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Theologie elementar

Herausgegeben von

Peter Müller
Sabine Pemsel-Maier

Lothar Kuld

Gott und das Leben

Orientierungswissen Religionspädagogik

Verlag W. Kohlhammer

1. Auflage 2018

 

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

 

Print:

ISBN 978-3-17-032498-5

 

E-Book-Formate:

pdf: ISBN 978-3-17-032499-2

epub: ISBN 978-3-17-034643-7

mobi: ISBN 978-3-17-034644-4

 

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Inhalt

Vorwort

Einleitung

1.  Gott und Religion

1.1  Entstehung des neuzeitlichen Religionsbegriffs

1.2  Religionsbegriff der Religionskritik

1.3  Der funktionale Religionsbegriff

1.4  Religion und Theologie

1.5  Religion und Säkularität

1.6  Zusammenfassung

2.  Religion und Lernen: Religiöse Bildung und Erziehung

2.1  Ist Religion lehrbar?

2.2  Wie entsteht religiöse Identität?

2.3  Religion und Bildung

2.4  Ausblick: Die Religion der Religionsdidaktik

3.  Gott im Leben von Kindern

3.1  Kindheit heute

3.2  Die Religion des Kindes

3.3  Religiöse Entwicklung und Gottesbilder im Kindesalter

3.4  Religiöse Bildung und Erziehung im Kindesalter

4.  Gott im Leben Jugendlicher

4.1  Lebensphase Jugend

4.2  Religion, Religiosität, Gottesglauben und Kirche im Leben Jugendlicher

4.3  Gottesbilder und Gottesbeziehung Jugendlicher

4.4  Gott und Gender

4.5  Gott und Milieu

4.6  Religionsunterricht in den Sekundarstufen

Literaturverzeichnis

Sachregister

Vorwort

Nicht für die Schule, sondern das Leben lernen wir, sagt ein Sprichwort in Umkehrung der ursprünglichen Sentenz aus dem 106. Brief des Philosophen Seneca (4 v. Chr. bis 65 n. Chr.) an Lucilius. Seneca schreibt: »Kinderspiele sind es, die wir da spielen. An überflüssigen Problemen stumpft sich die Schärfe und Feinheit des Denkens ab; derlei Erörterungen helfen uns ja nicht, richtig zu leben, sondern allenfalls, gelehrt zu reden. Lebensweisheit liegt offener zu Tage als Schulweisheit; ja sagen wir’s doch gerade heraus: Es wäre besser, wir könnten unserer gelehrten Schulbildung einen gesunden Menschenverstand abgewinnen. Aber wir verschwenden ja, wie alle unsere übrigen Güter an überflüssigen Luxus, so unser höchstes Gut, die Philosophie, an überflüssige Fragen. Wie an der unmäßigen Sucht nach allem anderen, so leiden wir an einer unmäßigen Sucht auch nach Gelehrsamkeit: Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir.« (Übersetzung: Klaus Bartels, Veni, vidi, vici, Darmstadt 15. Aufl. 2016, 110) Senecas Sentenz mahnt, das Leben nicht mit unnützen Fragen zu vergeuden. So muss sich auch der Verfasser einer religionspädagogischen Studie am Ende fragen lassen, ob er wenigstens brauchbare Fragen gestellt hat. Zumindest sollte er seinen Text kritisch gegenlesen lassen, bevor er ihn aus der Hand gibt. So verdankt sich auch dieses Buch in der Endfassung vielen Hinweisen kritischer Gegenlektüren der Rohfassung des Manuskripts. PD Dr. Anita Müller-Friese, Autorin der in Nachbarschaft zu diesem Buch verfassten theologischen Anthropologie »Gott und der Mensch«, hat das ganze Skript gelesen und auf Desiderata hingewiesen, die in der Endfassung noch nachgearbeitet und berücksichtigt werden konnten. Dr. Hans Martin Brüll (Bodnegg), Dr. Christiane Caspary (Tübingen) und Regina Willmes (Doktorandin an der PH-Weingarten) haben das Skript ganz oder in Teilen auf seine Lesbarkeit und Plausibilität hin geprüft. Dr. Eva-Maria Kenngott (Senior Researcher für »Religion und Bildung« am Institut für Religionswissenschaft und Religionspädagogik der Universität Bremen) und Birgit Menzel (ehemals Ausbilderin für katholische Religion am Studienseminar für Gymnasien in Frankfurt, jetzt Leiterin des Sachgebiets »Qualitätsentwicklung der Ausbildung/Qualifizierung der Ausbilder/Innen« in der Hessischen Lehrkräfteakademie) nahmen sich mit großer Expertise das zweite Kapitel vor, Prof. Dr. Peter Müller (PH-Karlsruhe) das dritte. Sie haben mich überzeugt, diese Kapitel in Teilen noch einmal neu zu schreiben. Dieser kleine Blick in die Entstehung des Buches zeigt, dass es sich vielen Gesprächen, Kritiken, Ermutigungen und kollegialen Beratungen verdankt. Prof. Dr. Sabine Pemsel-Maier (PH-Freiburg) und Prof. Dr. Peter Müller danke ich nicht zuletzt für die Anregung zu diesem Buch und seine Aufnahme in die von ihnen herausgegebene Reihe »Theologie elementar«.

 

Lothar Kuld

Einleitung

Religionspädagogik

Religionspädagogik ist eine relativ junge Wissenschaft. Sie ist ein Kind der Aufklärung und der modernen Pädagogik. Mit der Theologie teilt sie das Plausibilitätsproblem des Gottesglaubens in der Gegenwart. Als Pädagogik ist sie Teil des Erziehungs- und Bildungssystems der säkularen Gesellschaft. Diese zweifache Herkunft schlägt sich auch in der Didaktik des Faches Religionsunterricht nieder. Sie bezieht sich sowohl auf die Theologie als auch die Erziehungswissenschaft. Die Unterscheidung von Religionspädagogik und Religionsdidaktik erscheint vielleicht überraschend, aber sie hat sich eingebürgert und verweist auf unterschiedliche Reichweiten der Argumentation. Religionsdidaktik bezieht sich auf konkrete Lehr-und Lernprozesse im Religionsunterricht und in der Katechese. Diese Prozesse brauchen eine Beschreibung ihrer Zielsetzung, Inhalte, Methoden und Medien. In der Religionspädagogik geht es dagegen um die allgemeinen Voraussetzungen religiöser Bildung und Erziehung, ihre Geschichte, ihre konzeptionellen Entwürfe und schließlich die empirische Überprüfung der Voraussetzungen und Wirkungen religiöser Bildung und Erziehung. Empirie ist nie kontext- und zeitlos. Auffassungen der heutigen Religionspädagogik stehen auf den Schultern früherer Entwürfe. Die historische Religionspädagogik zeigt daher nicht nur, wie es früher war, sondern auch wie die heutigen religionspädagogischen Fragestellungen und Auffassungen entstanden sind, welche Fragen und Annahmen religiösen Lernens aus früheren Entwürfen mitgenommen und welche aufgegeben wurden.

Wissenschaft kann man historisch, systematisch oder empirisch betreiben. Der Weg in die Religionspädagogik geht dementsprechend entweder über ihre Geschichte, ihre Systematik oder ihre Empirie. Alle drei Zugänge werden in diesem Arbeitsbuch aufgenommen. Skizzen zur Geschichte des Religionsbegriffs (in Kapitel 1), zur Geschichte der religiösen Erziehung (in Kapitel 2), der Geschichte von Kindheit (in Kapitel 3) und Jugend (in Kapitel 4) leiten jeweils systematische Bestimmungen des Religionsbegriffs (Kapitel 1), des Begriffs der religiösen Bildung und Erziehung (Kapitel 2) und die Thematisierung der Gottesfrage und ihrer Voraussetzungen im Kindes- (Kapitel 3) und Jugendalter (Kapitel 4) ein. Wo immer greifbar, werden zu dieser Darstellung empirische Arbeiten herangezogen und referiert. Empirische Arbeiten prägen die Religionspädagogik mehr und mehr. Die Zeit der großen Entwürfe ist eher kleinschrittigen Untersuchungen gewichen. Es geht ihnen weniger um Visionen und das Bezeugen einer Wahrheit als um die Beobachtung dessen, was die Menschen machen und sagen.

Gegenstand der Religionspädagogik ist im weitesten Sinn Religion und Lernen. Mit Religion befassen sich die Theologie und die Religionswissenschaft, allerdings auf unterschiedliche Weise. Während sich die Religionswissenschaft mit Religion und Religionen werturteilsfrei befasst, setzt sich Theologie mit dem Wahrheitsanspruch des Glaubens auseinander, den eine Glaubensgemeinschaft tradiert und zur Annahme im Glauben vorlegt. Theologie ist in diesem Sinne Glaubenswissenschaft. Es gibt keine Theologie ohne Bezug zu einer Glaubensgemeinschaft. Theologische Konzeptionen der Religionspädagogik sind daher immer konfessionell verortet und darin von Konzeptionen anderer Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen unterscheidbar, auch wenn im Fortschritt der Ökumene der Konfessionen und Religionen viele Gemeinsamkeiten entdeckt wurden und in der pädagogischen Realisierung sich die gleichen Fragen stellen. Eine an der Religionswissenschaft orientierte bekenntnisunabhängige Religionspädagogik verortet sich demgegenüber eher in der Erziehungswissenschaft und hat wie die konfessionelle Religionspädagogik das Problem, dass eine sich als säkular verstehende Erziehungswissenschaft für Religion wenig zuständig fühlt. Jedenfalls gibt es keine nennenswerten erziehungswissenschaftlichen Entwürfe zur Religionspädagogik. Sie kommen aus der Theologie und verstehen sich als Theorie religiöser Erziehung und Bildung in christlicher (oder jüdischer oder islamischer usw.) Verantwortung.

Religionspädagogik gründet nicht in einem bestimmten Religionsbegriff, aber sie hat natürlich mit Religion und Gottesglauben zu tun, deshalb sollte Religion als Thema der Theologie, die in ihrer Geschichte Religion mal als Ausdruck von Gottesglauben bestimmt und mal religionskritisch verwirft, verstanden sein und von anderen Diskursen über Religion und Religionen z. B. in den Sozialwissenschaften oder der Religionswissenschaft unterschieden werden können, bevor ein Begriff religiöser Erziehung und Bildung gesetzt wird. Gelebte Religion ist nicht nur kognitiv, sondern hat auch mit den Träumen, Hoffnungen, Ängsten und Bedürfnissen des Menschen zu tun, und sie gewinnt je nach Erfahrung, Erleben und Kontext im Leben eines Menschen und ganzer Generationen oder Epochen mal mehr mal weniger an Bedeutung.

Wie Religion, Religiosität und Gottesglaube in ihrem Zuschnitt, so wechseln auch die Auffassungen von Erziehung und Bildung und wandelt sich auch das Verständnis religiöser Erziehung und Bildung unentwegt. Dennoch gibt es Konstanten. Das Grundproblem jeder Pädagogik ist die schon von Schleiermacher in seinen Vorlesungen zur Theorie der Erziehung (1826) formulierte Frage: »Was will denn eigentlich die ältere Generation mit der jüngeren?« Dieser Frage muss sich auch die Religionspädagogik stellen, wenn sie »mit« und nicht »von« der jüngeren Generation etwas will. Religion kann sie mit ihr nur anschauen, nicht von ihr verlangen. Dieses nichthierarchische Verhältnis der Generationen führt zu einem grundsätzlich nicht affirmativen Verständnis zweckfreier religiöser Bildung. Sie dient weder der Befreiung von noch der Unterwerfung unter Religion. Sie führt weder zum Bekenntnis eines Glaubens noch zur Gottesverehrung noch davon weg. Ihr Zweck ist die Klärung von Religion und Gottesglauben im Horizont einer pädagogischen Fragestellung, die Kontroversen um Religion nicht löst, aber anschaut und zu verstehen versucht. Religiöse Bildung und Erziehung setzt auf diese Weise die jüngere Generation in Stand, Religion zu verstehen und an ihr begründet teilzuhaben oder mit Gründen auch nicht.

Wie dieses Buch zu lesen ist

Das vorliegende Buch wendet sich vorab an Studierende der evangelischen und katholischen Theologie und Religionspädagogik sowie Lehrerinnen und Lehrer. Es möchte in einige wichtige Fragen und Problemstellungen der Religionspädagogik einführen, die sie als – künftige – Lehrende im Erziehungs- und Bildungssystem kennen sollten. Dazu gehört ein reflektiertes Verständnis von Religion, Säkularität, religiöser Bildung und Erziehung und ihrer Didaktik. Das Verständnis dieses Felds zeigt sich in den Details der Religionspädagogik des Kindes- und Jugendalters.

Ein Arbeitsbuch vertritt keine Sondermeinung, sondern versucht, den Mainstream gegenwärtiger Lehrmeinungen wiederzugeben und Forschungsergebnisse nachvollziehbar darzustellen. Diesem Zweck sind die Form des ›close reading‹, der genauen Lektüre der Forschungsliteratur in einigen Passagen sowie die Kompetenzbeschreibungen zu Beginn und die Hinweise zum Weiterlesen am Ende der einzelnen Kapitel geschuldet. Der Idee der Reihe »Theologie elementar« entsprechend stehen am Ende der Kapitel auch Anregungen für den Unterricht. In einem Buch über Lernen mag das vielleicht überraschen. Sollen Kinder über das Lehren des Lernens nachdenken und zu Lehrkräften ausgebildet werden und in die Elternschule gehen? Natürlich nicht. Wohl aber ist es Kindern und Jugendlichen als Bedeutungen schaffenden Wesen möglich, sich diskursiv Religion (Kapitel 1), Gottesglauben (Kapitel 3 und 4) und religiöser Erziehung (Kapitel 2) anzunähern und nach Bedeutungen zu suchen, die sie selbst überzeugen. Die Kapitel sind so geschrieben, dass sie in sich verständlich sind. Man kann also thematisch auswählen und z. B. mit dem Kapitel »Gott im Leben von Kindern« (Kapitel 3) beginnen und sich auf die Lektüre dieses Kapitels beschränken, um einen Überblick zu diesem Thema zu bekommen. Das Buch steht in Nachbarschaft zum Buch »Gott und der Mensch« von Anita Müller-Friese, das in der gleichen Reihe Theologie elementar erschienen ist. Religionspädagogik baut immer auch auf einer theologischen Anthropologie1 auf, die in dem Buch von Anita Müller-Friese beschrieben ist. Auf dieses Buch wird an entsprechenden Stellen im Text verwiesen.

Aufbau des Buches

Inhaltlich ist »Gott und das Leben. Orientierungswissen Religionspädagogik« von der Überzeugung geleitet, dass die Gottesfrage im Religionsunterricht über die Beschäftigung mit Religion im Leben von Kindern und Jugendlichen auftaucht. Dazu bedarf es einer guten theologischen Expertise auf Seiten der Lehrkraft. So beschäftigt sich Kapitel 1 ausführlich mit Religion als Thema der Theologie. Religion ist in theologischer Perspektive ambivalent. In der Religionskritik wird sie bestritten. In der Säkularität der Gegenwart feiert sie eine überraschende Wiederkehr, der die Theologie freilich eher skeptisch gegenübersteht. Das ist der Hintergrund, vor dem die Religionspädagogik Religion, Religiosität und Gottesglauben im Leben von Menschen zur Sprache bringt. Kapitel 2 beginnt mit der Problemfrage »Ist Religion lehrbar?«, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Religionspädagogik hindurchzieht. Sie war nie ganz vergessen – darauf deuten die in rascher Folge sich ablösenden Konzeptionen der Religionsdidaktik seit den 1960ger Jahren hin, was vielleicht auch ein Zeichen von Verunsicherung ist, – und kehrt heute mit der Kompetenzorientierung im Bildungssystem als unerledigte Frage zurück. Die Frage des Kapitels 2 lautet daher: Was will die Religionspädagogik und welche Didaktik lehrt welche Religion? Kapitel 3 und 4 beschreiben im Horizont dieser Frage die Voraussetzungen religiösen Lernens von Kindern und Jugendlichen. Dazu gehören Einsichten in das Leben und in die Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen, in die Entstehung des Gottesglaubens bei Kindern und Jugendlichen sowie in die Bedeutung der Kontexte von Familie, Institution (Kirche, Kita, Schule), Milieu und Geschlecht für religiöse Lernprozesse. Beide Kapitel schließen mit Auszügen aus theologischen Gesprächen mit Kindern und Jugendlichen. Sie zeigen, wie Kinder und Jugendliche von Gott sprechen.