße?«
»Und an die Margarine! Beim Gedanken an die werde ich kaum zusehen können, wie er kiloweise beste Landbutter verputzt. Ach, Jeeves«, sagte ich, als dieser hereingeschwirrt kam, um abzuräumen, »Sie waren wohl nie in einer Vorbereitungsschule an der Südküste Englands?«
»Nein, Sir, ich habe Privatunterricht genossen.«
»Na, dann können Sie nicht mitreden. Ich spreche mit Mr. Herring gerade über unseren damaligen Direx, den Magister Aubrey Upjohn. Übrigens, Kipper, Tante Dahlia hat mir etwas erzählt, was ich noch nicht wußte und was Upjohn, ginge es mit rechten Dingen zu, bei allen tugendhaften Bürgern in Mißkredit bringen müßte. Kannst du dich noch an die feurigen Philippiken erinnern, die er uns zum Semesterende immer gehalten hat? Diese hätte er unmöglich über die Lippen gebracht, wenn er sie nicht Wort für Wort in seinen elenden Pfoten gehalten hätte. Ohne ›Rückgriff auf die Notizen‹, wie er es nennt, ist der Kerl keinen Schuß Pulver wert. Das ist doch erbärmlich, Jeeves, finden Sie nicht auch?«
»Meines Wissens leiden zahlreiche Oratoren unter solcherlei Hemmungen, Sir.«
»Sie sind mir zu nachsichtig, Jeeves, viel zu nachsichtig. Hüten Sie sich vor dieser laxen Geisteshaltung. Aber von Upjohn erzähle ich Ihnen ohnehin nur, weil er erneut in mein Leben getreten ist – oder sich mindestens dazu anschickt. Er weilt in Brinkley, wohin ich mich morgen begeben werde. Das war Tante Dahlia, die eben angerufen hat und mich vor Ort haben will. Würden Sie mir bitte einen Koffer mit dem Allernötigsten packen?«
»Sehr wohl, Sir.«
»Wann soll’s denn nach Herne Bay gehen?«
»Eigentlich wollte ich heute vormittag den Zug nehmen, Sir, aber wenn Sie es vorziehen, daß ich erst morgen abreise ...« »O nein, durchaus nicht. Brechen Sie auf, wann immer es Ihnen beliebt. Was gibt’s denn da zu lachen?« fragte ich, als sich die Tür hinter Jeeves geschlossen hatte und ich feststellen mußte, daß Kipper still in sich hineinkicherte. Gar nicht so einfach, wenn man den Mund voller Toast und Orangenmarmelade hat, doch er brachte es irgendwie fertig.
»Ich habe gerade an Upjohn denken müssen«, antwortete er. Ich war sprachlos, so unfaßbar fand ich es, daß ein Mensch, der einst die gesiebte Luft von Malvern House, Bramley-on-Sea, geatmet hatte, still (oder auch weniger still) in sich hineinkichern konnte, derweil er dieser Monstergestalt nachsann. Als hätte jemand unbeschwert gelacht beim Gedanken an eines dieser Gruselwesen aus dem Weltall, die uns heutzutage so oft auf der Kinoleinwand begegnen.
»Wie ich dich beneide, Bertie!« fuhr er, noch immer kichernd, fort. »Auf dich wartet ein wahrer Leckerbissen: Du wirst am Frühstückstisch sitzen, wenn Upjohn die neueste Ausgabe der Thursday Review aufschlägt und jene Seiten überfliegt, die den Neuerscheinungen gewidmet sind. Ich sollte vielleicht erwähnen, daß unter den Büchern, die in letzter Zeit auf der Redaktion eingetroffen sind, auch ein schmales Bändchen aus seiner Feder war, das sich der privaten Vorbereitungsschule widmet, für welche er mächtig die Werbetrommel rührt. Die prägenden Jahre, die wir dort verbracht haben, schildert er als die glücklichsten unseres ganzen Lebens.«
»Jetzt schlägt’s dreizehn!«
»Nur hat er nicht im Traum geahnt, daß ausgerechnet ein ehemaliger Knastbruder aus Malvern House sich den Auftrag schnappen würde, seines Geistes Kind zu rezensieren. Ich verrate dir jetzt etwas, Bertie, was sich jeder junge Mann merken sollte: Sei nie ein Stinkstiefel, denn wenn du einer bist, magst du zwar ein Weilchen wie ein Narzissenfeld erblühen, aber früher oder später wird dir die Rechnung präsentiert. Ich brauche dir kaum zu sagen, daß ich das elende Machwerk in Grund und Boden gestampft habe. Der bloße Gedanke an jene Sonntagswürstchen hat mich mit dem heiligen Zorn eines Juvenal erfüllt.«
»Eines was?«
»Ach, den kennst du nicht. War vor deiner Zeit. Die Ideen sind mir nur so zugeflogen. Normalerweise würde ich ein solches Büchlein in der Spalte ›Weitere Neuerscheinungen‹ mit eineinhalb Zeilen abspeisen, doch auf dieses habe ich sechshundert Wörter glutvollster Prosa verwendet. Was bist du doch für ein Glückspilz, daß du seine Visage betrachten darfst, während er den Artikel liest.«
»Und woher willst du wissen, daß er ihn liest?«
»Er ist Abonnent. In einer der letzten Nummern stand ein Leserbrief, in dem er unter voller Namensnennung gestand, seit Jahren ein solcher zu sein.«
»Hast du deinen Beitrag gezeichnet?«
»Nein. Der Herr Herausgeber ist nicht erpicht darauf, für seine Lohnsklaven Reklame zu machen.«
»Und das Zeug war wirklich gepfeffert?«
»Gesalzen und gepfeffert. Laß ihn also am Frühstückstisch keine Sekunde aus den Augen. Achte auf seine Reaktion. Ich rechne fest damit, daß Scham und Reue seine Wangen röten werden.«
»Der Haken ist nur, daß ich in Brinkley nie zum Frühstück herunterkomme. Aber ich könnte ja mal eine Ausnahme machen.«
»Sei so gut, du wirst es nicht bereuen«, antwortete Kipper und zitterte wenig später ab, um sich die wöchentliche Lohntüte zu verdienen.
Etwa zwanzig Minuten nach seinem Abgang kam Jeeves mit dem Bowler in der Hand herein, um sich zu verabschieden – ein feierlicher Augenblick, der unsere Selbstbeherrschung aufs äußerste strapazierte. Doch keiner gab sich eine Blöße, und nachdem wir ein bißchen hin und her geflachst hatten, trat er den Rückzug an. Erst als er die Tür erreicht hatte, fiel mir ein, daß er womöglich im Besitz vertraulicher Informationen über jenen Wilbert Cream war, den Tante Dahlia erwähnt hatte. Ich stelle immer wieder fest, daß er über alle Menschen schlechterdings alles weiß.
»Ach, Jeeves«, sagte ich. »Momentchen noch.«
»Sir?«
»Ich wollte Sie etwas fragen. Unter den Gästen in Brinkley Court befinden sich eine gewisse Mrs. Homer Cream, Gattin eines bedeutenden amerikanischen Butter- und Eiermagnaten, und deren Sohn Wilbert, vulgo Willie. Der Name Willie Cream erinnert mich an irgend etwas. Ich bringe ihn, ob nun zu Recht oder zu Unrecht, mit unseren Reisen nach New York in Verbindung, habe aber keinen Schimmer, weshalb. Fällt Ihnen dazu irgendwas ein?«
»O ja, Sir. Der fragliche Gentleman findet oft Erwähnung in der New Yorker Regenbogenpresse, namentlich in der von Walter Winchell verantworteten Kolumne. Meistens läuft er unter dem Beinamen Broadway Willie.«
»Aber natürlich! Jetzt fällt es mir wieder ein. Er ist einer dieser Playboys.«
»Genau, Sir. Berüchtigt für seine Eskapaden.«
»Jawohl, jetzt blicke ich durch. Er zündet in Nachtlokalen Stinkbomben – was ich doch eher unter ›Eulen nach Athen tragen‹ abbuchen würde – und löst in der Bank nur selten einen Scheck ein, ohne seine Kanone zu zücken und ›Hände hoch, Überfall!‹ zu brüllen.«
»Und ... Nein, Sir, es ist mir leider gerade entfallen.«
»Was denn?«
»Eine weitere Petitesse, Sir, die man mir über Mr. Cream zugetragen hat. Sollte mir diese wieder in den Sinn kommen, werde ich Sie sofort in Kenntnis setzen.«
»Bitte tun Sie das. Schließlich ist man gern über alles im Bild. Ach, herrje!«
»Sir?«
»Nichts, Jeeves. Mir ist nur etwas eingefallen. Also schön, schieben Sie ab, sonst verpassen Sie Ihren Zug. Viel Glück – Ihnen und dem Krabbennetz.«
Ich will gleich sagen, was mir eingefallen war. Ich habe bereits angedeutet, welches Bauchgrimmen mir der Gedanke machte, mit Bobbie Wickham und Aubrey Upjohn in denselben vier Wänden eingebunkert zu sein, denn die Folgen ließen sich kaum abschätzen. Begab ich mich aber nicht nur in Tuchfühlung mit diesen beiden Schwergewichten, sondern auch noch mit einem New Yorker Playboy, in dessen Oberstübchen es offenbar gewaltig piepte, sprach vieles dafür, daß der Aufenthalt meine schwache Konstitution allzusehr angreifen würde, so daß ich einen Moment lang mit dem Gedanken spielte, ein Telegramm loszuschicken, in dem ich mit dem Ausdruck tiefsten Bedauerns einen Rückzieher machte.
Dann jedoch fielen mir Anatoles Kochkünste wieder ein, und ich fand neue Kraft. Niemand, der je von den geräucherten Darreichungen dieses Magiers gekostet hat, würde mutwillig auf sie verzichten. Welche Seelenqualen in Brinkley Court, Market Snodsbury bei Droitwich, auch auf mich warten mochten – am Ende stünden auf meinem Konto wenigstens etliche Suprêmes de fois gras au champagne und Mignonettes de Poulet Petit Duc. Trotzdem wäre der Wahrheit nicht Genüge getan, würde ich behaupten, mir sei beim Gedanken an all die Dinge wohl gewesen, die meiner im finstersten Worcestershire harrten, und so zitterte meine Hand beträchtlich, als ich mir den Glimmstengel anzündete, der mein Frühstück krönen sollte.
In diesem Moment höchster Anspannung schellte erneut das Telefon, und ich fuhr hoch, als wäre die Posaune des Jüngsten Gerichts erschallt. In heller Aufregung stürzte ich mich auf den Apparat.
Am anderen Ende befand sich anscheinend ein Angehöriger der Butlerkaste.
»Mr. Wooster?«
»Zur Stelle.«
»Guten Morgen, Sir. Ihre Ladyschaft wünscht Sie zu sprechen. Lady Wickham, Sir. Mr. Wooster, M’lady.«
Worauf Bobbies Mutter Laut gab.
Ich hätte vielleicht erwähnen sollen, daß ich während meines obigen Wortwechsels mit dem Butler ganz von ferne und sozusagen als Hintergrundmusik ein Schluchzen zu hören glaubte, und nun begriff ich auch, daß dieses dem Kehlkopf der Witfrau von Sir Cuthbert † entstiegen war. Es dauerte ein Weilchen, bis sie ihre Stimmbänder wieder unter Kontrolle hatte, und während ich darauf wartete, daß sie den Dialog eröffne, drängten sich mir gleich zwei Fragen auf: 1. Warum rief mich diese Frau an? 2. Wenn sie schon die richtige Nummer gewählt hatte, wieso schluchzte sie dann?
Insbesondere die erste Frage gab mir Rätsel auf, denn die Wärmflaschenaffäre hatte meine Beziehung zu diesem Elternteil Bobbies erheblich belastet. Es war ein offenes Geheimnis, daß ich in ihren Augen ungefähr auf derselben gesellschaftlichen Stufe stand wie eine Ratte der Unterwelt. Dies wußte ich von Bobbie, welche ungemein lebensecht nachzuahmen vermochte, wie mich ihre Mutter im Kreise von Gleichgesinnten durchhechelte, was mich ja auch gar nicht erstaunte. Schließlich schätzt es keine Frau, die einen Freund ihrer Tochter beherbergt, wenn der junge Besucher munter die Wärmflaschen fremder Leute ansticht und um drei Uhr früh abreist, ohne sich förmlich verabschiedet zu haben. Doch, doch, ich hatte Verständnis für ihre Haltung und fand es deshalb um so erstaunlicher, daß sie mit mir derart verzweifelt in fernmündliche Verbindung zu treten wünschte. Angesichts ihrer ausgeprägten Bertram-Allergie hätte ich erwartet, daß sie den Hörer nicht einmal mit der Kneifzange anfassen würde.
Doch es gab keinen Zweifel: Sie war am Apparat.
»Mr. Wooster?«
»Oh, Tag, Lady Wickham.«
»Sind Sie noch dran?«
In diesem Punkt konnte ich sie beruhigen, worauf sie eine abermalige Schluchzpause einlegte. Dann sprach sie mit rauher, heiserer Stimme – was sich etwa so anhörte, als hätte sich Tallulah Bankhead an einer Fischgräte verschluckt.
»Stimmt diese Schreckensnachricht?«
»Hä?«
»Herrjemine, herrjemine!«
»Ich kann Ihnen nicht ganz folgen.«
»Heute morgen in der Times.«
Times