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Inhalt

Prolog

Kapitel 1 – Das Dorf Shadyside …

Kapitel 2 – Was hast du …

Kapitel 3 – „Wie könnt ihr …

Kapitel 4 – Hallie!“, flüsterte Jenna …

Kapitel 5 – „Jenna!“ Angelica packte …

Kapitel 6 – Hastig stand Jenna …

Kapitel 7 – „Lass mich los!“ …

Kapitel 8 – Jenna berührte Robs …

Kapitel 9 – „Jenna! Wo zum …

Kapitel 10 – „Rob!“, kreischte Jenna …

Kapitel 11 – „Hallie!“, schrie Jenna …

Kapitel 12 – Besorgt starrte Jenna …

Kapitel 13 – Angelica war in …

Kapitel 14 – In Jennas Kopf kreisten …

Kapitel 15 – Jenna drückte sich …

Kapitel 16 – Entsetzt wich Jenna …

Kapitel 17 – Weinend vor Angst …

Kapitel 18 – Mit einer seltsamen …

Kapitel 19 – Durch Jennas geschlossene …

Kapitel 20 – Simon fuhr blitzschnell …

Kapitel 21 – Jenna kniff die …

Kapitel 22 – Voller Panik schaute …

Kapitel 23 – „Nein!“, schrie Jenna …

Kapitel 24 – Schaudernd schleuderte Jenna …

Kapitel 25 – Die Sheridans nahmen …

Alle Einzelbände der Reihe „Fear Street“ als eBook:

Über den Autor

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Impressum

Prolog

Niemand weiß, woher er kam. Niemand kennt mehr seinen Namen. Und doch – das, was ein junger Mann vor vielen Jahrhunderten in einer Vollmondnacht heraufbeschwor, hinterließ seine Spuren. Spuren, die bis heute eine ganze Stadt in Angst und Schrecken versetzen.

Der junge Mann war der Urahn der Familie Fear. Und er hatte einen Todfeind. Diese Feindschaft trieb ihn zu einer Tat, die er bitter bereuen sollte. Denn um seinen Rivalen zu besiegen, rief er dunkle Mächte zu Hilfe.

Er entfachte in einer Höhle ein Feuer. Dann murmelte er die magischen Worte, die heute keiner mehr kennt. Erwartungsvoll blickte er in die Flammen, doch nichts geschah. Er wartete.

Als die Flammen plötzlich hoch aufloderten und sich rasend schnell über die Feuerstelle hinaus verbreiteten, schrak er zusammen und wich einen Schritt zurück. Doch das Feuer war schneller und erfasste ihn binnen Sekunden.

„Ich werde verbrennen“, dachte der junge Mann entsetzt. „Gleich bekomme ich keine Luft mehr, und dann ...“ Noch während er das dachte, merkte er, dass das Feuer einen Kreis um ihn gebildet hatte, sodass er von einer hohen Flammenwand umgeben war. Er schloss die Augen. Was hatte er da getan? Was für Mächte hatte er heraufbeschworen? Plötzlich ertönte aus den Flammen ein Zischeln, das sich langsam zu Worten formte.

„Du hast mich gerufen“, wisperte es.

Er sah sich gehetzt um, doch da war niemand – nur das Feuer.

„Du willst Macht, und ich gebe sie dir“, zischte es wieder. „Dafür gehörst du nun mir. Und alles Blut von dir. Ihr werdet mir Opfer bringen.“

Die Stimme schwieg, doch nur für einen kurzen Moment. „Dominatio per malum“, wisperte sie. „Dominatio per malum.“

Der junge Mann schluckte. „Was … was heißt das?“, stammelte er heiser.

„Macht“, kam die Antwort aus den Flammen. „Macht durch das Böse!“

Die Flammen schlossen sich enger um ihn, und er fühlte, wie ihn die Macht durchfuhr – eine heiße Woge. Er hatte es geschafft, er hatte die Macht heraufbeschworen, er fühlte sie mit jeder Faser seines Körpers. Doch er erschauerte, als er spürte, wie stark diese Kraft war. So ungeahnt stark, dass er sich beklommen fragte, ob er es nun war, der diese Macht kontrollierte, oder ob sie ihn beherrschte. Aber nun war es zu spät ...

Die Flammen loderten noch einmal hoch auf, dann wurden sie kleiner und zogen sich wieder auf die Feuerstelle zurück.

Der junge Mann fühlte sich wie betäubt. Er fiel auf die Knie und starrte lange ins Feuer. War das alles eben wirklich geschehen, fragte er sich. Hatte sich tatsächlich eine Flammenwand um ihn geschlossen? Das konnte nicht sein.

Doch da fiel sein Blick auf etwas Glänzendes, das zwischen den Steinen vor dem Feuer lag. Er beugte sich vor, um es besser erkennen zu können. Es war ein silbernes Amulett, besetzt mit leuchtend roten Steinen, die im Kreis um einen kleinen Totenkopf angeordnet waren. Als er das Amulett aufhob, stellte er erstaunt fest, wie schwer es in der Hand lag. Vorsichtig drehte er es hin und her und betrachtete es genauer. Auf der Rückseite waren die Worte Dominatio per malum eingraviert. Macht durch das Böse.

„Du gehörst nun mir – und alles Blut von dir“, wiederholte er leise die Worte der Stimme aus dem Feuer. Was hatte sie damit gemeint? Alles Blut von dir ... Ein Gedanke durchzuckte ihn – ein schrecklicher Gedanke. „Das war ein Fluch! Ich und alle meine Nachkommen sind verflucht“, wurde ihm klar. „Und das Amulett ist nicht nur das Zeichen meiner Macht, sondern auch das Zeichen des Fluchs.“

Während er das dachte, glomm das Amulett heiß in seiner Hand auf. Noch einmal drang ein Zischeln durch die Höhle, dann hörte das Amulett auf zu glühen und fühlte sich wieder kühl an.

Nachdenklich betrachtete er den kleinen silbernen Totenkopf. Was geschehen war, konnte er nicht mehr rückgängig machen. Es war sinnlos, sich zu fragen, ob es das wert gewesen war. Der Preis für die gewonnenen Kräfte war hoch – das hatte er erst jetzt erkannt. Zu hoch.

Mithilfe seiner neu erlangten Macht gelang es ihm, seinen Feind zu besiegen. Doch die Familie Fear war fortan verflucht. Es war ein mächtiger Fluch, der die Jahrhunderte überdauerte und nichts von seiner Grausamkeit einbüßte. Manchmal schwieg das Böse für eine Weile, doch nur, um schließlich mit neuer Kraft zu erwachen und Tod und Verderben zu säen. Dann brach es unerwartet über die nächste Generation herein und riss die Familie ins Unglück. Und selbst als die Fears ausgelöscht waren, bestand das Böse fort. An einem bestimmten Ort, in einer bestimmten Stadt ...

Kapitel 1

Das Dorf Shadyside, 1878

„Nächste Station Bahnhof Shadyside!“, rief der Schaffner.

Jenna sah von ihrem Buch auf. Waren sie etwa schon angekommen?

Als der Zug langsamer wurde, klopfte ihr Herz immer schneller. Sie konnte es kaum noch erwarten, ihre beste Freundin Hallie endlich wiederzusehen!

Sie schaute aus dem Fenster und erblickte Shadyside. Passanten eilten von einem Laden zum nächsten, und auf der breiten Hauptstraße drängten sich die Pferdekutschen und Einspänner. Jenna entdeckte ein großes Kolonialwarengeschäft, eine Bäckerei und eine Post.

„Bahnhof Shadyside!“, rief der Schaffner noch einmal.

Jenna entdeckte auf dem Bahnsteig Hallie und deren Eltern. Sie lehnte sich so weit sie konnte aus dem Zugfenster.

„Hallie! Hier bin ich!“, rief sie und schwenkte die Arme.

„Jenna!“, kreischte Hallie und winkte zurück.

Dann raffte die Freundin den Saum ihres langen Rockes und rannte neben dem Zug her, der immer langsamer wurde. Ihr lockiges blondes Haar flatterte im Wind, und ihre blauen Augen funkelten aufgeregt. Jenna stand vom Sitz auf und griff nach ihrer Reisetasche. Der Stoff ihres langen Kleids raschelte, während sie durch das Abteil nach vorne lief.

Als die Zugräder quietschend zum Stillstand kamen, hastete sie die Stufen hinunter und fiel in Hallies Arme.

Hallie drückte sie fest an sich. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich dich vermisst habe!“, rief sie.

„Aber du bist doch diejenige, die weggezogen ist!“, gab Jenna zurück und schob die Freundin neckend von sich.

„Ach Jenna, ich bin so froh, dass wir den ganzen Sommer zusammen verbringen können. Wir werden so viel Spaß haben!“

Jenna lächelte, denn Hallie war ihre allerbeste Freundin auf der ganzen Welt. Wie zwei Schwestern, sagten ihre Eltern immer. Und Jenna wünschte sich nichts sehnlicher, als wären sie richtige Schwestern.

„Hallo junge Dame!“, hörte sie Hallies Vater lachend sagen.

Sie drehte sich um und sah Hallies Eltern, die jetzt neben ihnen standen. Mr Sheridan begrüßte Jenna mit einem breiten, herzlichen Lächeln. Er trug einen dunklen Anzug mit hohem, gestärktem Kragen, und sein dicker schwarzer Schnurrbart, der an den Enden gezwirbelt war, ließ ihn noch vornehmer wirken. Mrs Sheridan war immer noch genauso hübsch wie eh und je, und durch den großen Hut mit der breiten Krempe wirkte sie besonders elegant.

„Willkommen in unserer neuen Heimat, meine Liebe“, rief sie. „Wir freuen uns, dich als Gast bei uns zu haben!“

„Vielen Dank, dass Sie mich eingeladen haben“, erwiderte Jenna, die sich gerade noch rechtzeitig an die Mahnung ihrer Mutter erinnerte, ihre guten Manieren zu zeigen.

„Gib mir dein Gepäck, Jenna!“, bot Mr Sheridan an und ergriff Jennas großen Koffer, den der Schaffner aus dem Zug getragen hatte.

„Ich nehme deine Tasche“, sagte Hallie und hakte sich bei Jenna ein, als sie hinter Hallies Eltern auf die Hauptstraße gingen.

Mr Sheridan führte sie zu einer offenen Kutsche, vor der zwei Pferde geduldig warteten. Er stellte den Koffer ab und half den Mädchen einzusteigen. Jenna setzte sich neben Hallie auf den Rücksitz, und Mrs Sheridan nahm gegenüber Platz. Nachdem Hallies Vater den Koffer hinten festgezurrt hatte, kletterte er auf den Kutschersitz und nahm die Zügel in die Hand.

„Hü!“, befahl er den Pferden. Sie wirbelten eine Staubwolke auf, während sie die Straße entlangtrabten, die vom Bahnhof und dem Dorf wegführte. Jenna entspannte sich und betrachtete die Häuser, die an ihr vorbeizogen.

„Gefällt es dir hier?“, fragte Jenna ihre Freundin.

Hallie zuckte mit den Schultern. „Na ja, es ist nicht schlecht. Aber alle anderen sind hier aufgewachsen. Es ist schwer, Freunde zu finden.“

„Das wirst du schon noch“, versprach ihre Mutter. „Es dauert einfach seine Zeit.“

„Jetzt ist zum Glück ja erstmal Jenna hier“, erwiderte Hallie. „Und wir werden den ganzen Sommer über Spaß haben.“

Kurz darauf lenkte Mr Sheridan die Pferde auf eine abgelegene Seitenstraße und bog dann auf einen Kiesweg ab.

„Sieh mal, Jenna – da drüben ist unser Haus!“, verkündete Hallie strahlend.

Hinter der kurzen Auffahrt aus Kieselsteinen erblickte Jenna ein zweistöckiges hellgelbes Haus mit dunkelgrünen Fensterläden und einem hohen Schornstein. Das Haus war von einem großen Garten mit mehreren alten Eichen umgeben. Jenna gefiel vor allem die große Veranda mit den Blumenkästen und der gemütlichen Holzschaukel, die so breit war, dass zwei Personen bequem darin Platz nehmen konnten.

„So, da wären wir“, verkündete Mr Sheridan, als er die Pferde vor dem Haus halten ließ.

Es roch köstlich nach frisch zubereiteten Speisen, und Jenna lief das Wasser im Mund zusammen. „Mmm, irgendwas riecht hier lecker“, stellte sie fest.

„Die Köchin müsste mit dem Abendessen fertig sein“, erwiderte Mrs Sheridan.

Jenna stieg hinter Hallie aus der Kutsche und folgte ihr ins Haus. „Das wird ein herrlicher Sommer!“, dachte sie vergnügt.

Nach dem Essen setzten sich die beiden Freundinnen draußen auf die Schaukel. Es war schon dunkel geworden, und Jenna betrachtete den Mond, der langsam am Himmel aufstieg. Sie spürte, wie eine sanfte Brise ihre Wange streichelte, und hörte das Ächzen und Knacken der Baumäste.

Sie zog ihre Füße an und schlang die Arme um ihre Knie.

„Weißt du noch, wie wir früher immer lange aufgeblieben sind und uns Gruselgeschichten erzählt haben?“, fragte Hallie plötzlich.

„Und wie ich das noch weiß!“, antwortete Jenna. Sie stupste Hallie mit dem Ellenbogen in die Seite. „Weißt du auch noch, als du mir die Geschichte vom grünen Mann erzählt hast? Ich glaube, wir waren damals acht oder neun.“

„Und du hast sie mir ernsthaft geglaubt!“, sagte Hallie grinsend.

„Ich konnte vier Wochen lang nicht schlafen“, gab Jenna zu. „Ich wartete immer darauf, dass er mit seinen langen, krummen Fingernägeln an meiner Fensterscheibe kratzen würde. Als ich herausfand, dass du die Geschichte bloß erfunden hast, hätte ich dich am liebsten erwürgt.“

„Ich wette, ich könnte dir heute noch so viel Angst einjagen, dass dir die Haare zu Berge stehen!“, neckte Hallie.

„So ein Quatsch!“, entgegnete Jenna. „Jetzt bin ich zu alt, um auf deine wilden Spukgeschichten hereinzufallen.“

„Natürlich bist du das“, stimmte Hallie mit einem ironischen Grinsen zu. „Dann macht es dir doch sicher nichts aus, wenn wir gleich einen Spaziergang zum Friedhof machen? Ich kenne eine tolle Geschichte, und es wäre viel lustiger, sie am passenden Ort zu erzählen.“

Jenna wurde etwas mulmig zu Mute. „Warum gerade auf dem Friedhof?“, fragte sie nervös.

„Du hast doch nicht etwa Angst, oder?“

„Natürlich nicht!“, erwiderte sie. „Auf Friedhöfen gibt es nichts, wovor man Angst haben müsste.“

„Dann komm“, sagte Hallie eifrig. „Mir nach!“ Die beiden Mädchen rannten von der Terrasse herunter über den Rasen und liefen an zwei Nachbarhäusern vorbei, in deren Wohnzimmerfenstern warmes Licht leuchtete. Jenna wäre am liebsten umgedreht, doch sie biss sich auf die Unterlippe und marschierte entschlossen weiter.

Als nur noch der Mond ihren Weg beleuchtete, wurde die Straße immer dunkler. Jenna stellte erschreckt fest, dass plötzlich keine Häuser mehr zu sehen waren, sondern nur noch dichter Wald. Die Blätter und Baumstämme schimmerten im silbrigen Mondschein.

„Vielleicht hätten wir eine Lampe mitnehmen sollen“, meinte sie.

„Dafür ist es jetzt zu spät“, antwortete Hallie. „Sieh mal, da drüben ist der Eingang.“

Weiter vorn tauchten plötzlich zwei hohe Steinsäulen auf, die stellenweise mit grünem Moos überzogen waren. Ein Eisenbogen spannte sich über die beiden Säulen. Da Jenna die verschnörkelten Buchstaben darauf kaum entziffern konnte, blieb sie stehen und kniff die Augen zusammen.

„Friedhof Shadyside“, las sie langsam vor.

„Was sollte auch sonst draufstehen?“, fragte Hallie spöttisch und zog sie ungeduldig am Arm weiter. „Komm schon, du Angsthase! Schließlich haben wir nicht die ganze Nacht Zeit. Meine Eltern wundern sich sonst, wo wir geblieben sind.“

Als Jenna von ihrer Freundin durch das Tor gezogen wurde, lief ihr ein Schauer über den Rücken.

„Der Friedhof ist mir unheimlich!“, flüsterte sie.

„Warum flüsterst du?“, wollte Hallie wissen. „Uns kann doch niemand hören.“

„Ich ...“ Lachend hob Jenna die Arme hoch. „Du hast Recht. Wahrscheinlich habe ich geflüstert, weil ... weil man auf Friedhöfen immer flüstert, oder?“

„Ja, ich glaube schon“, bestätigte Hallie und führte sie tiefer in die Dunkelheit des Friedhofs. Auf dem steinigen Weg, der sich an zahlreichen Gräbern entlangwand, wucherte das Unkraut, und im fahlen Mondschein wirkten die Grabsteine wie krumme Zähne, die aus der Erde ragten.

Blassgraue Nebelschwaden zogen vorüber, und die Luft war feucht. Mit jedem Atemzug sog Jenna einen Hauch von einem ekelhaften, fauligen Geruch ein, den sie nicht identifizieren konnte.

„Schau mal!“, rief Hallie und zeigte auf einen großen dunklen Umriss vor ihnen.

Jenna konnte, verborgen zwischen einigen Bäumen, ein kleines, quadratisches Häuschen mit einem Kuppeldach erkennen. Als sie näher kamen, sah Jenna eine Gestalt, die über dem Eingang thronte.

Es war eine Engelsstatue. Nichts Ungewöhnliches auf einem Friedhof. Viele Menschen fanden Trost darin, eine Steinfigur über dem Grab ihrer Verstorbenen wachen zu lassen.

Doch dies war der schrecklichste Schutzengel, den sie jemals gesehen hatte. Es war eine bedrohliche, teuflisch wirkende Figur.

Sie war aus schwarzem Marmor gehauen und mit grünem Schleim überzogen. Auf ihrem unheimlichen Gesicht lag ein hämischer, finsterer Ausdruck. Die Augen des Engels waren geschlossen, doch Jenna schien es, als würde sie trotzdem ein stechender Blick durchbohren.

Die breiten schwarzen Flügel wirkten an dem mageren Körper des Engels viel zu wuchtig. Sie umhüllten die knochigen, krummen Schultern, und die langen Federn verliefen an den Enden wie scharfe Messerspitzen. Jennas Blick fiel auf die Hände des Engels: Es waren knochige Klauen, die gefaltet auf der eingesunkenen Brust ruhten.

„Was ist das?“, stammelte sie.

„Das ist eine Gruft“, flüsterte Hallie. „Darin sind die Mädchen der Fears begraben. Man sagt, ihr Geist würde hier herumspuken.“

Jenna schluckte schwer. „Es gibt keine Geister, Hallie“, erklärte sie.

Hallie lehnte sich mit dem Rücken an einen Grabstein. „Vielleicht änderst du deine Meinung, wenn du die Geschichte gehört hast.“

Jenna verschränkte die Arme. „Das glaube ich nicht.“

„Das werden wir ja sehen.“ Hallie warf den Kopf zurück und grinste breit. „Hör zu. Es kursieren schreckliche Gerüchte über die Fears hier in Shadyside. Grauenhafte Geschichten ... Es wird gesagt, dass die ganze Familie verflucht ist und die beiden Töchter durch eine Bluttat ums Leben gekommen sind. Eine der Schwestern soll die andere umgebracht haben. Und da die Mädchen nicht auf natürliche Weise gestorben sind, ist ihr Geist für immer an diesen Ort gefesselt.“

Der Wind zerrte an den Ästen der Bäume und ließ sie in der Dunkelheit flüstern. Jenna glaubte, im Rascheln Stimmen zu hören. Sie hatte beinahe das Gefühl, als würde jemand in der Dunkelheit kauern und sie beobachten. Sie zwang sich, keinen Blick über ihre Schulter zu werfen. Auch nicht auf den grauenhaften Engel. Den Todesengel.

„Aber das ist noch nicht das Schlimmste“, fuhr Hallie fort. „Die Leute sagen ...“ Sie hielt inne, um es noch spannender zu machen. Ihre Stimme war ein raues Flüstern. „Sie sagen, als die Töchter der Fears begraben wurden, hatten sie keine Knochen im Leib mehr! Es wird behauptet, dass die Skelette der Mädchen in manchen Nächten umherirren. Immer auf der Suche nach einem Weg, wie sie wieder lebendig werden können.“

Jennas unheimliches Gefühl war verschwunden. „Hallie, das ist wirklich zu viel des Guten. Ich würde eher an Gespenster glauben als an diese lächerliche Geschichte!“

„Nun, vielleicht würdest du das nicht sagen, wenn du die Gesichter der Leute sehen könntest, sobald der Name Fear erwähnt wird.“

„Was ist mit den Leuten?“, fragte Jenna.

„Na ja ... fast so, als hätten sie ... Todesangst.“

Jenna seufzte. „Hallie, du bist zu gutgläubig. Vergiss nicht, du bist neu hier. Wer immer dir das erzählt hat, wollte dich bloß auf den Arm nehmen. Wahrscheinlich hat er sich darüber halb totgelacht.“

„Hör zu, ich werde es dir beweisen!“, entgegnete Hallie. „Wir gehen jetzt zur Gruft, und dann wirst du sehen, wie unheimlich es dort ist!“

Jenna schaute sich prüfend um. Ihre Augen funkelten. „Hältst du das wirklich für eine gute Idee?“

„Was soll uns denn schon passieren? Jetzt komm endlich.“ Sie nahm Jenna bei der Hand, und die Mädchen gingen langsam auf die Gruft zu.

Jenna schaute wieder den Engel an, der hoch über ihren Köpfen emporragte und jetzt noch größer und bedrohlicher wirkte.