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Fußnoten

1

Georg Büchner, Lenz, Studienausgabe, hrsg. von Ariane Martin, Stuttgart 2017, S. 18.

2

Paul Landau korrigierte 1909 die von Emil Franzos festgelegte Reihenfolge. Franzos’ Eingriffe in den Text wurden 1920 von Georg Witkowski aufgedeckt. Die Zitiergrundlage dieses Lektüreschlüssels beruht auf der 1999 bei Reclam erschienenen und von Burghard Dedner herausgegebenen Studienausgabe (vgl. in dieser Ausgabe hierzu ausführlich S. 41).

3

Gerhart Hauptmann (18621946), deutscher Schriftsteller und Dramatiker, erhielt 1912 den Literaturnobelpreis.

4

Frank Wedekind (18641918), deutscher Schriftsteller, Dramatiker, Schauspieler. Er gehörte zu den meistgespielten Dramatikern seiner Epoche.

5

Exerzierzagel: Exerzieren meint den militärischen Drill. Zagel meint Schweif, aber auch Rute. Der Begriff ist eine Verballhornung der Tätigkeit des Hauptmanns.

6

In der Szene tauchen die Bezeichnungen Professor und Doktor auf. Vermutlich handelt es sich aber nicht um zwei, sondern um eine Figur. Für diese Lesart spricht, dass Woyzeck den »Professor« als »Doctor« anspricht und die Bezeichnung Professor nicht mehr auftaucht, sondern durch »Doctor« ersetzt wird. Die unterschiedlichen Bezeichnungen resultieren vermutlich aus der Zusammenstellung aus verschiedenen Handschriften.

7

Vgl. hierzu Anm. 6 auf S. 17.

8

Georg Büchner, Brief an die Eltern vom 28. Juli 1835, zitiert nach: Georg Büchner, Die Briefe, hrsg. von Ariane Martin. Stuttgart 2011, S. 3234.

9

Alfons Glück, »Woyzeck. Ein Mensch als Objekt«, S. 184, in: Georg Büchner, Dantons Tod, Lenz, Leonce und Lena, Woyzeck. Interpretationen. Stuttgart 1990, S. 179220.

10

Im Deutschen ist der Begriff erstmals 1845 nachgewiesen und damit erst nach Büchners Tod.

11

Zur Einordnung und Deutung der Ernährungsexperimente vergleiche Kap. 5 »Quellen und Kontexte« sowie Kap. 6 »Interpretationsansätze«.

12

Die Charakterisierung des Dramas als Musterbeispiel der offenen Dramenform findet sich insbesondere bei: Volker Klotz, Geschlossene und offene Form im Drama, München 1960.

13

Glück (s. Anm. 9), S. 212.

14

Glück (s. Anm. 9), S. 209.

15

Zum Clarus-Gutachten: Johann Christian August Clarus, »Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck nach Grundsätzen der Staatsarzeneikunde aktenmäßig erwiesen von Dr. Johann Christian August Clarus«, in: Zeitschrift für Staatsarzeneikunde, hrsg. von Adolf Henke, 4. Ergänzungsheft, Erlangen 1825, S. 197, zitiert nach: Lothar Bornscheuer, Georg Büchner, »Woyzeck«. Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart 1972, S. 6064.

16

C. M. Marc, War der am 27ten August 1824 in Leipzig hingerichtete Mörder Johann Christian Woyzeck zurechnungsfähig? Enthaltend eine Beleuchtung der Schrift des Herrn Hofrath Dr. Clarus »Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck …«, Bamberg 1825 [80 Seiten], zitiert nach: Bornscheuer (s. Anm. 15), S. 62.

17

Johann Christian August Heinroth, Über die gegen das Gutachten des Herrn Hofrath D. Clarus von Herrn Dr. C. M. Marc in Bamberg abgefaßte Schrift: War der am 27. August 1824 zu Leipzig hingerichtete Mörder J. C. Woyzeck zurechnungsfähig? Leipzig 1825 [69 Seiten], S. 25, zitiert nach: Bornscheuer (s. Anm. 16), S. 65.

18

Georg Büchner, Brief an die Familie vom 28. Juli 1835, zitiert nach: Büchner (s. Anm. 8).

19

Vgl. hierzu Kap. 5, das die Quellen und die Stoffgeschichte ausführlich darlegt.

20

Georg Büchner, Brief an die Braut Januar 1834 (sogenannter »Fatalismusbrief«), zitiert nach: Büchner (s. Anm. 8), S. 53 f.

21

Glück (s. Anm. 9), S. 193 f.

22

Glück (s. Anm. 9), S. 197 f.

23

Justus von Liebig, ab 1845 Freiherr von Liebig (18031873) war deutscher Chemiker und Universitätsprofessor in Gießen und München.

24

Vgl. hierzu Kap. 5 »Quellen und Kontexte«; sowie: Bornscheuer (s. Anm. 15), S. 15.

25

Glück (s. Anm. 9), S. 196.

26

Glück (s. Anm. 9), S. 195 f.

27

Glück (s. Anm. 9), S. 196.

28

Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände (Conversations-Lexikon), Bd. 11, 9. Leipzig 91846, S. 15 f.

29

Bornscheuer (s. Anm. 15), S. 12 f.

30

Zitiert nach: Georg Büchner. Leben, Werk, Zeit. Ausstellung zum 150. Jahrestag des »Hessischen Landboten«, hrsg. von Thomas M. Mayer, Marburg 31987, S. 14.

31

Cato der Jüngere (95 v. Chr. – 46 v. Chr.) römischer Senator, der für römische Ideale, wie Unbestechlickeit, Einhaltung des geltenden Rechts und eine republikanische Gesinnung eintrat.

32

Georg Büchner, »Rede zur Verteidigung des Cato von Utika gehalten auf dem Gymnasial-Redeaktus in Darmstadt, Herbst 1830«, zitiert nach: Georg Büchner, Werke und Briefe. Nach der historisch-kritischen Ausgabe von Werner R. Lehmann. Kommentiert von Karl Pörnbacher, Gerhard Schaub, Hans-Joachim Simm und Edda Ziegler, München 1980, S. 201.

33

Zitiert nach Georg Büchner, Leben – Werk – Zeit, Katalog zur Ausstellung zum 150. Jahrestag des »Hessischen Landboten«. Georg Büchner Gesellschaft, Marburg, in Verbindung mit dem Kulturamt der Stadt Marburg und dem Institut für Neuere deutsche Literatur der Philipps-Universität Marburg, Marburg 1985, S. 56.

34

Zitiert nach Jan Christoph Hauschild, Georg Büchner, Reinbek bei Hamburg 1992, S. 50.

35

Zitiert nach Hans Georg Schede, Lektüreschlüssel, Georg Büchner: »Woyzeck«, Stuttgart, 2006, S. 82.

36

Büchner, Lenz (s. Anm. 1), S. 17 f.

37

Gerhart Hauptmann, Das Abenteuer meiner Jugend, in: G. H., Sämtliche Werke, hrsg. von Hans-Egon Hass, Bd. 7, Berlin 1962, S. 1061 [2. Buch, Kap. 40].

38

Alfred Kerr, »Woyzeck ist der Mensch, auf dem alle herumtrampeln …«, in: Herbert Schnierle, Georg Büchner. Die großen Klassiker, Salzburg 1980, S. 119.

39

Definition der Operatoren gemäß: Gemeinsame Abituraufgabenpools der Länder. Aufgaben für das Fach Deutsch. Grundstock von Operatoren. www.iqb.hu-berlin.de/bista/abi/deutsch/dokumente (Stand: 512018).

1. Schnelleinstieg

»Man versuche es einmal und senke sich in das Leben des Geringsten und gebe es wieder, in den Zuckungen, den Andeutungen, dem ganzen feinen, kaum bemerkten Minenspiel«.1 Diese Worte legt Georg Büchner dem Protagonisten seiner Erzählung Lenz in den Mund und formuliert damit zugleich sein eigenes Kunstprogramm, das er auch in seinem Dramenfragment Woyzeck, seinem letzten, nicht mehr fertiggestellten Werk, umzusetzen sucht.

Im Zentrum dieses Dramenfragments steht der Soldat Franz Franz WoyzeckWoyzeck, der zum Mörder an seiner Geliebten Marie wird. Dieser Woyzeck zählt in jeder Hinsicht und in einem ganz umfassenden Sinn zu den »Geringsten«: Als Soldat erhält er nur sehr geringen Sold. Er hat eine Beziehung zu Marie, mit der er ein uneheliches Kind hat. Um Marie und das Kind zu unterstützen, verdingt sich Woyzeck neben seinem Soldatendienst als Laufbursche für seinen Hauptmann und nimmt weitere Gelegenheitsarbeiten an. Unter anderem unterzieht er sich gegen Geld Ernährungsexperimenten, die seine Gesundheit beeinträchtigen. Trotz anstrengendster Arbeit kann er für sich, Marie und das Kind nur notdürftig sorgen.

Woyzeck gehört auch hinsichtlich seiner persönlichen Möglichkeiten zu den »Geringsten«. Über formale Bildung verfügt er nicht. Die Bedingungen, unter denen er lebt, nimmt er wahr, begreifen oder gar gestalten kann er sie nicht. Er ist den Verhältnissen ausgeliefert und empfindet das auch. Mehrere Szenen zeigen Woyzeck gehetzt und aufgebracht, in Selbstgesprächen und mit sich steigernden Wahnvorstellungen (Verfolgungswahn). Als Woyzeck erfährt, dass Marie ihn mit dem Tambourmajor betrügt, und er von diesem gedemütigt wird, bringt er Marie um. Obgleich Eifersucht eine Rolle spielt, ist Woyzeck viel mehr als ein Eifersuchtsdrama. Ursächlich für den Mord ist das Motivgeflecht aus Armut, ungesicherten Lebensverhältnissen und Gewalt.

Büchner wurde zum Drama Woyzeck u. a. durch mehrere zeitgenössische Zeitgenössische MordfälleMordprozesse angeregt, die in der Entstehungszeit des Dramas öffentlich intensiv diskutiert wurden. Neben dem Fall des historischen Johann Christian Woyzeck aus Leipzig sind dies die Fälle von Daniel Schmolling aus Berlin und Johann Dieß aus Darmstadt. Woyzeck, Schmolling und Dieß begingen Morde an ihren Geliebten und wurden dafür verurteilt. Johann Christian Woyzeck, dessen Fall für Büchner am wichtigsten war, wurde 1824 in Leipzig öffentlich hingerichtet. In den Prozessen wurde jeweils die Frage nach der Zurechnungsfähigkeit des Täters gestellt. Es wurden Gutachten über den Geisteszustand der Täter erstellt und auch veröffentlicht. Büchner kannte diese Gutachten. Mit seinem Dramenfragment Woyzeck nimmt er gewissermaßen literarisch Stellung zu der öffentlich geführten Diskussion. Er kommt dabei allerdings zu einem anderen Ergebnis als die Gutachter in den realen Mordfällen. In seinem Drama übt Büchner massive Kritik an den Urteilskriterien und Schlussfolgerungen seiner Zeitgenossen. Büchners Woyzeck ist damit auch Dokument einer Debatte, die bis heute in der Diskussion um gerichtspsychiatrische Gutachten eine brisante Rolle spielt.

Georg Büchner kann sein Drama Woyzeck nicht mehr vollenden. Als er 1837 im Alter von nur 23 Jahren in Zürich stirbt, hinterlässt er lediglich schwer lesbare handschriftliche Entwürfe, die erstmals 1880 in einer ersten kritischen Gesamtausgabe unter dem Titel Wozzeck veröffentlicht wurden. Der Herausgeber dieser Gesamtausgabe, der Schriftsteller und Publizist Karl Emil Franzos, brachte die Szenen in eine ihm logisch erscheinende Reihenfolge, die aber im 20. Jahrhundert keinen Bestand hatte. Der von ihm gewählte Titel resultierte mutmaßlich aus einem Lesefehler. Auch griff Franzos in den Text ein und fügte eigene Passagen hinzu.2 Die Wirkung der Veröffentlichungen und RezeptionVeröffentlichung war gleichwohl immens. Insbesondere die Naturalisten, etwa Gerhart Hauptmann3 oder Frank Wedekind4, setzten sich intensiv mit Büchner und seinem Woyzeck auseinander. Die Uraufführung des Woyzeck fand 1913 in München statt. Ihr folgten weitere Inszenierungen an unterschiedlichen Bühnen. In der Zeit der Weimarer Republik gehörte Woyzeck zu den viel gespielten Stücken, allein im Jahr 1925 gab es zehn Neuinszenierungen. Auch die Uraufführung der Oper Wozzeck von Alban Berg fand in diesem Jahr statt. Unter den Nationalsozialisten spielte Büchners Woyzeck auf den deutschen Bühnen keine bedeutende Rolle. Das Stück war allerdings nicht verboten. Nach 1945 wurde Woyzeck erneut intensiv rezipiert und auch wieder häufig gespielt. Er gehört bis heute zum Standardrepertoire deutschsprachiger Bühnen und zum Literaturkanon der gymnasialen Oberstufe.

2. Inhaltsangabe

Zur Orientierung über den Inhalt des Dramas wird die Handlungsabfolge im Stück systematisch in den vier großen, auch zeitlich geordneten Szenenblöcken wiedergegeben. Einer Übersicht zum jeweiligen Szenenblock folgt die Inhaltsangabe der Einzelszenen. Aufgrund des Fragmentstatus des Dramas gibt es keine von Georg Büchner selbst fixierte Anordnung der Szenen. Die nachstehende Handlungsabfolge hat der Büchner-Experte Burghard Dedner 1999 aus verschiedenen überlieferten Handschriften des Autors rekonstruiert (vgl. Kap. 4, S. 4).

Abend: Szenen 1–3

Die drei ersten Szenen zeigen Woyzeck und die ihm vertrauten Menschen, Andres und Marie (Szenen 1 und 2). In Szene 3 ist Woyzeck mit Marie auf dem Jahrmarkt. Die Szenen spielen vermutlich an einem Abend. Szene 3 initiiert insofern die Handlung, als Marie sich hier erstmals dem Tambourmajor annähert, nachdem sie ihn in Szene 2 beobachtet hat.

Szene 1: Woyzeck und Andres schneiden vor der Stadt Stöcke. Ob diese Tätigkeit zu ihrem militärischen Dienst gehört oder eine der weiteren Tätigkeiten ist, mit denen Woyzeck zusätzlich Geld verdient, bleibt offen. Woyzeck spricht in dieser Szene von einem »Streif da über das Gras hin« (S. 9), was auf eine Woyzecks frühe AngstvisionenAngstvision hinweist. Er fühlt sich von Freimaurern verfolgt. In der Beschreibung seiner Angstvisionen greift er auf eine biblische Sprache zurück, so etwa wenn er von einem »Feuer« spricht, das »um den Himmel [fährt]« (S. 9). Die Formulierung nimmt auf die Ankündigung des Weltendes in der Offenbarung des Johannes im Neuen Testament Bezug (vgl. Offenbarung des Johannes 20,9: »Und es fiel Feuer vom Himmel und verzehrte sie«). Woyzeck wirft sich auf den Boden und reißt Andres mit. Andres, der zunächst ein Volkslied gesungen hat, bricht das Lied ab und reagiert auf Woyzecks Zustand seinerseits verängstigt: »Ich fürcht mich« (S. 9). Die Szene endet mit dem Ertönen der Trommeln in der Stadt, die den Zapfenstreich ankündigen. Für die Soldaten ist dies das Signal, in die Kaserne zurückzukehren.

Szene 2: Marie, mit dem Kind auf dem Arm, blickt aus dem Fensterszene: Der TambourmajorFenster den Soldaten nach, die, angeführt von einem Tambourmajor, zur Kaserne zurückkehren. Marie wie die anwesende Margreth sind beeindruckt vom männlichen Aussehen und selbstbewussten Auftreten des Tambourmajors. Obgleich beide den Tambourmajor attraktiv finden, geraten sie in einen Streit, in dem Margreth Marie deren uneheliches Kind zum Vorwurf macht. Marie beendet den Streit, indem sie das Fenster zuschlägt. Auf dem Weg zur Kaserne kommt Woyzeck vorbei, klopft aber nur ans Fenster und berichtet Marie von seinen Erscheinungen und düsteren Visionen. Marie reagiert ähnlich wie Andres verängstigt: »Der Mann! So vergeistert. […] Es schauert mich« (S. 11).

Szene 3: Die Szene spielt auf einem Auf dem JahrmarktJahrmarkt, den Marie und Woyzeck vermutlich noch am selben Tag aufsuchen. Es herrscht eine ausgelassene Stimmung. Ein Ausrufer preist die Attraktionen einer Vorführung an, die Woyzeck mit Marie besuchen will. Dies ist die einzige Szene, in der Woyzeck entspannt erscheint. Der ebenfalls anwesende Tambourmajor und ein Unteroffizier sprechen über Marie und ihre erotische Ausstrahlung. Sie folgen Woyzeck und Marie in die Vorstellung. Während der Vorstellung drängelt sich Marie nach vorne und lässt sich dabei vom Unteroffizier helfen.

Vormittag: Szenen 4–8

Die Folgeszenen 4 bis 8 spielen vermutlich alle an einem Vormittag. Die Szenenfolge zeigt Woyzeck gehetzt zwischen den vielfältigen Anforderungen, die er zu erfüllen hat: Woyzeck besucht Marie, rasiert den Hauptmann, Marie trifft den Tambourmajor, Woyzeck stellt sie zur Rede, Woyzeck ist beim Doktor. Das Zusammentreffen mit Marie und dem Kind wird durch die Verpflichtungen Woyzecks begrenzt bzw. unterbrochen. Die Szenenfolge kennzeichnet somit seine Lebenssituation.

Szene 4: Marie ist mit ihrem Kind zu Hause. Sie möchte, dass das Kind schläft. Sie hat neue Ohrringe, offenbar ein Geschenk des Tambourmajors, betrachtet sich im Spiegel und beklagt die Ungerechtigkeit der Verhältnisse, denen sie als arme Frau ausgesetzt