BUCERIUS LAW SCHOOL PRESS
Das Jahrbuch des Instituts für Stiftungsrecht und das Recht der Non-Profit-Organisationen
Verlag:
Bucerius Law School Press, Jungiusstr. 6, 20355 Hamburg
Herausgeber:
Prof. Dr. Rainer Hüttemann, Prof. Dr. Peter Rawert, Prof. Dr. Dres. h.c. Karsten Schmidt, Prof. Dr. Birgit Weitemeyer
1. Auflage 2012
Herstellung und Auslieferung:
tredition GmbH, Burchardstraße 21, 20095 Hamburg
ISBN: 978-3-86381-016-0
Alle Rechte vorbehalten.
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Das Institut für Stiftungsrecht und das Recht der Non-Profit-Organisationen der Bucerius Law School, Hamburg, wird gefördert durch
Das Non Profit Law Yearbook 2011/2012 wird in traditioneller Weise eröffnet durch die Hamburger Rede. Michael Göring hat sie anlässlich der Hamburger Tage des Stiftungs- und Non-Profit-Rechts am 4. und 5.11.2011 in der Bucerius Law School gehalten. Göring, Vorstand der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, analysiert die Herausforderungen aktueller Stiftungsarbeit und das Risikomanagement in Stiftungen vor dem Hintergrund der Erfahrungen einer der bedeutendsten deutschen Stiftungen mit der Finanz- und Wirtschaftskrise.
Es sei an der Zeit, eine Bilanz zu ziehen, über die „Zivilgesellschaft in Deutschland: Entwicklung, Strukturen, Wachstum und Wandel“, meinen Annette Zimmer und Eckhard Priller. Ausgehend von eigenen aktuellen Erhebungen zeichnen die Autoren das Bild eines Sektors, der über die Jahrzehnte stetig gewachsen, aber in seiner Bedeutung für die Zivilgesellschaft einem Wandel unterworfen ist. Aus dem gemeinschaftlichen Zusammenschluss in Vereinen und straff organisierten Verbänden werden Anbieter moderner Dienstleistungen im Wettbewerb und unternehmerisch handelnde Einzelpersonen als Social Entrepreneurs.
Ein neues Phänomen des Dritten Sektors stellen Dachstiftungen dar. Stefan J. Geibel stellt sie im zivilrechtlichen Teil des Bandes in den Zusammenhang mit verwandten Strukturen wie Stiftungszentren und Treuhandstiftungen dar. Geibel weist auf die anspruchsvolle Aufgabe für die Kautelarpraxis hin, mit den Mitteln des Schuldrechts der bürgerlichrechtlichen Stiftung vergleichbare Konstruktionen zu schaffen. Er plädiert für eine gesellschaftsrechtliche Einordnung der Treuhandstiftung.
Der Frage nach der Reichweite der Publizität der bürgerlich-rechtlichen Stiftung geht Benedikt Vogt nach und ruft nach dem Gesetzgeber. Vogt kommt zu dem Schluss, dass erheblicher Reformbedarf bestehe, da die Stiftung die einzige juristische Person im deutschen Zivilrecht sei, deren Vertretungsverhältnisse sich nicht einem Register mit Publizitätswirkung entnehmen ließen. Auch die Vorschriften über die Rechnungslegung seien über die 16 Landesstiftungsgesetze hinweg zersplittert und enthielten erhebliche Regelungslücken.
Die bereits erwähnten innovativen Formen der Philantropie wie Social Entrepreneurs oder Social Business werfen neue Fragen auf, denen Birgit Weitemeyer in ihrem „Problemaufriss zu den Grenzen des geltenden Gemeinnützigkeits- und Zivilrechts“ nachgeht. Für diese neuen Formen gemeinnützigen Handelns – so die Autorin – müssten die bestehenden zivilrechtlichen Rechtsformen lediglich behutsam angepasst werden, während die Bestimmungen des Gemeinnützigkeitsrechts zumal in deren aktuellen Auslegung durch den Bundesfinanzhof erhebliche Hindernisse darstellen würden.
In welcher Weise in einer unternehmerisch handelnden Non-Profit-Organisation in der Rechtsform einer gemeinnützigen GmbH Zielkonflikte zwischen gemeinnütziger Zweckverfolgung und Renditeerwirtschaftung auftreten und ob sich dies in einem strukturell niedrigeren Schutz ihrer Gläubiger niederschlägt, dem geht Benjamin D. Ullrich nach. Sein rechtspolitischer Vorschlag, einen zwingenden Rechtsformzusatz zur Firma einzuführen, der die Gläubiger auf die Gemeinnützigkeit hinweist, könnte zugleich den immer noch nicht geklärten Streit um die Zulässigkeit derartiger Ergänzungen beenden.
Der steuerrechtliche Teil wird beschlossen durch die minutiöse Erläuterung des neuen Anwendungserlasses zur AO für den Bereich der Gemeinnützigkeit durch Ingo Graffe. Er war als Vertreter der Finanzverwaltung in die lang erwartete Neufassung dieser wichtigen Verwaltungsvorschriften eingebunden.
In dem Abschnitt der Länderberichte präsentieren Nils Krause und Henning-Uwe Milberg in dem Report „Aus Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltungsanweisungen zum Dritten Sektor im Jahr 2011 in Deutschland“ erneut die wichtigsten rechtlichen Entwicklungen. Den Länderreport zum Schweizer Vereins- und Stiftungsrecht des Jahres 2011 haben in bewährter Weise wieder Dominique Jakob und Matthias Uhl übernommen; den Bericht über die Entwicklung des Vereins- und Stiftungsrechts im Jahr 2011 in Österreich Susanne Kalss und Johannes Zollner.
Für die wertvolle Mitarbeit an dem diesjährigen Non Profit Law Yearbook haben die Herausgeber erneut den vor allem den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Instituts für Stiftungsrecht und das Recht der Non-Profit-Organisationen der Bucerius Law School in Hamburg zu danken. Für die umsichtige Schriftleitung Frau Clara Lienicke, Herrn Peter Stark und Frau Julia Theele, für die sorgfältige Erstellung der Bibliographie des Jahres 2011 zum Non-Profit-Recht Frau Janne Seelig, für die Erstellung des Schlagwortverzeichnisses Herrn Tim Maciejewski sowie für die zügige Übersetzung einiger der Summaries Herrn James Faulkner.
Hamburg, im Juni 2012
Rainer Hüttemann, Peter Rawert, Karsten Schmidt, Birgit Weitemeyer
The Non Profit Law Yearbook 2011/2012 is traditionally opened by the Hamburger Rede, the speech delivered by Michael Göring on the occasion of the Hamburger Tage des Stiftungs- und Non-Profit-Rechts on 4 and 5 November 2011 at the Bucerius Law School. Göring, Chairman of the Executive Board of the foundation ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, analyses the challenges of current foundation work and risk management in foundations both from a general perspective and simultaneously against the background of the experience made by one of the most significant German foundations in the financial and economic crisis.
In the opinion of Annette Zimmer and Eckhard Priller it is time to take stock of “civil society in Germany: development, structures, growth and change”. Based on their own current surveys, the authors paint a picture of a sector whose significance to civil society is subject to change although it has grown continuously over decades. Collaboration in societies and tightly organized associations is being transformed into modern competitive service providers and individuals acting commercially as social entrepreneurs.
The umbrella foundations set by Stefan J. Geibel in the context of related structures such as foundation centers in the civil law part of the volume also constitute a new phenomenon. Geibel points to the demanding task for the practice of preventive contract law of creating comparable structures for the civil law foundation using the means provided by the law of obligations and pleads for the foundation trust to be classified under company law.
Benedikt Vogt investigates the question of the reach of the publicity of the civil law foundation and makes a “call for the legislator”. Vogt draws the conclusion that there is considerable need for reform since a foundation is the only legal entity in German civil law whose authorized representatives cannot be found in a register with publicity effect. He also establishes that the accounting regulations are fragmented in 16 different Länder foundation acts and contain considerable omissions.
The innovative forms of philanthropy already mentioned above, such as social entrepreneurs and social business, raise new questions which Birgit Weitemeyer looks into in her “Problemaufriss zu den Grenzen des geltenden Gemeinnützigkeits- und Zivilrechts”. She finds that the legal forms already existing under civil law would merely have to be cautiously adapted for these new forms of non-profit activity, whereas the provisions of non-profit law constitute considerable hurdles, especially in the latest interpretation of these provisions by the German Supreme Tax Court.
The question of how conflicting aims arise in pursuing non-profit objectives and generating returns in a non-profit organization acting in an entrepreneurial manner and organized in the legal form of a non-profit company with limited liability under German law [GmbH] and of whether this is reflected in structurally low protection for its creditors is investigated by Benjamin D. Ullrich. His legal policy proposal of introducing the mandatory addition of the legal form to the name of the organization advising creditors of its non-profit character could simultaneously bring an end to the still unresolved dispute on the admissibility of supplements of this nature.
The tax law part is concluded by the explanation of the minutiae of the new Fiscal Code Application Decree [Anwendungserlass zur AO] for the non-profit sector by Ingo Graffe who was involved as the tax administration member in drafting this long-awaited new version of these important administrative provisions.
In the section on reports from the German Länder, Nils Krause and Henning-Uwe Milberg again provide a comprehensive selection of the most important developments in their report “Aus Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltungsanweisungen zum Dritten Sektor im Jahr 2011 in Deutschland”. Dominique Jakob and Matthias Uhl were again responsible for producing the country report on the Swiss associations and foundation law of 2011 in their well-proven manner and Susanne Kalss and Johannes Zollner deserve thanks for their customary care in compiling the report on the development of the associations and foundation law of 2011 in Austria.
The editors again wish to thank above all their co-workers at the Institute for Foundation Law and the Law of Non-Profit Organizations at the Bucerius Law School in Hamburg for their invaluable collaboration on this Non Profit Law Yearbook. Our thanks for their circumspect editorship go to Mrs. Clara Lienicke, Mr. Peter Stark and Mrs. Julia Theele, for carefully preparing the 2011 bibliography on non-profit law to Mrs. Janne Seelig, for compiling the index to Mr. Tim Maciejewski and to Mr. James Faulkner for his prompt translation of some of the summaries.
Rainer Hüttemann, Peter Rawert, Karsten Schmidt, Birgit Weitemeyer
MICHAEL GÖRING
Ich freue mich sehr, heute zum Auftakt der elften Hamburger Tage des Stiftungs- und Non-Profit-Rechts sprechen zu können. Dass heute die Zahl der Teilnehmer so groß ist, verdanken wir der seit über zehn Jahren jedes Mal erfolgreichen Themenstellung der Tagung und den Referenten. Als die ZEIT-Stiftung mit der Gründung der Bucerius Law School zugleich ein Institut für Stiftungsrecht und das Recht der Non-Profit-Organisationen plante, und dann mit Hilfe der Deutschen Bank auch gleich umsetzen konnte, sollte dies zwei Zeichen setzen:
1) Eine Stiftung gründet eine Hochschule
2) Das Stiftungsrecht und das Recht der Non-Profit-Organisationen hat Bedeutung.
Wir konnten damals nicht voraussehen, dass wir innerhalb von elf Jahren eine Verdoppelung der Zahl der Stiftungen erleben würden, auf jetzt über 18.500 Stiftungen in Deutschland. Wir konnten nicht ahnen, dass sich in diesen elf Jahren allein 300 Bürgerstiftungen als neue Gestaltungsform von Stiftungen bilden würden und wir konnten nicht erahnen, dass die steuerlichen Bedingungen für die Stiftungserrichtung, für Zustiftungen und auch für den Spendenabzug sich derart günstig entwickeln würden. Wir konnten uns aber auch nicht ausmalen, dass es einmal so viele Berater für Stiftungsfragen geben würde, die natürlich alle selbst beraten werden müssen, bevor sie ihrerseits beraten können.
Ich denke daher, dass es eine richtige Entscheidung war, dieses Institut zu gründen und dass es eine noch viel bessere Entscheidung der Deutschen Bank war, dieses Institut zu fördern, so wie es eine erstklassige Entscheidung der BDO ist, diese Jahrestagung zu unterstützen, denn keine andere bringt seit elf Jahren zum Dritten Sektor so viele und so gescheite Köpfe zusammen wie diese. Es ist nun die Jahrestagung des Dritten Sektors, die – wie der Titel sagt – „Recht, Management und Steuern“ vereinigt.
Wenn Sie mir zu dem Thema „Herausforderungen aktueller Stiftungsarbeit“ nur eine einzige Antwort zubilligen würden, dann würde meine Antwort lauten: Die größte Herausforderung zurzeit liegt darin, die Sicherheit der Kapitalanlage mit dem Erfordernis von einigermaßen vernünftigen ordentlichen Erträgen zu koppeln. Wie heißt es so lapidar im Hamburgischen Stiftungsgesetz unter § 4 Abs. 2:
„Das Stiftungsvermögen ist von anderen Vermögen getrennt zu halten. Es ist sicher und ertragbringend anzulegen; […] Soweit nicht in der Satzung etwas anderes bestimmt ist, ist das Stiftungsvermögen möglichst ungeschmälert zu erhalten, es sei denn, der Stifterwille kann auf diese Weise nicht verwirklicht werden.“
Ich spreche schon gar nicht mehr von hohen Erträgen, die wir erwarten, sondern ganz vage von einigermaßen vernünftigen Erträgen. Das sind bei uns in der ZEIT-Stiftung rund 3 %. „Vernünftig“ definiere ich demnach einen Ertrag, der die Inflation ausgleicht und dem Anleger nach Steuern noch ein kleines Sahnehäubchen als Reinertrag hinterlässt. 3 %, so bescheiden sind wir geworden. Es bleibt uns schließlich auch nichts anderes übrig.
Als ich vor rund 14 Jahren anfing, Vorlesungen und Seminare zum Management von Stiftungen abzuhalten, habe ich für alle Fallbeispiele und Berechnungen immer 5 % ordentlichen Ertrag zugrunde gelegt. Dies habe ich aus zwei Gründen getan: Erstens, es ist schnell zu rechnen und zweitens, es stimmte einfach, damals waren 5 % relativ leicht zu erzielen.
Das führt mich zu einem sehr gewichtigen Aspekt des Themas Risikomanagement, dem Management von Finanzrisiken. Längst vergangen sind die Zeiten, in denen Stiftungen mündelsichere Finanzanlagen tätigen sollten. So können wir die Frage als müßig abtun, was wir denn noch als mündelsichere Anlage in diesen Zeiten bezeichnen würden, in denen Staatsanleihen eines europäischen Landes nur noch zu 50 % zurückgezahlt werden. Statt Bundesschatzbriefen in alter Zeit haben die meisten großen Stiftungen heute ein diversifiziertes Anlagenportfolio aufgestellt. Bei uns in der ZEIT-Stiftung verfolgen wir eine vergleichsweise konservative Anlage: Staatsanleihen und Pfandbriefe überwiegen mit gut 40 %, Aktien bis zu 30 %, ein wenig emerging markets, Immobilien und Unternehmensanleihenteilen sich die restlichen 30 %. Wir haben kein Private Equity, keine Hedgefonds.
Warum hat die ZEIT-Stiftung seit über fünfzehn Jahren beständig ein Aktienpaket gehalten? Der Grund ist einfach: Die ZEIT-Stiftung hat sich ein hohes Ziel gesetzt, nämlich den Kapitalstand von 2002 möglichst real zu erhalten. Wenn eine Stiftung die Inflation Jahr für Jahr ausgleichen will, kann sie das nicht über die sogenannte Kapitalerhaltungsrücklage (§ 58 Nr. 7 AO) allein schaffen, sondern dann muss die Stiftung den Inflationsausgleich am Markt verdienen. Das wiederum geht nur über die Wertsteigerung der Kapitalanlage, in der Regel über die Wertsteigerung von Aktien, manchmal auch über die Wertsteigerung von Grund und Boden oder Immobilien, wenn man diese dann verkauft. Diese Strategie ist lange Zeit sehr gut gegangen, bis dann Lehman zusammenbrach und uns eine globale Finanzkrise erfasste. Europa steckt nunmehr in einer ausgeprägten Schuldenkrise; eine allgemeine Unsicherheit ist vorherrschend. Die ZEIT-Stiftung hat sich schon Anfang des Jahres von allen Staatsanleihen aus Spanien getrennt, weiterhin halten wir aber einige wenige italienische Staatsanleihen. Wie managt nun eine Stiftung das Finanzrisiko, das bei den seit mehreren Jahren zu beobachtenden Volatilitäten beständig zugenommen hat?
1. Der Vorstand ist verantwortlich für die Geschäftsführung – und damit auch verantwortlich für die Vermögensanlage. Wenngleich die Verantwortung bei den beiden hauptamtlichen Vorstandsmitgliedern der ZEIT-Stiftung liegt, hat das Kuratorium vor einigen Jahren einen aus fachlich qualifizierten Mitgliedern des Kuratoriums bestehenden Finanzausschuss gebildet, der den Vorstand bei der Vermögensanlage berät. Dieses „Teilen der Last“ ist jedoch kein „Teilen der Verantwortung“. Ein aus Fachleuten bestehendes Beratungsgremium hilft, vor allem dann, wenn man mit Hilfe dieses Gremiums eine mittelfristige Strategie entwickelt. Diese mittelfristige Strategie schützt einen davor, plötzlich aus der Situation einer Krise heraus – womöglich in Panik – falsche Entscheidungen zu treffen. In unserem Fall ist die Strategie beispielsweise, dass wir unser Aktienpaket „atmen“ lassen. Wir nehmen durchaus einen Kurswertverlust hin, in der Erwartung, dass der Wert der Aktie wieder steigen wird. In Zusammenarbeit mit dem Finanzausschuss haben wir zudem Leitplanken aufgestellt wie beispielsweise, dass wir nicht mehr als 30 % in Aktien anlegen, wovon maximal 5 % der Gesamtvermögensanlage aus Aktien aus emerging countries bestehen soll. Zugleich haben wir bestimmte Ausschlusskriterien zur Anlagestrategie benannt, wie beispielsweise das Ausschließen von Private Equity-Beteiligungen. Die Kriterien hinterfragen wir allerdings immer wieder.
2. Die ZEIT-Stiftung trifft Entscheidungen nach gründlichen Beratungen mit externen Experten. Das Vermögen ist nahezu vollständig auf zehn Kapitalanlagegesellschaften verteilt, bei denen wir eigene geschlossene Fonds unterhalten. Mit diesen Gesellschaften treffen wir uns zweimal im Jahr. Alle Treffen werden protokolliert, so dass deutlich wird, warum wir zu diesen oder jenen Entscheidungen gekommen sind. Die zehn Fonds lassen wir wiederum von der Deutschen Performance Messungsgesellschaft kontinuierlich überprüfen. Wir wissen folglich genau, in welchem Quartil der Fonds x abgeschnitten hat im Vergleich mit 100 oder 200 ähnlich gelagerten Fonds. Wir trennen uns auch von Fonds, wenn die Performance nicht mehr stimmt oder über einen längeren Zeitraum hinter unseren Erwartungen zurückbleibt.
In unregelmäßigen Abständen unterziehen wir unsere gesamte Vermögensanlage dem kritischen Blick eines Dritten, eines unabhängigen Finanzberaters. Dabei stellen wir eine ganz grundsätzliche Frage: Auf welche Asset-Klassen würden Sie das Vermögen verteilen, wenn wir heute anfingen und einen ähnlichen Risikofaktor beibehalten würden wie zurzeit?
3. Zusätzlich zu meiner Vorstandstätigkeit bin ich selbst in Gremien außerhalb der Stiftung wie beispielsweise der HanseMerkur, des Deutschen Rings oder der Deutschen Bank tätig, die sich mit Fragen des Bankenbereichs oder der Vermögensanlage beschäftigen. Darüber erfahre ich viele Informationen und lerne vor allem durch den Vergleich unserer Vermögensanlage mit der in Versicherungen, die aufgrund der Stresstests viel restriktiveren Bedingungen unterliegen als wir Stiftungen, die sich laut einer großen Zahl von Landesstiftungsgesetzen allein am Vorbild eines vorsichtigen, umsichtigen Kaufmanns orientieren müssen.
4. Risikomanagement bedeutet für uns vor allem Diversifikation. Anstatt alles in einem Fonds, in einer Asset-Klasse, bei und mit nur einer Bank anzulegen, stellen wir uns breit auf.
Risikomanagement bedeutet ferner, eindeutig auf langfristige, stabile Rückflüsse zu setzen und nicht kurzfristige, schnelle Gewinne anzustreben. Dementsprechend sollte das Portfolio verstärkt dahingehend ausgerichtet sein, dass bei schlechter Performance einer Asset-Klasse eine andere Asset-Klasse diese Verluste auffängt. Das Ziel muss sein, ruhig, aber durchaus am Puls der Zeit, zu agieren. Konkret bedeutet das für uns in der ZEIT-Stiftung gegenwärtig die Stärkung von Sachwerten oder auch Unternehmensanleihen.
Neben den Finanzrisiken müssen auch Haftungsrisiken gemanagt werden. Auch hierzu möchte ich an dieser Stelle aus der Sicht eines Praktikers die Grundsätze unserer Arbeit skizzieren: Wir treffen jede Entscheidung nach gründlicher Überlegung und holen uns dabei den Rat von ausgewiesenen Fachleuten ein. Unsere Entscheidungen dokumentieren wir genau. Das Vermögen der ZEIT-Stiftung verteilen auf verschiedene Anlageklassen und verschiedene Banken, wobei wir besonders das Rating der Institute berücksichtigen. Letztendlich spekulieren wir nicht mit Derivativen oder sonstigen Wetten auf fallende oder steigende Preise, Kurse oder Rohstoffe.
Projektrisiken müssen ebenfalls im Stiftungsmanagement ihre Berücksichtigung finden. Nur selten gibt ein Stiftungsvertreter zu, wenn einmal ein Projekt seiner Stiftung erfolglos blieb. Es ist aber nicht zu leugnen, dass es auch Flops unter Projekten und Programmen gibt, die von Stiftungen initiiert und durchgeführt wurden. Wie managt man die Risiken, die mit einzelnen Projekten verbunden sind? Und gleich gefragt: Muss eigentlich eine Stiftung bei ihren Förderungen jedes Risiko vermeiden? Muss sie nicht im Gegenteil aufgeschlossen sein gegenüber Anträgen, die durchaus ein Risiko in sich bergen? Aber auch solch ein Vorgehen, das durchaus bereit ist, Risiken zuzulassen, muss bekannterweise gemanagt werden, bedarf schließlich einer durchdachten Stiftungsstrategie.
Für wissenschaftsfördernde Stiftungen gibt es meines Erachtens zwei Möglichkeiten, das Projekt-Risiko einzudämmen oder auch bewusst mit Risiken zu arbeiten. Variante eins heißt: Die Stiftung hält das Know How zur Begutachtung von Anträgen selbst vor. Variante zwei bedeutet: Die Stiftung schaltet Gutachter ein und holt sich auf diese Weise Wissen ins Haus. Bei uns in der ZEIT-Stiftung gilt die folgende Regel: Für alle Projekte mit mehr als 50.000 Euro Antragssumme müssen zwei Gutachter eingeschaltet werden. Auch für Doktorandenstipendien, die unter 50.000 Euro liegen, gilt dasselbe. Ansonsten kann bei niedrigeren Antragsummen, beispielsweise bei Druckkostenzuschüssen, auch ein Gutachter reichen.
Für alle Förderungen lautet die goldene Regel immer, sich stets auf Schwerpunkte bei der Förderarbeit zu konzentrieren. Stiftungsarbeit muss eine strategische Planung und Ausrichtung der Tätigkeit vorweggehen. Dann bekommt man nach einiger Zeit auch ein recht sicheres Verständnis dafür, welche Bandbreite an Risiko man zulassen will.
Etabliert eine Stiftung eigene Einrichtungen, wie die Bucerius Law School, tut man selbstverständlich gut daran, wenn man nicht ganz und gar risikoverliebt ist. In diesem Zusammenhang hatten wir in der Planungsphase der Bucerius Law School nicht nur die wichtigsten deutschen Privathochschulen besichtigt, sondern ebenfalls einen Auftrag für eine Feasibility Study und einen Businessplan an eine große deutsche Unternehmensberatung gegeben. Ein solch umsichtiges Vorgehen kann ich nur allen Stiftungen raten, die eigene Zentren, Schulen, Hochschulen oder Institute planen.
Letztendlich sehen wir uns im Stiftungsmanagement immer wieder mit Legitimationsrisiken konfrontiert. Ich will hier nicht den Teufel an die Wand malen, ich will auch nichts heraufbeschwören, was in den Augen vieler noch gar nicht da ist, ich bin auch kein Mann von Ängstlichkeit, aber man verschlösse doch die Augen vor der Realität, wenn wir die Fragen nach der Legitimation unserer Arbeit einfach überhörten.
Da hat es vor einem Jahr ein Buch gegeben, das sehr offen danach fragte, ob die Macht und der Einfluss einer großen deutschen Stiftung auf die Politik oder auf einzelne Politiker in Deutschland nicht zu groß sei. Auch in Hamburg gab es eine Bürgerschaftsabgeordnete der Linken, die sich vor einiger Zeit öffentlich dafür aussprach, dass die Vergabe von Fördermitteln der vielen Hamburger Stiftungen doch von einem demokratisch gewählten, öffentlichen Gremium reguliert werden müsse. Und auch auf der Straße hört man immer wieder den Satz von der Stiftung als Steuervermeidungsmodell und dass doch die Öffentlichkeit mitsprechen müsse, wenn steuerlich begünstigte Stiftungsmittel vergeben würden.
Wie sollten wir dem Risiko einer Legitimationskrise begegnen? Ich denke die Antwort ist: offen und mit verstärkter Transparenz. Eine gemeinnützige Stiftung von einiger Größe, die einige Millionen Euro im Jahr umsetzt, ist ein gesellschaftlicher Faktor und hat nicht nur das Recht auf, sondern geradezu die Pflicht zur gesellschaftlichen Partizipation.
Dieses Recht und diese Pflicht begründen sich in dem gemeinwohlorientierten Auftrag, der letztlich keine Marotte des Stifters ist, sondern von einer Landesbehörde, der Stiftungsaufsicht, als gemeinnützig anerkannt wurde. Die Stiftung muss den staatlich legitimierten Auftrag des Stifters, festgelegt in der behördlich anerkannten Satzung, umsetzen, muss dementsprechend handeln. Sie ist ein gesellschaftlicher Akteur wie andere Akteure, beispielsweise die Kirchen, Parteien, Gewerkschaften, Verbände und Unternehmen. Stiftungen sind nicht mehr oder weniger legitimiert als diese. Wenn wir in der ZEIT-Stiftung ein Programm entwickelt haben, mit dem wir verstärkt Jugendliche mit Migrationshintergrund in Gymnasien ansprechen, die sich für den Lehrerberuf engagieren, und wenn wir dann immer mehr Jugendliche auf diesem Weg begleiten, weil wir der Meinung sind, dass wir in Deutschland in unseren Schulen sehr viel mehr Lehrer mit Migrationshintergrund benötigen, dann nehmen wir nach einiger Zeit eine Sprecherfunktion für diese Gruppe ein. Wir vertreten dann auch deren Interesse. Und wir gewinnen zudem ganz bestimmte eigene Erfahrungen mit dieser Gruppe. Und natürlich müssen wir diese Erfahrungen in den gesellschaftlichen Diskurs um Integrationsbemühungen und Integrationsdefizite einbringen.
Stiftungen sollten nur tunlichst darauf achten, dass sie sich selbst bei all diesem gesellschaftlichen Engagement nicht über das Geld definieren, das sie in diverse Vorhaben investieren können, sondern über die Inhalte ihrer Arbeit. Stiftungsvertreter sollten sich des Privilegs der Steuerbegünstigung stets bewusst sein und dies als Argument für ihre gesellschaftliche Aufgabe sehen. Die Steuerbegünstigung unterstreicht den institutionellen Charakter einer Stiftung. Die Stiftung geht immer über den Stifter als Persönlichkeit hinaus, sie ist eine Institution.
Das Recht auf und die Verpflichtung zur gesellschaftlichen Partizipation kann aber nur dann ernsthaft wahrgenommen werden, wenn die Akteure in den Gremien, Vorstand und Kuratorium oder Stiftungsrat, von äußerster Integrität sind, wenn Kopf und Kapital, Ideen und Geld eine Einheit bilden. Zudem sollte eine gewisse Schnelligkeit des Handelns die Stiftungstätigkeit bestimmen.
Hinzu kommt, dass das Management von Legitimationsrisiken immer eine hohe Verpflichtung zur Transparenz bedeutet. Zeigt man der Öffentlichkeit, was die Stiftung tut, wie Entscheidungen zustande kommen, wer in welchem Gremium die Entscheidungen fällt, was die Ergebnisse des Stiftungshandelns sind, hat man schon viele Trümpfe auf seiner Seite. Wenn dann auch eine unternehmensverbundene Stiftung verdeutlicht, wie autonom sie arbeitet, wie sie Unternehmensinteressen des Stifterunternehmens und gemeinnützige Interessen der Stiftung voneinander trennt, dann schwächt sie auch die Argumentationskraft jener, die gerade bei Unternehmensstiftungen oder den sogenannten CSR-Stiftungen Unrat wittern.
Auch die unglücklichen Berichte über Familienstiftungen, auch über Liechtenstein oder die Privatstiftungen einzelner Familien haben das Renommee des Begriffs „Stiftung“ nicht beschädigen können. Die gemeinnützige Stiftung – und die Konnotation von Stiftung und gemeinnütziger Tätigkeit ist nun einmal die überwiegende Gedankenverbindung – genießt in Deutschland hohe Reputation. Wie sonst ist zu erklären, dass wir auch in wirtschaftlich angeschlagenen Zeiten 800 bis 900 Neugründungen jährlich zu verzeichnen haben.
Letztlich aber sind es immer die Einzelstiftungen, über 18.500 in ganz Deutschland, und deren Tätigkeit, die das Renommee hoch halten, oder es auch senken. Jeder, der für eine Stiftung tätig ist, hat hier eine besondere Verantwortung. Die Verletzungsgefahren liegen bei den vier Bedingungen, die die Abgabenordnung als konstitutiv für gemeinnütziges Handeln festgelegt hat: ausschließlich, uneigennützig, unmittelbar und zeitnah soll es geschehen. Diese Bedingungen sind im Grunde nicht schwer zu erfüllen. Die Stiftungsgesetzgebung und die Abgabenordnung sind großzügig, was beispielsweise die Ausschüttung angeht. Anders als in den USA gibt es keine festgesetzte Regelung, nach der 5 % des Stiftungskapitals ausgeschüttet werden müssen. Die ordentlichen Erträge dienen in Deutschland der Erfüllung des Stiftungszweckes. Bei einer Stiftung wie der ZEIT-Stiftung sind die ordentlichen Erträge genau bezifferbar, bei manchen Unternehmensstiftungen obliegt die Ausschüttungshöhe oder -quote bestimmten Vorgaben, beispielsweise der vorrangigen Absicherung der Unternehmensentwicklung. Für das Renommee von Stiftungen kann es jedoch nicht gut sein, wenn Stiftungen als Sparkassen betrachtet werden. Gemeinnützige Stiftungen sind nun einmal für den Zweck geschaffen, zum gemeinen Nutzen tätig zu werden.
Dass sich die Zweckerfüllung nicht ganz ohne jegliche Risiken verwirklichen lässt, haben meine Ausführungen gezeigt. Bei all dem lege ich aber Wert auf die Feststellung, dass ich bei meiner Tätigkeit zwar von den Risiken weiß, sich mir aber bei der täglichen Arbeit ganz andere Facetten der Stiftungsarbeit permanent in den Vordergrund schieben. Da ist die tiefe Befriedigung, dass wir beispielsweise mit unserer Law School schon über 1.500 Studierende erreicht haben, denen wir eine besondere Ausbildung anbieten konnten, dass wir zurzeit Hunderten von Hamburger Kindern aus schwierigen sozialen Verhältnissen Lesecoaches an die Seite stellen können, dass wir Doktoranden auf dem Gebiet der Migrationsstudien aus aller Welt fördern, dass wir seit dem Jahr 2000 schon 600 international ausgewiesene Nachwuchskräfte in unseren Summer Schools on Global Governance versammelt haben und noch vieles mehr. Lassen Sie sich nicht von Risiken verunsichern. Risiken müssen gemanagt werden. Dann verstellen sie auch nicht den Blick auf das über die Vermögensanlage hinaus Wesentliche guter Stiftungsarbeit.
* Druckfassung der Rede, gehalten am 4. November 2011 anlässlich der 11. Hamburger Tage des Stiftungs- und Non-Profit-Rechts an der Bucerius Law School, Hamburg.
ANNETTE ZIMMER / ECKHARD PRILLER
Wie ist es um die Zivilgesellschaft in Deutschland bestellt? Welches sind ihre zentralen Akteure? Und wie arbeitet Zivilgesellschaft hierzulande mit Staat und Wirtschaft zusammen? Diese Fragen werden im folgenden Überblicksartikel thematisiert. Da es sich bei Zivilgesellschaft um einen vielschichtigen Begriff handelt, ist es sinnvoll, zunächst auf das den folgenden Ausführungen zugrundeliegende Verständnis von Zivilgesellschaft einzugehen. Daran anschließend wird aus einer modelltheoretischen Perspektive die Entwicklung der Zivilgesellschaft thematisiert. Es handelt sich in Deutschland in weiten Bereichen um eine „Zivilgesellschaft im Schatten des Staates“. Eine enge Zusammenarbeit zivilgesellschaftlicher Akteure mit dem Staat auf den verschiedenen Ebenen des politischen Systems, insbesondere aber auf der kommunalen Ebene, ist charakteristisch für die deutsche Situation. Trotz oder vielleicht auch gerade aufgrund der Nähe zum Staat kann die Zivilgesellschaft in Deutschland in den letzten Jahrzehnten auf ein beachtliches Wachstum zurückblicken. Dies gilt für die Anzahl der Vereine und das Stiftungswesen ebenso wie für das individuelle Engagement der Bürger und Bürgerinnen. Im vorliegenden Beitrag wird anhand ausgewählten statistischen Datenmaterials ein quantitativer Überblick über die Zivilgesellschaft in Deutschland vermittelt sowie eine Positionsbestimmung im internationalen Vergleich vorgenommen. Abschließend wird auf den Wandel der Zivilgesellschaft eingegangen. Das Verhältnis zwischen Staat und Zivilgesellschaft, aber auch zwischen Zivilgesellschaft und Markt hat sich in den letzten Jahren in Deutschland markant verändert mit entsprechenden Folgen für die zivilgesellschaftlichen Organisationen. Wohin die Reise in Zukunft geht, ist momentan noch nicht abzusehen. Festzuhalten ist jedoch, dass die Zivilgesellschaft dem Markt zunehmend ähnlicher wird. Auch in Deutschland prägt Konkurrenz längst den Alltag zivilgesellschaftlicher Organisationen. Und die Politik rechnet inzwischen fest mit der zunehmenden Bereitschaft der Bürger und Bürgerinnen, sich mit Geld wie Zeitspenden zu engagieren und sehr konkret zur Daseinsvorsorge beizutragen. Weniger prominent behandelt in der öffentlichen Debatte wird zurzeit die Bedeutung der Zivilgesellschaft für soziale Innovation und gesellschaftliche Modernisierung. Hier sollte jedoch angesetzt werden und die Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass Zivilgesellschaft als Motor von Innovation und Modernisierung auch tätig werden kann.
„Zivilgesellschaft“ als Begriff und Konzept kann auf eine lange Tradition zurückblicken. In der Klassischen Antike war societas civilis Synonym für die ideale Lebensweise von freien Bürgern. Alexis de Tocqueville, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Vereinigten Staaten bereiste, war fasziniert von der Dynamik und Vielfalt der dortigen freiwilligen Vereinigungen (Assoziationen, Vereine) und ihrer Bedeutung für friedliches Zusammenleben, Selbstorganisation und Demokratie. Tocquevilles Beschreibung der damaligen Gesellschaft in den USA bietet eine Blaupause für das Konzept einer „Zivilgesellschaft“, die sich durch gesellschaftliche Selbstorganisation und Engagement von Bürgern und Bürgerinnen auszeichnet.1
Individuelles bürgerschaftliches Engagement und die Existenz eines breiten Spektrums von Organisationen, die weder ausschließlich der Logik des Marktes noch der des Staates folgen, konstituieren seitdem unser Verständnis von Zivilgesellschaft. Hinzu kommt als weitere Komponente „Zivilität“, nämlich Meinungsbildung im Diskurs unter Austausch und auch Akzeptanz gegenläufiger Standpunkte. Zivilgesellschaft, so der Historiker Jürgen Kocka, kann nur als mehrdimensionales Konzept verstanden werden. Kocka unterscheidet zwischen einer normativen, einer handlungstheoretischen und einer bereichsspezifischen Komponente von Zivilgesellschaft.2 Normativ wird mit Zivilgesellschaft heute das Leitbild einer gerechten Gesellschaft und partizipativen Demokratie in Verbindung gebracht. Hierbei handelt es sich um eine in die Zukunft gerichtete gesellschaftlich-politische Utopie, die vielleicht exakt so nicht zu erreichen ist, aber dennoch als Richtlinie, Maßstab und Korrektiv des Status quo notwendig ist. Zivilgesellschaft dient insofern als Zielgröße und kritisches Potential, anhand dessen die Alltagsrealität des Status quo gemessen wird. Handlungstheoretisch geht es bei Zivilgesellschaft um das individuelle Engagement jedes Einzelnen für die Allgemeinheit betreffende Belange. Hier kommen Zivilcourage, Protest und Kritik gegenüber Politik und Verwaltung ebenso in den Blick wie Gemeinwohlorientierung, Philanthropie und Altruismus. Bei der handlungstheoretischen Dimension von Zivilgesellschaft schwingen sowohl die Idee des Öffentlichen im Sinne eines über den rein privaten Bereich hinausgehenden Engagements als auch ein aktives Eintreten für allgemeine Interessen und Belange mit. Schließlich wird Zivilgesellschaft bereichslogisch gefasst und auf einen bestimmten Typus von Organisation und Modus von Vergesellschaftung bezogen. Demnach ist Zivilgesellschaft ein Bereich, in dem freiwillige Vereinigungen (Vereine), Stiftungen, Initiativen, Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) bzw. Non-Profit-Organisationen (NPOs) tätig sind. In den modernen westlichen Demokratien sind diese Organisationen eine Selbstverständlichkeit. Sie gelten als Unterpfand von Demokratie und politischem Gemeinwesen. Das Recht, sich zusammenzuschließen und Organisationen zu gründen, ist ein allgemeines Menschenrecht und in Deutschland grundrechtlich verbrieft. Allerdings lassen sich im internationalen Vergleich deutliche Unterschiede der rechtlichen, politischen und auch ökonomischen Einbindung der zivilgesellschaftlichen Organisationen feststellen; ihre jeweilige Governance ist kontextabhängig und kulturell geprägt und unterliegt in der Regel einer pfadabhängigen Entwicklung.
Deutschland war und ist als Land in der Mitte Europas offen für viele Einflüsse. Hierzu zählen auch die demokratietheoretischen und zivilgesellschaftlichen Konzepte Frankreichs und Großbritanniens. Der zivilgesellschaftliche Diskurs ist hierzulande in hohem Maße geprägt durch die handlungstheoretische Komponente des individuellen Engagements. Angeknüpft wird hierbei durchaus an die demokratietheoretisch-republikanische Tradition des Nachbarn Frankreich, der lange Zeit keinen weiteren Bereich zwischen Staat und BürgerInnen bzw. Citoyens duldete. Dementsprechend kommt in Deutschland dem individuellen freiwilligen Engagement in der öffentlichen Wahrnehmung von Zivilgesellschaft ein wichtiger Stellenwert zu. Dies zeigt sich an der hohen Aufmerksamkeit, die individuelles Engagement in der deutschen Politik genießt. Hiervon zeugen in der jüngsten Vergangenheit u.a. die Einsetzung einer Enquêtekommission des Deutschen Bundestags3 „Zur Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“, das mit Unterstützung der Politik initiierte und mit öffentlichen Mitteln geförderte „Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement“4, der bisher unter Federführung des Bundesfamilienministeriums (BFSFJ) in fünfjährigem Turnus als bundesweite repräsentative Erhebung durchgeführte Freiwilligensurvey5 und nicht zuletzt der expandierende Bundesfreiwilligendienst.6
Gleichzeitig ist Zivilgesellschaft in Deutschland aber auch in hohem Maße von der angelsächsischen Tradition bürgerschaftlicher Selbstorganisation in einem breiten Spektrum von freiwilligen Vereinigungen, Initiativen, Vereinen und anderen in der Regel gemeinnützigen Organisationen geprägt. Nicht von ungefähr gilt Deutschland – ebenso wie die USA – als Hochburg freiwilliger Vereinigungen, insbesondere Vereine. Allerdings ist diese bereichsspezifische Komponente von Zivilgesellschaft, abgesehen von kritischen und humoristischen Beiträgen7, hierzulande im öffentlichen Diskurs weit weniger präsent als die handlungstheoretische, obgleich die enge Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen ein zentrales Strukturmoment von Politikgestaltung und Governance in Deutschland darstellt. Die Zusammenarbeit von Staat und zivilgesellschaftlichen Organisationen kann auf eine lange Tradition zurückblicken, die weit ins 19. Jahrhundert zurückreicht und trotz markanter historischer Zäsuren über eine beachtenswerte Kontinuität verfügt. Besonders ausgeprägt ist diese Form der Governance in den wohlfahrtsnahen Bereichen, wie etwa bei den Sozialen Diensten oder im Gesundheitswesen, aber auch lebensweltliche Politikbereiche wie Sport und Freizeit sind in ähnlicher Weise strukturiert. Politik, Verwaltung und zivilgesellschaftliche Organisationen arbeiten in diesen Politikfeldern vor allem auf der lokalen Ebene jeweils eng zusammen.8 Allerdings unterscheidet sich die Einbindung zivilgesellschaftlicher Organisationen hierzulande insofern vom angelsächsischen Vorbild, als es sich traditionell nicht um eine Beziehung auf Augenhöhe handelt. In Deutschland überwölbt klassischerweise der Staat die Vielfalt der zivilgesellschaftlichen Organisationen, wobei er nicht nur ordnungspolitisch als Rahmensetzer, sondern in beachtlichem Umfang auch als Finanzier, Koordinator und sogar als Initiator zivilgesellschaftlicher Organisationen tätig wird. Dieses spezifische Verhältnis zwischen Staat und Zivilgesellschaft steht in der Hegelschen Tradition einer besonderen Spielart des Etatismus, an die in der deutschen Nachkriegsgeschichte der Neo-Pluralismus eines Ernst Fraenkel anknüpfen konnte. Obgleich ursprünglich nicht etatistisch geprägt, führte die praktische Umsetzung des in der Christlichen Soziallehre verankerten Subsidiaritätsprinzips in Deutschland zu einem analogen Ergebnis einer passgenauen Einbindung zivilgesellschaftlicher Organisationen in den staatlichen Kontext. Zudem zeichnete sich die Sphäre der zivilgesellschaftlichen Organisationen im Vergleich zum angelsächsischen Vorbild hierzulande durch eine größere Marktferne aus. Dies ist zum einen ein Resultat der „Staatsnähe“ der Organisationen; ferner eröffnen die rechtlichen Rahmenbedingungen zivilgesellschaftlichen Organisationen in Deutschland nur sehr begrenzte Spielräume für wirtschaftliche Tätigkeiten.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welchem Regime der strukturellen Einbindung und Einbettung in den politisch-gesellschaftlichen Kontext die Governance der Zivilgesellschaft in Deutschland entspricht. Anknüpfend an den Regime-Ansatz von Gøsta Esping-Andersen9 und die Arbeiten von Lester Salamon und Helmut Anheier10 lassen sich für demokratische Gesellschaften mit ungebrochener marktwirtschaftlicher Tradition mindestens drei Modelle von Governance zivilgesellschaftlicher Organisationen unterscheiden. Hierbei richtet sich das Augenmerk weniger auf die Finanzierung der Organisationen – d.h. ob sie eher über den Markt oder den Staat finanziert werden –, im Zentrum steht vielmehr die demokratietheoretische Perspektive, also welche Funktionen die Organisationen für Staat und Gesellschaft einnehmen und welchem Modell von Demokratie ihre jeweilige Einbindung in den gesellschaftlichen Kontext am ehesten entspricht.