ISBN: 978-3-95764-216-5
1. Auflage 2018, Altenau (Deutschland)
© 2018 Hallenberger Media GmbH
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Umschlagabbildung: Unter Verwendung eines Bildes von Gabrielle Steinbach.
Alle Rechte vorbehalten.
Liebe Leserin, lieber Leser,
Sie haben vor, sich mit Brechts „Guter Mernsch von Sezuan“ zu beschäftigen, vielleicht sogar, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Gerade die Auseinandersetzung kommt natürlich Brechts Intention besonders entgegen. Ich möchte Sie bei Ihrem Vorhaben unterstützen und Ihnen einen Weg zeigen, wie Sie sich dem Stück nähern, seine Problematik erfassen und sich seiner „Lehre“ stellen können.
Nach einem Überblick über den Inhalt werden Sie in die einzelnen Szenen geführt. Brechts Parabel will etwas vorführen, und das geschieht in einzelnen Bildern auf der Bühne. Wir verfolgen die Bilder und das dramatische Geschehen, achten aber auch auf die „Zwischentöne“, die Appelle, die Kommentare und Bewertungen.
So werden Sie schrittweise auch vertraut gemacht mit der Brechtschen Art und Weise, etwas auf der Bühne darzustellen. (Brecht spricht in diesem Zusammenhang vom „nichtaristotelischen oder epischen Theater“.)
Natürlich werden auch die für ein Drama wichtigen Fragen nach den wichtigsten Figuren, nach den Grundideen (sofern es sie denn gibt) und nach grundlegenden Erkenntnissen gestellt. Die Antworten, die Sie hier finden, sind nicht immer erschöpfend oder vollständig. Manches werden Sie einfach selbst suchen und finden müssen. Ich kann Ihnen da nur Richtungen zeigen und Hinweise geben.
Sie werden schnell feststellen, dass das vorliegende Drama von den Dramen, die Sie vielleicht schon kennen, doch etwas abweicht. Da gibt es Songs, Kommentare, Erklärungen, Demonstrationen usw. Brecht verfolgt mit solchen Operationen bestimmte Absichten. Er schafft das „epische Theater“ und will mit ihm den Zuschauer stärker an dem Geschehen auf der Bühne beteiligen, will ihn vor allem zum Nachdenken bringen. Ich möchte Sie dabei etwas unterstützen, indem ich Hinweise gebe auf besondere Momente, die interessant und bedenkenswert erscheinen.
Brecht ist erklärter Marxist/Kommunist. Ich möchte hier nicht seine weltanschaulichen Ideen vertreten, sondern einen Weg empfehlen, der in die Auseinadersetzung mit den Verhältnissen, die Brecht in seinem Stück aus Korn nimmt, führt, der aber gerade den Schluss der „Parabel“ ernst nimmt, wo der Zuschauer aufgefordert wird, einen eigenen, „guten“ Schluss zu suchen.
Ich hoffe, ich kann Ihnen bei dieser Suche etwas helfen.
Friedel Schardt
Brecht ist wohl einer der bedeutendsten Dramatiker des 20. Jahrhunderts. Er hat, wenn man so will, die Bühnenlandschaft, das Bühnengeschehen, die Darstellungstechniken auf der Bühne - man könnte fast sagen – neu erfunden. Brecht griff die Frage Schillers nach dem Theater als einer „moralischen Anstalt“ erneut auf und machte für seine Zeit zumindest Ernst: Angesichts der gesellschaftlichen Zustände, wie er sie sah, schien es ihm unumgänglich, auf der Bühne so zu handeln, dass der Zuschauer die hinter dem Handeln stehenden Zustände und Umstände sah, erkannte und sich der Tatsache bewusst wurde, dass das Geschehen auf der Bühne nur deshalb so verlief, weil eben bestimmte Zustände vorherrschen, und dass somit, wollte man bestimmte Konflikte vermeiden, die Zustände geändert werden müssten.
Um dem Zuschauer aber nun die Möglichkeit zu geben, das Geschehen analytisch aufzunehmen, d.h. sich nicht nachvollziehend in das Geschehen zu versenken, es mitzuerleben, sondern es vielmehr aus der Distanz zu beobachten, musste Brecht verschiedene Techniken anwenden, die diese Distanz erst schufen. Er selbst spricht in diesem Zusammenhang vom „Verfremdungseffekt“, von „epischen“ Operationen, die aus dem dramatischen Geschehen ein Geschehen machen, das in die Distanz gerückt als das vorgestellt wird, an dem etwas demonstriert wird.
Damit wird aus dem Theater so etwas wie ein Lehrtheater, und konsequenterweise greift Brecht gelegentlich auf literarische Formen zurück, die geeignet sind, solche Lehren anschaulich zu transportieren. In unserem Fall greift Brecht auf die Parabel zu, die es erlaubt, einen abstrakten Gedanken, abstrakt begriffene Zusammenhänge anschaulich vorzustellen und so der Reflexion zugänglich zu machen.
Gleichzeitig gelingt es in unserem Fall dem Autor, ein lebendiges, sinnfälliges Geschehen zu entwerfen, das die Bildseite der Parabel plastisch erfahren lässt, ohne dass die Möglichkeit des distanzierten Nachdenkens genommen wird.
Wir werden im folgenden die einzelnen Phasen der Parabel, die Brecht in zehn Bildern sowie einer Reihe von Zwischenspielen darstellt, inhaltlich verfolgen und Schritt für Schritt analysieren. Dabei werden wir immer wieder Brecht folgen und seine Kommentierungen in unsere Überlegungen einbeziehen. Natürlich werden wir den auffallenden Teilen, in denen zusammenfassend reflektiert bzw. kommentiert wird, wie das in den Liedern geschieht, unsere besondere Aufmerksamkeit schenken.
Eine Szene kann geradezu exemplarisch angesehen werden für das Brechtsche Konzept des „epischen Theaters“. Anhand dieser Szene wird das Konzept Brechts ausführlicher erläutert.
Brecht ist es gelungen, in seiner Parabel Figuren zu entwerfen, die gewissermaßen exemplarisch agieren. Wir werden versuchen, diese Exempla zu beschreiben und zu analysieren, um sie einer Interpretation zugänglich zu machen.
Natürlich wird die Frage nach dem „Wozu – das – Ganze“ nicht auszublenden sein, doch wollen wir diese Frage nicht erschöpfend beantworten, sondern es bei Hinweisen belassen, die ein weiteres Nachdenken – ganz im Sinne Brechts – anregen können.
In dem von Brecht als „Parabel“ gekennzeichneten Stück untersucht Brecht seine These, wonach es angesichts der gegebenen (kapitalistisch geprägten) Zu – und Umstände sowie der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht möglich ist, zugleich gut zu sein und doch zu leben.
Drei der höchsten Götter kommen auf die Erde und überprüfen, ob es noch möglich ist, nach ihren Regeln zu leben, gut zu sein und ein menschenwürdiges Leben zu führen. Sie treffen auf Wang, den Wasserverkäufer, der versucht, für Sie ein Quartier zu finden. Schließlich erklärt sich die Prostituierte Shen Te bereit, die Götter aufzunehmen. Bei ihrem Abschied am nächsten Morgen wollen Sie vermeiden, dass Shen Te ihretwegen in extreme finanzielle Schwierigkeiten gerät, und machen ihr ein Geldgeschenk. Mit dem geschenkten Geld kauft sich Shen Te einen Tabakladen, der Ihre künftige Existenz sichern könnte. Der Laden wird allerdings sehr schnell von allen möglichen Notleidenden heimgesucht, so dass es nicht lange dauert, bis Shen Te Gefahr läuft, sich und ihr gerade begonnenes Geschäft zu ruinieren. Die Forderungen, die die Hilfsbedürftigen stellen, werden immer größer. Shen Te weiß sich nicht mehr zu helfen und verwandelt sich in ihren „Vetter Shui Ta“, der nun mit einigen schnellen Entscheidungen und einer gewissen Härte in das Geschehen eingreift und „Ordnung“ schafft. Shui Ta sichert so den Laden und die Existenz von Shen Te. Allerdings ist noch einiges Geld nötig, um die Mietvorauszahlung leisten zu können. Shui Ta entschließt sich zu einer Verlobung Shen Tes mit dem reichen Barbier. Auf dem Weg zu dem Barbier trifft Shen Te den arbeitslosen Flieger Sun, der gerade dabei ist, sich umzubringen. Shen Te bewahrt ihn vor dem Selbstmord und verliebt sich in ihn. Der Flieger sieht nun die Möglichkeit, mithilfe von Shen Te zu Geld zu kommen, um sich gegebenenfalls durch Bestechung eine Stelle als Flieger zu erkaufen.
Nachbarn haben Shen Te Geld geliehen, das sie brauchte als Vorauszahlung Ihrer Miete. Shen Te ist bereit, dieses Geld ihrem geliebten Flieger zur Verfügung zu stellen. Der Flieger fordert noch mehr Geld, welches Shen Te wiederum nicht aufbringen kann, und so löst sich der Flieger wieder von Shen Te, freilich ohne ihr das bereits übernommene Geld zurückzugeben. Shui Ta muss erneut eingreifen. Er, der gut mit den Behörden zurechtkommt, hat kaum Schwierigkeiten, wenn es um einen Kredit geht. Dazu kommt noch, dass er dem reichen Barbier seine Cousine Shen Te ans Herz legt. Der Barbier zeigt sich Shen Te geneigt und überlässt Shui Ta einen Blankoscheck.
Shen Te setzt ihre guten Werke fort, so gut es eben geht. Sie versteht es allerdings nicht, ihr Geschäft vor dem Untergang zu retten.
Sun hat sich mit Shen Te wieder versöhnt. Man will Hochzeit feiern, allerdings soll Shui Ta an der Feier teilnehmen und das entsprechende Geld zur Verfügung stellen. Da Shui Ta nicht auftaucht, muss die Hochzeit ausfallen.
Shen Te gerät immer mehr in Schwierigkeiten. Sie erkennt, dass sie schwanger ist und zeigt sich nun bereit, wie eine Tigerin für ihr Kind zu kämpfen. Sie muss ihren Vetter rufen. Shui Ta greift erneut in das Geschehen ein, löst den Scheck des Barbier ein und begründet in den Häusern, die der Barbier für Shen Te zur Verfügung stellt als Behausung für die Armen, eine Tabakfabrikation. Die Bedürftigen, die bisher Shen Te angebettelt und fast in den Ruin geführt haben, werden nun als Arbeiter angestellt. Sun arbeitet sich zum Vorarbeiter hoch, der Laden scheint zu florieren . Sun bewährt sich als Vorarbeiter, hört aber aus dem Nebengemach ein Schluchzen und glaubt, Shen Te gehört zu haben. Er hat inzwischen in Erfahrung gebracht, dass Shen Te schwanger ist und von ihm ein Kind erwartet. Er sieht nun neue Chancen für sich und versucht Shui Ta weiter unter Druck zu setzen. So kommt es zur Anzeige und zu einer Gerichtsverhandlung.
Inzwischen treten die Götter immer wieder in Erscheinung und nehmen zu Wang Kontakt auf. Sie berichten davon, dass ihre Mission drauf und dran ist zu scheitern. Es gelingt ihnen nicht, einen weiteren guten Menschen zu finden. So sind sie auf Shen Te als den letzten guten Menschen angewiesen, wollen sie sich selbst nicht infrage stellen.
Den Göttern gelingt es, das Richteramt an sich zu ziehen und die Verhandlung zu führen. Sie müssen erkennen, dass Shen Te mehr oder weniger gescheitert ist. Shui Ta gibt sich als Shen Te zu erkennen und erklärt, es sei nicht möglich, gut zu sein und doch zu leben. Die Götter allerdings beharren auf der gegenteiligen Meinung und wollen sich zurückziehen, Shen Te aber bittet darum, wenigstens bisweilen auf Shui Ta zurückgreifen zu dürfen. Die Götter gestatten das und entschwinden auf einer Wolke.
In einem Epilog wendet sich ein Schauspieler an die Zuschauer und fordert sie auf, angesichts der offenen Fragen sich selbst einen guten Schluss zu suchen.