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Für Eve, Claire und Tyler
Danke für euer Lachen und eure Liebe
Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Thomas Pfeiffer, Antoinette Gittinger und Hans-Peter Remmler
ISBN 978-3-492-97718-0
Deutsche Erstausgabe
© 2017 by Robert I. Sutton
Die Originalausgabe erschien 2017 in den USA unter dem Titel »The Asshole Survival Guide: How to Deal with People Who Treat You Like Dirt« bei Houghton Mifflin Harcourt
© Piper Verlag GmbH, München, 2018
Covergestaltung: Büro Jorge Schmidt, München
Covermotiv: Beboy/Fotolia
Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell
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1 8000 E-Mails
Anmerkungen
2 Arschloch-Assessment:
3 Einen klaren Schnitt machen
4 Arschloch-Vermeidungsstrategien:
5 Kognitive Tricks zum Schutz Ihrer Seele
6 Zum Gegenangriff übergehen
7 Teil der Lösung sein, nicht des Problems
Ihre Geschichten und Gedanken
Dank
Anmerkungen
Ich habe dieses Buch geschrieben, um eine Frage zu beantworten, die mir schon viele Tausend Mal gestellt worden ist. Der Wortlaut variiert zwar, aber im Prinzip läuft es immer hinaus auf: »Ich muss mich mit einem Arschloch (oder einem ganzen Haufen davon) herumschlagen. Helfen Sie mir! Was kann ich tun?« Im Folgenden ein paar Beispiele aus meiner täglichen Dosis an Arschloch-E-Mails.
Von einem Arzt an einem »durch und durch dysfunktionalen« Krankenhaus und mit einem »Teamleiter, der so unsensibel ist, wie man es sich nur vorstellen kann«:
Was soll ein Untergebener tun? Ich kann den Kopf gesenkt halten, mich so gut es eben geht um meine Patienten kümmern und versuchen, die Gemeinheiten zu ignorieren. Aber in so einer Umgebung zu arbeiten ist unglaublich demoralisierend.
Ein lutherischer Priester aus Illinois schreibt:
Ein Großteil der Arbeit in unserer Kirche wird von unbezahlten Helfern erledigt, die hin und wieder die Gefühle anderer Freiwilliger verletzen. Haben Sie irgendeine Idee, wie man mit fiesen Leuten umgeht, die sich freiwillig engagieren?
Ein pensionierter deutscher Fabrikmanager fragt:
In meinem Berufsleben bin ich mindestens drei Mal durch das Betreiben von Arschlöchern, Arseholes, Connards de vente, Stronzi und dergleichen gefeuert worden. Welchen Rat kann ich meinem Sohn geben, damit er nicht dasselbe Schicksal erleidet?
Ein CEO aus dem Silicion Valley schreibt:
Angesichts der Vielzahl von Start-ups und so vielen Risikokapitalgebern ohne einen Funken operativer Erfahrung in den Aufsichtsräten frage ich mich, ob Sie sich jemals mit »Boardholes« (Aufsichtsratslöchern) oder ganz und gar dysfunktionalen Aufsichtsräten (vulgo »Aufsichtsidioten«) beschäftigt oder darüber geschrieben haben?
Und schließlich von einer Bibliothekarin aus Washington D. C.:
Ich bin umzingelt von russischen Arschlöchern. Hilfe!
In der einen oder anderen Form wird mir diese Frage praktisch jeden Tag gestellt. Sie erreicht mich in E-Mails und via Twitter, über LinkedIn und Facebook. Studenten, Kollegen, Kunden, Freunde, Feinde und Verwandte stellen sie bei allen möglichen Veranstaltungen, in Seminaren und bei Fakultätssitzungen, auf Hochzeiten und bei Beerdigungen. Etwa einmal pro Woche ruft jemand, den ich nicht kenne, in meinem Büro in Stanford an und stellt mir ebendiese Frage. Mich haben schon Kassierer bei Costco und Walgreens um Überlebenstipps im Umgang mit Arschlöchern gebeten, Krankenschwestern und Ärzte von der Cleveland Clinic und am Stanford Hospital, Flugbegleiter von Fluggesellschaften wie Air France und United Airlines, Bauarbeiter in San Francisco und Idaho, Uber-Fahrer in Dubai und San Francisco, Subway-Passagiere in New York City und BART-Reisende in San Francisco, U. S.-Marines in Afghanistan, ein Gefängniswärter in Texas, mehrere katholische Priester, ein jüdischer Kantor (und die Frau eines jüdischen Kantors), um die 50 Anwälte und mindestens ein Dutzend CEOs. Allein in den letzten Monaten habe ich die Frage von einem Chirurgen in New York gehört, vom Studiendekan einer kleinen geisteswissenschaftlichen Universität, einem Psychologen der US-Army, einer Gruppe von Bachelorstudenten an einer französischen Universität (via Skype), einem Polizeibeamten in Stanford, von meinem Friseur Woody und sogar von meiner Mutter.
Dass mich so viele Leute danach fragen, ist kein Wunder. Seinen Anfang nahm alles, als ich mein 2007 erschienenes Buch Der Arschloch-Faktor schrieb (und, ein paar Jahre zuvor, einen in dieselbe Richtung zielenden Essay für die Harvard Business Review).[01] Damals ging ich davon aus, dass diese Arschloch-Sache ein kurzes Intermezzo bleiben und ich nach Ablauf etwa eines Jahres zu meiner eigentlichen Arbeit über Leadership, Innovation und organisatorischen Wandel zurückkehren würde. Was sich als falsch erwies. Mein kleines Buch traf offenkundig einen Nerv. Es dauerte ein paar Jahre, bis ich mich damit abfand, dass ich – egal, was ich sonst noch in meinem Leben schreibe oder welche Wirkung meine andere Arbeit auch entfalten mag – immer zuerst und vor allem als der »Arschloch-Kerl« gesehen werde. An die 800 000 Menschen in den Vereinigten Staaten und in Dutzenden anderen Ländern haben bis heute Der Arschloch-Faktor gekauft – weitaus mehr Exemplare als von meinen anderen Büchern. Der beständige Strom an E-Mails, Kommentaren in den sozialen Medien, Anfragen von Journalisten und verstörenden, abgefahrenen oder einfach lustigen Gesprächen über alles, was mit Arschlöchern im Beruf und Privatleben zu tun hat, ist zu einem Teil meines Lebens geworden, den ich voraussetze, den ich (zumeist) genieße und dem ich mit Mitgefühl und frohen Mutes zu begegnen versuche.
Viele Leser fühlten sich von Der Arschloch-Faktor angesprochen, weil sie von Widerlingen belagert wurden, die sie wie Dreck behandelten – und weil sie nach einem Ausweg aus ihrer Situation suchten. Das Buch enthält auch ein Kapitel zu »Wo Arschlöcher herrschen: Tipps, wie man gemeine Leute und Arbeitsplätze überlebt«. Mein eigentliches Anliegen mit dem Buch aber war, zur Schaffung zivilisierter Arbeitsplätze beizutragen – nicht, wie man mit Arschlöchern umgeht. Überleben unter Arschlöchern dagegen ist Strategien und Tipps gewidmet, wie man Tyrannen, Intriganten und Drecksäcken entkommt, wie man sie erträgt, sie bekämpft und vor allem, wie man sie loswird.
Ich habe diese Strategien und Tipps über die Jahre hinweg entwickelt. Egal, woran ich in den letzten zehn Jahren eigentlich gearbeitet habe, ich verbrachte die meiste Zeit ein oder zwei Stunden pro Tag damit, über Arschlöcher und Mittel gegen sie nachzudenken, zu lesen, zu reden oder zu schreiben – und hin und wieder auch damit, unverschämte oder beleidigende Menschen in ihren natürlichen Lebensräumen zu beobachten. Das Resultat halten Sie in Händen – Überleben unter Arschlöchern, ein Kompendium meiner besten Ratschläge zum Umgang mit Leuten, die es darauf anlegen, dass ihre Mitmenschen sich unterdrückt, erniedrigt, verachtet oder geschwächt fühlen. Ich richte den Fokus auf das Arbeitsleben. Aber die Lektionen, die dieses Buch enthält, lassen sich auch auf Arschloch-Probleme anwenden, mit denen sich Freiwillige in gemeinnützigen Organisationen und in Schulen herumschlagen müssen, auf Drecksäcke in Kirchen, Tempeln und Moscheen und auf unverschämtes Verhalten an öffentlichen Orten wie Bahnhöfen, Flughäfen, Einkaufszentren und Sportstadien.
Die hier vorgestellten Strategien und Tipps basieren auch auf wissenschaftlichen Forschungen zu herabwürdigenden und respektlosen Menschen – ein Forschungsgebiet, das in den letzten Jahren rasant gewachsen ist. Google Scholar, eine spezialisierte Suchmaschine für wissenschaftliche Bücher und Zeitschriftenartikel, hat sich zum Goldstandard für die akademische Recherche zu neuen Theorien und Forschungen entwickelt. Eine Google-Scholar-Suche zu »abusive supervision« (feindseliges/prekäres Führungsverhalten) zwischen 2008 und 2016 liefert 4910 wissenschaftliche Aufsätze und Bücher. Der Suchbegriff »abusive customers« (aggressive Kunden) ergibt 282 Treffer, »rudeness« (Unverschämtheit) 16 000, »incivility« (Unhöflichkeit/Grobheit) 15 500, »bullying« (Schikanierung) 140 000, »workplace bullying« (Schikanierung am Arbeitsplatz)[1] 11 800, »mobbing at work« (Mobbing bei der Arbeit) 2900, »road rage« (Aggression im Straßenverkehr) 6680, »air rage« (aggressive Fluggäste) 369, »phone rage« (Aggression am Telefon/aggressive Anrufer) 92, »verbal aggression« (verbale Aggression) 16 500 und »microaggression« (Mikroaggression) 2190 Treffer. Was ich in diesem Buch an Strategien und Empfehlungen vorstelle, ist nicht als erschöpfende und unvoreingenommene Zusammenfassung der wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Umgang mit Idioten gedacht. Diese Studien sind lehrreich, aber alles andere als eindeutig oder vollständig. Das Überleben unter Arschlöchern ist und bleibt mehr eine Kunst oder Fertigkeit als eine Wissenschaft.
Stattdessen mische ich die Lektionen aus diesen Studien mit Geschichten und Lösungsansätzen aus weniger gelehrten Quellen. Überleben unter Arschlöchern schöpft aus allen möglichen Ecken und Enden der Welt und des World Wide Web – von der New York Times bis hin zu David Kendricks herrlichem Post zu Online-Wichsern »What Makes a Fuckhead«. Ergänzt wird das Ganze durch Erkenntnisse, die ich aus meinen eigenen Beobachtungen und Interviews gewonnen habe – aus meiner Arbeit als Berater und Redner bei den unterschiedlichsten Organisationen (darunter Amazon, die Supermarktkette WalMart, das Umfrageinstitut Gallup, Google, der Luxus-Artikelanbieter LVMH, der Privatschulbetreiber KIPP, McKinsey, Microsoft, die Cleveland Clinic, die Trickfilmschmiede Pixar, die deutsche Softwarefirma SAP, Twitter und ein Stanford-Programm für Manager der National Football League) und aus rund 50 Interviews (und informelleren Gesprächen) unter anderem mit Sozialarbeitern, Baristas bei der Kaffeehauskette Philz Coffee, Krankenpflegern am Stanford Hospital, Managern bei Disney, Personalmanagern (insbesondere Patty McCord, die 14 Jahre für Netflix gearbeitet hat) und Wissenschaftlern wie Professorin Katy DeCelles von der University of Toronto, die sich damit beschäftigt, was Fluggäste aggressiv macht, wie Gefängniswärter mit Insassen umgehen und wie sich Wutausbrüche von Basketballtrainern auf die Spieler auswirken.
Geprägt wird dieses Buch auch durch die zahllosen E-Mails über Arschlöcher, die mir über die Jahre hinweg alle möglichen Leute geschickt haben. Ich führe ein eher desorganisiertes Ablagesystem mit drei Ordnern (»Sonstige Geschichten«, »Chefs«, »Überleben unter Arschlöchern«) und an die 60 Unterordnern (zum Beispiel »Arschloch-Chefs«, »Arschloch-Untergebene«, »Briten«, »Kunden«, »Arschloch-Unternehmen«, »Stille Beobachter«, »Öffentliches Leben«, »Klingt verrückt«, »Italienisch«, »Online-Arschlöcher«, »Zurückschlagen«, »Davongekommen«, »Falsche Art zu kämpfen«, »Erfolgsgeschichten«), in dem ich meine gesamte E-Mail-Korrespondenz speichere (beziehungsweise zu speichern versuche). Insgesamt habe ich rund 8000 E-Mails zum Themenkomplex »Arschlöcher« abgespeichert, von denen die meisten auf die eine oder andere Weise die Frage stellen, die ich mit diesem Buch beantworten will. Viele, die mir schreiben, berichten auch von den (erfolgreichen und gescheiterten) Überlebensstrategien, die sie ausprobiert haben. Und schließlich sind auch die rund 1500 Antworten mit in das Buch eingeflossen, die ich auf diese Mails geschrieben habe und in denen ich den Absendern Mut zugesprochen, Ratschläge gegeben und weitere Fragen gestellt habe.[02]
Vor sieben Jahren sprach ich mit einem jungen CEO, der fürchtete, er wäre »zu wenig wie Steve Jobs« – dass seine Karriere und sein kleines Start-up leiden würden, weil er ruhig und zurückhaltend war und die Leute mit Respekt behandelte. Im Lauf der Jahre habe ich mit vielen Leuten derartige Gespräche geführt. Wie im Fall dieses CEO verweise ich stets auf die Experten und Wissenschaftler, die die Ansicht Arschlöcher kommen immer zuerst vertreten – wie auch das (inzwischen im Ruhestand befindliche) »hauptberufliche Arschloch« Tucker Max sein Buch für »Dudes and Bros« betitelte.[03] Oder, seit einiger Zeit, auch auf Zeitschriftenartikel wie Jerry Useems 2015 im The Atlantic abgedruckten Aufsatz »Why It Pays to Be a Jerk«.
Auch mein Stanford-Kollege Jeff Pfeffer glaubt, andere Leute wie Dreck zu behandeln kann ein Weg zu persönlichem Erfolg sein. Denn wenn man – wie er Jerry Useem erklärte – eine Python und ein Huhn in einen Käfig sperrt, dann »frisst die Python das Huhn«. Ich gebe zu, dass es Situationen gibt, in denen Sie Konkurrenten ausstechen und Verbündete gewinnen können (die Ihnen zum Teil deswegen in den Hintern kriechen, weil sie hoffen, auf diese Weise dem Zorn, den Intrigen oder den anzüglichen Blicken des Arschlochs zu entgehen), wenn Sie andere unterdrücken, herabsetzen, respektlos behandeln oder ihnen alle Kraft rauben. Auch in reinen »Ich gewinne, du verlierst«-Situationen – wenn es keinen Anreiz gibt, mit anderen jetzt oder irgendwann später einmal zu kooperieren – kann es von Vorteil sein, wenn man selbstsüchtig agiert und andere wie Dreck behandelt. Und Kapitel 6 dieses Buchs befasst sich damit, wann und warum es ein wirksames Mittel des Widerstands sein kann, Arschlöchern ihre eigene Medizin schmecken zu lassen. (Allerdings warne ich Sie: »Wer«, wie meine Frau Marina gerne sagt, »andere mit Scheiße bewirft, steht am Ende oft selbst beschissen da.«)
Nachdem ich mich durch jede Menge Studien und Untersuchungen gearbeitet habe, lautet mein Fazit, dass die Experten und Professoren, die Tyrannen, Egoisten und Narzissten beklatschen, den Gewinn über- und den Schaden untertreiben, den Arschlöcher – insbesondere auf lange Sicht – sich selbst zufügen. In diesem Urteil stimme ich mit zahlreichen anderen Akademikern überein, darunter Adam Grant von der Wharton School (der sich mit der Performance von »Gebern« im Vergleich zu »Nehmern« befasst), Christine Porath von der University of Southern California (die zum Thema Unhöflichkeit forscht) und Dacher Keltner von der University of California (Spezialgebiet Emotionen und Machtdynamik). Wie das Werk dieser Wissenschaftler und vieler anderer Forscher nahelegt, ist die Liste der Gewinner, die sich durchgesetzt haben, ohne andere Leute wie Dreck zu behandeln, sehr lang: Apple-CEO Tim Cook, Netflix-CEO Reed Hastings, Berkshire Hathaway-CEO und Investmentlegende Warren Buffett, der 2014 verstorbene Comedian und Schauspieler Robin Williams, der Starkoch Anthony Bourdain, die TV-Produzentin Jenji Kohan (Schöpferin von Orange Is the New Black), die Chefproduzentin und Autorin Shonda Rhimes (die mit Grey’s Anatomy und Scandal zu Ruhm und Ehre gelangte) und viele andere mehr. Ach ja, und der junge CEO, der Angst hatte, er sei nicht wie Steve Jobs, nicht laut, herrisch und selbstsüchtig genug? Ich darf seinen Namen nicht nennen, aber er ist immer noch kein Arschloch, sein Unternehmen hat inzwischen über tausend Mitarbeiter, und er selbst ist heute Milliardär.
Ich hatte auch ein erhellendes Gespräch mit Pixar-Gründer und -Präsident Ed Catmull (der ein Vierteljahrhundert eng mit Steve Jobs zusammengearbeitet hat) über den weitverbreiteten Glauben, dass Jobs unter anderem deswegen so großen Erfolg hatte, weil er herrschsüchtig, leicht erregbar und ohne jedes Einfühlungsvermögen war – ebender Mythos, der den oben erwähnten jungen CEO zu der Frage verleitete, ob er sich nicht ebenso verhalten sollte.
Jobs habe seine Reputation für »mieses Verhalten in der Anfangszeit seiner Karriere« absolut verdient, bestätigte Catmull. Doch viele Journalisten, Biografen und Filmemacher hätten, betonte er, einen wichtigen Teil der Geschichte übersehen: dass sich Jobs nach seinem »Rauswurf« bei Apple und einer Serie von Rückschlägen mit seiner High-End-Computerfirma NeXT und in der Anfangszeit von Pixar grundlegend verändert hatte. Jobs sei, wie Catmull das ausdrückte, »ein Jahrzehnt durch die Wildnis gewandert«. Doch dadurch, »dass er diese Misserfolge aufgearbeitet und verstanden und sich dann mit Pixar durchgesetzt hatte, hatte er sich verändert«, erklärte Catmull. »Er wurde empathischer, ein besserer Zuhörer, ein besserer Chef, ein besserer Geschäftspartner«. Und laut Catmull war es dieser »nachdenklichere und fürsorglichere« Steve Jobs, der »Apple zu seinem unglaublichen Erfolg führte«. Jobs blieb ein tougher Verhandlungspartner, ein Perfektionist und jemand, mit dem man sich lieber nicht anlegte; doch seine größten Erfolge feierte er, wie Catmull betonte, erst, nachdem er sein schlechtes Verhalten anderen gegenüber abgelegt hatte, für das er in seinen frühen Jahren berüchtigt gewesen war.
Doch selbst wenn die Arschloch-Fans recht haben und Arschlochtum in allen (oder doch den meisten) Fällen der Weg zu persönlichem Erfolg sein sollte: Wenn Sie andere wie Dreck behandeln, richten Sie damit so viel Schaden an, dass Sie, selbst wenn Sie ein Sieger und ein Arschloch sind, am Ende als Mensch immer der Verlierer sein werden.
Ich sage das nicht nur in meiner Eigenschaft als der Arschloch-Experte. Auch wenn unser Wissen darum, wie man am besten mit Arschlöchern verfährt, vage und unvollständig ist, die Schäden, die die Opfer herabwürdigender und respektloser Leute erleiden, sind bestens dokumentiert. Tausende von Studien in allen möglichen Bereichen belegen, wie hoch die Arschloch-Gesamtkosten (AGK) für Gruppen, Organisationen und die Gesellschaft sind – von den unmittelbar betroffenen Menschen ganz zu schweigen.
Unzählige Experimente belegen, dass Begegnungen mit unverschämten, beleidigenden und herabwürdigenden Leuten die Leistungen anderer vermindern – darunter ihre Fähigkeit, Entscheidungen zu fällen, ihre Produktivität, ihre Kreativität und ihre Bereitschaft, sich bei der Arbeit mehr anzustrengen und etwas länger zu bleiben, um ein Projekt abzuschließen oder Kollegen zu helfen, die auf ihren Rat, ihre Fähigkeiten oder ihre emotionale Unterstützung angewiesen sind. So wurden bei einem Experiment mit Ärzten und Krankenschwestern auf Neugeborenen-Intensivstationen in israelischen Krankenhäusern gezielt Begegnungen mit einem arroganten amerikanischen Gesundheitsexperten inszeniert.[04] Der Amerikaner äußerte sich verächtlich über die Fähigkeiten und die Intelligenz seiner israelischen Kollegen, ließ sie wissen, dass er von »dem medizinischen Standard in Israel enttäuscht« sei und dass die Ärzte und Pfleger, die er hier bei der Arbeit beobachtet habe, in seiner Abteilung in den USA »nicht eine Woche überstehen« würden. Bei anschließenden Tests, darunter der Diagnose des körperlichen Allgemeinzustands, einer Darmperforation und Herzproblemen an einer medizinischen Übungspuppe, schnitten die solchermaßen herabgesetzten Ärzte und Pfleger im Vergleich zu einer Kontrollgruppe sehr viel schlechter ab.
Mit anderen Worten, das amerikanische Arschloch verunsicherte seine israelischen Kollegen so sehr, dass ihre Fähigkeit, kranke Babys zu behandeln, deutlich nachließ. Einen ähnlichen Effekt haben aggressive Patienten auf Ärzte. Wie Forschungen aus den Niederlanden nahelegen, unterlaufen Ärzten bei der Diagnose schwieriger und aggressiver Patienten, die ihre Kompetenz infrage stellen, mehr Fehler als im Umgang mit höflicheren Patienten.[05]
2011 retweetete der bekannte Science-Fiction-Autor William Gibson einen Gedanken von »Notorious d. e. b.« (@debihope auf Twitter), der sich viral verbreitete: »Bevor man bei sich eine Depression oder geringes Selbstwertgefühl diagnostiziert, sollte man sichergehen, dass man nicht einfach von Arschlöchern umgeben ist.« Vieles spricht für diese Empfehlung von @debihope. Dass Aggressivität und Unhöflichkeit ansteckend sind und auf Tage und Wochen hinaus die psychische und physische Gesundheit der Opfer untergraben können, wird von vielen Studien bestätigt – unter anderem solchen zu »Air Rage« von lauten, unflätigen und beleidigenden Fluggästen, zu »Phone Rage« und »Road Rage«, also Aggression am Telefon beziehungsweise aggressivem Verhalten im Straßenverkehr, sowie zum sogenannten »Fußgänger-Aggressivitäts-Syndrom«, gemeinhin auch als »Sidewalk Rage« bezeichnet. Tausende von Untersuchungen zu Mobbing in der Schule belegen eindrücklich die psychologischen Folgeschäden wie schlechtere schulische Leistungen, begleitet vielfach von psychischen und körperlichen Gesundheitsproblemen.[06] Und Kinder, die von anderen Kindern tyrannisiert werden, leiden nicht selten ihr ganzes Leben lang unter den traumatischen Erfahrungen und werden als Erwachsene häufiger straffällig und leiden eher unter finanziellen Problemen, Depressionen und Nikotinmissbrauch.
Die Forschungen zu Arschlöchern am Arbeitsplatz (mit denen sich dieses Buch hauptsächlich beschäftigt) belegen, dass herabwürdigende und respektlose Kollegen, Untergebene, Kunden, Klienten und insbesondere Vorgesetzte (aka »Bosshole« bzw. »Arschboss«) die Performance und das Wohlbefinden am Arbeitsplatz schwächen. Fließbandarbeiter etwa reagieren auf verbale Demütigungen mit emotionaler Distanzierung und geringerer Produktivität.[07] Neu eingestellte Krankenschwestern, die von altgedienten Pflegekräften und Ärzten tyrannisiert werden, engagieren sich weniger und zeigen seltener Mitgefühl für Patienten.[08] Servicemitarbeiter, die von Kunden aggressiv behandelt werden (etwa durch provozierende Gesten, Beleidigungen, Anschreien oder böse Blicke), melden überdurchschnittlich häufig mentale und körperliche Gesundheitsprobleme und engagieren sich weniger für ihre Arbeit.[09] Nicht viel anders ergeht es übrigens Servicemitarbeitern, die lediglich miterleben, wie ihre Kollegen von Kunden abgekanzelt werden.[10]
Und wenn andere wie Dreck behandelt werden, ist das ansteckend – sprich, wenn Sie mit einem Arsch (oder, schlimmer noch, einem ganzen Haufen davon) zusammenarbeiten, laufen Sie Gefahr, selbst einer zu werden. Wie sich die Scheiße nach unten ausbreitet, dokumentiert eine Studie aus dem Jahr 2012: Tyrannische Führungskräfte neigen dazu, tyrannische Teamleiter auszuwählen oder heranzuziehen, die ihrerseits destruktive Konflikte in ihren Teams provozieren und damit die Kreativität der Teammitglieder abwürgen.[11]
Die Liste der von Arbeitsplatz-Arschlöchern angerichteten Schäden lässt sich fast endlos fortsetzen: weniger Vertrauen, weniger Motivation, weniger Innovation und weniger Bereitschaft, eigene Vorschläge einzubringen; mehr Diebstahl, längere Fehlzeiten und eine schlechtere Arbeitsatmosphäre. Allein in den USA verursachen fiese Vorgesetzte nach Schätzungen von Professor Bennett Tepper von der Ohio State University und seinen Kollegen Kosten in Höhe von 23,8 Milliarden US-Dollar pro Jahr (durch längere Fehlzeiten, höhere Behandlungskosten und Produktivitätseinbußen).[12] Und das sind Zahlen von 2006. Heute dürften die Kosten sehr viel höher ausfallen. Widerlinge am Arbeitsplatz ruinieren auch die geistige und körperliche Gesundheit ihrer Opfer – was Angststörungen, Depressionen, Schlafprobleme, hohen Blutdruck und Beziehungsprobleme mit Familien und Partnern zur Folge hat. Laut einiger Langzeitstudien in Europa geht die Arbeit unter einem »Arschboss« mit einem erhöhten Risiko für Herzkrankheiten und vorzeitigem Tod einher. So ergab etwa eine über 20 Jahre hinweg laufende Studie mit 6000 Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes in Großbritannien, dass Angestellte, deren Vorgesetzte sie unfair kritisierten, ihnen nicht zuhörten, wenn sie Probleme meldeten, und sie nur selten lobten, überdurchschnittlich häufig an Angina pectoris und Herzinfarkten erkrankten und infolge von Herzleiden starben.[13]
Sie verstehen, was ich sagen will. Es geht gar nicht darum, ob die Arschlöcher um Sie herum schneller vorankommen oder sich (was wahrscheinlicher ist) ihr Leben, ihre Karriere und ihr Unternehmen versauen. Es geht darum, dass sie eine Gefahr für Sie und für andere darstellen. Mit diesem Buch will ich Ihnen helfen, sich selbst und die Freunde, Kollegen, Kunden, Teams und Organisationen, die Ihnen am Herzen liegen, vor diesen übel wollenden Leuten und ihren giftigen Worten und Taten nicht nur zu schützen, sondern auch gegen sie anzukämpfen.
In den folgenden sechs Kapiteln zeige ich Ihnen, wie man Tyrannen, Intriganten und Arschlöcher beurteilt, aushält und bekämpft, außerdem, wie man ihnen entkommt und wie man sie loswird. In Kapitel 2, »Arschloch-Assessment: Wie schlimm ist das Problem?«, gebe ich Ihnen sechs diagnostische Fragen an die Hand, mit deren Hilfe Sie beurteilen können, wie gefährlich ein gegebenes Arschloch-Problem ist, wie schwierig es zu handhaben und wie schädlich es ist – sprich, ob minimale, mäßige oder maximale Schutz- und Gegenmaßnahmen erforderlich sind. In den nächsten vier Kapiteln wäge ich die Vor- und Nachteile und Feinheiten verschiedener Überlebensstrategien ab: In Kapitel 3 erkläre ich, wie und wann Sie »Einen klaren Schnitt machen« sollten. In Kapitel 4 liefere ich Ihnen »Arschloch-Vermeidungsstrategien«, soll heißen Methoden, wie Sie den Kontakt zu Arschlöchern reduzieren, denen Sie – zumindest vorerst – nicht entkommen können. In Kapitel 5 geht es um »Kognitive Tricks zum Schutz Ihrer Seele«, also darum, wie Sie anders über Arschlöcher denken und anders auf sie reagieren können, damit Sie und andere nicht so sehr unter ihnen leiden. In Kapitel 6 konzentriere ich mich darauf, wie Sie zum »Gegenangriff übergehen« können –, stelle effektive und manchmal auch etwas unfeine Mittel und Wege vor, wie man Arschlöcher bekehren, in die Schranken weisen und loswerden kann – und wie man die Widerlinge etwas zähmt oder sie in zahnlose Papiertiger verwandelt.
Das Buch schließt mit Kapitel 7 und der Empfehlung, »Teil der Lösung zu sein, nicht des Problems«. Hier zeige ich, was es bedeutet, die Anti-Arschloch-Regel zur persönlichen Philosophie zu machen, ein Anliegen, das sich durch dieses Buch zieht und es zusammenhält. Diese Regel ist nicht nur für Teams und Organisationen gedacht. Sie ist eine persönliche Verpflichtung, die beeinflusst, wie Sie Menschen beurteilen, mit welchen Leuten Sie Zeit verbringen und zusammenarbeiten und wie Sie respektlose Handlungen gegen Sie selbst und andere wahrnehmen, unterbinden und bekämpfen.
Hüte dich davor, andere vorschnell als Arschloch abzustempeln,
doch neige dazu, in dir selbst eines zu sehen.
Wenn Sie dieses Mantra im Kopf behalten, kann Sie das davor bewahren, Ihren intuitiven Reaktionen zum Opfer zu fallen – und Sie daran erinnern, Ihr spontanes Bauchgefühl über vermeintliche Widerlinge nochmals zu überdenken und möglicherweise sogar zu revidieren. Mit diesem Mantra im Kopf holen Sie mehr aus diesem Buch heraus. Wenn Sie es sich vorsagen, es leben, kann es Ihnen – und denen, die Sie unterstützen, unterrichten oder coachen – helfen, besser zu verstehen, wann und wo Tyrannen und Intriganten ihre hässliche Fratze zeigen (und wann und wo nicht), warum sie ihr mieses Handwerk verrichten und wie man mit ihnen umgeht. Das ist eine der wichtigsten Lektionen, die ich über die Jahre hinweg über das Denken über und den Umgang mit Arschlöchern gelernt habe.[14]
Uns in unseren Urteilen über andere und uns selbst danach zu richten wirkt den Vorurteilen entgegen, die tief in allen Menschen verankert sind – selbst in den Freundlichsten, Fürsorglichsten und Selbstlosesten unter uns. Wie Sie in Kapitel 7 sehen werden, sind wir, wie psychologische Studien belegen, uns unserer eigenen Schwächen und Fehler nicht bewusst oder spielen sie herunter, neigen wir dazu, unsere Fähigkeiten und Fertigkeiten (vorzugsweise in den Bereichen, in denen wir am wenigsten kompetent sind) zu überschätzen, und sind anfällig dafür, anderen die Schuld für unsere Probleme in die Schuhe zu schieben (selbst wenn wir ganz allein dafür verantwortlich sind). Wer sich wie ein Arschloch aufführt oder herabwürdigendes und respektloses Verhalten von anderen toleriert oder gar ermöglicht, ist, so zeigen diese Untersuchungen, in der Regel nicht gewillt, diese wenig schmeichelhaften Fakten sich selbst oder anderen gegenüber einzugestehen. Kein Wunder also, wenn in den US-weiten Umfragen des Workplace Bullying Institute zwischen 2007 und 2014 zwar über 50 Prozent der Befragten angeben, selbst unter andauerndem Mobbing zu leiden oder Zeuge davon geworden zu sein – aber nicht einmal ein Prozent zugeben, dass sie selbst andere wiederholt mies behandelt haben.[15] Mit ein Grund für dieses eklatante Missverhältnis könnte darin liegen, dass manche Menschen dünnhäutig oder regelrecht paranoid sind, auf kleine oder nur eingebildete Kränkungen überreagieren und anderen Menschen böse Absichten unterstellen, die ihnen gar nichts Übles wollen (oder sogar versuchen, ihnen zu helfen). Der Hauptgrund aber ist darin zu sehen, dass Leute, die sich wie Arschlöcher aufführen, in vielen Fällen blind für ihr eigenes mieses Verhalten sind und dafür, wie andere das wahrnehmen.
Dieses Mantra ist kein Allheilmittel gegen beschränkte Selbstwahrnehmung. Aber es kann ein Gegenwicht darstellen zu den automatischen und häufig fehlerhaften Interpretationen, zu denen wir alle neigen. Wer sich davor hütet, andere vorschnell als Arschloch abzustempeln, gewinnt Zeit, in der er andere Erklärungen in Erwägung ziehen und Mitgefühl für das vermeintliche Arschloch entwickeln kann – statt aus spontanem und manchmal unnötigem Schmerz und Zorn heraus zu reagieren. Und wer schnell dabei ist, sich selbst des Arschlochtums zu bezichtigen oder doch zumindest darüber nachzudenken, ob vielleicht nicht er selbst Teil des Problems ist, beugt damit der allzu menschlichen Tendenz vor, die eigenen Schwächen und Sünden herunterzuspielen. Vor allem hilft dieses Mantra uns dabei, den Teufelskreis zu unterbrechen, in dem beide Seiten – das vermeintliche Opfer und sein mutmaßlicher Peiniger – sich permanent ins Unrecht gesetzt fühlen und sich gegenseitig »Nicht ich bin das Arschloch, sondern du!« ins Gesicht schleudern.
[1]Anmerkung des Übersetzers: Im Englischen wird unterschieden zwischen »bullying«, der willkürlichen Schikanierung/dem willkürlichen Tyrannisieren durch eine Person, und dem systematischeren, gezielten »mobbing« durch eine größere Gruppe. Im Deutschen wird beides zumeist unter dem Begriff »Mobbing« gefasst.