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Vögel und Säugetiere
Haupt Verlag
1. Auflage 2017
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie: detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Copyright © 2017 Haupt Bern
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Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, D-Stuttgart
Satz: Die Werkstatt Medien-Produktion GmbH, D-Göttingen
Grafiken: Sabine Seifert, Satz/Grafik/Lektorat, D-Stuttgart
Trotz intensiver Recherchen war es nicht in allen Fällen möglich, die Rechteinhaber der Abbildungen ausfindig zu machen. Berechtigte Ansprüche werden selbstverständlich im Rahmen der üblichen Vereinbarungen abgegolten.
E-Book Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim
UTB-Band-Nr.: 8675
ISBN 978-3-8463-8675-0
«Weshalb ein solches Buch schreiben?» fragte der Autor eines in diesem Buch mehrfach zitierten Standardwerks in seinem Vorwort. Schließlich favorisieren die akademischen Institutionen nicht die Produktion von Büchern, sondern jene von Beiträgen in wissenschaftlichen Zeitschriften, weil diese heute die anerkannten Einheiten im System der Leistungsbewertung sind. Er folgerte aber, dass es dennoch gute Gründe gebe, die Schaffenskraft auch einmal in ein Lehrbuch zu stecken. Manche Einzelfragen lösten sich erst durch ihre Einbettung in den größeren Zusammenhang, und die umfassendere Perspektive, die ein Buch biete, gäbe oft auch Anlass zu neuen Fragen. Und ein Kapitelgutachter schrieb mir: «Ein Lehrbuch hat einen viel nachhaltigeren Effekt als 20 Zeitschriftenartikel.» Diesen Aussagen schließe ich mich gerne an. Letztlich hat dieses Buch dieselbe Entstehungsgeschichte wie zahlreiche Bücher vor ihm: Es ging aus dem Skript einer langjährig gehaltenen Vorlesung, im vorliegenden Fall an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich ETHZ, hervor. Das Skript seinerseits entstand, weil kein entsprechendes Lehrbuch existierte, das die Vorlesung hätte begleiten können.
Welche Nische füllt also dieses Buch? Es möchte eine moderne Einführung in die Ökologie der Wirbeltiere mit Schwerpunkt Vögel und Säugetiere sein, die zunächst auf Studierende im Übergangsbereich von der Bachelor- zur Masterstufe ausgerichtet ist, daneben aber von einem weiten Kreis von Fachleuten in Wissenschaft und Praxis (Wildtiermanagement, Naturschutz etc.) als Fachbuch zum Thema genutzt werden kann. Fischbiologen und Herpetologen mögen mir die liberale Verwendung des Begriffs «Wirbeltiere» verzeihen, der im Untertitel dann auf Vögel und Säugetiere eingegrenzt wird. Die taxonomische Fokussierung auf die beiden endothermen Wirbeltiergruppen erlaubt bei vielen Themen eine in sich geschlossene Betrachtungsweise. Innerhalb der Vögel und Säugetiere wird versucht, über die Wahl der Beispiele allen höheren taxonomischen Einheiten Raum zu gewähren. Dass Herbivoren und größere Prädatoren in einzelnen Kapiteln etwas übervertreten sind, ist zu einem Teil beabsichtigt, zu einem andern aber eine Folge des ungleichen Forschungs- und Kenntnisstands über die verschiedenen verwandtschaftlichen Gruppen.
Auf der Sachebene ist es mir ein Anliegen, nicht nur die Breite der ökologischen Themen einigermaßen abzudecken, sondern auch gewissen Themen mehr Gewicht zu geben, die in anderen Ökologiebüchern eher stiefmütterlich behandelt werden. Das betrifft etwa ökophysiologische und verhaltensökologische Aspekte der Ernährung, evolutionsbiologische Grundlagen des Reproduktionsverhaltens, Wanderungen, die ausführliche Behandlung der Prädation oder von Parasitismus und Krankheiten sowie die Fokussierung auf exemplarische Themen der Naturschutzbiologie.
Bezüglich der Gewichtung von Theorie und empirischen Befunden wird versucht, eine Balance zu halten. Die Themen werden über die Theorie eingeführt und diese, wenn möglich, in einem evolutionsbiologischen Kontext besprochen. Wichtig ist mir stets, dass die Theorie durch empirische Evidenz gestützt wird – wo diese fehlt, wird auch die Theorie nicht weiter ausgeführt. Wo aber Befunde reichlich vorhanden sind, werden sie in der Art eines kurzen Reviews besprochen. Das Kapitel 9 ist ein gutes Beispiel: Es geht nicht nur darum, welche verschiedenen Effekte Prädation theoretisch haben kann, sondern auch darum, wie häufig diese verschiedenen Effekte tatsächlich sind.
Der geografische Fokus ist grundsätzlich global; entsprechend sind die Beispiele und zitierten Arbeiten ausgewählt, wobei natürlich die über die Kontinente ungleich verteilte Forschungsintensität abgebildet ist. Gelegentlich wird allerdings ein Thema bewusst mit einem geografischen Schwerpunkt behandelt, so etwa im Kapitel «Naturschutzbiologie».
Ein Wort ist auch zur verwendeten Literatur angebracht. Die verbreitete Praxis, nur neueste Arbeiten zu zitieren, wird oft kritisiert, weil sie zum «Wiederkäuen» von Ideen führt und so die eigentliche Autorschaft der Ideen verleugnet. Obwohl ich die Kritik teile, halte ich es hier genauso, aber aus anderem Grund. Das Buch soll nämlich auch helfen, dem Leser oder der Leserin die Literatur aufzuschließen, und da eignen sich die neuesten Artikel besser, denn mit ihnen als Startpunkt kann man sich zurückarbeiten. Deshalb machen Artikel ab dem Jahr 2000 den größten Teil der hier zitierten Literatur aus. Etwas ältere Arbeiten werden zitiert, wenn es sich um bedeutende Einzelarbeiten oder Reviews handelt oder wenn seither nichts Gleichwertiges zum Thema mehr erschienen ist. Zitierte Arbeiten mit Erscheinungsjahr vor 1980–1985 sind in der Regel Klassiker, in denen wichtige neue Ideen, Theorien und Konzepte begründet wurden.
Die intensive Verwendung jüngster Literatur lässt auch Raum für neueste Ideen, sich abzeichnende Entwicklungen, oder die Infragestellung von bisher akzeptierten «Wissen», auch wenn diese den Test der Zeit noch nicht bestanden haben. In diesem Fall versuche ich, die spekulative Natur entsprechender Aussagen im Text klar auszudrücken, zum Beispiel durch: «Neueste Ergebnisse deuten darauf hin, dass …». Dem erwähnten Aufschließen der (englischsprachigen) Literatur dienen auch zwei weitere Merkmale: Erstens wird bei wichtigen Fachbegriffen immer auch die englische Version in Klammer angefügt, und zweitens werden am Schluss der Kapitel die wichtigsten (englischen, in Einzelfällen auch deutschen) Lehrbücher zum Thema vorgestellt, zusammen mit einem Kommentar bezüglich Inhalt und Ausrichtung – eine subjektive Note ist dabei natürlich nicht zu vermeiden.
Eine letzte Erklärung verlangt auch eine andere Eigenheit des Textaufbaus: die teilweise ungewöhnlich langen Abbildungsunterschriften. Die Abbildungen (und wenigen Tabellen) sollen nicht nur die Aussagen im Lauftext illustrieren, sondern diesen auch vertiefen und ergänzen. Besonders lange Abbildungsunterschriften verfolgen oftmals einen Gedanken, der den Fluss des Lauftextes sprengen würde. Größeren Exkursen sind hingegen die eingestreuten Boxen gewidmet.
Der Anforderungen an ein Lehrbuch sind viele, aber eine der wichtigsten ist die inhaltliche Richtigkeit. Ich durfte auf die großzügige Hilfe einer großen Zahl von Kollegen und Kolleginnen zählen, die ganze Kapitel oder Teile davon begutachteten, Fehler und Unstimmigkeiten identifizierten, Literaturhinweise gaben oder zeigten, wie sich der Text verbessern ließ. Mein herzlicher Dank diesbezüglich geht an Einhard Bezzel (Staatliche Vogelschutzwarte, Garmisch-Partenkirchen), Claudia Bieber (Veterinärmedizinische Universität Wien), Kurt Bollmann (Eidgenössische Forschungsanstalt WSL), Roland Brandl (Philipps-Universität Marburg), Bruno Bruderer (Schweizerische Vogelwarte Sempach), Marcus Clauss (Universität Zürich), Marco Heurich (Nationalpark Bayerischer Wald), Ueli Hofer (Naturhistorisches Museum der Burgergemeinde Bern), Markus Jenny (Schweizerische Vogelwarte Sempach), Petra Kaczensky (Veterinärmedizinische Universität Wien), Peter M. Kappeler (Georg-August-Universität Göttingen/Deutsches Primatenzentrum), Felix Liechti (Schweizerische Vogelwarte Sempach), Rachel Muheim (Universität Lund), Peter Neuhaus (University of Calgary), Gilberto Pasinelli (Schweizerische Vogelwarte Sempach), Roland Prinzinger (Goethe-Universität Frankfurt am Main), Heinz Richner (Universität Bern), Kathreen E. Ruckstuhl (University of Calgary), Michael Schaub (Schweizerische Vogelwarte Sempach), Fritz Trillmich (Universität Bielefeld), Kristina Vogt (KORA Raubtierökologie und Wildtiermanagement, Muri), Raffael Winkler (Naturhistorisches Museum Basel) und Barbara Zimmermann (Hedmark University College). Für weitere Verbesserungen am Text bin ich Lukas Jenni, Rolf Holderegger, Martin Obrist und Thomas Sattler dankbar. Fehler im Text, welche alle Aktionen zu ihrer Ausmerzung überstanden haben, sind allein meine Schuld. Sachdienliche Hinweise nehme ich sehr gerne unter werner.suter@wsl.ch entgegen.
Auch bei der Beschaffung der Abbildungen durfte ich große Unterstützung genießen. Aus dem Archiv der Schweizerischen Vogelwarte Sempach stellten Christian Marti und Marcel Burkhardt eine Anzahl Fotos verschiedener Autoren unentgeltlich zur Verfügung. Weitere Abbildungen verdanke ich Joel Berger, Tim Blackburn, Kurt Bollmann, Isabella Capellini, Maria Dias, Tzung-Su Ding, Peter und Rosemary Grant, Marcus Hamilton, Walter Jetz, Johannes Kamp, Brian McNab, Ken Nagy, Stuart Phinn, Matt Rayner, Patrick Robinson, Heiko Schmaljohann, Josef Senn, Claire Spottiswoode, Marius van der Merwe, Rory Wilson und Raffael Winkler. Raphaël Arlettaz, Claudia Müller und Beat Naef-Daenzer stellten Datensätze zur Verfügung, während Marianne Haffner, Alena Klvaňová und Brian Sullivan die Herstellung weiterer Abbildungen ermöglichten. Ihnen allen gilt ebenfalls mein Dank.
Seitens des Haupt Verlags Bern wurde ich stets zuverlässig und auf zuvorkommende Weise von Regine Balmer und Martin Lind begleitet, welche für die sorgfältige Gestaltung und Produktion dieses Buchs einstanden. Für die Erstellung verschiedener Grafiken danke ich Sabine Seifert, für das Layout des Buches der Werkstatt Medien-Produktion (Göttingen) und Claudia Bislin für das Korrektorat.
Um auf den Beginn des Vorworts zurückzukommen: Ich bin meiner Arbeitgeberin, der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL sehr dankbar, dass sie mir großzügig die Arbeitszeit einräumte, die für die Entstehung dieses Werks notwendig war. Und zum Schluss ‒ und ganz besonders ‒ danke ich meiner Frau Dorothee für ihr Verständnis und ihre Geduld, wenn zum wiederholten Male «das Buch» wieder Priorität über die familiären Angelegenheiten beanspruchte.
Birmensdorf, Ende April 2017
Abb. 1.0 Impala (Aepyceros melampus) mit Rotschnabel-Madenhackern (Buphagus erythrorhynchus)
Dieses kurze Kapitel stellt einige grundlegende Charakteristika von Vögeln und Säugetieren (auch: Säugern) vor, soweit sie später im weiteren ökologischen Zusammenhang Bedeutung haben. Wie viele Arten existieren weltweit? Was ist eine Art überhaupt? So einfach der Umgang mit Arten ist, so schwierig wird die Definition, wenn sie allumfassend sein soll. Deshalb existieren verschiedene Artkonzepte.
Auch ein Blick auf die Systematik der Vögel und Säugetiere lohnt sich: Säugetiere sind eine monophyletische Einheit, weil sie auf einen einzigen Vorfahren zurückgehen, während das «Gegenstück» dazu jene der Reptilien ist; die Vögel bilden eine Linie innerhalb der Reptilien. Sie unterscheiden sich aber von den übrigen Reptilien durch die Endothermie; dieses Merkmal haben sie mit den Säugetieren gemeinsam. Die Fähigkeit, eine konstante Körpertemperatur aufrechtzuerhalten, ist von großer ökologischer Bedeutung und hat zur Folge, dass die Lebensweisen von Vögeln und Säugetieren in vielen wichtigen Punkten vergleichbar sind. Deshalb kann ihre Ökologie gut in einem Buch gemeinsam besprochen werden.
In manchen Teilen ihrer morphologischen Ausstattungen unterscheiden sich Vögel und Säugetiere jedoch, sodass sich auch unterschiedliche ökologische Anpassungen entwickelt haben. Man muss sich zudem bewusst sein, dass viele Vögel und Säugetiere über Sinnesleistungen verfügen, die uns Menschen ohne technische Hilfsmittel verborgen bleiben. So können sie etwa die entsprechenden Signale in einem weiteren Frequenzbereich wahrnehmen (Schall und Licht), oder sie besitzen Rezeptoren für Signale, die uns weitgehend fehlen (zum Beispiel für elektrische Felder oder Erdmagnetismus). Oft lassen sich Eigenheiten der Verhaltensökologie nur verstehen, wenn diese Fähigkeiten bekannt sind.
Die äußere Isolationsschicht ist bei Vögeln (Federn) weit aufwendiger als bei Säugetieren (Haare) beschaffen. Deren jährliche Erneuerung – Mauser respektive Haarwechsel – greift deshalb bei Vögeln viel nachhaltiger als bei Säugetieren in den Jahreszyklus ein, denn die energetischen Kosten bedingen eine genaue zeitliche Einpassung zwischen Fortpflanzung und Zug, die beide ebenfalls kostenintensiv sind. Der letzte Teil dieses Kapitels ist daher der Mauser der Vögel gewidmet.
Wenn wir zu Beginn unserer Beschäftigung mit der Ökologie der Vögel und Säugetiere zunächst wissen wollen, wie viele Vogel- und Säugetierarten es überhaupt gibt oder, korrekter ausgedrückt, wie viele wissenschaftlich beschrieben sind, so ist die Antwort einfach: Die Artenzahl der «höheren» Wirbeltiere ist im Gegensatz zu jener der Pflanzen und wirbellosen Tieren einigermaßen überschaubar. Gemäß der Zusammenstellung durch die Weltnaturschutzorganisation IUCN («The World Conservation Union»: International Union for Conservation of Nature and Natural Resources) sind es gegenwärtig gut 10 400 Vogelarten und 5 500 Säugetierarten. Die Zahlen für Reptilien (in der traditionellen Klassifikation; Kap. 1.2) und Amphibien liegen mit 10 400 respektive gut 7 500 Arten in derselben Größenordnung. Diesen stehen aber über 33 000 Fischarten, 1,3 Mio. Arten von Wirbellosen und über 310 000 Pflanzenarten gegenüber (http://www.iucnredlist.org/about/summary-statistics).
Auch die Zahl der jährlichen Neuentdeckungen von Vögeln und Säugetieren hält sich in Grenzen. Seit dem Jahr 2000 wurden jährlich 3–8 Vogelarten neu entdeckt sowie etwa 24 Säugerarten neu beschrieben (Reeder et al. 2007). Die letztere Zahl enthält auch taxonomische Revisionen – das heißt, die Zahl bekannter Arten steigt auch dadurch, dass bereits beschriebene Formen oder Unterarten neu in den Artrang erhoben werden. Der Anstieg der Zahl der Vogelarten in den vergangenen 30 Jahren von etwa 9 000 auf den heutigen Wert ist größtenteils auf solche Revisionen zurückzuführen. Diese gründen einerseits darauf, dass mit besseren Daten vermehrt relevante biologische Unterschiede zwischen vordergründig ähnlichen Taxa aufgedeckt werden («taxonomic progress»; Sangster 2009), andererseits aber auch darauf, dass unabhängig vom favorisierten Artkonzept (Box 1.1) vermehrte Bereitschaft herrscht, solche Unterschiede stärker zur Artabgrenzung zu gewichten (de Queiroz 2007).
Box 1.1 Artkonzepte
Wenn wir von einer Art (species) sprechen, wie das auch in diesem Buch auf praktisch jeder Seite mehrfach geschieht, machen wir uns in der Regel keine Gedanken zur Definition des Konzepts «Art». Gerade bei Vögeln und Säugetieren sind viele der Arten, mit denen wir im wissenschaftlichen oder im praktischen Tagesgeschäft zu tun haben, als biologische Einheit genügend stark von verwandten Formen abgegrenzt, sodass keine Schwierigkeiten bei deren Einordnung als eigene Art auftreten. Manchmal ist die Differenzierung zwischen verwandten Formen aber undeutlich. Dann stellt sich die Frage, welche Kriterien verwendet werden sollen und wie stark sie zu gewichten sind, um einer Form Artrang zuzugestehen oder sie allenfalls als Unterart (subspecies) einer anderen Art zu führen. Teilweise ist dieser Vorgang abhängig davon, welche Definition der Art man anwendet. Eine stringente Definition, die allen Resultaten evolutionärer Prozesse gerecht wird, gibt es nicht, und so sind im Lauf der Zeit über 20 verschiedene Artkonzepte entwickelt worden. Diese lassen sich in drei Gruppen einteilen (Kunz 2012):
1. Das morphologische (phenetische) Artkonzept beruht lediglich auf dem numerischen Vergleich gemeinsamer Merkmale; eine Art umfasst die Individuen mit größter Kovariation zwischen vorhandenen und fehlenden Merkmalen. Im Vergleich zu den folgenden beiden Konzeptgruppen stützt sich dieses Konzept nicht auf die biologischen Prozesse, die zur Artbildung beigetragen haben. Die Taxonomie fossiler Arten muss notgedrungen auf diesem Konzept basieren.
2. Das biologische Artkonzept (in erweiterter Form das Genfluss-Konzept) definiert eine Art als eine Gruppe natürlicher Populationen, die sich untereinander kreuzen können und von anderen Gruppen reproduktiv isoliert sind; die Isolationsmechanismen sind in der Biologie der Organismen (und nicht der Geografie) begründet. Das biologische Artkonzept wurde vom deutsch-amerikanischen Zoologen Ernst Mayr begründet (Mayr 1942, 1963) und ist in einer etwas weiter entwickelten Form, zumindest bei der Beschäftigung mit Wirbeltieren, das verbreitetste Konzept.
3. Das phylogenetische (kladistische) Artkonzept ist explizit evolutiv ausgerichtet: Eine Art besteht aus einer Gruppe von Organismen, die alle denselben gemeinsamen direkten Vorfahren besitzen.
Die phylogenetische Systematik ist bezüglich der Klassifizierung aller höheren Einheiten unangefochten; in ihr ist das Kladogramm (Abb. 1.1) die einzige Grundlage des Systems (Systematik) und der Klassifikation. Die Identifizierung der Verzweigungspunkte ist aber, wie Abbildung 1.1 zeigt, selbst bei höheren Einheiten nicht immer eindeutig möglich; bei der Artabgrenzung kann es dann schnell eine Frage des subjektiven Empfindens sein, wo die letzte Verzweigung angesetzt wird. Im Vergleich dazu ist das Kriterium des Genflusses des biologischen Artkonzepts wesentlich eindeutiger (Lee 2003). Deshalb funktioniert das biologische Artkonzept auf der lokalen Ebene recht gut, weil sympatrische (das heißt zusammen vorkommende) Arten in der Regel morphologisch und verhaltensbiologisch recht gut differenziert sind. Probleme ergeben sich hingegen bei der Betrachtung in größeren Räumen, wo geografische Variation zu spielen beginnt und sich graduell reproduktive Isolation zwischen allopatrischen (das heißt räumlich getrennten) Populationen einstellt. Wo also soll die Trennlinie gezogen werden, die zwei Arten definiert? Man hat deshalb am Beispiel der Vögel versucht, basierend auf einem biologischen Artkonzept, hierzu quantitative Kriterien festzulegen (Tobias et al. 2010). Das zunehmend akzeptierte System (del Hoyo & Collar 2014) beruht darauf, dass die Differenzierung zwischen sympatrischen Arten anhand verschiedener Merkmale quantifiziert wird, womit sich dann Schwellenwerte für die Artabgrenzung bei allopatrischen und parapatrischen (räumlich sich anschließenden) Formen kalibrieren lassen (Tobias et al. 2010).
In der klassischen, lange gültigen Systematik bildeten Vögel (Klasse Aves) und Säugetiere (Klasse Mammalia) zusammen mit den Reptilien, Amphibien, Knochen- und Knorpelfischen den Unterstamm Kiefertiere innerhalb des Stamms der Chordatiere. Nach heutigem Stand des Wissens ist die hierarchische Ordnung, welche die Stammesgeschichte repräsentieren soll, wesentlich differenzierter; in einigen Fällen besteht Uneinigkeit (Abb. 1.1).
Vögel sind näher mit den Krokodilen als den übrigen Reptilien verwandt und leiten sich aus einer Gruppe der Dinosaurier (Theropoda) ab; man kann sie auch direkt als Dinosaurier bezeichnen (Padian & de Ricqlès 2009). Säugetiere können fossil etwas weiter zurückverfolgt werden als echte Vögel; frühe Formen existierten bereits neben den (nicht vogelartigen) Dinosauriern in bemerkenswerter Diversität. Sowohl Vögel als auch Säugetiere sind nach gegenwärtigem Wissensstand monophyletisch, das heißt, sie gehen je auf einen einzigen Vorfahren zurück. Die traditionelle Gruppierung «Reptilien» ohne die Vögel ist – phylogenetisch gesehen – eine paraphyletische Einheit, weil sie unter den Vorfahren und einige, aber (mit dem Ausschluss der Vögel) nicht alle Nachfahren enthält.
Auch wenn Vögel mit den Säugetieren weniger nahe verwandt sind als mit anderen Reptilientaxa, haben sie mit den Säugetieren ein Merkmal gemeinsam, das sie von den übrigen Tieren unterscheidet: die Entwicklung einer differenzierten Isolationsschicht an der Körperoberfläche, welche die Endothermie (Homöothermie) ermöglicht (Kap. 2.1, Box 2.1). Die Fähigkeit, unabhängig von den Schwankungen der Außentemperatur eine konstante Körpertemperatur aufrechtzuerhalten, ist ökologisch äußerst bedeutsam und hat zu vielen Gemeinsamkeiten in den Lebensstrategien von Vögeln und Säugetieren geführt. Natürlich zeigen diese auch bedeutsame Unterschiede im Körperbau, welche die Lebensstrategien beeinflussen und letztlich ökologische Konsequenzen nach sich ziehen. Tabelle 1.1 liefert einen Überblick über die wichtigsten Unterschiede; die ökologischen Folgen sind aber mit Ausnahme des Federwechsels bei den Vögeln (Kap. 1.4) in den entsprechenden Folgekapiteln näher erläutert.
Abb. 1.1 Kladogramm der Wirbeltiere: Ein Kladogramm ist ein mit den Methoden der phylogenetischen Systematik (Box 1.1) erstellter, sich dichotom verzweigender Stammbaum (phylogenetic tree), der die stammesgeschichtlichen Beziehungen von systematischen Einheiten (= Taxa) wiedergibt. Jede Verzweigung ist durch mindestens ein neues evolutionäres Merkmal (Apomorphie) charakterisiert. Das vorliegende Kladogramm ist eine konservative Schätzung der Phylogenie (Stammesgeschichte) der Wirbeltiere, widerspiegelt aber die Übereinstimmung zwischen morphologischen und molekularen Daten. Wo Differenzen und damit Unsicherheiten über den Verzweigungspunkt (Knoten, node) bestehen, sind sie als Polytomien angegeben, das heißt als Knoten, die durch mehr als zwei Verzweigungen gebildet werden (Abbildung verändert nach Meyer & Zardoya 2003; verändert gemäß Heimberg et al. 2010 und Oisi et al. 2013).
Tab. 1.1 Morphologische Unterschiede zwischen Vögeln und Säugern und daraus resultierende (verhaltens-) ökologische Konsequenzen. Die ersten drei Kriterien werden generell als die wichtigsten differenzierenden Merkmale betrachtet. Neben den aufgeführten Kriterien bestehen weitere anatomische Unterschiede, zum Beispiel beim Knochenbau oder bei der Anordnung des Blutkreislaufs, der die Sauerstoffaufnahme beeinflusst.
Auch wenn es in diesem Buch um die Ökologie der Vögel und Säugetiere und nicht um Körperbau und -funktionen geht, ist es dennoch sinnvoll, sich im Rahmen der Ökologie auch über die von den Vögeln und Säugetieren erbrachten Sinnesleistungen Rechenschaft abzulegen. Ganz allgemein lässt sich sagen, dass bei Vögeln vor allem Gesichtssinn und Gehör (Licht und Schallwellen als Signale), bei Säugern neben dem Gehör primär Geruchs- und Geschmackssinn (chemische Signale) gut ausgebildet sind. Manche Verhaltensweisen benötigen aber weitere Sinnesleistungen und sind nur erklärbar, wenn man die zugrunde liegenden Mechanismen der Wahrnehmung kennt. Man läuft schnell Gefahr zu vergessen, dass Vögel oder Säugetiere – bei aller Ähnlichkeit zu uns Menschen – auch Signale empfangen können, die uns Menschen ohne technische Hilfsmittel verborgen bleiben (Stevens M. 2013). Zum einen ist das wahrnehmbare Frequenzspektrum von Licht und Schallwellen bei Tieren oft weiter als beim Menschen. Zum anderen nehmen Vögel und Säugetiere auch gänzlich andere Formen von Signalen wahr, die wir selbst mangels genügend empfindlicher Rezeptoren nicht empfangen können. Dies gilt in großem Maße für das Orientierungsvermögen, bei dem das Erkennen elektromagnetischer Felder eine wichtige Rolle spielt; die dafür benötigten Sinnesorgane sind noch wenig bekannt (Weiteres in Kap. 6.3 und 6.8). Auch der Tastsinn von Vögeln, die im Schlamm verborgene Invertebraten und Beute aufspüren können, die sich in einiger Entfernung von der Schnabelspitze befinden, gehört dazu (Cunningham et al. 2010). Einige vorwiegend aquatisch lebende Säugetiere besitzen Elektrorezeptoren, mit denen sie elektrische Signale niedriger Spannung erkennen können, wie sie zum Beispiel bei der Muskelkontraktion von Beutetieren abgegeben werden (Stevens M. 2013; Abb. 1.2). Die folgende kurze Darstellung illustriert spezifische Sinnesleistungen von Vögeln und Säugetieren anhand weniger Beispiele zu den drei klassischen Sinnen, Riechen, Sehen und Hören. Für eine umfassendere Übersicht siehe etwa Stevens M. (2013).
Abb. 1.2 Das australische Schnabeltier (Ornithorhynchus anatinus) sucht im schlammigen Grund von trüben Gewässern Nahrung und hält beim Schwimmen die Augen geschlossen. Die Beute findet es mithilfe seiner über 50 000 Elektrorezeptoren, die auf dem Schnabel sitzen und aus Hautdrüsen entstanden sind (Czech-Damal et al. 2013).
Chemische Signale
Die guten olfaktorischen Leistungen der Säugetiere sind wohlbekannt. Dass aber auch Vögel über den Geruch wichtige Informationen aufnehmen können, ist erst über neuere Forschung erhellt worden. Die Orientierung über Geruchsgradienten kommt in Kapitel 6.8 zur Sprache. Aber auch in anderen Zusammenhängen können Vögel chemische Signale nutzen. So finden insektenfressende Vögel Raupen, weil deren Laubfraß volatile Stoffe aus den Blättern freisetzt, oder erkennen Hausgimpel (Haemorhous mexicanus) umgekehrt die Präsenz von ihren Prädatoren am Geruch (Amo et al. 2013, 2015). Auch beim Sozialverhalten verschiedener Vögel findet Kommunikation über olfaktorische Signale statt (Bonadonna & Mardon 2013).
Licht und Sehvermögen
Die Fähigkeit, Licht im ultravioletten Bereich (UV) wahrzunehmen, ist bei Tieren weit verbreitet. Viele Säugetiere scheinen sie zwar im Laufe der Evolution verloren zu haben, doch findet man entsprechende Rezeptoren in der Netzhaut von verschiedenen nachtaktiven Arten (Vaughan et al. 2015), vor allem bei Fledermäusen (Zhao et al. 2009). Auch Vögel besitzen solche Rezeptoren und benutzen UV-Licht in verschiedenen Situationen, etwa bei der Nahrungssuche (Yang et al. 2016), besonders aber bei der Partnerwahl. Viele Arten, unter ihnen zum Beispiel Papageien, besitzen Federpartien, die ultraviolettes Licht entweder reflektieren oder es absorbieren und mit größerer Wellenlänge wieder abstrahlen (Fluoreszenz). Bei Königs- und Kaiserpinguinen (Aptenodytes patagonicus, A. forsteri) wurden UV-reflektierende Stellen am Schnabel entdeckt (Jouventin et al. 2005). Solche leuchtenden Flecken sind Teil der Ornamentierung, mit denen Individuen (vorwiegend Männchen) um die Gunst von Geschlechtspartnern werben (Kap. 4.8). Zur Fähigkeit der Vögel, das Polarisationsmuster von Licht zu nutzen, siehe Kapitel 6.8.
Schall und Hörvermögen
Auch bei Schallwellen vermögen manche Vögel und Säugetiere solche oberhalb (Ultraschall) oder unterhalb (Infraschall) des durch Menschen wahrnehmbaren Frequenzbereichs zu hören. Kommunikation im Ultraschallspektrum ist etwa bei kleinen Nagetieren, Fledermäusen und Walartigen verbreitet, während Elefanten (Loxodonta sp.) und gewisse Wale die weittragenden Infraschallwellen nutzen können (Stevens M. 2013). Die meisten Fledermäuse und Zahnwale (Abb. 1.3) sind zudem zu Echoortung (echolocation, biosonar) fähig. Diese Technik ist in einfacherer Form auch von einigen anderen Säugetieren und von in Höhlenkomplexen brütenden Vögeln (hauptsächlich kleinen Seglern) entwickelt worden. Echoortung ist ein aktiver Sinn, indem Schall sehr hoher Frequenz ausgestoßen und mit dem zurückgeworfenen Echo verglichen wird, was räumliche Orientierung oder das Auffinden von Beute ermöglicht (Fenton 2013; Klemas 2013; Madsen & Surlykke 2013).
Vögel und die meisten Säugetiere machen, auch wenn sie ausgewachsen sind, im Laufe des Jahres periodische morphologische Veränderungen durch. Diese können so bedeutende Organe wie den Verdauungsapparat betreffen, dessen Masse je nach Nahrung und allfälliger anderweitiger Belastung (etwa bei ziehenden Vögeln: Kap. 6.7) erhöht und verkleinert werden kann (Piersma & van Gils 2011). Auch der Auf- und Abbau von Fettvorräten (Kap. 2.7 und 4.1) führt bei vielen Arten zu periodischen Veränderungen der Körpermasse. Solche sind in der Regel bei Arten, die in saisonalen Klimazonen leben, ausgeprägter als bei tropischen Arten.
Für den Betrachter sind oft die Veränderungen am auffälligsten, die mit dem jahreszeitlichen Wechsel des Haar- oder Federkleids einhergehen. Die gegenwärtigen Funktionen von Federn und Haaren stehen nicht notwendigerweise in Zusammenhang mit der Evolution der Endothermie (Kap. 2.1), auch wenn ihr Beitrag zur Isolation respektive Thermoregulation des Körpers eine der wichtigsten Funktionen ist (Ruben & Jones 2000). Eine weitere Funktion sowohl von Federn als auch Haaren ist optischer Natur, indem Färbungsmuster Signale aussenden oder auch das Gegenteil bewirken sollen, nämlich ihre Träger zu tarnen. Bekannt ist der Wechsel von Braun im Sommer zu Weiß im Winter bei kleineren, bodenlebenden Arten schneereicher Gebiete, sowohl von Vögeln als auch von Säugetieren (Abb. 1.4).
Abb. 1.3 Fledermäuse und Zahnwale (hier Zügeldelfine, Stenella frontalis) haben die Fähigkeit zur Echoortung unabhängig voneinander entwickelt, funktionell aber sehr ähnliche Lösungen gefunden (Madsen & Surlykke 2013).
Federn oder Haare neu zu bilden, bringt energetische Kosten mit sich. Bei Haaren sind sie vergleichsweise gering, sodass der Haarwechsel parallel zu anderen aufwendigen Tätigkeiten der Säugetiere, wie Austragen und Säugen der Jungen stattfinden kann. Die Bildung einer neuen Federgeneration bei Vögeln, Mauser (moult/molt) genannt, ist demgegenüber ein ungleich aufwendigeres Ereignis im Jahreszyklus, das bezüglich seiner zeitlichen Einpassung und der Geschwindigkeit des Ablaufs enge Koordination mit anderen energetisch kostspieligen Verrichtungen wie der Fortpflanzung und den Wanderungen erfordert.
Abb. 1.4 Verschiedene Hasenarten hoher Breiten wechseln zwischen braunem Haarkleid im Sommer und praktisch weißem im Winter (im Bild ein Schneehase, Lepus timidus, im Haarwechsel). Gute zeitliche Abstimmung des Umfärbens mit der Schneeschmelze ist wichtig, damit die Tarnwirkung der Fellfärbung optimal bleibt. Beim ähnlichen Schneeschuhhasen (Lepus americanus) wurde gezeigt, dass die wöchentliche Überlebensrate von Individuen mit unangepasster Fellfarbe bis zu 7 % geringer war als jene von Artgenossen, deren Fellfärbung der Umgebung entsprach (Zimova et al. 2016).
Abb. 1.5 Indischer Schlangenhalsvogel (Anhinga melanogaster), ein Verwandter der Kormorane, schwimmt häufig mit eingetauchtem Körper. Viele tauchende Wasservögel können ihr Gefieder stärker anpressen, wodurch Luft entweicht, sodass der Auftrieb geringer ausfällt.
Grundsätzlich ist die Mauser eine Folge davon, dass Federn sich abnutzen und deshalb regelmäßig ersetzt werden müssen. In der Regel geschieht das einmal im Jahr. Federn würden zwar etwas länger als ein Jahr funktionstüchtig bleiben, werden aber vor ihrem Verfalldatum erneuert. Die Mauser ist also nicht eine Reaktion auf ein bereits abgenutztes Gefieder, sondern eine Prävention gegen zu starke Abnutzung. Ausgelöst wird die Mauser nicht durch den Grad der Abnutzung, sondern wie andere jahresperiodische Vorgänge durch einen inneren Zeitgeber.
Funktionen des Federkleids
Neben den beiden bereits erwähnten Funktionen, Isolation und Signal- respektive Tarnwirkung, kommt den Federn entscheidende Bedeutung bei der Fortbewegung und Steuerung zu.
1. Die Isolation des Körpers gegenüber der Außentemperatur und der Schutz gegen eindringendes Wasser geschieht hauptsächlich über die kleinen, den Kopf, Hals, Bauch und Rücken sowie die Flügel und Schenkel bedeckenden Federn, die in ihrer Gesamtheit als Kleingefieder (body plumage) bezeichnet werden. Bei Wasservögeln ist dieses Gefieder dichter als bei Landvögeln und wird auch stärker eingefettet (Abb. 1.5).
2. Zum Fliegen kommen die größeren Federn am Flügel, die sogenannten Schwungfedern oder Schwingen (remiges) zum Einsatz, die in die distal liegenden Handschwingen (primaries) und proximal liegenden Armschwingen (secondaries) unterteilt werden. Die großen Schwanzfedern (rectrices) dienen hingegen primär der Steuerung im Flug und beim Tauchen. Zusammen werden diese Federn als Großgefieder bezeichnet (Abb. 1.6).
3. Färbung und Musterung des Gefieders haben zudem eine optische Funktion. Braune, oft dunkler gemusterte Federkleider dienen dazu, den Vogel weniger gut sichtbar zu machen, meistens im Sinne einer Tarnung (crypsis) vor Prädatoren; vor allem Weibchen und auch Jungvögel tragen ein solches Gefieder (Abb. 1.7). Bei Arten, die eine mehrjährige Jugendentwicklung durchmachen, wie etwa die größeren Möwen (Abb. 1.8), dient ein solches Gefieder auch zur Beschwichtigung adulter Geschlechtsgenossen. Es drückt aus, dass die immaturen (unausgefärbten) Träger dieses Kleids keine Konkurrenten bei der Partnersuche darstellen, womit sie sich Aggression vonseiten der Adulten ersparen. Optisch auffällige Gefieder besitzen dagegen Signalwirkung und kommen mehrheitlich bei Männchen vor (Abb. 1.7). Sie sind in der Regel das Ergebnis von sexueller Selektion und sollen dem Geschlechtspartner oder Konkurrenten die eigenen Qualitäten vor Augen führen (Kap. 4.8). Vögel in Regenwäldern können beide Funktionen – Krypsis und auffällige Signale – auch in einem Gefieder kombinieren (Gomez & Théry 2007). Auffallende Färbungsmuster sind bei Arten, die Inseln bewohnen, im Vergleich zu nahverwandten Arten auf dem Festland reduziert. Es wird angenommen, dass solche Muster auch der intraspezifischen Arterkennung dienen und dass aufgrund der geringeren Artenzahl auf Inseln der Selektionsdruck für entsprechende Differenzierung kleiner ist (Doutrelant et al. 2016).
Gefiederfolgen
Die zeitliche Abfolge der verschiedenen Gefieder im Leben eines Vogels ist das Resultat der periodischen Federwechsel und geschieht in festgelegter Weise. Das Grundmuster ist folgendes: Bereits im Ei oder dann während der Nestlingszeit wird in der Regel das Dunenkleid (natal down) angelegt, das aus Dunenfedern besteht und im Laufe des Jugendwachstums schnell durch das Jugendkleid (juvenile plumage), das erste Kleid aus «richtigen» Federn ersetzt wird. Auch dieses ist nur von kurzer Dauer; bald darauf folgt das Ruhekleid, oft auch Winter- oder Schlichtkleid (winter oder non-breeding plumage) genannt. Viele Arten tragen dieses Kleid ganzjährig, andere wechseln vor der Brutzeit ins Brutkleid respektive Pracht- oder Sommerkleid (summer oder breeding plumage). Anschließend alternieren in diesem Fall Winter- und Brutkleid. Bei größeren Arten folgen nach dem Jugendkleid noch weitere Immaturkleider; alle sind «schlichter» als Adultkleider (Abb. 1.8). Vögel in solchem Gefieder werden als «unausgefärbt» bezeichnet.
Abb. 1.6 Der landende Basstölpel (Morus bassanus; oben) demonstriert, wie Hand- und Armschwingen je spezifische Aufgaben beim Landemanöver übernehmen; auch die verschiedenen Reihen von Deckfedern, die normalerweise eine Schutzschicht für die Schwingenbasen bilden, unterstützen den Bremsvorgang. Unter Belastung nützen sich die Federn ab. Besonders deutlich kommt dies beim zerschlissenen Gefieder des Nepalhaubenadlers (Nisaetus nipalensis) im Bild unten zum Ausdruck. Dieser Greifvogel schlägt bodenlebende Beute im Wald und stürzt sich dabei mit Wucht durch das Unterholz.
Abb. 1.7 Deutliche Unterschiede in der Gefiederfärbung zwischen den Geschlechtern zeigen sich beim Kalifasan (Lophura leucomelanos). Das braune Gefieder des Weibchens (links) wirkt als Tarnkleid während des Brütens im Bodennest, während das auffälligere blauschwarzweiße Gefieder des Männchens vor allem Signalfunktion im Kontext des Paarungsverhaltens besitzt.
Die hier verwendete traditionelle Nomenklatur der Gefieder ist auf die Verhältnisse der temperierten Gebiete abgestimmt. Eine vor allem in Nordamerika gebräuchliche Benennung verwendet hingegen genereller anwendbare Bezeichnungen, die nur auf die Abfolge, nicht jedoch auf Zeitpunkt, Färbung oder Funktion der Gefieder Bezug nimmt. Das Grundgefieder, das auf das Jugendkleid folgt, ist das basic plumage (entspricht dem Ruhekleid), das allfällige zweite Kleid im Jahr (bei Adulten das Brutkleid) ist das alternate plumage. Die adulten Gefieder werden als definitive, die immaturen Gefieder (Abb. 1.8) als first, second etc. (basic oder alternate) bezeichnet oder, falls es sich um Zwischengefieder ohne spätere Entsprechung handelt, als formative. Die Mauser wird nach dem Gefieder benannt, das sie bewirkt: Die pre-juvenile molt führt zum juvenile plumage, die pre-basic molt zum basic plumage und die pre-alternate molt zum alternate plumage (Howell 2010).
Mausertypen und -strategien
Die Mauser ist meist ein geordneter und zeitlich regelmäßiger Prozess, der aber – je nach dem zu bildenden Gefieder – unterschiedliche Gefiederpartien erfasst. Bei der Vollmauser werden sowohl Körperfedern als auch Schwung- und Steuerfedern erneuert, bei einer Teilmauser meist nur das Kleingefieder, allenfalls noch einzelne Schwanzfedern. Die Anzahl Mausern pro Jahr und deren Umfang sind artspezifisch, auch wenn innerhalb einer Art eine gewisse Variation möglich ist. Vereinfacht lassen sich, unter Einbezug des Zeitpunkts des Mauserns, vier Mauserstrategien unterscheiden:
1. Eine jährliche Vollmauser nach der Brutperiode. Viele große Vögel, aber auch der Großteil der Singvögel, verfolgen diese Strategie (Abb. 1.9).
2. Eine Vollmauser nach der Brutperiode und eine Teilmauser vor der Brutperiode. Diese Strategie ermöglicht das Anlegen eines bunteren Brutkleids, doch folgen ihr auch Arten, deren Winter- und Brutkleider sich nicht auffällig unterscheiden.
3. Eine Teilmauser nach der Brutperiode und eine Vollmauser vor der Brutperiode; vor allem bei Singvögeln, die weite Distanzen ins Winterquartier ziehen und dort die Vollmauser durchmachen.
4. Zwei jährliche Vollmausern, eine vor und eine nach der Brutperiode. Diese Strategie ist auf wenige Arten beschränkt.
Diese Strategien können komplizierter ausfallen, wenn etwa Zugvögel eine begonnene Mauser während des Zugs unterbrechen (suspended moult) und erst nach Ankunft im Winterquartier weiterfahren oder wenn das Großgefieder so langsam erneuert wird, dass die einzelnen Mauserperioden nicht mehr gegeneinander abgrenzbar sind. Verschiedene Vogelarten wechseln zudem bestimmte Federgruppen mehr als 2-mal jährlich. Solches kann beim einzelnen Vogel schnell zu einem komplizierten Muster unterschiedlich erneuerter Federn führen.
Geschwindigkeit der Mauser
Während der Ersatz der Körperfedern relativ unproblematisch ist, kann die Mauser der Schwung- und Steuerfedern während einiger Zeit die Flugfähigkeit beeinträchtigen. Ist das aufgrund der Lebensweise inakzeptabel, so bieten sich zwei Lösungen an: Entweder verläuft die Mauser radikal, dafür aber sehr schnell, oder sie verläuft sehr schonend, dafür aber sehr langsam.
1. Sehr schnelle Mauser erfordert den weitgehend gleichzeitigen Ersatz aller Schwungfedern. Dies resultiert zwar in einem vollständigen Verlust der Flugfähigkeit, der aber nur kurz dauert. Eine solche Lösung praktizieren Arten, die sich vor Prädatoren in Sicherheit bringen können, etwa indem sie sich in sehr dichter Bodenvegetation (Rallen) oder auf offenem Wasser aufhalten, wo sie bei Gefahr wegtauchen oder sich in die Ufervegetation zurückziehen (Wasservögel wie Enten und Lappentaucher oder gewisse Meeresvögel). Bei ihnen dauert die Flugunfähigkeit je nach Körpergröße zwischen wenigen und über 50 Tagen. Verschiedene Enten und andere Wasservögel fliegen oft weite Distanzen zu günstigen Gewässern, die genügend Schutz und Nahrung bieten, um dort zu mausern (Mauserzug; Kap. 6.4).
2. Vor allem große Arten und solche, die viel segeln, verteilen den Wechsel der Schwungfedern auf zwei oder mehr Jahre. Jedes Jahr wird ein Teil der Schwungfedern erneuert, dann folgt eine Mauserpause. Im nächsten Jahr geht die Mauser dort weiter, wo sie zuvor gestoppt wurde. Gleichzeitig beginnt sie aber am Anfangspunkt des Vorjahres erneut. Es laufen also gleichzeitig zwei bis drei oder sogar vier Mauserwellen über den Flügel, was zu einem unregelmäßigen Muster von alten (ausgebleichten) und neuen (frischen) Federn führt. Diese Art zu mausern heißt Staffelmauser und kommt unter anderen bei Adlern, Geiern, Störchen, Pelikanen (Abb. 1.10) und Albatrossen vor.