Die neuen EU-Vergaberichtlinien und ihre Umsetzung
Hamburger Kolloquium zum Öffentlichen Wirtschaftsrecht in der Bucerius Law am 6. November 2014
Herausgegeben von
UNIVERSITÄTSPROFESSOR DR. HERMANN PÜNDER, LL.M. (IOWA) LEHRSTUHL FÜR ÖFFENTLICHES RECHT (EINSCHL. EUROPARECHT), VERWALTUNGSWISSENSCHAFTEN UND RECHTSVERGLEICHUNG, BUCERIUS LAW SCHOOL, HAMBURG,
RECHTSANWALT DR. HANS JOACHIM PRIEß, LL.M.
FRESHFIELDS BRUCKHAUS DERINGER, BERLIN
Mit Beitragen von
UNIVERSITÄTSPROFESSOR DR. MARTIN BURGI; WISSENSCHAFTLICHER MITARBEITER LARS BURSHILLE; WISSENSCHAFTLICHER MITARBEITER JENS GERLACH; RECHTSANWALT DR. WOLFRAM KROHN; RECHTSANWALT DR. ANDREAS NEUN; RECHTSANWALT DR. MARC OPITZ; RECHTSANWALT DR. HANS JOACHIM PRIEß, LL.M.; UNIVERSITÄTSPROFESSOR DR. HERMANN PÜNDER, LL.M.; RECHTSANWALT DR. PETER SCHÄFER; RECHTSANWALT DR. MARTIN SCHELLENBERG; DR. THOMAS SOLBACH, BUNDESMINISTERIUM FÜR WIRTSCHAFT UND ENERGIE; RECHTSANWALT DR. ROLAND M. STEIN, LL.M.; BUNDESVERWALTUNGSRICHTER (SCHWEIZ) MARC STEINER.
Verlag:
Bucerius Law School Press
– Verlag der Bucerius Law School, Jungiusstr. 6, D-20355 Hamburg
Herausgeber dieses Bandes:
Professor Dr. Hermann Pünder, LL.M.
Dr. Hans Joachim Prieß, LL.M.
Herausgeber der Reihe:
Prof. Dr. Michael Fehling
Prof. Dr. Thomas Rönnau
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Karsten Schmidt
1. Auflage 2015
Herstellung und Auslieferung:
tredition GmbH, Hamburg
ISBN: 978-3-86381-065-8
Alle Rechte vorbehalten.
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Vorwort
Am 6. November 2014 fand in der Bucerius Law School die Tagung „Vergaberecht im Umbruch II – Die neuen EU-Vergaberichtlinien und ihre Umsetzung“ statt. Damit wurde die von mir ins Leben gerufene Reihe „Hamburger Kolloquien zum Öffentlichen Wirtschaftsrecht“ fortgesetzt, die auf einen Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis zielt. Dieser Band gibt – anknüpfend an das vor zehn Jahren erschienene Buch „Vergaberecht im Umbruch“ (Pünder/Prieß, Hrsg., Schriftenreihe der Bucerius Law School, Carl Heymanns Verlag, 2005) – die Referate und Diskussionsbeiträge der Veranstaltung wieder, um sicher zu stellen, dass die Erörterungen die weitere Diskussion um die angemessene Ausgestaltung des Vergaberechts befruchten können.
Dankbar bin ich einmal wieder meinem Mitherausgeber Dr. Jans-Joachim Prieß, Freshfields Bruckhaus Deringer, Berlin, mit dem ich die Tagung gemeinsam konzipiert habe und der wichtige Kontakte hergestellt hat. Die Herausgeber danken den Referenten für die nicht selbstverständliche Bereitschaft, das Vorgetragene mit wissenschaftlicher Vertiefung für den Tagungsband zur Verfügung zu stellen. Dass die Veranstaltungsdokumentation mit einer gewissen Verspätung erscheint, hat auch damit zu tun, dass die Autoren beruflich sehr beansprucht sind. Um so mehr freue ich mich, dass schließlich alle geliefert haben. Dankbar bin ich auch meinen wissenschaftlichen Mitarbeitern Lars Burshille und Jens Gerlach für die anspruchsvolle Zusammenfassung der Diskussion. Weiter bin ich Florian Woitek für die Betreuung durch die „Bucerius Law School Press“ zu Dank verpflichtet. Ich bin froh, dass unser Verlag „open Access“-Initiativen unterstützt und auch das vorliegende Buch digital im Internet über den Gemeinsamen Bibliotheksverbund (GBV) zugänglich macht (http://www.gbv.de/dms/buls/825620481.pdf). Dies wird den wissenschaftlichen Diskurs hoffentlich bereichern. Vor allem aber danke ich Frau Anne Trebesius in meinem Sekretariat, die die Mühen der formalen Vereinheitlichung der Manuskripte auf sich genommen hat. Dies war kein leichtes Unterfangen.
Hamburg, im Mai 2015
Hermann Pünder
Inhalt
Vorwort
Eröffnung der Tagung Vergaberecht im Umbruch II – die neuen EU-Vergaberichtlinien und ihre Umsetzung(Hermann Pünder)
Öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit nach der Reform(Martin Schellenberg)
A. Einführung
B. Aktuelle Rechtslage
I. Die Inhouse-Rechtsprechung des EuGH
II. Umfang der erforderlichen Kontrollintensität
III. Anwendungsbereich der Mehrmütter-Kontrolle
IV. Anwendung des Kontrollkriteriums bei horizontaler und umgekehrt vertikaler Kontrolle
V. Reichweite des Verbots privater Beteiligung
VI. Reichweite des Wesentlichkeitskriteriums
VII. „Interkommunale Kooperation“
VIII. Zusammenfassung
C. Die Regelungen zur öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit in der Richtlinie 2014/24/EU
I. Umfang der erforderlichen Kontrollintensität
II. Konzernzurechnung und Mehrmütterkontrolle
III. Reichweite des Verbots privater Beteiligung
IV. Reichweite des Wesentlichkeitskriteriums
V. „Interkommunale“ Kooperation
D. Ergebnis
Eignung und Ausschluss nach der neuen Vergaberichtlinie(Hans-Joachim Prieß)
A. Einleitung
B. Eignung
I. Änderungen an der Regelungsstruktur
II. Anforderungen an die Wirtschaftsteilnehmer
1. Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit
2. Technische und berufliche Leistungsfähigkeit
III. Nachforderung von Eignungsnachweisen
IV. Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien
V. Eignungsleihe
VI. Prüfungsreihenfolge
VII. Einheitliche Europäische Eigenerklärung
VIII. e-Certis
C. Ausschluss und Selbstreinigung
I. Allgemeines
II. Ausschluss
1. Zwingende Ausschlussgründe
a. Rechtskräftige Verurteilung
b. Bisherige Ausschlussgründe
c. Neue Ausschlussgründe
d. Ausnahmen vom zwingenden Ausschluss
e. Zwingender Ausschluss als Kündigungsgrund
2. Fakultative Ausschlussgründe
a. Ausschluss wegen umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtlichen Verstoßes, Art. 57 Abs. 4 lit. a) Vergaberichtlinie
b. Ausschluss wegen Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz, Art. 57 Abs. 4 lit. b) Vergaberichtlinie
c. Ausschluss wegen schwerer beruflicher Verfehlung, Art. 57 Abs. 4 lit. c) Vergaberichtlinie
d. Ausschluss wegen Wettbewerbsverzerrung, Art. 57 Abs. 4 lit. d) Vergaberichtlinie
e. Ausschluss wegen Interessenkonflikts oder vorheriger Einbeziehung, Art. 57 Abs. 4 lit. e) und f) Vergaberichtlinie
f. Ausschluss wegen mangelhafter Vertragserfüllung, Art. 57 Abs. 4 lit. g) Vergaberichtlinie
g. Ausschluss wegen Täuschung im Vergabeverfahren, Art. 57 Abs. 4 lit. h) Vergaberichtlinie
h. Ausschluss wegen unzulässiger Einflussnahme, Art. 57 Abs. 4 lit. i) Vergaberichtlinie
i. Ermessen der Vergabestellen
3. Steuern und Sozialabgaben
4. Verhältnismäßigkeit
5. Nachweis des Nichtvorliegens von Ausschlussgründen
6. Ausschluss bei Eignungsleihe
III. Selbstreinigung
1. Geltende Rechtslage in Deutschland
2. Regelungen in den neuen Vergaberichtlinien
IV. Maximaler Zeitraum des Ausschlusses
D. Fazit
Neue und geänderte Verfahren und Verfahrensregelungen(Andreas Neun)
A. Überblick
B. Richtlinienübergreifende Neuerungen
I. Anwendung elektronischer Kommunikationsmittel
1. VRL und Sektoren-RL
a. Elektronische Verfügbarkeit der Auftragsunterlagen
b. Dynamische Beschaffungssysteme, elektronische Auktionen und elektronische Kataloge
c. Elektronische Vergabe durch zentrale Beschaffungsstellen
2. Konzessions-RL
II. Besondere Verfahrensregelungen für soziale und andere besondere Dienstleistungen
C. Konzessions-RL
I. Freie Gestaltung des Verfahrens zur Wahl des Konzessionsnehmers
II. Konzessionsbekanntmachung
D. Sektoren-RL
I. Wahl der Verfahren
II. Fristverkürzungen
E. VRL
I. Erläuterungen der Kommission zu den Verfahrensarten
II. Anhang XV zur VRL – „Entsprechungstabelle“
III. Verbindliche Umsetzung aller Verfahrensarten im mitgliedstaatlichen Recht
IV. Aufruf zum Wettbewerb mittels „Vorinformation“; Flexibilität für subzentrale öffentliche Auftraggeber?
V. Neuerungen für das offene Verfahren
VI. „Leichtere“ Anwendung des Verhandlungsverfahrens
VII. Strukturierung des Ablaufs des Verhandlungsverfahrens
VIII. Wettbewerblicher Dialog
IX. Innovationspartnerschaft
X. Verhandlungsverfahren ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb
F. Fazit
Zuschlag und Zuschlagskriterien: Die Komplexität nimmt zu(Martin Burgi)
A. Die bisherige Rechtslage
B. Die neuen Bestimmungen der VRL (RL 2014/24/EU)
I. Teilweise neue Systematik und Terminologie
II. Durchgehende Betonung des Auftragsbezugs
III. Neu: Die Vergabe nach den niedrigsten Kosten
IV. Neuerungen bei den leistungsbezogenen Zuschlagskriterien
V. Administrative Anforderungen
C. Bewertung der neuen Bestimmungen
I. Zum neuen Verhältnis der Zuschlagskriterien zueinander
II. Zur neuen Terminologie
III. Zum Lebenszykluskosten-Ansatz
IV. Zum Auftragsbezug
V. Zur Einbeziehbarkeit personalbezogener Kriterien
VI. Zum Verhältnis zu anderen Stufen des Vergabeverfahrens
D. Einzelne Herausforderungen für die Umsetzungsgesetzgebung
I. Der künftige Regelungsort
II. Das Verhältnis zum Thema Leistungsbeschreibung
III. Orientierung an der neuen EU-Begrifflichkeit
IV. Vorgaben für das Verhältnis zwischen finanziellen und leistungsbezogenen Kriterien
V. Zulassung personalbezogener qualitativer Kriterien
VI. Förderung einer nachhaltigen Beschaffungspolitik
E. Umgang mit ungewöhnlich niedrigen Angeboten
F. Fazit
Vertragsänderungen im reformierten EU-Vergaberecht(Wolfram Krohn)
A. Einleitung
B. Ausgangslage
C. Die Neuregelungen der neuen Richtlinien
I. Die Neuregelungen im Überblick
II. Die Fallgruppen im Einzelnen
1. Änderungen aufgrund von Überprüfungs- und Optionsklauseln
6. Unwesentliche Änderungen im Sinne der „Pressetext-Leitlinien“
III. Neu: Zwingende Kündigungsmöglichkeit bei Verstoß
D. Wie sollen wesentliche Vertragsänderungen ausgeschrieben werden?
E. Fazit
Das neue internationale Vergaberecht(Marc Opitz)
A. Einführung
B. Nutzung ausländischer zentraler Beschaffungsstellen
C. Gelegentliche gemeinsame Auftragsvergabe
I. Formen der gelegentlichen gemeinsamen Auftragsvergabe
II. Anwendbares Recht bei der gelegentlichen gemeinsamen Auftragsvergabe
D. Auftragsvergabe durch gemeinsame Einrichtungen
E. Rechtsschutz
F. Fazit
Mehr Regeln (und Ausnahmen): Die neue Konzessionsvergaberichtlinie(Roland M. Stein)
A. Einführung
B. Anwendungsbereich der Richtlinie
I. Persönlicher Anwendungsbereich
1. Öffentlicher Auftraggeber
2. Auftraggeber
II. Sachlicher Anwendungsbereich
1. Baukonzession
2. Dienstleistungskonzession
3. Abgrenzung der Baukonzession und Dienstleitungskonzession
4. Abgrenzung der Konzession zum Auftrag: Risikoübertragung
a. Art. 5 KVR
b. Erwägungsgründe
c. Vergleich zur bisherigen Rechtslage
III. Schwellenwerte
IV. Ausnahmen
1. Sektorenspezifische Ausnahmen
a. Art. 10 ff. KVR
b. Strom- und Gaskonzessionen
2. Für Auftraggeber geltende allgemeine Ausnahmen
C. Inhouse-Vergabe und Interkommunale Zusammenarbeit
I. Inhouse-Vergabe (vertikale Kooperation)
II. Interkommunale Zusammenarbeit (horizontale Kooperation)
D. Die Vergabe von Konzessionsverträgen
I. Arten der Vergabe
II. Besonderheiten des Vergabeverfahrens
1. Bekanntmachung
2. Verfahrensgarantien
3. Auswahl und qualitative Bewertung der Bewerber
4. Zwingender Ausschluss
a. Art. 38 Abs. 4 KVR
b. Art. 38 Abs. 5 KVR
c. Art. 38 Abs. 6 KVR
5. Fakultativer Ausschluss
6. Selbstreinigung
7. Zuschlagskriterien
III. Änderung von Verträgen
1. Zulässige Änderungen
2. Unzulässige (wesentliche) Änderungen
IV. Kündigung
E. Besonderheit: Beschränkung der Laufzeit
F. Rechtsschutz im Konzessionsvergabeverfahren
G. Fazit
Die neuen EU-Vergaberichtlinien – eine Außensicht: Vom Preis- zum Qualitätswettbewerb?(Marc Steiner)
I. Vorbemerkung
II. Kulturwandel im Vergaberecht?
III. Wie ist mit ungewöhnlich niedrigen Angeboten umzugehen?
IV. ILO-Kernarbeitsnormen als Thema des Vergaberechts
V. Mehreignung nach der EU-Richtlinie 2014/24/EU
VI. Der Begriff des wirtschaftlich günstigsten Angebots – eine der Schlüsselstellen des neuen EU-Vergaberechts
VII. Fazit
Eckpunkte zur Reform des Vergaberechts - Beschluss des Bundeskabinetts vom 7. Januar 2015(Thomas Solbach)
I. Ziele der Modernisierung des EU-Vergaberechts
II. Leitlinien der Umsetzung in das deutsche Recht
III. Neue Struktur des Vergaberechts
IV. Inhaltliche Schwerpunkte der Vergaberechtsmodernisierung
1. Vergabeverfahren vereinfachen und flexibler gestalten
2. Nachhaltige und innovative Beschaffung stärken
3. Regeln zur Eignungsprüfung vereinfachen
4. Arbeits- und sozialrechtliche Verpflichtungen beachten (insbesondere Tariftreue und Mindestlohn)
5. Freiräume für die öffentliche Hand erhalten
6. Vergabe von sozialen Dienstleistungen erleichtern
7. Mittelstandsfreundliche Vergabe gewährleisten
8. Den Belangen von Menschen mit Behinderungen Rechnung tragen
9. Wirtschaftskriminalität wirksam bekämpfen
10. Elektronische Kommunikation für das Vergabeverfahren nutzen
11. Verlässliche Datengrundlage für öffentliche Auftragsvergabe schaffen
V. Zeitplan der Umsetzung
Zur Umsetzung der neuen Vergaberichtlinien in Deutschland(Peter Schäfer)
A. Vorbemerkungen zu den zugrundeliegenden EU-Vergaberechtsreformen 2014
I. Reformen im Spannungsfeld widerstreitender Zielsetzungen
1. Intensivierung des Binnenmarktes versus Beschränkungen des Geltungsbereichs der Richtlinien
2. Vereinfachung des Rechtsrahmens versus verstärkte Kodifizierung der EuGHRechtsprechung
3. Erleichterungen für kleine und mittlere Unternehmen versus erweiterte Zulassung politischer Zielsetzungen
II. Reformen zwischen Kontinuität und Generalrevision
III. Reformen zwischen Zeitdruck und Komplexität
1. Eng gesetzte Zeitvorgaben
2. Komplexität und Grenzen der Beschleunigung
3. Beispiele
B. Zu besonders wesentlichen Reforminhalten
I. Zu den neuen Richtlinien für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Sektorenaufträgen
1. Besonders positiv zu beurteilende Reformergebnisse
a. Im Grundsatz unveränderter Geltungsbereich und Schwellenwerte
b. Erleichterungen bezüglich vom Bieter zu erbringender Nachweise
c. Ausdrückliche Klarstellungen zur „Selbstreinigung“
d. Stärkung des Prinzips des wirtschaftlich günstigsten Angebots
e. Deutlichere Bezugnahme auf die Lebenszykluskosten
2. Besonders negativ zu beurteilende Reformergebnisse
a. Erweiterte Ausnahmen von der Ausschreibungspflicht bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit
b. Vorschriften zur erweiterten Berücksichtigung allgemeiner politischer Vorgaben im Vergabewesen
aa. Staatliche Maßnahmen bezüglich der Einhaltung umwelt-, sozial- und arbeitsrechtlicher Pflichten der Wirtschaftsteilnehmer
bb. Verstärkte „strategische Vergabe“ bzw. Lockerung des Auftragsbezugs der Zuschlagskriterien
c. Zwingende Einführung der elektronischen Vergabe
d. Verkürzung der Mindestfristen für Teilnahmeanträge und Angebote
e. Zulassung von Direktzahlungen des Auftraggebers an den Unterauftragnehmer
II. Zur Konzessionsrichtlinie
1. Besonders positiv zu beurteilende Reformergebnisse
a. Explizite Vorab-Bekanntmachungspflicht nun auch für Dienstleistungskonzes sionen
b. Anwendbarkeit der Rechtsmittelrichtlinien
2. Besonders negativ zu beurteilende Reformergebnisse
a. Zu weit gehende Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit
b. Ausnahmen vom Geltungsbereich im Wassersektor
c. Erstreckung des Geltungsbereichs auf Sektorenauftraggeber
d. Stark gestiegener Gesamt-Regelungsumfang
III. Fazit
C. Zu wichtigen Gestaltungsspielräumen bei der nationalen Umsetzung
I. Generelle Anmerkungen
II. Zu wichtigen einzelnen Regelungen
1. Zur zwingenden Einführung der eVergabe
2. Zur öffentlich-öffentlichen Kooperation
3. Zur Wahl der Verfahrensarten und zum Vorrang des offenen Verfahrens
4. Zum Verhandlungsverfahren
5. Zu Mindestfristen für Teilnahmeanträge und Angebote
6. Zur „Innovationspartnerschaft“
7. Zu den Zuschlagskriterien bzw. zur erweiterten Zulassung allgemeiner politischer Vorgaben für den „spezifischen Herstellungsprozess“
D. Kurze Anmerkung zur Form der Umsetzung
I. Die beabsichtige politische Entscheidung
II. Einschätzung und Empfehlungen
E. Zusammenfassung
Diskussion zu den Referaten(Lars Burshille/Jens Gerlach)
1. Struktur des Vergaberechts
2. Kündigungsrecht bei wesentlichen Änderungen von Aufträgen
3. Interkommunale Zusammenarbeit
4. Zentrale Beschaffungsstellen und E-Vergabe
5. Verhältnis von Preis und Kosten zu qualitativen Zuschlagskriterien
6. Berücksichtigung externer, nicht produktbezogener Umweltauswirkungen
7. ILO-Kernarbeitsnormen
Eröffnung der Tagung Vergaberecht im Umbruch II – die neuen EU-Vergaberichtlinien und ihre Umsetzung
von
Professor Dr. Hermann Pünder, LL.M. (Iowa)*
Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich begrüße Sie – auch im Namen von Dr. Prieß – sehr herzlich zu unserem Kolloquium über die neuen EU-Vergaberichtlinien und ihre Umsetzung. Ich kann ja richtig froh sein, dass Sie hier sind. Der – wie es bei Spiegel-Online heißt – „unsympathischste Arbeitskampf Deutschlands“ – hat vielen, die sich angemeldet hatten, die Teilnahme unmöglich gemacht. Immerhin können die Bemitleidenswerten aber später auf unseren Tagungsband zurückgreifen und das, was hier gesagt und diskutiert wurde, in wissenschaftlicher Vertiefung nachvollziehen. Vielen Dank schon jetzt den Referenten, dass sie bereit sind, den Tagungsband mit zu gestalten.
Einige von Ihnen werden sich erinnern: Vor fast genau zehn Jahren haben Dr. Prieß und ich hier an der Bucerius Law schon einmal ein Symposium mit dem Titel „Vergaberecht im Umbruch“ veranstaltet.1 Auch damals ging es um ein umfassendes Reformpaket der Europäischen Union. Die Europäische Kommission war vor zehn Jahren ganz euphorisiert. Hoffnungsfroh meinte man, dass die öffentlichen Auftraggeber ihre Ausgaben für die Aufträge nach der Rechtsänderung um ein Zehntel drücken können werden und dann sei – so die Botschaft der Kommission – der EU-Stabilitätspakt kein Problem mehr.2 Dass es, was den Zustand der Staatsverschuldung in Europa angeht, so ganz anders gekommen ist, wissen wir alle. Ziel der neuen Richtlinien ist – in der etwas eigenartigen Begrifflichkeit der Europäischen Union – die „Erzielung eines intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstums bei gleichzeitiger Gewährleistung eines möglichst effizienten Einsatzes öffentlicher Gelder“. Ob das neue Recht diesem Anspruch genügt? Man darf gespannt sein.
Bitte erlauben Sie, dass ich die Referenten des heutigen Tages besonders begrüße: Dank gebührt
• Dr. Martin Schellenberg aus dem Hamburger Büro von Heuking, Kühn, Lüer, Wojtek, der uns sagen wird, in welchem Verhältnis das neue Recht über die – dem Vergaberecht entzogenen – vertikalen In-House-Geschäfte und horizontalen Kooperationen (Art. 11 AVR) zur bisherigen EuGH-Rechtsprechung steht;
• Dr. Hans-Joachim Prieß von Freshfields in Berlin, der uns nähere Hinweise zu Eignungskriterien (Art. 58 AVR), den Möglichkeiten der „Eignungsleihe“ (Art. 63 AVR) und zur neuen „Einheitlichen Europäischen Eignungserklärung“ (Art. 59 AVR) geben wird und sich dann den neuen Normierungen zum Ausschluss vom Vergabeverfahren (Art. 57 AVR) zuwenden und erläutern wird, inwieweit die neuen Regelungen über die sogenannten Selbstreinigungsmaßnahmen zur Wiederherstellung der Zuverlässigkeit (Art. 57 Abs. 6 AVR) der deutschen Rechtsprechung zur „Compliance“ im Vergaberecht entsprechen;
• Dr. Andreas Neun von Gleiss Lutz in Berlin, der die neuen Verfahrensregeln – etwa zum Einsatz elektronischer Kommunikationsmittel und zum Verhältnis der Verfahrensarten zueinander – analysieren und uns in diesem Zusammenhang sicher auch sagen wird, was von den neuen „Innovationspartnerschaften“ (Art. 31 AVR) zu halten ist;
• meinem lieben Kollegen Professor Martin Burgi von der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, der sich den Zuschlagskriterien zuwenden und dabei sicher auch klären wird, was es mit der neuen „Lebenszykluskostenrechnung“ (Art. 68 AVR) und dem „besten PreisLeistungsverhältnis“ (Art. 67 Abs. 2 AVR) auf sich hat und inwieweit die öffentlichen Auftraggeber – in Abkehr von der überkommenen strikten Trennung zwischen den personenbezogenen Eignungskriterien und den angebotsbezogenen Zuschlagskriterien – nach den neuen Regeln (Art. 66 Abs. 2) beim Zuschlag nun auch die Leistungsfähigkeit des Anbieters und seines Personals berücksichtigen können (was beim privatwirtschaftlichen Einkauf selbstverständlich ist);
• Dr. Wolfram Krohn aus der Berliner Kanzlei von Orrick, Herrington & Sutcliffe, der erläutern wird, wie das neue Vergaberecht mit Vertragserweiterungen, Vertragsänderungen und Vertragsverlängerungen sowie mit Überprüfungs- und Optionsklauseln umgeht (Art. 72 und 73 AVR);
• Dr. Marc Opitz, früher für das Vergaberecht bei der Deutschen Bahn zuständig und nun Rechtsanwalt bei Kapellmann in Frankfurt, der unseren Blick auf die bislang kaum geregelte gemeinsame Auftragsvergabe durch Auftraggeber aus verschiedenen Mitgliedstaaten lenken und die Frage beantworten wird, ob die Auftraggeber mit dem neuen Recht (Art. 38 und 39) – wie es in den Erwägungsgründen heißt – das Potential des Binnenmarktes durch grenzüberschreitende Beschaffungen nun besser ausschöpfen können;
• Dr. Roland Stein von Freshfields in Berlin, der auf das im Normsetzungsprozess so besonders umstrittene und deshalb nun so besonders spannende Recht der Konzessionsvergaben eingehen wird;
• Herrn Marc Steiner, der in der Schweiz am Bundesverwaltungsgericht tätig ist und heute der Frage nachgehen wird, was von den neuen Richtlinien – genauer und in seinen Worten: vom „Kulturwandel im Vergaberecht“ – aus der Sicht eines Außenstehenden zu halten ist;
• Dr. Thomas Solbach, der die Bundesregierung bei den Verhandlungen der EU-Vergaberichtlinien vertreten hat und nun im Bundeswirtschaftsministerium für die Umsetzung der Richtlinien verantwortlich ist und daher in der Podiumsdiskussion mit besonderer Aufmerksamkeit rechnen kann;
• Dr. Peter Schäfer vom Bundesverband der Deutschen Industrie, der die Sicht der betroffenen Unternehmen in die Diskussion einführen wird;
• und schließlich noch einmal Martin Burgi, der in der Podiumsdiskussion als Wissenschaftler auf keinerlei externe Interessen Rücksicht nehmen muss, was der Diskussion sicher gut tun wird.
Meine Damen und Herren. Ist es eigentlich ein gutes Zeichen für den Zustand des Rechtsgebietes, dass es zehn Jahre nach dem letzten europäischen „Legislativpaket zur Modernisierung des Vergaberechts“ schon wieder zu einer Reform kommt? Man mag dies bezweifeln. Immerhin kam die Umsetzung der letzten Reformrichtlinien in Deutschland erst 2010 zum Abschluss. Man fühlt sich an den „kleinen Häwelmann“ erinnert, der immer „Mehr! Mehr!“ verlangte. Dass diese Wünsche bei dem Jungen zu einem Desaster geführt haben, kann man in dem 1849 verfassten Märchen von Theodor Storm nachlesen. Martin Burgi schrieb kürzlich in einem Editorial zur Umsetzung der neuen EU-Vergaberichtlinien: „Ein Rechtsgebiet wird erwachsen“.3 Hoffen wir, dass dies nun endlich der Fall sein wird, wenn Deutschland das neue EU-Recht umgesetzt hat. Hoffen wir, dass das Vergaberecht nun bald zur Ruhe kommt. Erwachsen sind Menschen, wenn sie die Unsicherheiten und Schrecken der Pubertät hinter sich haben und sich mit einer gewissen Gelassenheit und Sicherheit in ihrem Umfeld bewegen können, weil sie wissen, worauf es ankommt. Das mag man sich auch für das Vergaberecht wünschen: dass das Rechtsgebiet bald so gestaltet ist, dass alle Beteiligten wissen, worauf es ankommt, und dass sie mit Selbstbewusstsein darauf vertrauen können, dass sie keine Fehler machen. Derzeit ist das – was der Blick auf die Judikatur der vielfältigen deutschen und europäischen Spruchkörper zeigt – nicht der Fall. Unser Rechtsgebiet ist derzeit in keinem guten Zustand.
Ob sich die deutschen Normgeber im Vergaberecht aus Anlass der Umsetzung der neuen europäischen Regeln endlich zu einer durchgreifenden Vereinfachung des Vergaberechts durchringen? Vieles ließe sich vereinheitlichen und „vor die Klammer ziehen“. Dies entspräche nicht nur der guten deutschen Kodifikationskultur, sondern auch den Erfordernissen der Praxis. Klare Regelungen werden allen Beteiligten – den öffentlichen Auftraggebern, den an den Aufträgen Interessierten und den Nachprüfungsinstanzen – nützen und zugleich in der Bevölkerung das Bewusstsein stärken, dass es bei der Vergabe öffentlicher Aufträge mit rechten Dingen zugeht.
Verfassungsrechtlich geboten ist es, dass der Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen selbst trifft. Die Einzelheiten kann – und muss – der Verordnungsgeber normieren. Dabei mögen die interessierten Wirtschaftskreise ihre Expertise – etwa in Sachverständigenanhörungen nach § 70 Abs. 1 Satz 1 GOBT oder Beteiligungen nach § 47 GGO – einbringen. Das ist der verfassungsrechtlich angemessene Weg. Jedenfalls dürfen die traditionellen „Verdingungsausschüsse“ – der „Deutsche Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen“ (DVA) und der „Deutsche Vergabe- und Vertragsausschuss für Lieferungen und Dienstleistungen“ (DVAL) – keine Veto-Position haben. Die für das Vergaberecht zuständigen staatlichen Stellen stehen vor großen Herausforderungen. Hoffentlich sind sich die dort Tätigen ihrer demokratischen und rechtsstaatlichen Verantwortung bewusst!
So richtig viel Hoffnung habe ich nicht. Lesen Sie doch mal im Tagungsband zum letzten Kolloquium den Beitrag von Fridhelm Marx, damals Leiter der Unterabteilung Wettbewerb und Preispolitik im Bundeswirtschaftsministerium, nach.4 Schon damals wurde eine „Verschlankung und Vereinfachung des Vergaberechts in Deutschland“ versprochen. Und dass das Versprechen nicht eingehalten wurde, wissen wir alle.
Meine Damen und Herren! Für England soll es eine empirische Untersuchung geben, wonach mehr Arbeitszeit mit Begrüßungsansprachen als mit Streiks verloren geht. Heute, wo uns die kleine „Gewerkschaft der Lokführer“ das Leben schwermacht, ist diese Erkenntnis ja besonders pikant. Ich will daher schnell zum Schluss kommen. Die Manege ist frei. Lieber Martin Schellenberg: Beginne mit Deinem Vortrag.
* Der Autor ist Universitätsprofessor und Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Verwaltungswissenschaften und Rechtsvergleichung an der Bucerius Law School in Hamburg.
1Hermann Pünder/Hans-Joachim Prieß (Hrsg.), Vergaberecht im Umbruch, Hamburger Kolloquium zum Öffentlichen Wirtschaftsrecht in der Bucerius Law School am 30. September 2004, Schriftenreihe der Bucerius Law School, Carl Heymanns Verlag, 2005.
2 Vgl. Hermann Pünder, Begrüßung und einleitende Problemskizze, in: Pünder/Prieß (Hrsg.), Vergaberecht im Umbruch, 2005, S. 1.
3Martin Burgi, Ein Rechtsgebiet wird erwachsen: Zur Umsetzung der neuen EU-Vergaberichtlinien, ZHR 178 (2014), S. 2 ff.
4Fridhelm Marx, Verschlankung und Vereinfachung des Vergaberechts, in: Pünder/Prieß (Hrsg.), Vergaberecht im Umbruch, 2005, S. 23 ff.
Öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit nach der Reform
von
RECHTSANWALT DR. MARTIN SCHELLENBERG*
A. Einführung
B. Aktuelle Rechtslage
I. Die Inhouse-Rechtsprechung des EuGH
II. Umfang der erforderlichen Kontrollintensität
III. Anwendungsbereich der Mehrmütter-Kontrolle
IV. Anwendung des Kontrollkriteriums bei horizontaler und umgekehrt vertikaler Kontrolle
V. Reichweite des Verbots privater Beteiligung
VI. Reichweite des Wesentlichkeitskriteriums
VII. „Interkommunale Kooperation“
VIII. Zusammenfassung
C. Die Regelungen zur öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit in der Richtlinie 2014/24/EU
I. Umfang der erforderlichen Kontrollintensität
II. Konzernzurechnung und Mehrmütterkontrolle
III. Reichweite des Verbots privater Beteiligung
IV. Reichweite des Wesentlichkeitskriteriums
V. „Interkommunale“ Kooperation
D. Ergebnis
A. Einführung
Mit Art. 12 der Richtlinie 2014/24/EU sind erstmalig Fragen der Zulässigkeit öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit vergaberechtlich kodifiziert worden. Der Richtliniengeber hat dies für erforderlich gehalten, weil in den Mitgliedsstaaten eine „erhebliche Rechtsunsicherheit“ diesbezüglich herrsche. Insbesondere werde die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unterschiedlich ausgelegt. Daher beabsichtige man mit der Richtlinie eine „Präzisierung“ dieser Rechtsprechung.1
Doch mit einer Präzisierung ist es nicht getan. Im Folgenden wird dargelegt, dass der EuGH auch nach insgesamt 122 einschlägigen Entscheidungen nicht zu einer eindeutigen Linie gefunden hat. Auch in Deutschland ist die vergaberechtliche Spruchpraxis3 widersprüchlich geblieben und wurde in der Literatur4 vielfach kritisiert.
Vor diesem Hintergrund wird nun mit Art. 12 der neuen Richtlinie erstmalig eine gesetzliche Regelung öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit verankert. Es ist zu erwarten, dass der deutsche Gesetzgeber diese Regelung ohne Änderungen in das GWB übernehmen wird.
Die folgende Analyse zeigt allerdings, dass das gesetzgeberische Ergebnis teilweise enttäuscht: Unklarheiten der EuGH-Rechtsprechung wurden in die Richtlinie übernommen. Die Regelungsmechanik ist teilweise inkonsistent und daher ist es nach wie vor teilweise unklar, wann öffentliche Hände vergabefrei zusammenarbeiten dürfen. In einer Reihe von Punkten hat die Richtlinie jedoch auch klare Vorgaben geschaffen.
B. Aktuelle Rechtslage
Ob öffentliche Hände ausschreibungsfrei zusammenarbeiten dürfen, beurteilt sich nach aktuellem Recht auf der Grundlage einer Auslegung des Begriffs „öffentlicher Auftrag“.5 Er ist in § 99 Abs. 1 GWB enthalten und stammt aus Art. 1 (2)a der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG. Der EuGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass auch Verträge zwischen öffentlichen Händen grundsätzlich öffentliche Aufträge i.S.d. Regelung sein können.6
Allerdings sollen die Mitgliedsstaaten bei der Gestaltung ihrer internen Organisation frei sein. Insbesondere enthält der AEUV keinen Zwang zur Privatisierung.7 Daher darf auch das Vergaberecht die öffentliche Hand nicht dadurch zwingen, Aufgaben zu privatisieren, dass sie interne Kooperationen verbietet und stattdessen eine Ausschreibung vorschreibt.8
I. Die Inhouse-Rechtsprechung des EuGH
Umgesetzt hat der EuGH das oben beschriebene Regelungsziel zunächst durch die „Inhouse-Regeln“. Diese bereits 1999 in der Teckal-Entscheidung9 formulierten Regeln besagen, dass eine ausschreibungsfreie Zusammenarbeit innerhalb der öffentlichen Hand über die Grenzen juristischer Personen hinweg nur zulässig sein soll, wenn der Auftraggeber den Auftragnehmer „wie seine eigene Dienststelle“ kontrolliert.10 Dazu war zum einen erforderlich, dass der Auftraggeber gegenüber dem Auftragnehmer rechtlich vermittelte Durchgriffs- und Weisungsrechte besitzt.11 Zum anderen dürfen keine privaten Gesellschafter am Auftragnehmer beteiligt sein.12 Schließlich muss der Auftragnehmer im Wesentlichen für den Auftraggeber tätig werden.13 Hierdurch soll eine Marktverzerrung ausgeschlossen werden. Eine Marktverzerrung wird vermutet, wenn ein Unternehmen „wesentlich“ am Markt im Wettbewerb mit anderen privaten Marktteilnehmern agiert und zugleich ausschreibungsfrei öffentliche Aufträgen erhält.14
Diese Restriktionen betreffen nicht nur zivilrechtliche Verträge. Auch die Übertragung einer öffentlichen Aufgabe oder ein öffentlich-rechtlicher Vertrag können vergaberechtlich als öffentlicher Auftrag qualifiziert werden.15
II. Umfang der erforderlichen Kontrollintensität
Zweifelhaft ist, ob die Dienststellen-Eigenschaft erfüllt ist, wenn das Auftragnehmer-Unternehmen über gesetzlich oder vertraglich eingeräumte Freiräume verfügt. Diskutiert wird dies insbesondere bei der Kontrolle über eine Aktiengesellschaft16 aufgrund der gesetzlich vorgesehenen Autonomie der Organe. Beispiel: Eine Kommune ist alleinige Aktionärin einer Stadtwerke AG. Sie beauftragt die AG mit der Stromlieferung. Aufgrund der aktienrechtlich garantierten Weisungsfreiheit des Vorstandes gegenüber den Aktionären könnte zweifelhaft sein, ob die Kommune die AG wie ihre eigenen Dienststellen kontrollieren kann. Der EuGH hat sich hierüber nicht abschließend geäußert. In Bezug auf staatliche Universitäten hat das Gericht 2014 allerdings entschieden, dass Universitäten aufgrund der verfassungsrechtlich garantierten Wissenschaftsfreiheit nicht inhousefähig sind.17 Zu klären ist also, welche Kontrollintensität erforderlich ist, um die Inhouse-Fähigkeit zu erhalten.
III. Anwendungsbereich der Mehrmütter-Kontrolle
Bis heute unsicher ist, wie die Dienststellen-gleiche Kontrolle ausgestaltet sein muss, wenn mehrere Auftraggeber an dem Auftragnehmer beteiligt sind. In der Praxis kommt dies häufig vor, da Kommunen oder Kreise Zweckverbände gründen, um gemeinsam IT- oder Abfalldienstleistungen für ihre Mitglieder zu erbringen. Der EuGH hat klargestellt, dass die Kontrolle nicht notwendig innerhalb einer privatrechtlichen Gesellschaft erfolgen muss: Ein Zweckverband oder ein anderes öffentlich-rechtliches Vehikel kann ebenso Gegenstand der gemeinsamen Kontrolle sein.18 Welche konkreten Mechanismen allerdings im Einzelnen zur Wahrnehmung der Kontrolle bei mehreren Gesellschaftern erforderlich sind, ist nach wie vor nicht vollständig geklärt.
Einer zweifelsfreien Auslegung im Wege steht, dass sich der EuGH früh darauf festgelegt hat, dass auch mehrere Auftraggeber einen Auftragnehmer „wie eine eigene Dienststelle“ kontrollieren können.19 Der EuGH wollte damit offensichtlich plastisch aufzeigen, dass ein Inhouse-Geschäft nur dann zulässig ist, wenn kein materieller Unterschied zwischen der verwaltungsinternen Aufgabenerfüllung und einer Organisationsprivatisierung besteht. Steht der Auftragnehmer in einem entsprechenden Abhängigkeitsverhältnis zu dem Auftraggeber wie dessen interne Dienststellen, dann ergibt eine Ausschreibungspflicht zwischen beiden keinen Sinn.
Es ist jedoch zweifelhaft, ob diese Anleihe an die verwaltungsrechtliche Terminologie geeignet ist, Kontrollverhältnisse zwischen voneinander rechtlich unabhängigen juristischen Personen abzubilden. Die Abhängigkeit einer Dienststelle drückt sich verwaltungsrechtlich in der Fachaufsicht aus. Die nachgeordnete Dienststelle unterliegt nicht nur einer Rechtmäßigkeitskontrolle. Jede ihrer Entscheidungen kann unter Zweckmäßigkeitserwägungen durch die vorgesetzte Dienststelle revidiert werden.20 Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob dieses Bild hier passt: Eine direkte Übertragung der Fachaufsicht auf die Inhouse-Kontrolle scheidet bereits deshalb aus, weil es das verwaltungsrechtliche Institut der Fachaufsicht nur für Verwaltungseinheiten gibt, eine Fachaufsicht z.B. über eine GmbH existiert nicht.21 Wie erwähnt, hat sich der EuGH deshalb auch mit der Frage befassen müssen, ob Aktiengesellschaften aufgrund ihrer organschaftlichen Verfassung inhouse-fähig sein können und wie die Kontrolle bei einer der Wissenschaftsfreiheit unterliegenden Universität beschaffen sein muss.22 Mit dem Dienststellenkriterium lassen sich derartige Fälle nicht lösen.
Vollends sinnlos wird das Dienststellenkriterium für die Beurteilung der Kontrolle über einen Auftragnehmer durch mehrere Auftraggeber, da eine geteilte Dienstherreneigenschaft dem Verwaltungsrecht fremd ist.23
IV. Anwendung des Kontrollkriteriums bei horizontaler und umgekehrt vertikaler Kontrolle
Ebenfalls ungeklärt ist bisher, ob innerhalb eines öffentlichen Konzerns nur das Mutterunternehmen an das Tochterunternehmen ausschreibungsfrei Aufträge erteilen darf.2425