Anna Funck

EGAL, ICH ESS DAS JETZT!

Mein Jahr mit grünen Smoothies,
Superfoods und anderen
bekloppten Ernährungstrends

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Anna Funck

Anna Funck, TV-Moderatorin, Produzentin und Autorin, wurde 1980 in Lübeck geboren. Seit über zehn Jahren steht die 37-Jährige bereits vor der Kamera. Beim Privatsender RTL wurde Anna Funck zur TV-Moderatorin und Redakteurin ausgebildet, bis die Öffentlich-Rechtlichen 2008 auf sie aufmerksam wurden und der MDR sie unter Vertrag nahm. Dort moderierte sie den »Sachsenspiegel«, stand jährlich live auf dem Roten Teppich des Dresdner Semperopernballs und moderierte verschiedenste Sondersendungen. Parallel hat die Wirtschaft Anna Funck fürs Coaching und Gastgeberin ihrer Galas, Jahrespresse- und Managementkonferenzen entdeckt.

Ein großer Autobauer schickte die Moderatorin jahrelang für sein eigenes TV-Magazin rund um den Erdball- bis für die Journalistin die weitere Familienplanung in den Vordergrund rückte.

Sie lebt mit ihrem bayerischen Mann und den zwei Töchtern Karlotta und Theresa an der Ostsee.

Impressum

© 2019 der eBook-Ausgabe Knaur eBook

© 2019 Knaur Verlag

Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit

Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Redaktion: Birthe Vogelmann

Covergestaltung: semper smile, München

Coverabbildung: © Shutterstock/Chiociolla; IMR; prapann; secondcorner

ISBN 978-3-426-45249-3

Hinweise des Verlags

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.


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Wir freuen uns auf Sie!

Fußnoten

leicht zweckentfremdet

Für Julia, weil sie immer an mich glaubt, egal wie bekloppt sie meine Ideen findet.

Und weil sie der genussfähigste Mensch ist, den ich kenne.

So happy to have you!

Kleiner Appetizer vorweg

Ernährung? Ist irgendwie zum Zankapfel geworden: Die einen beißen nur noch rein, wenn die Schale bio ist, die anderen, wenn der Apfel nicht gelitten hat, und die Letzten fragen, ob Gluten drin ist. Im Apfel! Merken Sie auch, oder?

Anstrengend. Verwirrend. Und doch liegen angeblich so viele Möglichkeiten auf dem Esstisch. Wenn man denn mal über den Tellerrand schaut. Dennoch nervt’s: Die Veganer schimpfen auf die Fleischfans, die Convenience-Kauer auf die Bio-Biester und so weiter. Fragt sich, wer die größere Meise hat: die, die schon hysterisch werden, wenn ein Tropfen Kuhmilch im Kaffee landet? Oder die, die immer noch futtern wie bei Muttern, Stichwort »Hühnerfrikassee mit Sahne«?

 

Eigentlich wollte ich ganz normal weiteressen – bis es sich nicht mehr vermeiden ließ, die Ernährung umzustellen. Mit einer allergisch reagierenden Wampe und Dauerbauchweh schleppte ich mich von Arzt zu Arzt und musste feststellen: Ernährung bewirkt doch ganz schön viel. Ein Detoxfan ist nicht unbedingt das kulinarische Pendant zum Modeopfer. Und: Brot ist nicht gleich Brot, sondern kann tatsächlich fast schon Fastfood sein. Ein Jahr lang habe ich mich mit meiner Familie durch alle Ernährungstrends gefuttert, um herauszufinden, was funktioniert, was gesund und dabei auch alltagstauglich ist und was einfach nur Hype.

Irgendwo zwischen »slow«, »low« und »no carb« wurde mir klar: Nicht jeder Ernährungstrend ist familiengeeignet, aber einiges verbessert das Lebensgefühl immens – tendenzielle Wespentaille und feinere Poren inklusive. Und das funktioniert auch für Mamas in Elternzeit – ohne Sportprogramm. Zum Glück sagte mein Mann Jenz, 42, Bio-Fan, Lieblingsessen Emmer-Urkorn-Spaghetti mit Bio-Ketchup und scharf angebratener Rindersalami, nur: »Mach doch mal – ich mach mit!«

»Gilt das auch für mich?«, wollte meine große Tochter Karlotta, 7, mehr so Hotdog- und Pizza-Jüngerin, wissen und bekam die schlechteste aller Antworten: »Ja. Das ist quasi all-inclusive hier.« Meistens kommt von mir ja ein lahmes: »Pick dir doch was raus«. Oder: »Komm, noch zwei, drei Röschen Brokkoli, dann gibt’s auch ein Eis zum Nachtisch.« Ab sofort war alles anders. Hätte unser Baby Theresa, fünf Monate alt und zu dem Zeitpunkt im Flaschen-Abo, geahnt, was noch alles kommen sollte, es wäre vermutlich bei der Milch geblieben bis zum Führerschein. Oder wie unser Freund Rainer es während einem seiner Besuche ausdrückte, als Karlotta ihm zuflüsterte, es gäbe »ekeliges Frankfurter Kräuterrisotto«: »Ach, diese Woche ist ayurvedisch? Du armes Kind.«

 

Ja, der Food-Dschungel ist überall, und er wächst und wächst, und ständig stolpert man über Neues. Zeit für mehr Orientierung. Über den Weg von der Geschmacksknospe bis zum Magen-Darm-Trakt müssen nämlich dringend einige Fragen geklärt werden: Wie böse ist Gluten denn nun wirklich? Wie esse ich alles, ohne zuzunehmen? (Ja, das geht wirklich! Kein Scherz!) Wird mein Teint als Veganer tatsächlich faltenfreier? Wie gesund ist unser Trinkwasser, wenn jeder von Dresden über Köln bis Castrop-Rauxel behauptet, er hätte das gesündeste und unbedenklichste Leitungswasser Deutschlands? Sind die Superfoods echt so super, oder ist es nur ihr Preis? Und was ist jetzt die alltagstauglichste Ernährungsweise? Denn: Mein Kind will Wurstbrot!

 

Eins ist klar wie Oma Kasuppkes Kloßbrühe: Die Wahrheit liegt irgendwo zwischen gequollenen Chia-Samen und Pommes Schranke. Und diese Wahrheit suche ich jetzt. Das Ergebnis lesen Sie gerade: das erste komplett ehrliche Ernährungsbuch. Habe ich nämlich bisher noch nicht gefunden. Gewürzt mit einer Prise Humor.

 

Na dann: Bon appétit!

Lebensmittelunverträglichkeiten:
Sind die jetzt nur im Trend, oder ist da was dran?

Total in: Unverträglichkeiten

Oder: Wie man sie ganz einfach wieder loswird

Das Kapitel muss Bauernfängerei sein, denken Sie jetzt? Ist es aber nicht. Versprochen. Unverträglichkeiten gibt es tatsächlich. Aber sie sind keine Erbkrankheiten, und man kann sie wieder loswerden wie unliebsame Schwiegereltern – nur mit geringerem Aufwand. Ich hab’s nämlich herausgefunden, und das kam so: Vor zehn Jahren war ich eine gestresste RTL-Reporterin und Wetterfee und dauerhungrig. Ich fand mein Leben toll, aufregend, ich war verliebt in meinen Alltag, aber nie satt. Ich hätte ständig und permanent essen können. Ganz klar: Da war etwas aus dem Lot geraten. So insulintechnisch. Möglicherweise hing das auch mit sehr häufigen, gehetzten Besuchen einer miesen Fastfood-Kette mit meinem Lieblingskameramann Björn zusammen. Getoppt wurde das nur noch durch den Tag, als Björn zu meinem frischen Urlaubs-Ich in den Schnittraum kam und sagte: »Funcky, ich habe es in deiner Abwesenheit geschafft, mit deiner Vertretung jeden Tag Currywurst mit Pommes zu essen. Jeden Tag. Der Schwimmring ist jetzt noch ausgeprägter.«

»Ein Mann ohne Bauch ist ein Krüppel – und ich sehe den nicht mal bei dir!«, war meine Antwort.

Ich sag’s Ihnen: Beim Fernsehen und unter Journalisten gibt’s viel Stress, gern hausgemacht, und meistens über große Strecken nichts zu beißen. Wir hatten jeden Tag drei bis fünf aktuelle Sendeminuten zu drehen, zu texten, zu schneiden, zu vertonen. Da kann man zwischendurch nur noch mit dem Schnittlaptop auf den Knien Fingerfood reinstopfen.

 

Und so stehe ich irgendwann bei Ernährungsmedizinerin Dr. Dörten Wolff. »Sie spucken jetzt schön in das Glas hier, alle 60 Sekunden, jeweils nach dem Verzehr eines neuen Nahrungsmittels – dann schauen wir mal, was da los ist.« So richtig sexy beginnt diese Erfahrung nicht, gebe ich zu. Und so sitze ich in einer Hamburger Villa in Winterhude und spucke. Mir gegenüber eine Patientin, die aussieht wie Fräulein Rottenmeier und ebenfalls lama-artig herumspeichelt. Warum wir das machen? »So können wir feststellen, wie Sie auf welches Lebensmittel reagieren. Und gegebenenfalls Unverträglichkeiten decodieren.«

»Aha.« Unverträglichkeiten sind ja ganz klar auf dem Vormarsch. Jeder hat sie, keiner will sie. Früher kannte so was niemand.

 

Neulich erzählte mir meine Lieblingssandkastenfreundin Julia: »Ollis Geschäftspartner sollte zum Abendessen kommen. Ich wollte Lasagne machen, als Dessert Pannacotta, und bin unter Zeitdruck durch den Supermarkt gejoggt. Ich stehe schon an der Kasse, da ruft Olli an: Ja‚ Schatz, das ist toll, dass du kochst …«

Man sollte dazu sagen, dass meine Freundin Julia, 38, modische Rockerin, neun Tattoos, Mama, Yogafan, Patentante meiner Großen, ein Hobby-Gourmet ist, die schon an der Ritz-Kochschule in Frankreich gekocht hat. Aus Spaß, wohlgemerkt – weil sie es kann. Mit lauter Profiköchen! Leider musste sie da zu ihrem Entsetzen nur Fröschen und Kaninchen die Haut abziehen und Schenkel und Schnecken flambieren, aber kochen kann sie echt gut. Und da ihr Vater Hobby-Jäger ist, hat sie die Zähne zusammengebissen und sich quasi durchgeschlachtet. Als École-Ritz-Escoffier-Schülerin hat man einiges hinter sich, aber dafür klatschen alle in die Hände, wenn sie einlädt. Alternativen wie Mandel- statt Kuhmilch kommen ihr übrigens nicht auf den Tisch. »Kommt für mich nicht infrage, da ich damit ja nicht koche und nicht weiß, was dann dabei rauskommt oder wie ich anders würzen muss. Ich will kochen und nicht experimentieren.«

Aber zurück zu Ollis Anruf: »Einziger Haken: Unser Gast verträgt keine Lactose!« O-Ton Julia: »Ich glaube, so schnell hat selten jemand das Band an der Kasse wieder abgeräumt. Um dann wieder von vorne zu beginnen und alles in lactosefreie Varianten umzutauschen. In den 80ern hätten sie uns dafür ausgelacht! Jetzt bestimmen die Unverträglichkeiten deinen Einkauf. Als ich dachte, ich wäre fertig, musste ich mich noch an die Käsetheke schleppen: ›Haben Sie auch lactosefreien Pecorino?‹ Die Antwort: ›Der ist immer lactosefrei. Da ist keine Kuhmilch drin.‹« Na, so ein Glück!

 

Nach ein paar Stunden Spucken bei Dr. Wolff wird dann analysiert. Die Methode: Anhand der Speichelproduktion kann Frau Dr. Wolff sehen, wie mein Körper auf das jeweilige Lebensmittel reagiert. Sie testet Brot, Milch, Fruchtzucker, Zucker, Eiweiß und demnächst auch Milchschokolade. Sie ist dabei blond, schlank, fröhlich und von beneidenswerter Ruhe.

»Entschuldigung, wenn ich so hibbelig bin«, sage ich.

»Das macht nichts. Dafür können Sie nichts. Das ist der Zucker.«

»Ach so …«

Auf einmal fühle ich mich großartig. Ich kann nichts dafür. Es ist der Zucker! Hätten doch nur alle so viel Verständnis. Mein Mann zum Beispiel tadelt mich immer liebevoll streng, wenn mir die Teller auf den Boden fallen, ich gegen den Türrahmen taumle oder Karlottas Lego-Konstruktionen kaputt laufe. Dabei war das gar nicht ich – es war der Keks zwischendurch, der Puder auf der Waffel, der Zucker im Kaffee. Schlagartig wird mir klar, wie missverstanden ich bisher gelebt habe.

»Das können wir korrigieren. In einigen Tagen fühlen Sie sich besser«, sagt Frau Dr. Wolff.

Wie jetzt? Per Hypnose? Blutabnahme? Tabletteneinnahme?

»Per Nahrungsmittelimpuls!«, erklärt mir die Autorin des Buches Nahrung statt Medizin. Ich bin baff.

»Kann denn jeder eine Unverträglichkeit aufbauen, oder erbt man das?«

»Einiges ist vorbelastet. Aber: Die schnappen Sie sich auch auf. Durch Bakterien oder Viren, eine Erkältung, Antibiotikaeinnahme. Durch Überbelastung durch ständiges Essen. Alles möglich.«

»Und die kann man auch wieder loswerden?« Ich schaue ungläubig, das sehe ich ihr an.

Sie lacht: »Ja, klar, Sie geben dem Körper das Lebensmittel im Zwei-Stunden-Rhythmus immer wieder, dadurch ändert sich die Impulskurve, und er kapiert, dass er das Lebensmittel akzeptieren kann. Praktisch erfolgt eine Änderung der Sinneswahrnehmung. Danach wird gegessen. Nur das Lebensmittel nicht, mit dem Sie den Reiz provoziert haben.« So ganz komme ich nicht mit, aber Frau Dr. Wolff malt mir kleine Bögen auf einen DIN-A4-Vordruck, wobei sie zwischen die Essenspausen kleine Bögen zeichnet wie für eine Erstklässlerin, die verstehen soll, dass sie die Silben im Lesebuch zusammenziehen soll. Ich mag diese Frau. »Stellen Sie sich das so vor: Grundsätzlich werden Nahrungsmittel in eine elektrische Information übersetzt, und die gelangt über das vegetative Nervensystem zu den Organen, Drüsen, Gefäßen und Muskeln – binnen Millisekunden. Und diese Information, die ändern wir jetzt.«

 

Am nächsten Morgen geht es los: Ich starte mit Weißmehl. Dreimal alle zwei Stunden eine Brotkrume, immer eine etwas größere, dazwischen nur Wasser, kein Tee, kein Kaffee. Und ich fühle mich toll. Der Bauch ist flach wie der von Gigi Hadid, ich leichtfüßig wie Karlie Kloss, und alle zwei Stunden meldet sich mein Magen mal. Nach den drei Reizen esse ich. Jedes Kohlenhydrat außer Weißmehl oder Brot ist erlaubt. Allerdings auch nur eins pro Mahlzeit. Aber wer will schon Brot mit Reis und Kartoffeln auf einmal? Ein Energieschub lässt mich putzen, Staubfänger aussortieren und alte Freunde anrufen. Am nächsten Tag guckt mich mein Ich im Spiegel an, als hätte eine von den Kardashians ein paar Instagram-Filter drübergelegt. »Nee!«, sage ich laut. Meine Augen sehen größer aus.

»Da wird etwas angestautes Wasser aus dem Gewebe rausgegangen sein!«, lacht Frau Dr. Wolff bei unserem nächsten Termin. Ich bin begeistert. Mein Hungergefühl ist auch wieder so wie als Kind. Normal. Irgendwann knurrt’s ganz gesund auf Bauchnabelhöhe wie ein kleiner Hundewelpe, dem man den Tennisball entreißen will. Angenehm gesund. Und ich esse so viel wie ich will und mag, was weitaus weniger ist als vorher. Meine Haut wird klarer, als ob alle Pickel in den Urlaub oder zum Closed-Outlet-Verkauf gefahren wären. Nicht dass es vorher so viele waren, aber irgendwie sieht alles etwas besser aus.

Nach einer Woche stellt mein samtblazertragender, dauergebräunter Reporterkollege Thomas fest: »Also das Popöchen ist mal schmaler geworden, Anna. Hast du abgenommen, oder liegt das an deinen Absätzen?«

Ich gucke auf meine Turnschuhe: »Ganz klar, die Absätze, Hasi!«

»Die brauche ich auch!«

 

»Die meisten Menschen, die so eine Wampe aus Luft vor sich herschieben, reagieren auf die Lebensmittel, die sie nicht vertragen. Eigentlich gibt es bei richtiger Kohlenhydratkombination auch kein Nachmittagstief«, erklärt mir Frau Dr. Wolff, mit der ich nun nach und nach alle Lebensmittel bearbeite.

»Und wenn der Körper wieder mit allen Nahrungsmitteln umgehen kann, hat man eigentlich auch keine Migräne, Heuschnupfen, Blähungen oder Schlafstörungen.« Ich bin fasziniert. »Oder Heißhunger!«, ergänze ich. Und spucke glückselig in mein Gläschen, während ich auf meine neuen dünneren Oberschenkel schaue, denn schmaler bin ich jetzt auch. Heute ist Schokolade dran. Auch auf die kann man reagieren. Und während ich so vor mich hinspucke und Frau Dr. Wolff dabei meine Spuckmenge auswertet, überfällt mich eine ungeheure Erleichterung. Hunger. Schmerzen. Das permanente Ungleichgewicht. Alles ist weg. Dabei ahne ich nicht mal, was ich noch alles Spannendes entdecken werde und dass Frau Dr. Wolff ihre Therapie in den nächsten zehn Jahren ausbauen wird: Inzwischen wird jede Spuck-Info digital erfasst und nicht mehr im Zwei-Stunden-Takt, sondern minutengenau individuell therapiert. Aber ich begegne ihr nun mal quasi »in den Kinderschuhen« – und das hat einen ganz besonderen Charme.

 

Wieder eine Woche später. Thomas ist ganz aufgeregt: »Schätzelein, ich will das auch, was du machst. Ich habe genau gesehen, dass du Turnschuhe anhattest. Und wieso darfst du jetzt alle zwei Stunden Schokolade essen?«

»Ich decodiere mich!«

»Scharf. Kann ich das auch?«

»Klar!«

»Spitze. Dann musst du mir dein neues Futterprinzip näher erklären. Aber die Turnschuhe, die kaufe ich mir trotzdem!«

Das böse Gluten

Oder: Wie g-frei lebst du so?

Berlin. Mittendrin in der Fashion Week. Ich liege barfuß auf einem Sofa am Rand eines Catwalks, gehe meinen Moderationstext durch und beobachte Choreograf Andy, 48, frisch eingeflogen aus L.A. Andy sieht aus wie der kleine Bruder von Denzel Washington, ist superschlank, hat panische Angst vor Gluten und ist der »Chocheeeeee« González der Show, die hier gleich gelaufen wird. Wir sind beide sofort schockverliebt und verbringen unsere Mittagspause miteinander. »Andy, why are you so afraid of gluten?«, frage ich ihn, während er die Models scheucht und versucht, ihnen »more personality« einzuhauchen. Tatsächlich ist sein Hüftschwung wesentlich eleganter als bei seinen Schülern, die es gewohnt sind, sich selbst als Influencer zu fotografieren, aber nicht in Bewegung lebendig auszusehen. »Weil es so dick macht, Honey. Thank God we have gluten-free alternatives these days. Aber in Deutschland versteckt ihr das ja noch im Eisbein mit Sauerkraut.«

Sie merken es schon: Auf den Catwalks und in den Schönheitshochburgen von Berlin bis Hollywood liegt Glutenabstinenz hoch im Kurs.

Deshalb sieht man vermutlich auch selten Hollywood-Stars im Vatikan: Der Papst verbietet nämlich ernsthaft die glutenfreie Hostie, weil der Leib Christi nun mal traditionell auf Weizenmehlbasis beruht. Kein Scherz! Da darf man sich ja eigentlich nicht wundern, wenn weniger Rosenkranz gebetet wird, oder?

So oder so scheint Gluten im Alltag zum Glaubenskrieg geworden zu sein. Die einen meiden es wie die Pest und stufen jeden Brötchenesser als Satanisten ein, die anderen konsumieren es täglich und bezeichnen die Ersterwähnten als hysterisch-neurotisch. Schließlich müsste ja sonst auch ganz Paris Weizenwampe statt Prêt-à-porter tragen. Oder Italien im Glutennebel den Verstand verlieren. Ist aber nicht so. Was ist da also los? Sollen wir uns komplett von unserer gewohnten Küche verabschieden? Spaghetti bolognese. Pfannkuchen. Bagels. Käsetoast mit Ketchup. Mehlschwitze. Panade. Eis. Ja, da ist auch Gluten drin, da es ein super Bindemittel ist! Alles adé? Und mir läuft jetzt schon allein beim Aufzählen das Wasser im Mund zusammen.

 

Neulich bei Edeka: »Schatz, holst du noch Kekse?«

»Ja, Hasi, welche denn?«

»Die blauen, die glutenfreien!«

»Glu-was?«

Ja. So unterschiedlich ist der Wissensstand zum Thema Gluten. Dabei laufen glutenfreie Lebensmittel gerade wie geschnitten Brot. Entschuldigung, den konnte ich mir jetzt nicht verkneifen! Alle wollen’s haben. Nicht nur Hasi.

 

»Die Leute springen doch nur auf jeden Trend mit auf«, erklärt mir mein kettenrauchender, dauermilchtrinkender Freund und Promi-Fernsehredakteur Sascha, 47, Junggeselle, Siegelringträger, während er eben diesen poliert. »Da kommt irgendein Lehrer auf dem Liegerad daher und erklärt in seiner Esoterikselbsthilfegruppe, dass Brot ungesund ist. Dann hören das ein paar Schauspieler und GZSZ-Darsteller, die das dann auch propagieren – und sofort greifen alle Muttis zu Maismehl.«

Sascha ist immer ganz vorne dabei, wenn es darum geht, Foodtrends zu analysieren. Er textet auch gerne »mit spitzer Feder«, wie es so schön unter Fernsehredakteuren heißt. Bedeutet: Manchmal ist seine Kritik etwas schwer verdaulich. Dabei ist er eigentlich herzensgut, ursprünglich Theologe, im Geist oft ein verstörter Columbo, weil er schon wieder über den nächsten Film nachgrübelt. Dabei ist er auf Empathieebene so osmotisch, dass er gerne die Persönlichkeit seiner Protagonisten annimmt. Sprich: Dreht er gerade mit Wolfgang Joop, catwalkt er durch Eppendorf, statt zu laufen. Da wird dann der klassische Seglerlook auch gerne gegen einen Trench mit Seidentuch von »Wölfchen« getauscht. Allerdings nur bis zum Schnitt. Danach ist er wieder Sascha im Dufflecoat mit Schiebermütze. Und leicht töffelig. Ist eine Gabe, wenn Sie mich fragen. Aber verwirrend für andere, die oft denken, er sei schwul, provokant oder täglich betrunken. Ist er nicht. Nur besonders. Manchmal denke ich, er hat selber Angst vor seinem eigenen Tiefgang und versteckt ihn deshalb lieber. Eine unserer Gemeinsamkeiten. Denn insgeheim kann man mit niemandem besser und tiefgründiger über das Leben philosophieren – oder übers Essen. Das liebt mein exzentrischer Freund nämlich. Vor allem Kaviar (»Keine Angst vor großen Dosen, Anna!«), Foie gras und ostdeutsche Knacker von der Tanke. Oder Trüffel. Balik Lachs. Spargel. Ravioli kalt aus der Dose. Igitt.

Und wenn alle Welt Milch verteufelt, kauft Sascha gleich noch eine Tüte mehr. Aus Protest vor der Hysterie. Er trinkt manchmal vier am Tag. V-I-E-R.

Aber zurück zum Brot: Zugegeben, den Reflex, Gluten zu verteufeln oder infrage zu stellen, weil es gerade alle tun, habe ich selbst schon an mir beobachtet. Aber ich denke, in dem Fall ist es anders. Und muss Sascha tadeln: »Du irrst dich. Das Brot ist nämlich nicht mehr das, was es noch in den 80ern war. Der Bäcker von nebenan backt einfach nicht mehr so wie früher. Er bestellt einen Hochleistungsweizen, der in einer Fertigbackmischung steckt, die wiederum Schmierstoffe für die Knetmaschinen enthält. Dieser Teig wird dann nur noch aufgebacken, duftet super, hat einen zarten Teint wie Gisele Bündchen Anfang der 2000er – also nicht zu viel, nicht zu wenig – und schmeckt auch beim ersten Reinbeißen. Aber dafür liegst du später dann mit Wärmflasche und Fencheltee flach.«

»Solche Devotionalien befinden sich nicht in meinem heimischen Mottentempel«, erklärt Sascha schmunzelnd und hält mir die Studiotür auf.

»Mir ist nur aufgefallen, dass auf diesen Teigerzeugnissen kein Schimmeln stattfindet. Diese Dinger halten, bis der Arzt kommt.«

»Gruselig!«, nicke ich.

Mich persönlich beruhigt Schimmel ja. Ist Natur. Kennen Sie diesen Versuch mit dem McDonald’s-Burger, der einfach nicht hopsgehen wollte? Etwas Ähnliches kaufen wir also heutzutage beim Bäcker: ein bis zur Unkenntlichkeit industriell verarbeitetes Produkt.

Gluten ist ein Eiweißbestandteil im Getreide. Egal welches. Weizen allein ist nicht der Teufel. Der kann auch im Roggen- oder Dinkelbrötchen stecken. Und dieses Gluten ist schwer verdaulich – besonders in der oben genannten Kombi mit den Schmiermitteln. Deshalb: Wampe nach Frühstück!

 

Und das gilt auch mitunter für gesunde Menschen. Umweltmediziner, Darmexperte und Buchautor von Der Darm denkt mit Klaus-Dietrich Runow erklärt es mir so: »Viele vertragen Gluten. Verdauen kann es niemand. Bei einer intakten Darmbarriere wird alles ohne Probleme ausgeschieden. Ist die aber gestört, werden die unverdauten Glutenbestandteile den Immunzellen in der Darmwand präsentiert. Die verwechseln das Gluten dann mit Eindringlingen wie Bakterien und schalten auf Abwehr.«

Und da fängt der ganze Schlamassel an. Manche Menschen reagieren übrigens so allergisch, dass sie sogar schizophren werden. Runow kann davon ein Liedchen singen, allerdings ein schauriges: »Ich hatte mal einen jungen Mann, 24, in der Praxis, der nach dem Genuss eines Vollkornbrötchens mit Käse sein Wesen innerhalb von 30 Minuten so sehr veränderte, dass ich an eine Einweisung in die psychiatrische Klinik dachte. Er saß mir mit starrem Blick gegenüber und wippte mit dem Oberkörper vor und zurück, während er sich beide Hände um den Hals legte und begann, sich zu würgen. Auf meine Frage, warum, erklärte er, Stimmen zu hören, die ihn aufforderten, seine Mutter neben sich zu erwürgen. Da er diese Befehle nicht befolgen wollte, versuchte er, sich selbst zu erwürgen. Erst nach der Injektion eines Antihistaminikums klarte er wieder auf und war örtlich und zeitlich orientiert.«

Ein Wahnsinn! Meine Kinnlade hängt mir während seiner Schilderung fast in den Kniekehlen.

Der Grund für das schlimme Befinden: Störungen im Gehirnstoffwechsel wegen durchlässiger Darmschleimhaut. Tja. Andere Menschen reagieren nur mit Müdigkeit, gereizter Haut und Blähbauch. Oder lecken Türklinken ab. So einen kannte ich mal. Er war mein eigentlich hochintellektuelles und blaublütiges Date, aber nach dem Brotkorb beim Italiener nicht mehr wiederzuerkennen. Hätte ich nur Anfang der 2000er schon mal mit Runow darüber gesprochen – der Anblick von Julius-Alexander und der Klinke wäre mir erspart geblieben. Heute lebt er übrigens ein glückliches glutenfreies Leben mit seinen drei Söhnen Gaius, Brutus und Caesar (»Caesar bitte mit ›K‹ gesprochen, das ist uns wichtig!«) und seiner gestrengen Ehefrau Hubertine, die Pizza und Nudeln per Ehevertrag gestrichen hat. Sonst Scheidung und Abfindung. Kluge Frau.

 

»Fragt sich nur – warum leckt nicht halb Italien wie Julius-Alexander Türklinken ab?«

»Das liegt an der Sonne, bella Annaaaa!«, sagt Luigi strahlend, Inhaber unseres Lieblingsitalieners um die Ecke, der das Brot noch selber backt. »Wir Italiener haben mehr Sonne. Im Herzen wie am Himmel.«

Und tatsächlich: Menschen, die ein Problem mit Gluten haben, lese ich später, haben oft Defizite. Da herrscht häufig gähnende Leere, was gute Darmbakterien, Vitalstoffe und Vitamin D angeht. Und vieles davon gibt es in Italien quasi frei Haus. Wer sich also immer nur dick paniertes Schnitzel reinhaut und ständig im Nieselregen durch Hamburg-Eppendorf rennt, sollte sich nicht wundern, wenn er Probleme bekommt.

Und da ich neuerdings nach einer Pizza aussehe wie im neunten Monat, beschließe ich, Vitamin D und glückliche Darmbakterien zu schlucken und g-frei zu leben. Zumindest eine Zeit. »Ach, bella Annaaaa. Wirklich?« Luigi ist enttäuscht, wünscht mir aber Erfolg. »Ich weiche eine Weile auf euer Dorschfilet aus, okay?« Da lacht er gleich wieder.

Übrigens, eins machen die Italiener auch noch etwas besser als wir: Sie essen zu jeder Mahlzeit Gemüse, gerne mit Olivenöl, außerdem Meeresfrüchte, und werfen jede Menge frische Kräuter drüber. Machen wir alles gar nicht oder viel zu selten. Dabei sind das die Gleitmittel, die alle Glutenproblemkinder bräuchten. Wirkt alles darmzottenschmierend, antientzündlich, verdauungsfördernd: Olivenöl beugt Entzündungen vor (genau die kann nämlich Gluten hervorrufen – Entzündungen!), Rosmarin, Basilikum & Co. helfen mit ätherischen Ölen nach, und alles von Apfel bis Zucchini liefert Vitamine.

Apropos Vitamin D: Als ich mich am nächsten Tag mit meinem Apothekerfreund Kay über das Thema unterhalte, stellt er fest: »Und was machen wir Trottel? Wir setzen beim kleinsten Sonnenstrahl eine Sonnenbrille auf. Dabei wird Vitamin D neben dem Handrücken auch über die Augen aufgenommen. Dazu cremen wir uns dann fleißig ein. Ist ja auch besser, als einen Sonnenbrand zu bekommen – aber der UV-Schutz behindert die Vitamin-D-Bildung. Ein Lichtschutzfaktor von 30 absorbiert schon über 90 Prozent der UV-Strahlung. Ein Freund von mir, Sportler, immer viel in der Sonne, aber immer dick eingecremt, war ganz überrascht, als sein Vitamin-D-Wert nach einem Unfall festgestellt wurde – er lag bei 9 ng/ml. 40–60 ng/ml wäre gesund.«

In der Mittagspause schick mit Ray Ban und Sonnencreme im Gesicht zum Edel-Italiener? Schön blöd. Privatsphäre auf der Nase, aber kein Vitamin D aufgenommen. Irgendwas ist immer. Kay leistet als Apotheker regelrecht Aufklärungsarbeit: »Ich mache mit meinen Kunden immer einen Test. Ich sage: ›Checken Sie Ihr Vitamin D – und wenn Sie keinen Mangel haben, zahle ich Ihnen die Blutuntersuchung. Wenn doch – kaufen Sie bei mir ein Vitamin-D-Präparat.‹ Ich gewinne immer.« Er grinst. Das Lächeln eines Mannes, der alles verdauen kann und an jedem Vitamin-D-Opfer verdient, aber dabei eben auch jedem einen Gefallen tut. Er hat gerade eine Stoffwechselkur hinter sich und ist mindestens so fit wie der Turnschuh am Fuß vom jüngeren Klitschko.

 

Sie denken, das ist alles? Nö. Manchmal verträgt man eine Pizza super – und manchmal nicht.

»Das ist verwirrend«, findet meine Nachbarin Hanne, 81, topfit, außer nach dem Brötchenverzehr: »Es muss am Weizen liegen.«

Und damit hat sie recht. Da gibt’s nämlich nicht nur Hochleistungsmodelle und Urkorn, sondern auch Hart- und Weichweizen. Achten Sie mal drauf! Hartweizen geht in der Regel besser. Nimmt auch Luigi!

Der sagt: »Isse alles Quatsch mit Gluten! Gehst du hin und wieder in die Sonne, isst du meine Pizza, alles bene-bene!«

Als Norddeutscher leicht gesagt! Wir haben die Sonne nicht gerade erfunden, eher den Südwester, damit es nicht so in den Nacken zieht. Abends beim Zähneputzen frage ich mich, wie viele Menschen wohl mit Glutenproblemen herumlaufen und es gar nicht wissen? Die ihren trägen Stoffwechsel, die kletternde Jeansgröße oder den Heuschnupfen einfach hinnehmen und sich eigentlich ganz anders fühlen könnten. Zum Abendessen gab es nur Gemüse mit Hirse für mich, und ich schlafe tatsächlich wie ein Baby.

 

»Wenn du mich fragst, alles Klein-Klein. Glutenfreies Essen ist der neue Diaabend!«, grinst mich Sascha an, während er sich eine Ein-Liter-Tüte Milch als Katerfrühstück nach einer weinseligen Nacht aufreißt. »Als ob wir alle Zöliakie hätten! Dann müsste Poletto ja dichtmachen – und der Laden läuft wie Hulle. Das ist nur Marketing einer neuen Industrie. Hast du Feuer?« Er fingert eine Gauloise aus der Packung.