Buch
Ein mysteriöser Milliardär versammelt eine Gruppe von Spezialisten, um einen der größten Schätze der Geschichte zu bergen. Seit über 2000 Jahren ist das Grab von Alexander dem Großen verschollen, aber nun gibt es eine neue Spur. Doch kaum haben die Hunters Alexandria erreicht, werden sie angegriffen. Ein uralter Geheimbund will ihre Mission vereiteln und geht dafür über Leichen. Plötzlich steht den Hunters keine Schatzsuche mehr bevor, sondern eine Rettungsmission. Es geht um das Leben von Hunderten – und das Schicksal einer ganzen Stadt …
Autor
Chris Kuzneski wuchs in Pennsylvania auf, lebt heute aber in Florida. Die Romane des internationalen Bestsellerautors wurden in zwanzig Sprachen übersetzt, millionenfach verkauft und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Wenn Chris nicht gerade surft, taucht, schwimmt oder die Sonne genießt, schreibt er an seinem neusten Roman.
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CHRIS
KUZNESKI
HUNTERS
DAS VERBOTENE GRAB
ROMAN
Deutsch von Wolfgang Thon
Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel
»The forbidden Tomb« im Eigenverlag.
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1. Auflage
Copyright der Originalausgabe © 2015 by Chris Kuzneski, Inc.
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe
© 2019 by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Redaktion: Peter Thannisch
Umschlaggestaltung: © Johannes Frick unter Verwendung von Motiven von Historica Graphica Collection/Heritage Images/Hulton Archive/Getty Images und Shutterstock.com (© Pindyurin Vasily, © Kirill Smirnov, © grynold, © nemlaza, © Yibo Wang, © Death’s Pixel, © Chaikom, © Runrun2, © ChaiwatUD, © Milosz_G)
HK · Herstellung: sam
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-21597-2
V001
www.blanvalet.de
PROLOG
Dienstag, 11. April
Bahariya Oase, Ägypten
(180 Meilen südwestlich von Kairo)
Sie beobachteten ihre Opfer aus der Ferne und warteten auf den richtigen Moment zum Zuschlagen. So machten sie es seit Jahrhunderten, und so wollten sie es auch in dieser Nacht tun.
Zuerst kam die Dunkelheit. Dann das Schlachten.
Danach verschwanden sie in der Finsternis.
Die Teilnehmer der Manjani-Expedition unten im Tal ahnten nicht, dass sie beobachtet wurden. Die Wissenschaftler hatten sich zum Schutz vor der Abendkühle um ein Lagerfeuer geschart und feierten ihre Entdeckung zu ausgelassen, um zu bemerken, was um sie herum vorging. Sie lachten, sie tranken, tanzten und sangen und freuten sich über ihren jüngsten Erfolg.
Manche redeten vom Schatz, andere von Ruhm.
Aber das Schicksal hielt weder das eine noch das andere bereit.
Jedenfalls nicht für sie.
Der Angriff erfolgte schnell und gnadenlos, angetrieben von unbändiger Wut. Schreie gellten durch die Nacht, als uralte Schwerter die Körper durchdrangen. Mit einer unwirklichen Anmut metzelten die Krieger alles nieder, was sie vor die Augen bekamen. Fest entschlossen, ihren heiligen Glauben zu verteidigen, kannten sie weder Mitleid noch zeigten sie Gnade.
Es war ein Glaube, der aus Blut und Stahl geschmiedet war.
Für einen kurzen Moment bot sich mehreren Wissenschaftlern die Gelegenheit zur Flucht. Sie hätten nur vom Lagerfeuer weglaufen müssen und in der schützenden Dunkelheit zu verschwinden brauchen. Doch dann hätten sie in der extremen Trockenheit der Sahara, in den sich meilenweit ausdehnenden Sanddünen und dem endlosen Hügelland überleben müssen.
Das war unmöglich.
In dem Augenblick, als sie zwischen Flucht und Kampf wählen mussten, blieben sie wie erstarrt stehen.
Es kostete sie das Leben.
Die Schwertkämpfer näherten sich mit zornig blitzenden Augen. Klingen glänzten im Mondlicht, als sie sich wie Dämonen aus der Hölle auf ihre Opfer stürzten.
Eben waren sie noch am Leben.
Und im nächsten Augenblick schon tot.
Allen fehlte der Kopf.
1. KAPITEL
Gegenwart
Dienstag, 11. Oktober
Fort Lauderdale, Florida
Nur wenige Menschen wussten von der Privatstraße durch die Sümpfe im Süden Floridas, und noch weniger hatten sie jemals befahren. Mehrere Schilder mit drastisch formulierten Warnungen drohten unerwünschten Besuchern mit ernster Bestrafung, wenn sie erwischt würden. Nicht von der Polizei oder durch ein Gericht, sondern durch die Landbesitzer selbst.
In den Everglades nannte man das Dschungeljustiz.
Es war die übliche Art, mit so etwas umzugehen.
Der langhaarige Motorradfahrer ignorierte die Warnschilder und bog von der Landstraße ab. Er brannte darauf, die Vorteile des glatten Asphaltstreifens vor ihm zu nutzen. Sobald sein Hinterrad die Teerdecke erreichte, drehte er den Gashebel seiner getunten Harley und hielt ihn fest. Sein Motor röhrte zustimmend; er schoss mit schwindelerregender Geschwindigkeit voran und lachte, als die Bäume an ihm vorbeizischten. Moskitos, so groß wie kleine Vögel, und Eidechsen, groß wie Schoßhündchen, brachten sich vor ihm in Sicherheit, um nicht überfahren zu werden.
Es hätte ihm nicht viel ausgemacht.
Im Laufe der Jahre hatte er so manches getötet.
Und meistens schnell.
Genau darauf war er trainiert.
Am Ende der Straße drosselte er das Tempo und hielt schließlich vor dem massiven Stahltor an, das das dahinterliegende Grundstück sicherte. Er kannte den Eingang, weil er früher schon ein paar Mal hindurchgefahren war, doch plötzlich wurde ihm klar, dass er das Tor nie selbst geöffnet hatte. Er war immer in Begleitung anderer gewesen, die es für ihn getan hatten. Er stoppte die Harley mitten auf der Straße, stieg ab und ging zu der merkwürdig aussehenden Schalttafel.
Seltsamerweise gab es dort keine Knöpfe zum Drücken. Auch kein Zahlenpad und keine Schalter. Das Einzige, was er sah, war ein flacher rechteckiger Touchscreen, der auf einen futuristisch aussehenden Metallständer montiert war. Mehr konnte er nicht entdecken. Weil das Ding sehr modern aussah und er von Technik keine Ahnung hatte, hätte es sich genauso gut um einen biometrischen Sensor handeln können, der seine Gedanken lesen konnte.
Genau wie die Fee, die in seinem iPhone hauste.
Josh McNutt wusste nicht recht, wie er sich verhalten sollte, und wischte mit der Hand über die Oberfläche. Er hoffte, dass es ein einfacher Bewegungsmelder war, wie an diesen schicken modernen Wasserhähnen. Danach drückte er die Fingerspitzen auf den Screen, weil er dachte, das Gerät würde vielleicht wie in der Waffenkammer von Fort Bragg funktionieren, seine Fingerabdrücke scannen und ihn dann hereinlassen. Als auch das keinen Erfolg brachte, versuchte er es mit beiden Handflächen, eine nach der anderen.
Doch nichts geschah.
McNutt rieb sich den Dreitagebart und überlegte, was er noch versuchen könnte. »Hallo«, sagte er zu dem Gerät. »Ist da jemand? Haaalllloooo.«
Irgendwann klopfte er sogar darauf, als wäre es die Eingangstür.
Noch immer keine Reaktion.
»Blöder Roboter«, murmelte er leise. »Warte nur, bis ich hereinkomme. Dann suche ich deinen Stecker und beschneide dich mit einem Jagdmesser.«
McNutt war genervt, ging zum Stahltor und streckte schon die Arme aus, um daran zu rütteln. Einen Sekundenbruchteil, bevor er es berührte, riss er die Arme zurück, als hätten sich die Stahlgitter plötzlich in Giftschlangen verwandelt. In Wahrheit wurde seine Reaktion durch etwas weitaus Tödlicheres hervorgerufen. Er hatte schon oft gehört, dass das Tor nur die erste einer Reihe von Schutzeinrichtungen war, die das gesamte Grundstück umgaben. Es war zusätzlich durch einen Hochspannungs-Drahtgitterzaun gesichert, der tödliche Stromstöße austeilen konnte. In letzter Sekunde fragte er sich, ob das Stahltor womöglich mit derselben Hochspannung versehen war.
Ein äußerst geladenes »Verpiss dich«, das allen galt, die hier nichts zu suchen hatten.
Bei näherem Nachdenken wollte er es lieber nicht darauf ankommen lassen.
*
»Verdammt! Ich dachte wirklich, dass er es tut!«, rief Hector Garcia hinter seinem Computermonitor. Er hatte McNutt bereits über eine Vielzahl verborgener Überwachungskameras beobachtet, seit der von der Landstraße abgebogen war. Ein Erschütterungsmelder unter der Fahrbahn hatte einen Alarm ausgelöst und die Anwesenden informiert, dass sich jemand näherte.
»Wer macht was?«, fragte Jack Cobb. Als Teamchef hatte er wichtigere Probleme, als die Videoüberwachung im Auge zu behalten. Dafür war Garcia zuständig. Außerdem hatte er die Aufgabe, Cobb zu informieren, wenn sich ihnen jemand näherte.
»McNutt«, antwortete Garcia. »Er versucht seit ein paar Minuten, durch das Tor zu kommen. Bis jetzt ohne Erfolg.«
»Kannst du ihn auf den großen Schirm holen?«, fragte Cobb.
»Aber sicher.«
Nach einigen Klicks und Tastatureingaben waren sämtliche Bilder der Überwachungskameras als Gittermuster auf dem 90-Zoll-Monitor zu sehen, der über dem Kamin hing. Cobb sah, wie McNutt einen Schritt von der Steuertafel des Tors zurücktrat und dann das Gesicht ganz nah an die Oberfläche brachte. Cobb deutete auf Bild Nummer drei – es waren die Bilder der Kamera unter dem Touchscreen. Ein paar Klicks später füllten McNutts blutunterlaufene Augen den ganzen Bildschirm aus.
»Was treibt der Hinterwäldler denn da?«, fragte Sarah Ellis, die nicht weit von ihnen auf einer Couch saß. Sie war von der CIA ausgebildet worden, kannte sich bestens mit Sicherheitssystemen aus und konnte über die Versuche ihres Kollegen, das Tor zu öffnen, nur den Kopf schütteln. »Was sieht er sich da so genau an?«
»Nichts«, meinte Garcia. »Ich glaube, er denkt, das Pad ist ein Retina-Scanner. Er versucht, sein Auge auf das Glas zu drücken.«
Sarah platzte fast vor Lachen. »Oh … mein … Gott. Er ist noch dümmer, als ich ihn in Erinnerung hatte. Und das will was heißen, denn ich hatte Briefbeschwerer, die mehr Grips hatten wie er.«
»Als er«, verbesserte Jasmine Park, die das Zimmer betrat. Als einzige Akademikerin der Gruppe war sie auch die Einzige, die Sarahs fehlerhafte Grammatik bemerkte. »Wenn du dich schon über seine Intelligenz lustig machst, solltest du Grammatikfehler vermeiden.«
»Sagt das Mädchen aus Korea.«
»Ich bin in Amerika geboren.«
»Dann solltest du wissen, dass es unhöflich ist, andere zu verbessern, wenn ihre Grammatik nicht in Ordnung ist – insbesondere Leute, die so viel draufhaben wie ich. Pass bloß auf, dass du beim Schlafen die Augen weit auflässt. Das heißt, falls eine Asiatin das überhaupt kann.«
Jasmine verzog das Gesicht. »Wie kannst du so etwas sagen?«
»Tut mir leid, ich wollte sagen: asiatischstämmige Amerikanerin.«
»Das war es nicht, womit du mich beleidigt hast.«
Sarah zuckte mit den Schultern. »Was soll’s? Jetzt sind wir beide beleidigt. Dann sind wir quitt.«
Jasmine atmete tief durch und sah zur Videowand. McNutt war inzwischen nur noch von hinten zu sehen. Er war auf dem Rückweg zu seinem Motorrad. »Fährt er wieder weg?«
»Das hoffe ich«, sagte Sarah optimistisch. »Ich habe darüber nachgedacht, und ich habe eine perfekte Kandidatin, die ihn ersetzen könnte. Sie kennt sich nicht nur fantastisch mit Waffen und Sprengstoff aus, sondern sie ist auch schlau genug, um Eis zu machen. Und das sage ich nicht nur so. McNutt hat mich mal gefragt, ob Eiswürfel aus Alaska kommen.«
Garcia an seinem Computer wandte sich um. »Wann hat er das gefragt?«
»Als wir in Alaska waren. Er wollte ein paar als Souvenirs mitnehmen. Er war schon drauf und dran, sie sich in den Koffer zu packen.«
Garcia starrte sie an. Er war nicht sicher, ob sie nur scherzte. »Ehrlich?«
Sarah zuckte mit den Schultern. Ihr Gesichtsausdruck verriet nichts.
Jasmine deutete auf den Monitor. »Aber mal ganz im Ernst – haut Josh jetzt ab?«
Garcia blickte zum Monitor hoch und stellte fest, dass McNutt nicht mehr zu sehen war. Er schaltete auf einen größeren Winkel um, diesmal von einer Kamera, die oben auf dem Tor befestigt war. Nun konnte man sehen, dass McNutt zu seinem Motorrad zurückging. Dort knöpfte er einen großen Golfsack auf, der am hinteren Sitzbügel festgeschnallt war.
Sarah sprang auf. »Was macht er jetzt?«
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete Jasmine.
»Ich schon«, sagte Cobb mit einem Anflug von Entsetzen. »Zoom ran.«
Garcia tat, wie ihm geheißen, und die Gruppe beobachtete ebenso fasziniert wie erschrocken, wie McNutt den Deckel des Golfsacks zur Seite klappte.
Anstatt mit Schlägern war er mit seinem privaten Waffenarsenal gefüllt.
McNutt suchte etwas aus und zog es aus dem Sack. Die Waffe – ein russischer Raketenwerfer, der unter dem Namen Vampir bekannt ist – war dafür gedacht, Panzerfahrzeuge aufzuhalten. Das Tor war widerstandsfähig, aber nicht dafür ausgelegt, einem solchen Angriff standzuhalten. Der Besitzer des Grundstücks hatte bei der Planung nicht an Raketenbeschuss gedacht.
McNutt grinste mit kindlichem Vergnügen und zielte mit dem Abschussrohr auf seiner Schulter auf das Fundament des Tors. In diesem Moment sprintete Cobb durchs Zimmer und aktivierte die Gegensprechanlage.
»Gefechtsbereitschaft aufheben, Soldat!«, schrie er.
Auf dem Screen war zu sehen, dass McNutt sofort verharrte.
»Wer spricht da?«, wollte er wissen und zielte mit dem Abschussrohr auf das Touchpad.
»Runter mit der Panzerfaust!«, befahl Cobb. »Wir öffnen das Tor.«
»Major, bist du das?«, fragte McNutt, senkte die Waffe und näherte sich zögernd der Gegensprechanlage. »Bist du da drin?«
»Ja, Josh, ich bin hier«, antwortete Cobb und schickte, nur um sicherzugehen, hinterher: »Ich bin im Haus, nicht in dem Kasten.«
McNutt lachte. »Der war gut, Chief.«
Cobb atmete tief durch und drückte den Knopf, der das Tor öffnete.
»Danke!«, rief McNutt mit dem Mund unmittelbar über dem Touchscreen. »Einen kleinen Moment bitte. Geht sofort los. Ich muss erst mal meine Rakete wegpacken.«
Garcia schaltete zur Kamera unter der Steuereinheit zurück. Plötzlich füllte McNutts Mund den Monitor aus. »Seht euch das an. Ich kann seine Mandeln sehen.«
Sarah rollte die Augen. »Oh mein Gott, ich bin von Idioten umgeben.«
2. KAPITEL
McNutt kurvte mit seinem Bike über die gewundene Auffahrt zum Haupteingang. Das Haus war fast vollständig von einem künstlich angelegten Wassergraben umgeben und so errichtet worden, dass es leicht zu verteidigen war. Die einzige Stelle, an der man den Burggraben überqueren konnte, sah wie eine schmale natürliche Landzunge aus, war aber in Wirklichkeit künstlich angelegt und mit Sprengstoff gespickt. Mit einem einzigen Knopfdruck konnte die Halbinsel schnell in eine Insel verwandelt werden.
Wäre es McNutts Anwesen gewesen, hätte er dort einen mediterranen Palast errichtet, der den Villen auf Star Island in Miami Beach Konkurrenz gemacht hätte, aber nicht diese 370-Quadratmeter-Ranch, die ihnen als Hauptquartier diente. Das Haus sah eher nach einem Bunker als nach einem Strandhaus aus. Doch der Bauherr hatte sich von praktischen Überlegungen leiten lassen, es war ihm nicht ums Prestige gegangen. Das Gebäude konnte nicht nur einem Luftangriff standhalten, die flache Konstruktion war auch perfekt für die Küste geeignet; die mächtigen Wirbelwinde und tropischen Stürme, die Florida alljährlich heimsuchen, fanden keinen Angriffspunkt, in den sie ihre Zähne schlagen konnten.
Obwohl die Architektur nicht seinen Geschmack traf, war McNutt auf einige der Einrichtungen des Hauses geradezu neidisch. Er war lange genug beim Militär gewesen, um einen Nachrichtensatelliten-Receiver der Echelon-Klasse zu erkennen. Das war keine gewöhnliche Haushalts-Satellitenschüssel, sondern ein hochmodernes Gerät für den militärischen Einsatz, mit dem verschlüsselte SIGINT-Signale übertragen wurden. Außerdem gab es eine eigene Trinkwasseraufbereitungsanlage und eine autarke Stromversorgung. Alles zusammen unterstrich, dass das Haus als Operationsbasis geplant worden war.
McNutt hielt in der kreisrunden Zufahrt und schaltete den Motor aus. Im selben Moment öffnete sich die Vordertür, und Cobb trat heraus.
»Howdy, Chief. Lange nicht gesehen.«
»Du bist spät dran«, knurrte Cobb.
McNutt verzog das Gesicht und sah auf die Uhr. »Nein, bin ich nicht. Du hast gesagt, ich soll um 17 Uhr hier sein. Nach meiner Rechnung bleiben mir noch dreißig Minuten. Ich hätte noch früher hier sein können, wenn das blöde Tor nicht gewesen wäre.«
»Ich habe gesagt: Montag, 17 Uhr.«
»Ist heute nicht Montag?« McNutt grinste verlegen. »Tut mir leid, Major, im Urlaub vergeht die Zeit so schnell. Da trinkt man gemütlich ein paar Bier mit seinen Kumpels, und einen Tag später rennt man schon nackt mit der Domina eines abgenervten Bundespolizisten durch Tijuana, weil eine Bande Zwerge hinter einem her ist. Du weißt ja selber, wie das ist.«
»Das weiß ich nicht, um das mal klarzustellen. Außerdem habe dir schon gesagt, dass du mich nicht mehr ›Major‹ nennen sollst. Man weiß nie, wer zuhört.«
»Tut mir leid, Chief.«
»Und in welchem Stadium deiner Eskapaden bist du auf die Idee gekommen, dass ein Raketenwerfer in einer Golftasche eine gute Idee ist?«
»In der Nacht, als mich die Zwerge fast erwischt hätten. Sie sind klein, aber unglaublich schnell und ihre Beine wie Propeller.« McNutt lachte über das Bild in seinem Kopf, schnallte den improvisierten Waffenbehälter vom Motorrad und nahm ihn über die Schulter. »Du musst doch zugeben, hier unten ist das die beste Tarnung. Nicht mal, wenn das Ding hinten am Motorrad hängt, guckt jemand genauer hin. Du solltest erst sehen, was ich in den Satteltaschen habe.«
»Später«, entgegnete Cobb. »Darüber sprechen wir später. Komm rein. Wir haben den ganzen Tag auf dich gewartet.«
McNutt nickte und betrat das Gebäude.
Das opulente Haus hatte einen großzügigen Grundriss, verfügte unter anderem über ein Wohnzimmer, eine Bibliothek, eine Küche und einen Salon. An den Wänden hingen kostbare Gemälde. Das Mobiliar, das anfangs noch einen kalten und sterilen Eindruck gemacht hatte, als wären gerade erst die Schutzfolien der Fabrik entfernt worden, wirkte inzwischen vertraut und gemütlich. Das Team schlief in spartanisch eingerichteten Schlafzimmern, die von einem Flur im Ostflügel abgingen. McNutt fragte sich, ob die Kleidung, die er in der Kommode zurückgelassen hatte, noch da war oder ob jemand sie während seiner Abwesenheit weggeworfen hatte. In dem Fall müsste er noch shoppen gehen.
Ganz am Ende des Hauses befand sich ein elegantes Esszimmer mit Blick auf eine herrliche Terrasse. Miteinander verbundene Swimmingpools, die von Palmen und Skulpturen umgeben waren, verliehen dem Ganzen das Ambiente eines schicken Ferienresorts. Als sie an dem riesigen Panoramafenster vorbeigingen, sah McNutt zu dem privaten Bootsanleger hinüber, der sich an der Rückseite des Grundstückes befand. Dort war eine einzelne Yacht zwischen den Stegen vertäut. Seit seinem letzten Besuch wusste er, dass TRESOR DE LA MER – der Name des Boots – »Schatz des Meeres« bedeutete.
McNutt grinste. Die Yacht bedeutete, dass ihr Auftraggeber da war.
Hoffentlich hatte er nicht vergessen, sein Scheckbuch mitzubringen, denn das Team war für die erste Mission noch nicht bezahlt worden.
*
McNutt folgte Cobb in die Küche, wo ihn drei besorgte Gesichter quer über den Tresen hinweg anstarrten. Dieser Raum war, wie in den meisten anderen Wohnungen, zum allgemeinen Treffpunkt geworden. Wann immer sich alle irgendwo zusammensetzen mussten, landeten sie automatisch in der Küche.
»Heiliger Strohsack, die ganze Gang ist da«, sagte McNutt.
Für das untrainierte Auge sahen sie nicht so aus, als würden sie etwas gemein haben. Cobb war breitschultrig und attraktiv, hatte ein schmales Gesicht, durchdringende graue Augen und wirkte wie eine Führungspersönlichkeit. McNutt war kräftig und ungepflegt, sein Haar und die Kleidung sahen fast immer so aus, als hätte er gerade unter einer Brücke kampiert. Garcia hingegen verkörperte einen neuen Hackertypus. Er war nicht blass und zerbrechlich wie die Klischee-Nerds, die nie aus dem Keller ihrer Mutter herausgekommen waren. Er war braun gebrannt, hatte einen athletischen Körperbau und sah vergleichsweise gut aus.
»Wo, zur Hölle, hast du dich rumgetrieben?«, wollte Sarah wissen.
»Wir haben uns schon Sorgen gemacht«, fügte Jasmine hinzu.
Ihre Kommentare waren absolut charakteristisch für sie.
Sarah war groß, drahtig und agil. Sie hatte den Körper einer Sportlerin und bildete einen starken Kontrast zu der viel kleineren, sanfteren Jasmine. Von allen Teammitgliedern hatten die beiden Frauen die wenigsten Gemeinsamkeiten – nicht nur körperlich, sondern auch emotional. Sarah war aggressiv und streitlustig und suchte immer nach Schwächen, die sie zu ihrem Vorteil nutzen konnte. Im Gegensatz dazu war Jasmine freundlich und respektvoll und machte sich eher Sorgen um die anderen als um sich selbst. Das war teilweise ihrer Erziehung, teilweise aber auch ihrer Ausbildung zuzuschreiben.
Sarah hatte ihr Handwerk in Quantico, einem Ausbildungslager der U.S. Marines, gelernt. Jasmine hatte ihre Kenntnisse in einer Bibliothek erworben.
»Wo er gewesen ist, tut nichts zur Sache«, sagte Cobb, bevor McNutt auf die Idee kommen konnte, seine Räuberpistolen von betrunkenen Ausschweifungen südlich der Grenze zum Besten zu geben.
»Mir ist es wichtig«, entgegnete Sarah. »Wir hängen alle mit drin. Ich hab keine Lust darauf, dass er sich in einer voll besetzten Bar einen hinter die Binde gießt und rumposaunt, was wir gefunden haben.«
Garcia zuckte mit den Schultern. »Selbst, wenn er es täte – glaubst du im Ernst, jemand würde ihm glauben? Ich meine … wirklich. Uralte Eisenbahnzüge? Geheimgesellschaften? Verdeckte Operationen in Transsilvanien?«
»Ganz genau!«, sagte McNutt. »Danke, José, dass du mir vertraust.«
»Eigentlich heiß ich Hector.«
»Kommt doch fast aufs Gleiche raus. Beide Namen fangen mit demselben Buchstaben an.«
»Eigentlich nicht.«
»Tun sie nicht? Seit wann?«
»Seit, äh … seit das Alphabet erfunden wurde?«
McNutt grinste. »Das erklärt alles. Ich kann kein Alphabet.«
»Das reicht«, erklärte Cobb. Er hob nicht einmal die Stimme, allein sein Tonfall machte allen deutlich, dass er von ihrem Gerede genug hatte.
Die Gruppe parierte respektvoll und hörte sofort mit dem Gefrotzel auf.
»Sarah, Verschwiegenheit war kein Bestandteil der Vereinbarung. Jeder hat das Recht, jedem zu erzählen, was er will. Aber ihr wisst alle, wie riskant es ist, diese Informationen nach außen dringen zu lassen.«
Sarah wollte gerade protestieren, doch Cobb schnitt ihr das Wort ab, indem er, während er McNutt ansah, sagte: »Das ist also geklärt. Ich würde es als einen persönlichen Gefallen ansehen, wenn du die Klappe hältst, was die Aktivitäten des Teams anbetrifft.«
McNutt nickte. »Ich habe niemandem davon erzählt.«
»Gut«, sagte Cobb, der nichts anderes erwartet hatte. McNutt war zwar kein Genie, aber ein Ex-Marine und darauf gedrillt, seiner Einheit gegenüber absolute Loyalität walten zu lassen. »Hector, gibt es im Internet irgendwas über unsere letzten Aktionen?«
»Nichts«, antwortete der Techniker. »Es kommt mir vor, als versuchten gleich mehrere Stellen, alles, was uns betrifft, aus den Nachrichten rauszuhalten. Eigentlich ist das merkwürdig, wenn nicht sogar beunruhigend. Es gibt nichts, was sich der öffentlichen Wahrnehmung so entziehen kann – erst recht nichts, was so interessant ist wie das, was wir durchgestanden haben.«
Cobb warf einen Blick zu ihrem Gastgeber, einem Franzosen namens Jean-Marc Papineau, der durch einen hinteren Flur leise in die Küche gekommen war und das Ende ihrer Unterhaltung mitgehört hatte. In seiner makellosen europäischen Kleidung hatte er das Auftreten eines Monarchen und benahm sich, als sei er der König und die Welt sein Spielplatz.
Seit sie einander im August zum letzten Mal begegnet waren, fragte sich Cobb, wie weit Papineaus Einfluss tatsächlich reichte. Er hatte in Osteuropa wahre Wunder vollbracht und alles bereitgestellt, was das Team für seine Mission benötigt hatte – sogar einen umgebauten Eisenbahnzug. So beeindruckend das auch gewesen war, verblasste es doch im Vergleich zu seinem neuesten Trick: Wie schaffte er es, ihre geschichtsträchtige Entdeckung im Zeitalter von Handykameras und Social Media vor dem Rest der Welt geheim zu halten?
Um so etwas fertigzubringen, brauchte man mehr als nur Geld.
Man brauchte Einfluss und Macht.
»Jasmine«, fuhr Cobb fort, »hast du etwas von deinen Informanten gehört?«
Als gut vernetzte Historikerin unterhielt sie Verbindungen zu verschiedenen Universitäten auf der ganzen Welt. Auch wenn es ihre Suche nicht in die Zeitungen geschafft hatte, die akademische Welt verfügte über ihre ganz eigenen Kommunikationskanäle. Hätte jemand Wind von ihrer historischen Entdeckung bekommen, hätte sie es womöglich über einen ihrer Fachkollegen erfahren.
»Ja und nein«, räumte sie ein. »Es gibt Gerüchte über einen größeren Fund, aber alle stochern im Nebel. Ich habe so viele Versionen von dem gehört, was geschehen sein könnte, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Man hat uns alles Mögliche zugeschrieben, was wir angeblich entdeckt haben, vom Bernsteinzimmer bis hin zur versunkenen Stadt Atlantis. Die Geschichten sind unglaublich.«
Cobb starrte zu Papineau hinüber. »Haben Sie noch etwas hinzuzufügen? Können wir damit rechnen, dass es bald eine offizielle Bestätigung unserer Entdeckung geben wird?«
Das ganze Team wirbelte herum. Seine Anwesenheit überraschte sie.
»Nichts Offizielles«, antwortete Papineau und setzte sich auf seinen Platz neben Cobb am Kopfende der Tafel. »Ich habe sogar vor, noch ein paar zusätzliche Gerüchte in die Welt zu setzen, und möchte jeden von Ihnen bitten, Ihre Quellen damit zu füttern. Je mehr, desto besser.«
»Was für Gerüchte?«, fragte Sarah.
Papineau lächelte. »Weil es etwas mit den Russen und einem berühmten Schatz zu tun hatte, fand ich mein Märchen über das Bernsteinzimmer besonders poetisch.«
»Ihr Märchen?«, fragte Jasmine verwirrt.
»Ja, meine Liebe. Meins.«
»Aber warum?«
Cobb antwortete für ihn. »Weil es viel leichter ist, Lügen über ein Ereignis zu verbreiten, als zu bestreiten, dass es überhaupt stattgefunden hat. Die Welt weiß, dass etwas passiert ist, deshalb ist es jetzt unsere Aufgabe zu kontrollieren, was berichtet wird. Um es in der Sprache der Nachrichtendienste auszudrücken: Ablenkung durch Desinformation. Wir müssen dafür sorgen, dass die Welt vor dem Abschluss der Mission unsere Witterung nicht aufnimmt. Korrekt?«
Papineau warf ihm einen Blick zu, sagte aber nichts.
»Moment mal«, zischte Sarah. »Was soll das heißen? Wir haben unsere Mission in dem Moment abgeschlossen, als wir den Schatz gefunden haben. Das war der Deal.«
Cobb schüttelte den Kopf. Er wusste, dass es nicht so war. »Das sollten wir glauben, aber Rumänien war nur der erste Schritt. Oder etwa nicht, Jean-Marc?«
»So ist es«, bestätigte dieser.
Sarah knallte die Faust auf den Tresen und stürmte auf den Franzosen zu. »Sie verlogenes Stück Scheiße! Sie haben mir für meine Dienste fünf Millionen Dollar versprochen. Ich habe alles getan, was Sie von mir verlangt haben. Und mehr. Sie schulden mir mein verdammtes Geld!«
Cobb trat ihr in den Weg, bevor sie Papineau erreichen konnte.
Der Franzose machte einen Schritt zurück. »Beruhigen Sie sich, meine Liebe. Sie haben völlig recht. Sie haben sich Ihr Geld verdient. Fünf Millionen Dollar für jeden von Ihnen, wie versprochen.«
»Das klingt schon besser«, knurrte Sarah.
»Aber …« Das Grinsen kehrte auf sein Gesicht zurück. »Sie könnten Ihr Honorar auch verdoppeln.«
Im Raum wurde es still, als die Bemerkung ihre Wirkung entfaltete.
McNutt ergriff als Erster wieder das Wort. »Sagten Sie verdoppeln?«
»In der Tat. Zehn Millionen Dollar. Für jeden von Ihnen.«
»Wo ist der Haken?«, fragte Jasmine.
»Der ›Haken‹, wie Sie es nennen, ist, dass Ihnen das Geld – einschließlich der Summe, die Sie bereits verdient haben – erst zur Verfügung stehen wird, nachdem Sie die nächste Aufgabe abgeschlossen haben. Es bleibt bei einem Treuhänder, bis die Mission abgeschlossen ist.«
»Und wenn wir scheitern?«, wollte Sarah wissen.
»Dann warten bei Ihrer Rückkehr die ursprünglichen fünf Millionen Dollar auf Sie«, versicherte Papineau. »Wir werden dann aber keine weiteren Geschäftsbeziehungen unterhalten, sondern alle Verbindungen kappen. Umgehend und dauerhaft.«
»Das heißt, die nächste Aufgabe ist vielleicht nicht unsere letzte?«
Papineau zuckte mit den Schultern. »Ich wünschte, ich könnte Ihnen sagen, was die Zukunft für uns bereithält. Doch leider kann ich das nicht. Mehr als das kann ich Ihnen zurzeit nicht garantieren.«
»Das reicht nicht«, sagte Jasmine. Noch vor ein paar Monaten war sie schüchtern und verletzlich gewesen, doch sie hatte im Einsatz mehrere Angriffe überstanden und war mit gestärktem Selbstvertrauen daraus hervorgegangen. »Ich werde es tun, aber ich habe eine Bedingung.«
»Na hört euch das an, die Büchermaus hat bellen gelernt«, spottete Sarah.
Papineau ignorierte den Kommentar und richtete seine Aufmerksamkeit auf Jasmine. Sie war nicht der Typ, der übertriebene Forderungen stellte. »Wie lautet Ihre Bedingung?«
»Bringen Sie meine Familie nach Amerika.«
»Kein Problem. Ich setze sie in den nächsten Flieger.«
Papineau wusste, weshalb sich Jasmine derart engagierte. Sie wollte ihre Großfamilie aus den Klauen der Armut befreien. Ihr ganzes Leben lang hatte sie Geld gespart, um ihre Familie damit raus aus den Slums von Seoul und nach Amerika zu holen und ihr dort ein neues Leben zu finanzieren.
Er konnte es über Nacht Wirklichkeit werden lassen.
»Ich brauche einen neuen Laptop«, behauptete Garcia verwegen. Da Papineau offenbar bereit war, Bedingungen zu erfüllen, wollte er nicht leer ausgehen. »Als Sonderanfertigung nach meinen Spezifikationen.«
»Wird erledigt. Sonst noch jemand?«
»Eine neue Harley«, sagte McNutt.
»Für mich dasselbe«, fügte Sarah hinzu.
McNutt zog eine Augenbraue hoch.
»Was?«, beschwerte sich Sarah. »Du bist nicht der Einzige, der am Wochenende gern auf was Kraftvolles steigt.«
McNutt öffnete den Mund, um etwas zu sagen, verzichtete dann aber lieber darauf.
»Schon bewilligt.« Dann wandte sich Papineau an Cobb, den Einzigen, der noch übrig war. »Was ist mit Ihnen? Wie lautet Ihr Wunsch?«
»Mein Wunsch?«, antwortete Cobb. »Ich möchte gern wissen, was wir diesmal für Sie ausgraben sollen.«
3. KAPITEL
Das Küchenpalaver war vorbei. Es wurde Zeit, sich an die Arbeit zu machen.
Die Gruppe stieg die versteckten Treppen hinunter, die zum »Lagezentrum« im Keller führten. Die schwere Tür des Bunkers sah nicht nur so ähnlich aus wie die Tür des Lagezentrums im Weißen Haus, sie war identisch. Richtig verriegelt schützte sie vor Wasser, Gas und Kampfstoffen. Auch der Raum auf der anderen Seite der Tür entsprach weitestgehend dem in Washington. Der Hauptunterschied war, dass der Bunker des Präsidenten möglichst zweckdienlich möbliert war, während Papineau auch hier nicht auf Luxus verzichtet hatte. Die Klimaanlage des Raums hätte Museumsansprüchen genügt. Auch Kunstwerke und kostbare Einrichtungsgegenstände fehlten nicht. Eine kurze Brüstung trennte einen langen gläsernen Konferenztisch von den Ledersofas und weich gepolsterten Sesseln, sodass zwei unterschiedliche Treffpunkte entstanden – der eine formell, der andere bedeutend entspannter.
Das Team nahm rings um den Hightechtisch Platz. Papineau stand am Kopf der Tafel und wartete, bis sich alle hingesetzt hatten. Ohne Vorankündigung wurde das Licht heruntergedimmt. Papineau ging nach links, als der gewaltige Monitor, der die gesamte Wand hinter ihm bedeckte, zum Leben erwachte. Er zeigte nicht mehr die Karte Osteuropas von ihrer ersten Mission, sondern ein Bild der Balkanhalbinsel.
Die Namen der entsprechenden Länder fehlten auf der Karte, doch Cobb kannte die Gegend gut genug, um zu erkennen, dass die Grenzverläufe nicht korrekt eingezeichnet waren. Jedenfalls waren es nicht die aktuellen Grenzen. Die südlichen Bereiche Albaniens, Mazedoniens und Bulgariens wurden als zusammenhängendes Gebiet dargestellt. Und wo sich Griechenland hätte befinden sollen, waren manche Regionen unterschiedlich markiert.
Papineau schwieg zunächst und wartete darauf, dass jemand eine Vermutung äußerte.
Instinktiv wandte sich die Gruppe Jasmine zu.
»Diese Karte ist mindestens zweitausend Jahre alt«, sagte sie.
Papineau lächelte und nickte.
»Zweitausenddreihundertfünfzig Jahre, um genau zu sein.«
Jasmine grub die Fakten aus ihrer Erinnerung. »Der Korinthische Bund. Philips vereinte Heerschar für den Krieg gegen das Perserreich. Das Königreich von Makedonien.«
»Exzellent«, sagte Papineau.
»Kann jemand Ihre Übersetzung übersetzen?«, fragte McNutt.
Jasmine übernahm selbst die Aufgabe, ihre Aussage näher zu erklären. »Philipp II. von Makedonien war ein brillanter Militärtaktiker. Um 335 vor Christus hatte er fast ganz Griechenland erobert. So erlangte er die Herrschaft über die verschiedenen Fraktionen. Er beendete deren interne Konflikte und vereinigte ihre Heere zum Kampf gegen die persischen Armeen auf der anderen Seite der Ägäis.« Sie deutete zur Karte auf dem Monitor. »Es sieht zwar aus, als wären das alles verschiedene Länder, aber in Wirklichkeit wurden sie von einem einzigen Mann regiert.«
»Wie lange?«, wollte Cobb wissen.
»Philips Herrschaft hielt über zwanzig Jahre an – für die damalige Zeit eine beachtliche Leistung. Die Karte, die wir sehen, zeigt die Lage am Ende seiner Herrschaft, nicht am Anfang. Als er ermordet wurde, fiel alles an seinen Sohn.«
»Und sein Sohn war?«, fragte Sarah.
»Alexander III. von Makedonien«, antwortete Garcia.
Als sich die Teammitglieder zu ihm umdrehten, ging ihnen zum ersten Mal auf, dass der Konferenztisch nicht aus gewöhnlichem Glas war. Seine Oberfläche bestand vielmehr aus demselben Material wie der Touchscreen der Steuereinheit am Eingangstor. Was sie nicht sehen konnten, war die Unmenge von Elektronik, die sich darunter befand. Sie stammte von Payne Industries und war für das US-Oberkommando CENTCOM entworfen worden, wo der futuristische Hightechcomputer für die Planung akribisch genauer Militärschläge benutzt wurde.
Garcia brannte darauf, sein neues Spielzeug vorzuführen, und hatte eine regierungseigene Suchmaschine, die vor ihm im Tisch eingeblendet war, mit Stichworten und Daten aus Jasmines Vortrag gefüttert. Danach konnte er im Handumdrehen Informationen auf virtuelle Bildschirme vor jedem Sitzplatz übertragen. Diese »virtuellen Berichte« erreichten ihre Empfänger tatsächlich so, als hätte man sie quer über den Tisch geschoben, dabei handelte es sich um nichts anderes als einen schicken Spezialeffekt. Die Grafik war so realistisch, dass mehrere Teammitglieder tatsächlich versuchten, die Papiere festzuhalten, damit sie nicht vom Tisch fielen.
»Ich liebe dieses Ding«, sagte Garcia lachend.
McNutt war von der Technik fasziniert. So sehr, dass er das Gesicht auf das Glas drückte, um die Elektronik darunter zu sehen, was aber nicht möglich war. »Kann ich damit auch Pac-Man spielen?«
Sarah ignorierte McNutt und konzentrierte sich auf den Namen. »Alexander III. Nie von ihm gehört.«
»Ich auch nicht«, gab Cobb zu.
»Doch, habt ihr«, versicherte ihnen Jasmine. »Ihr kennt ihn wahrscheinlich unter seinem anderen Namen: Alexander der Große.«
McNutt war plötzlich ganz Ohr und richtete sich auf. »Moment mal! Wollt ihr mir sagen, dass Alex all dieses Land bekommen hat, als sein Vater starb? Zum Teufel, ich könnte auch der Große sein, wenn ich so viel Grundbesitz hätte. Das Einzige, was mir mein Dad hinterlassen hat, war ein Sixpack im Kühlschrank und etwas Trockenfleisch.«
Jasmine verzog das Gesicht. »Wann ist dein Vater gestorben?«
»Ist er nicht. Er ist bloß stiften gegangen.«
»Wie auch immer«, sagte sie betreten, »Alexander war mit seinem Erbe nicht zufrieden. Er hatte ein viel größeres Königreich im Sinn.«
Wie aufs Stichwort änderte Papineau das Bild auf dem Wand-Display. Daraufhin war eine viel größere Karte zu sehen. Die Umrisse erstreckten sich im Westen von der Adria bis zum Himalaya entlang der Grenze Indiens. In südlicher Richtung umfassten sie den Indischen Ozean und den Persischen Golf, dazu kamen die Arabische Halbinsel im Norden und ein Großteil Ägyptens. Das ursprüngliche Königreich Makedonien war kaum mehr als ein Fleck in der nordwestlichen Ecke dieser neuen Landkarte.
»Alexander der Große kontrollierte diesen gesamten Bereich«, fuhr Jasmine fort, »insgesamt über fünf Millionen Quadratkilometer. Es war eines der größten Reiche der Geschichte.«
Sarah stieß einen Pfiff aus. »Das ist eine Menge Land.«
»In der Tat«, bemerkte Papineau, der das eine oder andere über Grundbesitz wusste. »Aber das ist nur ein Teil seiner Geschichte. Alexander wurde von Generälen ausgebildet, und kein Geringerer als Aristoteles persönlich überwachte seine Ausbildung. Ihre vereinten Bemühungen machten aus ihm einen der bekanntesten Militärstrategen der Geschichte. In der Hoffnung, der Welt ein neues Gesicht zu geben, hegte Alexander schon bald Ambitionen, sein Territorium auszudehnen. Als er starb, war er in nah und fern als großer Eroberer berühmt – eine unbezwingbare, aber gnädige Streitmacht, die durch die Welt zog und Einigkeit und Wohlstand hinterließ. Viele sahen in ihm einen Gott in Menschengestalt.«
Papineau wechselte das Bild auf dem Hauptmonitor, und damit sich alle konzentrierten, wurden ihre Computerarbeitsplätze abgedunkelt.
Die Gruppe wandte sich gemeinsam um, als die riesige Landkarte verschwand und von einer antiken Illustration ersetzt wurde. Auf den ersten Blick glaubte man ein Gebäude aus Stein zu sehen, das von mehr als einem Dutzend Pferde gezogen wurde. Das Gebilde war ungefähr zwei Stockwerke hoch, es hatte ein rundes, gewölbtes Dach und war auf drei Seiten von Bildsäulen umgeben.
»Nach seinem Tod wurde Alexanders Leichnam in einen Sarg aus getriebenem Gold gelegt, und den platzierte man in einen kostbaren Katafalk, der ungefähr sieben Meter hoch war.«
»Wie kostbar?«, wollte Sarah wissen.
Papineau wechselte wieder das Bild, diesmal zu einem antiken Gemälde, auf dem die Ornamente des Katafalks zu erkennen waren. »Ein gewölbtes Dach aus Gold und Edelsteinen wurde von einer Reihe massiv goldener Säulen getragen. Oben an den Wänden befanden sich goldene Zierelemente und an jeder Ecke fein gearbeitete goldene Skulpturen. Der Legende nach war der Leichenwagen mit einer Vielzahl goldener Glocken versehen, die Alexanders Ankunft verkünden sollten. Man konnte sie im Umkreis von mehreren Meilen hören.«
McNutt verzog missbilligend das Gesicht. »Glocken? Der größte Feldherr aller Zeiten, und sie ehren ihn mit Glocken? Was ist das denn für ein Quatsch? Das ist ein Kerl, der mit Kriegselefanten in die Schlacht geritten ist. Da hätten sie sich doch wirklich etwas Männlicheres ausdenken können. Trommeln zum Beispiel. Riesige Kesselpauken, geschlagen von nackten Weibern in High Heels. Das ist eine Beerdigung.«
»Nein«, widersprach Sarah, »das ist ein Stripclub.«
»Wie auch immer«, sagte Papineau, der für McNutts Mätzchen nur selten etwas übrighatte, »der goldene Leichenwagen war verdammt schwer. Man brauchte die vereinten Kräfte von vierundsechzig der stärksten Mulis, über die die Legion verfügte, um das Ding auf die Reise zu schicken.«
»Wohin?«, fragte Cobb.
»Sein Leichnam sollte von Babylon, wo Alexander starb, nach Makedonien zu seinem Geburtsort gebracht werden«, antwortete Jasmine. »Bedauerlicherweise erreichte er seine Heimat jedoch nie. Die Prozession wurde von einem makedonischen General namens Ptolemäus Soter abgefangen, der den Leichenzug zur ägyptischen Stadt Memphis umleitete. Der Besitz des toten Königs gab Ptolemäus das Recht, die Herrschaft über Ägypten und den Großteil des Alexander-Reiches für sich zu beanspruchen. Viele Jahre später verlegte Ptolemäus’ Sohn, Ptolemäus II. Philadelphus, Alexanders sterbliche Überreste nach Norden. In der Hafenstadt Alexandria, die nach dem Herrscher benannt worden war, wurde er in ein Mausoleum umgebettet.«
An dieser Stelle übernahm wieder Papineau. »Wie Sie alle wissen, ist der Nahe Osten eine der am wenigsten stabilen Regionen der Welt, und das bereits seit mehreren Jahrtausenden. Im Laufe der letzten zweitausend Jahre fiel die Herrschaft über Alexandria mehrfach in andere Hände. Und zwar nicht nur von einem Herrscher auf den nächsten, sondern auch von einer Kultur in die andere. Alexandria war nacheinander im Besitz der Griechen, der Römer, der Christen und der Araber und wurde unvorstellbar oft ausgebaut und überbaut.«
Papineau nickte Garcia zu, der einen Knopf auf seinem virtuellen Keyboard drückte. Das Bild auf dem großen Screen wurde durch eine Videoanimation ersetzt, in der die Gebiete rings um das Mittelmeer zu sehen waren. Südlich von Griechenland pulsierte ein riesiger roter Punkt.
»Im Juli 365 nach Christus löste ein riesiges Unterwasserbeben in der Nähe Kretas einen Tsunami aus, der die ganze Region verwüstete.« Wie auf ein Stichwort explodierte der rote Punkt auf dem Screen und schickte virtuelle Schockwellen in alle Richtungen. Das Bild zoomte in den Süden und folgte einem Pfad der Zerstörung, der bis zur Stadt Alexandria führte. »An der ägyptischen Küste war die Flutwelle so gewaltig, dass sie Schiffe über zwei Meilen ins Land schleuderte. Bis auf den heutigen Tag werden bei Bauarbeiten Reste dieser Boote in der Wüste gefunden.«
Das Team war still geworden und betrachtete das Video. Besonders Jasmine bewegten die Zerstörungen. Sie erinnerten sie an die Tsunamis, die erst in jüngster Zeit Asien heimgesucht hatten.
»Wie Sie sich vorstellen können«, fuhr Papineau fort, »gab es sehr viele Todesopfer. Außerdem wurden zahllose antike Gebäude vernichtet. Tempel stürzten ein, Gebäude brachen zusammen, und Grabkammern gingen verloren.«
Er lächelte, als allen anderen die Bedeutung seiner Worte klar wurde. Es brach wie eine Flutwelle über sie herein.
Sarah hakte als Erste nach. »Meinen Sie damit, was ich denke? Wir sollen für Sie das Grab Alexanders des Großen finden?«
Papineau nickte. »Ganz genau.«
Cobb lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Weshalb?«
»Weshalb?«, wiederholte Papineau, den die Frage überraschte. »Weil die Entdeckung dieses Grabs eine bedeutende historische Leistung wäre, die Licht in eines der größten Geheimnisse unserer Zeit bringen würde. Und wenn das nicht Grund genug ist, erlauben Sie mir bitte, Sie und Ihr Team an fünf Millionen andere Gründe zu erinnern.«
»Ich rede nicht von unseren Gründen«, erklärte Cobb. »Ich spreche von Ihren. Es geht Ihnen nicht um den Ruhm, da bin ich mir sicher. Und Sie haben vermutlich mehr Geld, als Sie in zehn Leben verprassen könnten. Warum also wollen Sie eines der größten Geheimnisse der Antike ergründen, wenn Ihnen der Ruhm oder die Belohnung nichts bedeuten?«
»Die Frage ist rein hypothetisch«, sagte Jasmine, hörbar frustriert. »Seit über tausend Jahren suchen die Menschen Alexandria nach Hinweisen auf das Grab ab. Es gibt Historiker, die der Suche nach dem verlorenen Grabmal ihr ganzes Leben gewidmet haben. Jeder Mythos, jeder Winkel, jeder kleinste Hinweis wurde von den besten Wissenschaftlern der Welt ausgiebig geprüft, und sie haben nichts entdeckt. Ich kann euch allen versichern, dass es nichts mehr gibt, was man noch erforschen könnte. Keine neuen Hinweise. Keine neuen Spuren. Herrje, es gibt nicht einmal Stadtpläne von der antiken Stadt. Eine Mission wie diese ist sinnlos. Es wäre für uns leichter, auf den Mars zu fliegen.«
»Das stimmt nicht«, versicherte ihr Cobb.
Jasmine gab nicht nach. »Leider doch, Jack. Nach dem Grabmal wird seit Jahrhunderten gesucht, und als die einzige Historikerin im Raum kann ich dir versichern …«
Er fiel ihr ins Wort. »Ich meine, was du über die Stadtpläne gesagt hast.«
»Die Stadtpläne? Moment mal, was meinst du damit?«
»Ich will damit sagen, dass mindestens eine Karte vom antiken Alexandria existiert.« Cobb drehte sich auf dem Stuhl um und sah Papineau an. »Hab ich recht, Papi?«