Das Seltsame und das Gespenstische
Aus dem Englischen von Robert Zwarg
Mit einem Nachwort von Christian Werthschulte
FUEGO
- Über dieses Buch -
Warum ist da etwas, wo doch nichts sein sollte? Warum ist da nichts, wo doch etwas sein sollte?
In den letzten, vor seinem Selbstmord geschriebenen Essays begibt sich Mark Fisher auf die Spur zweier eigentümlicher Affekte, dem Seltsamen und dem Gespenstischen. Eng verbunden und doch getrennt, stellen beide das Verhältnis von Innen- und Außenwelt infrage, heften sich an das Eigenartige und Unbekannte, bedrücken, ohne Angst zu erregen, faszinieren und verstören zugleich.
Mark Fisher findet das Seltsame und Gespenstische in der unheimlichen Unterströmung des 20. Jahrhunderts: den Filmen David Lynchs, Stanley Kubricks und Andrei Tarkovskys, der phantastischen Literatur H.P. Lovecrafts und H.G. Wells oder den Erzählungen Margaret Atwoods. In den Genres wie Horror und Science Fiction geht Fisher der Frage nach: Was genau ist das Seltsame und das Gespenstische?
»Das Buch ist eine Forschungsreise in den Pulp Modernism, jene Formen der Popkultur, in denen sich für Fisher der Erkenntnisreichtum des Hochmodernismus des frühen 20. Jahrhunderts fortsetzt.« Christian Werthschulte
Pressestimmen
»Er war mehr als ein Popkritiker: Grenzgänger zwischen Kultur und Wissenschaft, Experte zerbrochener Zeitlichkeit, immer auf der Flucht vor dem Gefängnis der Denkregeln.« (Georg Seeßlen, Spex)
»Kaum jemand hat den Verlust der Zukunft so brillant beschrieben wie der britische Kulturtheoretiker Mark Fisher.« (Harald Staun, FAZ)
»Es ist das große Verdiest von Mark Fisher als Autor und Blogger über Jahre darauf insistiert zu haben, dass die große Traurigkeit seiner Generation und die damit verbundenen musikalischen und literarischen Melancholien politische Ursachen haben, ja mehr als das: so etwas wie eine verwandelte Politik sind. Dass seine eigene Depression so unerträglich wurde, dass er sich das Leben nahm, macht es schwer, über seine Ideen zu schreiben, ohne an die existenzielle Dringlichkeit zu denken, ihre Funktion als mobilisierte Notwehr gegen die tödliche Zersetzung durch das ›ursprüngliche Gefühl‹, das die Klassengesellschaft bei ihren Opfern hinterlasse… Diese Spannweite (von Literatur, Musik, Film) an Fisher ist wahnsinnig anziehend, dass er vom Entferntesten aus zum Politischen zu kommen versucht, ohne banalisierende, vordergründige Ableitungen.« (Diedrich Diederichsen, taz)
Für Zöe,
mein steter Quell der Unterstützung,
und der Grund, warum da etwas ist
und nicht nichts
Merkwürdig, dass ich so lange gebraucht habe, um mich dem Seltsamen und dem Gespenstischen zu widmen. Denn obwohl die unmittelbaren Anfänge dieses Buches eher jüngeren Datums sind, verfolgen und faszinieren mich Beispiele des Seltsamen und Gespenstischen seit jeher. Aber ich hatte die beiden Modi noch nicht wirklich identifiziert oder gar ihre Grundmerkmale erkannt. Ohne Zweifel liegt das daran, dass die wichtigsten kulturellen Beispiele für das Seltsame und Gespenstische an den Rändern von Genres wie Horror oder Science Fiction zu finden sind und dass die Verbindung mit diesen Genres verdecken, was das Besondere des Seltsamen und Gespenstischen ist.
Auf das Seltsame wurde ich vor ungefähr zehn Jahren aufmerksam, in Folge zweier Symposien über das Werk von H.P. Lovecraft am Goldsmiths College der University of London; das Unheimliche wiederum wurde das Hauptthema von Vanishing Land, einem Audio-Essay aus dem Jahr 2013, den ich gemeinsam mit Justin Barton produziert habe. Das Gespenstische hat sich an Justin und mich geradezu herangeschlichen; eigentlich war es nicht unser Thema, doch am Ende des Projekts fanden wir, dass vieles an der Musik, den Filmen und der Literatur, die uns heimgesucht hatte, die Qualität des Gespenstischen hatten.
Gemeinsam ist dem Seltsamen und Gespenstischen ein Bezug auf das Eigenartige. Das Eigenartige – nicht das Schreckliche. Der Reiz des Seltsamen und Gespenstischen gründet nicht darin, dass wir »genießen, was wir fürchten«. Vielmehr geht es um eine Faszination für das Außen, für das, was jenseits der üblichen Wahrnehmung, Erkenntnis oder Erfahrung liegt. Dieser Faszination ist oft eine gewisse Beunruhigung, vielleicht sogar eine gewisse Furcht beigemischt – doch es wäre falsch, anzunehmen, dass das Seltsame und das Gespenstische notwendigerweise furchterregend sind. Ich möchte freilich nicht behaupten, dass uns das Außen immer wohlgesonnen ist. Es gibt mehr als genug Schrecken da draußen; doch diese Schrecken sind nicht das einzige, was es da draußen gibt.
Dass es so lange gedauert hat, bis ich mich dem Seltsamen und dem Gespenstischen widmen konnte, hat vielleicht auch mit dem Bann, der von Sigmund Freuds Begriff des Unheimlichen1 ausging, zu tun. Bekanntermaßen wurde unheimlich im Englischen mit uncanny übersetzt; das Wort aber, das Freuds Verständnis des Begriffs besser beschreibt, ist unhomely. Das Unheimliche wird oft mit dem Seltsamen und dem Gespenstischen gleichgesetzt – Freud selbst behandelt die Begriffe als austauschbar. Doch der Einfluss seines großartigen Essays hat dazu geführt, dass das Unheimliche die beiden anderen Phänomene in den Hintergrund gedrängt hat.
Der Essay über das Unheimliche war für die Untersuchung von Horror und Science Fiction höchst einflussreich – am Ende vielleicht weniger aufgrund der eigentlichen Definition als aufgrund seiner Unentschlossenheit, seiner Mutmaßungen und der Thesen, die er ablehnt. Die Beispiele Freuds – Doppelgänger, mechanische Apparate, die wie Menschen erscheinen, Prothesen – erzeugen eine gewisse Unruhe. Doch Freuds Lösung des Rätsels des Unheimlichen – seine Behauptung, es ließe sich auf Kastrationsangst reduzieren – ist so enttäuschend wie jede mittelmäßige Standardauflösung eines Mysteriums durch einen Genredetektiv. Was allerdings immer noch fasziniert, ist das Bündel der in Freuds Essay kursierenden Begriffe und die Art und Weise, wie sie oft rekursiv genau jenen Prozess hervorbringen, auf den sie sich beziehen. Wiederholung und Verdopplung – selbst ein unheimliches Paar, das sich selbst verdoppelt und wiederholt – scheinen der Kern jedes »unheimlichen« Phänomens zu sein, das Freud behandelt.
Es gibt sicherlich etwas, dass das Seltsame, das Gespenstische und das Unheimliche verbindet. Es sind alles Affekte, aber es sind zugleich Formen: Formen des Films und der Literatur, Formen der Wahrnehmung und schließlich, so könnte man sogar sagen, Formen des Seins. Und dennoch handelt es sich strenggenommen nicht um Genres.
Der vielleicht wichtigste Unterschied zwischen dem Unheimlichen auf der einen und dem Seltsamen und Gespenstischen auf der anderen Seite ist ihr Umgang mit dem Eigenartigen. Bei Freuds Begriff des Unheimlichen geht es um das, was uns innerhalb des Vertrauten eigenartig erscheint, dem seltsam Vertrauten oder dem vertrauten Seltsamen – es geht darum, wie die vertraute Welt nicht mit sich identisch ist. Alle Ambivalenzen von Freuds Psychoanalyse verdichten sich in diesem Begriff. Sollen das Vertraute (familiar) – und das Familiäre (familial) – wieder unvertraut werden? Oder geht es darum, dass Unvertraute wieder zurück ins Vertraute und Familiäre zu bringen? Hier sieht man die charakteristische Doppelbewegung der Freud’schen Psychoanalyse: zunächst gibt es die Verfremdung vieler bekannter Vorstellungen über die Familie; doch dies wird von einer kompensatorischen Bewegung begleitet, worin das Außen als modernes Familiendrama lesbar wird. Die Psychoanalyse ist selbst ein unheimliches Genre; sie wird verfolgt von einem Außen, das sie umkreist, aber niemals vollständig anerkennen oder bejahen kann. Viele Kommentatoren haben erkannt, dass Freuds Aufsatz über das Unheimliche selbst einem Märchen gleicht, wobei Freud in der Rolle des James’schen unzuverlässigen Erzählers ist. Aber wenn Freud ein unzuverlässiger Erzähler ist, warum sollten wir akzeptieren, dass sein eigenes Märchen unter die Kategorie fällt, die sein Essay vorschlägt? Was wäre, wenn die ganze Dramatik des Essays in Freuds ständigen Versuchen besteht, das Phänomen, das er untersucht, in die Kategorie des Unheimlichen zu pressen?
Das Seltsame und das Gespenstische im Unheimlichen aufgehen zu lassen ist symptomatisch für einen säkularen Rückzug von der Außenwelt. Die allgemeine Vorliebe für das Unheimliche entspricht einem Hang zu einer Art von Kritik, die das Außen immer durch die Lücken und Sackgassen des Inneren abwickelt. Das Seltsame und das Gespenstische verfahren genau umgekehrt: sie erlauben uns, das Innen durch die Perspektive des Außen zu sehen. Wie deutlich werden wird, ist das Gespenstische das, was nicht dazugehört. Das Gespenstische stattet das Vertraute mit etwas aus, das normalerweise jenseits von ihm liegt und nicht mit dem »Heimeligen« versöhnt werden kann (auch nicht in seiner Negation als »Unheimliches«). Die Form, die vielleicht am besten dem Seltsamen entspricht, ist die Montage – die Verbindung von zwei oder mehr Dingen, die nicht zusammen gehören. Daher die Vorliebe des Surrealismus für das Seltsame, der das Unbewusste als Montage-Maschine verstand, als Generator seltsamer Kombinationen. Das ist auch der Grund, warum Jacques Lacan – der sich der Herausforderung des Surrealismus sowie der restlichen ästhetischen Moderne stellte – sich einer seltsamen Psychoanalyse nähern konnte, in der Todestrieb, Träume und das Unbewusste von jeder Naturalisierung oder dem Gefühl der Vertrautheit entbunden sind.
Auf den ersten Blick scheint das Gespenstische dem Unheimlichen näher zu sein als dem Seltsamen. Aber wie dieses hat auch das Gespenstische grundsätzlich mit dem Außen zu tun, in diesem Falle verstanden sowohl in einem streng empirischen als auch in einem eher abstrakt transzendentalen Sinne. Das Gefühl des Gespenstischen heftet sich selten an einen geschlossenen, bewohnten, häuslichen Raum; wir finden es eher in von Menschen teilweise verlassenen Landschaften. Wie ist diese Ruine entstanden? Warum ist hier etwas verschwunden? Was für ein Wesen war daran beteiligt? Was für ein Ding hat diesen gespenstischen Schrei ausgestoßen? Wie wir sehen, hat das Gespenstische grundsätzlich mit Fragen der Wirkungsmacht zu tun. Was für ein Subjekt wirkt da? Gibt es überhaupt ein Subjekt? Diese Fragen lassen sich in einem psychoanalytischen Register stellen – wenn wir nicht sind, wer wir denken, dass wir sind, was sind wir dann? –, aber sie betreffen auch die Kräfte, die die kapitalistische Gesellschaft regieren. Das Kapital ist auf allen Ebenen ein gespenstisches Ding: aus dem Nichts hervorgezaubert, übt das Kapital dennoch mehr Einfluss aus als jedes andere vermeintlich substantielle Wesen.
Der metaphysische Skandal des Kapital führt uns zu der größeren Frage der Wirk- und Handlungsmacht des Immateriellen und Unbelebten: die Wirkung von Mineralien und Landschaften für Autoren wie Nigel Kneale und Alan Garner und die Art und Weise, wie »wir selbst« in Rhythmen, Stößen und Einflüssen nicht-menschlicher Kräfte ausgesetzt sind. Es gibt kein Innen, außer als Einbruch des Außen; die Risse im Spiegel zu sehen, zu glauben, man sei ein anderer und war das schon immer. Dieser Schauder, der uns dann befällt, ist der Schauder des Gespenstischen, nicht des Unheimlichen.
Ein außergewöhnliches Beispiel der Verdrängung des Unheimlichen durch das Gespenstische ist D.M. Thomas’ Roman The White Hotel (dt. Das weiße Hotel). Zunächst handelt es sich dabei scheinbar um eine simulierte Fallstudie einer fiktionalen Patientin von Sigmund Freud, »Anna G.«. Annas Gedicht, mit dem der Roman beginnt, wirkt auf den ersten Blick voller erotischer Hysterie, so wie es der von Thomas erdachte Freud in seiner Fallgeschichte nahelegt. Freuds Lesart droht, die Traumatmosphäre des Gedichts aufzulösen und ein ganz bestimmtes Deutungsmuster vorzubereiten: die Gegenwart wird durch die Vergangenheit, das Außen durch das Innen erklärt. Doch es stellt sich heraus, dass der scheinbare Erotizismus selbst eine Verschleierung und Ablenkung von einem intensiv wirkenden Bezugspunkt des Gedichts ist, der sich nicht in der Vergangenheit der Protagonistin liegt, sondern in ihrer Zukunft – ihr Tod im Massaker von Babi Jar 1941. Die Thematik von Vorsehung und Schicksal führt uns auf das Gespenstische in einer verstörenden Form. Das Schicksal mag jedoch sowohl zum Seltsamen als auch zum Gespenstischen gehören. Die wahrsagenden Hexen aus Macbeth werden immerhin auch die »unheimlichen Schwestern« (weird sisters) genannt und eine archaische Bedeutung des englischen Wortes weird ist fate – Schicksal. Die Idee des Schicksals ist seltsam insofern, als es sich um verkehrte Formen von Zeit und Kausalität handelt, die der gewöhnlichen Wahrnehmung fremd sind, aber sie ist auch gespenstisch, indem sie die Frage der Handlungsmacht aufwirft: wer oder was ist das Wesen, von dem das Schicksal gewebt wurde?
Das Gespenstische betrifft die grundlegendsten metaphysischen Fragen, die gestellt werden können, Fragen, die mit Existenz und Nicht-Existenz zu tun haben: Warum ist hier etwas, obwohl da nichts sein sollte? Warum ist da nichts, obwohl da etwas sein sollte? Die blinden Augen der Toten; der verwirrte Blick dessen, der sein Gedächtnis verloren hat – all dies ruft das Gefühl des Gespenstischen hervor, so sehr wie ein verlassenes Dorf oder ein Steinkreis.
Soweit haben wir immer noch den Eindruck, dass das Seltsame und das Gespenstische primär mit dem Beunruhigenden und Furchterregenden zu tun haben. Schließen wir diese einleitenden Bemerkungen mit ein paar Beispielen, wo das Seltsame und das Gespenstische andere Affekte hervorrufen. Moderne und experimentelle Kunst erscheint uns oft als seltsam, wenn wir ihr das erste Mal begegnen. Der Eindruck, dass etwas nicht stimmt, der mit dem Seltsamen einhergeht – die Überzeugung, dass dies nicht dazugehört –, ist oft ein Zeichen, dass wir mit etwas Neuem konfrontiert sind. Hier ist das Seltsame ein Signal, dass die Begriffe und Systeme, die wir früher angewandt haben, nun obsolet sind. Wenn die Begegnung mit dem Eigenartigen hier nicht sofort angenehm ist (da das Angenehme immer auf frühere Formen der Befriedigung verweist), so ist sie doch auch nicht einfach unangenehm: Es liegt einen Genuss darin, Bekanntes und Konventionelles veralten zu sehen – ein Genuss, der, in seiner Mischung aus Lust und Schmerz, etwas mit dem zu tun hat, was Lacan jouissance nannte.
Das Gespenstische bedeutet für uns auch die Trennung von unseren gegenwärtigen Bindungen. Doch, im Zusammenspiel mit dem Seltsamen, hat diese Trennung nicht immer die Qualität eines Schocks, die normalerweise vom Gespenstischen verursacht wird. Die Gelassenheit, die oft mit dem Gespenstischen assoziiert wird – man denke an die Rede von der gespenstischen Ruhe – hat mit der Trennung von den Dringlichkeiten des Alltags zu tun. Die Perspektive des Gespenstischen eröffnet uns die Kräfte, die unseren Alltag regieren, die aber normalerweise verborgen sind, so wie es uns auch Zutritt zu Räumen jenseits des Alltäglichen überhaupt gewähren kann. Es ist diese Entlassung aus dem Alltäglichen, diese Flucht aus dem, was wir gewöhnlicherweise für die Realität halten, die ein Stück weit den eigentümlichen Reiz des Gespenstischen erklärt.
Was ist das Seltsame? Was für ein Gefühl meinen wir, wenn wir sagen, dass etwas seltsam ist? Ich möchte zeigen, dass das Seltsame eine bestimmte Form der Störung ist. Es enthält das Gefühl, dass etwas nicht stimmt: ein seltsames Wesen oder Objekt ist so merkwürdig, dass wir denken, es sollte nicht existieren oder zumindest sollte es nicht hier existieren. Aber wenn das Wesen oder das Objekt hier ist, dann können die Kategorien, mit denen wir bisher die Welt begriffen haben, nicht mehr gelten. Aber es ist nicht das Seltsame, mit dem etwas nicht stimmt: Es sind unsere Vorstellungen, die unpassend sein müssen.
Definitionen aus Wörterbüchern sind nicht immer hilfreich, um das Seltsame zu verstehen. Manche verweisen sofort auf das Übernatürliche, obwohl keinesfalls klar ist, dass übernatürliche Dinge auch seltsam sein müssen. In vielerlei Hinsicht ist ein natürliches Phänomen, wie ein schwarzes Loch, seltsamer als ein Vampir. Und in der Literatur sorgt die gattungsmäßige Wiedererkennbarkeit von Vampiren oder Werwölfen dafür, dass sich überhaupt kein Gefühl des Seltsamen einstellt. Es gibt ein überliefertes Wissen, wie solche Kreaturen zu deuten und zu verorten sind. Monströs sind sie also allenfalls ihrer Erscheinung nach; aber zusammengesetzt sind sie aus Elementen der empirischen Welt, die wir kennen und verstehen. Zugleich bedeutet die Tatsache, dass es sich um übernatürliche Wesen handelt, dass jede Fremdheit, die ihnen eigen ist, in ein Reich jenseits der Natur relegiert wird. Man vergleiche das mit einem schwarzen Loch: Die bizarre Art und Weise, wie es Raum und Zeit verformt, liegt vollkommen außerhalb unserer gewöhnlichen Erfahrung. Und dennoch sind schwarze Löcher Teil unseres Kosmos – eines Kosmos, der darum viel merkwürdiger ist, als wir begreifen können.
Es war diese Ahnung, die die seltsame Literatur von H.P. Lovecraft inspiriert hat. »Alle meine Geschichten basieren auf der fundamentalen Prämisse, dass die gewöhnlichen menschlichen Gesetze, Interessen und Emotionen keine Geltung oder Bedeutung im großen Kosmos insgesamt haben«, schrieb Lovecraft 1927 dem Herausgeber der Zeitschrift Weird Tales. »Um zum Wesen echter Externalität vorzudringen, sei es der Zeit, des Raumes oder der Dimension, muss man solche Sachen wie das organische Leben, Gut und Böse, Liebe und Hass und all die lokalen Attribute einer vernachlässigbaren und vorübergehenden Rasse namens Menschheit vergessen.« Diese Qualität einer »echten Externalität« ist entscheidend, damit wir etwas als seltsam bezeichnen können.
Jede Diskussion über seltsame Literatur muss mit Lovecraft beginnen. Mit seinen in Groschenheften veröffentlichten Geschichten hat Lovecraft das Genre praktisch erfunden und eine Formel entwickelt, die sowohl von Fantasy- als auch von Horrorliteratur unterschieden werden kann. Lovecrafts Geschichten beschäftigen sich obsessiv mit dem Außen, das heißt mit einer Außenwelt, der wir im Kontakt mit anormalen Wesen aus fernen Zeiten begegnen, in veränderten Bewusstseinszuständen oder bei bizarren Verdrehungen der Zeitstruktur. Oft endet eine solche Begegnung mit dem Außen in einem Zusammenbruch oder einer Psychose. Regelmäßig stellt sich die Innenwelt, in die das Außen gleich einer Katastrophe einbricht, retrospektiv als trügerische Hülle und als Schwindel heraus. Nehmen wir »The Shadow over Innsmouth« (dt. »Schatten über Innsmouth«), wo am Ende enthüllt wird, dass die Hauptfigur selbst ein aquatisches Alien, ein sogenanntes »Tiefes Wesen« ist. Ich bin Es – oder noch besser, Ich bin Sie.
Obwohl Lovecraft gemeinhin als Horrorschriftsteller gilt, rufen seine Geschichten selten das Gefühl der Angst hervor. In dem Essay »Notes on Writing Weird Fiction« (dt. »Anmerkungen zum Schreiben unheimlicher Erzählungen«), in dem es um die Motive seines Schreibens geht, nennt Lovecraft zuerst gar nicht die Angst, sondern spricht von »vagen, flüchtigen, fragmentarischen Eindrücken des Wundersamen, Schönen und der erwartungsvollen Abenteuerlichkeit«, die er erzeugen möchte. Die Betonung des Schreckens in seinen Geschichten, so Lovecraft weiter, sei eine Folge der Begegnung mit dem Unbekannten.
Entsprechend geht es bei Lovecrafts Version des Seltsamen nicht um Angst, sondern um Faszination, auch wenn dieser Faszination oft eine gewisse Furcht beigemischt ist. Dies könnte für den Begriff des Seltsamen allgemein gelten. Es stößt uns nicht einfach ab, es muss zugleich unsere Aufmerksamkeit fesseln. Eine Geschichte, die keine Faszination, sondern nur Angst hervorruft, ist nicht seltsam. Faszination ist der Affekt, der Lovecrafts Figuren und seine Leser verbindet. Angst und Schrecken werden nicht in derselben Weise geteilt; Lovecrafts Charaktere haben oft Angst, seine Leser jedoch nur selten.
Bei Lovecraft ist die Faszinationen eine Form von Jacques Lacans jouissance: ein Genuss, der sich durch die Untrennbarkeit von Lust und Schmerz auszeichnet. In seinen Geschichten wimmelt es davon, die jouissance schäumt geradezu. »Schäumen« und »wimmeln« sind Worte, die Lovecraft häufig benutzt, aber sie treffen genauso gut jenes »obszöne Gelee« der jouissance. Damit soll nicht die absurde Behauptung aufgestellt werden, es gäbe keine Negativität bei Lovecraft – Ekel und die Abscheu liegen offen zutage –, aber sie behält nicht das letzte Wort. Das Werk der jouissance zeichnet sich immer durch eine exzessive Beschäftigung mit Objekten aus, die »offiziell« negativ besetzt sind. Diese Art des Genusses »erlöst« die Negativität nicht, sondern sublimiert sie. Sie verwandelt ein gewöhnliches Objekt, das Unlust erzeugt, in ein Ding, das schrecklich und verführerisch ist und das nicht mehr als libidinös positiv oder negativ eingeordnet werden kann. Das Ding überwältigt, es kann nicht gebändigt werden, aber es fasziniert.
Vor allem ist Faszination bei Lovecraft gleichsam der Motor des Verhängnisses. Sie ist es, die die bücherliebenden Figuren seiner Schriften in den Abgrund reißt, in die Desintegration oder die Degeneration, und wir, die Leser, sehen das Unglück immer schon voraus. Sobald man ein oder zwei Geschichten Lovecrafts gelesen hat, weiß man ganz genau, was man zu erwarten hat. Wenn ein Leser Lovecrafts Erzählungen das erste Mal begegnet, kann man sich tatsächlich schwer vorstellen, dass er vom Ausgang der Geschichte überrascht wäre. Daraus folgt, dass weder Spannung noch Angst zu den Kennzeichen von Lovecrafts Literatur gehören.
Folglich passt Lovecrafts Werk auch nicht zur strukturalistischen Definition der Fantastik Tzvetan Todorovs. Laut Todorov zeichnet sich das Fantastische durch eine Balance zwischen dem Unheimlichen (Geschichten, die sich am Ende naturalistisch auflösen) und dem Wunderbaren (Geschichten, die sich übernatürlich auflösen) aus. Obwohl Lovecrafts Erzählungen, wie er in »Notes on Writing Weird Fiction« ausführt, die »Illusion einer merkwürdigen Aussetzung oder Verletzung der ärgerlichen Grenzen von Zeit, Raum und Naturgesetz« enthalten, »die uns ständig einkerkern und unsere Wißbegier über die unendlichen kosmischen Räume jenseits unseres Blickfeldes und unsere analytischen Fähigkeiten zunichte machen«, gibt es dennoch niemals Anzeichen der Beteiligung übernatürlicher Wesen. Menschliche Versuche, fremde Wesen in Götter zu verwandeln, hält Lovecraft eindeutig für eitle Akte des Anthropomorphismus, für vielleicht noble aber letztlich absurde Versuche, der »echten Externalität« eines Kosmos Bedeutung und Sinn aufzudrücken, in dem menschliche Belange, Perspektiven und Begriffe nur einen lokalen Bezug haben.
In seinem Buch Lovecraft: A Study in the Fantastic ordnet Maurice Lévy Lovecraft in eine »fantastische Tradition« ein, zu denen die Schauerromane, Edgar Allen Poe, Nathaniel Hawthorne und Ambrose Bierce gehören. Doch Lovecrafts Insistenz auf der Materialität anormaler Wesen unterscheiden ihn deutlich von den Autoren der Schauerromane und Edgar Allen Poe. Obwohl jede Erzählung das, was wir gewöhnlichen Naturalismus nennen können – die normale, empirische Welt des gesunden Menschenverstandes und der euklidischen Geometrie – am Ende vernichtet, tritt an dessen Stelle doch ein Hypernaturalismus – ein erweitertes Verständnis dessen, was der materielle Kosmos enthält.
Lovecrafts Materialismus ist ein Grund, warum ich glaube, dass wir zwischen seiner Literatur – ja dem Seltsamen insgesamt – und der Fantasyliteratur unterscheiden sollten. (Es sei allerdings erwähnt, dass Lovecraft selbst in »Notes on Writing Weird Fiction« gern das Seltsame und das Fantastische in eins fallen lässt.) Beim Fantastischen handelt es sich eher um eine Oberkategorie, unter die ein großer Teil der Science Fiction und Horrorliteratur fällt. Nicht dass dies Lovecrafts Werk unangemessen wäre, aber es verfehlt, was an seiner Methode einzigartig ist. Fantasy wiederum bezeichnet ein spezifischeres Set an Genremerkmalen. Lord Dunsany, Lovecrafts früheste Inspirationsquelle, und J.R.R. Tolkien sind paradigmatische Fantasyschriftsteller und ihre Kontrastierung erlaubt uns, das Seltsame besser zu verstehen. Fantasy spielt sich in Welten ab, die radikal anders sind als unsere, wie Dunsanys Pegāna oder Tolkiens Mittelerde, sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Hinsicht (während in ontologischer oder politischer Sicht allerdings viele Fantasiewelten unserer nur allzu ähnlich sind). Das Seltsame wiederum zeichnet sich dadurch aus, dass es eine Verbindung stiftet zwischen unserer und einer fremden Welt. Es gibt natürlich Geschichten und Serien – wie C.S. Lewis’ Bücher über »Narnia«, Lyman Frank Baums »Oz«, Stephen Donaldsons Chroniken von Thomas Convenant –, in denen eine Passage von unserer Welt in die andere führt, sich aber nicht das Gefühl des Seltsamen einstellt. Das hat damit zu tun, dass die in »dieser Welt« spielenden Teile solcher Erzählungen meist nicht als Vor- oder Nachspiel einer gewöhnlichen Fantasygeschichte dienen. Die Figuren gehen von einer Welt in die andere, aber diese hat keinen Einfluss auf jene, abgesehen von dem Effekt auf zurückkehrenden Figuren. Bei Lovecraft allerdings gibt es ein Zusammenspiel, einen Austausch, eine Konfrontation, ja einen Konflikt zwischen unserer Welt und den anderen.
Deswegen ist es von besonderer Bedeutung, dass Lovecraft so viele seiner Geschichten in New England spielen lässt. Lovecrafts New England, schreibt Maurice Lévy, ist ein Ort, dessen »Wirklichkeit – physisch, topographisch, historisch – hervorzuheben ist. Es ist weithin bekannt, dass das wahrhaft Fantastische nur dort existiert, wo das Unmögliche durch Zeit und Raum in einen objektiv bekannten Ort einbrechen kann.« Ich schlage daher vor, dass Lovecraft, indem er sich von der Tradition Dunsanys löste, aufgehört hat, ein Fantasyschriftsteller zu sein und stattdessen ein Autor des Seltsamen wurde. Ein erstes Merkmal einer Literatur des Seltsamen, zumindest in Lovecrafts Version, wäre – um Lévys Satz aufzugreifen –, dass nicht das Unmögliche, sondern das Außen »durch Zeit und Raum in einen objektiv bekannten Ort einbrechen kann«. Eine fremde Welt kann völlig anders sein als unsere, was den Ort oder sogar die physischen Gesetze, die dort herrschen, betrifft, ohne darum seltsam zu sein. Es ist der Einbruch von einem Außen in diese Welt, der das Seltsame auszeichnet.
Hier sehen wir, warum das Seltsame ein bestimmtes Verhältnis mit dem Realismus unterhält. Lovecraft selbst hat oft sehr abschätzig über den Realismus gesprochen. Hätte er sich jedoch vollständig von ihm losgesagt, wäre er niemals der Fantastik von Dunsany und de la Mare entkommen. Präziser wäre es, zu sagen, dass Lovecraft den Realismus eingehegt oder verortet hat. In einem Brief von 1927 an den Herausgeber von Weird Tales sagt er das ganz explizit:
»Nur die menschlichen Szenen und Charaktere müssen auch menschliche Eigenschaften haben. Die müssen mit schonungslosem Realismus dargestellt werden, (keinem billigen Romantizismus) aber wenn wir die Grenze zum unendlichen, furchtbaren Unbekannten überschreiten – das von Schatten heimgesuchte Außen –, dann müssen wir alles Menschliche und Irdische zurücklassen.«
Die Kraft von Lovecrafts Erzählungen hängt von der Differenz