Das Buch
Eigentlich hat Bob Johansson nie an ein Leben nach dem Tod geglaubt. Als er nach einem tödlichen Autounfall als Künstliche Intelligenz eines Raumschiffes wieder erwacht, ist er natürlich geschockt. Doch damit nicht genug – er ist der intelligente Computer einer von Neuman Probe, das heißt er wurde tausendfach repliziert. Bob und seine Kopien werden ausgeschickt, um in den Tiefen des Weltalls nach neuen, bewohnbaren Planeten zu suchen. Dabei stoßen sie nicht nur auf ein primitives Alien-Volk, das sie als Götter verehrt, sondern auch auf eine feindliche Spezies, die droht, die Erde anzugreifen – und die Bobs sind die Einzigen, die sie noch aufhalten können ..
Der Autor
Dennis E. Taylor war früher Programmierer und arbeitete nachts an seinen Romanen. Mit Ich bin viele, dem Auftakt seiner neuen Romanreihe um die künstliche Intelligenz Bob Johansson, gelang ihm der Durchbruch als Schriftsteller. Seither widmet er sich ganz dem Schreiben.
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DENNIS E.
TAYLOR
WIR
SIND
GÖTTER
ROMAN
Aus dem Amerikanischen übersetzt
von Urban Hofstetter
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
Titel der amerikanischen Originalausgabe
FOR WE ARE MANY
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Deutsche Erstausgabe 01/2019
Redaktion: Sven-Eric Wehmeyer
Copyright © 2017 by Dennis E. Taylor
Copyright © 2019 der deutschsprachigen Ausgabe
und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: DAS ILLUSTRAT, München,
unter Verwendung von Motiven von tsuneomp/Shutterstock
und freestyleimages/Shutterstock
Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach
ISBN 978-3-641-22181-2
V002
www.diezukunft.de
Ich möchte dieses Buch all jenen widmen,
die – wie ich – die gute alte Space Opera lieben.
»Sie ist auf keiner Karte verzeichnet.
Die wahren Orte sind das nie.«
Herman Melville, Moby Dick
1
Himmelsgott
Bob – Februar 2167
Delta Eridani
Aus dem Totholzhaufen drang ein wütendes Quieken. Die beiden Deltaner hielten kurz inne und bereiteten sich darauf vor, den Rückzug anzutreten. Doch als nichts weiter geschah, bewarfen sie die Stelle gleich darauf erneut mit Steinen.
Dem Jäger, den ich Bernie getauft hatte, sträubte sich vor Aufregung das Rückenfell. »Komm hierher, kutzi, kutzi, kutzi«, lockte er mit aufgestellten Ohren.
Um ihnen nicht die Sicht zu versperren, flog ich mit meiner Überwachungsdrohne ein Stück zurück. Es machte ihnen nichts aus, wenn ich bei der Jagd zusah, aber ich wollte sie nicht ablenken, da selbst die kleinsten Fehler zu Verletzungen führen konnten und nicht selten tödlich endeten. Allein Mike hob kurz den Kopf, als er die Bewegung wahrnahm, wohingegen die anderen Deltaner der fußballgroßen Drohne keinerlei Beachtung schenkten.
Anscheinend hatte einer der Steine sein Ziel gefunden, denn nun stürmte das Quasischwein laut kreischend wie eine wutentbrannte Dampfmaschine aus dem Eingang seines Baus. Sofort rannten die beiden Steinewerfer zur Seite, und die anderen Jäger nahmen ihren Platz ein. Sie stemmten ihre Speere in die Erde und stellten zusätzlich einen Fuß auf die Schaftenden, um die Waffen zu stabilisieren. Danach konnten sie nichts anderes mehr tun, als tapfer die Stellung zu halten. Obwohl ich selbst das Geschehen aus sicherer Distanz durch meine Überwachungsdrohne beobachtete, spürte ich, wie sich meine Eingeweide vor Angst zusammenzogen. Bei Gelegenheiten wie dieser fragte ich mich, ob ich es mit der Authentizität meiner VR-Umgebung vielleicht ein wenig übertrieb. Es war überhaupt nicht nötig, dass ich Eingeweide besaß, geschweige denn, dass sie sich zusammenzogen.
Das Quasischwein rannte ungebremst in die aufgepflanzten Speere. Schnell war es, das musste man ihm lassen, aber nicht besonders klug. Ich hatte noch nie ein Quasischwein gesehen, das den Speerspitzen auszuweichen versuchte. Ein Jäger namens Fred wurde zur Seite geworfen, als sich sein Speer zunächst bog und dann auseinanderbrach. Er schrie, offenbar ebenso sehr vor Überraschung wie aufgrund der Schmerzen, und aus seinem Bein sprudelte Blut. Dabei fiel mir wieder einmal auf, dass sich deltanisches und menschliches Blut farblich fast exakt glichen.
Die anderen Deltaner hielten dem Ansturm stand, und das Quasischwein erhob sich von der eigenen Wucht getragen auf den Speerspitzen in die Luft. Einen Moment lang schien es beinahe zu schweben, bis es mit einem letzten Kreischen zu Boden krachte.
Die deltanischen Jäger zogen die Lippen zurück und entblößten ihre beeindruckenden Fangzähne. Argwöhnisch warteten sie ab, ob sich das Tier noch mal bewegen würde. Denn gelegentlich kam es vor, dass selbst derart schwer verwundete Quasischweine aufsprangen und erneut angriffen.
Vorsichtig schlich Bernie sich an. In einer Hand hielt er seinen Speer, in der anderen einen Knüppel. Aus möglichst großer Entfernung beugte er sich vor und piekte das Quasischwein in die Schnauze. Als es sich daraufhin nicht rührte, drehte er sich grinsend zu seinen Jagdkameraden um.
Natürlich grinste er nicht wirklich, sondern wackelte nach Art der Deltaner mit den Ohren, aber ich war inzwischen so sehr mit ihren gestischen und mimischen Eigenheiten vertraut, dass ich nicht länger über ihre Bedeutung nachdenken musste. Um die gesprochene Sprache kümmerte sich derweil eine Übersetzungssoftware, die Redewendungen und Metaphern zwischen Englisch und Deltanisch hin und her übertrug. Damit ich die einzelnen Deltaner im Auge behalten konnte, hatte ich es mir zur Gewohnheit gemacht, ihnen zufällig ausgewählte menschliche Namen zu geben.
Ohne die Übersetzungssoftware war eine Kommunikation zwischen Menschen und Deltanern unmöglich, da ihre Sprache für unsere Ohren wie ein Sammelsurium aus Grunzlauten, Knurren und Schluckauf klang. Und laut Archimedes, meinem Hauptansprechpartner, erinnerten menschliche Stimmen die Deltaner wiederum an leidenschaftlich-wild sich paarende Quasischweine. Reizend.
Mit ihren tonnenförmigen Körpern, den spindeldürren Gliedmaßen, den großen, extrem beweglichen Ohren und einer Mundpartie, die an die Schnauzen von wilden Ebern erinnerte, sahen die Deltaner wie eine Kreuzung aus Fledermäusen und Schweinen aus. Ihre Felle waren größtenteils grau, mit individuellen hellbraunen Mustern im Gesicht und am Rest des Kopfes. Die Deltaner waren die erste nichtmenschliche intelligente Lebensform, auf die ich bislang gestoßen war – und zwar bereits im zweiten Sonnensystem, das ich nach meinem Aufbruch von der Erde vor mehr als dreißig Jahren angesteuert hatte. Vielleicht war intelligentes Leben tatsächlich so verbreitet, wie Star Trek es uns hatte glauben machen wollen.
Bill sendete regelmäßig die neuesten Nachrichten aus Epsilon Eridani, die jedoch neunzehn Jahre lang unterwegs waren, bevor ich sie empfing. Falls mittlerweile auch einer der anderen Bobs auf eine außerirdische Intelligenz gestoßen sein sollte, hatte Bill möglicherweise noch nicht einmal davon erfahren und schon gar nicht den entsprechenden Bericht an uns weitergeleitet.
Nun richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf die Deltaner, die gerade damit begannen, ihre Jagd nachzubereiten.
Sie untersuchten Fred, der auf einem Felsen saß, deltanische Flüche ausstieß und sich eine Hand auf die Wunde presste, um die Blutung zu stoppen. Ich näherte mich mit der Drohne, und einer der Jäger trat beiseite, damit ich mir Fred genauer ansehen konnte.
Er hatte Glück gehabt. Die Verletzung, die er sich zugezogen hatte, als sein Speer zerbrochen war, wies unregelmäßige Wundränder auf, war jedoch nicht tief und schien sauber zu sein. Wenn das Quasischwein die Zähne in ihn geschlagen hätte, wäre er nun tot.
Mike tat so, als wollte er seinen Speer in die Wunde stoßen. »Tut das weh? Sag schon, tut das weh?«
Fred bleckte die Zähne. »Ja, sehr witzig. Nächstes Mal kannst du ja den kaputten Speer nehmen.«
Ungerührt erwiderte Mike sein Lächeln, und Bernie schlug Fred auf die Schulter. »Komm, sei keine Heulsuse. Es blutet schon fast nicht mehr.«
»Genau, dann lasst es uns mal aufhängen, damit es ausbluten kann«, sagte Mike und wickelte ein Seil ab, das er sich um den Oberkörper geschlungen hatte. Während er es über einen geeigneten Ast warf, schlang Bernie das Ende des Seils um die Hinterläufe des Kadavers.
Knoten binden zählt nicht gerade zu ihren Stärken. Die Verschnürung war sehr simpel und würde sich vermutlich lösen. Ich nahm mir vor, Archimedes ein paar Seemannsknoten beizubringen.
Während Mike und Bernie den Kadaver an dem Seil in die Höhe zogen und begannen, ihn auszunehmen, stimmten die übrigen Deltaner ein Dankeslied an. Einen Moment lang erwartete ich beinahe, dass sie ihrer Beute einen Jagderlaubnisschein ans Ohr heften würden. Aber dafür befand ich mich natürlich im falschen Jahrhundert und auf dem falschen Planeten, wo ich es mit einer anderen Spezies zu tun hatte.
Grinsend wandte ich mich vom Videofenster der Drohne ab und griff nach der Kaffeetasse. Marvin, der mir über die Schulter geschaut hatte, warf mir einen verwirrten Blick zu, aber ich sah nicht ein, wieso ich es ihm erklären sollte. Er müsste sich doch von sich aus daran erinnern können, wie der Ursprüngliche Bob vor langer Zeit mit seinem Dad auf die Jagd gegangen war. Wortlos zuckte ich mit den Schultern. Das musst du dir schon selbst zusammenreimen, mein Freund.
Marvin verdrehte die Augen und kehrte zum Lay-Z-Boy zurück, den er stets erscheinen ließ, wenn er mich in meiner VR besuchte. Ich lehnte mich indes in meinem antiken Ohrensessel zurück und ließ mir von Jeeves Kaffee nachschenken. In allen VR-Umgebungen, in denen die Jeeves-KI zum Einsatz kam, sah sie wie John Cleese im Frack aus.
Während ich an dem Kaffee nippte, der wie immer perfekt schmeckte, betrachtete ich die Bibliothek um mich herum – die bis zur Decke reichenden Bücherregale, den großen, klassischen Kamin und die schmalen, bodentiefen Fenster, durch die permanent spätnachmittägliches Sonnenlicht hereinschien und den Raum erleuchtete. Und inmitten von alledem stand wie ein großes grelles Auge der mit rotem Cord bezogene Lay-Z-Boy, in den sich Marvin lümmelte.
Allerdings nur in der VR. In der echten Welt waren Marvin und ich leuchtende optoelektronische Würfel und in zwei verschiedenen Sonden installiert, die sich derzeit in einer Umlaufbahn um Delta Eridani 4 befanden. Doch früher waren wir Menschen gewesen und brauchten unsere VR-Umgebungen, um bei Verstand zu bleiben.
Spike kam herüber. Er sprang Marvin auf den Schoß und begann zu schnurren. Die KI der Katze agierte absolut realistisch, bis hin zu ihrem völligen Mangel an Loyalität. Ich schnaubte amüsiert und drehte mich zum Videofenster zurück.
Mittlerweile hatten die Jäger ihre Beute ausgeweidet. Im Grunde genommen hatten die Quasischweine nur wenig Ähnlichkeit mit irdischen Wildschweinen. Rein äußerlich erinnerten sie eher an Bären, aber sie besetzten die gleiche ökologische Nische und waren auch ebenso gut gelaunt und anhänglich wie ihre terrestrischen Entsprechungen.
Die Jagd auf diese Tiere war keineswegs eine einseitige Angelegenheit, und die Deltaner gingen dabei jedes Mal ein Risiko ein. Normalerweise unterlagen die Quasischweine, aber manchmal gelang es ihnen auch, einen oder zwei Jäger zu töten. Allerdings waren die Karten bei diesem Spiel noch mal neu gemischt worden, seitdem die Deltaner ihre Speere mit Feuersteinspitzen versahen. Jaja, mir war klar, dass ich damit gegen die Oberste Direktive verstoßen hatte. Blabla. Pfft. Auch wenn sich einer von uns Klonen Riker nannte und seine VR wie die Kommandobrücke der Enterprise gestaltet hatte, war dies hier nicht Star Trek.
Die Deltaner banden ihre Jagdbeute auf zwei Speere, die sich vier von ihnen auf die Schultern hoben. Mike winkte mich zu sich, und ich ließ meine Drohne zu seiner hinüberschweben. Zwei weitere Deltaner schlangen die Arme um Fred und halfen ihm auf. Sein Bein blutete zwar immer noch, und er hinkte arg, aber er würde es bis zum Dorf zurückschaffen.
Unsere Rückkehr glich einem Triumphzug, und ein paar der Jäger sangen ein Siegeslied. Die anderen scherzten und zogen einander freundschaftlich auf. Es erstaunte mich immer wieder, wie menschenähnlich sich die Deltaner verhielten. Manchmal überkam mich deswegen ein Gefühl der Nostalgie und Sehnsucht nach echten menschlichen Kontakten.
Bald hatten wir das Dorf erreicht, wo wir lachend begrüßt und gefeiert wurden. Ein erlegtes Quasischwein war immer ein Anlass zum Feiern. An diesem Abend würden die Hexghi ein Festmahl auftischen und noch eine ganze Woche lang ordentlich zu essen haben. Hexghi bedeutete so viel wie Familien an unserem Feuer. Diese Gruppe von Jägern gehörte zu Archimedes’ Hexghi, das ich mehr oder weniger als meine Familie adoptiert habe.
Mithilfe der anderen schaffte Fred es bis zu der Stelle, wo seine Familie lagerte und seine Gefährtin sich sofort rührend um ihn kümmerte. Einer der Jäger lief los und holte Cruella, die Medizinfrau. Seufzend machte ich mich auf eine meiner üblichen Auseinandersetzungen mit ihr gefasst.
Nach wenigen Augenblicken kehrte er mit Cruella und ihrer Gehilfin im Schlepptau zurück. Als sie sich bückte, um die Wunde zu inspizieren, steuerte ich die Drohne zu ihr hinüber. Anscheinend zu dicht für ihren Geschmack, denn Cruella schlug sie mit ausgestrecktem Arm so fest beiseite, dass sie mehrere Fuß weit davonflog, ehe die KMI sie wieder stabilisieren konnte. Die anderen Deltaner wichen erschrocken zurück. Einer von ihnen sah aus, als wollte er fliehen oder würde gleich ohnmächtig werden. Die Drohne war klein und ließ sich leicht herumschubsen. Aber immerhin war ich, na ja … der Himmelsgott.
Mir war schon seit längerer Zeit bewusst, dass die Medizinfrau nichts und niemanden fürchtete. Und sie zeigte sich auch nicht gerade offen für Ratschläge. Frustriert biss ich die Zähne zusammen und fragte mich, ob Cruella wohl diesmal auf meine Hinweise hören würde.
Fred beschäftigte offenbar der gleiche Gedanke. »Das wäre doch eine gute Gelegenheit, Baabs Vorschlag mit dem heißen Wasser auszuprobieren.«
Cruella warf erst ihm und dann meiner Drohne einen finsteren Blick zu. »Da du mich nicht zu brauchen scheinst, kann er ja vielleicht auch gleich deine Wunde verbinden.«
»Ach, bei den Eiern meiner Vorväter, Cruella«, stieß Mike hervor. »Probier doch wenigstens einmal etwas Neues aus. Schließlich hat Baab uns noch keinen einzigen schlechten Ratschlag gegeben.«
Cruella zischte ihn an, und im nächsten Moment brach zwischen den Jägern und ihr ein lautstarker Streit aus. Die Jäger waren meine treuesten Unterstützer. Kein Wunder, denn schließlich waren die Feuersteinspitzen, die Vorrichtung zur Begradigung von Speerschäften sowie die Faustkeile nur ein paar der Neuerungen gewesen, mit denen ich ihnen das Leben erleichtert hatte. Zumindest sie vertrauten darauf, dass ich nur das Beste für die Deltaner wollte.
Schließlich warf Cruella die Hände in die Luft. »Na schön!«, blaffte sie. »Dann machen wir es eben auf seine Weise. Aber wenn dir die Beine abfaulen, möchte ich kein Gewinsel von dir hören.« Sie drehte sich um und knurrte ihrer Gehilfin etwas zu, worauf die mit angelegten Ohren davoneilte.
Ein paar Minuten später kehrte sie mit einem gefüllten Schlauch und einem weichen Ledertuch zurück.
Cruella deutete auf den Schlauch. »Frisch abgekochtes Wasser.« Als Nächstes hielt sie das gegerbte Ledertuch hoch. »In gekochtem Wasser gewaschen.« Anschließend sah sie zornig in die Kamera der Drohne. »Und jetzt geh mir aus dem Weg.«
Ich konnte es kaum glauben, dass sie sich die Zeit nahm, die Wunde mit dem Tuch und dem gereinigten Wasser zu säubern. Das war wirklich mal ein Fortschritt. Zwar hatte sie sich nur darauf eingelassen, weil die Jäger sie so vehement dazu gedrängt hatten. Aber wenn Cruella es auch in Zukunft so machte, würden die Infektionsfälle dramatisch zurückgehen.
Ich kippte die Drohne kurz nach vorn, um ein Nicken anzudeuten, und schickte sie zum Rand der Siedlung. Danach kehrte ich wieder in meine VR zurück und schloss das Videofenster. Dass die Medizinfrau von ihrer hergebrachten Heilmethode abrückte, war ein riesiger Erfolg, wofür ich ihr gern zum Dank aus den Augen ging. So konnte sie ihre Würde wahren und würde sich nicht genötigt fühlen, bei der nächsten Gelegenheit wieder auf stur zu schalten.
Damit würde ich zwar den Rest der Feierlichkeiten verpassen, aber das Schicksal der erlegten Quasischweine war mir wohlvertraut und mittlerweile gut dokumentiert. Vermutlich schmeckte es köstlich. Als ich an Rippchen in Barbecue-Sauce dachte, lief mir das Wasser im Mund zusammen. Da ich ein Computer war, benötigte ich natürlich kein Essen mehr, aber in der VR konnte ich tun und lassen, was ich wollte. Und da ich bereits eine Kaffeesimulation geschaffen hatte, konnte ich genauso gut auch noch Spareribs programmieren.
Spike schlich über den Schreibtisch und legte sich mit einem Miauen auf die Tastatur. Ich ließ mir von Jeeves noch einmal Kaffee nachschenken und drehte mich dann zu Marvin um. »Okay, die Show ist vorbei. Was gibt’s Neues? Wolltest du nicht etwas mit mir besprechen?«
Marvin nickte und erhob sich. Er ließ den La-Z-Boy verschwinden und kam zu meinem Schreibtisch herüber. Nachdem er sich einen Ohrensessel herangezogen hatte, ließ er über der Tischplatte einen Globus von Eden erscheinen. Einer der Kontinente war zu einem kleinen Teil rot umrandet. »Das ist das derzeitige Verbreitungsgebiet der Deltaner. Das alte Dorf habe ich aus der Darstellung rausgenommen, da dort niemand mehr ist …«
»Außerdem war es eher ein Flüchtlingslager als eine dauerhafte Siedlung«, fügte ich hinzu. »Sie haben nicht einmal eine ganze Generation lang dort gelebt.«
Marvin nickte. »Ich habe viel nachgeforscht und einige Ausgrabungen unternommen. Daher kann ich die historischen deltanischen Wanderungsbewegungen inzwischen ziemlich genau nachzeichnen.«
Als ich seinen erwartungsvollen Blick bemerkte, bedeutete ich ihm mit einer kreisenden Handbewegung, dass ich gern mehr erfahren würde.
»Sie scheinen ursprünglich nicht aus diesem Gebiet zu stammen«, fuhr er fort. »Offenbar hat sich der vernunftbegabte Zweig der Deltaner vielmehr hier entwickelt …« Marvin ließ den Globus rotieren und deutete auf einen anderen Teil des Kontinents. »… und ist erst anschließend in das derzeitige Areal umgezogen.«
»Und an ihrer Geburtsstätte lebt heute niemand mehr? Wieso?«
»Das ist es, was ich nicht verstehe, Bob. Ich habe zwar zahlreiche Hinweise auf verlassene deltanische Siedlungen entdeckt, aber viel zu wenige Gräber angesichts der Bevölkerungsdichte, von der wir ausgehen müssen.«
»Raubtiere?«
»Das habe ich zuerst auch vermutet. Aber wenn das stimmt, hätte ich doch hier und da auf ihre sterblichen Überreste stoßen müssen. Du hast doch gesehen, was die Gorilloiden von ihren Mahlzeiten übrig lassen. Sie sind nicht gerade sehr gründliche Nahrungsverwerter.«
Ich betrachtete den Globus und strich mir nachdenklich über das Kinn. »Das ergibt alles keinen Sinn. Laut deinen Aufzeichnungen hat es im Ursprungsgebiet überhaupt keine Gorilloiden gegeben. Also haben die Deltaner einen vergleichsweise sicheren Lebensraum zugunsten eines gefährlicheren Gebiets aufgegeben.«
»Und sind anschließend aus diesem gefährlicheren Gebiet geflohen und in ein noch gefährlicheres abgewandert.« Marvin schüttelte ratlos den Kopf. »Sie sind keine Dummköpfe. Vielleicht ist ihre Intelligenz noch nicht ganz auf menschlichem Niveau, aber sie verhalten sich grundsätzlich vernünftig. Irgendetwas übersehen wir.«
Mit einem Schulterzucken versetzte ich den Globus in eine Kreiselbewegung. »Das ist rätselhaft, Marvin, und Bobs lieben Rätsel.« Wir grinsten uns an. »Das Wichtigste ist jedoch, dass sie hier viel sicherer sind als an dem Ort, wo wir sie gefunden haben. Die Deltaner haben sich in Camelot gut eingelebt. Es gibt hier genug Wild für sie, und die Gorilloiden begreifen allmählich, dass es besser ist, sie nicht länger zu jagen.«
»Du willst ihre Siedlung wirklich Camelot nennen?« Marvin sah mich vorwurfsvoll an. »Jedes Mal, wenn du das sagst, muss ich an die Ritter der Tafelrunde denken.«
Ich grinste ihn mit erhobenen Augenbrauen an. »Das wäre doch ein gutes Leitbild.«
Marvin verdrehte die Augen und hielt den Globus an. »Ich werde auf jeden Fall mit meinen Untersuchungen fortfahren, aber die Voraussetzungen hier sind nicht sehr günstig. Auf der Erde konnten die Forscher auf vorhandenem Wissen aufbauen, und sie erkundeten eine Welt, die sie verstanden. Hier auf Eden ist alles neu für uns.«
»Stimmt. Und trotzdem haben sie Jahre gebraucht, um zum Beispiel das Schicksal der Anasazi-Kultur zu ergründen.« Ich ließ mich zurücksinken und schüttelte den Kopf. »Ja, ich verstehe, Marvin. Und es freut mich, dass du dich diesem Projekt widmen willst. Als ich hier ankam, habe ich zwar ein paar erste Erkundungen angestellt, aber das war damals nicht das Wichtigste für mich.«
Schmunzelnd nickte Marvin mir zu und verschwand aus meiner VR.
2
Siedlungsgebiet
Howard – September 2188
Vulkan
In der Science-Fiction-Literatur war die Kolonisierung eines neuen Planeten immer ein Klacks gewesen. Na ja, so ganz stimmte das auch wieder nicht. Leicht hatten es die fiktiven Siedler nie gehabt, da ständig irgendetwas aus der Wildnis hervorbrach und die Kolonie gefährdete. Damit hatten die Geschichten den Nagel auf den Kopf getroffen. Zumindest in gewisser Weise.
Wenigstens platzte bei uns niemandem etwas aus der Brust. Der Versuch, eine menschliche Siedlung auf Vulkan zu errichten, war eher so, als würde man von Enten zu Tode gepickt werden. Riesengroßen Enten, wohlgemerkt. Mit Klauen und Zähnen. Milos Bestandsaufnahme des planetaren Lebens ließ wenig Zweifel daran, dass wir die Bauarbeiten durch Verteidigungsmaßnahmen absichern mussten, denn das hiesige Ökosystem war sehr artenreich und wettbewerbsorientiert.
Die Kolonistenschiffe Exodus-1 und Exodus-2 umkreisten Vulkan, und derzeit befanden sich die meisten Siedler aus der VSE-Enklave noch in Stasis und warteten darauf, dass die Landnahme-Teams einen Wohnort für sie bereitstellten. Tag und Nacht rodeten Bauarbeiter, Sicherheitsmannschaften und Ingenieure den Dschungel und errichteten Behausungen für die erste Welle menschlicher Pioniere.
Von den VSE-Siedlern wurde im Gegenzug erwartet, dass sie die zukünftigen Kolonistenschiffe unterstützen würden. Die Exodus-3 war nur wenige Monate nach uns aufgebrochen, und Riker fabrizierte unter Hochdruck weitere Schiffe, die ihnen nachfolgen sollten.
Dabei hatten wir doch jetzt schon mehr als genug Druck.
Fünf Tage nachdem die ersten Menschen den Fuß auf Vulkan gesetzt hatten, forderte der Planet sein erstes Opfer.
[Ich empfange eine Botschaft des Sicherheitschefs. Es hat einen Angriff gegeben.]
Ich bedeutete Guppy mit einem Nicken, dass ich ihn verstanden hatte. Dann verkleinerte ich das Überwachungsfenster, das vor mir in der Luft geschwebt hatte, und wies die KMIs an, allein weiterzumachen. Die meisten Arbeitsschritte beim Bau des Ackerland-Donuts in der Planetenumlaufbahn konnten sie auch ohne mich ausführen, und sie würden mir eine Textnachricht schicken, sobald sie auf ein Problem stießen, für das ihre Kompetenz nicht ausreichte.
Ich drehte mich im Stuhl herum und sah Guppy fragend an, aber das GUPPI-Interface, dessen Avatar Admiral Ackbar nachgebildet war, schien nicht geneigt, mich mit weiteren Informationen zu versorgen. Stattdessen blinzelte er mich bloß mit seinen großen Fischaugen an und wartete auf ein Kommando. Als ich schließlich aufgab und mit der Hand wedelte, schob er das Videofenster zu mir herüber.
Es zeigte den Leiter der Sicherheit, Stéphane Brodeur, der augenscheinlich gerade eine massive Adrenalinausschüttung erlebte. Seine Augen waren weit aufgerissen, ein Schweißfilm stand ihm auf der Stirn, und seine Nasenlöcher waren gebläht. »Wir wurden angegriffen«, platzte er heraus, sobald er mich sah. »Von den theropodenartigen Raubtieren, die wir als Raptoren eingestuft haben. An der nordwestlichen Ecke des Zauns.«
Brodeur sprach mit einem ausgeprägten Quebec-Akzent, und ich fragte mich, wie er wohl einen Platz in der VSE-Kolonie ergattert hatte. Doch das war jetzt irrelevant. Rasch erhöhte ich meine Wahrnehmungsrate, bis alles um mich herum in Zeitlupe zu geschehen schien, und schickte ein paar Drohnen zu der Stelle, wo der Zaun errichtet wurde, ehe ich gleich darauf wieder in die Echtzeit zurückkehrte. Für einen Menschen war die eine Millisekunde lange Unterbrechung meines Bildes nicht zu bemerken gewesen. »Opfer?«
»Eines.«
»Tot?«
»Nein, aber der Lack muss ausgebessert werden.« Brodeur grinste mich an. Als er meinen neugierigen Blick bemerkte, fuhr er fort: »Ein paar Raptoren haben einen Bagger attackiert. Wir haben die meisten dieser Viecher getötet, und der Rest ist abgehauen. Einen der Kadaver haben wir Dr. Sheehy zur Autopsie geschickt.«
»Und was kann ich jetzt noch tun?«
Der Sicherheitschef schüttelte den Kopf. »Was diesen speziellen Angriff anbelangt, ist alles erledigt. Die Schäden werden behoben, und um die Angreifer haben wir uns auch gekümmert. Es wäre allerdings gut, wenn Sie irgendein Überwachungssystem installieren könnten.«
Ein nachvollziehbarer Wunsch. Ich nickte nachdenklich. »Ich habe ein paar Drohnen, denen ich diese Aufgabe jetzt gleich übertragen kann, Mr. Brodeur. Allerdings sind sie für diesen Zweck nicht optimal geeignet. Bill feilt in Epsilon Eridani mittlerweile schon seit ein paar Jahrzehnten an Überwachungs- und Erkundungsdrohnen herum. Ich lasse mir von ihm ein paar Pläne geben und werde etwas Geeignetes drucken. Dafür werde ich allerdings ein oder zwei Wochen brauchen. Können Sie so lange durchhalten?«
»Ich frage den Bauleiter, ob wir ein paar Arbeiten hintanstellen können, bis Sie fertig sind. Im Moment müssten wir unser Personal zu weitflächig verteilen.«
»Machen Sie das, Mr. Brodeur. Ich halte Sie auf dem Laufenden.«
Unmittelbar nachdem ich die Verbindung unterbrochen hatte, schickte ich Bill eine E-Mail und bat ihn um Informationen zu seinen Überwachungsdrohnen. Eigentlich hatte er sie für die Erkundung neuer Systeme entwickelt, aber sie würden sich für unsere Erfordernisse genauso gut eignen.
Als meine Drohnen beim halbfertigen Zaun eintrafen, wimmelte es dort noch immer von Sicherheitspersonal. Die Erde war feucht von Blut, das zum Glück jedoch von den Raptoren stammte. Am Rande des Geschehens stand ein sehr traurig aussehender Bagger, dessen leuchtendgelber Lack von langen Kratzern verunziert war. Ich fragte mich, ob seine KMI-Steuereinheit wohl eine Therapie benötigen würde.
Ein Trupp Arbeiter hievte mehrere Vogelkadaver auf die Ladeflächen von Transportlastwagen. Die Tiere glichen den Velociraptoren aus Jurassic Park so sehr, dass ihr Anblick jedem, der diesen Film kannte, unweigerlich Albträume bereiten musste. Doch anstelle der stiftförmigen Zähne im Maul jener irdischen Saurier besaßen diese Fleischfresser ein Gebiss, das an Haie erinnerte – dreieckige Hauer, gezackt und scharf wie Rasierklingen. Bislang hatten noch nicht mal unsere Automatikgewehre ihre Freude über das neu aufgetauchte Nahrungsangebot bremsen können.
Ich entdeckte Chief Brodeur, der die Aufräumarbeiten überwachte, und schwebte zu ihm hinüber.
Als die Drohne sich näherte, wandte er sich um und grinste. »Ich darf gar nicht daran denken, dass ich für das hier einen Schreibtischjob abgelehnt habe.«
Ich lachte. »Willkommen im Grenzland. Haben Sie sie alle erwischt?«
»Nein, zwei von ihnen haben wir entkommen lassen, damit sie ihre Freunde mit ihrer Furcht vor Menschen anstecken.«
»Meinen Sie, das funktioniert?«
Chief Brodeur lachte und schüttelte den Kopf. »Heute Nachmittag habe ich eine Unterredung mit dem Colonel. Vielleicht können Sie auch daran teilnehmen.«
»Er hat mich bereits dazu eingeladen, Mr. Brodeur. Wir sehen uns dann dort.«
Der Leiter der Sicherheit nickte der Drohne knapp zu und unterstützte dann seine Leute wieder bei der Arbeit. Ich nutzte die Gelegenheit, um die Baufortschritte zu begutachten.
Um ein Drittel der geplanten Stadt erstreckte sich ein fünf Meter hoher Zaun, der aus einheimischem Holz und Metall gefertigt war. Die vulkanischen Bäume waren ihren irdischen Pendants so ähnlich, dass die Bautrupps sie mit relativ geringem Aufwand bearbeiten konnten. Um die Sicherheit zusätzlich zu erhöhen, waren die Bäume in einem Streifen unmittelbar um den Zaun herum gerodet worden. Ich war mir nicht sicher, ob der Zaun hoch genug war, um die Brontos abzuhalten, aber niemand hatte mich nach meiner Meinung gefragt. Allerdings waren die Brontos wenigstens nicht auf Fleisch aus und würden höchstens aus Versehen auf Menschen treten.
Im Westen zeigte sich Vulkans Nachbarplanet Romulus am Himmel. Seine Wolkendecke und die Meere waren deutlich zu erkennen. Wenn die Exodus-3 eintraf, würden sich dort die Passagiere von der FAITH- und der Spitzbergen-Enklave niederlassen. Sobald die FAITH-Kolonie den Betrieb aufnahm, würde das Leben hier mit Sicherheit sehr interessant werden. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass neunzehn Jahre Stasis aus Pastor Cranston einen anderen Menschen machen würden. Der Führer der FAITH war von Haus aus alles andere als ein geselliger Typ, und sein Verhältnis zu den Bobs war von gegenseitigem Hass geprägt.
Ich ließ eine Drohne ein paar Hundert Meter weit aufsteigen und Kreisbahnen fliegen, um das Gelände nach Anzeichen von einheimischem Leben abzusuchen. Dabei stellte ich fest, dass in der näheren Umgebung keine weiteren Tiere lauerten, was vermutlich am Lärm der Automatikwaffen lag.
Da sich die Lage anscheinend beruhigt hatte, machten sich alle wieder an die Arbeit. Ich verließ die Drohne und kehrte in meine VR zurück. Seufzend rieb ich mir die Stirn. Manchmal vermisste ich es, ein Drittel des Tages zu verschlafen. Diese Auszeit von der Realität hatte sich als sehr angenehm erwiesen.
»Guppy, wir müssen die Arbeitspläne der Drucker anpassen.«
Guppy erschien und wartete stumm auf weitere Informationen. Während ich ihn ansah, überlegte ich, ob ich ihm ein anderes Äußeres verpassen sollte. Aber mir fiel nichts ein, und außerdem hatte sich dieser Admiral-Ackbar-Avatar bei den Bobs inzwischen zu einer Art Tradition entwickelt.
»Wir brauchen mehr Überwachungsdrohnen.«
[Sämtliche Druckergruppen sind derzeit mit der Fertigung von Bauteilen für die Orbitalfarmen beschäftigt. Möchten Sie diesen Prozess zurückfahren?]
»Hmm, nein, eigentlich nicht. Na gut, setz die Hälfte der Drucker auf die Drohnen an, und lass sie vier komplette Geschwader produzieren. Danach sollen sie wieder an den Ackerland-Donuts weiterarbeiten.«
[Aye.]
Guppy begab sich in den Kommandomodus und programmierte die 3-D-Drucker neu. Unterdessen wandte ich mich erneut zu den Videofenstern meiner aktiven Drohnen um. Obwohl ich wie gewünscht nun weitere Drohnen fabrizierte, beschlich mich das ungute Gefühl, dass ein paar Siedler ihr Leben verlieren würden, bevor der Zaun in Gänze errichtet war.
»Guten Tag, Colonel.« Im Videofenster war Colonel Butterworth zu sehen, der wie stets in einer tadellosen und völlig faltenfreien Uniform steckte. Ich fragte mich, wie er das hinbekam.
»Guten Morgen, Howard.« Er nickte meinem Abbild auf seinem Schreibtischtelefon zu. »Schön, Sie zu sehen. Ich habe vom heutigen Angriff gehört.«
Ich war überrascht, da ich mich nicht daran erinnern konnte, dass Riker auf der Erde jemals so freundlich von Colonel Butterworth begrüßt worden war, und ich war mir nicht sicher, ob ich das als Beleidigung für Riker auffassen oder mich darüber freuen sollte.
Der Führer der VSE-Enklave und Riker waren einander vom ersten Tag an nicht grün gewesen. Natürlich teilte ich alle diesbezüglichen Erinnerungen von Riker, bis zu dem Moment, als er mich geklont hatte. Butterworth als penetrant zu bezeichnen wäre eine klare Untertreibung gewesen, aber man musste ihm zugutehalten, dass er sich stets professionell verhielt.
Ich beschloss, mir deswegen keine weiteren Gedanken zu machen. Damals hatten andere Umstände geherrscht, und außerdem war ich nun mal nicht Riker.
»Ja, aber beim nächsten Mal werden wir nicht mehr so glimpflich davonkommen«, entgegnete ich. »Die Raptoren sind nicht dumm, und es wird ihnen sicher noch dämmern, dass Bagger nicht essbar sind. Wenn sie gut zwischen verschiedenen Farben unterscheiden können – wovon wir ausgehen müssen –, werden sie Leuchtendgelb schon bald mit ungenießbar und harte Schale verbinden und sich stattdessen auf die saftig weichen Zweibeiner konzentrieren.«
Butterworth schnaubte. »Ich habe gesehen, welche vorläufige Strategie Sie mit den Drohnen verfolgen, und ich lese gerade Ihre Planung für Beobachtungs- und Überwachungssysteme. Das sieht alles schlüssig aus. Ich hätte noch ein paar kleinere zusätzliche Vorschläge, mit denen wir uns befassen können, wann immer es Ihnen passt.«
Ich nickte wortlos. Die Vorschläge des Colonels waren unter Garantie keine schlechten, und ich würde sie mit hoher Wahrscheinlichkeit aufgreifen. »Wo ist denn Mr. Brodeur? Sollte er nicht ebenfalls hier sein?«
»Ja, so war es geplant.« Der Colonel zuckte mit den Schultern. »Aber es ist etwas dazwischengekommen. Ich informiere ihn in einem gesonderten Termin und rufe Sie dazu, falls sich dabei weiterer Diskussionsbedarf ergibt.«
Ich nickte und blickte über die Schulter des Colonels auf die Risszeichnung der geplanten Stadt, die hinter ihm an der Wand hing. Ich deutete mit dem Kinn darauf. »Ganz schön veraltete Technik, so ein Papierplakat, meinen Sie nicht?«
»Ausdrucke haben nach wie vor ihre Berechtigung, Howard. Dieses Plakat ist viel größer als ein Bild auf einem Tablet-Bildschirm, und ich kann darauf Notizen mit einem Farbstift unterbringen. Natürlich fotografiere ich es auch regelmäßig.« Der Colonel lächelte mich auf gewohnt humorlose Art an. »Übrigens stehen wir kurz davor, die Agrarexperten aus der Stasis zu holen. Laut Mr. Brodeur wird das Ackerland innerhalb der nächsten Woche umzäunt sein.«
»Gut. Ernie und Bert können es kaum erwarten, endlich alle von Bord zu bekommen.«
Butterworth verzog das Gesicht, als ich die beiden Bobs auf den Kolonistenschiffen erwähnte. Schwer zu sagen, was ich lustiger fand – dass er sich so sehr an ihrer Namenswahl störte oder die Anspielung überhaupt verstand.
»In ungefähr einem Monat können wir diesen Schritt mit gutem Gewissen wagen, Howard.« Der Colonel streckte die Hand nach etwas aus, was außerhalb des Bildausschnitts lag. »Wenn Exodus-1 und Exodus-2 wieder bei der Erde sind, hat inzwischen vielleicht auch schon jemand ein weiteres bewohnbares System entdeckt, und sie können damit aufhören, die Leute zu uns zu transportieren.« Mit diesen Worten beendete er, ohne meine Antwort abzuwarten, das Gespräch.