Andreas M. Sturm legt nach ›Vollstreckung‹, ›Albträume‹, ›Leichentuch‹ und ›Trauma‹ mit ›Todesangst‹ seinen fünften Dresden-Krimi um das Ermittlerduo Karin Wolf und Sandra König vor.
Der 1962 in Dresden geborene und dort lebende Autor ist Diplom-Betriebswirt und war nach seiner Berufsausbildung zum Werkzeugmacher viele Jahre in der Informatik tätig. Andreas M. Sturm schreibt bereits seit seiner Jugend. Während es damals eher Novellen und Western waren, sind es seit 2009 Krimis, in denen er sein Faible für dieses Genre auslebt.
Neben seinen Dresden-Krimis schreibt er Kurzgeschichten und ist Herausgeber von Anthologien, dazu gehören die bei Krimilesern beliebten Serien-Highlights ›Giftmorde‹, ›Sachsenmorde‹ und ›Weihnachtsmorde‹.
1. Auflage, Februar 2018
Copyright © 2018 by edition krimi, Leipzig
edition krimi
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Kerstin Müller, Leonore Sell
Umschlaggestaltung: ama medien
Umschlagmotiv: Kerstin Müller
Satz: ama medien
ISBN 978-3-946734-14-7 (print)
ISBN 978-3-946734-55-0 (ebook)
www.edition-krimi.de
Prolog
Drei Tage zuvor Donnerstag, 20. September, 9.00 Uhr
Donnerstag, 10.00 Uhr
Donnerstag, 10.20 Uhr
Donnerstag, 11.45 Uhr
Donnerstag, 13.45 Uhr
Donnerstag, 15.15 Uhr
Donnerstag, 15.30 Uhr
Donnerstag, 16.00 Uhr
Donnerstag, 17.15 Uhr
Donnerstag, 17.20 Uhr
Donnerstag, 18.20 Uhr
Donnerstag, 19.30 Uhr
Freitag, 21. September, 3.10 Uhr
Freitag, 9.50 Uhr
Freitag, 11.15 Uhr
Freitag, 11.35 Uhr
Freitag, 11.40 Uhr
Freitag, 11.45 Uhr
Freitag, 13.00 Uhr
Freitag, 13.25 Uhr
Freitag, 14.35 Uhr
Freitag, 15.30 Uhr
Freitag, 17.20 Uhr
Freitag, 17.00 Uhr
Freitag, 18.50 Uhr
Freitag, 20.45 Uhr
Freitag, 20.00 Uhr
Sonnabend, 22. September, 5.00 Uhr
Sonnabend, 7.00 Uhr
Sonnabend, 08.00 Uhr
Sonnabend, 08.15 Uhr
Sonnabend, 8.45 Uhr
Sonnabend, 09.45 Uhr
Sonnabend, 10.50 Uhr
Sonnabend, 11.30 Uhr
Sonnabend, 12.30 Uhr
Sonnabend, 15.50 Uhr
Sonnabend, 16.00 Uhr
Sonnabend, 16.45 Uhr
Sonnabend, 16.50 Uhr
Sonnabend, 17.45 Uhr
Sonnabend, 18.10 Uhr
Sonnabend, 18.20 Uhr
Sonnabend, 18.30 Uhr
Sonnabend, 20.15 Uhr
Sonnabend, 20.30 Uhr
Sonnabend, 21.20 Uhr
Sonnabend, 21.30 Uhr
Sonnabend, 21.35 Uhr
Sonnabend, 22.05 Uhr
Sonnabend, 22.25 Uhr
Sonnabend, 23.30 Uhr
Sonntag, 23. September, 03.10 Uhr
Sonntag, 06.50 Uhr
Sonntag, 07.00 Uhr
Sonntag, 07.30 Uhr
Sonntag, 08.20 Uhr
Sonntag, 09.00 Uhr
Sonntag, 09.00 Uhr
Sonntag, 09.30 Uhr
Sonntag, 10.15 Uhr
Sonntag, 10.50 Uhr
Sonntag, 12.35 Uhr
Sonntag, 13.20 Uhr
Sonntag, 15.10 Uhr
Sonntag, 18.20 Uhr
Sonntag, 19.45 Uhr
Dienstag, 25. September, 15.00 Uhr (Irland)
Danksagung
Mit schweren Lidern schaute Ina aus ihrem Schlafzimmerfenster und erstarrte vor Schreck. Die Bäume am Waldrand, die ihr immer einen Morgengruß sandten, waren verschwunden. Verwirrt fuhr sie zurück und strich sich mit der Hand über die Augen. Die Strafe für die jähe Bewegung folgte auf dem Fuß. Der hackende Schmerz in ihrem Kopf verstärkte sich auf der Stelle und erinnerte sie nachdrücklich an den gestrigen Mädelsabend. Die Nacht war heftig gewesen und Ina hatte massenweise Alkohol in sich hineingeschüttet.
Sie stieß auf und hielt dabei automatisch die Hand vor den Mund. Als der Geruch ihres sauren Atems den Weg zur Nase fand, verzog sie angewidert das Gesicht. Sie wusste nicht welcher, aber einer der vielen Drinks musste wohl schlecht gewesen sein.
Ina schüttelte sich und kam danach auf ihr Problem mit den unsichtbaren Bäumen zurück. Sie kniff die Augen zusammen und starrte angestrengt durch die Scheibe, um die Ursache für das geheimnisvolle Verschwinden zu ergründen. Da erst bemerkte sie den Nebel. Dicke Schwaden stiegen wie ein Heer Dämonen aus der Wiese hinter ihrem Haus auf und verbargen den Waldrand vor ihren Blicken. Froh, dass sie nicht unter Halluzinationen litt, tappte Ina ins Badezimmer, jede unnötige Erschütterung vermeidend.
Die Dusche half ihren Lebensgeistern auf die Sprünge. Ihr war nicht mehr übel und die Kopfschmerzen hatten merklich nachgelassen. Sie nahm das als gutes Zeichen und beschloss zu testen, wie ihr Magen auf Nahrung reagieren würde. Vorsichtig knabberte sie ein paar Kekse und trank fast einen Liter Wasser. Anschließend ging es ihr deutlich besser. Hocherfreut stellte Ina fest, dass sie den heutigen Tag nun doch noch wie geplant durchführen konnte. Dumm war nur, dass die größte Anstrengung gleich zu Beginn auf sie wartete. Ina wollte unbedingt beim nächsten Oberelbe-Marathon in Königstein starten und die gesamte Strecke von zweiundvierzig Kilometern bis Dresden durchhalten. Um dieses Ziel zu erreichen, hatte sie einen harten Trainingsplan aufgestellt. Und ein fauler Tag war darin nicht vorgesehen.
Ina kannte sich und ihre Schwächen. Bevor ihr widerspenstiges Gehirn wieder tausend Gründe erfinden konnte, weshalb sie lieber doch nicht loslaufen sollte, schlüpfte sie in ihre Laufhose. Tapfer ignorierte sie das leichte Schwindelgefühl, das sie beim Vorbeugen überfiel, als sie ihre Schuhe schnürte. Die frische Luft würde ihr guttun und der Lauf ihren Körper entschlacken. Nach einem Blick auf das Thermometer zog sie ihre Jacke über. Zwölf Grad waren definitiv zu kalt, um nur im Shirt vors Haus zu gehen.
In gemächlichem Tempo trabte Ina los. Den Auftakt eines Laufes ging sie immer langsam an und gewöhnte ihren Körper allmählich an die Anstrengung. Wie sie befürchtet hatte, wurde ihr der erste Kilometer zur Qual. Sie schwitzte heftig und jede kleine Steigung forderte ihre gesamte Energie. Doch mit der Zeit wurde es besser. Ina fand ihren gewohnten Rhythmus und die Beine wirbelten fast von allein. Ihr Atem ging leichter und gierig sog sie die feuchte und klare Waldluft tief in ihre Lungenflügel.
Wie erwartet stellte sich bald das Glücksgefühl ein und Ina ließ ihren Gedanken freien Lauf. Ihr Mund begann zu lächeln, als sie an den gestrigen Abend zurückdachte. Schön war es gewesen, wieder einmal mit den Mädels zu quatschen und beim nächsten Mal, das nahm sie sich jedenfalls fest vor, würde sie etwas vorsichtiger mit den Drinks sein. Inas Geist badete so im Hochgefühl, dass sie hell auflachte, als ein Käfer gegen ihre Wange flog. Sie rief dem Insekt »Guten Flug« hinterher und erfreute sich am Glitzern seiner Flügel in der Morgensonne.
Nach fünf Kilometern kam sie an die erste steile Anhöhe; sie nahm sie mit Anlauf. Oben angekommen lag eine lange gerade Strecke vor ihr. Gleichmäßig mit langen, ausgreifenden Schritten lief Ina den schmalen Wanderpfad entlang.
Um sie herum war die einsame Stille des Waldes, nur übertönt vom gleichförmigen Schlagen ihrer Schritte auf dem Waldboden. An diesem Morgen hielt sich der Nebel hartnäckig und graue Seidenschleier faserten zwischen Bäumen und Sträuchern. Ina genoss die Aussicht auf die wie verwunschen wirkende Landschaft. Abgelenkt von diesem Anblick war sie einen kurzen Augenblick unachtsam und stolperte über eine der tückischen Wurzeln, die sich quer über den Weg zogen. Erst im letzten Moment gelang es ihr, den Sturz abzufangen. Schwer atmend blieb sie erschrocken stehen. Sie war der Gefahr gerade so entkommen. Eine Verstauchung oder gar Schlimmeres konnte sie nicht gebrauchen, denn sie verspürte nicht die geringste Lust, den Elbe-Marathon nur als Zuschauerin zu erleben.
Sie pustete tief durch und machte erleichtert ein paar Dehnübungen. Wie einen Freund begrüßte sie dabei den leichten Windstoß, der ihre feuchte Stirn kühlte. Der Luftzug ließ den Nebel aufreißen und sie bemerkte ein unförmiges Ding, das an einem der Bäume hing. Neugierig trat Ina näher an den Baum heran. Doch nach wenigen Metern verharrten ihre Füße, als hätten unsichtbare Hände sie auf den Waldboden gebannt. Ängstlich starrte sie auf den sanft schwingenden Körper. Ihr Gehirn wollte nicht wahrhaben, was ihre Augen längst erkannt hatten: Das diffuse Gebilde war ein Mensch.
Ina begann zu zittern und versuchte krampfhaft, nicht den Verstand zu verlieren. Wie ferngesteuert glitt ihre Hand zu der Tasche an ihrem Jackenärmel und fingerte nervös das Handy hervor.
Ein weiterer Windstoß, der ihr einen Kälteschauer durch den Körper jagte, brachte die Gestalt zum Drehen. Langsam schwang die Vorderseite zu ihr herum. Ina wollte wegsehen, doch wie unter Zwang fixierte sie weiterhin den pendelnden Körper.
Als das Gesicht, das durch einen schrecklichen Todeskampf zu einer verzerrten Maske erstarrt war, in ihr Blickfeld geriet und tote hervorgequollene Augen sie anstarrten, revoltierte ihr angeschlagener Magen. Würgend ging Ina in die Knie und erbrach ihr karges Frühstück.
Betont gleichmütig schob Lukas den laut rasselnden Einkaufswagen durch die Tiefgarage. Den Trick mit dem Wagen hatte er von Sören. Sören war sein nächster Chef und hatte ihm all die Kniffe beigebracht, die ihn davor bewahren sollten, vor dem Jugendrichter zu landen. Sören arbeitete nicht mehr an der Basis. Er hatte Karriere gemacht und war jetzt im unteren Management beschäftigt. Wenn du über achtzehn bist, hatte er Lukas beigebracht, ist es zu heiß, in der Beschaffung tätig zu sein. Du kommst noch mit einem Klaps auf den Po davon, wenn sie dich erwischen, ich dagegen wandere ein und das wäre ein herber Schlag für die Organisation.
Lukas bewunderte seinen Vorgesetzten. Der hatte den Dreh raus, studierte sogar. Jura. In zwei Jahren war Lukas selbst achtzehn. Wenn er fleißig und erfolgreich sein würde, so hatte ihm Sören versprochen, dann winkte eine Position als Gruppenleiter.
Somit hatte Lukas ständig ein Ziel vor Augen und mühte sich deshalb mit diesem klappernden Ungetüm ab. Ein Junge mit einem Einkaufswagen fällt in der Tiefgarage eines Einkaufszentrums nicht auf, war einer von Sörens Ratschlägen. Einer der herumlungert zieht dagegen die Blicke auf sich wie ein ausgebrochener Eisbär.
Lukas holte einen zusammengefalteten Zettel aus seiner Hosentasche und las sich noch einmal genau durch, welche Automodelle die Kunden bestellt hatten. Doch um diese Zeit parkten nur einzelne Früheinkäufer ihre Wagen und Lukas spähte vergeblich nach einer Beute.
Vier Mal hatte er die komplette Tiefgarage bereits abgeklappert und noch keinen Treffer gelandet. Frustriert blieb er stehen und horchte in sich hinein. Das Knurren seines Magens sprach eine deutliche Sprache. Höchste Zeit für ein zweites Frühstück. Die Pause hatte er sich nach der Schinderei wirklich verdient und in einer Stunde würden wesentlich mehr Fahrzeuge in der Tiefgarage stehen.
Kurzerhand wollte er das mit Tütenattrappen beladene Drahtmonster zu seinem schrottreifen Polo fahren, da kam ihm ein BMW X6 entgegen. Vor Aufregung wurde Lukas der Mund trocken. Das Auto sah so neu aus, dass sich das breite Lächeln des Autoverkäufers fast noch im Lack spiegelte. Und um sein Glück vollkommen werden zu lassen, war der Wagen zusätzlich noch in der Wunschfarbe Spacegrau-Metallic lackiert.
Schwungvoll riss Lukas den Einkaufswagen herum und lief eilig hinter dem Objekt seiner Begierde her. Wenn er die Karre in die Finger bekam, würde ihn das ein gewaltiges Stück die Leiter hinaufkatapultieren.
Weit musste er nicht laufen. Der Wagen wurde bereits langsamer und rollte gleich darauf auf eine freie Parkfläche. Vor Freude hätte Lukas beinah laut gejubelt. Er fand es sehr anständig von dem Fahrer, dass er den BMW ein Stück entfernt von den anderen abgestellten Fahrzeugen parkte. Es wäre um einiges riskanter gewesen, die Aktion im belebteren Teil der Tiefgarage durchzuziehen. Lukas vermutete, dass der Fahrer nur deshalb einen weiteren Weg zum Einkaufszentrum auf sich nahm, um sein Fahrzeug vor dem Risiko einer Schramme zu bewahren.
Wie er am Fahrstil bereits bemerkt hatte, stieg ein Rentnerehepaar aus dem BMW. Die älteren Herrschaften fuhren vorsichtiger, nicht so schwungvoll wie jüngere. Lukas war mit dieser Fahrweise sehr einverstanden. Jeder Kratzer schmälerte den Wert.
So schnell es ging, schob Lukas das eiernde Monstrum zum nächstgelegenen Auto, stellte sich hinter den Kofferraum, kramte in den Tüten herum und holte verstohlen den Jammer aus seiner Tasche.
Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie die Beifahrerin sich ihre Handtasche über die Schulter hängte und in Richtung Ausgang lief. Ihr Gatte nahm noch etwas aus dem Kofferraum und drehte sich anschließend zu ihr um; im Gehen betätigte er den Funkschlüssel, um die Türen zu verschließen.
Im selben Moment sendete Lukas durch einen leichten Druck seines Fingers ein Störsignal und überlagerte so die Funkfrequenz des Schlüssels.
Lukas schwitzte Blut und Wasser. Die nächsten Sekunden waren entscheidend. Manche Leute kehrten noch mal zu ihrem Auto zurück und prüften, ob es wirklich verschlossen war. Eine Unsitte, wie Lukas fand. Doch die beiden Leutchen zuckelten Hand in Hand los.
Erleichtert wartete Lukas, bis sie verschwunden waren, dann zerrte er eilig den Einkaufswagen zum BWM. Den Wagen mit dem Euro würde er einfach stehen lassen. Irgendeiner würde das Teil in Kürze entdecken, sich über den Euro freuen und den ätzenden Drahtkorb auf Rädern für ihn zur Parkbox schieben. Die Tüten dagegen würde Lukas mitnehmen. Auf gar keinen Fall Spuren hinterlassen, betete ihm Sören ständig vor.
Bevor er die Einkaufstüten ins Auto packte, blieb Lukas einen Augenblick andächtig vor dem BMW stehen. Fast konnte er es nicht glauben, dass er so einen dicken Fisch an der Angel hatte. Bewundernd strich er zärtlich über den Lack des Neuwagens. Eines Tages, das versprach er sich fest, würde er auch in so einem coolen Schlitten sitzen. Unrealistisch war dieses Ziel nicht. Immerhin hatte er zwei Jobs und beide brachten ganz schön was ein.
Lukas riss sich los. Für Träume war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Zögernd fasste er an den Türgriff und sein Herz setzte vor Aufregung einen Schlag aus. Er schloss die Augen, atmete tief durch und zog am Griff. Beinah hätte er vor Glück geheult, als die Tür aufschwang. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass der Störsender versagte.
Jetzt musste alles ganz schnell gehen. Hastig raffte Lukas die Tüten an sich, öffnete eine der Hintertüren, beugte sich ins Wageninnere und stellte sie ordentlich auf die Rückbank. Falls ein misstrauisches Bullenauge den Wagen checkte, sollte alles so unverdächtig wie möglich wirken. Danach richtete er sich auf und im selben Moment zerschmetterte ein gnadenloser, brutaler Schlag seine Schädeldecke und verwandelte seinen Hinterkopf in eine Masse aus Knochensplittern, Blut und Gehirn. Lukas’ Augen rollten ziellos unter den flackernden Lidern und er starb, ohne begriffen zu haben, was mit ihm geschah.
Kriminalhauptkommissarin Karin Wolf hatte nicht gezögert, die Gelegenheit beim Schopf gepackt und sich heimlich aus der gemeinsamen Wohnung geschlichen. Sandra, ihre Partnerin im Leben und bei der Arbeit, hatte noch süß in ihren Kissen geträumt, da war Karin bereits durch die Tür verschwunden. Zwar stach das schlechte Gewissen, aber ständig bemuttert werden, fand sie mitunter ganz schön anstrengend. Sie wusste, dass Sandra nur aus Sorge um sie wie eine Klette an ihrem Hintern hing, doch ab und zu brauchte Karin ein kleines Stück Einsamkeit.
Es war der erste freie Tag seit Langem, den sie gemeinsam verbringen konnten. Am Abend zuvor war es spät geworden und Karin wollte alle Dinge für ein leckeres Frühstück besorgen, um auf diese Art ein Lächeln in das Gesicht ihrer stets hungrigen Partnerin zu zaubern. Sie hoffte einfach, dass Sandras Appetit größer war als ihr Unmut über den verbotenen Alleingang.
Dabei war es Karin durchaus klar, dass ihr Ausflug Sandra wieder einmal in den Wahnsinn treiben würde. Vor anderthalb Jahren hatte ein skrupelloser Verbrecher ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt und Karin arbeitete mit allen Kräften daran, die Angelegenheit zu verdrängen. Und obwohl Sandra ihr fortwährend unter die Nase rieb, dass die Gefahr wie ein heimtückisches Damoklesschwert weiter über ihr schwebte, hoffte Karin, dass der ehemalige Landtagsabgeordnete Herko Christen sie inzwischen vergessen hatte.
Bei den Ermittlungen in einem zurückliegenden Fall war Karin diesem karrieregeilen Politiker zu nah auf die Pelle gerückt. Um ein Haar wäre es ihr gelungen, ihn für seine Taten büßen zu lassen. Jeder normale Bürger wäre mit dem vorliegenden Belastungsmaterial für lange Zeit hinter Gittern verschwunden, für einen hochrangigen Staatsdiener war die Beweislage dagegen zu dünn. Einflussreiche Kriminelle verfügten eben über Macht und die nötigen Mittel. Jedenfalls hatte Christen gründlich hinter sich sauber gemacht. Wie es ihm gelungen war, einen von ihm bezahlten Killer hinter Gefängnismauern vergiften zu lassen, würde Karin nie erfahren. Sie zuckte die Schultern, diesem Dreckskerl würde sie nicht nachtrauern. Er hatte mehrere Menschen ermordet und den Tod mehr als verdient.
Geschadet hatte dem Politiker Herko Christen die Angelegenheit bei seinem weiteren Aufstieg jedenfalls nicht. Im Gegenteil, er war die Karriereleiter eine weitere Sprosse nach oben gestiegen; inzwischen saß er als Abgeordneter im EU-Parlament in Straßburg.
Soll er in Frankreich verrotten, dachte Karin und beschloss keinen weiteren Gedanken an Herko Christen zu verschwenden. Sie versuchte die dunkle Bedrohung auszublenden und auf gute Laune umzuschalten. Von diesem Mistkerl würde sie sich ihren Tag nicht versauen lassen.
Nachdem Karin ihre Runde durch Laubegast gedreht und ihren Einkaufszettel abgearbeitet hatte, schleppte sie ihre schweren Einkaufstaschen an Lidl vorbei. Sie wollte den schmalen Trampelpfad über ein verwildertes Grundstück zurück ins Wohnviertel nehmen. Ein funkelnagelneuer stabiler Zaun stoppte ihre Schritte. Fassungslos musterte sie das metallene Ungetüm. Zum Herüberklettern war er ihr viel zu hoch und zum einfach Wegdrücken zu stabil. Ihr blieb nichts anderes übrig als kehrt zu machen und die gesamte Strecke zurückzulaufen. Mit einem erbarmungswürdigen Seufzer musterte Karin ihre Beutel und lief los. Still vor sich hin schimpfend trat sie den Heimweg an.
Die schlanke Silhouette einer Frau, die Karin auf ihrem Weg eilig entgegenkam, ließ ihr Herz höherschlagen. Obwohl sie schon fast zwei Jahre mit Sandra zusammenlebte, war Karin immer noch so verliebt in ihre hübsche Partnerin wie zu Beginn ihrer Bekanntschaft. Aber als sie Sandras strafende Miene bemerkte, legt sich ein flaues Gefühl auf ihren Magen.
Karin wollte die Freundin mit einem Kuss begrüßen, doch die blieb stocksteif stehen.
»Das kannst du dir gleich abschminken. Ich bin sauer auf dich. Gehst einfach stiften und ich vergehe vor Sorge. Ich sollte dich mit Sexentzug bestrafen. Obwohl …« Sandra verzog nachdenklich das Gesicht. »Nein, das geht nicht«, schränkte sie auf der Stelle ein, »da trete ich mir ja selbst in meinen kleinen Knackarsch … aber sauer bin ich noch. Du weißt ganz genau, dass Christen im Darknet eine Prämie auf deinen hübschen Kopf ausgesetzt hat. Auch wenn ich den Eintrag immer wieder lösche, er postet ihn sofort neu.«
Karin trat die Flucht nach vorn an. »Was willst du eigentlich machen, wenn in einem dieser Häuser hier ein Scharfschütze auf mich lauert und mir eine Kugel in den Kopf schießt? Ein Pflaster auf die Stirn kleben?«
Sandra knuffte Karin auf den Arm. »Weißt du eigentlich, dass du manchmal ein richtiger Ochse sein kannst? Hast du vergessen, dass ich die beste Schützin im Polizeikorps bin? Eventuell sehe ich ja den Schützen bevor er schießt und kann ihn vom Balkon pflücken.«
»Tut mir leid, du hast ja recht. Aber …« Karin schaute Sandra tief in die Augen, ihr Blick bettelte um Verständnis.
»Du musst mich gar nicht mit deinen schwarzen Augen so treu anschauen. Ich weiß schon Bescheid, dich hat der Lockruf ereilt.«
»Welcher Lockruf?«
Sandra grinste breit. »Der Lockruf der einsamen Wölfin.« Bevor Karin einen Kommentar zu ihrem Spitznamen abgeben konnte, wechselte Sandra das Thema. »Hast du schon gesehen, der Trampelpfad ist zu.«
Karin nickte und knurrte entrüstet.
»Während ich über den Spielplatz zurückgelatscht bin, konnte ich mir lebhaft vorstellen, was wohl in deinem Kopf vorgeht.« Sandras Augen funkelten amüsiert.
»Aha, und was bitte schön, Miss Kristallkugel?«
»Dir juckt es doch gewaltig in den Fingern, bewaffnet mit deinem Winkelschleifer, dem Zaun heute Nacht einen Besuch abzustatten.«
Wider Willen musste Karin kichern. »Ich weiß schon lange, dass du Gedanken lesen kannst, vor allem meine. Aber dass du das jetzt sogar aus der Entfernung hinkriegst, ist mir neu.«
Sandra hob ihre Hände und strich über eine imaginäre Kugel. »Meine Vision ging noch viel tiefer«, orakelte sie geheimnisvoll. »Zuerst sah ich nur die Funken, als du dich an dem Metallgitter zu schaffen gemacht hast …« Sie legte eine Pause ein und versuchte einen in ihr aufsteigenden Lachanfall unter Kontrolle zu bekommen. »Dann sah ich blaue Lichter und gleich darauf zwei Streifenbeamte, die dich wegen Zerstörung fremden Eigentums verhaftet haben.«
Karin verdrehte die Augen.
»Das Nächste, was mich aus meiner Kristallkugel anschaute«, fuhr Sandra unbeeindruckt fort, »war die strafende Miene unseres Chefs, als ihm der Bericht deiner Verhaftung vorgelegt …« Weiter kam sie nicht, japste auf und krümmte sich vor Lachen.
Um Karins Mundwinkel zuckte es verdächtig. Sie musste zugeben, dass Sandra mit der Einschätzung ihrer möglichen Vorgehensweise den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Aber auch wenn der Gedanke verlockend war, so etwas Unüberlegtes würde sie nie tun. Es gab Dinge, die machte man als Kriminalhauptkommissarin einfach nicht. Obwohl, wenn sie ehrlich zu sich war, musste sie sich schon eingestehen, dass sie es mit den Dienstvorschriften von Zeit zu Zeit nicht so genau nahm. Gegen das Gesetz hatte sie während ihrer Laufbahn jedoch noch nie verstoßen – von zwei, drei Verkehrsdelikten mal abgesehen.
»Wenn du irgendwann mal fertig bist, dich auf meine Kosten zu amüsieren, könntest du mir ruhig einen Beutel abnehmen. Die Dinger sind verdammt schwer.« Trotz des Tadels schwang ein Lachen in Karins Stimme mit. Sie war glücklich, dass Sandra ihre Partnerin war. In ihrem oftmals so deprimierenden Job war dieser sexy Sonnenschein häufig ihr einziger Lichtblick.
Das Klingeln des Telefons holte sie abrupt aus ihren Gedanken.
Sandras Lachen erstarb auf der Stelle, als sie sah, wie Karin ihr Handy mit todernster Miene wegsteckte, nachdem sie kurz zugehört hatte.
»Unser freier Tag wurde soeben abgeblasen. In der Tiefgarage vom Kaufpark wurde ein toter Junge gefunden«, sagte Karin tonlos. »Komm, beweg deine Hinterläufe, wir müssen uns beeilen.«
Sein Job hatte Leon Cullen bereits in viele Länder geführt, auch nach Deutschland. Dresden allerdings hatte er noch nie besucht.
Der Hauptbahnhof empfing ihn wie viele andere Bahnhöfe: groß, grau und laut. Cullen reiste gern mit dem Zug. Es war für ihn immer noch das bequemste und vor allem diskreteste Verkehrsmittel. Innerhalb der EU interessierte sich kein Mensch für seinen Pass und es war unmöglich, seine Einreise nachzuvollziehen. Wie ein Geist würde er in Dresden auftauchen, seinen Job erledigen und verschwinden, so als wäre er nie da gewesen.
Doch bis dahin würde noch viel Wasser die Elbe herunterfließen und er hatte ausreichend Zeit zur Verfügung, die Stadt zu besichtigen. Das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Warum auch nicht? Unnötige Hast war in seinem Gewerbe lebensgefährlich. Da wäre es dumm, die Gelegenheit nicht zu nutzen, denn ob ihn sein Schicksal je wieder nach Elbflorenz mit all seinen architektonischen Schönheiten führen würde, stand in den Sternen.
Der Gedanke an ein unbeschwertes Sightseeing stimmte ihn froh. Er nahm auf einer Sitzgelegenheit Platz und konsultierte einen Notizzettel. Peinlich genau hatte er alle relevanten Daten für seine Reise erfasst. Er hob den Kopf und sah sich zur Orientierung um. Er würde den Bahnsteig wechseln müssen, um seinen Anschlusszug zu erreichen. Drei Minuten mit der S-Bahn, dann wäre er in Dresden-Mitte. Von dort waren es nur wenige Meter bis zu seinem Quartier zu laufen.
Er knüllte den Zettel zusammen, warf ihn in einen Abfallbehälter und lächelte. Angesichts seiner Tätigkeit war das geschriebene Wort, zumal er eine nur ihm bekannte Geheimschrift verwendete, immer noch die sicherste Variante, sich etwas zu notieren. Aber natürlich nutzte Cullen auch das Internet. Um für seine Aufträge zu recherchieren, musste er früher aufwendige Reisen unternehmen und stundenlang dicke Mappen in staubigen Archiven wälzen. Seit es das Darknet gab, konnte er sogar problemlos gefälschte Dokumente und Waffen bestellen, ohne einen Fuß vor die Tür setzen zu müssen.
Sein Lächeln vertiefte sich. Wenn man tief genug schürfte, förderte man mehr als nur simple Angaben zum Preis und der Ausstattung einer Ferienwohnung zutage. Leon Cullen sah sich noch, wie er gemütlich mit einem Guinness in seinem Pub gesessen hatte und mit wenigen Mausklicks herausfand, dass die Vermieter aus Bulgarien stammten und es mit der Steuer nicht ganz so genau nahmen. Mit solchen Typen hatte er Erfahrung. Die scherten sich nicht um Details wie eine Meldepflicht. Und da er nicht auf einer Rechnung bestand, würde sein Mietverhältnis niemals in einer Abrechnung auftauchen. Ein weiteres Guinness später war er bestens mit Informationen über die gewählte Wohngegend versorgt. Die Leute, die dort lebten, kümmerten sich nicht um ihre Nachbarn – für ihn der Idealfall.
Während dieser Überlegungen war er zu dem Abfahrtsgleis gewechselt, in weniger als einer halben Stunde würde er sein Quartier erreichen.
Entspannt schlenderte Leon Cullen den Bahnsteig entlang. In seinem unauffälligen Outfit wirkte er wie ein ganz normaler Reisender. Keiner der Menschen, die ihm begegneten und sein Gesicht sofort wieder vergaßen, würde auch nur im Traum vermuten, dass der gemütlich wirkende Mittfünfziger einer der gefährlichsten Männer der Welt war.
Es war nicht leicht für Karin und Sandra zum Tatort vorzudringen. Vor den Absperrbändern drängelten sich Gaffer und jeder von denen kämpfte mit vollem Körpereinsatz um eine günstige Position. Die Gelegenheit, den Schauplatz eines Mordes auf den Speicherchip zu bannen, wollte sich keiner entgehen lassen.
Nur mithilfe ihrer Ellbogen gelang es den zwei Kommissarinnen, die menschliche Barriere zu durchbrechen. »Ich glaube, die würden auch zu öffentlichen Hinrichtungen gehen«, sagte Karin laut genug, damit es die Umstehenden hören konnten.
Sandra nickte stumm und ließ ihre Blicke abfällig über die Schaulustigen gleiten.
Diese ließen sich nicht im Geringsten stören. Im Gegenteil, als sich herumsprach, dass zwei offensichtlich höhere Beamte am Ort des Geschehens eingetroffen waren, wurden die Auslöser der Kameras noch eifriger bedient.
Über so viel Ignoranz verwundert, wandten sich Karin und Sandra an die Streifenpolizisten, die bereits vor Ort waren. Auf Karins Frage schilderten die Beamten die vorgefundene Lage. Ein älteres Ehepaar hatte nach dem Einkaufsbummel die Leiche in seinem Fahrzeug entdeckt und sofort die 110 gewählt. Die herbeigerufene Streife hatte umgehend die Einsatzzentrale verständigt, und da die beiden Kommissarinnen in der Nähe wohnten, waren sie die Ersten am Tatort.
Gerade als Karin und Sandra einen Blick auf den BMW werfen wollten, fuhr das Fahrzeug der KTU vor. Karin machte auf der Stelle kehrt und steuerte zielsicher auf den Tatortfotografen zu. »Hi Matthias, kannst du bitte die ganzen Schaulustigen mit ablichten, aber unauffällig?«, bat sie mit gedämpfter Stimme.
Hauptkommissar Matthias Lee, der Karin schon viele Jahre kannte, zwinkerte ihr verschwörerisch zu und machte sich an die Arbeit.
Karin wollte wieder zu dem BMW gehen, da sah sie, dass Sandra zwei Overalls abgefasst hatte und schon dabei war, in ihren zu schlüpfen. Genervt stöhnte sie auf, dann lächelte sie entsagend, ging zu ihrer Partnerin und schnappte sich den zweiten Schutzanzug.
Günther Lachmann, der Chef der KTU, trat zu ihnen. »Na, da hab ich ja großes Glück, dass wir so schnell hier waren. Wie ich euch zwei kenne, wärt ihr mit euren Straßenklamotten fröhlich am Tatort rumgetrampelt.« Er versteckte seinen Tadel hinter einem breiten Grinsen.
Karin lächelte säuerlich, schnallte ihren Rucksack ab und streifte den Overall über. Sie mochte diese Dinger nicht. Es dauerte nie länger als fünf Minuten, bis sie unter der Kunststoffhülle völlig durchgeschwitzt war und deshalb vermied sie, wo es nur ging, sie zu tragen.
Amüsiert studierte Sandra die Leidensmiene der Freundin. Karin, die ahnte, welche Gedankenflut sich hinter diesem Grinsen zusammenbraute, seufzte tief. »Verkneif dir’s! Nicht das einer von denen«, sie wies mit einer knappen Bewegung ihres Kopfes zu den Gaffern, »deine Kommentare aufschnappt und wir sie später bei Facebook entdecken. Heutzutage kann man nie wissen, nicht das einer dieser Ärsche ein Richtmikrofon bei sich hat«, fügte sie düster hinzu.
»Hast ja recht. Die Dinger gibt es jetzt sogar fürs iPhone.« Sandra setzte eine empörte Miene auf.
»Tu bloß nicht so! Du liebst diese Teile doch heiß und innig.« Jetzt war es an Karin, zu grinsen. Sie wusste, dass ihre Partnerin ein absoluter Technikfreak war und sich wie ein Kind bei der Weihnachtsbescherung über jedes neue Gerät hermachte.
Mit einem energischen Ruck zog sie den Reißverschluss nach oben und ging gemeinsam mit Sandra zu dem BWM. Wie ein Spürhund lief Karin einmal um den Wagen herum und blieb vor der geschlossenen Hintertür stehen. Sie bückte sich und schaute durch die Scheibe. Als ihr Hirn den Anblick verarbeitet hatte, überfiel sie nacktes Grauen. Fassungslos starrte sie auf den toten Jungen, der wie ein Stück Abfall auf dem Rücksitz lag.
»Mein Gott«, sagte sie erschüttert, »das ist ja noch ein halbes Kind. Wie alt wird der sein? Höchstens vierzehn. Der hatte doch sein ganzes Leben noch vor sich.«
Karin versuchte ihre Betroffenheit zu verdrängen und beschloss Fahrzeug und Leiche zu inspizieren. Vorsichtig öffnete sie eine der Hintertüren, beugte sich ins Auto und eine Mischung aus Blut- und dem typischen Neuwagengeruch schlug ihr entgegen. Ohne die Lage des Opfers zu verändern, hob sie mit zwei Fingern eine seiner dichten Locken, um sich die Wunde näher zu betrachten. Als sie das Ausmaß der Zerstörung registrierte, zog sie zischend die Luft ein. »Wenigstens hat er nicht leiden müssen. Bei einem so brutalen Schlag geht es schnell.« Traurig suchte Karin den Blick ihrer Partnerin, als sie ihm begegnete, entdeckte sie Entsetzen und Wut darin.
»Der arme Junge«, sagte Sandra mit zusammengebissenen Zähnen. »Machen wir, dass wir den Mistkerl finden, der das getan hat … Ja, ja, ich weiß, ich soll nicht voreilig sein«, setzte sie schnell hinzu, als sie Karins skeptische Miene bemerkte, »es könnte auch eine Frau gewesen sein.«
Karin wollte darauf eingehen, doch das satte Dröhnen eines schweren Motorrads unterbrach sie. Dr. Bretschneider, der Gerichtsmediziner, bockte seine Harley auf, setzte den Helm ab und trat zum Auto. Nach einem kurzen Gruß beugte er sich interessiert über die Leiche. Genau wie Karin untersuchte er als Erstes die Kopfwunde.
»Ich glaube, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich sage, dass die Todesursache diesmal eindeutig ist.« Der Doktor tat es Karin nach und umrundete einmal das Fahrzeug. »Vermutlich stand der arme Kerl neben dem Wagen, als er von hinten niedergeschlagen wurde. Um so hart zuzuschlagen, muss man ausholen, das geht in dem engen Auto nicht. Anschließend hat ihn der Täter höchstwahrscheinlich einfach auf die Rückbank geworfen.« Er holte seinen Arztkoffer aus der Satteltasche und nach einem knappen: »Na, da woll’n wir mal«, machte er Miene, mit der Untersuchung der Leiche zu beginnen.
»Sekunde«, sagte Karin und drängelte sich vor, »ich will mir mal die Tüten ansehen, die hier rumliegen.« Sie zerrte die Plastikbeutel aus dem Fußraum und begann darin herumzuwühlen. Mit erstauntem Blick hob sie nach wenigen Minuten ihren Kopf. »Hier drin sind nur Luftpolsterfolien und Schaumgummiteile. Vielleicht gehört das den Besitzern des Fahrzeugs? Ich geh sie gleich mal fragen.«
Dr. Bretschneider holte tief Luft, schüttelte dann aber nur lächelnd den Kopf. Er kannte Karins impulsiven Charakter und da er sie mochte, sah er über ihr rüdes Benehmen hinweg.
Kurz entschlossen wollte Karin in Richtung des Streifenwagens losmarschieren, doch nach einem Schritt hielt sie inne und verzog nachdenklich das Gesicht. »Mir kommt da so ein Gedanke«, brummte sie. »Ich möchte zu gern wissen, was der Tote in seinen Taschen hat.«
Sie schob den Gerichtsmediziner zum zweiten Mal beiseite, ignorierte sein gespielt empörtes Schnaufen, kroch erneut auf den Rücksitz und filzte die Taschen der Leiche. Freudestrahlend kam sie wieder zum Vorschein und hielt ein schwarzes Plastikkästchen von der Größe einer Zigarettenschachtel in der Hand. »Du als alter Technikprofi kannst mir doch sicher erzählen, was das ist«, wandte sie sich an Sandra.
»Das alt habe ich überhört. Zeig mal her!« Sandra nahm Karin die Kapsel einfach aus der Hand und begutachtete sie fachmännisch. »Ich muss es noch genauer checken, aber ich will einen Monat keine Schokolade essen, wenn das nicht ein Jammer ist.«
Karin verstand nur Bahnhof. »Wenn ich so gucke«, sie riss ihre Augen weit auf, »dann bedeutet das, dass ich keinen Schimmer habe, was du da murmelst.«
Interessiert beäugte Sandra das Teil von allen Seiten. »Ja«, sagte sie schließlich, »ich bin mir sicher.« Dann hob sie ihren Kopf und blickte in Karins erwartungsvolles Gesicht. »Statt abends immer in deinen Romanen zu schmökern, solltest du dir lieber mal ein Beispiel an mir nehmen und deine Nase in eine Fachzeitschrift stecken.«
Karin verdrehte die Augen.
»Also, ein Jammer ist ein Störsender. Wenn der Besitzer seinen Wagen mit dem Funkschlüssel verschließen will, stört der Jammer das Signal und die Türen bleiben offen. Wenn er dann ohne zu kontrollieren einfach weggeht, darf er laufen«, dozierte Sandra mit einer Miene, mit der sie die strengste Religionslehrerin mühelos in den Schatten stellen könnte.
»Und diese Angeberkarre«, ihre rechte Hand winkte lässig zum Fahrzeug, »ist ein BMW X6 Xdrive 40D, der wie gemacht für diese kleinen Scheißerchen ist.« Strahlend hielt sie den Jammer in Höhe.
»Wusst’ ich’s doch«, triumphierte Karin. »Die Tüten dienten ihm vermutlich als Tarnung, schlauer Bengel.«
»Ja, unser hübscher Knabe war bestimmt von Beruf Autodieb«, meinte Sandra trocken.
Karin spürte, wie ihr der Schweiß in Strömen den Rücken herablief. Sie zog ein saures Gesicht und zupfte an dem Overall herum. Dann legte sie nachdenklich ihre Stirn in Falten. »Hübsch?«, fragte sie unvermittelt, »das ist mir gar nicht aufgefallen.«
Diesmal störte sie den Doktor nicht bei seiner Arbeit, sie ging zur anderen Wagenseite und betrachtete den toten Jungen. »Hab ich vorhin glatt übersehen«, sagte sie zu Sandra, die ihr gefolgt war. »Er war wirklich außergewöhnlich hübsch, sieht aus wie ein Mädchen. Wahrscheinlich ist er auch nicht so jung, wie ich ihn geschätzt habe. Aber das erfahren wir früh genug«, tat sie das Thema ab. »Komm wir reden mit den Besitzern der – wie sagtest du so schön? – Angeberkutsche. Da komme ich auch endlich aus diesem Ganzkörperkondom raus.«
Sandra wollte gerade die Seitentür des VW-Kleinbusses aufziehen, da wurde die Tür von innen geöffnet und ein ihnen bekannter Notfallseelsorger stieg aus dem Fahrzeug.
»Sind die beiden ansprechbar?«, fragte Karin vorsichtshalber.
»Oh ja«, sagte der Mann bedeutungsvoll. Seinem Gesichtsausdruck war leicht zu entnehmen, dass etwas nicht stimmte. »Machen Sie sich selbst ein Bild«, fügte er hinzu und wandte sich traurig ab.
Bevor Karin ins Fahrzeug stieg, warf sie Sandra einen ratlosen Blick zu. Die zuckte mit den Achseln, als wollte sie sagen: »Abwarten«, und kletterte ihr nach.
Stocksteif, als wären sie schockgefrostet, saßen die älteren Herrschaften an der Tischplatte. Die Blicke, mit denen sie die Kommissarinnen bedachten, waren alles andere als freundlich.
»Wann können wir damit rechnen, endlich unser Auto wiederzubekommen?«, fragte die Frau, Karins Gruß ignorierend.
Die setzte sich erstmal und überflog ein Blatt Papier, welches ihr eine junge Streifenbeamtin gereicht hatte. »Es tut mir leid«, begann sie diplomatisch, »Ihr Fahrzeug muss kriminaltechnisch untersucht werden, Frau Engel. Das kann ein paar Tage dauern. Bis dahin …«
»Die Polster sind völlig versaut. Wer kommt dafür auf?«, schnitt Frau Engel Karin das Wort ab.
Karins Augenbrauen zuckten nach oben, bevor sie es verhindern konnte. Doch sie ging nicht auf die Frage ein, gab stattdessen die Notizen mit den Daten des Ehepaars an Sandra weiter. Der kurze Augenblick hatte ihr genügt, sich zu fassen. »Frau Engel«, sagte sie und bemühte sich um eine ruhige Stimme, »in Ihrem Wagen wurde ein Mensch ermordet …«
»Dafür können wir doch …«
»Unsere Aufgabe ist es den Mord aufzuklären und nicht, Ihre Schadensangelegenheiten abzuwickeln. Ich werde Ihnen jetzt ein paar Fragen stellen und bitte Sie, darauf zu antworten«, fuhr Karin unbeirrt fort und hob ihre Stimme.
Frau Engel holte tief Luft, doch ihr Gatte bremste sie mit einer Handbewegung und sagte: »Fragen Sie. Wir möchten nach diesem Schreck so schnell es geht nach Hause und je eher wir hier fertig sind, um so besser ist es.«
Dankbar nickte Karin Herrn Engel zu. »Ihren bisherigen Aussagen entnehme ich, dass Sie von dem Vorfall nichts bemerkt haben.«
Herr Engel neigte stumm den Kopf.
»Mir geht es um den Zeitpunkt, als Sie in die Tiefgarage eingefahren sind und Ihren Parkplatz angesteuert haben. Ist Ihnen da ein junger Mann aufgefallen, der mehrere Einkaufstüten bei sich trug?«
Nachdenklich rieb Herr Engel sein Kinn. Langsam sagte er: »Wenn Sie es so formulieren, ja, da war ein junger Kerl, der einen Einkaufswagen schob, ich habe aber nicht weiter auf ihn geachtet. Ist das der Tote?«
»Das wissen wir noch nicht. Sind Ihnen außer dem Jungen mit dem Einkaufswagen weitere Personen aufgefallen?«
Er sah kurz auf seine gefalteten Hände und schüttelte dann den Kopf. »Wir waren sehr zeitig hier. Da war noch nicht viel los. Außer dem Bengel habe ich keinen gesehen.«
»Würden Sie ihn wiedererkennen?«
Er hob die Schultern. »Wahrscheinlich nicht.«
»Versuchen müssen wir es. Und Sie?« Fragend ruhte Karins Blick auf Frau Engel.
»Ich? Nein!« Die Frau verschränkte die Arme unter ihrem Busen.
Karin erhob sich und sah Herrn Engel auffordernd an. »Bringen wir es hinter uns.«
In der Zwischenzeit hatte Sandra ebenfalls die Notizen durchgelesen. »Ich bitte Sie, noch einmal über die Frage nachzudenken. Als Sie Ihr Auto verlassen haben, sind Ihnen da außer dem jungen Mann weitere Personen begegnet?«, wandte sie sich an Frau Engel, die sitzen geblieben war.
Die Frau zog eine spitze Schnute, legte dabei ihre Oberlippe in tiefe Falten und schüttelte den Kopf. »Man achtet doch nicht so genau auf andere Leute, wenn sie nicht gerade auffällig wirken. Und ich konnte ja nicht wissen, dass uns jemand eine Leiche ins Auto legt.«
»Haben Sie eigentlich Kinder?« Sandra begann in der Nähe dieser Frau zu frösteln.
»Ja, aber warum wollen Sie das denn wissen?«
»Wenn Ihrem Kind etwas zustoßen würde, was wäre dann für Sie der größere Verlust? Verdorbene Polster oder das Leben Ihres Kindes?«
»Das hat damit nicht das Geringste zu tun. Meine Kinder sind ordentlich erzogen.«
Sandra fiel es schwer, an sich zu halten. »Der Junge in Ihrem Fahrzeug hat sich ja nicht selbst den Schädel eingeschlagen.«
Wie ein bockiges Kind wechselte Frau Engel das Thema. »Bestimmt bleiben wir auf den Kosten sitzen und wir haben nur eine schmale Rente.«
Sandra schwankte kurz, ob sie aufspringen und laut schreiend herumlaufen oder die Frau einfach erschießen sollte. Gerade eben hatte sie gelesen, dass Herr Engel vor seinem Rentnerdasein Oberamtsrat war. Sie wusste, dass solche Leute eine saftige Pension kassierten. Tief durchatmend sagte sie schließlich: »Ich kann ja später mit dem Hut für Sie rumgehen.«
Frau Engel schnappte empört nach Luft. »So eine Unverschämtheit! Ich werde mich über Sie beschweren. Wer ist Ihr Vorgesetzter?«
Ohne eine Miene zu verziehen, zeigte Sandra auf Karin, die mit einem kreidebleichen Herrn Engel im Schlepptau zurückkam.
Die Frau schnellte von ihrem Platz, als wäre in ihrem Hintern eine Feder aktiviert worden. »Rüdiger, wir gehen!«
Karin fand diese Frau widerwärtig. Doch sie war der Meinung, dass Herr Engel ausreichend gestraft war und nicht zusätzlich die schweren Einkäufe nach Hause schleppen sollte. Sie winkte die Besatzung eines Streifenwagens heran und instruierte sie, die Leute zu ihrer Wohnung zu fahren.
»Hoffentlich müssen wir die nie wieder sehen. Die Alte ist so was von kalt, wenn die an einem Schnapsregal vorüberläuft, gefriert der Alk in den Flaschen.« Das Verhalten der Frau hatte Sandra vollkommen aus der Bahn geworfen. »Hat Engel den Jungen wiedererkannt?«
»Er war sich nicht sicher, könnte auch ein anderer gewesen sein. Die Tüten auf dem Rücksitz gehören den Engels jedenfalls nicht.«
»War ja klar.« Sandra zuckte schwach mit ihren Schultern. »Übrigens will sich die Engel über mich beschweren.«
Karin sah ihre Partnerin neugierig an. »Erzähl!« Nachdem Sandra fertig war, grinste sie breit. »Das hast du fein gemacht. Ich bin stolz auf dich.«
»Freut mich.« Sandras Lächeln kehrte zurück. »Als du die Taschen von dem Boy gefilzt hast, sind dir da zufällig seine Papiere in die Finger geraten?«
Karin schüttelte den Kopf. »Der war inkognito unterwegs.« Sie überlegte kurz. »Hier können wir vorerst nichts ausrichten. Ich trommle die Kollegen zusammen und wir besprechen den Fall in der Polizeidirektion.«
Das Geräusch schneller Schritte ließ die beiden Kommissarinnen herumfahren. Dr. Bretschneider kam eilig auf sie zugelaufen. Mit einem süffisanten Lächeln baute er sich vor ihnen auf. »Obwohl es den Anschein hatte, als würde ich nur nutzlos im Weg stehen«, formulierte er spitz und gönnte sich einen strafenden Blick in Karins Richtung, »habe ich doch ein bemerkenswertes Detail an dem toten Jungen entdeckt.« Er schwieg demonstrativ und wippte auf seinen Fußballen.
Karin war nach Fauchen zumute, doch sie bremste sich. »Es tut mir leid, wenn ich dich herumgeschubst habe. Und nun mach es nicht so spannend.«
Der Gerichtsmediziner hüstelte dezent. »Der arme Junge hat eine Nichtanlage am ›12‹ und ›22‹.«
Vor Ungeduld schnippte Karin mit den Fingern.
Dr. Bretschneider grinste, öffnete dann seinen Mund und deutete auf seine beiden oberen äußeren Schneidezähne. »Ich gehe davon aus, dass diese Zähne nach dem Ausfallen der Milchzähne nicht nachgewachsen sind. In diesem Alter werden da noch keine Implantate gesetzt, deshalb wurde sein Gebiss mit Klebebrücken versorgt. Da diese Anomalie nicht häufig ist, grenzt sie die Suche nach dem Jungen stark ein. Ein kurzer Anruf in einer Zahnarztpraxis dürfte genügen, um zu erfahren, ob er dort Patient war oder nicht.« Der Doktor verbeugte sich. »Präsente und Dankschreiben bitte an mein Büro.«
Karin war skeptisch. »Durch einen Unfall oder eine Schlägerei kann er die Beißer wohl nicht eingebüßt haben?«
»Kaum. Bei einem Unfall, zum Beispiel einem Sturz, schlägt man sich eher die vorderen Schneidezähne aus und bei Gewaltanwendung müssten die benachbarten Zähne in Mitleidenschaft gezogen worden sein.« Er lächelte selbstgefällig. »Du kannst mir ruhig mal vertrauen.«
»Das mache ich doch immer.« Karin drosch ihm anerkennend auf den Oberarm. »Gute Arbeit, Mario.«
Übertrieben seinen Arm reibend, nickte Dr. Bretschneider den zwei Frauen zu und ging zu dem BMW zurück.
Gemeinsam mit Sandra durchbrach Karin erneut die Barrikade der Gaffer und während sie durch die Tiefgarage liefen, schaute Karin nach oben.
Nach einer Weile seufzte sie schwer. »Ich hatte doch tatsächlich gehofft, dass irgendwo in diesem bescheuerten Parkhaus Kameras installiert sind. Aber da ich bis jetzt noch keine entdeckt habe, wird es wohl wieder nichts mit einem schönen Film vom Mörder.«
Über eine halbe Stunde hatte Karin mit ihrem Chef, Kriminalrat Haupt, telefoniert und das weitere Vorgehen abgestimmt. »Ich habe Hunger. Was hältst du davon, wenn wir die Besprechung in die Kantine verlegen?«, sagte sie, nachdem sie das Gespräch beendet hatte.
Sandra nickte begeistert.
»Ich schicke Heidi, Jan und Rolf eine SMS, Haupt hat sie uns zugeteilt.«
Eine halbe Stunde später saßen Karin und Sandra gemeinsam mit ihren Kollegen Jan Klingenberg und Rolf Brückner beim Mittagessen.
»Heidi kommt später«, sagte Jan gerade und schluckte einen Bissen von seiner Bratwurst runter. »Sie ist nach Nickern gefahren und will am Tatort Witterung aufnehmen.«
»Hat sie das so gesagt?«, fragte Sandra und zog spöttisch ihre Augenbrauen hoch.
Jan schüttelte den Kopf und grinste breit. »Wörtlich sagte sie, dass sie die Atmosphäre des Tatortes für sich erschließen will.«
»Wie geht’s denn unsrer Eiskönigin? Hab sie lange nicht gesehen«, brummte Oberkommissar Rolf Brückner und säbelte an seinem Steak herum.
»Bis auf den Umstand, dass sie unnahbar wie eine Vestalin ist, recht gut.« Sandra, die wie üblich als Erste ihren Teller geleert hatte, setzte sich in ihrem Stuhl gerade. »Und solo ist sie immer noch. Hast du Pläne mit ihr?«
Brückner, dem es inzwischen gelungen war, ein Stück Fleisch abzuschneiden, spießte es auf die Gabel, hielt es vor den Mund und schmunzelte träge. »Bin doch nicht verrückt. Wenn ich mit der flirte, zeigt sie mich im günstigsten Fall wegen sexueller Belästigung an …«
»… und im ungünstigsten erschießt sie dich«, beendete Sandra seinen Satz.
»Warten werden wir jedenfalls nicht auf Heidi«, schaltete sich Karin ein. »Ich habe mich mit dem Chef bereits kurzgeschlossen. Er hat mir die Leitung der Ermittlungen übertragen. Da das Opfer noch sehr jung war, wird sich die Presse auf den Fall stürzen wie ein halb verhungerter Straßenköter auf einen weggeworfenen McChicken. Ich muss also nicht extra betonen, dass er Druck gemacht hat.«
»Als ob wir es gemütlich angehen würden, wenn ein unschuldiger Junge ermordet wird«, knurrte Brückner ungehalten.
»Ein unbefleckter Engel war unser Opfer womöglich nicht«, meldete sich Sandra zu Wort. »Wenn ihm sein Mörder den Störsender nicht untergejubelt hat, hatte es das Lämmchen faustdick hinter den Ohren.« Nach diesen Worten berichtete Sandra den Kollegen vom Auffinden des Jammers.
Brückner, der ein absoluter Autonarr war und seinen Frontera abgöttisch liebte, zog ein finsteres Gesicht und kämpfte weiter mit seinem Steak.
»Ist dein Fleisch zäh? Mein Schnitzel war zart wie ein Babypo«, sagte Sandra und schaute Brückner interessiert bei seinen Bemühungen zu.
»Das Fleisch ist okay, nur das Messer schneidet wie ein toter Hund beißt.«
Karin räusperte sich. »Auch wenn ich wieder der Spielverderber sein muss, Leute, wir haben einen Mord zu klären. Und bis jetzt haben wir nur einen toten Jungen ohne Ausweispapiere, von dem wir annehmen, dass er als Autodieb unterwegs war. Die KTU hat seine Fingerabdrücke bereits durchs System gejagt.« Karin hob die Schultern. »Scheint ein cleveres Bürschchen gewesen zu sein. Ist noch nie geschnappt worden. Wir müssen also als Erstes seine Identität feststellen. Glücklicherweise hat unser guter Doktor eine Zahnanomalie bei ihm festgestellt.« Sie fasste die Worte des Gerichtsmediziners zusammen. »Jan, du rufst die Zahnärzte an und erkundigst dich nach dem Zahnschema des Opfers. Sobald Heidi wieder da ist, soll sie dir helfen. Unsere Miss Marple wird sich ja nicht ewig mit ihrer persönlichen Tatortanalyse aufhalten.«