Geboren als William Fitzgerald Jenkins in Norfolk/Virgina (USA), war Leinster einer der produktivsten Science Fiction-Autoren des 20. Jahrhunderts und kann als Beispiel dafür angesehen werden, dass Vielschreiber nicht unbedingt nur Plattitüden zu Papier bringen müssen.
Er begann im Alter von dreizehn Jahren zu schreiben und war zeitweilig der jüngste Berufsschriftsteller der Vereinigten Staaten. Seine erste Erzählung, The Runaway Skyscraper, erschien 1919. Die Novelle The Mad Planet ist die 1920 in der Zeitschrift Argosy erschienene Urversion des späteren Romans THE FORGOTTEN PLANET: Dort spielt die Handlung allerdings nicht auf der Erde, sondern auf einem fremden Planeten, und Burl und sein Stamm sind Nachkommen gestrandeter Raumfahrer.
Die Romane, Novellen und Kurzgeschichten, die Leinster im Laufe seiner langen schriftstellerischen Karriere zu Papier gebracht hat, sind Legion; wer sie zählen will, kommt auf weit über tausend. Eine ganze Reihe seiner Werke sind unter seinem richtigen Namen erschienen, haben aber weniger mit SF als mit dem Übernatürlichen und dem Wilden Westen zu tun.
Wie die meisten SF-Autoren, die sich ihre Sporen in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts verdienten, lebte auch Leinster hauptsächlich von den zahlreichen amerikanischen Pulp-Magazinen. Sein erster phantastischer Roman, MURDER MADNESS, erschien 1931, dennoch musste er bis in die 1950er Jahre warten, bis die Buchverlage ihre Pforten für SF-Autoren öffneten.
Leinsters bekannteste – und sicher auch beste – Werke sind THE FORGOTTEN PLANET (Romanversion, 1954), seine in mehreren Bänden zusammengefassten Erzählungen um den Weltraumarzt Dr. Calhoun (1959-1967) und THE PLANET EXPLORER (1957; auch unter dem Titel COLONIAL SURVEY, 1956), ein Buch, das die Geschichten um den Planeteninspektor Boardman zusammenfasst. Eine der darin enthaltenen Erzählungen, Exploration Team, wurde 1956 mit dem Hugo Award ausgezeichnet.
Murray Leinster
DER TOLLWÜTIGE PLANET
In dieser Reihe bisher erschienen:
1001 Edgar Rice Burroughs Caprona - das vergessene Land
1002 Ernst Konstantin Sten Nord - der Abenteurer im Weltraum
1003 Unbekannter Autor Jack Franklin, der Weltdetektiv
1004 Robert E. Howard Die Geier von Wahpeton
1005 Robert E. Howard Abrechnung in den Los Diablos
1006 Robert E. Howard Steve Costigan – Seemann und Boxer
1007 Murray Leinster Der tollwütige Planet
Murray Leinster
DER TOLLWÜTIGE
PLANET
Aus dem Amerikanischen von
Ronald M. Hahn
Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!
Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung
ohne Versandkosten und einem Reihen-Subskriptionsrabatt.
Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de
© 2018 BLITZ-Verlag
Redaktion: Markus Müller
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati
Logogestaltung: Mark Freier
Satz: Harald Gehlen
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-95719-776-4
Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!
Seit etwa zwanzig Jahren, also in seinem ganzen Leben, hatte Burl noch keinen Gedanken an die Frage verschwendet, was wohl sein Großvater von dieser Umgebung gehalten hatte. Sein Großvater war irgendwann unter unglücklichen Umständen ums Leben gekommen, und alles, woran Burl sich erinnern konnte, waren seine immer leiser werdenden Schreie gewesen – und das verzweifelte Bemühen seiner Mutter, ihren Jungen, so schnell sie konnte, an einen anderen Ort zu bringen.
Seither hatte Burl nur noch sehr selten an den alten Herrn gedacht. Was sein Urgroßvater von dieser Gegend gehalten hatte, kam ihm nicht einmal ansatzweise in den Sinn, und so war es natürlich keine Frage, dass er an seine übrigen Vorfahren – etwa jenen Ur-Ur-Ur-Ur-Urgroßvater von 1920 – nicht den allergeringsten Gedanken verschwendete.
Momentan krabbelte Burl nämlich vorsichtig über einen bräunlichen Pilzteppich auf einen Strom zu, den er unter der allgemeinen Bezeichnung Wasser kannte. Dieser Strom war das einzige Wasser, das weit und breit existierte. Hoch über seinem Kopf ragten gewaltige, drei Mann hohe Pilze in die Luft und verbargen den grauen Himmel vor seinen Blicken. Dort, wo die Stängel aus dem Boden kamen, hatten sich kleinere Gewächse angesiedelt: Parasiten, die sich von Gewächsen ernährten, die einst selbst Parasiten gewesen waren.
Burl war ein schlanker, junger Mann. Er trug einen um die Hüften geschlungenen Lendenschurz, der aus dem Gewebe einer Riesenmotte bestand. Mitglieder seines Stammes hatten sie kurz nach dem Ausschlüpfen aus ihrem Kokon erschlagen. Burls Haut war blass, sie zeigte nicht die geringste Einwirkung von Sonnenlicht. Burl hatte die Sonne in seinem ganzen Leben noch nie gesehen, aber das lag nicht etwa daran, dass die großen Gewächse keine Blicke nach oben durchließen, sondern an der ununterbrochenen Wolkendecke, die stets über den Himmel gebreitet lag. Riss sie einmal irgendwo auf, gab es trotzdem keine Möglichkeit, die Umrisse des feurigen Balls zu erkennen, nur der Himmel wurde an der betreffenden Stelle etwas heller. Die Landschaft, durch die Burl sich bewegte, bestand hauptsächlich aus phantastischen Moosen und Farnen, ungeschlachten Pilzgewächsen, gewaltigen Schachtelhalmen und Hefepilzen.
Nachdem er sich durch den riesigen Pilzwald geschlagen hatte, berührte seine Schulter einen cremefarbenen Stängel, und der Pilz zuckte zusammen. Im gleichen Augenblick stieß der regenschirmähnliche Pilzkopf ein feines, fast gewichtsloses Pulver aus, das wie Schnee auf Burl herabregnete. Momentan war die Jahreszeit, in der die Giftpilze ihre Sporen auf die Reise schickten. Schon die geringste Berührung genügte, um sie zu aktivieren.
Burl blieb stehen und schüttelte die Sporen aus seinem Haar. Dass sie aus tödlichem Gift bestanden, wusste er.
Auf einen Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts hätte er komisch gewirkt. Seine Haut war glatt wie die eines Kindes, und er war auch nicht sonderlich behaart. Sogar Burls Haupthaar war weich wie Flaum. Sein Brustkorb war ausgeprägter als der seiner fernen Vorfahren, und was seine Ohren anbetraf, so schienen sie dazu in der Lage zu sein, sich unabhängig voneinander bewegen und Geräusche aus allen nur erdenklichen Richtungen auffangen zu können. Seine Augen – sie waren groß und blau – hatten Pupillen, die eine extreme Größe annehmen konnten und ihm somit erlaubten, auch bei fast absoluter Dunkelheit zu sehen.
Burl war das Produkt eines seit dreißigtausend Jahren andauernden Versuchs der Menschheit, sich an jene Veränderung anzupassen, die in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts begonnen hatte.
Ungefähr zu diesem Zeitpunkt hatte die menschliche Zivilisation ihren Höhepunkt erreicht. Man hatte sorgenfrei leben können. Die Menschen waren mit sich selbst ins Reine gekommen, und in Bezug auf Rechte, Bildung und Entspannung hatte jeder die gleichen Möglichkeiten besessen. Der größte Teil der zu erledigenden Arbeiten wurde von Maschinen getan, und es bedurfte nur weniger Menschen, um sie zu überwachen. Niemand brauchte mehr Hunger zu leiden, jeder hatte eine solide Ausbildung genossen, und alles hatte darauf hingedeutet, dass man von nun an bis in alle Ewigkeit in einer toleranten Gemeinschaft Studien und Zerstreuungen, Illusionen und Wahrheiten würde nachgehen können. Der Friede, die Stille, die Zurückgezogenheit und die Freiheit waren zum Allgemeingut geworden.
Und dann, gerade als die Menschheit sich dazu gratuliert hatte, dass das Goldene Zeitalter zurückgekehrt war, hatte man herausgefunden, dass die Welt dem Untergang geweiht war. Ganz allmählich riss die Erdoberfläche. Kohlenstoff-Säuregase – von den Chemikern als Kohlenstoffdioxid bezeichnet – stiegen in die Atmosphäre auf. Dieses Gas, seit langem Bestandteil der Lufthülle, war wichtig für das Pflanzenleben. Die meisten irdischen Gewächse atmeten dieses Gas ein, verwerteten das Kohlenstoffdioxid und gaben dafür Sauerstoff ab.
Wissenschaftler hatten ausgerechnet, dass die zunehmende Fruchtbarkeit der Erde zu einem Großteil auf den vermehrten Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre beruhte, der durch das verschwenderische Verbrennen von Kohle und Petroleum immer rascher wuchs. Und da man in dieser Hinsicht deshalb zur Sorglosigkeit neigte, kam auch niemand auf die Idee, Alarm zu schlagen, als aus dem Erdinneren immer mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre entwich.
Die Zunahme dieses Gases wurde jedoch ständig größer. Fortgesetzt öffneten sich neue Erdspalten. Jede davon erwies sich als neue Kohlendioxidquelle, welche die bereits überladene Atmosphäre des Planeten mit noch mehr Gas durchsetzte. In kleineren Dosen wäre dies ein Segen gewesen, in dieser Menge allerdings, so fand man bald heraus, war das Resultat tödlich.
Der Anteil dieses schweren, dampfähnlichen Gases an der Gesamtzusammensetzung der irdischen Atmosphäre wuchs lawinenartig an. Durch diesen Zusatz wurde die gesamte Lufthülle schwerer. Sie saugte die Feuchtigkeit auf und wurde dunstiger. Die Regenfälle nahmen zu, das Klima wurde schwüler. Die Vegetation wurde üppiger – und die Luft schrittweise weniger atembar.
Bald darauf begann die Gesundheit der Menschen unter den Auswirkungen dieser Veränderung zu leiden. Da man seit Jahrtausenden daran gewöhnt gewesen war, eine an Sauerstoff reiche, an Kohlendioxid jedoch arme Luft zu atmen, ging es den Menschen schlecht. Nur jene, die auf Hochebenen oder in den Bergen lebten, blieben verschont. Die Pflanzen der Erde waren, obwohl sie immer größer wurden und schließlich Dimensionen annahmen, welche die Welt noch nicht gesehen hatte, nicht in der Lage, die fortwährend ansteigende Flut des auf sie einströmenden Kohlendioxids zu verarbeiten.
In der Mitte des einundzwanzigsten Jahrhunderts wurde allgemein erkannt, dass die Erde auf ein neues Karbonzeitalter zusteuerte, dass sich die planetare Atmosphäre nicht nur verdichten, sondern auch feuchter werden würde, bis die Menschen sie nicht mehr atmen konnten und die gesamte Vegetation nur noch aus Schachtelhalmen und Riesenfarnen bestand.
Als das einundzwanzigste Jahrhundert sich seinem Ende zuneigte, begann die Menschheit, auf ein Niveau zurückzusinken, das einem Stadium der Barbarei nicht unähnlich war. Die Tiefebenen waren unbewohnbar geworden. Dichte, undurchdringliche Dschungelgebiete breiteten sich überall aus. Die Luft war drückend und ermüdend. Zwar konnten die Menschen in dieser Umgebung leben, aber ihr Dasein glich eher einer kränklichen, fieberverseuchten Existenz. Die gesamte Erdbevölkerung bemühte sich, in die höher liegenden Teile der Welt vorzustoßen, und als die Flachländer immer unbewohnbarer wurden, vergaßen sie auch die hinter ihnen liegenden zwei Jahrhunderte des Friedens.
Man kämpfte verzweifelt um das Überleben und raufte um jeden Fußbreit Land, der einem das Leben und Atmen sichern konnte. Diejenigen, die auf der Höhe des Meeresspiegels zurückgeblieben waren, begannen zu sterben, denn sie konnten in der vergifteten Luft nicht weiterexistieren. Je zahlreicher die unermüdlich Kohlendioxid ausstoßenden Erdspalten wurden, desto weiter schraubte sich die Gefahrenzone nach oben. Bald darauf konnte man nicht einmal mehr in zweihundert Metern oberhalb des Meeresspiegels existieren. Das Flachland verwilderte und entwickelte sich zu einem Dschungel, dessen Dichte nur noch mit dem der ersten Karbonperiode vergleichbar war.
Schließlich starben die Menschen auch in Höhen von dreihundert Metern – und zwar an purer Entkräftung. Die Plateaus und Bergrücken wimmelten von Menschen, die dort Fuß zu fassen versuchten und nicht einmal genügend Nahrung hatten, um lange genug zu überleben, bis die unsichtbare Bedrohung, die unaufhörlich höher kroch, sie erreichte.
All dies geschah natürlich nicht in einem Jahr. Es geschah auch nicht in zehn Jahren. Es dauerte mehrere Generationen. Von dem Zeitpunkt an, da die Chemiker des Internationalen Geophysikalischen Instituts bekannt gegeben hatten, dass der Kohlendioxidanteil der Atmosphäre von 0,04 auf 0,1 Prozent gestiegen war, bis zu dem, da die irdische Lufthülle auf der Höhe des Meeresspiegels sechs Prozent des tödlichen Gases aufwies, waren mehr als zweihundert Jahre vergangen.
Die Symptome der Vergiftung stiegen mit heimtückischer Langsamkeit. Zuerst fühlte man sich matt, dann reagierte das Gehirn immer schwerfälliger – und schließlich verlor der Körper seine Kraft. Die Menschen wurden immer weniger, und irgendwann war nur noch ein Bruchteil der einstigen Bevölkerung am Leben. Es gab nun mehr Raum für sie auf den Höhen, aber die Gefahrengrenze schob sich unerbittlich immer näher auf sie zu.