R. I. P.
Nachruf auf ein Genre von Gunter Blank.
»Langweiler und Killer sind fast dasselbe«, schreibt Derek Raymond in Dora Suarez. Der Serienmörder, den Raymonds namenloser Sergeant jagt, ist ein banales Arschloch, eine
kleine Mafia-Charge mit zu kurzem Pimmel. Das war 1989, und damals war es an
der Zeit den Hype um die Figur des Serienkillers geradezurücken, der im Begriff war kultische Ausmaße anzunehmen. Leider hat niemand auf den egozentrischen Briten gehört, der 1996 im Alter von 65 Jahren gestorben ist. Zur Strafe haben wir heute
Serienmörder, die aussehen wie Hannes Jaenicke und Götz George und von Nietzsche, deSade und schlimmen Kindheiten faseln, bevor sie
auf SAT 1 und Pro 7 blonde Models meucheln.
Als Dora Suarez 1990 beim PULP MASTER-Vorläufer Black Lizard erschien, schrieb ich in einer Rezension:
»Raymond hat der Welt mehr zu erzählen, als diese gemeinhin zu verdauen bereit ist. Damit meine ich weniger die
grotesken Blutorgien, sondern die selbstzerstörerische Verzweiflung, mit der er sich weigert, mit der Welt einen
Waffenstillstand zu schließen, ohne in die Weinerlichkeit der Chandler-Epigonen zu verfallen. Die
gelegentliche Unbeholfenheit, mit der er seine Abscheu vor der englischen
Gesellschaft mit der Entwicklung eines stringenten Plots zu vereinen sucht,
gibt den Blick auf das Wesen des Genres frei. (...) Raymond versetzt sich in
die Lage des Opfers und vermittelt eine sehr viel deprimierende und wenig
faszinierende Ohnmacht.«
Keiner seiner Killer zeichnet sich durch überragende Intelligenz aus, sie entstammen alle jener dumpfen britischen
Normalität, die es Maggy Thatcher gestattet hat, ganz nach oben zu kommen. In Er starb
mit offenen Augen ist es das Mörderpärchen Barbara und Harvey, das seine schlimme Kindheit als Rechtfertigung mißbraucht, einen gescheiterten Schriftsteller zu Tode zu hämmern, in Der Teufel hat Heimaturlaub der Söldner und Auftragskiller Billy McGruder, der seine ihm in den Belfaster Straßen eingetrichterte Freude am Quälen zum Beruf gemacht hat, in Wie die Toten leben der Immobilienmakler Baddley
und sein Faktotum Prince, die das Elend anderer Leute zu Geld machen und in
Dora Suarez schließlich der verstoßene Sprößling der Mafia, der nicht damit klar kam, dass er beim ersten Mal keinen hoch
bekam. (Solche bores sind ihm der Inbegriff der englischen Gesellschaft, deren
Klassensystem er von oben nach unten durchlaufen hat.)
Robert Cook, wie sein Name jenseits der Buchdeckel lautet, kam 1931 als eines
von fünf Kinder eines englischen Texilfabrikanten, des ersten bore in seinem Leben,
und einer polnisch-jüdischen Mutter, die ihre Herkunft aus Klassendünkel verheimlichte, mit einem reichlich angelaufenen Silberlöffel im Mund zur Welt. Der Leere des großbürgerlichen Daseins entzog er sich, als er mit 16 Jahren von der Nobelschule Eton
nach London floh, wo er vorzeitig sein Erbe verspielte. Er ging zur Armee,
schrammte knapp an einem Marschbefehl nach Korea vorbei — die Erinnerung an Freunde, die weniger Glück hatten, blitzt noch immer in seinen Romanen auf —, strandete in Spanien und kehrte Mitte der Fünfziger nach London zurück. Dort feierte er erste mäßige literarische Erfolge, machte für die Londoner Unterwelt ein paar Mal den Strohmann, schrammte ein paar Mal
knapp am Knast vorbei, fand Zeit für diverse Ehen und weitere Bücher, bevor er England endgültig den Rücken kehrte, als Landarbeiter nach Frankreich ging und anfing die Romane zu
schreiben, die ihn in die Nachfolge seiner Vorbilder David Goodis, Jim Thompson
und Ted Lewis stellen.)
Damit unterschied sich Raymonds Auffassung vom Serienmörder grundlegend von der ambivalenten Faszination, die von den hochintelligenten
Charakteren James Ellroy’s und Thomas Harris’ ausging. Deren Romane explodierten Anfang der Achtziger in einer zynischen und desillusionierten
Subkultur, die nach Punkrock eine neue Methapher für den Zustand der Welt suchte.
Als der Serienmörder 1981 die Welt des Kriminalromans revolutionierte, war die Popkultur längst von Psychopathen gesättigt. Jim Thompson hatte 1952 mit The Killer Inside Me die Blaupause eines Phänomens geliefert, das der Öffentlichkeit bis dahin noch nicht einmal bekannt war. Erst als Eddie Gein und Charlie Starkweather in den Fünfzigern landesweite Schlagzeilen machten, begann sich der psychopathische
Killer in der amerikanischen Folklore einzunisten, wenn auch erst einmal als
Indiz dafür, dass zurückgebliebene Hillbillies und rebellische Rockabillies eine ernste Bedrohung für die Reihenhausidylle der amerikanischen Suburbs darstellten. Charlie Manson
(ein Psychopath zwar, aber so wenig wie Gein ein Serienkiller) ruinierte dann
auch die Alternativversion des amerikanischen Traums und führte einer Generation blumenverliebter Hippies drastisch vor Augen, dass ihr
Love & Peace-Geschwätz nur die Kehrseite der God-Bless-America-Parolen ihrer Eltern war. In den
Siebzigern verdeutlichten Serienkiller wie Son of Sam Berkowitz, Ted Bundy,
Carlton Gary, John Wayne Gacy, die Hillside Strangler Kenneth Bianchi & Angeleo Buono sowie ein paar Dutzend andere, dass der amerikanische Alptraum in
Trailerparks genauso zuhause war wie in Bostoner Villenvierteln.
Ein paar durchgeknallte Regisseure wie Micheal Findlay, Terrence Malik und Abel
Ferrara erkannten als erste das Potential des Serienmörders und verarbeiteten es zu mehr oder weniger zynischen Statements zur Lage
der Nation.
Trotzdem dauerte es bis 1981, bis ein junger erfolgloser Autor das Potential für den Kriminalroman entdeckte. Joe R. Landsdale veröffentlichte mit Akt der Liebe den ersten Serienkillerroman. Stuart Woods Chiefs
und Thomas Harris’ Red Dragon folgten kurz darauf, und damit war der Prototyp des Serienkillers
als Kultfigur schon ziemlich gut umrissen.
Es fehlte nur noch James Ellroy, der ihm mit Blood on the Moon und Silent Terror
eine Seele verpasste, in der sich die Verwüstungen der spätkapitalistischen Gesellschaft spiegelten. Der Serienmörder wurde als Menetekel des Reaganzeitalters interpretiert, in dem sich die
verdrängten und unterdrückten Affekte der Kontrollgesellschaft entluden.
Trotz der Masse der Krimis und B-Pictures, die in den Achtzigern die Subkultur überschwemmten, brauchte es drei Megaereignisse, und ein paar kosmetische
Korrekturen, um die Figur auch dem Mainstream schmackhaft zu machen. Brett
Easton Ellis holte ihn 1991 aus der Pulpecke in den literarischen Salon und
etablierte den American Psycho als postmodernes Zeichen, dessen Inszenierung
des Yuppies als sinnentleertes und konsumgeiles Monster so banal war wie die
Beipackzettel der Fältchencremes, mit denen er die zugegebenermaßen hübsch ausgedachten Grausamkeiten auflockerte. Thomas Harris Schweigen der Lämmer oder besser gesagt Anthony Hopkins in Jonathan Demmes Verfilmung
verwandelte ihn 1988/1992 in einen fast sympathischen, dem bürgerlichen Zivilisationsverlust eine Stimme gebenden Conaisseur, und Oliver Stones Natural Born Killers provozierte endlich die große Medienkontroverse, zu der vom Sozialpädagogen bis zum Philolsophieprofessor alle ihren kulturkritischen Senf dazugeben
konnten. Was folgte war langsames Siechtum, Kinderpsychologen und Rechtsanwältinnen fühlten sich berufen, ihre dilettantischen Schreibversuche mit einem
psychopatischen Killer aufzumotzen. Insofern war es nur konsequent, dass Thomas
Harris in seiner schlicht Hannibal betitelten Fortsetzung den Serienmörder in einem schmachtenden Vampir verwandelt, dessen ritterliche Manieren und
enzyklopädisches Wissen ihn kaum mehr vom Chefarzt eines Lore-Romans unterscheiden.
Hannibal, the Cannibal entpuppt sich am Ende als blaublütiger Sohn eines litauischen Grafen und einer italienischen Adligen, der im zarten Alter von acht mit
ansehen musste, wie seine geliebte Schwester von hungrig-marodierenden
Wehrmachtssoldaten aufgefressen wurde. Die bestialischen Verbrechen dagegen
werden inzwischen von seinen ehemaligen Opfern begangen, ehemalige Kinderschänder, Pornoproduzenten, korrupte Polizisten und Tierquäler, Typen also, bei deren geschmacksicherer Entsorgung auch die konsumfreudigen
Citoyens der Berliner Republik ihre klammheimliche Freude nicht verhehlen
brauchen. Der Serienkiller als Barbiepuppe — sanfter wurde noch kein Alptraum in Zuckerwatte gepackt.
Deshalb ist es nur zu begrüßen, dass PULP MASTER nach Akt der Liebe jetzt auch Dora Suarez noch mal auflegt,
um zu demonstrieren, dass es vor dem Ausverkauf des Genres ein paar Autoren
gab, denen es beim Schreiben um mehr ging als den billigen Thrill und die
schnelle Kohle. Denn Derek Raymond hat sich die Seele aus dem Leib gesoffen, um das
alltägliche Elend der Welt ertragen zu können; sich zusammengerissen und es zu Romanen verabeitet, die auf jeder Seite
davon künden, dass die Welt endgültig aus dem Ruder gelaufen ist. Dafür gebührt ihm Respekt und das Verdienst, den letzten Serienmörderroman geschrieben zu haben, der diesen Namen verdiente.