Werner J. Egli,
wurde 1943 in Luzern, Schweiz, geboren und lebt heute als freier Schriftsteller in Tucson (USA), in Freudenstadt (D) und in Egg bei Zürich. Seine erfolgreichen und in viele Sprachen übersetzten Jugendbücher wurden unter anderem mit dem Friedrich-Gerstäcker-Preis, mit dem Preis der Leseratten (ZDF) und mit dem Jugendbuchpreis der Ausländerbeauftragten des Senats Berlin ausgezeichnet. 2002 wurde er für den Hans-Christian-Andersen-Preis nominiert, die international höchste Auszeichnung für Jugendliteratur.
Unter www.egli-online.com ist der Autor auch im Internet zu finden.
Von Werner J. Egli bei ARAVAIPA:
Der letzte Kampf des Tigers
Black Shark
Aus den Augen, voll im Sinn
Der erste Schuss
Bis ans Ende der Fährte (eBook)
Heul doch den Mond an (eBook)
Der Fremde im Sturm (eBook)
Bis ans Ende der Fährte (eBook)
Das Geheimnis der Krötenechse (eBook)
Tunnelkids (Englisch)
Roman
Für Paula und Steve,
die wir alle nie vergessen.
eISBN 978-3-03864-215-2
Alle Urheberrechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung,
Verbreitung und öffentlichen Wiedergabe in jeder Form,
einschließlich einer Verwertung in elektronischen Medien,
der reprografischen Vervielfältigung, einer digitalen Verbreitung
und der Aufnahme in Datenbanken, ausdrücklich vorbehalten.
Lektorat: Horst und Fritz Eibl (A)
Umschlaggestaltung: Agentur flin, unter Verwendung
einer Illustration von Bert Silberstein (A)
Copyright © 2018 by ARAVAIPA–Verlag,
Egg bei Zürich, Freudenstadt, Tucson
ARAVAIPA im Internet: www.aravaipa.ch
1. Die neue Welt
2. Keine Angst vor Wölfen
3. Wir nannten ihn Dusty
4. Im kanadischen Busch
5. Zurück nach Vancouver
6. Die Westküste entlang
7. Viva Mexiko
8. Der Mann mit dem Bowiemesser
9. Flucht nach Süden
10. Fahrt zum Ende der Welt
11. Punta de Mita
12. Gefährlicher Wettlauf
13. Adios Amigos
Bevor wir dem Wolf begegneten, war eigentlich für Paula und für mich die Welt so ziemlich in Ordnung. Wir hatten keine großen Schwierigkeiten miteinander. Wir lebten glücklich und zufrieden und planten zusammen eine richtige Reise durch Amerika. Das war im Sommer 1970. Und im Herbst flogen wir von Frankfurt aus mit einer DC 8 über Winnipeg nach Vancouver in Kanada.
Ich bin Billy. Eigentlich heiße ich Werner, aber in Amerika nannte man mich Bill oder Billy, was die Kurzform von William ist. Immer, wenn ich als W. J. Egli unterschrieben habe, streckten mir die Leute die Hand hin und sagten: „Well, how do you do, Bill?“, weil sie glaubten, das W steht für William. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt.
Paula und ich, wir waren schon drei Jahre zusammen. Ohne Hund. Ohne Katze. Auch ohne Kanarienvogel.
Die Paula wollte jedoch schon immer einen Hund haben. Schon seit sie klein war. Aber der Hausmeister war dagegen. Paulas Mutter auch. Stofftierchen sind besser. Nur, die Paula wollte lieber einen richtigen Hund haben, und jeden Herbst, wenn sie Geburtstag hatte, schleppte sie mich in die Tierhandlung und spielte mit den kleinen Hunden herum, den Dobermännern und den Schäferhunden und Spaniels, und ich stand griesgrämig daneben und sagte dauernd: „Müsu, bedenke doch, dass wir eine Expedition durch den Wilden Westen von Amerika machen wollen, und da wäre so ein Hund schon ein Problem.“
Müsu ist übrigens ein Kosename. Schweizerdeutsch für Mäuschen und mit einem U anstatt dem üblichen I.
„Ein Hund ist überhaupt kein Problem“, meinte die Paula und hatte mindestens hundert Erklärungen dafür, dass ein Hund ein Hund und kein Problem ist, auch nicht, wenn einer eine Reise tut. „Wir können einen Hund bequem überallhin mitnehmen. Hunde fahren gern mit dem Auto und…“
„Aber im Flugzeug. Denk doch, dass im Flugzeug…“
„Für Hunde gibt es extra schöne große Käfige, in denen sie während eines Fluges bequem liegen können“, unterbrach die Paula meine Einwände.
„Ich glaube aber nicht, dass Hunde gern fliegen, und…“
„Warum denn nicht? Ich bin sicher, dass Hunde nicht nur gern Auto fahren, sondern auch gern fliegen.“
Und dann nahm Paula meistens einen kleinen Hund aus einer der Kisten und kraulte ihn hinter dem Ohr, und der kleine Hund wurde ganz aufgeregt und wollte dauernd ihr Gesicht lecken, und das nahm dann die Paula als Beweis, dass sie recht hatte. „Nicht wahr, du würdest viel lieber mit uns eine Reise machen und mit dem Flugzeug fliegen, als hier in dieser engen Kiste zu hocken und darauf zu warten, dass dich jemand kauft?“
Wenn dann das Hundchen noch ein bisschen japste und treuherzig drein guckte, wollten meistens auch die Verkäuferinnen schon Erfahrungen mit Hunden gemacht haben, die nichts lieber tun würden, als Weltreisen zu machen.
Ich hatte immer viel zu tun, mich gegen die Hundchen und gegen die Verkäuferinnen und vor allem gegen Paula durchzusetzen. Als ich ein kleiner Junge war, vor vielen Jahren, bin ich meinem Vater und meiner Mutter nämlich auch dauernd auf die Pelle gerückt und wollte einen Hund haben, aber noch heute höre ich meinen Vater im Brustton der Überzeugung sagen: „Ein Hund kommt nie in Frage. Das bringt zu viele Probleme. Und damit hat es sich.“
Damit hatte es sich.
Die Paula und ich, wir flogen ohne Hund nach Kanada. Das war im Sommer. Und im Herbst hatte Paula wieder einmal Geburtstag. Der erste Geburtstag in der Fremde. Weit weg von zu Hause. Alles war anders hier.
Vancouver ist eine Großstadt. Nicht so groß wie Los Angeles oder New York, aber das merkt man nicht, wenn man eine Weile dort lebt. Wir wohnten in einem Außenquartier. An der Kitsilano Beach.
Dritte Avenue, West. Zwei Reihen Holzhäuser, die alle so um die Jahrhundertwende im viktorianischen Stil gebaut worden waren, mit großen überdachten Veranden und spitzen Giebeldächern. Damals lebten viele junge Leute in so genannten Kommunen. Es war die Zeit der Hippies, und dort, wo wir wohnten, roch es immer ein bisschen nach Marihuana und nach Räucherstäbchen. Die jungen Leute dort schienen alle zusammenzugehören, wie eine große Familie mit vielen Kindern und Hunden und Katzen. Die Türen waren meistens offen, und wenn man die Straße hinunterging, konnte man aus einem Haus Beethoven hören und aus dem anderen die Rolling Stones oder Crosby, Stills, Nash und Young. Jimmy Hendrix war auch topp damals, kurz bevor er dann an einer Überdosis Rauschgift starb.
Übrigens, falls jemandem auffällt, dass ich von der Paula immer von der Paula schreibe und sie eben meistens als „die Paula“ bezeichne, so hat das seinen Grund! Eine wie diese Paula gibt es nämlich nur eine, eben diese Paula.
Wir wohnten zusammen mit Steve, Jeannie und Jack. Steve ist ein alter Freund von mir. Er war 1965 oder 66 nach Kanada ausgewandert. Einen Freund wie Steve findet man nicht alle Tage. Er redet nie sehr viel, aber wenn er mal was sagt, dann sollte man schon zuhören. Außerdem hatte Steve damals in der Fremde schon unheimlich viel Erfahrung, was uns allen später zugute kam.
Steve hatte Jeannie, kurz nachdem er nach Kanada kam, kennen gelernt. Jeannie kommt aus Schottland. Aus McDuff. Das ist eine kleine Stadt, über die Jeannie immer viel zu erzählen wusste, weil sie dort aufgewachsen ist, bevor ihr Vater sein Glück in Kanada versuchen wollte und mit der ganzen Familie mit Sack und Pack auswanderte. Die Paula und ich haben von Jeannie in wenigen Wochen mehr Englisch gelernt als zuvor in vielen Schuljahren und Abendkursen. Allerdings mit einem schottischen Akzent, aber das war nicht weiter schlimm, weil wir ja eine richtige internationale Familie waren und während der nächsten drei Jahre in Mexiko noch einen spanischen Akzent und in Texas einen texanischen Akzent reinkriegten, ohne den schweizerdeutschen Akzent je zu verlieren.
Jack ist Jeannies Cousin. Ein höllischer Bursche, der heute in Australien Buschpilot ist und der angeblich nie nüchtern ein Flugzeug besteigt. Aber bis heute ist ihm nichts passiert, was vielleicht daran liegt, dass er einen Schutzengel von der Größe eines Zeppelins hat. Damals hauste er unten im Keller in einem kleinen Zimmer mit ein paar Mädchen zusammen, die kamen und gingen und manchmal ein bisschen aufräumten und saubermachten und seine Kleider zur Wäscherei brachten, weil Jack für solche Dinge nie Zeit hatte.
Außer uns wohnte sonst niemand mehr im Haus. Aber die Tür war immer offen, und so kam es, dass dauernd irgendwelche Leute da waren, von denen wir nie genau wussten, zu wem sie gehörten. Einmal kam einer herein, als die Paula und ich allein waren. Mit langen Haaren und Sandalen an den nackten Füßen und einem Rucksack.
Er kam herein und sagte: „Hello, ich bin Chuck.“ Dann nahm er den Rucksack vom Buckel, ging in die Küche, angelte sich eine Dose Bier aus dem Kühlschrank und hockte sich vor den Fernseher, wo gerade Bugs Bunny lief. Paula und ich, wir dachten, dass er ein Freund von Steve oder von Jeannie oder von Jack ist. Er tat auf jeden Fall so, als wäre er schon oft hier gewesen, und erzählte uns schöne Geschichten über Kalifornien.
Am Abend kam dann Steve von der Arbeit nach Hause, und ich sagte: „Hey, Steve, das ist Chuck.“ Steve musterte den Burschen, redete ein bisschen mit ihm und fing dann damit an, das Abendessen vorzubereiten.
Jeannie hatte um sechs Uhr Feierabend, und ich sollte sie abholen.
„Ich hol jetzt Jeannie von der Arbeit ab“, sagte ich, und Chuck stand sofort auf, klatschte in die Hände und sagte: „Hey Mann, ich komm mit.“
Wir dachten alle, dass er Jeannie vielleicht von früher kannte, aber das war nicht der Fall. Er war auch kein Freund von Jack, der spät in der Nacht mit einem neuen Mädchen heimkam. Chuck saß bei uns, rauchte ein bisschen Marihuana, erzählte Geschichten, rollte dann neben dem Fernseher seinen Schlafsack aus und blieb bis zum nächsten Morgen. Nach dem Frühstück packte er seine Sachen zusammen, sagte: „Ich geh jetzt in die Berge“, und verschwand. Wir sahen ihn niemals wieder.
Aber so war das damals in den Häusern in der dritten und vierten Avenue West. Und fast jede Nacht war in irgendeinem Haus ein Fest. Und da verschickte niemand Einladungen, weil jeder, der grad Lust hatte, reingehen und mitmachen konnte. Es war fantastisch friedlich dort, so als wäre auf der Welt alles in bester Ordnung.
Trotzdem warnten die Zeitungen immer davor, Haustüren nicht abzuschließen, weil in Vancouver unheimlich viel gestohlen würde, besonders in den Vierteln, wo die Hippies wohnten. Ich weiß nicht, wo die Zeitungen manchmal ihre Informationen hernehmen. Auf jeden Fall wurde bei uns nie etwas gestohlen, und wir hatten immerhin eine ganze Menge Kram im Haus weil manchmal von denen, die kamen und wieder gingen, irgendetwas liegen blieb.
An Inka lag es bestimmt nicht, dass bei uns nie etwas geklaut wurde. Inka war eine Dobermann-Hündin, die Steve und Jeannie gehörte. Dobermänner haben einen schlechten Ruf. Man sagt, dass Dobermänner bösartig sind. Richtige Beißer. Das steht auch in Hundebüchern. Dass das alles nicht stimmt, weiß ich erst, seit ich Inka kenne. Inka hat in ihrem ganzen Leben nur einmal jemanden gebissen, und das war, als sie Junge hatte. Da kam einer, der wollte eines davon kaufen. Er war ganz aufgeregt, fuchtelte mit den Händen herum und wollte eines der Jungen aus der Kiste nehmen. Inka biss ihm die Nasenspitze ab, und zum Glück hatte Steve eine Versicherung, die für diese Nase glatt zweitausend Dollar auf den Tisch blättern musste, obwohl die Nase wirklich kein besonderes Prunkstück gewesen war.
Es waren gute Tage, die wir in Vancouver verbrachten. Ausgefüllt von den Vorbereitungen für unsere Expedition. Steve und Jeannie wollten mitkommen und auch ein paar Abenteuer erleben, und keiner von uns hatte so richtig eine Ahnung, wo wir eigentlich hinfahren wollten. Zu den Indianern. Vielleicht mal ein bisschen auf Goldsuche. Oder einfach in die Berge, wo es noch Grizzlybären gab und Pumas. Wir hatten nicht nur ein Ziel, sondern viele Ziele und viele Träume, die uns glücklich machten und zu unglaublichen Leistungen antrieben.
Zuerst einmal brauchten wir Fahrzeuge. Wir klapperten alle Gebrauchtwagenhändler ab, und alle unsere Freunde suchten für uns herum. Gebrauchtwagenhändler sind eine besondere Sorte von Menschen. Steve nannte sie „Fischaugen“. Die meisten von ihnen können reden, ohne jemals Luft zu holen, und sie klopfen einem auf den Schultern herum, als ob sie die menschenfreundlichsten Geschöpfe wären, die der Herrgott erschaffen hat.
Das erste Auto, das ich bei einem Gebrauchtwarenhändler in Vancouver kaufte, war ein Rambler Stationwagon. Jahrgang 65. Sechs Zylinder. Schön im Lack. Und geräumig. Ich hatte damals keine Ahnung von Autos, und Steve wollte eigentlich dabei sein, wenn ich ein Auto kaufte, aber an diesem Tag hatte er irgendetwas anderes zu tun, und ich war auf mich selbst und auf das Wohlwollen des Händlers angewiesen. Er war so nett zu mir, dass ich richtig gerührt war, als er mir erzählte, wie sehr er selbst an diesem Stationwagon hinge, den seine Frau als zuverlässigen Zweitwagen gefahren hätte. Alles sei in bester Ordnung. Der Wagen würde noch mindestens hunderttausend Meilen machen. Spielend. Und ich könne mich auf das verlassen, was er sage. Schließlich würde er nie einen Menschen übers Ohr hauen, der so weit von zu Hause weg sei und sich hier noch nicht richtig auskenne. Es gäbe zwar wirklich viele Schurken unter den Gebrauchtwagenhändlern, aber Ehrlichkeit sei für ihn schon seit frühester Kindheit eine Tugend und vor allem der Grundstein seines geschäftlichen Erfolges.
Manchmal kriegte er ganz feuchte Augen beim Reden. Ich durfte mir alles ansehen. Die Reifen waren gut. Der Motor sauber. Das Wasser im Kühler klar. Die Batterie in Ordnung. Dann durfte ich einmal um den Häuserblock fahren. Er saß daneben. Drehte am Radio herum. Stellte die Uhr am Armaturenbrett auf die richtige Zeit.
„Hören Sie etwas?“, fragte ich ihn.
„Nein, was soll ich denn hören, mein Freund?“ Er drehte das Radio lauter.
„So ein Klopfen.“
„Ah. Das ist nichts. Klopfen tut jeder. Das gehört dazu. Das ist sozusagen der Pulsschlag amerikanischer Motoren.“ Er lachte. „Das ist kein Mercedes-Benz, mein Freund. Das ist ein Rambler, und ein Rambler, der nicht klopft, läuft nicht.“
Er wollte fünfhundertfünfzig Dollar. Wir handelten ein bisschen. Schließlich war er mit dreihundertfünfzig Dollar zufrieden. Ich war stolz auf mich. Und die Paula war auch stolz auf mich.
„Das hast du fantastisch hingekriegt“, meinte sie voller Bewunderung.
Wir waren die glücklichen Besitzer eines 65er Rambler Stationwagons, unterschrieben den Vertrag, fuhren davon und kamen ziemlich genau acht Meilen weit. Acht von hunderttausend. Wir hielten mitten auf dem sechsspurigen Broadway an einer Kreuzung und gingen buchstäblich in Dampf und Rauch auf. Rund um uns war der Qualm so dicht, dass wir überhaupt nichts mehr sehen konnten. Wir hörten nur hundert Autos hupen und Leute lärmen, und dann schrie die Paula: „Hilfe, das Auto brennt!“
Sie wollte rausspringen, kriegte aber die Tür nicht auf und hatte plötzlich die schöne verchromte Klinke in der Hand. Das war furchtbar. Wie ein böser Traum. Doch irgendwann taumelten wir aus dem Qualm heraus, und rund um unser Auto herum war die Straße leergefegt. Die Fußgänger waren alle in Deckung gegangen, und die Autofahrer hatten, sämtliche Lichtsignale missachtend, einfach das Weite gesucht. Nur ein alter Mann stürzte mit einem Feuerlöscher aus einem Haus und spritzte wie ein Verrückter Schaum in der Gegend herum. Irgendwie gelang es der Paula, den alten Mann zu beruhigen und ihm den Feuerlöscher wegzunehmen.
Unser Rambler qualmte wie eine alte Dampflok und heulte wie ein Düsenjäger im Sturzflug. Es dauerte etwa zehn Minuten, bis sich der Qualm lichtete und der Rambler sichtbar wurde. Inzwischen war es zu einem Menschenauflauf gekommen, und der Verkehr brach vollständig zusammen. Ein paar mutige Männer halfen mir, den Rambler von der Kreuzung auf einen Parkplatz zu schieben. Und als kein Qualmwölkchen mehr zu sehen war, raste der Einsatzwagen der Quartiersfeuerwehr mit Blaulicht und Sirenengeheul heran, zusammen mit zwei Motorradpolizisten auf riesigen Harleys und einem Streifenwagen.
Das war alles ziemlich aufregend. Die Paula erklärte grimmig, dass sie sich den Verkäufer vorknöpfen würde, und ich fluchte auf schweizerdeutsch herum, als ich sah, dass der Zylinderkopf mehrere Löcher und sogar einen Spalt hatte. Da war nichts mehr zu machen mit dem Rambler, und die Paula und ich gingen zu Fuß zum Gebrauchtwagenhändler zurück.
Als er uns sah, tat er so, als wären wir vor einem Jahr bei ihm gewesen und nicht erst vor knapp einer halben Stunde. Die Paula knöpfte ihn sich vor und verlangte glatt die dreihundertfünfzig Dollar zurück. Das wollte er natürlich nicht. Ich knallte ihm den Kaufvertrag auf den Schreibtisch und zeigte ihm den Absatz, wo drin steht, dass der Wagen bei Übergabe in Ordnung und verkehrstüchtig zu sein hatte, und er drehte den Vertrag um und zeigte auf ein paar ganz winzig klein gedruckte Sätze, die besagten, dass nach dem Kauf des Wagens der Verkäufer keine Garantie übernahm.
„Dein Pech, mein Freund“, sagte er dann und wollte mir noch einmal kameradschaftlich auf die Schulter klopfen, aber ich machte wohl ein Gesicht wie ein Menschenfresser, denn seine Hand blieb plötzlich in der Luft hängen.
Die Paula war richtig wütend, als wir heimgingen, und wahrscheinlich überlegte sie die ganze Zeit, wie sie dem Gebrauchtwagenhändler eins auswischen konnte.
Steve wollte sich das Wrack einmal ansehen. Er verstand wirklich etwas von Autos. Und er nahm einen Freund mit, „Joe the Stockcar Driver“. Joe war ein wilder Bursche, der jedes Wochenende mit seinem total verbeulten 61er Ford Fairline Stockcar-Rennen fuhr, und wenn einer wusste, wie man den Rambler wieder flottkriegte, dann war es Joe. Aber als Joe die Löcher im Motor sah, wackelte er nur mit den Ohren und meinte, dass das fast ein hoffnungsloser Fall sei. Das Kühlwasser, das wir einfüllten, spritzte aus sämtlichen Löchern.
„Wir könnten es mal mit Senfpulver versuchen“, meinte Joe. „Milchpulver ist auch sehr gut. Das Zeug könnte die Löcher von innen verstopfen.“
Das klang verrückt. Aber Joe musste es ja wissen, und wir kauften im nächsten Lebensmittelladen zwei Pfund Milchpulver und ein Pfund Senfpulver. Joe hatte eine kleine Büchse mit einer dunkelbraunen klebrigen Flüssigkeit mitgebracht. Er schüttete das Zeug zusammen mit dem Milch- und Senfpulver in den Kühler und ließ das Wasser nachlaufen. Gebannt hingen unsere Augen an den Löchern. Der Motor lief. Klopfend wie zuvor. Und das Wasser schoss aus den Löchern wie aus Brunnenröhren. Nur der Wasserstrahl, der aus dem kleinsten Loch spritzte, versiegte plötzlich. Da ich überhaupt nichts von Autos verstand, schlug ich ungehemmt vor, mehr Zeug reinzuschütten, und ich lief in den Laden zurück, kaufte Milchpulver, Cornflakes und Haferflocken. Mit einer Einkaufstüte voll Lebensmitteln kehrte ich zurück, und wir schütteten unter den Blicken des verwirrten Lebensmittelhändlers alles in den Kühler. Zwei Schachteln Cornflakes, zwei Pfund Milchpulver und zwei Pfund Haferflocken. Das Kühlwasser wurde zu einer braunen stinkenden Suppe. Mächtige Blasen zerplatzten über dem Einfüllstutzen. „Joe der Stockcar Driver“ stand wie ein Hexenmeister vor dem Rambler und schüttete den Rest der braunen Flüssigkeit in den Kühler.
Was dann geschah, schreibe ich eigentlich nicht sehr gerne, weil ich mir denken kann, dass jeder Autoexperte nur den Kopf schüttelt und sagt: „Der spinnt!“
Aber es ist eine Tatsache, dass nacheinander alle Löcher dicht wurden. Bis auf den Spalt, doch den verschmierte Joe kurzerhand mit seinem Kaugummi, der sofort schmorte und fürchterlich stank. Aber es half.
Wir hatten unseren Rambler mit Lebensmitteln im Wert von etwa zehn Dollar wieder so weit hingekriegt, dass wir ihn fahren konnten. Der Temperaturanzeiger blieb zwar irgendwo hinter dem Armaturenbrett hängen, aber das störte uns nicht. Wir fuhren mit dem Rambler auf der Suche nach einem besseren Expeditionsfahrzeug zweitausend Meilen weit und verkauften ihn schließlich für dreihundertfünfzig Dollar der gleichen Firma, von der wir ihn gekauft hatten. In einer Filiale auf der anderen Seite der Stadt warteten wir den Tag ab, an dem der Bruder des Händlers dort arbeitete. Da der Wagen nach wenigen Kilometern schon stark überhitzte, weil der zähflüssige Brei im Kühlersystem kaum mehr zirkulierte, parkten wir den Wagen zuerst zwei Stunden lang hundert Meter von der Einfahrt entfernt. Als er abgekühlt war, fuhren wir ihn langsam auf den Abstellplatz.
Der Händler sah ihn sich an. „Gut im Lack“, stellte er fest. „Die Reifen sind okay. Radio läuft. Die Scheinwerfer funktionieren.“ Dann wollte er ihn mal fahren und wir erlaubten ihm, eine kleine Runde um den Häuserblock zu drehen. Wir hatten ja von seinem Bruder gelernt, wie man ein Autowrack verkauft. Als er eine Runde gefahren hatte, war der Motor gerade so heiß, dass die Suppe im Kühler nicht überkochte. Er unterschrieb den Kaufvertrag, und wir kassierten dreihundertfünfzig Dollar. Dann erst erzählten wir ihm die Geschichte. Er ist fast übergeschnappt, aber machen konnte er nichts, denn auf dem Vertrag steht ganz klein gedruckt, dass der Verkäufer keine Garantie übernimmt. Nicht einmal für den ersten Meter.
Die Paula und ich entschlossen uns danach für einen VW-Bus. Gebrauchte VW-Busse waren damals nur schwer zu kriegen, weil 1969 die Zeit war, wo viele junge Leute das normale Leben an den Nagel hängten und auf den großen Trip gingen. Die endlosen Überlandstraßen Kanadas, Amerikas und Mexikos lockten. Die große Freiheit. Man wollte „on the road“ sein – auf der Straße. Nicht mehr in engen Wohnungen eingekerkert sein. Nicht mehr den alltäglichen Trott mitmachen. Nicht mehr zur Universität gehen, büffeln, den Abschluss machen und danach trotzdem keinen Job kriegen.
„Ich sprenge alle Ketten, Mann“, sagte unser Freund Bob Armstrong eines Tages, rollte seinen Schlafsack zusammen, verschenkte seine Stereoanlage und die Schallplattensammlung, kaufte sich ein Paar Wanderschuhe und ging zur nächsten Straßenecke, wo er den Daumen in den Wind hielt. Wir sahen ihn vom Fenster aus. Mal stand er auf der rechten Straßenseite und mal auf der linken. Schließlich nahm ihn ein Auto mit, das südwärts fuhr, und Bob Armstrong war „on the road“.
Gebrauchte VW-Busse wurden sozusagen von Tag zu Tag rarer. Wir erwischten schließlich einen, der völlig verbeult und ohne Motor im Hinterhof einer Möbelfabrik stand. Jahrgang 61. Hinten ohne Stoßstange. Der Besitzer wollte vierhundert Dollar dafür. Das waren damals umgerechnet sechzehnhundert Mark. Ohne Motor!
Als die Paula den Bus sah, sagte sie entsetzt: „Wenn wir dieses Ding mal in der Nähe der Heilsarmeestation parken, bringen die uns glatt eine warme Suppe heraus.“
„Wie er aussieht, ist nicht so wichtig“, wandte ich ein. „Es kommt viel mehr auf sein Innenleben an. Auf den Motor zum Beispiel. Der ist wichtig. Wir brauchen einen guten Motor.“
„Und eine Stoßstange. Und ein Getriebe. Und eine Kupplung. Und neue Bremsbeläge.“
Wir schleppten unseren Bus mit Steves Auto nach Hause. Dann trugen wir im Laufe der nächsten Woche alles zusammen, was fehlte. Steve und ich gingen nie mehr ohne einen Satz Schraubenzieher, einen Engländer und einer Beißzange spazieren. Wir kletterten auf Bergen von Autoschrott herum. Fanden hier etwas und da auch. Kriegten einen Motor für hundert Dollar und gaben ihn zum Überholen einem Freund, der Rennmechaniker war und etwas von Porschemotoren verstand. Er brauchte eine Nockenwelle, einen Satz Brabham-Kolben und sonst noch ein paar Dinge, von denen ich auch heute noch keine Ahnung habe. Aber als so nach zwei Monaten unser VW-Bus fertig war und wir ihn zum ersten Mal auf die Straße hinausfuhren, donnerte und röhrte er, dass die Leute in den Häusern an die Fenster kamen. Wir nannten ihn „Lipstick“, weil er so schön rot war.
Steve hatte weniger Schwierigkeiten. Er kaufte seinen VW-Bus von einem Freund, der gerade aus Mexiko zurückgekommen war, und er taufte ihn „Pflümli“, weil er so schön pflaumenblau war.
Wir bauten Lipstick und Pflümli miteinander um. Machten kleine Fenster mit Moskitonetzen an die Seiten und richteten sie innen so schön und praktisch ein, dass ich den Bauplan wahrscheinlich heute noch dem VW-Werk zur Innenausstattung ihrer Camping-Busse verkaufen könnte. Paula und Jeannie schneiderten Vorhänge und überzogen die Schaumstoffmatten, die uns als Sitzkissen und Matratzen dienen sollten. Wir nützten den Raum so gut, dass wir alle unsere Sachen unterbringen konnten. Wir zimmerten einen Kleiderschrank, Schubladen, kleine Kästchen, isolierten die Wände, den Fußboden und die Decke.
Mitte November waren wir fix und fertig, und im März des nächsten Jahres wollten wir losfahren. Nach Süden. An der amerikanischen Westküste entlang und hinunter nach Mexiko. Vielleicht sogar nach Guatemala.
Wenn wir Fremden von unserem Traum erzählten, fragten sie jedes Mal: „Aber nicht mit diesen beiden Kamellen, oder?“ Damit meinten sie Lipstick und Pflümli. Unsere beiden Busse. Sie sahen wirklich auf den ersten Blick nicht danach aus, also ob sie es je bis zur Stadtgrenze schaffen würden. Aber der Schein trügt eben. Innen waren sie super und außen… na ja, rot und blau eben.
Da Steve und Jeannie noch bis zum Frühjahr arbeiten wollten, hatten Paula und ich Zeit, unseren Lipstick zu testen. Wir entschlossen uns Ende November ziemlich plötzlich, meinen Bruder Ray zu besuchen. Ray ist nach Kanada ausgewandert, als ich zehn Jahre alt war. Seither hatte ich ihn nicht mehr gesehen, und ich erinnerte mich nur noch schwach an ihn. Er lebte mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Prince George, ungefähr tausend Kilometer von Vancouver entfernt in Richtung Alaska.
„Kein vernünftiger Mensch fährt um diese Jahreszeit dorthin, wenn er nicht unbedingt muss“, sagte Jim von der Quick-Gas-Tankstelle an der vierten Avenue. „Es liegt Schnee in der Luft, Mann. Und da oben ist es so kalt, dass dir der Arsch am Sitz festfrieren wird. Darauf kannst du dich verlassen.“
Der Himmel war klar an diesem Tag. Es sah überhaupt nicht nach Schnee aus. Die Sonne schien. Kalt war es auch nicht. Und Jim war überhaupt kein Wetterfrosch, sondern ein Tankwart, der immer rote Ohren kriegte, wenn er Paula sah. Daran konnte man erkennen, dass ihm die Paula am Herzen lag. Behauptete jedenfalls Steve, und der kannte Jim schon länger. Auf jeden Fall wollte er nicht, dass wir da oben in Prince George eingeschneit würden und er die Paula dann für ein paar Wochen oder sogar Monate nicht mehr zu Gesicht bekam.
Wir ließen uns aber nicht einschüchtern und wollten am nächsten Morgen so früh wie möglich starten. Am Abend feierten wir noch ein bisschen Abschied. Wir aßen Pizza, tranken Wein und hörten Songs von Gordon Lightfoot. Jack war auch da. Ohne Freundinnen. Er war schon ziemlich betrunken, als er plötzlich auf die Idee kam, uns zu zeigen, wie sich ein Fallschirmspringer bei der Landung am Boden abrollt und kletterte auf den einzigen Baum im Garten des Nachbars. Dann sprang er, flog jaulend wie Tarzan durch das Geäst des Baumes und landete auf dem Kiesweg. Platt auf der Nase. Als Buschpilot soll er aber gut sein. Trotzdem haben Paula und ich uns immer geweigert, mit ihm Stadtrundflüge zu machen.
In der Nacht fing es an zu regnen, aber am nächsten Morgen weckte uns Steve. Er hatte so ein verschmitztes Gesicht, als er die Vorhänge aufzog. „Frau Holle hat die Betten gemacht“, sagte er, und ich war mit einem Satz auf den Beinen. Draußen lag Schnee. Etwa fünf Zentimeter. Und ein scharfer Wind fegte Schneewolken gegen das Fenster.
„Wenn es hier unten auf Meereshöhe so kalt ist, dass es schneit, dann kommt ihr nie durch den Fraser Canyon“, sagte Steve, und er musste es wissen, denn er war schon in Alaska und überall. Bei jedem Wetter. Aber die Paula war versessen darauf, nach Prince George zu fahren. Sie hatte keine Ahnung, wie schlimm das werden konnte. „Wir schaffen das schon“, sagte sie. „Schließlich haben wir hinten Winterreifen drauf.“
Während wir das Frühstück, Eier und Speck, aßen, kam im Radio der Wetterbericht. Mir blieb glatt ein Stück Brot mit Peanutbutter und Erdbeermarmelade im Hals stecken, als der Sprecher sagte, dass „über Nacht der Winter Einzug gehalten hat, und zwar mit seiner ganzen urwüchsigen Gewalt.“ Im Hinterland sei bis zu einem Meter Schnee gefallen. Abgelegene Dörfer seien vollständig von der Umwelt abgeschnitten, und die Hauptstraße nach Norden sei wegen haushohen Schneeverwehungen zwischen der Ortschaft Hope und dem Fraser Canyon für sämtliche Fahrzeuge gesperrt.
Gerade als der Sprecher noch etwas über eisige Kälte sagen wollte, stand die Paula auf, ging zum Radio und drückte den Aus-Knopf.
Sie strahlte uns dabei an, als wäre sie soeben Gewinnerin des ersten Preises eines Waschpulver-Wettbewerbes geworden.
„Ich habe morgen Geburtstag, und den möchte ich in Prince George verbringen“, sagte sie fröhlich.
Ich legte Gabel und Messer weg. Steve rührte mit dem Löffel in seinem Kaffee herum, und Jeannie tat, als wäre sie allein am Tisch. Die beiden hielten sich immer schön raus, wenn es zwischen der Paula und mir zu Auseinandersetzung kam.
„Müsu“, sagte ich sehr ernst. „Müsu, du hast soeben gehört, was im Radio gesagt wurde, und…“
„Willst du damit sagen, dass du nicht fahren willst?“, unterbrach sie mich sofort. „Soll das etwa heißen, dass du Angst hast, nach Prince George zu fahren?“
„Mit Angst hat das nichts zu tun. Es wäre vernünftiger…“
„Vernünftiger vielleicht, aber weit weniger aufregend und abenteuerlich. Ich will nach Prince George, mein Schatz. Ein ganzes Leben lang habe ich nur vernünftige Dinge getan, und seit drei Jahren tu ich dir jeden Gefallen, den ich dir von den Augen ablesen kann. Morgen ist mein Geburtstag. Ich habe mir immer einen Hund gewünscht. Jetzt wünsche ich mir, dass wir zusammen nach Prince George fahren. Außerdem glaube ich nicht, dass es in einer Nacht irgendwo einen Meter schneien kann. Nicht mal in Kanada. Und die Straße ist bestimmt bis zum Mittag wieder offen. Wir haben Winterreifen auf den Hinterrädern und…“
„Sommerreifen auf den Vorderrädern, zum Teufel. Ich bin doch kein Selbstmörder!“
„Du übertreibst wieder einmal fürchterlich. Fünf Zentimeter Schnee und ein bisschen Wind bringen dich noch lange nicht um.“
„Ein Meter im Hinterland und…“
„Hund oder Fahrt“, rief sie. „Ich habe Geburtstag!“
„Das ist Erpressung!“ Ich sprang auf. Ging wie ein Tiger in der Küche auf und ab. Murmelte vor mich hin. Warf einen Blick aus dem Fenster. Der Nachbar, ein Hippie aus Australien, schippte Schnee mit einer Bratpfanne, um einen Schneemann zu bauen. Dort, wo er herkommt, gibt es eben selten Schnee.
Am Tisch war es totenstill. Plötzlich sagte Jeannie, dass wir ja versuchen könnten, bis nach Hope zu fahren. Paula gab ihr einen Schmatz. Von mir kriegte sie einen bösen Blick.
„Na?“, fragte die Paula. „Ich wäre zutiefst enttäuscht, wenn wir es nicht wenigstens versuchten.“
Was sollte ich tun? Die Paula hat so einen Blick, mit dem man Käse schmelzen kann. Und eigentlich hatte sie schon Recht. Warum sollten wir es nicht versuchen? Wir wollten Abenteuer erleben. Und außerdem hatten wir Winterreifen an den Hinterrädern von Lipstick.
„Gut“, sagte ich. „Gut, wir fahren!“ Ich setzte mich an den Tisch und aß weiter, während Paula und Jeannie die Koffer packten. Eine Stunde später waren wir unterwegs, und der Wind, der uns entgegenwehte, war so stark, dass Lipstick nur mit Mühe dreißig Kilometer pro Stunde schaffte. Es waren aber tausend Kilometer, die wir fahren mussten, um nach Prince George zu kommen.
Die Fahrt von Vancouver nach Prince George wurde für uns zu einem Abenteuer, das eigentlich schon anfing, als wir aus der Stadt heraus waren und uns die ersten Windstöße beinahe vom Freeway fegten. Lipstick tanzte wie besoffen auf der Straße herum, schlitterte über vereiste Stellen, kroch im Schneckentempo an den Steigungen hinauf und schaukelte wie ein Schiff auf sturmgepeitschtem Meer ostwärts.
Genau dem Wind entgegen!
Bis nach Hope waren es etwa hundertsechzig Kilometer. Nur leichte Steigungen und fast alles Freeway. Am Anfang sang die Paula ein paar fröhlichere Liedchen, während sie mit einem Schaber munter das Eis von der Windschutzscheibe kratzte. Sie behauptete, dass ihr vor Reisefieber eigentlich ganz war warm wäre, obwohl es immer kälter wurde, je weiter wir uns von der Stadt und vom Pazifik entfernten. Irgendetwas mit der Heizung schien nicht in Ordnung zu sein. Aus den Schlitzen über dem Armaturenbrett kam nur lauwarme Luft, und nach kurzer Zeit hatten wir in der vereisten Windschutzscheibe nur noch zwei nierenförmige Gucklöcher, die von der Paula mit dem Schaber bearbeitet wurden.
Viel gab es jedoch ohnehin nicht zu sehen. Alles war weiß. Wolken von Schneestaub trieben in den Windböen, die Lipstick aus der Bahn zu stoßen versuchten. Aber er trotzte ihnen. Im zweiten Gang, das Gaspedal bis zum Fußbrett runtergedrückt, trieb ich ihn vorwärts. Und die Paula wurde von Kilometer zu Kilometer ruhiger. Sie sang jetzt nicht mehr. Kratzte immer noch Eis von der Windschutzscheibe und wischte sich ab und zu einen Tropfen von ihrer kleinen hübschen Nase.
Es war affenkalt, und schließlich, wir waren bestimmt schon zweieinhalb Stunden unterwegs, sagte sie plötzlich: „Wir hätten halt eine Thermosflasche mit heißem Tee mitnehmen sollen.“
„Wir hätten überhaupt nicht fahren sollen“, erwiderte ich nicht gerade freundlich und zog den Kopf wider in den Mantelkragen zurück.
Die Paula sagte daraufhin nichts mehr. Bis zur Steigung, kurz vor Hope. Dort war die Straße völlig vereist, und ein paar ineinander verkeilte Lastzüge blockierten drei Viertel der Fahrbahn. In einem Graben lag ein Chevrolet auf dem Dach und streckte alle vier Räder von sich. Leute winkten uns. Wahrscheinlich wollten sie uns zum Anhalten auffordern. Einer schwenkte eine Laterne. Aber ich nahm den Fuß nicht vom Pedal. Unser Lipstick kroch die Steigung hinauf, und Paula war jetzt ziemlich blass um die Nase.
„Komm, lass uns umkehren“, bat sie leise. „Da kommen wir nie durch. Das wird ja von Minute zu Minute schlimmer.“
„Das ist erst der Anfang, mein Schatz“, sagte ich, schlitterte an einem riesigen Lastwagen vorbei auf die linke Straßenseite und gab Gas. Lipstick drehte mit den Hinterrädern durch. Der Motor heulte fürchterlich auf. Männer sprangen zur Seite, und die Paula schlug beide Hände vor das Gesicht. Irgendwie schafften wir die Lücke zwischen den Lastwagen und dem Chevrolet, und Lipstick nahm den Rest der Steigung mal auf dieser, mal auf der anderen Straßenseite, wo die Böschung steil zum Fraser River abfiel.