Mit Farbbildern von
Vanessa Karré
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Neue Rechtschreibung
© 2017 by Obelisk Verlag, Innsbruck Wien
Lektorat: Inge Auböck
Coverentwurf: Vanessa Karré
Alle Rechte vorbehalten
eISBN 978-3-85197-871-1
www.obelisk-verlag.at
KAPITEL EINS
KAPITEL ZWEI
KAPITEL DREI
KAPITEL VIER
KAPITEL FÜNF
KAPITEL SECHS
KAPITEL SIEBEN
KAPITEL ACHT
KAPITEL NEUN
KAPITEL ZEHN
KAPITEL ELF
KAPITEL ZWÖLF
Niemand, der Prinzessin Regina von Grünerbse kannte, hätte vermutet, dass sie die Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Enkelin der berühmten „Prinzessin auf der Erbse“ war. Sie hatte offenbar gar nichts von ihr geerbt.
Eine Erbse unter drei Matratzen hätte sie nie im Leben gespürt, schon gar nicht im Schlaf. Sie würde nicht einmal 1000 Erbsen direkt unter ihrem Leintuch spüren. Selbst wenn sie wach war.
Prinzessin Grünerbse war ein kluges und übermütiges Kind.
Sie versteckte ihrem Hauslehrer die Bücher und „verbesserte“ heimlich seine Vorbereitungen.
Sie schrieb RECHEN statt RECHNEN, KUH-ORT statt KUR-ORT und SAU-SIE-KRAUT statt SAU-ER-KRAUT …
Sie jagte mit den Hunden durchs Schloss.
Sie lief mit ihnen um die Wette und gewann immer, weil die Hunde bei diesem Tempo völlig außer Atem gerieten und nicht riskieren wollten, einen Herzinfarkt zu kriegen.
Sie färbte sich die Hare grau und hinkte durch den Schlossgarten, als wäre sie ihre Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Oma. Alle hielten sie für den Geist der „Prinzessin auf der Erbse“ und fürchteten sich gar fürchterlich.
Sie färbte sich die Haare rot und versteckte sich zwischen den Paradeiserstauden. Und wenn der alte Gärtner kam, um die Paradeiser zu ernten, sprang Prinzessin Grünerbse zwischen den Stauden hervor und der Gärtner erschrak gar schrecklich.
Sie färbte sich die Haare grün und versteckte sich hinter einer kleinen Tanne im Wald. Wenn der Jäger kam, sprach Prinzessin „Grüntanne“ mit gruseliger Stimme und der Jäger lief davon. Manchmal verlor er dabei sogar sein Schießgewehr …
Und wenn ihr grad danach war, schlug die Prinzessin drei Purzelbäume auf dem Misthaufen vor dem Hühnerstall und versaute ihr seidenes Prinzessinnenkleid.
Doch heute saß die Prinzessin auf ihrem gepolsterten Sessel und dachte nach. Das war anstrengend. Zwei steile Falten hatten sich schon auf ihrer Stirn gebildet.
„So kann es nicht weitergehen!“, sagte die Prinzessin.
Sie schüttelte den Kopf so fest, dass die Krone herunterfiel. Laut klirrend landete sie auf dem Fußboden.
Die Prinzessin hatte fertig nachgedacht.
„So kann es nicht weitergehen“, sagte sie noch einmal. „So kann man es nicht machen!“
„Was kann man so nicht machen?“, fragte der König gelangweilt.
„Regieren!“, sagte die Prinzessin.
Sie hob die Krone vom Fußboden auf und blies den Staub weg. Dann legte sie das goldene Stück in eine mit Samt ausgelegte Schatulle und schloss den Deckel.
Was war geschehen?
Es war tatsächlich etwas geschehen.
Etwas Wichtiges.
Etwas Einschneidendes.
Etwas, das die Gedanken im Prinzessinnenkopf völlig durcheinanderwirbelte.
Ihr Vater, der König, wollte ihr das Regieren überlassen.
„Regieren?“, hatte die Prinzessin entsetzt gefragt. „Ich soll regieren? Aber das kann ich doch gar nicht!“
Tatsächlich war die Prinzessin schlecht darauf vorbereitet.
Noch nie in ihrem Leben hatte sie das Schloss verlassen.
Zugegeben, der Park um das Schloss war riesig, und die Prinzessin hatte genügend Platz zum Laufen und Toben und Spielen.
Sie hatte ihre Eltern, ihren Hauslehrer, ihre Bediensteten, ihre Hunde, Pferde und die Hühner auf dem Misthaufen. Und das Küchenmädchen Annette, mit der sie manchmal ein paar Worte wechselte.
Doch vom wirklichen Leben hatte die Prinzessin keine Ahnung. Das wusste sie.
Wieso sie das wusste, wusste sie nicht, aber sie wusste es. Deshalb wusste sie auch, dass es so nicht weitergehen konnte.
„Was ist überhaupt regieren?“, fragte die Prinzessin ihren Vater, den König. „Wie geht regieren?“