Buch
Pepper Schuyler war schon immer eine Klasse für sich – und das sind auch die Probleme, mit denen sie sich im Herbst 1966 konfrontiert sieht. Nachdem sie einen alten Mercedes Roadster restauriert und versteigert hat, hofft sie auf eine sichere Zukunft für sich und ihr ungeborenes Baby, das Ergebnis einer Affäre mit einem einflussreichen, verheirateten Politiker. Doch die Käuferin Annabelle Dommerich hat ganz eigene Geheimnisse, und als sie Pepper unerwartet in ihr Haus in Florida einlädt, offenbart sich nach und nach die erstaunliche Herkunft des Wagens – und mit ihr die dramatische Geschichte einer Flucht aus Europa vor dem Zweiten Weltkrieg und einer Liebe, die noch dreißig Jahre später alles verändern wird …
»Mutige Charaktere und unvorhersehbare Wendungen – Beatriz Williams zieht die Leser in ihren Bann.« Library Journal
Autorin
Beatriz Williams besitzt Abschlüsse der amerikanischen Universitäten Stanford und Columbia. Während sie als Beraterin in London und New York arbeitete, versteckte sie ihre Schreibversuche zunächst auf ihrem Laptop. Heute schreibt sie in ihrem Haus an der Küste Connecticuts, wo sie mit ihrem Mann und ihren vier Kindern lebt.
Von Beatriz Williams bereits erschienen
Im Herzen des Sturms · Das geheime Leben der Violet Grant · Träume wie Sand und Meer
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BEATRIZ WILLIAMS
Die letzten Stunden
des Sommers
Roman
Aus dem Amerikanischen
von Anja Hackländer
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Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel
»Along the Infinite Sea« bei Putnam, New York.
Copyright der Originalausgabe
© 2015 by Beatriz Williams
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe
© 2018 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: www.buerosued.de
Umschlagmotiv: © Elisabeth Ansley/Trevillion Images
Redaktion: Ivana Marinovic
AF · Herstellung: sam
Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach
ISBN 978-3-641-19499-4
V003
www.blanvalet.de
All denen, die rechtzeitig fliehen konnten,
all denen, die es leider nicht geschafft haben,
und all denen, die ihr eigenes Leben riskierten,
um anderen zu helfen.
OUVERTÜRE
»Alles sehen, ohne zu starren;
alles hören, ohne zu lauschen.«
CÉSAR RITZ
König der Hoteliers,
Hotelier der Könige
Annabelle
PARIS – 1937
Im Grunde muss man über das Pariser Ritz nicht mehr wissen als Folgendes: Im Jahre 1937 wohnte dort in einer komfortablen Suite im dritten Stock die illustre Coco Chanel, und einer der Barkeeper, der begnadete Frank Meier – eine Koryphäe auf seinem Gebiet –, hatte sechzehn Jahre zuvor die Bloody Mary erfunden, um Ernest Hemingway von einem Kater zu kurieren.
Ich muss gestehen, als ich an jenem schwülen Juliabend die Abschiedsparty von Nick Greenwald besuchte, war ich mir der bewegten Geschichte des Ritz nicht bewusst. Ich zählte eben nicht zu jenem Menschenschlag. Moskitos, wie mein Mann sie nannte. Vielleicht hätte ich seine Worte als Warnung verstehen sollen. Vielleicht konnte an der eleganten Bar des Ritz gar nichts Gutes zustande kommen; vielleicht verhielt man sich zwangsläufig frivol und sorglos, bis man selbst Blut leckte oder einem das Blut ausgesaugt wurde.
Doch Johann – mein Ehemann – war an jenem Abend nicht dabei. Am Arm meines Bruders trat ich durch den unspektakulären Nebeneingang an der Place Vendôme, denn Johann war aus beruflichen Gründen in Berlin, eine vorübergehende Anstellung, die sich endlos in die Länge zog. Zur damaligen Zeit konnte man zwischen Paris und Berlin nicht leichter hin- und herreisen als zwischen Himmel und Hölle. Und warum sollte ich das wollen? Paris hatte alles, was ich brauchte, was ich liebte; das Berlin der späten Dreißigerjahre war kein Ort für eine liberal denkende Frau, die sich um ein kleines Kind und eine schwer strapazierte Ehe kümmern musste. Ich stellte mich daher stur und blieb in Frankreich, wo man immer noch bedenkenlos die Party eines Mannes namens Greenwald besuchen konnte, wo jeder Bürger in einem beliebigen Restaurant essen und seine Geschäfte in einer beliebigen Bank erledigen konnte, wo man mit jedem attraktiven Mann ins Bett steigen konnte, ohne gegen irgendein Gesetz zu verstoßen.
Es war wohl der Stimmung eher förderlich, dass mein Mann derzeit in Berlin weilte, denn Nick Greenwald und Johann von Kleist waren aus naheliegenden Gründen nicht die besten Freunde. Nick und ich hingegen verstanden uns blendend: Zum einen waren wir beide Amerikaner, die in Paris lebten, zum anderen teilten wir ein Geheimnis, das wir keiner anderen Seele anvertrauen konnten. Und von allen Freunden meines Bruders war Nick der einzige, der mich nicht zutiefst verabscheute, weil ich einen deutschen General geheiratet hatte. Der herzensgute Nick. Er wusste, ich hatte meine Gründe.
Im Salon war es drückend warm, und Nick hatte sein Jackett abgelegt, doch er trug immer noch die Weste und eine elegant gebundene Fliege, für die man höchstwahrscheinlich einen Kammerdiener benötigte. Beim Klang meiner Stimme wandte er sich um. »Annabelle! Da bist du ja.«
»Ich komme doch nicht zu spät, oder?«
Ich gab ihm einen Kuss auf die Wange, und Charles schüttelte beiläufig seine Hand, obwohl er Nick nicht allzu viel Beachtung schenkte, da sein Blick bei einer attraktiven Dunkelhaarigen in silbrig-blauem Abendkleid verweilte, dessen Farbton perfekt auf ihre Augen abgestimmt war. Eine lange, schlanke Zigarette schwebte zwischen ihren Fingern. Nick wandte sich ihr zu und legte eine Hand in ihren Rücken. »Annabelle, Charles. Das ist Budgie Byrne. Eine gute Freundin aus Collegezeiten.«
Wir wechselten ein höfliches enchantée. Doch Miss Byrne schien sich nicht für uns zu interessieren. Ihr Handschlag wirkte flüchtig und halbherzig. Vertraut hakte sie sich bei Nick unter und flüsterte ihm etwas ins Ohr, dann schlenderten die beiden in eine Duftwolke von exklusivem Parfum gehüllt zur Bar. Der Rückenausschnitt ihres Kleids lag jenseits von Gut und Böse; ihre nackte Haut erinnerte mich an überkochende Milch, die von Nicks stattlicher Hand sicher aufgefangen wurde.
Charles fuhr sich mit der Hand über die Wange – derselben Hand, die Miss Byrnes schlaffe schlanke Finger berührt hatte – und kommentierte neidvoll, dieser Bastard habe stets die attraktivsten Frauen an der Angel.
Ich sah zu, wie Nick von der Menge verschlungen wurde, und wollte Charles gerade aufmuntern, er solle sich die desinteressierte Miss Byrne noch nicht aus dem Kopf schlagen, da Nick in ihrer Gesellschaft nicht sonderlich glücklich gewirkt hatte, als ich im selben Moment eine Stimme hinter mir hörte – eine Stimme, die ich an diesem schwülen Juliabend am allerwenigsten erwartet hätte.
»Mein Gott.« Die Worte klangen etwas unscharf. »Frau von Kleist höchstpersönlich.«
Zuerst war ich überzeugt, mich zu täuschen oder zu halluzinieren. Es wäre nicht das erste Mal. In den vergangenen zwei Jahren hatte ich diese Stimme an allen möglichen Orten gehört: in Kaufhäusern, in Aufzügen, auf offener Straße. Ich hatte den Besitzer dieser Stimme überall erblickt, hinter jeder erdenklichen Aufmachung, nur um im nächsten Augenblick festzustellen, dass es sich um falschen Alarm handelte, eine Fehlschaltung des Gehirns; dass der Auslöser meines Adrenalinschubs nicht mehr war als ein unbescholtener Mitbürger, ein Zeitgenosse, der zufälligerweise dunkles Haar, eine tiefe Stimme, einen charakteristischen Nacken besaß. Im ersten Moment der Erkenntnis war ich mir nie sicher, ob ich erleichtert oder enttäuscht sein sollte. Ob ich jammern oder jubilieren sollte.
So oder so hatte ich in der Tiefe meines Herzens Ehebruch begangen, und da jede Art des Ehebruchs mir unerträglich war, lernte ich, jenen falschen Alarm hartnäckig zu ignorieren, auch wenn er noch so laut schrillte. Ich lernte, mir jene Wahnvorstellungen nicht anmerken zu lassen, sondern wie eine gute Ehefrau die Fassung zu bewahren.
Und es funktionierte. Anstatt bei den Worten Frau von Kleist in Panik zu geraten, ermahnte ich mein Gehirn zur Vernunft und dachte: Das kann überhaupt nicht sein.
Anstatt wie ein Kreisel herumzuwirbeln, wandte ich mich langsam um wie eine Ballerina in einer Spieluhr, sodass ich beinahe Tschaikowskys Geklimper in meinen Ohren hören konnte.
Der Mann trat in mein Blickfeld: erstaunlich real, erstaunlich vertraut, erstaunlich groß und perfekt in seinem schwarzen Smoking mit weißem Kragen, mit seinen dunklen Locken, die ihm locker in die Stirn fielen wie die eines Liebhabers in einem sündhaften Traum. In der rechten Hand hielt er ein Whiskyglas und eine braune türkische Zigarette. Er nahm alles mit einem einzigen Blick zur Kenntnis: meinen Schmuck, mein extravagantes Kleid, meinen aufgewühlten Kreislauf.
Mit anderen Worten, er sah dem Original zum Verwechseln ähnlich.
»Hier steckst du also, alter Schwerenöter«, sagte Charles, und – sacrebleu! – mit einem Mal musste ich einsehen, was ich insgeheim längst wusste: Bei diesem Mann handelte es sich nicht um eine meiner Wahnvorstellungen. Das Pariser Ritz war einer jener magischen Orte, die jede beliebige Person heraufbeschwören konnten.
»Stefan«, sagte ich, »was für eine wundervolle Überraschung.«
(Und das Schlimmste daran war, dass ich es vollkommen ernst meinte.)
ERSTER SATZ
»Erfahrung ist nur ein anderer Ausdruck für unsere Fehler.«
OSCAR WILDE