Dipl. Med.-Päd. Martin Ohder, Schulleiter der Bildungseinrichtung Sinsheim, DRK-Landesschule Baden-Württemberg gGmbH.
Joachim Volz, stellv. Schulleiter der Landesschule des Arbeiter-Samariter-Bundes, Mannheim.
Marc Schmidt, Schulleiter des Lehrinstituts für Notfallmedizin mobile medic, Denkendorf.
Rico Kuhnke, Gesamtschulleiter der DRK-Landesschule Baden-Württemberg gGmbH.
Matthias Ziegler, Schulleiter der Bildungseinrichtung Ravensburg, DRK-Landesschule Baden-Württemberg gGmbH.
Lektorat: Konstanze Rösch und Marc Schmidt
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.
Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.
2. Auflage 2018
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-032938-6
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-032939-3
epub: ISBN 978-3-17-032940-9
mobi: ISBN 978-3-17-032941-6
Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.
Ein besonderer Dank gilt folgenden Personen:
Leonhard Aicher, Birgit Appenzeller, Thomas Behringer, Markus Bela, Marco Betz, Achim Casper, Martin Fechling, Thomas Gähme, Oliver Göring, Daniel Grein, Daniel Groß, Judith Heitz, Maximilian Kaptur, Philipp Kicherer, Michael Kraus, Sven Knödler, Julian Körner, Thorsten Lang, Marc Lippe, Frank Mayer, Michael Müller, Udo Müller, Jürgen Nikola, Katja Pumpe, Uwe Rennhofer, Stephanie Reußink, Konstanze Rösch, Luisa Scherle, Stefan Schmidt, ,Stephanie Schmidt, Daniel Schmitz, Katherine Surtees, Jan-Gregor Steenberg, Johannes Stocker, Michael Weisbach
Abb. 1: | Der Weg zum Notfallsanitätergesetz |
Abb. 2: | Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland |
Abb. 3: | Wirkungsmodell und Strukturierungshilfe |
Abb. 4: | Gliederung des Stundenumfangs der Ausbildung Notfallsanitäter nach der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Notfallsanitäter und Notfallsanitäterinnen des Bundesrats |
Abb. 5: | Erwerb von Kompetenzen im LF 1 |
Abb. 6: | Erwerb von Kompetenzen im LF 2 |
Abb. 7: | Erwerb von Kompetenzen im LF 3 |
Abb. 8: | Erwerb von Kompetenzen im LF 4 |
Abb. 9: | Erwerb von Kompetenzen im LF 5 |
Abb. 10: | Erwerb von Kompetenzen im LF 6 |
Abb. 11: | Erwerb von Kompetenzen im LF 7 |
Abb. 12: | Erwerb von Kompetenzen im LF 8 |
Abb. 13: | Erwerb von Kompetenzen im LF 9 |
Abb. 14: | Erwerb von Kompetenzen im LF 10 |
Abb. 15: | Modell der vollständigen Handlung |
Abb. 16: | Beispiel eines Brainstorming-Ergebnisses |
Tab. 1: | DQR und Einstufung des Rettungsassistenten und des Notfallsanitäters |
Tab. 2: | Prüfungsmethoden im Überblick |
Tab. 3: | Prüfungsinstrumente und damit prüfbare Kompetenzbereiche in der schriftlichen Leistungsbemessung |
Tab. 4: | Mündliche Prüfinstrumente und damit prüfbare Kompetenzbereiche |
Tab. 5: | Praktische Prüfinstrumente und damit prüfbare Kompetenzbereiche |
Tab. 6: | Kombinierte Prüfinstrumente und damit prüfbare Kompetenzbereiche |
AAAABCEEEE-Schema | Gefahrenmatrix: Angstreaktion, Atemgifte, Atomare Gefahr, Ausbreitung, chemische Stoffe, Explosion, Erkrankung & Verletzung, Einsturz, Elektrizität |
AAO | Alarm- und Ausrückeordnung |
ABCDE-Schema | Strategie zur Beurteilung und Versorgung kritischer Patienten |
AED | Automatische externe Defibrillation |
ALS | Advanced Life Support |
AMPLE | Merksatz zur Anamneseerhebung: Allergien, Medikamente und Drogen, Patientengeschichte, letzte Nahrungsaufnahme, Ereignisse in Bezug auf den Notfall |
APrVo | Ausbildungs- und Prüfungsverordnung |
BLS | Basic Life Support |
BOS | Betriebe und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben |
CABCDE | Catastrophic Haemorhages Before Airway Problems |
COPD | Chronic Obstructive Pulmonary Disease |
CPR | Cardio-pulmonale Reanimation |
CRM | Crew Resource Management |
DIN | Deutsches Institut für Normung |
DME | Digitaler Meldeempfänger |
DV | Dienstvorschrift |
EKG | Elektrokardiogramm |
EOL | Erfahrungsorientiertes Lernen |
EUG | Extrauterine Gravidität |
FME | Funkmeldeempfänger |
FMS | Funkmeldesystem |
GCS | Glasgow-Coma-Scale |
GEMS | Geriatric Education for Emergency Medical Services |
HIV | Humane Immundefizienz-Virus |
HLW | Herz-Lungen-Wiederbelebung |
i. m. | intra muskulär |
i. o. | intra ossär |
i. v. | intra venös |
ITLS | International Trauma Life Support |
KIT | Krinseninterventionsteam |
KMK | Kultusministerkonferenz |
KTW | Krankentransportwagen |
LF | Lernfeld |
Ltd. | Limited Company |
MANE | Massenanfall von Erkrankten |
MANV | Massenanfall von Verletzten |
MEK | Mobiles Einsatzkommando |
MEQ | Modified Essay Question Test |
MPG | Medizinproduktegesetz |
MPrBetrVO | Medizinproduktebetreiberverordnung |
NA | Notarzt |
NACA | Naca-Score: Einschätzung für die Schwere von Verletzungen, Erkrankungen oder Vergiftungen |
NEF | Notarzteinsatzfahrzeug |
NIV | Non-invasive Ventilation |
NND | Notfallnachsorgedienst |
NotSanAPrV | Notfallsanitäter Ausbildungs- und Prüfungsverordnung |
OPQRST | Merksatz zur Beschwerdeanamnese: Schmerzbeginn, Verstärkung + Linderung, Qualität, Ausstrahlung, Stärke der Beschwerden, zeitlicher Verlauf |
OrgL | Organisatorischer Leiter Rettungsdienst |
OSCE | Objective Structured Clinical Examination |
PALS | Pädiatrisches Notfallmanagement |
POL | Problemorientiertes Lernen |
PSA | Persönliche Schutzausrüstung |
PSNV | Psychosoziale Notfallversorgung |
PTBS | Posttraumatische Belastungsstörung |
RD | Rettungsdienst |
RDG | Rettungsdienstgesetz |
RH | Rettungshelfer |
RR | Riva Rocci – Erfinder der nicht-invasiven Blutdruckmessung |
RS | Rettungssanitäter |
RTW | Rettungswagen |
SAMPLE | Merksatz zur Anamneseerhebung: Symptomatik, Allergien, Medikamente und Drogen, Patientengeschichte, letzte Nahrungsaufnahme, Ereignisse in Bezug auf den Notfall |
SLT | Struktur-Lege-Technik |
TEL | Technische Einsatzleitung |
TJE | Triple Jump Exercise |
UE | Unterrichtseinheit |
VU | Verkehrsunfall |
Martin Ohder
Am 01.01.2014 ist das Notfallsanitätergesetz (NotSanG) und die entsprechende Ausbildungs- und Prüfungsordnung (NotSan-APrV) in Kraft getreten. Der Notfallsanitäter/die Notfallsanitäterin löst als neuer Gesundheitsfachberuf das bisherige Berufsbild der Rettungsassistentin und des Rettungsassistenten ab. Folgende besonders hervorstechende Veränderungen sind im Vergleich zur bisherigen Ausbildung beispielhaft zu nennen:
• Die Ausbildung verlängert sich von zwei auf drei Jahre.
• Die Auszubildenden sind bei einem Träger angestellt und erhalten ein Ausbildungsentgelt. Bisher war die Ausbildung zur Rettungsassistentin und zum Rettungsassistenten selbstzahlend in Lehrgangsform organisiert.
• Es wird explizit eine outputorientierte Ausbildung gefordert, die auf berufliche Handlungskompetenz mit den integrativen Bestandteilen Fach-, Sozial-, Personal- und Methodenkompetenz abzielt.
• In der beruflichen Ausübung seiner Tätigkeit wird der Notfallsanitäter und die Notfallsanitäterin über ein deutlich höheres Maß an selbstständiger Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit verfügen (z. B. Versorgung von Patientinnen und Patienten unter Beachtung der Bedürfnisse und der Lebenssituation, Durchführung von erweiterten und heilkundlichen Maßnahmen).
• Pädagogische Qualifikation der Lehrkräfte mindestens auf Bachelor-Niveau
• Verzahnung der Lernorte Theorie, Rettungswache und Krankenhaus unter der Verantwortung der Schulen
Analog zur Einordnung der Ausbildung von Gesundheitsfachberufen ergeben sich für die Umsetzung des Notfallsanitätergesetzes in der Ausbildung folgende Besonderheiten:
• Die Ausbildung unterliegt im Gegensatz zu anderen Ausbildungsberufen nicht dem Berufsbildungsgesetz (BBiG).
• Für die Ausgestaltung der Ausbildung sind die Länder innerhalb des Rahmens des NotSanG und der NotSan-APrV verantwortlich.
• Die Aufsicht über die Ausbildung liegt je nach Bundesland bei unterschiedlichen Behörden (z. B. Sozialministerium in Baden-Württemberg) und unterliegt nicht zwangsläufig der Schulaufsicht der Kultusministerien der Länder.
Das neue Berufsbild Notfallsanitäter/Notfallsanitäterin macht eine curriculare Umsetzung der Vorgaben des NotsanG und der NotSan-APrV zur Ausgestaltung der dreijährigen Ausbildung an den Schulen erforderlich. Aus dieser Anforderung ergibt sich die Fragestellung, wie unter den gesetzlichen Rahmenbedingungen, den strukturellen Besonderheiten der Gesundheitsfachberufe unter Beachtung kompetenzorientierter Ausbildung sowie dem aktuellen wissenschaftlichen und berufspädagogischen Verständnis von Lehr-Lern-Prozessen ein Curriculum für den neuen Ausbildungsberuf des Notfallsanitäters und der Notfallsanitäterin gestaltet sein kann. Das Sozialministerium Baden-Württemberg hat eine »Arbeitsgruppe Curriculum« mit Vertreterinnen und Vertretern der fünf Rettungsdienstschulen Baden-Württembergs unter wissenschaftlicher Begleitung durch einen Vertreter des Landesamtes für Schulentwicklung Baden-Württemberg beauftragt, analog zu obiger Fragestellung einen einheitlichen Rahmenlehrplan für Baden-Württemberg zu erstellen. Dabei sollen folgende Kriterien erfüllt sein:
• Spiralcurriculärer Aufbau
• Orientierung an Lernfeldern (KMK, 2011)
• Kompetenzbeschreibungen, die sich an vollständigen beruflichen Handlungen orientieren und den Endzustand von Kompetenzbreite und -tiefe am Ende jedes Lernfeldes darstellen.
Der Rahmenlehrplan ist Grundlage dieses Curriculums für die Ausbildung von Notfallsanitätern und Notfallsanitäterinnen nach dem Baden-Württemberger Modell. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe haben den Rahmenlehrplan durch folgende Punkte ergänzt:
• Theoretischer Begründungsrahmen, unter anderem mit einer Einführung in die Historie des Berufes, Einführung in das Lernfeldkonzept, pädagogische Begründungsrahmen und einer Einführung in das outputorientierte pädagogische Paradigma.
• Spiegelstrichlisten mit konkreten, den Lernfeldern zugeordneten Inhalten. Diese sind abgestimmt mit den Empfehlungen zu heilkundlichen Maßnahmen durch den Notfallsanitäter/die Notfallsanitäterin (Arbeitsgruppe »Erweiterte und heilkundliche Maßnahmen« im Auftrag des Sozialministeriums Baden-Württemberg) und spiegeln die Vorgaben der Themenbereiche aus dem NotSanG wider.
• Empfehlungen zur konkreten konzeptionellen und methodischen Umsetzung im Unterricht und zu kompetenzorientierten Prüfungen.
• Literaturempfehlungen als Hilfe für die Lehrkräfte.
Das vorliegende Curriculum schlägt eine Brücke zwischen den Vorgaben aus den gesetzlichen Rahmenbedingungen und den konkreten Lehr-Lern-Situationen an den Schulen. Für die Lehrkräfte in den Bildungseinrichtungen bietet es eine Strukturierungshilfe und leistet damit einen wertvollen Beitrag zur Sicherung einer einheitlichen Ausbildungsqualität.
Besuchen Sie die Website zum Buch: Unter www.notfallsanitaeter-curriculum.de finden Sie zahlreiche ergänzende Informationen zum Download und eine Vielzahl hilfreicher Verlinkungen.
Die bisherige Ausbildung zur Rettungsassistentin und zum Rettungsassistenten wird durch die Ausbildung zum Notfallsanitäter und zur Notfallsanitäterin ersetzt. Das Rettungsdienstsystem befindet sich im Wandel. Tiefgreifende Veränderungen sowohl in der Ausbildung als auch in der Ausübung notfallmedizinischer Versorgung sind die Folge. Begreifbar wird der Prozess vor allem unter Berücksichtigung der Berufsgeschichte des Rettungsdienstes. Zunächst findet daher ein geschichtlicher Rückblick statt. Anschließend wird das neue Berufsbild im europäischen Vergleich eingeordnet und Aufgaben und Ziele der neuen Ausbildung insbesondere im Hinblick gesellschaftlicher Veränderungen und im Hinblick auf den demographischen Wandel werden benannt.
In den letzten Jahrzehnten konnte die Medizin enorme Fortschritte vorweisen. Auch das Rettungsdienstsystem entwickelte sich im 20. Jahrhundert stetig weiter. Angefangen mit einem einfachen Krankentransport und basalen Maßnahmen der Ersten Hilfe bis hin zu einem differenzierten Rettungsdienst mit einem der weltweit aufwändigsten präklinischen Versorgungssysteme.
Die Notwendigkeit, Verletzte und Erkrankte am Notfallort zu behandeln und zu transportieren, ist keine Erscheinung moderner Gesellschaftsformen. Bereits im 14.–16. Jahrhundert findet man Anweisungen zum »Tragen von Hand, mit Rossbahren, Notbahren von Spießen und zu Schiff« der Schweizer Eidgenossenschaft. Erste zivile Ordnung war beispielsweise die 1727 im Rahmen der Pestvorsorge erlassene Wiener Pestordnung. Noch bis 1772 gab es sogenannte »Krüppelfuhren«, bei denen Erkrankte von einer Gemeinde zur anderen abgeschoben wurden. Bis zum 19. Jahrhundert war der Krankentransport in Deutschland allerdings wenig organisiert, wenngleich es bereits im 18. Jahrhundert die Erkenntnis gab, dass Menschenleben mithilfe von Wiederbelebungsmaßnahmen erhalten bleiben können. Beispielsweise wurde von Ludwig XV schon im Jahr 1740 der Avis zur Hilfeleistung bei Ertrinkenden erlassen, dass Menschen wiederbelebt werden dürfen (vgl. Online112, 2013). Auch empfahl die Royal Humane Society im Jahre 1774 die Mund-zu-Mund- und eine Blasebalgbeatmung, da sie »vielen nütze und niemandem schade «.
Die Wurzeln des geregelten, modernen Rettungsdienstes liegen in dem militärischen Krankentransportwesen aus dem 19. Jahrhundert. Zum Beispiel erließ das Preußische Kultusministerium 1813 eine Anweisung zur zweckmäßigen Behandlung und Rettung von Scheintoten oder durch plötzliche Zufälle verunglückter Personen (vgl. Online112, 2013). Die Durchführung übernahmen die Berufsfeuerwehr, Verbände wie der Arbeiter-Samariter-Bund und das Deutsche Rote Kreuz sowie freiwillige Rettungsgesellschaften oder auch private Unternehmer.
1908 wurde in Frankfurt der erste internationale Rettungskongress abgehalten, auf dem die Grundforderung für eine »präklinische Notfallversorgung« bekannt gegeben wurde. Da die finanziellen Mittel begrenzt waren, wurden diese Aufgaben ausschließlich von samaritanen Organisationen unter Mitarbeit von freiwilligen Helferinnen und Helfern durchgeführt. Der Heidelberger Chirurg Martin Kirschner kam 1938 bei dem 62. Deutschen Chirurgenkongress zu dem Entschluss, dass die Ärztin/der Arzt so schnell wie möglich zu der Patientin und dem Patienten gelangen muss. Hierfür entwickelte er in Zusammenarbeit mit Siemens den ersten Monitor und den ersten Operationswagen (vgl. Online112, 2013).
In den 1960er Jahren geriet das Gesundheitswesen unter immer stärker werdenden Druck. Mit der wachsenden Mobilität erhöhten sich die Unfallzahlen. Viele Menschen kamen bei Verkehrsunfällen zu Schaden und verstarben noch am Unfallort. Der Ruf wurde laut, verletzten Menschen direkt am Einsatzort fachkompetente medizinische Versorgung zu gewährleisten. Ärzte und Hilfsorganisationen suchten hierfür Lösungen. Besonders Städte wie Heidelberg, Köln und München waren stark an der Gestaltung beteiligt. In der Folge entstand ein neues präklinisches Versorgungsparadigma (vgl. Nößler, 2012). Ausgehend von einem auf schnellen Transport ausgelegten »Load-and-go«-System mit begrenzten materiellen Ressourcen und niedrigem notfallmedizinischen Ausbildungsstand wurden Strukturen, Organisationsformen, Ausstattungsstandards und die personellen Voraussetzungen geschaffen, um eine schnelle, qualifizierte Hilfe vor Ort gewährleisten zu können. Ziel des neuen Paradigmas war die Stabilisierung vital bedrohter Patientinnen und Patienten und qualifizierte medizinische Versorgung an der Einsatzstelle sowie während des Transports, z. B. wurde dazu in Heidelberg 1964 der Arzteinsatzwagen eingeführt. Bei Bedarf wurde damit eine Ärztin/ein Arzt im Rendezvous-System an den Notfallort zugebracht, die/der dort zusammen mit der Besatzung des Rettungswagens eine schnellstmögliche ärztliche Versorgung gewährleistete (vgl. Online112, 2013).
Der wachsende Stellenwert notfallmedizinischer Versorgung schlug sich auch auf die Gesetzgebung nieder. So etablierten die Bundesländer 1974 verschiedene Rettungsdienstgesetze. In diesen waren beispielsweise die am Rettungsdienst beteiligten Organisation und Hilfsfristen vorgegeben. Ein einheitliches Ausbildungs- und Berufsprofil gab es lange Zeit trotz des wachsenden Stellenwertes der Notfallrettung nicht. Erst 1977 verabschiedete der Bund-Länder-Ausschuss das »520-Stunden-Programm zur Ausbildung der Rettungssanitäter« als erste bundesweit einheitliche Richtlinie zur Qualifizierung von Personal im Rettungsdienst. Diese Empfehlung galt von diesem Zeitpunkt an 12 Jahre lang als Mindestanforderung an Rettungsfachpersonal (vgl. Domres & Lipp, 2000, S. 134). Unter der Regierung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl verabschiedete der Bundestag am 15. Juli 1989 ein Gesetz für das erste geschützte Berufsbild mit zweijähriger Ausbildung im Rettungswesen, die Rettungsassistentin/den Rettungsassistenten.
Abb. 1: Der Weg zum Notfallsanitätergesetz (in Anlehnung an: Lipp & Domres, 2000, S. 135)
Seit seiner Einführung stand das Rettungsassistentengesetz stark in der Kritik. Das Berufsziel, das Rettungsassistentinnen und Rettungsassistenten als »Helferin/Helfer der Ärztin/des Arztes« bezeichnete, unterstellte ihnen nur ein geringes Maß an selbstständigem Handlungsspielraum. In der Realität sind sie allerdings häufig vor der Notärztin/dem Notarzt an der Einsatzstelle und gezwungen, die Patientinnen und Patienten bis zum Eintreffen des Arztes mit u. U. invasiven Maßnahmen notfallmedizinisch zu versorgen. Unter anderem fehlte es in dem Rettungsassistentengesetz an dieser Stelle an konkreten Regelungen, so dass Rettungsassistentinnen und Rettungsassistenten häufig in einer Grauzone agierten. Die Ausbildung zum Notfallsanitäter/zur Notfallsanitäterin, die seit dem 01.01.2014 das Berufsbild der Rettungsassistentin und des Rettungsassistenten ablöst, stellt nun neue Weichen in der notfallmedizinischen Versorgung. Die drei Jahre dauernde Ausbildung soll den Auszubildenden in Zukunft die notwendige berufliche Handlungskompetenz vermitteln, Notfallpatientinnen und -patienten mit deutlich mehr Eigenständigkeit und Handlungsspielraum auf hohem Niveau zu versorgen.
Mit Einführung des Notfallsanitätergesetzes gibt es im Rettungsdienst wesentliche Änderungen, so auch in der Verortung des Berufsbildes in die Berufsbildungslandschaft sowohl in Deutschland als auch in Europa. Eine Herausforderung in der Erstellung curricularer Vorgaben für die Ausbildung zum Notfallsanitäter und zur Notfallsanitäterin liegt in der Einordnung der Kompetenzen der neuen dreijährigen Ausbildung in den europäischen und in den nationalen Vergleich mit anderen Berufsgruppen, insbesondere innerhalb der Gesundheitsfachberufe. Für eine Verbesserung der Mobilität und der Vergleichbarkeit von Bildungsniveaus in Europa wurde mit dem Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) ein Instrument geschaffen, um nationale Referenzen zu entwickeln. Der EQR stellt die Grundlage für eine gemeinsame bildungspolitische Zusammenarbeit auf der gesamten EU-Ebene dar, welcher einen Bezug zur Entwicklung, Förderung und Aufrechterhaltung der Wissensbasis nach sich zieht. Hierbei wird mithilfe von acht Niveaustufen eine Transparenz und Vergleichbarkeit der Kompetenzen und Qualifikationen geschaffen. In diesen acht Niveaustufen werden die Grundlagen von den Lernergebnissen qualitativ definiert. »Ziel des EQRs ist die Verständigung auf einen allgemeinen bildungsbereichsübergreifenden Referenzrahmen auf europäischer Ebene« (KMK). Dies ermöglicht eine Gegenüberstellung sowohl nationaler als auch sektoraler Qualifikationen der Mitgliedstaaten. Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen dienen dem EQR als Beschreibungskategorien für die Ausführung der Niveaustufen. Unter Kompetenzen werden in diesem Prozess die Handlungskompetenzen verstanden, insbesondere die Kompetenz der Verantwortung und Selbstständigkeit.
In Bezug zu dem EQR wurde 2013 der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR) eingeführt; dieser hat eine Probelaufzeit von fünf Jahren. Ebenso wie der EQR stellt der DQR eine gewisse Transparenz und Vergleichbarkeit auf nationaler Ebene sicher. Hierfür werden die Lernergebnisse der akademischen und beruflichen Bildung bildungsbereichsübergreifend dargestellt (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2013). Der DQR hat sowohl für die Lernenden, Berufstätigen, Unternehmen als auch für die Bildungseinrichtungen einen Nutzen. Das bestehende System der Zugangsberechtigung wird mit dem DQR nicht abgelöst, sondern dient vielmehr dazu, das Bildungssystem besser zu verstehen und handhabbarer zu machen. Ebenso stellt er eine orientierende Funktion für den Arbeitsmarkt dar. Unter anderem strebt der DQR folgende Ziele an:
• das deutsche Qualifikationssystem transparent zu machen,
• Verdeutlichung der Gleichwertigkeit von allgemeiner, beruflicher und hochschulischer Bildung sowie Weiterbildung,
• Verdeutlichung von Unterschieden der jeweiligen Qualifikationen,
• Chancenförderung in Deutschland und Europa sowie Verbesserung der Mobilität und
• Anerkennung auch von Ergebnissen des informellen Lernens (vgl. Bund-Länder-Koordinierungsstelle für den Deutschen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen, 2013).
Zur Veranschaulichung wird eine tabellarische Übersicht gegeben ( Tab. 1), welche die Niveaus von Stufe 1–8 unter Berücksichtigung der für das jeweilige Niveau benötigten Qualifikationen darstellt.
Niveau Qualifikation
Tab. 1: DQR und Einstufung des Rettungsassistenten und des Notfallsanitäters (in Anlehnung an: DQR Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen, Anlage (2013), S. 2)
Die Übersicht zeigt, dass die bisher ausgebildeten Rettungsassistentinnen und Rettungsassistenten mit zweijähriger Ausbildung auf dem Niveau 3 einzustufen sind, die neue dreijährige Ausbildung zum Notfallsanitäter und zur Notfallsanitäterin formal auf Niveau 4 eingeordnet werden kann. Niveau 4 des DQR besagt, dass die Absolventinnen und Absolventen »über Kompetenzen zur selbständigen Planung und Bearbeitung von fachlicher Aufgabenstellungen in einem umfassenden, sich verändernden Lernbereich oder beruflichen Tätigkeitsfeld verfügen« (DQR Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen, Anlage (2013), S. 34). Diese Eingruppierung muss in den Kompetenzbeschreibungen eines Curriculums erkennbar und ableitbar sein.
Die formale Zuordnung von Ausbildungen in die DQR-Stufen wurde durch das Expertenvotum zur zweiten Erarbeitungsphase des Deutschen Qualifikationsrahmens (2010) für den Bereich Gesundheit durch die AG Gesundheit beurteilt. Dabei kam die AG Gesundheit zu folgenden Ergebnissen:
• In vielen Ausbildungen im Gesundheitswesen finden sich kompetenz- und outputorientierte Curricula nur selten
• In Bezug auf die allgemein bildenden Abschlüsse mit einer Zuordnung der allgemeinen Hochschulreife zu Niveaustufe 5 wird eine Überbewertung gegenüber dualen oder fachschulischen Ausbildungen gesehen
• Eine Zuordnung z. B. der Physiotherapie auf Niveaustufe 4 kann im Vergleich zur allgemeinen Hochschulreife sowohl im Bereich Fachkompetenz als auch im Bereich Sozialkompetenz nicht nachvollzogen werden. Die Zuordnung der allgemeinen Hochschulreife zu Niveaustufe 5 wertet dadurch die dualen oder fachschulischen Ausbildungen ab.
Beispielhaft wurden durch die AG Gesundheit sowohl die Gesundheits- und Krankenpflegeausbildung als auch die Ausbildung zur Physiotherapeutin und zum Physiotherapeuten mehrheitlich der Niveaustufe 5 zugeordnet. Es wurden drei Beurteilungen vorgenommen. Die erste Beurteilung erfolgte anhand bundesweiter Regelungen (z. B. Krankenpflegegesetz). In dieser Überprüfung kam die AG Gesundheit zur Einstufung der Gesundheits- und Krankenpflegeausbildung auf Niveaustufe 4. In der zweiten Überprüfung wurde der Ausbildungsgang der Gesundheits- und Krankenpflege auf komplexe Inhalte hin analysiert und im Hinblick auf vertieftes, integratives fachtheoretisches und wissenschaftlich fundiertes Wissen auf Stufe 5 eingeschätzt. In der dritten Überprüfung wurde exemplarisch der bayrische Lehrplan analysiert. Die AG Gesundheit kam zu dem Ergebnis, dass die hier aufgeführten Anforderungen an eine Pflegekraft (z. B. Selbstständigkeit, Verantwortung und nach nicht klaren Vorgaben handeln zu müssen) nahe an Niveaustufe 6 heranreichen, jedoch nicht in allen Kompetenzbereichen. Ein ähnliches Ergebnis erzielte die Überprüfung bei der Ausbildung zur Physiotherapeutin und zum Physiotherapeuten, die im Hinblick auf die »Handlungskompetenz in einzelnen Aspekten bzw. in der Selbstkompetenz auch vollständig Stufe 6 zugeordnet werden« (BMBF, 2010, 36).
Die Ergebnisse der AG Gesundheit zeigen den Trend der Gesundheitsfachberufe, ein hohes Maß an Verantwortung zu übernehmen und unterstreichen den