Buchcover

Lothar Streblow

Murru, das Murmeltier

SAGA Egmont




„Die Frage nach dem tierlichen Bewußtsein hat die Menschen schon immer gefesselt, weil Haus- und Wildtiere gleichermaßen unsere Bewunderung und Neugier erregen. Sie verlocken uns dazu, in ihre Haut zu schlüpfen und uns vorzustellen, wie ihr Leben sein mag.“

Donald R. Griffin


„Gefühle sind es, die alle Kreatur dazu drängt, etwas zu tun oder, wenn es ängstliche Stimmungen sind, etwas zu unterlassen.“

Vitus B. Dröscher

Murrus erster Ausflug

Es war still hier oben, dicht über der Waldgrenze, ein stiller heller Morgen im Bergsommer. Über schroffen Felsgraten stand ein hoher blauer Himmel, wolkenlos und klar. Weiß glitzerte Schnee auf den Gipfeln, flirrend im grellen Licht. Am steilen Südhang glühte die Sonne das nackte Gestein, ließ die sprühenden Kaskaden des Gletscherbachs aufschimmern. Darunter leuchtete es bunt von zahllosen Blüten in den saftgrünen Bergmatten. Und das Rauschen des zu Tal strömenden Wildwassers störte die Stille nicht.

Der alte Murmelbär auf seinem Felsbrocken am Rand der Matte verharrte bewegungslos, wirkte mit seiner plumpen Gestalt von weitem fast wie ein abgebrochener Baumstumpf. Doch er blieb wachsam, nichts entging ihm. Die samtschwarzen Dohlen auf der Suche nach Kerbtieren und Würmern bildeten keine Gefahr, auch die Alpenbraunelle nicht und der Tannenhäher, der von den von Arven und Lärchen umstandenen Steilufern unten vom Bergbach herüberstrich.

Nur zwischen den Auswurfhügeln der Murmelkolonie rührte sich etwas. Die Jährlinge tollten spielerisch mit den Halbwüchsigen über den Hang. Sie verließen sich auf die Wachsamkeit ihres Vaters.

Auch ihre Mutter nutzte den Frieden des warmen Bergmorgens. Tief drinnen im Erdbau drängte sie ihre diesjährigen Jungen durch die Röhre nach draußen. Es wurde Zeit für den ersten Ausflug ins Freie. Und das Wetter war günstig. Doch nur zögernd folgten die Kleinen, ein wenig ängstlich noch, die vertraute Geborgenheit zu verlassen.

Vorsichtig schob Murru seine kleine Nase in den Ausgang. Die unverhoffte Helligkeit schmerzte in seinen nur das Dunkel der Höhle gewohnten Augen. Erschrocken krabbelte er rückwärts. Doch er kam nicht weit, die anderen drängten nach. Er mußte hinaus, ob er wollte oder nicht. Trockenes Gras vom Schlafkessel haftete in seinem grauen Kinderpelz. Und als Mangi, seine Schwester, ihn ungestüm von hinten stupste, setzte er zögernd seine winzigen Pfoten auf den erdigen Rand.

Hier draußen roch es so ganz anders als drinnen im Bau. Und sein Blick verlor sich in der Weite. Sehr fremdartig wirkte diese Welt. Doch dann entdeckte er seine älteren Geschwister. Und hoch oben auf dem Fels die aufrechte Gestalt seines Vaters. Das beruhigte ihn. Und er probierte ein paar unbeholfene Schritte durch das duftende Gras.

Das war ein seltsames Gefühl an den Pfoten. Zwischen den Halmen haftete noch die Feuchtigkeit. Und auch Murrus Nase wurde naß. Doch das störte ihn nicht, er leckte das Wasser einfach ab. Nur schmeckte es nicht so gut wie die Milch seiner Mutter. Langsam tappelte er weiter, näherte sich einer Blüte. Neugierig schnupperte er daran, stieß mit seiner kleinen Nase davor.

Plötzlich ertönte ein tiefes Gebrumm. Im Blütenkelch wurde es lebendig. Ein gelbgestreiftes Etwas stieg auf, surrte aufdringlich um Murrus Ohren. Entsetzt stob Murru davon. Bienen kannte er ja noch nicht. Und verzweifelt suchte er den Weg zur Höhle.

In diesem Augenblick hob seine Mutter ihren pelzigen Kopf über den Erdwall. So schnell er konnte, rannte Murru auf sie zu, purzelte vor Aufregung über einen losen Stein, der kollernd unter ihm fortrollte. Das machte Murru noch ängstlicher. Ein schwacher Klagelaut drang aus seiner Kehle. Endlich erreichte er die schützende Nähe seiner Mutter. Und aufatmend barg er sich an ihrem weichen Fell.

Das Murmelweibchen sah Murrus Angst. Fürsorglich beugte sie sich zu ihm herab, rieb zärtlich ihr Gesicht an seinem kleinen Kopf. Murru spürte ihre vertraute Wärme, und er hielt sich mit seinen winzigen Pfoten ganz fest. Diese fremde Welt hier draußen war ihm unheimlich.

Seine Mutter wandte unruhig den Kopf. Sie hob den Oberkörper, richtete sich auf den Hinterbeinen auf und beobachtete aufmerksam ihre anderen Kinder, die in der Nähe des Ausgangs herumtobten. Zwei allerdings fehlten: zwei kleine Murmelbären. Die beiden hatten ihre ersten Lebenswochen im Bau nicht überstanden. Um so sorgfältiger achtete die Mutter nun auf ihre übrigen drei. Nur einen kurzen Augenblick lang ließ sie Murru aus den Augen.

Geschickt nutzte Murru das aus, um hinter dem Erdwall schleunigst wieder in die Höhle zu flüchten. Seine Mutter aber bemerkte seine Flucht. Energisch trieb sie ihn wieder ins Freie. Nach der langen Zeit im Bau brauchte Murruendlich Sonne. Und er mußte lernen, sich draußen zurechtzufinden.

Murru fand das alles sehr anstrengend, aber er folgte. Und als seine Mutter sich mit seinen beiden Schwestern in einer Grasmulde zum Sonnenbad niederlegte, schmiegte er sich dicht an sie. Die warmen Strahlen behagten ihm. Und allmählich erschien ihm die Außenwelt gar nicht mehr so bedrohlich.

Tolpatschige Murmelkinder

Eine Zeitlang lag Murru dösend neben seiner Mutter im Gras.

Über den fernen Berggrat trieb langsam eine kleine weiße Wolke. Murru sah ihr eine Weile nach.

Dann wurde ihm das Dösen zu langweilig. Während der rund vierzig Tage im Erdbau hatte er genug geschlafen. Und die munteren Spiele seiner beiden kleinen Schwestern, die inzwischen auf der blütenübersäten Wiese umeinanderpurzelten, reizten ihn.

Neugierig blinzelte er zu ihnen hinüber. Lura jagte gerade ihre Schwester Mangi über die Bergmatte, jagte sie genau auf Murru zu.

Jetzt hatte Murru endgültig genug vom Sonnenbaden. Er stand gemächlich auf und watschelte Mangi entgegen. Mangi war etwas kleiner als er, aber viel flinker. Sie wagte sogar schon kleine Sprünge. Und sie sprang.

Plötzlich stießen die beiden unverhofft zusammen. Murru bekam Mangis Pfote vor die Nase und ihre Schnauze vor den Bauch. Und ehe er recht begriff, purzelte er ein Stück den Hang hinunter, überkugelte sich ein paarmal im Gras und blieb verdutzt liegen.

Mangi lag gar nicht weit von ihm. Sie war durch den Zusammenprall genauso gepurzelt wie er. Schließlich wogen sie beide ja gerade ein halbes Pfund. Das weiche Gras hatte ihren Sturz aufgefangen.

Noch etwas verstört, rappelte Murru sich hoch. Solche Stürze war er noch nicht gewohnt. Und auch Mangi blinzelte ziemlich erschrocken hinter einer blauen Enzianblüte hervor. Die Sonne schien ihr genau ins Gesicht.

Nur Lura hatte nichts abbekommen. Neugierig kam sie jetzt mit ihrem drolligen Watschelgang den Hang herunter, um zu sehen, was die beiden trieben.

Und nochjemand näherte sich den beiden, von der anderen Seite. Es war Gunno, ein junger Murmelbär vom Vorjahr. Aber er wollte nicht spielen. Er hatte in der Nähe einige saftige Kräuter entdeckt, die er genußvoll in sich hineinmümmelte. Und offenbar bekam er nicht genug davon.

Murru beobachtete seinen großen Bruder aufmerksam. Er hatte ja bis jetzt nur Milch getrunken. Daß man dieses duftende grüne Zeug auch essen konnte, war ihm neu. Und es schien Gunno zu schmecken.

Das mußte Murru auch mal probieren. Mit seinen kräftigen Nagezähnen beknabberte er ein paar Grasspitzen. Nur konnte er die nicht einfach schlucken wie Milch, er mußte kauen. Und außerdem schmeckte es reichlich sonderbar. Milch war ihm viel lieber.

Lura und Mangi versuchten es erst gar nicht. Mangi sprang mit einemmal auf und rannte hinter Lura her, versuchte sie zu erwischen. Wie die Wilden sausten die zwei davon.

Das Haschenspielen der beiden gefiel Murru. Und er flitzte ihnen nach, über Grasbatzen und Blütendolden. Plötzlich stutzten die beiden, machten kehrt und hetzten nun gemeinsam Murru über den Hang. So ging das eine ganze Weile, einander haschend und übereinanderpurzelnd. Und die drei verspielten Murmelkinder quietschten vor Vergnügen.

Dabei achteten sie überhaupt nicht mehr darauf, wohin sie liefen. Der Hang war zum Wildbach hin ziemlich abschüssig, übersät mit Felsbrocken, hinter denen leicht ein Fuchs lauem konnte. Und über ihnen taumelten ein paar dunkle Schatten. Murru duckte sich. Doch die Alpendohlen kümmerten sich nicht um ihn.

In diesem Augenblick ertönte ein scharfer Pfiff. Der alte Murmelbär oben auf dem Fels stieß einen Warnruf aus: So weit sollten seine Kinder sich nicht entfernen. Und auch ihre Mutter rief laut pfeifend vom Höhleneingang.

Doch keines der drei Jungen hörte. Sie wußten noch nicht, was ein Alarmpfiff bedeutet: Das mußten sie erst lernen. Und ihre Mutter brachte es ihnen bei. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit rannte sie hangabwärts auf die drei zu, klatschte laut und energisch in die Pfoten und trieb sie zurück.

Das begriff Murru. Und er sauste vornweg. Er spürte mit einemmal Hunger, großen Hunger.

Seine Mutter schien das genau zu wissen. Murru brauchte sie gar nicht erst zu stupsen. Bereitwillig legte sie sich auf den Rücken und ließ ihn saugen. Und auch Lura und Mangi wollten ihre Milch. Eifrig krabbelten sie ihrer Mutter auf dem Bauch herum. Und Murru rutschte erschrocken zu einer anderen Stelle. Aber es war Platz genug für die drei Kleinen. Und jeder wurde satt.

Als Murru genug getrunken hatte, blieb er einfach auf dem warmen Bauch liegen. Nur dauerte das Vergnügen nicht lange. Inzwischen waren seine beiden Schwestern ebenfalls gesättigt. Seine Mutter wälzte sich zur Seite und setzte sich auf. Und Murru rollte neben ihr ins Gras, zusammen mit Lura und Mangi, die über ihn hinwegpurzelten.

Doch hier lag er gut, weich und geschützt zwischen warmen vertrauten Körpern. Er fühlte sich sehr faul und schläfrig. Müde schloß er seine Augen. Und während ihm die Sonne den Pelz wärmte, schlief er ein.

Am Nachmittag kam Wind auf, bog die Grasstengel leicht seitwärts. Und die Berggipfel warfen lange Schatten über den Hang, verdeckten die wärmenden Strahlen. Und es wurde kühl.

Murru hob seine kleine Nase in den Wind. Und der Wind spielte mit seinen Schnurrbarthaaren. Das kitzelte ein wenig. Aber Murru mochte den Wind nicht. Ihm wurde kalt. Und er versuchte, noch dichter an seine Mutter zu kriechen. Doch sie erhob sich plötzlich. Sie kannte die Abendkühle der Berge. Das war nichts für ihre Kinder. Und fürsorglich scheuchte sie die drei in die warme Höhle.

Gefahr aus der Luft

Am nächsten Morgen kam Murru als erster aus dem Bau. Diesmal brauchte ihn niemand zu scheuchen. Er wußte schon, was ihn draußen erwartete.

Vorwitzig tappelte er mit seinen kleinen Pfoten über den Erdwall, setzte sich aufrecht auf die Hinterbeine und schnupperte. Es duftete nach feuchtem Gras, der Himmel leuchtete blau über den weißen Gipfeln. Von den Arven am Wildbach hämmerte ein Dreizehenspecht. Und der alte Murmelbär stand schon auf seinem Felsbrocken und hielt Wache.

Nur etwas war anders heute. An den schroffen Felsgraten über der Bergmatte bewegten sich Gestalten, schlanke Gestalten: mit langen Beinen und gebogenen Hörnern. Aber sie waren weit weg, jenseits des Gletscherbachs in schwindelnder Höhe. Und den wachsamen Murmelbär schienen die fremden Gestalten nicht zu stören.

Trotzdem zögerte Murru. Alles Unbekannte machte ihm angst. Erst als seine Mutter kurz darauf mit seinen beiden Schwestern aus dem Höhleneingang auftauchte, wagte er sich ein Stückchen weiter.

Das Murmelweibchen warf einen sichernden Blick in die Runde, sah die kletternden Gemsen und den Murmelbär auf dem Fels. Es drohte keine Gefahr. Und beruhigt begann sie, an den frischen Grasspitzen zu knabbern.

Murru sah ihr eine Zeitlang zu. Er hatte noch keinen Appetit auf Grünzeug; außerdem war er satt, hatte eben erst seine Morgenmilch bekommen. Er schnupperte nur ein wenig an ein paar Steinbrechblüten auf Felsgestein.

Das schien auch Lura zu interessieren. Sie kam mit ihrem drolligen Watschelgang auf Murru zu. Und Mangi watschelte hinter ihr her. Nur wollte Mangi gar nicht schnuppern. Sie suchte Spielgefährten.

Übermütig stupste sie Murru in die Flanke. Und von der anderen Seite stupste Lura. Das war zuviel für Murru. Er krabbelte über den Fels hinweg. Doch er war jenseits noch gar nicht wieder ganz unten, da kam Mangi ihm nach. Und Lura rannte um den Fels herum, ihm entgegen.

Jetzt wagte Murru einen kühnen Sprung. Wohlbehalten landete er auf seinen kleinen Pfoten im Gras. Und als sei das ein Signal, jagten die beiden Murmelmädchen hinter ihm her. Nur hatte Murru inzwischen einiges dazugelernt. So leicht ließ er sich nicht mehr erwischen. Behende flitzte er hangabwärts davon.

Gunno und seine ältere Schwester Lanni trieben sich hier zwischen den Felsbrocken herum, boxten sich aufrecht stehend vor die behaarte Brust, spielten Haschen und mümmelten zwischendurch immer mal einen Grashalm. Das fand Murru beruhigend. Wo andere Murmel so sorglos spielten, war es wohl nicht gefährlich.

Doch er irrte sich. Die Gefahr kam von oben, lautlos und unaufhaltsam. Über den steilen Berggrat hinweg warfen zwei mächtige Schwingen ihren Schatten auf das sonnendurchglühte Gestein. Ruhig zog der Steinadler seine Kreise, ließ sich allmählich tiefer sinken und verschwand hinter einer Felsnase.

Noch hatte keines der Murmel etwas bemerkt, auch der alte Murmelbär nicht, der gerade den Eingang zum nahen Fuchsbau beobachtete. Der Adler aber hatte genug gesehen. Seinem scharfen Greifvogelblick entging keine Bewegung. Und die ahnungslosen Murmel tollten weiter.

Plötzlich glitt der Adler dicht über dem Boden unter der Felsnase hervor, nutzte jede Unebenheit als Deckung und pirschte sich näher, immer näher. Seine Schwingen schlugen, seine dolchartigen Greifkrallen stießen vor.

Nur wenige Handbreit trennten ihn noch von seinem Opfer.

In diesem Augenblick ertönte ein gellender Pfiff. Der wachsame Murmelbär hatte die Gefahr erkannt. Und seine Warnung kam nicht zu spät.

So gemächlich Murmeltiere sich sonst bewegten, bei einem Warnpfiff verschwanden sie mit ungeahnter Geschwindigkeit im nächsten Loch.

Die Krallen des Steinadlers stießen ins Leere. Nur ein paar Gräser blieben in seinen Fängen. Und er drehte ab zu seinem Horst in der Steilwand.

Nichts rührte sich mehr auf der Bergmatte. Es war still, fast unheimlich still.

Auch die Gemsen hoch oben am Fels hatten den Warnpfiff des Murmelbärs gehört und waren jenseits des Berggrats über ein Geröllfeld geflüchtet. Selbst der Specht bei den Arven am Steilufer war verstummt. Nur der Gletscherbach rauschte monoton wie immer.

Murru hatte nur einen Moment gezögert, sah die überall flüchtenden Murmel und war dann davongerannt, suchend nach einem Schlupfloch. Und er hatte ein Loch gefunden. Wie gehetzt flitzte er durch die Öffnung.

Doch er kam nicht weit. Schon nach wenigen Metern endete der Gang. Vor ihm lag Erde, nichts als Erde.

In der Aufregung stieß er mit seiner kleinen Nase dagegen, zuckte schmerzlich zurück. Das Loch war das falsche, war nur eine kurze Fluchtröhre, die nicht in den Bau führte. Das wußte Murru noch nicht. Aber die Röhre hatte ihn gerettet.

Verwirrt hockte Murru im Dunkel. Er vermißte seine Mutter, den vertrauten Geruch der Wohnhöhle. Ermochte nicht allein sein. Und seine Nase tat weh.

Angstvoll starrte er nach dem schwachen Lichtschimmer am Ausgang.

Aber da vorn war nicht viel zu sehen. Ein pelziges Etwas versperrte die Sicht. Und es bewegte sich. Murru erschrak. Sein kleines Herz hämmerte aufgeregt. Doch es gab keine Flucht. Er war gefangen: zwischen Erde und einem unbekannten Pelztier.

Vorsichtig schnupperte er in die Richtung des fremden Wesens. Und er atmete auf: Das war Murmelgeruch.

Eilig tappelte er darauf zu. Und er erkannte Gunno, der nach ihm in die Röhre geflüchtet war. Gunno wußte Bescheid. Er kannte alle Löcher im Murmelrevier. Und er war gar nicht erst weitergelaufen, als er die Sicherheit der Fluchtröhre erreicht hatte. Jetzt wandte Gunno sich zu seinem kleinen Bruder um.

Murru fand das sehr tröstlich. Geduldig wartete er hinter ihm, während Gunno aufmerksam die Bergmatte draußen beobachtete.

Gunno würde wissen, wann die Luft rein war. Und Gunno wußte es; er hatte schon seine Erfahrungen. Er sah den Steinadler abstreichen, sah die Dohlen vom Arvenwäldchen herüberflattern. Die Gefahr war vorüber. Und Murru folgte seinem großen Bruder hinaus ins Freie.

Berggewitter

Das sonnige Wetter hielt an, noch tagelang. Murru war inzwischen größer geworden und auch ein wenig mutiger. Aber noch bremste die Mutter seinen Entdeckerdrang. Sorgsam achtete sie darauf, daß die Kleinen sich nicht zu weit vom Bau entfernten. Immer noch kam es vor, daß sie vor lauter Spielfreude einen Warnruf überhörten. Dann mußte sie energisch nachhelfen. Und Gefahren gab es hier genug.

An diesem Morgen bummelte Murru, kroch als letzter hinter den anderen her. Schnuppernd schob er seine Nase aus der Röhre. Die Luft stand still und heiß über der Bergmatte. Kein Windhauch bewegte die Grashalme. Nur die Insekten summten von Blüte zu Blüte. Die Sonne schien wie an den Tagen zuvor, aber sie wirkte blaß hinter faserigen Zirruswolken. Und es roch auch anders: viel stärker als sonst.