BUCERIUS LAW SCHOOL PRESS
Das Jahrbuch des Instituts für Stiftungsrecht und das Recht der Non-Profit-Organisationen
Herausgegeben von
Birgit Weitemeyer • Rainer Hüttemann
Peter Rawert • Karsten Schmidt
Schriftleitung
Dr. Emily Plate-Godeffroy
Julia Theele
Verlag:
Bucerius Law School Press, Jungiusstr. 6, 20355 Hamburg
Herausgeber:
Prof. Dr. Birgit Weitemeyer, Prof. Dr. Rainer Hüttemann, Prof. Dr. Peter Rawert, Prof. Dr.
Dr. h.c. mult. Karsten Schmidt
1. Auflage 2015
Herstellung und Auslieferung:
tredition GmbH, Hamburg
ISBN: 978-3-86381-073-3 Printed in Germany
Alle Rechte vorbehalten.
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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Das Institut für Stiftungsrecht und das Recht der Non-Profit-Organisationen der Bucerius Law School, Hamburg, wird gefördert durch
Das diesjährige Non Profit Law Yearbook 2014/2015 wird eröffnet von Thomas Adam, der das „Stiften im 19. und 20. Jahrhundert in der deutschen und amerikanischen Gesellschaft“ gegenüberstellt und mit diesem Thema im Rahmen der Hamburger Rede zu den Hamburger Tagen des Stiftungs- und Non-Profit-Rechts 2014 für ein vertieftes Verständnis von der Zivilgesellschaft hierzulande und in den USA gesorgt hat.
Berit Sandberg stellt unter dem Titel „Ehrenamt zum Nulltarif – Stiftungen zwischen Dilettantismus und Monetarisierung“ die neuesten Forschungsergebnisse ihrer umfassenden Studie zu Ehrenamtlichkeit und Gehaltsstrukturen bei Stiftungen vor.
Im zivilrechtlichen Teil untersucht Ulrich Segna die Frage „Wann ist ein Verein ein nichtwirtschaftlicher Verein?“ und wirft damit einen Blick auf die Vereinsklassenabgrenzung aus Anlass der „Kita“-Rechtsprechung des Kammergerichts und der Diskussion über den ADAC.
Anatol Dutta präsentiert die Ergebnisse seiner mit dem W. Rainer Walz-Preis für eine herausragende Arbeit auf dem Gebiet des Non-Profit-Rechts ausgezeichneten Habilitationsschrift „Warum Erbrecht?“ und gewährt einen Einblick in die Funktionen des Erbrechts in Gesellschaft, Wirtschaft und Familie über die Jahrhunderte und die nationalen Rechtsordnungen hinweg und weist insbesondere den Stiftungen eine bedeutsame Rolle zu.
Reiner-Peter Doll untersucht „Die Rechnungslegung gemeinnütziger Stiftungen in Deutschland vor dem Hintergrund einer verbesserten Transparenz“ unter Auswertung des Bilanzrechts und des Stiftungsrechts und geht auf Forderungen nach einer Weiterentwicklung der Transparenzanforderungen von Stiftungen ein.
Sodann befassen sich Harald Schotenroehr und Christoph Bergedick mit dem komplexen Thema von Kooperationen zwischen gemeinnützigen Stiftungen unter Berücksichtigung des Zivilrechts und des Steuerrechts.
Im internationalen Teil des Bandes geben uns Susanne Kalss und Johannes Zollner in bewährter Weise einen Jahresüberblick 2014 zum Vereins- und Stiftungsrecht in Österreich und stellen eine Auswahl aktueller weiterführender Literatur zum Österreichischen Non-Profit-Recht vor.
Von spannenden Entwicklungen in der Tschechischen Republik berichten erneut KateŘiná Ronovska und Petr Lavický. Unter dem Titel „New Czech Foundation law: A return to European roots“ informieren sie über die für Stiftungen bedeutsamen Änderungen zum 1.1.2014 mit Inkrafttreten des neuen Bürgerlichen Gesetzbuchs und anderer Gesetze.
Schließlich präsentieren Nils Krause und Florian Haase in ihrem Report „Aus Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltungsanweisungen zum Dritten Sektor im Jahr 2014 in Deutschland“, zuverlässig wie gewohnt, eine breite Auswahl der wichtigsten Entwicklungen.
Für die wertvolle Mitarbeit an dem diesjährigen Non Profit Law Yearbook haben die Herausgeber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Instituts für Stiftungsrecht und das Recht der Non-Profit-Organisationen der Bucerius Law School in Hamburg zu danken, so für die umsichtige Schriftleitung Frau Dr. Emily Plate-Godeffroy und Frau Julia Theele, für die sorgfältige Erstellung der Bibliographie des Jahres 2014 zum NonProfit-Recht Herrn Florian Kamp sowie für die zügige Übersetzung mehrerer Summaries und des Vorworts Frau Rosalind Kessler.
Hamburg, im Juni 2015
Birgit Weitemeyer, Rainer Hüttemann, Peter Rawert, Karsten Schmidt
This year’s Non Profit Law Yearbook 2014/2015 is opened by Thomas Adam with a comparison of “Donations in German and American society in the 19th and 20th centuries”, a topic he also spoke on in the context of the Hamburg Lecture at the Hamburg Symposium on Foundation and Non-Profit Law in 2014, engendering an enhanced understanding of civil society both here and in the USA.
Berit Sandberg puts forward the most recent research results of her comprehensive study on volunteering and salary structures in foundations under the title “Volunteering for free – foundations between dilettantism and monetarization”.
In the civil law section, Ulrich Segna investigates the question of “When is an association a non-commercial association?” and in so doing examines the delimitation of classes of association as a result of the ruling on child day care passed by the Kammergericht appellate court and the discussion on the German automobile association, ADAC.
Anatol Dutta presents the results of his outstanding habilitation thesis in the field of non-profit law entitled “Why Inheritance Law?”, for which he was awarded the W. Rainer Walz-Preis, affording an insight into the functions of inheritance law in society, the economy and in the family over the course of the past centuries and in various national legal systems and he attributes a significant role to foundations in particular.
Reiner-Peter Doll examines “Accounting in charitable foundations in Germany against the background of improved transparency” by evaluating accounting law and foundation law and investigates demands for further developing the transparency requirements of foundations.
Harald Schotenroehr and Christoph Bergedick then look into the complex topic of cooperation between non-profit making foundations having regard to civil law and tax law.
In the international law section of the volume, Susanne Kalss and Johannes Zollner provide us with an annual review of association and foundation law in Austria in 2014 in their customary considered manner and present a selection of current literature for further study on the topic of Austrian non-profit law.
Exciting developments in the Czech Republic are again reported by Kateřiná Ronovska and Petr Lavický. Under the title “New Czech Foundation law: A return to European roots” they advise us of the significant changes for foundations brought about as per 1.1.2014 upon the entry into force of the new Civil Code and other legislation.
Finally, in their report on “Legislation, case law and administrative instructions on the third sector in Germany in 2014” Nils Krause and Florian Haase present – with their usual reliability – a broad selection of the most important developments.
The editors again wish to thank the co-workers at the Institute for Foundation Law and the Law of Non-Profit Organizations of the Bucerius Law School in Hamburg for their valuable support on this year’s Non Profit Law Yearbook, for example Dr. Emily Plate-Godeffroy and Mrs. Julia Theele, for their prudent editorial direction, Mr. Florian Kamp for carefully preparing the bibliography 2014 on non-profit law and Mrs. Rosalind Kessler for promptly translating several summaries and this Foreword.
Hamburg, June 2015
Birgit Weitemeyer, Rainer Hüttemann, Peter Rawert, Karsten Schmidt
I. Einleitung
II. Die Tradition des Stiftens in den USA und Deutschland
III. Die vielfältigen Formen des philanthropischen Engagements im 19. Jahrhundert .14
IV. Die rechtliche Begründung des Stiftungswesens und die Definition der Stiftung
V. Zusammenfassung
VI. Summary
Wenn es um Zivilgesellschaft und Stiften geht, dann werden die amerikanische und die deutsche Gesellschaft gerne sowohl von Politikern als auch von Wissenschaftlern als polare Gegensätze dargestellt.1 Der amerikanischen Gesellschaft mit ihrem starken bürgerschaftlichen Engagement, das zur Gründung unzähliger Bürgervereinigungen und Non-Profit-Organisationen geführt habe, wird oftmals die deutsche Gesellschaft gegenübergestellt, in der sich die Bürger eher auf den Staat verlassen, als dass sie die Dinge selbst in die Hand nehmen. Eine historisch vergleichende Untersuchung des zivilgesellschaftlichen Engagements und der Entwicklung des Stiftungswesens in beiden Ländern lässt jedoch deutlich werden, dass diese Gegenüberstellung so einfach nicht stimmt. Auch wenn zu Beginn des 21. Jahrhunderts Milliarden-Stiftungen wie etwa die Bill und Melinda Gates Stiftung regelmäßig Schlagzeilen machen, darf darüber nicht vergessen werden, dass die amerikanische Gesellschaft und vor allem das politische Establishment des 19. und 20. Jahrhunderts grundsätzlich stiftungsfeindlich eingestellt war. Noch in den 1960er Jahren beschäftigten sich parlamentarische Untersuchungsausschüsse mit der Rolle der Stiftungen in der amerikanischen Gesellschaft und kamen zu dem Schluss, dass Stiftungen gefährlich für die Demokratie und die Volkswirtschaft wären.2
Und auch wenn mit der Rockefeller Stiftung schon kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert eine bedeutende und einflussreiche Stiftung in den USA entstand, sollte darüber auch nicht vergessen werden, dass zu diesem Zeitpunkt das deutsche Stiftungswesen wesentlich umfangreicher war als sein amerikanisches Pendant.3 Die Stiftungen in den deutschen Gemeinden hatten am Vorabend des Ersten Weltkrieges gewaltige Stiftungskapitalien akkumuliert, die zur Erfüllung wesentlicher sozialer und kultureller Aufgaben in der deutschen Gesellschaft eingesetzt wurden. Gymnasien, Universitäten, Museen und Sozialeinrichtungen, wenn auch oftmals staatlich oder kommunal betrieben, konnten ohne private Zuwendungen ihre Aufgabe nicht erfüllen und waren von Stiftungen und Spenden abhängig.4 Im Gegensatz zur amerikanischen Gesellschaft bildete sich aber im deutschen Fall keine stiftungsfeindliche politische Kultur heraus, sondern eine politische Kultur, in der Stiftungen durch die Regierungen der deutschen Bundesstaaten akzeptiert wurden. Die staatliche Regulierung im deutschen Fall beschränkte sich lediglich auf die Anlage der Stiftungskapitalien, für die die mündelsichere Investition in staatlichen Wertpapieren vorgeschrieben wurde. Diese Regelung hatte in den 1920er Jahren allerdings fatale Auswirkungen und führte im Zuge der Abwertung der Kriegsanleihen, mit denen der Erste Weltkrieg finanziert worden war, zur Zerstörung des Stiftungssektors.5
Philanthropisches Engagement in deutschen und amerikanischen Städten konnte verschiedene Formen annehmen und führte nicht immer zur Errichtung einer Stiftung, sondern konnte auch die finanzielle Unterstützung eines Vereins oder einer wohltätigen Aktiengesellschaft einschließen. Diese Stiftungen, Vereine und Aktiengesellschaften waren sowohl in den USA als auch in Deutschland fast immer lokal verankert und beschränkten ihre Aktivitäten auf eine bestimmte Kommune. Es erscheint auch angemessen, zumindest für die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg sowohl in den USA als auch in Deutschland von regionalen – bundesstaatlichen – Stiftungssektoren zu sprechen, da es enorme Unterschiede zwischen den Rechtssystemen der einzelnen Bundesstaaten gab, die erst allmählich durch föderale Gesetze und föderale Besteuerungssysteme überwunden wurden. Der Erste Weltkrieg und die finanzielle Ausbeutung der Stiftungen durch den deutschen Staat verhinderten dann in den 1920er Jahren das Wachstum des Stiftungswesens. Dennoch entstanden im Laufe des 20. Jahrhunderts in den USA und – allerdings in sehr viel bescheidenerem Umfang – auch in Deutschland nach 1900 national agierende Stiftungen.
Sowohl in Deutschland als auch in den USA begann die Entwicklung des Stiftungswesens vor der Staatsgründung. Doch während Stiften in den nordamerikanischen Kolonien Großbritanniens eher eine Seltenheit war, da die kolonialen Provinzialregierungen stifterische Aktivitäten zu unterbinden suchten,6 hatte sich im deutschsprachigen Zentraleuropa eine über Jahrhunderte ausgebildete und vom Staat nicht begrenzte Stiftungskultur entwickelt7. Aufgrund der restriktiven englischen Kolonialgesetzgebung ging nur eine kleine Zahl von Stiftungen und Vermächtnisse an Kirchen, Bildungseinrichtungen wie zum Beispiel das College of William and Mary und das King’s College sowie an Krankenhäuser wie das Pennsylvania Hospital. Mit der Gründung der USA als föderalen Bundesstaat entwickelte dann jeder Bundesstaat einen eigenständigen Korpus von Gesetzen, der sehr unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten für Stifter und Stiftungen eröffnete. Doch es war wohl weniger die konstitutionelle Trennung von Staat und Kirche als vielmehr die Beendigung der Zuweisung von Steuergeldern an kirchliche und von der Kirche getragene Einrichtungen, die im amerikanischen Falle das allmähliche Wachstum von Stiftungen zuerst im Sozial- und Bildungsbereich förderte.8 Stifterische Initiativen erfolgten zumeist im Rahmen von Vereinen und führten auch bereits zur Gründung von nationalen Organisationen wie zum Beispiel der im Jahre 1816 gegründeten American Bible Society, deren Kapital sich aus Spenden, Investitionen und Verkaufseinnahmen zusammensetzte.9
Die Gründung einzelner Stiftungen wie etwa die Errichtung von zwei Stiftungen in Boston und Philadelphia durch Benjamin Franklin mit jeweils £ 1000 im Jahre 1791, aus denen Kredite für junge Handwerker vergeben werden sollten, war die Ausnahme.10 Selbst die Gründung des Smithsonian Institutes als eine Stiftung im Jahre 1846 war eher eine Verlegenheitslösung als eine bewusste Stiftungsgründung. Der britische Mineraloge James Smithson hatte sein Vermögen über $ 500.000 der amerikanischen Regierung zur Errichtung einer staatlichen Institution hinterlassen. Vermutlich aus Angst vor steigenden staatlichen finanziellen Verpflichtungen für die Unterhaltung dieser Einrichtung entschloss sich die amerikanische Regierung jedoch, das Geld zur Errichtung einer Stiftung einzusetzen. Stephen Girards Spende über $ 6 Millionen an verschiedene Einrichtungen in Philadelphia und New Orleans und dem Girard College ($ 2 Millionen) war wohl die größte und außergewöhnlichste Stiftung in den USA des 19. Jahrhunderts. Der französisch-amerikanische Geschäftsmann, der im Handel und im Bankenwesen aktiv war und seit 1776 in Philadelphia lebte, war einer der reichsten Männer seiner Zeit in den USA. Alle anderen Stiftungen kamen an diese Summen nicht heran und verfügten in der Regel über Beträge weit darunter. Zu diesen herausragenden Stiftungen gehörten: John Lowells Stiftung über 250.000 Dollar für das Lowell Institute in Massachusetts und Benjamin Busseys Stiftung von 300.000 Dollar für das Harvard College. Insgesamt gab es nicht mehr als zehn derart großer Stiftungen im Laufe des 19. Jahrhunderts.11
Nicht nur das Alter der Stiftungen, die sich in einzelnen Fällen bis in das 14. Jahrhundert zurückverfolgen ließen, sondern auch das Fehlen einer stiftungsfeindlichen Politik seitens der deutschen Staaten stellte einen deutlichen Unterschied zwischen der deutschen und der amerikanischen Stiftungskultur am Anfang des 19. Jahrhundert dar. Stiftungen im deutschsprachigen Raum wurden seit dem Mittelalter gegründet und viele Stiftungen überlebten 400 oder 500 Jahre und funktionierten noch im 19. Jahrhundert. Und auch wenn die deutschen Staaten das in ihren Grenzen sich entwickelnde Stiftungswesen mit Nichtbeachtung straften, so gibt es doch vereinzelt Erfassungen der Stiftungen und des stifterischen Engagements wie zum Beispiel R. F. Rauers Preußisches Landbuch und das ein selbstbewusstes Stadtbürgertum auszeichnende Stiftungsbuch der Stadt Leipzig.12 Eine statistische Auswertung beider Publikationen gibt uns zumindest eine Momentaufnahme der Dimensionen des Stiftungswesens innerhalb dieser beiden politisch-geographischen Räume. Ähnliche Publikationen oder Erfassungen der Stiftungsaktivitäten für U.S. Bundesstaaten oder Städte existieren leider nicht.
Zeitperiode | Stiftungen | Vereine |
Vor 1538 | 56 | - |
1539-1648 | 110 | - |
1649-1814 | 415 | 67 |
1815-1848 | 643 | 163 |
1849-1865 | 825 | 144 |
Gesamt | 2049 | 374 |
Tabelle 1: Übersicht über den Zeitpunkt der Gründung der Stiftungen und Vereine in Preußen (Stand 1865)13
Wie aus der Tabelle 1 hervorgeht waren immerhin 8 Prozent der im Jahre 1865 in Preußen tätigen Stiftungen bereits vor dem Ende des Dreiβigjährigen Krieges gegründet worden. Und auch in Städten mit einem ausgeprägten Stiftungssektor wie etwa Leipzig erwiesen sich Stiftungen als durchaus langlebig. 3,5 Prozent des von der Stadt Leipzig im Jahre 1902 verwalteten Stiftungskapitals war das Ergebnis stifterischen Handelns aus der Zeit vor 1700.
Zeitperiode | Stiftungskapital in Mark |
Vor 1500 | 130.000 |
1501-1538 | 320.000 |
1539-1600 | 130.000 |
1601-1700 | 410.000 |
1701-1800 | 1.580.000 |
1801-1850 | 2.350.000 |
1851-1875 | 6.860.000 |
1876-1902 | 16.600.000 |
Gesamt | 28.380.000 |
Tabelle 2: Das von der Stadt Leipzig im Jahre 1902 verwaltete Stiftungskapital nach dem Zeitpunkt der Stiftungsgründung14
Auch wenn die Tradition des Stiftens im deutschsprachigen Zentraleuropa bis in das Mittelalter zurückreichte und selbst im 19. Jahrhundert noch Stiftungen aus der Zeit des Mittelalters aktiv waren, so machen die Tabellen 1 und 2 auch nachdrücklich deutlich, dass die Mehrzahl der im 19. Jahrhundert operierenden Stiftungen und Vereine erst im Laufe des 19. Jahrhunderts begründet wurde. Von den 2049 preußischen Stiftungen waren immerhin 72 Prozent in der kurzen Zeitspanne von nur 50 Jahren zwischen dem Ende der Napoleonischen Kriege und der Erfassung der Stiftungen im Jahre 1865 ins Leben gerufen worden. Und diese im Laufe des 19. Jahrhunderts gegründeten Stiftungen waren, wie dies im Falle Leipzigs sehr deutlich wird, auch wesentlich reicher als die Stiftungen der vormodernen Zeit. Im Zeitraum von nur 25 Jahren (von 1876 bis 1902) erhielt die Stadt Leipzig mit 16,6 Millionen Mark mehr Stiftungsgelder als in den vier Jahrhunderten davor zusammengenommen (11,78 Millionen Mark). Die zwischen 1876 und 1902 der Stadt Leipzig anvertrauten Stiftungsgelder repräsentierten 59 Prozent des gesamten von der Stadt verwalteten Stiftungskapitals. Noch erstaunlicher ist, das etwa die Hälfte dieser 16,6 Millionen Mark von nur vier Stiftern kam (Karl Philip Tauchnitz stiftete insgesamt 4,6 Millionen Mark für wohltätige Zwecke, Herrmann Julius Meyer gab 4,1 Millionen Mark zur Errichtung seiner Stiftung für die Erbauung billiger Wohnungen, Franz Dominic Grassi stellte 2,3 Millionen Mark für „Verschönerungen der Stadt“ bereit und Karl Ferdinand Rohde vermachte der Stadt Leipzig 1,3 Millionen Mark zur Vergabe von „Pensionen und Zwecken der Wohlthätigkeit und Nützlichkeit“.15
Eine spezifisch deutsche Form des Stiftens war die Einrichtung einer Stiftung mit einem geringen Stiftungskapital wie dies bei der Petermannschen Stiftung zu Wangerin in Pommern der Fall war. Der Kämmerer Petermann, über den keine weiteren biographischen Informationen ermittelt werden konnten, stiftete für wohltätige Zwecke im Jahre 1824 den Betrag von 25 Thalern. Da dieser Betrag zu gering war, um die Stiftungsmission zu erfüllen, die darin bestand, die Petermannschen Nachkommen zu versorgen sowie die Ortsarmen zu unterstützen, bestimmte er in seinem Testament, dass die Stiftung erst im Jahre 2016 ihre Tätigkeit aufnehmen sollte. In den 192 Jahren, die zwischen der Stiftungsgründung und der Aufnahme ihrer Tätigkeit lagen, sollten sich die Stiftungsverwalter im Wesentlichen damit begnügen, das Stiftungskapital gewinnbringend anzulegen, so dass es sich auf 102.400 Thaler vermehren würde. Im Abstand von jeweils 16 Jahren fand allerdings ein Stifterfest statt, aus dessen Anlass ein kleiner Teil der laufenden Zinseinnahmen zur Speisung der Ortsarmen verwendet wurde.16 Die Petermannsche Stiftung war keineswegs eine exzentrische Ausnahme. Zwischen Stiftungsgründung und Aufnahme der Stiftungstätigkeit vergingen in der Regel mehrere Jahrzehnte, da Stifter die Errichtung vor allem von abhängigen Stiftungen, die sie zur Verwaltung an kommunale und staatliche Einrichtungen gaben, zur Testamentsabwicklung und Versorgung von hinterbliebenen Ehefrauen und Kindern verwendeten. Zinseinnahmen aus diesen Stiftungen wurden oftmals zuerst in die Richtung von Nachkommen geleitet, bevor sie dem Stiftungszweck zugeführt wurden. Die Stiftung des Leipziger Bankiers Jakob Plaut von 600.000 Mark aus dem Jahre 1901 folgte diesem Muster. In seinem Testament bestimmte Plaut, dass die Zinsen der Jakob Plautschen Stiftung „während der ersten 60 Jahre nach dem Tode des Stifters an hilfsbedürftige und würdige Verwandte der Familie Plaut zu verteilen“ waren. „Mit der Aufbewahrung und Verwaltung des Kapitalstammes, der in Hypotheken, deutschen Staatspapieren, deutschen Prioritäten oder städtischen Anleihen verzinslich anzulegen ist, beauftragt der Stifter den Rat der Stadt Leipzig. Die Bestimmung über die Kapitalanlage sowie die Vergebung und Verteilung der Zinsen liegt dem aus 3 Mitgliedern der Familie Plaut bestehenden Familienrate ob, dem der Rat der Stadt Leipzig alljährlich die Zinsen auszuantworten hat. Nach Ablauf der 60 Jahre soll die Hälfte der Zinsen zur Aufbesserung der Lage gering besoldeter Lehrer oder Lehrerinnen an Leipziger Stadtschulen, städtischen Schulen im Königreiche Sachsen oder Privatschulen benutzt werden. Von den übrigen Erträgnissen ist die eine Hälfte an Leipziger und die andere an Berliner Ortsarme zu verteilen.“17 Damit sollte die Stadt Leipzig erst im Jahre 1961 in den Genuss dieser Stiftung kommen.
Derartige Stiftungsgründungen, die sowohl auf ein statisches Gesellschaftsverständnis der Stifter als auch auf ein ausgeprägtes Vertrauen in politische Stabilität verweisen, waren in den USA, die sich im Vergleich zu Deutschland durch eine viel höhere politische Stabilität auszeichneten, völlig unbekannt. Stiften gründete sich nach Hans Liermann auf „ein doppeltes Vertrauen, nähmlich Vertrauen in die Währung und Vertrauen in den Staat, in sein Recht und in das jenes staatliche Recht handhabende Beamtentum.“18 Auch wenn Liermann diese Erkenntnis mit einem Blick auf die deutsche Situation im 19. Jahrhundert formulierte, können wir sie wohl als eine Grundweisheit für alle politischen Systeme und Regierungsformen akzeptieren. Sie traf also auf die USA ebenso zu wie auf Deutschland. Die Abwesenheit von Stiftungen, die erst nach einem gewissen Zeitraum tätig wurden, lässt sich daher wohl nur mit einer noch eingehender zu diskutierenden stiftungsfeindlichen Kultur in den USA erklären.
Einem spezifisch amerikanischen Stiftungstyp entsprach hingegen der im Jahre 1917 von Julius Rosenwald begründete Rosenwald Fund in Chicago. Weder die Gründung der Stiftung zu Lebzeiten des Stifters noch die Zuwendung von mehr als $ 63 Millionen bis zum Jahre 1929 gaben dieser Stiftung, die sich vor allem in der Schulbildung in den amerikanischen Südstaaten engagierte, einen besonderen Charakter. Es war die Festschreibung des Jahres 1948 als Enddatum für die Aktivitäten der Stiftung, die dieser amerikanischen Stiftung ein unverwechselbares Markenzeichen gab. Rosenwald bestimmte, dass nicht nur Zinseinnahmen, sondern auch das Grundkapital der Stiftung für die Mission der Stiftung verwendet werden sollten und das Grundkapital bis 1948 vollständig aufgebraucht werden sollte. Rosenwalds Entscheidung gegen eine permanente Stiftung, deren Ausgaben nur durch die Zinseinnahmen finanziert würden, war von der Überzeugung getragen, dass sich die gesellschaftlichen Probleme mit der Zeit ändern würden und neue Herausforderungen von neuen Stiftern angegangen würden.19
Der Rosenwald Fund war keineswegs ein Einzelfall. Auch John D. Rockefeller schuf im Jahre 1902 mit dem General Education Board eine Stiftung, die nicht nur die Zinseinnahmen ihres Stiftungskapitals, sondern auch das Stiftungskapital selbst zur Erfüllung ihrer Aufgaben ausgab. Das General Education Board engagierte sich besonders für die Verbesserung der Bildungseinrichtungen in den Südstaaten der USA, indem es zum Beispiel matching grants für die Errichtung von Stiftungsuniversitäten wie der Southern Methodist University in Dallas bereitstellte. Rockefeller gab insgesamt etwa $ 130 Millionen zur Finanzierung der Tätigkeit des General Education Board, das seine Aktivitäten im Jahre 1964 einstellte.20
Stiften war im 19. Jahrhundert in der amerikanischen und der deutschen Gesellschaft vor allem lokal verankert und erfolgte sowohl im dörflichen, kleinstädtischen und im großstädtischen Raum. Weder im deutschen noch im amerikanischen Fall war Stiften auf den städtischen Raum beschränkt. Diese Vorstellung wurde vor allem durch die historische Forschung, die sich im Wesentlichen auf die Untersuchung von Stiftungen in Städten beschränkte, erzeugt.21 Statistische Informationen haben wir für die geographische Verteilung der Stiftungen allerdings auch wieder nur für den deutschen Fall und auch hier nur für Bayern und Preußen.
Gemeinden | Stiftungen | Stiftungskapital in Mark |
Mit weniger als 2000 Einwohnern | 14.459 | 170.946.885 |
2000 bis 5000 Einwohner | 1777 | 57.720.656 |
5000 bis 20.000 Einwohner | 1384 | 70.586.256 |
20.000 bis 100.000 Einwohner | 1192 | 150.202.286 |
Über 100.000 Einwohner | 788 | 95.921.219 |
Gesamt | 19.600 | 545.377.302 |
Tabelle 3: Die geographische Verteilung der Stiftungen und des Stiftungskapitals in Bayern (Stand 1901)22
Während weder die amerikanische noch die deutsche Bundesregierung vor dem Ersten Weltkrieg Informationen über Stiftungen sammelte, entschloss sich die Regierung des Bundesstaates Bayern im Jahre 1888 alljährlich eine statistische Erfassung der Stiftungstätigkeit in ihrem Territorium durchzuführen. Diese statistischen Daten wurden von 1888 bis 1914 regelmäßig in der Statistischen Zeitschrift des Königreiches Bayern veröffentlicht. Die statistische Erfassung für das Jahr 1901 macht die gewaltige Größe des 19.600 Stiftungen mit einem kombinierten Stiftungsvermögen von fast 550 Millionen Mark umfassenden bayerischen Stiftungssektors deutlich. Die Summe des in bayerischen Stiftungen festgelegten Kapitals lag zum Beispiel weit über den von der deutschen Bundesregierung in Rücklagen für die Rentenversicherung aller deutschen Versicherten angelegten Kapitalien, die sich auf lediglich 367 Millionen Mark im Jahre 1902 beliefen.23
Eine Auswertung der statistischen Erfassung der bayerischen Stiftungen lässt jedoch zum anderen auch interessante Schlussfolgerungen über die geographische Verteilung der Stiftungen zu. 83 Prozent aller bayerischen Stiftungen befanden sich im Jahre 1901 in Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern. In den beiden Großstädten München und Nürnberg befanden sich gerade einmal vier Prozent der bayerischen Stiftungen. Ein Blick in die von den Stiftungen in den städtischen und dörflichen/kleinstädtischen Gemeinden verwalteten Kapitalien zeigt jedoch ein etwas anderes Bild. Die kleinen Gemeinden mögen zwar in Bezug auf die Zahl der Stiftungen einen Vorteil gehabt haben, aber diese dörflichen Stiftungen waren wesentlich ärmer als die städtischen Stiftungen. 45 Prozent des kombinierten Stiftungskapitals befand sich in den Händen der wenigen Stiftungen (sie machten nur 10 Prozent der gesamten bayerischen Stiftungen aus), die sich in Städten und Großstädten mit mehr als 20.000 Einwohnern befanden.
Während die Zahlen für Bayern keine weiteren Schlussfolgerungen über die interne geographische Verteilung der Stiftungen zulassen, konnten auf Basis der Auswertung des Preußischen Landbuches auch Informationen über die Stiftungsdichte in den einzelnen Provinzen des Königreiches Preußen zumindest für 1865 gewonnen werden.
Tabelle 4: Die geographische Verteilung der Stiftungen und Vereine und deren Stiftungskapitals in Preußen (Stand 1865)24
Stiftungen und Unterstützungsvereine für philanthropische Einrichtungen waren sehr ungleichmäßig über das Königreich Preußen verteilt. Brandenburg (und hier vor allem Berlin), das Rheinland, Schlesien und die Provinz Sachsen nahmen hinsichtlich der Zahl der Stiftungen sowie der diesen anvertrauten Stiftungskapitalien eine Führungsrolle ein. 22 Prozent aller preußischen Stiftungen sowie 27 Prozent des preußischen Stiftungskapitals befanden sich allein in der Provinz Brandenburg. Posen, Westpreußen und Pommern bildeten hingegen das Schlusslicht. Posen war die stiftungsärmste Provinz, in der sich nur 2,5 Prozent der preußischen Stiftungen und nur 1,7 Prozent des preußischen Stiftungskapitals befanden. Die Stiftungsdichte scheint somit in einem direkten Verhältnis zum Industrialisierungsgrad und damit dem Wohlstandsniveau der betreffenden preußischen Provinz gestanden zu haben.
Diese Übersicht weist auf ein weiteres Merkmal des Stiftungswesens im 19. Jahrhundert hin. Stiften war vor allem ein lokales Phänomen. Stifter errichteten Stiftungen in ihrer Gemeinde, um konkrete soziale und kulturelle Projekte voranzutreiben. Überregionale oder gar nationale Stiftungen waren die Ausnahme. Für Preußen wurden im Jahre 1865 lediglich acht landesweite Stiftungen mit einem kombinierten Stiftungskapital von knapp mehr als einer halben Million Mark gezählt. Im Gegensatz dazu waren zumindest dem Namen nach mehr als die Hälfte der Vereine landesweite Organisationen. Aber auch deren Attraktion für potentielle Mitglieder und Stifter sowie ihr Einfluss scheinen begrenzt gewesen zu sein, da das kombinierte Stiftungskapital der landesweiten Vereine lediglich neun Prozent des Stiftungskapitals aller preußischen Vereine repräsentierte.
Die im Jahre 1911 gegründete Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft war wohl das bekannteste nationale Stiftungsprojekt, das mit der Hoffnung auf finanzielle Unterstützung durch Stifter in allen Teilen Deutschlands gegründet wurde. Doch es stellte sich rasch heraus, dass diese unter kaiserlicher Obhut entstandene Stiftung zur Förderung der Grundlagenforschung außerhalb Preußens kaum auf Interesse in Stifterkreisen stieß und daher die Rolle einer nationalen Fördergemeinschaft für die Wissenschaft nicht in Anspruch nehmen konnte. Lothar Burchardt hat errechnet, dass lediglich vier Prozent der gesamten privaten Finanzierung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft aus den nichtpreußischen Teilen Deutschlands kamen, wobei die Hamburger Stifter mit insgesamt 275.000 Mark an der Spitze der nicht-preußischen Geldgeber standen. Bayerische und sächsische Stifter gaben jeweils 90.000 Mark. Insgesamt war aber die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft wohl eher eine inner-preußische als eine deutsche Angelegenheit.25
Doch selbst innerhalb Preußens hielt sich die Begeisterung für dieses Stiftungsprojekt in Grenzen. Weit mehr als die Hälfte der Stifter kam aus Berlin (55) und der Rheinprovinz (43). Stifter aus diesen beiden Regionen brachten 68 Prozent der 11,2 Millionen Mark an Stiftungen und Spenden zur Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft auf. Das an Stiftern und Stiftungen reiche Schlesien, Westfalen und die Provinz Sachsen trugen nur geringe Finanzmittel zu diesem Projekt bei. Dabei war Schlesien nach Berlin und dem Rheinland die drittgrößte Provinz Preußens hinsichtlich der Zahl an Stiftungen und des in diesen akkumulierten Kapitals. Im Jahr 1865 befanden sich in Schlesien immerhin 17 Prozent aller preußischen Stiftungen und Fördervereine und 20 Prozent des preußischen Stiftungskapitals.26 An der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft beteiligten sich aber nur 15 Personen aus Schlesien mit lediglich 693.000 Mark.27 Damit stellte Schlesien acht Prozent der Stifter und lediglich sechs Prozent der Stiftungssumme der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Demgegenüber ist die geringe Beteiligung von Stiftern aus den Provinzen Pommern (2), Ostpreußen (1), Westpreußen (1) und Posen (0) keine Überraschung. Diese Regionen verfügten von jeher über keine nennenswerten Stiftungen oder finanzkräftige Stifter. 1865 befanden sich gerade einmal 2,5 Prozent der preußischen Stiftungen und Fördervereine in Pommern. Die Vergleichszahlen für Westpreußen beliefen sich auf 2,7 Prozent und für Posen sogar nur auf 1,6 Prozent. Lediglich Ostpreußen wies mit 5,5 Prozent einen höheren Anteil auf.28
Provinz | Zahl der Stifter |
Berlin | 55 |
Rheinprovinz | 43 |
Hessen-Nassau | 17 |
Schlesien | 15 |
Hannover | 18 |
Westphalen | 13 |
Provinz Sachsen | 12 |
Brandenburg | 4 |
Ostpreußen | 1 |
Schleswig-Holstein | 3 |
Westpreußen | 1 |
Pommern | 2 |
Posen | 0 |
Gesamt | 184 |
Tabelle 5: Die geographische Verteilung der Stifter der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft über die preußischen Provinzen
Während die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft das Modell der Stiftung mit dem Modell des Vereins verband, um so eine große Zahl finanzkräftiger Stifter anzuziehen, waren es im amerikanischen Falle nach 1900 die großen von Individuen wie John D. Rockefeller errichteten Stiftungen wie die Rockefeller Stiftung und das General Education Board, die das Modell der landesweiten Stiftung einführten. Den amerikanischen Stiftungen war dabei auch mehr Erfolg vergönnt als ihren deutschen Gegenspielern. Rockefellers General Education Board gelang es etwa, 291 Hochschulen und Universitäten durch die Bereitstellung von insgesamt $ 60 Millionen in Form von matching grants zum Aufbau eigener Stiftungskapitalien anzuregen.29
Sowohl in Deutschland als auch in den USA realisierte sich philanthropisches Handeln im 19. Jahrhundert in verschiedenen Unternehmensformen: von der Aktiengesellschaft, in der der Gewinn der Aktieninhaber auf vier bis fünf Prozent begrenzt war oder aber kein Gewinn unter den Aktionären verteilt wurde über Vereine bis hin zu unselbständigen (von staatlichen Körperschaften verwalteten) Stiftungen und selbständigen Stiftungen. Aktiengesellschaften und Vereine waren in den deutschen und den amerikanischen Bundesstaaten die bevorzugte Organisationsform zur Gründung, Finanzierung und Unterhaltung von Museen, Zoologischen Gärten, Unterstützungsvereinen und sozialen Wohnungsunternehmen.30
Unter den ersten amerikanischen Wohltätigkeitsvereinen befanden sich ethnische Hilfsvereine wie etwa die im Jahre 1764 in Philadelphia gegründete German Society. Am Anfang kümmerte sich dieser Verein um die Arbeits- und Lebensbedingungen der deutschen Einwanderer, die ihre Überfahrt dadurch bezahlten, dass sie sich für sechs Jahre entgeltlos dienstverpflichteten. Nach der Abschaffung dieses Systems wandte sich der Verein im 19. Jahrhundert der Unterstützung neuangekommener Einwanderer zu und begann, seine Aufgabe auch in der Bewahrung der deutschen Kultur zu suchen. Er wurde zum Modell für ähnliche Vereine in anderen Städten wie zum Beispiel der 1784 gegründeten German Society of the City of New York. Im Gegensatz zu seinem Vorläufer in Philadelphia verstand sich der New Yorker Verein von Anfang an als eine Sozialeinrichtung, die Unterstützung an arme deutsch-amerikanische Mitbürger gewähren sollte.31
Schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden Vereine auch als Träger von Krankenhäusern und Sozialeinrichtungen, später dann auch von Museen in Städten wie Boston und New York gegründet. Die Mitgliedschaft in diesen Vereinen war oftmals hart umkämpft zwischen den alteingesessenen holländischen und englischen Familien und den später angekommenen französischen und deutschen Familien. Die Association for Improving the Conditions of the Poor ist ein Beispiel für diese Art von wohltätigen Vereinen. Gegründet im Jahre 1843 um sich der Armenfürsorge anzunehmen, wuchs ihre Mitgliedschaft rasch auf etwa 200 Personen an. Die Mitglieder teilten unter sich die Stadt in Armenbezirke mit jeweils 25 Familien ein und wiesen jeweils einen Bezirk einem Mitglied zur Verwaltung zu. Diese Person sollte die in ihrem Bezirk wohnenden bedürftigen Familien in ihren Häusern besuchen und Entscheidungen über die Unterstützung der betreffenden Familie aus dem Vereinsvermögen treffen.32
Der Machtkampf zwischen den etablierten und den neuen bürgerlichen Gruppierungen lässt sich am eindrucksvollsten am Beispiel des New Yorker Opernhauses erläutern. Seit seiner Eröffnung im Jahre 1854 war die Academy of Music das Opernhaus für das New Yorker Bürgertum. Diese Einrichtung wurde finanziert und dominiert durch die alten niederländischen Familien mit klangvollen Namen wie Stuyvesant, Roosevelt und Rhinlander. Aber das Gebäude war recht klein und insbesondere die Zahl der Logen war mit 24 viel zu gering, um das Geltungsbewusstsein der reichen (alten und neuen) Familien zu befriedigen. Logen waren dazu da, um „gesehen zu werden“ und um sich von der Masse der Opernbesucher räumlich und symbolisch abzuheben. Mit der Eröffnung waren die 24 Logen unter den etablierten Familien und Stiftern des Opernhauses verkauft worden. Wenn durch den Tod oder Bankrott eines Stifters eine Loge frei wurde, entbrannte regelmäßig eine bittere öffentliche Auseinandersetzung zwischen den alteingesessenen Familien und den neuen Familien um die betreffende Loge. Nachdem William H. Vanderbuilt mehrfach versucht hatte, eine frei gewordene Loge zu ersteigern – er bot im Jahre 1880 immerhin $ 30 000 und wurde dennoch abgelehnt – entschloss er sich zusammen mit mehreren „neureichen“ Familien, ein eigenes Opernhaus mit einer größeren Zahl von Logen zu errichten. So entstand im Jahre 1883 das Metropolitan Opera House, das mit seinen 122 Logen ausreichend Platz für das Geltungsbedürfnis des New Yorker (neuen und alten) Bürgertums aufwies. Zwei Jahre später, im Jahre 1885, schloss die Academy of Music, da sie durch die Konkurrenz der Metropolitan Opera in den Bankrott getrieben wurde. Die alten Familien baten um Aufnahme in die Metropolitan Opera und die Zuweisung von Logen und erkannten damit die Vormacht der „neureichen“ Familien an. Dieses Ereignis markierte den Sieg der „neureichen“ Familien über die etablierten Familien in New York.33
Vereine für soziale und kulturelle Projekte finanzierten ihre Arbeit über eher geringe Mitgliedsbeiträge ihrer Mitglieder, die entsprechend ihre sozialen Status verschiedenen Mitgliederklassen zugeordnet waren. Im Falle der Metropolitan Museum Association war die Mitgliederzahl ursprünglich auf 250 Gentlemen aus alteingesessenen Familien beschränkt und in drei Klassen unterteilt worden: für 1000 Dollar Jahresbeitrag konnte man sich Patron nennen, für 500 Dollar Fellow in Perpetuity und für 200 Dollar Fellow for Life. Die Aufnahme von neuen Mitgliedern basierte auf Nominierungen durch existierende Mitglieder und war auf die Gruppe des etablierten Bürgertums vor allem niederländischer Herkunft beschränkt. Diese Mitgliederstruktur wurde von dem Trägerverein für das American Museum of Natural History, das als Gegenentwurf zum Metropolitan Museum von Vertretern vor allem des neuen, durch die Industrialisierung reich gewordenen Bürgertums englischer und deutscher Herkunft entwickelt wurde, kopiert. Auch hier konnte man den Titel eines Patron oder eines Fellow in Perpetuity oder eines Fellow for Life erwerben. Im Gegensatz zum Metropolitan Museum of Art waren die Beitragssätze mit 2500, 1000 und 500 Dollar aber erheblich höher.34
Auch wenn deutsche Vereine wie zum Beispiel der Leipziger Kunstverein zum Teil ähnliche hierarchische Mitgliederstrukturen aufwiesen, die eben auch als Vorbild für die Museumsvereine in New York gedient hatten,35 waren sie doch wesentlich weniger hierarchisch aufgebaut als ihre amerikanischen Nachahmer. Sowohl in Deutschland als auch in den USA haben Stifter immer nach einer Anerkennung ihrer Stiftungsleistung in Form von Titeln, Inschriften oder der Benennung von Gebäuden gestrebt. Im Gegensatz zum Stiften in der Antike und im Mittelalter kam es in der Neuzeit nicht nur zu einer Säkularisierung des Stiftens, sondern auch zu einer wachsenden Fokussierung des oftmals öffentlichkeitswirksam inszenierten Stiftungsprozesses auf die Stifterfigur. Stiften war in der Regel keine selbstlose Tat eines anonymen Stifters, sondern wurde öffentlich arrangiert und diente oftmals – wenn auch nicht immer – der Zurschaustellung des wirtschaftlichen Erfolges des Stifters oder der Stifterfamilie. Stiftungen sowie Vereine und Aktiengesellschaften, die eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Umsetzung stifterischer Projekte in Deutschland spielten, boten ihren Unterstützern und Förderern jedoch recht unterschiedliche Formen der Anerkennung an. Während eine Stiftung automatisch die Aufmerksamkeit auf ihren Stifter lenkte, galt es bei Vereinen und Aktiengesellschaften, die oftmals Hunderte von Unterstützern versammelten, Instrumente der Anerkennung in Form von Titeln und Mitgliedschaftsklassen mit entsprechenden Privilegien zu schaffen, die Stiftern soziale Distinktion vermittelten. Dies erwies sich als besonders schwierig in Aktiengesellschaften, da hier soziale Distinktion nur über die Zahl der zu erwerbenden Aktien und der damit verbundenen Anrechte (wie z. B. Stimmrechte) erreicht werden konnte.
Dennoch scheinen deutsche Stifter die Unternehmensform der Aktiengesellschaft für stifterische Zwecke aus zwei Gründen bevorzugt zu haben. Zum einen waren die Stifter oftmals auch Unternehmer und daher bestens mit der Funktionsweise von Aktiengesellschaften vertraut. Und zum anderen war die Aktiengesellschaft eine der ersten Unternehmensformen, die per Gesetz zumindest in Preußen im Jahre 1843 definiert und damit legitimiert wurde.36 Von Anfang an haftete der Aktiengesellschaft nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine gemeinnützige Funktionszuschreibung an. So konnten Aktiengesellschaften „aus überwiegenden Gründen des Gemeinwohls“ aufgelöst werden.37 Als im Jahre 1847 Berliner Wohnungsreformer um den Landbaumeister Carl Wilhelm Hoffmann sich zusammenfanden, um einen Weg zu finden, erschwingliche und hygienische Wohnungen für Arbeiterfamilien in der schnell wachsenden Metropole bereit zu stellen, fiel die Entscheidung unter Einfluss englischer Vorbilder schnell zugunsten einer Aktiengesellschaft, die ihren Aktionären aber nur einen auf etwa vier Prozent beschränkten Gewinn auszahlen sollte. Dieses Berliner Unternehmen wurde zum Vorbild für ähnliche soziale Wohnungsunternehmen in Frankfurt am Main, Hamburg und Breslau.38