Diana Schwarz | Frauke Ludwig
BABY BASICS
Alles, was ihr über euer Baby wissen solltet
Ein Einfach Eltern®-Buch
Kösel
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
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Copyright © 2018 Kösel-Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Juke Oldenburg
Illustrationen: Bettina Kammerer
Comics: Sören Jahnke, © EinfachEltern® Herstellung und Gestaltung: Heidi Nübling Umschlag: Weiss Werkstatt München Umschlagmotiv: DONOT6_STUDIO/shutterstock
ISBN 978-3-641-22421-9
V002
www.koesel.de
INHALT
Vorwort von Susanne Mierau
Wie alles begann
Diana Schwarz
Frauke Ludwig
Du bist nicht allein! Oder: Wie Einfach Eltern® entstand
Erziehung im Wandel
Bindung, Beziehung und Erziehung
Das Verwöhngespenst
Erziehung mit Herz und Hirn
Bindung – Was ist das überhaupt?
Macht eine starke Bindung unselbstständig?
Wollen Babys mit ihrem Weinen uns Eltern manipulieren?
Wie lernen Kinder, sich selbst zu beruhigen?
Grenzen, Regeln, Strafen oder Konsequenzen?
»Experten«-Bullshit: Woher kommt’s?
Baby Basics
Tja, … und nun?
Tragen – »Auf den Arm!«
Geschichte vom Tragen und Nichttragen
Tragling – oder: Wir sind weder Welpen noch Fohlen!
Mein Baby lässt sich nicht ablegen
Blockaden und KISS-Syndrom
Wie und womit tragen?
Objektpermanenz
Wie SINNvoll!
Psychologische Aspekte des Tragens und Getragen-Werdens
Physiologische Aspekte des Tragens und Getragen-Werdens
Tragen – Tipps für den Alltag
»Experten«-Bullshit: Woher kommt’s?
Baby Basics
Tja, … und nun?
Schlaf, Baby, schlaf doch endlich!
Schläft es denn schon durch?
Wie schlafen Babys?
Warum schläft es nicht allein ein?
Einsam oder gemeinsam?
Was sind Schlaflernprogramme?
Konsequenzen von Schlaflernprogrammen
Sichere Schlafumgebung
Nachts stillen – eine schlechte Angewohnheit?
Ich bin so erschöpft, ich kann nicht mehr …
Ein Fazit zum kindlichen Schlafverhalten
»Experten«-Bullshit: Woher kommt’s?
Baby Basics
Tja, … und nun?
Die Milch macht’s
Stillen oder nicht?
Stillen oder Flasche, ist das nicht egal?
Hat Stillen auch Vorteile für die Mutter?
Tut Stillen weh?
Woran liegt es, wenn ich nicht stillen kann?
Woran erkennt man, dass ein Baby Hunger hat?
Habe ich genug Milch?
Das Baby weint so viel! Wird es nicht satt?
Stillst du schon wieder? Du verwöhnst das Baby!
Wie lange stillt man ein Baby?
Braucht mein Baby etwas anderes als Milch?
Ist es in Ordnung, das Baby in den Schlaf zu stillen?
Ich würde so gerne mal wieder ausgehen
Beeinflusst das Stillen die Vater-Kind-Beziehung?
Hilfe! Habe ich einen Milchstau?
Gibt es Lebensmittel, die man in der Stillzeit meiden sollte?
Abstillen: Wann, wie und warum (nicht)?
Große Brüste, kleine Brüste, Hängebrüste?
Tipps zur Fütterung mit dem Fläschchen
Die Geschichte vom Stillen und Nichtstillen
»Experten«-Bullshit: Woher kommt’s?
Baby Basics
Tja, … und nun?
Einfach essen – Beikost
Beikost – Ist es wirklich so kompliziert?
Beikost = BReikost?
Beikoststart – Was ist zu beachten?
Fingerfood fürs Baby: Baby-led Weaning
Also brauchen Babys keinen Brei?
Kann das Baby an stückigem Essen ersticken?
Ab wann ist das Baby beikostreif?
Die Beikostreifezeichen
Müssen ab dem sechsten Monat Milchmahlzeiten ersetzt werden?
Mein Kind will nicht essen
»Experten«-Bullshit: Woher kommt’s?
Baby Basics
Tja, … und nun?
Talk to me – Kommunikation
Wie Babys kommunizieren
Dunstan Baby Language
Gebärden mit Babys
Kritische Stimmen und positive Erfahrungen
Baby Basics
Tja, … und nun?
Ein Wort zum Schluss
Anhang
Erlebe selbst, wie es ist! Einfach zwanzig Tage – Die Challenge
Diana sagt danke
Frauke sagt danke
Gemeinsamer Dank
Anmerkungen
Bildnachweis
VORWORT VON SUSANNE MIERAU
Als Eltern haben wir es manchmal nicht leicht: Wir wollen das Beste für unsere Kinder, aber wie wir das schaffen, ist am Anfang des Familienlebens oft nicht so klar. Denn neben dem Wunsch, unsere Kinder so gut wie nur möglich zu umsorgen, spielen noch viele andere Faktoren in die Elternschaft hinein.
Natürlich gibt es die individuellen Rahmenbedingungen einer jeden Familie. Dazu aber wirken auch gesellschaftliche Vorgaben und Erziehungsmethoden, die wir in der eigenen Kindheit erlebt haben und die hier und da in unseren Gedanken wieder auftauchen oder uns ganz konkret durch Empfehlungen von Familienangehörigen begegnen. Ammenmärchen, die heute noch verbreitet werden und auf die wir auch an modernen Orten wie in Facebook-Gruppen stoßen, verunsichern auf dem ohnehin noch ungewissen Weg.
Selbst die wissenschaftlichen Studien, die wir vorgelegt bekommen, weisen nicht selten in ganz verschiedene Richtungen: Familienbett ist gut – Familienbett ist schlecht; lange Stillen ist gut – lange Stillen ist schlecht. Die Liste dieser gegenläufigen Meinungen lässt sich nahezu unendlich fortsetzen, vom Babyschlaf über Ernährung bis hin zum allgemeinen Erziehungsansatz.
Eltern tut es aber gerade gut, in der so unbeständigen und unübersichtlichen Anfangszeit an die Hand genommen zu werden und in dem scheinbar grenzenlosen neuen Themenfeld des Familienlebens Orientierung zu bekommen. Sie brauchen Menschen, die sie begleiten, anstatt starr zu führen, und die die Bereitschaft mitbringen, offen zu sein und Informationen zu vermitteln – und nicht eigene Ideen und Erfahrungen durchsetzen zu wollen. So gelingt es den Eltern, für ihre Familie passende Entscheidungen zu treffen.
Um eine gute Bindung zwischen Eltern und Kind herzustellen, braucht es gar keine bestimmten Patentrezepte, sondern Verständnis: Eltern müssen lernen, die Bedürfnisse ihrer Kinder zu verstehen und für die jeweilige Familie gute Lösungsstrategien zu finden. Die Bedürfnisse von Kindern, die erfüllt werden wollen, sind dabei immer wieder gleich, auch wenn unsere Antworten in jeder Familie anders aussehen können: Das Bedürfnis nach sicherem Schlaf für die Kleinsten kann im Familienbett ebenso gestillt werden wie im Beistellbett oder in einem Kinderbett im Elternschlafzimmer – drei verschiedene Antworten auf ein Bedürfnis, das alle Babys gleichermaßen mitbringen.
Was Eltern also wirklich brauchen für einen guten Start mit ihrem Kind, ist das Wissen um die Basis der Bedürfnisse unserer Babys: Baby Basics. Haben Eltern verstanden, nach welchen Bedürfnissen sich alle Babys ausrichten, lassen sich diese Informationen auf das gesamte Familienleben und die vielen zukünftigen Jahre der Elternschaft übertragen. Eltern müssen keine Babyflüsterer werden, sondern Babyversteher und -versteherinnen: Mit Verständnis lässt sich der gesamte Familienalltag organisieren und harmonisch für alle Beteiligten gestalten. Und darum ist Baby Basics ist wie ein Crashkurs für das Babyverstehen: Aktuelle Fakten werden alten Ammenmärchen gegenübergestellt, »Experten«-Bullshit wird enttarnt und der Weg dafür bereitet, Babys von Anfang an in ihren Bedürfnissen zu sehen und anzunehmen. Denn die Basis für den richtigen Umgang mit Babys ist eigentlich ganz einfach – wenn wir sie kennen.
WIE ALLES BEGANN
DIANA SCHWARZ
Kaum ist das Baby da, ist die Welt voller Fragen! Nun, eigentlich ist das ja schon in der Schwangerschaft so, wenn man es genau nimmt. Ich jedenfalls habe jeden Zwick und jeden Zwack gegoogelt und all diese Größenvergleiche – jetzt ist das Baby so groß wie ein Reiskorn, wenig später dann wie ein Gummibärchen – mit meinem Bauchzwerg geliebt. Ich habe geshoppt! Und was ich nicht alles für das Baby brauchte. Ich war perfekt vorbereitet auf das, was da kommen mag. Ich hatte eine Wickelkommode und ein Babybett. Ich hatte einen teuren Kinderwagen und so ein »Trageding«. Ich hatte eine Badewanne mit einem Thermometer und unzählige Babyklamotten vom Flohmarkt. Natürlich habe ich die alle gewaschen und zusammengelegt. Das erste Mal in meinem Leben habe ich die Wäsche mit Liebe gemacht. Wie gesagt, ich war perfekt vorbereitet.
Dann kam Kind eins …
… und irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt. Die Geburt startete NICHT mit einem Blasensprung, so wie man das immer im Kino sieht. Im Krankenhaus wurden wir ständig in verschiedenen Zimmern allein gelassen. Unter Presswehen mit wehendem Flügelhemdchen ging es in einer Wehenpause endlich in den Kreißsaal, und dann hielt ich das verknitterte kleine Bündel in meinen Händen. Meine Güte, war ich stolz! Mir war nicht klar, dass es ab jetzt erst so richtig kompliziert werden würde.
Ist mein Kind kaputt?
All meine Errungenschaften wurden von der kleinen Maus verschmäht! Nucki? Fehlanzeige! Kinderwagen? Nicht dran zu denken. Auf Toilette gehen? Nicht ohne meine Tochter! Duschen? Utopisch. Wo war meine Autonomie plötzlich hin? Warum ließ sich dieses Baby nicht mit einem Schnulli beruhigen? Warum, verdammt noch mal, ließ es sich nicht ablegen, ohne nach spätestens zwanzig Minuten aufzuschrecken und nach mir »zu rufen«? Wie sollte ich denn so bitte schön meinen Alltag schaffen? Das hatte mir so keiner erzählt. Ich überlegte schon, ob mein Baby kaputt ist!
Doch dann fing ich an zu lesen. Bücher über Bücher habe ich verschlungen, und mir wurde immer klarer, dass mein Baby perfekt und unglaublich kompetent ist! Meine Erwartungen allerdings waren so unrealistisch, weil sie von dem geprägt waren, was ich immer wieder in irgendwelchen Filmen und Serien gesehen hatte. Um diese Erwartungen zu erfüllen, hätte meine Tochter Batman zum Vater haben müssen. Und das war ja nun mal nicht der Fall … Nein, liebe Hollywood-Produzenten, das dürft ihr mir glauben: weder als Beziehungs- noch als Elternratgeber sind eure Werke zu gebrauchen.
FRAUKE LUDWIG
Während meiner Schwangerschaft mit Marlene hatte ich keinen Schimmer, wie es wirklich werden würde. Wie Diana hatte auch ich alles gekauft, was ich eventuell brauchen würde. Der Stubenwagen, in dem schon mein Bruder und auch der Rest der Familie gelegen hatte, wurde umständlich Hunderte von Kilometern quer durch Deutschland gefahren. Ich stellte es mir doch so romantisch vor, wie mein Baby selig darin schlummern würde. Unzählige Kliniken sah ich mir an und besuchte Info-Abende mit Kreißsaalführungen. Während der Schwangerschaft machte ich alles mit, was mir empfohlen wurde, inklusive 3D-Ultraschall und Akupunktur. Die Untersuchungen bei der Hebamme empfand ich als wenig interessant, da ich mein Baby ja gar nicht auf dem Monitor sehen konnte. Ich werde auch nie vergessen, dass ich meine damalige Arbeitskollegin als völlig schräg und fast verantwortungslos abtat, als sie mir von ihrer Hausgeburt vorschwärmte. Wie konnte man nur ohne direkt angeschlossene Kinderklinik-Notfall-Option sein Baby bekommen?
Dann kam Marlene
Die Geburt war leider nicht schön. Ich weiß, dass es unzählige Frauen noch schlimmer getroffen hat und jeden Tag trifft, dennoch bin ich traurig, denn es hätte eine schöne Geburt sein können. Wäre ich zu Hause geblieben oder hätte ich mich um eine Beleghebamme oder Doula gekümmert – hätte ich mich besser vorbereitet und hätte ich mehr gewusst, müsste ich jetzt nicht traurig sein über diese verpasste Chance einer schönen Geburt. Das weiß ich heute, denn mein zweites Baby – Pauline – kam zu Hause zur Welt. Aber zurück zu meiner Marlene. Sie war endlich da und mit ihr wurde alles anders als vorher gedacht. Mir war nicht klar, dass man ein Baby nur ein Mal am Tag stillen würde – dafür aber ohne Pause. Ich glaube immer noch, dass ich die ersten drei Monate durchgehend das kleine Baby an der Brust hatte. Sie weinen zu lassen, war für mich nie eine Option, also wuchs ich in mein unerwartetes Leben mit einem Steinzeitbaby hinein. Und auch ich begann zu lesen – und zwar alles, was mir in die Hände kam und sich gut anfühlte. Im Endeffekt waren es die gleichen Bücher, die auch Diana las. Das sollten wir aber erst ein Jahr später herausfinden.
DU BIST NICHT ALLEIN! ODER: WIE EINFACHELTERN® ENTSTAND
Was hat das alles mit diesem Buch zu tun? Die Erfahrungen, die wir in unserer Arbeit als Still- und Trageberaterinnen mit den Eltern machen, haben gezeigt, dass wir mit unseren Erlebnissen nicht allein sind. Fast alle Eltern haben vor der Geburt ihres ersten Kindes andere Erwartungen, und die Realität trifft sie ziemlich hart. Empfohlene Stillabstände, die Angst vor dem Verwöhnen, die Sorge, dass das Baby zum Tragen noch zu klein ist, der Rat der Schwiegermutter, das Baby solle besser lernen, sich selbst zu beruhigen und auf jeden Fall alleine schlafen – Empfehlungen und Ratschläge dieser Art, die von allen Seiten auf die frischgebackenen Eltern einprasseln, tun ihr Übriges. Deutlich wird dabei, dass nicht unsere Babys das Problem sind. Wir wissen nur zu wenig über sie und verstehen sie daher oft nicht richtig. Wir interpretieren so vieles ganz anders, als unsere Kinder es meinen, und unterstellen ihnen manchmal sogar kleine Gemeinheiten, während sie eigentlich nur unsere Hilfe brauchen. Doch woher kommt das?
ERZIEHUNG IM WANDEL
Erziehung hat sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verändert. Besonders das letzte Jahrhundert, in dem wir in diesem Land zwei Kriege überstehen mussten, hat unsere Eltern und Großeltern stark geprägt. Erziehung war eine ernste Angelegenheit, und die meisten von uns haben ein kleines oder großes Päckchen davon mitgenommen, das uns heute noch weise Ratschläge für unsere Kinder vermitteln möchte. Doch dieses »Päckchen« tarnt sich leider gern als unser Bauchgefühl und ist im Grunde doch nichts anderes als die eigene Erziehung.
So, und nun endlich zum Buch.
So vieles, das in diesem Buch steht, ist den meisten Menschen in unserer Gesellschaft gar nicht klar, da Hollywood uns ein völlig anderes Bild vermittelt. Die Sippe, bei der wir uns normalerweise hätten abgucken können, wie das Leben mit Kind(ern) funktioniert, gibt es nicht mehr, und wir verlassen uns auf das, was uns die Medien suggerieren. Wir möchten dich mitnehmen auf eine spannende Reise, denn die Säuglings-, Bindungs- und Hirnforschung war in den letzten Jahrzehnten fleißig, und es gibt bahnbrechende Erkenntnisse über diese kleinen Menschenkinder, die uns den Alltag oft so chaotisch gestalten. All diese Dinge findet ihr hier in diesem Buch. Wir klären viele Ammenmärchen auf, gegen die wir uns selbst so oft wehren mussten. Wir versuchen so einfach wie möglich – aber stets wissenschaftlich belegt – zu erklären, warum hinter vielen Erziehungsmythen mehr Aberglaube als Wissen steckt. Wir versuchen, dir den Alltag mit dem Baby zu vereinfachen, so wie wir es in den BabySteps®-Kursen von Einfach Eltern® tun. Die eine oder andere Information wird dich vielleicht hart treffen oder gar empören, aber keine Sorge, du musst nichts verändern, was du nicht ändern möchtest. Wir möchten dich lediglich informieren und alternative Wege aufzeigen. Niemand muss diese gehen, du hast immer die Wahl. Aber wir sind uns sicher, dass dieses Buch einige Aha-Effekte enthält, die dir helfen können, dein Baby besser zu verstehen und gleichzeitig deinen Alltag entspannter zu gestalten.
Lies bedürfnisorientiert
Das Kapitel über Erziehung und Bindung ist die Grundlage, auf der alles, aber wirklich alles andere aufbaut, daher steht es auch am Anfang dieses Buches. Es empfiehlt sich, dieses Kapitel zuerst zu lesen, denn es ist eine Orientierungshilfe für das Betriebssystem deines Babys. Danach kannst du ganz nach Belieben switchen und überall dort lesen, wo du etwas findest, was gerade interessant für dich ist.
Kaum ist das Baby auf der Welt, prasseln sie auf uns ein, die »guten« und vor allem alten Ammenmärchen rund um die Kindererziehung.
Wie Menschenbabys wirklich funktionieren, ist uns in der Regel nicht bekannt, und doch haben wir instinktiv eine Ahnung davon, was unser Baby braucht. Wir möchten auf sein Weinen reagieren, es hochnehmen und trösten. Leider verunsichern uns die Medien und die »ultimativen« Tipps unserer Mitmenschen bezüglich der Erziehung unseres Kindes enorm und wir werden unsicher. Schwiegermütter, Nachbarn, Freunde mit Kindern – und gerne auch die ohne Kinder – sparen nicht mit sehr eindringlichen Ratschlägen für uns. Viele Menschen mischen sich ein, und oft passen diese Hinweise so gar nicht zu dem, wie wir gerne mit unserem Baby umgehen möchten.
DAS VERWÖHNGESPENST
»Schreien stärkt die Lungen«, »Lass es ruhig mal weinen, das meckert ja nur«, »Wenn du jetzt springst, dann merkt es sich das!«, »Der hat dich aber ganz schön im Griff«, »Neue Milch auf alte Milch macht Bauchweh«, »Der braucht aber auch mal was Richtiges zu essen«, »Trag ihn nicht so viel, da gewöhnt er sich noch dran«, »Ist ja auch kein Wunder, dass euer Kind immer noch nicht durchschläft, wenn es nachts immer noch gestillt wird«. Nicht selten hört man Sätze wie diese sogar von »Experten« wie beispielsweise Kinderärzten.
Die Angst vor dem Verwöhngespenst ist groß und zieht sich durch alle Bereiche der Entwicklung. Doch diese Sorge ist ungefähr so zeitgemäß wie die Behauptung, dass die Erde eine Scheibe ist und die Sonne sich um die Erde dreht. All diese Mythen wurden längst erforscht, aufgeklärt und widerlegt. Und genau diese neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse sind leider noch nicht bei all den Schwiegermüttern und Nachbarn angekommen. Daher sind sie auch immer so verdutzt, wenn wir es so ganz anders machen als früher und unser Baby einfach auf den Arm nehmen, wenn es weint.
Keine Absicht
Die allermeisten Eltern vergangener Generationen haben ihre Form der Erziehung so gewählt, wie es zu der jeweiligen Zeit üblich war. Und dabei hatten sie sicherlich immer die besten Absichten, nicht die schlimmsten. Dies ist ein ganz wichtiger Punkt, da sich auch unser Blick auf die (Schwieger-)Eltern verändern kann, wenn wir das berücksichtigen. Sie selbst sind vermutlich nicht wirklich in einer wertschätzenden oder liebevollen Umgebung groß geworden! In all den besorgten Erwachsenen, die sich heute in die Erziehung unserer Kinder einmischen wollen, stecken so viele traurige innere Kinder, die man besser viel öfter gekuschelt und getröstet hätte. Seid daher nachsichtig mit denen, die es anders machen, auch sie wollen eigentlich nur das Beste für die Kinder.
Von Ammenmärchen und Nazipropaganda
Den Ursprung haben fast alle Erziehungsmythen in einer Zeit, in der die Wissenschaft sich noch nicht so intensiv mit Babys und Kindern beschäftigt hat. Lange behandelte man sie wie kleine Erwachsene, die sich dann aber leider nicht entsprechend benahmen.
Im Dritten Reich war Erziehung nicht mehr nur Privatsache, sondern Staatsangelegenheit. Faschismus, Härte und Führerkult waren an der Tagesordnung, und Erziehungsratgeber wie Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind von Johanna Haarer sorgten schon zu Beginn des kleinen Lebens für den Verlust der Bindungsqualität. Angepriesen wurde diese Erziehung natürlich als die beste, und die Angst vor dem Tyrannen machte die Manipulation der Eltern zum Kinderspiel.
Aber diese Zeiten sind doch schon lange vorbei
Der Bestseller von Johanna Haarer wurde 1945, nach Beendigung des Krieges, nicht automatisch vom Markt genommen. Lediglich die faschistoiden Inhalte wurden gestrichen, aber der Rest blieb unverändert und wurde bis in die 1980er-Jahre unter dem Namen Die Mutter und ihr erstes Kind erfolgreich verlegt. Man darf nicht vergessen, dass es zu dieser Zeit für Eltern nicht viele Möglichkeiten gab, sich zu informieren. Diese Art der Ratgeber-Literatur und auch dieser spezielle Blick auf Kinder hält sich bis heute hartnäckig in allen Schichten der Gesellschaft, dabei wissen wir längst so viel mehr über Kinderentwicklung. Da aber all diese Propaganda-Ammenmärchen uns auch heute noch stark beeinflussen und immer noch Angst und Unsicherheit in uns hervorrufen, möchten wir in diesem Buch aufzeigen, was die Wissenschaft mittlerweile alles über uns Menschen herausgefunden hat. Die Erde ist keine Scheibe, das wissen wir heute – doch wie lange wurde genau dies geglaubt und unerbittlich als Wahrheit verfochten? Nicht anders sieht es auch bei den Mythen rund um die Kindererziehung aus. Es sind Erklärungsversuche und Propaganda, welche wir in den meisten Diktaturen finden, die als einziges Ziel den gehorsamen Soldaten hatten und haben. Auszüge aus Ratgebern dieser vergangenen Zeit findest du am Ende eines jeden Kapitels in unserem »Experten«-Bullshit.
Die beste Waffe gegen Angst und Sorgen ist das Wissen!
Warum sind Babys so, wie sie sind, und warum ist das auch genau richtig? Wir haben uns vorgenommen, in diesem Buch aufzuzeigen, wie Babys funktionieren. Wann es Kindern beispielsweise im Hinblick auf ihre Hirnreife überhaupt möglich ist, uns bewusst auf die Palme zu bringen und wie lange wir vergeblich darauf warten können, dass Kinder es schaffen, sich allein wieder zu beruhigen. Wir möchten dir die Angst nehmen, dein Baby zu verwöhnen und dich in die Lage versetzen, eine informierte Entscheidung für euch treffen zu können. Welchen Weg ihr als Eltern auch gehen wollt, er muss zur Familiensituation passen, aber im besten Falle auch die Bedürfnisse des Kindes einbeziehen.
Sorry – not sorry!
Möglicherweise geben wir dir immer mal wieder die ein oder andere Information an die Hand, die neu und anders ist als alles, was du bislang über Babys und Erziehung gehört hast. Diese Informationen werden dich möglicherweise dazu bringen, Dinge zu überdenken und eventuell Entscheidungen zu treffen, die dir im ersten Moment sehr anstrengend erscheinen, die aber für das spätere Glück deines Kindes von sehr großer Bedeutung sein können. Wir wünschen uns, dass du später keine deiner Entscheidungen bereuen musst, weil dir wichtige Informationen fehlten. Wir möchten dir helfen, Sätze wie »Hätte ich das mal vorher gewusst« zu vermeiden. Welche Entscheidung du mit deinem Wissen triffst, ist deine ganz individuelle Angelegenheit.
Burger oder Obst?
Niemand wird sauer, wenn wir ihm sagen, dass Obst gesünder ist als Chips. Die meisten Menschen wissen das und greifen trotzdem zu Burger, Pommes und Co. – sie tun dies aber informiert, bewusst und reflektiert. Bei der Erziehung oder Begleitung unserer Kinder hingegen sind wir oft und schnell beleidigt, sauer oder sogar wütend, wenn uns jemand mitteilt, dass es vermutlich nicht ganz der goldene Weg ist, den wir gerade gehen. Wir hoffen daher, dass alle Informationen in diesem Buch dir dabei helfen, deinen bzw. euren Weg als Familie ganz bewusst mit allen Abbiegungen und Umwegen – aber eben informiert – zu finden.
Erziehungsziele
Tatsächlich kann man nicht früh genug damit beginnen, sich die Frage zu stellen, was man sich für das spätere Leben seines Kindes wünscht. Denn die ersten Jahre sind diejenigen, die für unsere späteren Beziehungsmuster prägend sind. Da geht es also um Fragen wie:
•Gestalter oder Mitläufer?
•Selbstbewusst oder gehorsam?
•Selbstständig oder ängstlich?
Ist es uns wichtig, dass unser Kind ein gutes Selbstwertgefühl hat und in der Lage ist, gesunde Beziehungen und Freundschaften zu führen? Oder möchten wir unsere Ruhe und dass unser Kind sich »benimmt«, »gehorcht« und »schön pflegeleicht« ist?
Schauen wir unser Baby an, können wir gar nicht glauben, dass wir uns jetzt schon Gedanken über solche Fragen machen müssen. Für dieses kleine Wesen soll man jetzt schon so tiefgreifende Entscheidungen treffen?
Tatsächlich ja – denn in den ersten drei Jahren unserer Kindheit machen wir prägendste Erfahrungen. Ein Fingerabdruck auf unserer Seele, der uns durch unser Leben navigieren wird. Hier werden wichtige Weichen gestellt, und zwar – entgegen einer weitverbreiteten Annahme – nicht in Form von Erziehung, sondern in Form von Beziehung!
Beziehungsgabelung
Entscheiden wir uns für den einen Weg, wird es immer schwieriger und langwieriger, auf den anderen Weg zurückzukommen. Entdecken wir hingegen frühzeitig, dass wir doch den anderen Weg nehmen wollen, müssen wir keinen großen Umweg auf uns nehmen, um dann doch den anderen Weg einschlagen zu können.
Beziehung ist der Schlüssel zur Bindung
Egal, wie alt wir sind, wir bauen immer Bindungen auf. Als kleines Baby beginnen wir damit und hören nie wieder auf. Selbst wenn wir noch so einsam sind, sind es oft unsere Haustiere, zu denen wir eine tiefe Bindung eingehen, und wenn alle Stricke reißen, dann kann auch der Volleyball als Gesprächspartner namens Wilson herhalten, wie Tom Hanks alias Chuck Noland in seiner Robinsonade Cast Away – Verschollen zeigt.
Menschen ohne Bindung werden krank oder gehen ein wie ein vertrocknetes Pflänzchen. Und genau jetzt, in den ersten Jahren der Kindheit, legen wir die Bindungsfähigkeit unserer Kinder und damit der nächsten Generationen fest. Es lohnt sich absolut, über den Tellerrand zu schauen und die Wissenschaft dazu einzuladen, bei der Entscheidungsfindung, welchen Weg wir gehen wollen, zu helfen. Es ist so wichtig, dass wir die kleinen Lebewesen verstehen, die nun oder schon bald ein Teil unserer Familie sind und für die wir uns ein Leben lang verantwortlich fühlen.
Wie gut, dass wir damit dann auch ein Stück weit Verständnis für uns selbst aufbauen können. Denn auch du warst einmal klein, und auch deine Beziehungs- und Bindungsfähigkeit wurde in dieser Zeit geprägt. Wie spannend!
ERZIEHUNG MIT HERZ UND HIRN
Wir können heute hinsichtlich der Entwicklung unserer Babys auf viele wichtige, neue Erkenntnisse aus der Säuglings- und Hirnforschung zurückgreifen, die uns helfen, unsere Kinder besser zu verstehen.1 Und auch hier fügen sich viele Puzzleteile zusammen, was unseren Alltag mit dem Baby durchaus erleichtern kann. Wenn wir wissen, warum unsere Babys reagieren, wie sie reagieren, können wir unsere Umgebung und unsere Lebenssituation daran anpassen und informierte Entscheidungen treffen.
Alle Menschenbabys sind Frühgeburten
Physiologisch gesehen sind unsere Babys im Vergleich mit anderen Säugetieren Frühgeburten, was erklärt, warum Menschenbabys so unglaublich pflegebedürftig sind.
Ihre Gehirne haben lediglich ein Viertel des Gewichtes eines ausgewachsenen Gehirns, was wir unter anderem dem aufrechten Gang zu verdanken haben. Als sich unsere Vorfahren noch auf allen Vieren fortbewegt haben, waren ihre Becken breiter, die Köpfe (bzw. das Gehirn) kleiner und die Babys unserer Urahnen wurden reifer geboren. Eigentlich müssten wir – gemäß Adolf Portmann, einem Schweizer Biologen, der sich in seinen anthropologischen Studien mit der Sonderstellung des Menschen befasste – unsere Babys zwölf bis 13 Monate lang austragen, damit sie bei ihrer Geburt physiologisch reifer sind. Aber keine von uns Frauen möchte auch nur eine Sekunde lang darüber nachdenken, wie es wäre, ein zwölf Monate altes Baby zu gebären.
Wie und wann entwickelt sich der Rest des Gehirns?
Im Grunde ist bei der Geburt das meiste schon angelegt. Unser Baby hat sowohl ein Stammhirn als auch ein Klein-, Zwischen- und Großhirn. Und auch die wichtigen Nervenzellen, die mittels elektrischer Impulse miteinander kommunizieren, sind bereits vorhanden. Das kann man sich vorstellen wie in einer großen Firma: Die Zellen sind kleine Mitarbeiter, die mit vielen anderen Mitarbeitern (etwa 6– bis 10.000) vernetzt sind und Informationen austauschen. Doch während unser erwachsenes Gehirn quasi auf modernste Technik zurückgreifen kann und via E-Mail über Glasfaserleitungen auf schnellstem Wege kommuniziert, stecken unsere Babys noch im Mittelalter fest. Es gibt kein Internet und keine schnellen Leitungen, dafür gibt es Postkutschen; viele Wege sind noch gar nicht vorhanden oder gleichen einem Trampelpfad. Um im Bild zu bleiben: Ein Großteil des Gehirns ist noch nicht »online« und braucht hierfür auch noch viele Jahre. Appellieren wir zum Beispiel an die Vernunft des Babys, sind wir leider noch mindestens fünf bis sechs Jahre zu früh dran.
Potenziale
Wenn Babys auf die Welt kommen, stehen ihnen nahezu alle Möglichkeiten offen. Dies ist enorm wichtig, da sie keinerlei Idee davon haben, wohin sie geboren werden. Ob Köln oder Kongo, ob Celle oder Ceylon, Babys müssen mit all den Widrigkeiten und Begebenheiten zurechtkommen, die auf sie warten. Sie sind daher anfangs sogar noch in der Lage, Affengesichter zu unterscheiden, was sie – falls sie nicht im Dschungel aufwachsen – als unwichtige Fähigkeit schnell wieder verwerfen. Dieser Trampelpfad wird im Gehirn nicht gegangen und verfestigt sich daher nicht. Wir als Europäer kennen das Phänomen, weil es uns in der Regel schwer fällt, Asiaten auseinanderzuhalten, denen es wiederum mit uns nicht anders geht. Ihre Gehirne mussten in den ersten Lebensjahren keine Europäer unterscheiden, sondern Asiaten. Dieser Weg hat sich gefestigt – durch wiederkehrende Wiederholung und Begegnungen mit anderen asiatischen Menschen.
Im Hinblick auf die Entfaltung ihrer Potenziale haben Babys in den ersten Lebensjahren die perfekten Ausgangsvoraussetzungen für alle Eventualitäten. In ihren Gehirnen nimmt die Anzahl der Nervenzellenverbindungen während der ersten drei Lebensjahre enorm zu. Ungefähr mit drei Jahren besitzen Kinder doppelt so viele Synapsen (Nervenzellenverbindungen) wie Erwachsene. Diese Anzahl hält sich bis etwa zum zehnten Geburtstag und nimmt bis zum Ende der Pubertät hin wieder ab. Unser Nervensystem ist für sämtliche Vorgänge in unserem Körper zuständig, ob physischer oder psychischer Natur. Je mehr Nervenzellen wir besitzen, desto mehr Potenziale schlummern in uns. Als Erwachsene sind wir in unseren Strukturen bereits festgelegter und die meisten Synapsen gehen verloren, weil sie nicht genutzt werden.
Unser Gehirn, der Computer
Ähnlich wie bei einem Computer, ist unser Gehirn in verschiedene Bereiche aufgeteilt. Während es bei einem Computer beispielsweise eine Grafikkarte, einen Prozessor und einen Arbeitsspeicher gibt, haben wir, sehr vereinfacht dargestellt, ein Stammhirn, ein Zwischenhirn und ein Großhirn, die für ganz verschiedene Bereiche verantwortlich sind. Alles ist zwar miteinander verbunden, aber während der Zeit im Bauch und der ersten Lebensjahre unserer Kinder ist ihr »Computer« noch nicht vollständig zusammengebaut. Das Grundgerüst steht, aber das Gehirn der Babys ist eben nur zu 25 Prozent entwickelt. Mit zwei Jahren sind es bereits etwa 75 Prozent (aber doppelt so viele neuronale Verbindungen wie bei uns Erwachsenen), und mit etwa fünf Jahren ist das Gehirn fast ausgewachsen. Das heißt nicht, dass fünfjährige Kinder nun denken und analysieren können wie Erwachsene, aber die Gehirnstrukturen sind bereits entstanden. Unser Computer ist also fertig konfiguriert; jetzt geht es darum, die Software immer weiter zu verbessern. Die Verbindungen zwischen den Nervenzellen nehmen zu und die Nervenfasern an sich werden dicker. Sie werden immer mehr von einer Fettschicht ummantelt, die unsere Postkutschen in eine schnelle Internetleitung verwandelt. Vermutlich kommt daher auch der Ausdruck »Hirnschmalz«. Stück für Stück werden Verbindungen geschlossen, die in der Hierarchie immer weiter ansteigen. Während die Kinder am Anfang gerade mal einfache Zusammenhänge begreifen können, sind sie viele Jahre später dazu in der Lage, analytisch zu denken. Und trotzdem müssen die Kleinen mehr lernen als das. Denn nicht nur die Psyche, sondern auch der gesamte Bewegungsapparat, welcher beispielsweise im Kleinhirn gesteuert wird, muss sich entwickeln. Babys lernen sich zu drehen, zu krabbeln und zu laufen. Diese Schritte laufen nach und nach parallel zur Gehirnentwicklung. Das Gehirn hat noch einiges an Entwicklung vor sich, und wie sagt man so schön: Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.
Das Steinzeitgehirn
Betrachten wir nun den Aufbau unseres Gehirns inklusive seiner Funktionen! Dabei beginnen wir mit dem kleinsten und ältesten Teil, dem Stammhirn. Es wird umgangssprachlich auch Reptilien- oder Steinzeitgehirn genannt, weil es nicht für sein logisches Denken bekannt ist, sondern, durch die Fortführung in das Rückenmark, für die Regulation unserer wichtigsten Körperfunktionen und Alarmsysteme. Funktionen wie Herzfrequenz, Atmung und Blutkreislauf sowie Reflexe wie Saugen, Schlucken, Niesen, Husten und Erbrechen werden hier kontrolliert und können nicht bewusst von uns gesteuert werden.
Reflexe und Instinkte
Unsere Babys werden nach der Geburt durch das Stammhirn, also durch Instinkte und Reflexe, gesteuert. Von analytischem Denken sind wir hier noch weit entfernt. Was in dieser Phase zählt, ist das nackte Überleben – und diesen Überlebenswillen zeigen unsere Babys uns auch sehr deutlich. Legen wir unser Baby beispielsweise ab, sagen ihm seine Instinkte: Achtung, dein Mensch ist weg, du könntest vergessen werden! Schrei besser direkt los und mach auf dich aufmerksam! Wenn dein Baby Hunger oder Durst hat und das bemerkt, sagen ihm seine Instinkte: Alarm, du brauchst sofort Nahrung, sonst wirst du nicht überleben! Da es für Babys in den ersten Lebensmonaten aufgrund ihres noch wenig entwickelten Gehirns keine Nuancen, sondern eigentlich nur Leben oder Tod gibt, ist Hunger für ein Baby essenziell dramatisch und sein Weinen drückt in letzter Konsequenz quasi Todesängste aus.
Gebärmutterheimweh
Im Bauch bei Mama war alles gut. Kein Hunger, kein Durst, es war warm, weich und kuschelig. Die Geräusche waren bekannt, es gab Bewegungen und gedämpftes Licht. Mit der Geburt ist alles plötzlich anders. Das Neugeborene muss atmen, mit der Schwerkraft zurechtkommen, es ist plötzlich kalt, es fühlt das erste Mal Hunger und der Weg in das Leben außerhalb von Mama beginnt. Bevor unsere Babys auf die Welt kommen, kennen sie es nicht, allein zu sein. Aus genau diesem Grunde beruhigen sich unsere Babys so fantastisch, wenn wir sie nah bei uns tragen, sie in unserer Nähe schlafen und sie nach ihrem Bedarf Milch bekommen. Nahezu jedes Baby hört sofort auf zu weinen, wenn der Föhn angestellt wird, der Staubsauger plötzlich startet oder wir die Dunstabzugshaube nutzen. Diese lauten, monotonen Geräusche erinnern an die Zeit im Bauch. An das Rauschen unserer Blutgefäße. Es ist nicht leise bei Mama im Bauch, und für die Babys wirkt diese Geräuschkulisse so, als seien sie endlich wieder da, wo alles gut war.
Entwicklung zum Superhirn
Man hat vor einigen Jahren herausgefunden, dass sich bereits während der Schwangerschaft und auch nach der Geburt nicht nur das Gehirn des Babys noch weiter entwickelt, sondern auch das der Mutter. In der Zeit der Schwangerschaft nimmt das mütterliche Gehirn zwar zunächst geringfügig an Volumen ab, was aber ihre kognitiven Fähigkeiten nicht negativ beeinflusst – die Wissenschaftler beschreiben diesen Vorgang ähnlich dem Beschneiden von Bäumen, dem sogenannten Pruning. Zudem fanden sie heraus, dass das Wachstum des mütterlichen Gehirns in den Bereichen für Gefühle, Motivation, positive Zuwendung und Hormonausschüttungen, aber auch für die Fähigkeit, negative Emotionen zu erkennen, davon abhängt, wie sehr sie nach der Geburt verliebt in ihre Kinder waren.
Wenn du also dein Baby wundervoll findest und liebevoll mit ihm umgehst, wird sich dies durchaus in dem Wachstum derjenigen deiner Gehirnareale zeigen können, die zuständig sind für die Verarbeitung von positiven Emotionen. Und hier schlagen wir die Brücke zum Thema Bindung!
Der Bindungstanz
Bindung entsteht und intensiviert sich unter anderem durch die wiederkehrende prompte Reaktion auf die Bedürfnisse des Babys. Unser Baby weint, wir reagieren mit Trost auf das Weinen, unser Baby macht die Erfahrung, dass es sich auf uns verlassen kann, hört auf zu weinen und wir sind glücklich, dass wir unser Baby trösten konnten. Dieses Glücksgefühl sorgt dafür, dass wir beim nächsten Weinen wieder sofort reagieren, unser Baby trösten, es wieder eine positive Erfahrung macht und wir uns immer kompetenter fühlen.
Gehirnscans zeigen, dass die Mama immer bessere Fähigkeiten entwickelt, ihr Baby zu verstehen, je fürsorglicher sie ist. Je fürsorglicher sie ist, desto besser versteht sie ihr Kind. Bei manchen Eltern geht das ganz schnell, und bei manchen dauert es möglicherweise aber auch Monate oder vielleicht ein Jahr. Aber dranbleiben, denn es lohnt sich! Es ist eine Aufwärtsspirale, bei der viel Nähe für beide Parteien unerlässlich ist. Lassen wir uns auf das Kind ein und reagieren prompt auf seine Bedürfnisse, werden sowohl wir Eltern als auch unser Baby mit einer Art Gehirnoptimierung belohnt. Unser Gehirn wird quasi von einem Kleinwagen zu einem Rennwagen aufgerüstet.
Vorsicht bei Mama-Ersatzprodukten
Die Babyindustrie entwickelt vor allem Produkte, die uns Eltern simulieren, also quasi die Zuwendung der Eltern ersetzen sollen, was in den meisten Fällen auch fantastisch funktioniert, wenn wir ausschließlich die dadurch entstehende Beruhigung beim Baby betrachten. Was aber passiert mit uns, wenn wir zu oft auf die fabelhaft erleichternden Ersatzprodukte zurückgreifen? Denn selbst wenn das Baby sich mit diesen »Abkürzungen« zufrieden gibt, kümmern wir Mütter uns möglicherweise weniger um die Kleinen und lernen unser Baby somit vielleicht weniger gut kennen. Je weniger wir uns unserem Baby liebevoll zuwenden, desto weniger werden wichtige Bindungshormone ausgeschüttet, und der für uns vorgesehene Rennwagen bleibt vielleicht doch nur ein Kleinwagen. Wie viel schneller und optimaler unser »Wagen« hätte sein können, werden wir dann nie erfahren. Unser Bindungstanz wird kaum oder nur kurz getanzt, und uns fehlen dadurch möglicherweise Fähigkeiten, die uns den Alltag als Eltern so sehr erleichtern könnten. Natürlich können, dürfen und sollten wir auch zu diesen »Beruhigungsmitteln« greifen, die die Industrie entwickelt hat. Ein Schnuller, eine Federwiege und dergleichen mehr können so unglaublich wertvoll im anstrengenden Alltag mit dem Baby sein, denn es war nie gedacht, dass wir diesen Job allein bewältigen müssen. Früher hatten wir das berühmte Dorf, um ein Kind großzuziehen. Da es heute aber nicht ungewöhnlich ist, in einer weit von allen Verwandten entfernten Stadt sein erstes Baby zu bekommen, ist es nur gut, dass es die Unterstützung in Form von wackelnden Wippen, weißem Rauschen (White Noise) oder Schnullern gibt. Wie bei so vielen Dingen im Leben, macht auch hier die Dosis das Gift. Wenn wir kaum noch Körperkontakt haben und unser Baby nur noch durch Mama-Alternativen beruhigen lassen, dann könnte das für die Bindung an unser Baby und die Entwicklung unserer Antennen kontraproduktiv sein.
Oxytocin – ein kleiner Exkurs
Eines der wichtigsten Hormone für den Menschen ist das sogenannte Liebes- oder Glückshormon Oxytocin. Die Bezeichnung stammt aus dem Griechischen und bedeutet in etwa »leicht gebärend«. Das weist schon darauf hin, dass dieses Hormon eine große Rolle für die Geburt spielt, doch darüber hinaus wirkt es auch auf die Beziehungen zwischen Mutter und Kind und Menschen im Allgemeinen. Es wird auch bei Orgasmen ausgeschüttet und sorgt für diesen verklärten, angenehmen Zustand danach. Aber auch beim Stillen, ja sogar bei dem Gedanken daran, schüttet die Mutter erhöhte Dosen dieses wundervollen Hormons aus, das dafür sorgt, dass die Milch fließt und ganz nebenbei auch noch das Stresshormon Adrenalin abgebaut wird. Wie überaus praktisch in dieser anstrengenden Babyzeit!
Das Säugetiergehirn – es wird emotional
Die nächste Stufe unseres Gehirns, das Zwischenhirn, wird maßgeblich durch unsere Umwelt und Erfahrungen geprägt. Logischerweise nimmt die Art der Begleitung unseres Babys besonders viel Einfluss auf die Entwicklung dieses Teils seines Gehirns.
Das Zwischenhirn hat unterschiedliche Aufgaben:
•Es leitet Gefühle weiter.
•Es entscheidet, welche Sinneseindrücke in unser Bewusstsein rücken dürfen.
•Es steuert die emotionalen Funktionen sowie die Einschätzung von sozialen Beziehungen und Rangordnungen.
•Es leitet uns, wenn es um Sympathie und Antipathie oder um unsere Abgrenzung geht.
•Es steuert Über- und Unterordnung, Unsicherheit, Schüchternheit, Provokation, Angeberei.
•Es steuert große Teile des autonomen (vegetativen) Nervensystems und hat dadurch einen größeren Einfluss auf unseren Gesamtzustand als das Denken, dem wir in der Regel ja die größte Bedeutung zuschreiben.