Die unendliche Barbara Cartland Liebesroman Kollektion ist die Gelegenheit alle fünfhundert dieser zeitlos schönen Liebesromane zu sammeln, die die gefeierte Liebesromanautorin geschrieben hat.
Die Reihe trägt den Namen Die unendliche Barbara Cartland Liebesroman Kollektion weil sie Geschichten solche der wahren Liebe sind. Jeden Monat sollen zwei Bücher im Internet veröffentlicht werden, bis alle fünfhundert erhältlich sind.
Die unendliche Barbara Cartland Liebesroman Kollektion, klassisch schöne Romane wahrer Liebe erhältlich überall für alle Zeit.
Barbara Cartland E-Books Ltd.
Vorliegende Ausgabe ©2017
Copyright Cartland Promotions 1985
Gestaltung M-Y Books
www.m-ybooks.co.uk
Barbara Cartland wurde 1901 geboren und stammt mütterlicherseits aus einem alten englischen Adelsgeschlecht. Nach dem Tod des Vaters und Großvaters ernährte ihre Mutter die Familie allein. Sie war zweimal verheiratet und hatte drei Kinder. Ihre Tochter Raine war die Stiefmutter von Prinzessin Diana von Wales. Sie schrieb über 700 Romane, die ein Millionenpublikum ansprechen. Barbara Cartland starb im Jahr 2000.
Der Marquis von Quinbourne trat aus seiner Villa auf die Terrasse hinaus und ließ seinen Blick über das Mittelmeer schweifen. Die Sonne löste gerade die letzten Dunstschleier auf und legte ein atemberaubendes Panorama frei.
Tief in Gedanken versunken stand der Marquis da. Als sich hinter ihm die Terrassentür öffnete, schrak er zusammen und fuhr herum. Eine elegant gekleidete Frau, deren ausgefallener Geschmack verriet, daß sie nur eine Französin sein konnte, kam auf ihn zu.
»Ich komme, um dir au revoir zu sagen, mon cher«, sagte sie mit ihrem bezaubernden Akzent.
Der Marquis lächelte ein wenig.
»Die Kutsche steht bereit, Jeanne. Schick sie sofort zurück, wenn du in Monte Carlo eintriffst.«
»Das werde ich tun.«
Jeanne zögerte einen Moment. Sie klimperte mit ihren getuschten Wimpern, zog einen Schmollmund und sagte mit weicher Stimme: »Es ist bedauerlich, mon cher, daß es so enden muß.«
»Es gibt keinen Grund, weshalb du dich entschuldigen müßtest, Jeanne«, antwortete der Marquis. »Ich danke dir für die glücklichen Tage, die du mir geschenkt hast.«
»Warst du wirklich glücklich?«
»So glücklich, wie ich es unter diesen Bedingungen nur sein konnte. Ich bedauere nur, daß ich deinen Erwartungen nicht entsprochen habe.«
Jeanne zuckte in einer typisch französischen Geste mit den Schultern.
»C‘est la vie! So ist das Leben! Ich hatte es mir so schön und vergnüglich vorgestellt, als du mich einludst, mit dir zu kommen. Ich wollte mich amüsieren, wollte mit dir ins Casino von Monte Carlo gehen und all die anderen vornehmen Orte besuchen.«
»Ich weiß, ich weiß«, sagte der Marquis nervös. »Aber Vorwürfe führen uns jetzt auch nicht weiter.«
Er schwieg einen Moment, dann reichte er ihr einen Umschlag.
»Ich kann nur noch einmal betonen, wie leid es mir tut, liebste Jeanne. Der Scheck, den ich dir ausgestellt habe, wird dich hoffentlich darüber hinwegtrösten, daß du Paris verlassen und so viele Feste versäumt hast.«
Ein erwartungsvoller und habgieriger Ausdruck trat in Jeannes dunkle Augen. Sie öffnete den Umschlag und warf einen Blick auf den Scheck.
Der ausgestellte Betrag nahm ihr beinahe den Atem. Sie umarmte den Marquis und zog seinen Kopf zu sich heran.
»Du bist sehr großzügig, sehr lieb! Merci, merci beaucoup! Vielleicht sollte ich es mir noch einmal überlegen und hierbleiben.«
»Nein, es ist schon richtig so, wie du dich entschieden hast, vollkommen richtig«, erwiderte der Marquis schnell. »Ich muß über so vieles nachdenken, und ich weiß, es langweilt dich, wenn ich das tue.«
Jeanne lachte.
»Das ist wahr. Bei Nacht bist du zwar ein großartiger Liebhaber, aber die Tage . . . oh, là, là. . . die waren sehr, sehr langweilig!«
Reumütig lächelte der Marquis.
»Das kann ich nicht abstreiten. Bitte, Jeanne vergib mir, daß ich meine Sorgen nicht vor dir verbergen konnte. Ich verspreche dir, wenn wir uns das nächste Mal sehen, wird es anders sein.«
»Das nächste Mal treffen wir uns wieder in Paris«, versicherte Jeanne. »In Paris warst du immer so, wie eine Frau es sich nur wünschen kann, aber hier in dieser Villa . . .«
Mit einer ausdrucksvollen Geste unterstrich sie ihre Worte. Dann schlang sie noch einmal ihre Arme um seinen Nacken und küßte ihn stürmisch auf den Mund.
»Au revoir, mon cher, und nicht adieu. Wir sehen uns bestimmt wieder. Vielleicht schon sehr bald.«
»Ich bin sicher, es wird dir bis dahin gut ergehen«, lächelte der Marquis.
»Aber natürlich, mach dir nur keine Sorgen um mich. Ich kenne einen sehr liebenswürdigen Herrn in Monte Carlo, der sich freuen wird, mich willkommen zu heißen. Und sowie ich dort eingetroffen bin, werde ich auch jemanden finden, der mich für heute abend zum Dinner einlädt.«
»Daran zweifle ich keinen Augenblick«, bemerkte der Marquis.
Er nahm ihren Arm und führte sie durch den geschmackvoll eingerichteten Salon in die Säulenhalle.
Vor dem Eingang wartete seine zweispännige Kutsche. Jeannes französische Kammerzofe saß bereits auf der vorderen Polsterbank. Eine beträchtliche Anzahl von Gepäckstücken war oben und hinten auf der Kutsche festgezurrt.
Fürsorglich half der Marquis Jeanne beim Einsteigen. Sie machte es sich auf der Bank bequem und ließ sich von einem Lakaien ihre Beine mit einer warmen Decke umhüllen.
»Au revoir, mon cher«, sagte sie ein letztes Mal mit ihrer weichen und aufreizenden Stimme, die für sie so bezeichnend war.
Der Marquis küßte ihr die Hand. Der Schlag wurde geschlossen, dann fuhr die Kutsche an, und Jeanne winkte ihm noch einmal zu.
Mit einem Seufzer der Erleichterung drehte sich der Marquis um und ging durchs Haus auf die Terrasse zurück. Er setzte sich in einen bequemen Sessel und starrte aufs Meer hinaus.
Er machte nur selten Fehler, aber Jeanne zu bitten, ihn nach Südfrankreich zu begleiten, war ohne Zweifel ein Fehler gewesen.
Sie kannten sich seit einigen Jahren, und er hätte wissen müssen, daß sie sich in der Abgeschiedenheit seiner Villa nicht wohl fühlen würde. Sie hatte ihn begleitet, um ihre phantastische Garderobe in Monte Carlo vorzuführen oder die Aufmerksamkeit der Menschen auf der Promenade des Anglais in Nizza auf sich lenken zu können.
Stattdessen mußte sie feststellen, daß sie allein mit ihm in seiner soeben ererbten Villa bleiben sollte, um sich von seinem exzellenten Chefkoch kulinarisch verwöhnen zu lassen.
Sie sollte ihn unterhalten, aber sie war nicht gewillt, ihm nur die Nächte zu versüßen: Auch am Tage beanspruchte sie seine Aufmerksamkeit.
Bereits am zweiten Tag ihres Aufenthalts wurde dem Marquis klar, daß er besser allein hergekommen wäre und daß Jeanne sich entsetzlich langweilen würde.
Bevor sie ihre Koffer packte, hatte sie zu ihm gesagt: »Als Liebhaber bist du einfach wunderbar! Aber als Unterhalter bist du ein Langweiler!«
Auf Französisch hatte es nicht so hart geklungen, aber er machte sich nichts vor. Es war die Wahrheit. Er konnte niemand anderen dafür verantwortlich machen als sich selbst.
Er war nach Südfrankreich gekommen, um über seine Zukunft nachzudenken. Außerdem wollte er den Festlichkeiten zum diamantenen Jubiläum der Königin entgehen, die für ihn nichts weiter als einen Ausbruch nationaler Gefühle darstellten.
Der Marquis hatte schon viel von der Welt gesehen. Als Victor Bourne - auf seinen Titel hatte er bei seinen Reisen gewöhnlich verzichtet - hatte er viele unbekannte Flecken der Erde besucht, und noch immer verspürte er nicht den Wunsch, nach Hause zurückzukehren und endlich seßhaft zu werden.
Er war erst siebzehn gewesen, als sein älterer Bruder, der schon als Kind ständig kränkelte, starb. Damals begann sein Vater, ihn auf seine späteren Pflichten hin zu erziehen. Der alte Marquis war ein Despot, der mit eiserner Hand über seine Familie, seine Güter und über jeden herrschte, der mit ihm zu tun hatte.
Wie typisch das doch für diesen alten Imperialismus war, dachte Victor. Jede Veränderung war verhaßt, alle sahen auf zu Königin Victoria. Sie repräsentierte Recht und Ordnung.
Er verzog das Gesicht. Natürlich, so räumte er den Gedanken ein, hatte sein Vater, wie jeder Mann seines Alters, guten Grund, stolz auf die Königin zu sein.
Sie regierte schließlich das größte Königreich der Geschichte. Es umfaßte nahezu ein Viertel der Erde und ein Viertel ihrer Bewohner.
In diesem Moment würden die Straßen Londons mit Menschen vollgestopft sein, die ungeduldig darauf warteten, daß die Königin auf dem Balkon des Buckingham Palastes erschien.
Victor konnte sich denken, wie ihre Botschaft lauten würde. Kurz und für alle verständlich: »Aus tiefstem Herzen danke ich meinem Volk. Möge Gott es segnen!«
Morgen würde er in den Zeitungen nachlesen können, daß er sich nicht getäuscht hatte.
So sehr ihn auch das diamantene Jubiläum der Königin beschäftigte, etwas anderes bereitete ihm wesentlich mehr Sorgen: seine Zukunft.
Darüber dachte er bereits nach, seit er in London angekommen war und die Nachricht vom Tode seines Vaters erhalten hatte.
Im Grunde hatte er sich nie Gedanken darum gemacht, was auf ihn zukäme, wenn er eines Tages die Position seines Vaters einnehmen würde. Nicht nur der Titel eines Marquis von Quinbourne ging auf ihn über, sondern auch eine Vielzahl von Pflichten lastete dann auf seinen Schultern.
Als er nach Schloß Windsor gerufen wurde, hatte ihm die Königin mit aller Deutlichkeit zu verstehen gegeben, was sie von ihm erwartete: daß er dort fortfuhr, wo sein Vater aufgehört hatte.
Der Premierminister, der Marquis von Salisbury, drückte es noch präziser aus.
»Sobald Sie alles auf Quin geregelt haben«, sagte er in seiner nachdrücklichen Art, »werde ich eine Menge Arbeit für Sie haben. Die wird Sie eine ganze Weile an London binden.«
Und nach einer kurzen Pause fuhr er fort: »Ich fürchte, es wird dann keine Auslandsreisen mehr für Sie geben, jedenfalls nicht so wie in den letzten Jahren.«
Es hatte ihn sehr überrascht, daß der Premierminister überhaupt von seinen Reisen und seinem Interesse für fremde Länder wußte.
Er war dem Außenministerium gelegentlich behilflich, wenn es darum ging, über einen entlegenen Teil des Empires zu berichten und lokale Besonderheiten zu erklären.
Normalerweise handelte es sich dabei um Orte, die der Außenminister nicht gerne persönlich aufsuchte.
Als Victor den Premierminister verließ, graute es ihm bei der Vorstellung, was ihm bevorstand, wenn er den ihm zustehenden Platz einnahm.
Zum einen wäre er Kämmerer im Buckingham Palast und zum anderen Vertreter der Krone in seiner Grafschaft, und daneben erwartete ihn noch eine stattliche Anzahl weiterer wichtiger Posten im politischen und gesellschaftlichen Leben.
Das bedeutete für ihn, daß er praktisch ein Gefangener seiner Pflichten wäre. Das freie, ungebundene Leben der letzten sechs Jahre würde ein jähes Ende finden.
Mit zweiundzwanzig war Victor das erste Mal ins Ausland geflüchtet. Er hatte es nicht mehr ausgehalten, ständig von seinem Vater bevormundet zu werden. Alles, was er tat, war falsch. Entweder ließ es sich nicht mit seiner gesellschaftlichen Stellung vereinbaren, oder es war zu oberflächlich und schadete seiner zukünftigen Würde.
Sein Vater hatte seine Freunde kritisiert, seine Interessen und selbst sein Talent für Sprachen. Er war der Meinung, für einen Engländer gäbe es keinen Grund, eine andere Sprache als die eigene zu sprechen. Auch für einen Staatsmann oder Politiker nicht.
»Wenn diese verdammten Ausländer mich nicht verstehen können, dann müssen sie eben unsere Sprache lernen!« erregte er sich.
Für diese Haltung hatte Victor nicht das geringste Verständnis. Eine Zeitlang ließ er die ständigen Tiraden seines Vaters über sich ergehen, dann hielt er es nicht länger aus: Er packte seine Koffer und reiste nach Malaysia - ohne seinem Vater mitzuteilen, wohin er fuhr und wie lange er bleiben wollte.
Als er ein halbes Jahr später zurückkam, behandelten sie ihn wie einen unartigen Jungen, der den Unterricht geschwänzt hatte und nun damit rechnen mußte, von der Schule verwiesen zu werden.
Drei Monate lang schaffte er es, sich seinem Vater wieder unterzuordnen, dann nahm er erneut Reißaus. Er fühlte sich wie erlöst, als er endlich nicht mehr den Anordnungen des alten Marquis Folge leisten mußte. Auch wenn er fortan als das schwarze Schaf der Familie galt - seine Freiheit genoß er in vollen Zügen.
Selbst ein Leben in Gefahr, in den Händen von barbarischen Stämmen, Kannibalen oder afrikanischen Kriegern erschien ihm letztlich erstrebenswerter, als in den gesellschaftlichen Zwängen von Quin gefangen zu sein.
Als er das zweite Mal heimkehrte, belehrte ihn nicht nur sein Vater. Viele andere Familienmitglieder schlossen sich ihm an.
Wie er erstaunt feststellte, bestand die Verwandtschaft nicht nur aus Mitgliedern der Familie Bourne, er war mit vielen anderen aristokratischen Familien verwandt. Und alle fielen über ihn her. Die Männer warfen ihm vor, nicht anständig seinem Vater gegenüber zu handeln. Die Frauen äußerten sich nicht ganz so streng, denn sie fanden ihn ungemein attraktiv und sympathisch.
Es wurde allgemein beschlossen, daß eine Heirat die einzige Wiedergutmachung seiner Frevel sein könne.
Seine Großmutter, seine Tanten und Cousinen wetteiferten nun darin, ihm eine Reihe von Debütantinnen vorzustellen. Es wurden Dinnerpartys gegeben, Bälle und Hauspartys veranstaltet. Auf den meisten dieser Feste teilte man ihm ein unscheinbares, linkisches junges Mädchen zu.
Schließlich wurde ihm eröffnet, daß dieses Wesen eine überaus geeignete und angenehme Frau für ihn abgeben würde. Der Schock war zu groß für ihn - Victor ergriff erneut die Flucht.
Als er das Haus verließ, teilte ihm sein Vater mit, daß er erst wieder willkommen sei, wenn er endlich gelernt hätte, sich anständig zu benehmen.
In den folgenden Jahren kehrte er tatsächlich zweimal unerwartet nach Quin zurück - einmal zu Weihnachten und einmal im Sommer.
Eine tiefe Sehnsucht ließ ihm keine Ruhe. Er vergaß den Streit und eilte heim. Ihn drängte es jedoch nicht, die Familie wiederzusehen, sondern ihn zog die einzigartige Schönheit von Quin an; dem Haus und den Ländereien gehörte seine ganze Liebe.
Die Familie hatte sich natürlich nicht verändert: Sie folgte immer noch den strengen Befehlen seines Vaters und zeichnete sich durch dieselben engstirnigen Einstellungen aus, die ihn aus dem Haus getrieben hatten.
Schließlich kehrte er nach Hause zurück, weil sein Vater gestorben war. Er wurde völlig unerwartet zum Marquis von Quinbourne.
Als er kurz vor der Beerdigung eintraf, fand er das Schloß mit Verwandten überfüllt.
Mit zynischer Genugtuung stellte er fest, daß sich alle bemühten, ihn zu umschmeicheln. Er war jetzt das Familienoberhaupt.
Keiner versuchte mehr, ihn zu belehren. Es wurden vielmehr Bitten an ihn gerichtet.
»Mein lieber Victor, ich weiß, du wirst mir helfen. Dein Vater war immer so großzügig, und ich bin sicher, du wirst es genauso halten wie er.«
»Ich brauche deinen Rat. . .«
»Darf ich dich um deine Aufmerksamkeit bitten . . .«
»Würdest du mir bitte zuhören . . .«
Es schienen tausend Stimmen zu sein, die in seinen Ohren widerhallten und ihn mit kleinen, unwichtigen Angelegenheiten in Anspruch nahmen.
Plötzlich wurde er mit völlig anderen Problemen konfrontiert als auf seinen Reisen. Die meisten übertrug er ohne viel Federlesens dem Sekretär seines Vaters. Dieser kannte sich nicht nur hervorragend in der Bewirtschaftung des Gutes aus, sondern wußte auch erheblich besser in Familienangelegenheiten Bescheid als Victor. Schließlich befand er sich schon seit über zehn Jahren im Dienste seines Vaters.
Kurz nach der feierlichen Beisetzung verließ Victor Quin wieder und fuhr nach London. Die nächsten Wochen wollte er in seinem Stadthaus in der Park Lane verbringen.
Er war sich durchaus bewußt, daß ihn nicht nur die Familie wegen seines neuen Reichtums und Einflusses als unerschöpfliches Füllhorn betrachtete. Auch die Königin, der Premierminister, der Außenminister und zahlreiche seiner Freunde, die ihn im White’s Club erwarteten und herzlich begrüßten, schienen große Hoffnungen auf ihn zu setzen.
Victor fühlte sich sehr unbehaglich. Er empfand das Verhalten seiner Umgebung als peinlich und beschämend.
Nur weil ich plötzlich reich bin und von gesellschaftlichem Einfluß, so dachte er zynisch, wollen sich alle bei mir einschmeicheln - allen voran diejenigen, die bis vor kurzem kein gutes Haar an mir gelassen haben.
Was für ein Unterschied zu seinem Leben im Ausland! Dort wurde er nach seiner Persönlichkeit beurteilt und nicht nach seiner gesellschaftlichen Position.
Als er schließlich die Briefe öffnete, die für ihn eingetroffen waren, erfaßte ihn Panik. Alle wollten etwas von ihm, angefangen vom höchsten Politiker bis hin zum kleinen Mann.
Also tat er, was er schon öfters getan hatte: Er ergriff die Flucht. Hals über Kopf verließ er London; nur seinen Sekretär hatte er von seinen Plänen unterrichtet.
Er fuhr zunächst nach Paris und lud Jeanne Beauvais ein, ihn zu begleiten. Gemeinsam reisten sie weiter gen Süden. Sein Ziel war Eze in Südfrankreich, wo sein Vater eine Villa besaß. Dort wollte er in Ruhe über seine Zukunft nachdenken.
Wenn er auch noch keine Pläne für sein künftiges Leben gefaßt hatte, so wußte er doch eines mit Gewißheit: Er wollte nicht heiraten!
Und schon fiel ihm wieder der Brief seiner Tante, der Herzogin von Weybridge, ein. Dieser Brief war ebenfalls ein Grund für seine überstürzte Abreise aus London gewesen. Die Herzogin hatte geschrieben:
»Mittwoch würde ich gerne mit Dir zu Abend essen. Ich möchte, daß Du ein reizendes junges Mädchen kennenlernst - die Tochter des Herzogs von Hull. Ich weiß, daß sie ganz wunderbar zu Dir passen würde und eine perfekte Schloßherrin für Quin abgäbe. Sie spricht sehr schön Französisch und Italienisch. Und da Du doch so sprachinteressiert bist, dachte ich, habt ihr damit wenigstens schon eine gemeinsame Vorliebe.«
Victor hatte den Brief zweimal gelesen, dann hatte er den Kopf in den Nacken geworfen und schallend gelacht.
Was würde die Herzogin wohl sagen, wenn er ihr erzählen würde: »Ich heirate nur ein Mädchen, das perfekt Russisch, Japanisch und Afrikaans spricht«, überlegte er amüsiert.
Doch dann schalt er sich selbst, ungerecht zu sein. Was konnte das arme Mädchen dafür, daß er nicht den leisesten Wunsch verspürte zu heiraten?
Er überlegte verzweifelt, was er tun sollte. Die Einladung annehmen und den Abend über sich ergehen lassen? Aber war es nicht recht grausam, bei dem jungen Ding Hoffnungen zu wecken, die er nicht erfüllen konnte? Wahrscheinlich sah das Mädchen in ihm schon den zukünftigen Ehemann. Nein, er konnte diese Einladung unmöglich annehmen!
Der Gedanke, zu einer Ehe gezwungen zu werden, schreckte ihn so sehr, daß ihm Jeanne wie ein rettender Engel einfiel.
Da sie im Moment keinen bevorzugten Verehrer hatte und schon so manche amüsante Zeit mit Victor verbracht hatte, nahm sie sein Angebot, mit ihm an die Côte d’Azur zu fahren, freudig an.
Auf die Idee, daß Jeanne es langweilig finden könnte, wenn sie nicht den größten Teil des Tages im Casino verbringen würden, kam der Marquis nicht.
Er hatte auch nicht daran gedacht, daß sie unbedingt in der Öffentlichkeit brillieren wollte, denn zu dieser Jahreszeit hielt sich in Monte Carlo gewöhnlich die gesamte High Society auf und machte dieses Fleckchen Erde zur teuersten Spielwiese Europas.
Ebenso hatte er vergessen, daß er Trauer um seinen Vater zeigen mußte. Man würde es als äußerst pietätlos ansehen, wenn er während der Trauerzeit an Dinnerpartys teilnähme oder anderen gesellschaftlichen Verpflichtungen nachkäme. Damit mußte er mindestens noch zwei, drei Monate warten. Nicht auszudenken, wie die Öffentlichkeit reagieren würde, tauchte er plötzlich mit einer attraktiven französischen Kokotte auf!