Das Buch
97-Stunden-Wochen und Entscheidungen auf Leben und Tod: Was der britische Comedian Adam Kay vom alltäglichen Wahnsinn im Leben eines Assistenzarztes berichtet, ist komisch, erschreckend und herzergreifend zugleich.
Phänomenaler Bestseller in Großbritannien:
»Es gibt selten Bücher, die einen sowohl zum Weinen als auch zum Lachen bringen. Jetzt tut es gleich ein bisschen weh ist so ein Buch.« Ian Rankin
»Das Lachen bleibt einem schier im Hals stecken, so geschickt pendelt Kay zwischen zum Brüllen komischen Anekdoten und Geschichten puren Grauens.« The Independent
»Ein rasantes Pingpongspiel zwischen dem Komischen und dem Tragischen, das absolut den Nerv des Publikums getroffen hat.« The Guardian
»Kay schreibt mit rasiermesserscharfer Präzision. Jeder, der Arzt werden will, sollte dieses Buch lesen. Besser noch: jeder, dem irgendwann vielleicht einmal ein Krankenhausaufenthalt bevorsteht.« Mail on Sunday
»Kay landet in diesem Bericht über das Leben eines Assistenzarztes einen Treffer nach dem anderen – er erzählt direkt aus dem Schützengraben unseres Gesundheitssystems.« Financial Times
»Das tut wirklich ein bisschen weh – zum Beispiel bei der Beschreibung einer Dame, die sich mit Weihnachtsbeleuchtung vollstopft und dann das Licht anmacht.« The Scotsman
Adam Kay
Jetzt tut es gleich
ein bisschen weh
Die geheimen Tagebücher
eines Assistenzarztes
Aus dem Englischen
von Susanne Kuhlmann-Krieg
Inhalt
Einleitung
1House Officer – Das erste Jahr als Juniorarzt
2Zweites klinisches Jahr / erste Stelle als SHO
3Zweite Stelle als SHO
4Dritte Stelle als SHO
5Erste Stelle als Assistenzarzt
6Zweite Stelle als Assistenzarzt
7Dritte Stelle als Assistenzarzt
8Vierte Stelle als Assistenzarzt
9Stationsarzt / Leitender Oberarzt
10Nachspiel – Wie es weiterging
Offener Brief an den Gesundheitsminister
Dank
Für James
… und seine wankelmütige Unterstützung
Und für mich
… ohne den dieses Buch nicht möglich gewesen wäre
Um die Privatsphäre jener Freunde und Kollegen zu wahren, die es vorziehen würden, nicht erkannt zu werden, habe ich verschiedentlich persönliche Merkmale geändert. Um der Verschwiegenheitspflicht gegenüber Patienten gerecht zu werden, habe ich klinische Informationen geändert, die die Identität von Einzelpersonen preisgeben könnten, Daten verändert1, Namen anonymisiert.2 Weiß der Kuckuck, warum überhaupt – sie können mir gar nicht mehr drohen, mir meine Zulassung streitig zu machen.
1 Ich habe viel Zeit in Kreißsälen zugebracht, und Menschen tendieren dazu, das Geburtsdatum ihrer Kinder im Gedächtnis zu behalten.
2 Im Allgemeinen habe ich die Namen von Kleindarstellern des Harry-Potter-Universums verwendet, um einen juristischen Albtraum durch einen anderen zu ersetzen.
Einleitung
Im Jahr 2010, nach sechs Jahren Studium und weiteren sechs Jahren im klinischen Dienst, habe ich meinen Job als Assistenzarzt an den Nagel gehängt. Meine Eltern haben mir bis heute nicht verziehen.
Im vergangenen Jahr schrieb mir die Ärztekammer, man werde meinen Namen aus dem Arztregister streichen. Es war eigentlich kein allzu großer Schock, schließlich hatte ich seit einem halben Jahrzehnt3 nicht praktiziert, aber auf emotionaler Ebene empfand ich es dann doch als recht einschneidend, dieses Kapitel meines Lebens ein für alle Mal zu schließen.
Für mein Gästezimmer war es allerdings eine fantastische Neuigkeit, denn ich entsorgte Kiste um Kiste an altem Papierkram und schredderte meine Akten schneller als der Finanzberater einer Briefkastenfirma kurz vorm Eintreffen der Steuerfahnder. Eines allerdings entriss ich den Klingen des Todes: meine Ausbildungsunterlagen. Allen Ärzten wird nahegelegt, ihre Erfahrungen in der Klinik »reflektierend« zu protokollieren. Zum ersten Mal seit Jahren blätterte ich durch die Unterlagen, und es erschien mir, dass meine reflektierende Praxis darin bestanden haben musste, ins Bereitschaftsdienstzimmer hochzugehen und irgendetwas halbwegs Interessantes niederzuschreiben, das sich an jenen Tagen ereignet hatte.
Neben all dem Komischen und dem Alltäglichen, den zahllosen Gegenständen in verschiedenen Körperöffnungen und der kleinkarierten Bürokratie kamen mir die irren Arbeitszeiten wieder in den Sinn. Außerdem wurde mir erneut bewusst, wie ungeheuer das Dasein als Assistenzarzt mein Leben beeinflusst hatte. Rückblickend gelesen kam es mir extrem und unvernünftig vor, was da von einem erwartet wurde, aber damals akzeptierte ich es schlicht als Teil des Jobs. Es gab Momente, da hätte ich nicht mit der Wimper gezuckt, wenn ein Eintrag bei der Schwangerschaftsvorsorge gelautet hätte »nach Island zur Pränataldiagnostik geschwommen« oder »habe heute einen Hubschrauber essen müssen«.
Um dieselbe Zeit, da ich all das beim Lesen meiner Protokolle erneut durchlebte, gerieten britische Assistenzärzte im Hier und Jetzt in die Schusslinie der Politik. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es den Ärzten nicht richtig gelingen wollte, ihre Seite der Geschichte rüberzubringen (vermutlich, weil sie die ganze Zeit zu arbeiten hatten), und mir kam es so vor, als bekäme die Öffentlichkeit nicht die ganze Wahrheit darüber zu hören, was es wirklich heißt, Arzt zu sein. Statt schulterzuckend den Reißwolf wieder anzuwerfen, beschloss ich etwas zu unternehmen, um das Gleichgewicht wiederherzustellen.
Hier also sind sie, die Tagebücher, die ich während meiner Zeit im Nationalen Gesundheitsdienst Großbritanniens (NHS) verfasst habe – ungeschönt, mit allen Fehlern und Schwächen: Wie es ist, an vorderster Front zu arbeiten, welche Folgen es für mein persönliches Leben hatte und wie das alles eines schrecklichen Tages zu viel für mich wurde. Tut mir leid, dass ich das Ende vorwegnehme, aber Titanic haben Sie sich ja auch angesehen, obwohl Sie wussten, wie das Ganze ausgehen würde.
Ich werde Ihnen hier und da mit dem nötigen Medizinerjargon zur Seite stehen und ein bisschen umreißen, was zu den einzelnen Jobs an Aufgaben gehört. Im Unterschied zu einem frischgebackenen Assistenzarzt werden Sie nicht einfach ins Tiefe geschubst, während jeder von Ihnen erwartet, dass Sie ab dann genau wissen, was Sie zu tun haben.
3 Eine Studie des Gesundheitsministeriums aus dem Jahre 2006 kam zu dem Schluss, dass die Öffentlichkeit (ziemlich vernünftige Ansicht) davon ausgeht, dass Ärzte jährlich irgendeiner Form von Beurteilung unterworfen werden. Die Wahrheit aber ist, dass Ärzte vom Tag ihrer Zulassung bis zu dem Tag, an dem sie in den Ruhestand gehen, fröhlich vor sich hin werkeln, ohne dass jemand auch nur danach schaut, ob sie noch wissen, welches Ende der Spritze in den Patienten gepikt werden muss. Im Anschluss an die Ermittlungen zum Harold-Shipman-Prozess wurde 2012 ein Revalidierungsverfahren Standard, nach dem Ärzte nunmehr alle fünf Jahre begutachtet werden (A. d. Ü.: Harold Shipman war Arzt und hat mehr als zweihundert seiner Patienten umgebracht). Sie würden eine Menge Autos auf unseren Straßen vermutlich mit einiger Sorge betrachten, wenn sie nur alle fünf Jahre zum TÜV müssten, aber es ist immerhin besser als nichts, nehme ich an.
1
House Officer – Das erste Jahr als Juniorarzt
Mit der Entscheidung, in der Medizin zu arbeiten, verhält es sich im Prinzip so wie mit jener E-Mail Anfang Oktober, in der Sie aufgefordert werden, sich für eine der Menüoptionen bei der Weihnachtsfeier Ihrer Firma zu entscheiden. Zweifellos werden Sie auf Nummer sicher gehen und Hühnchen wählen, und es ist mehr als wahrscheinlich, dass alles glattgeht. Aber was, wenn jemand am Tag zuvor ein grausiges Video auf Facebook postet und Sie unfreiwillig Zeuge einer Massenaktion im Schnabelkürzen werden? Was, wenn Morrisey im November stirbt und Sie ihm zu Ehren von Ihrer bislang mehr oder minder ausschließlich fleischlastigen Lebensweise abrücken? Was, wenn Sie eine lebensbedrohliche Allergie gegen Hühnerfleisch entwickeln? Letztlich weiß niemand, was er sechzig Abendessen von heute zu Abend essen will.
Ärzte treffen ihre Berufsentscheidung hierzulande im Alter von sechzehn Jahren – zwei Jahre bevor ihnen unser Gesetz gestattet, ein Foto von ihren Genitalien ins Netz zu stellen. Wenn Sie sich daranmachen, Ihre Oberstufenkurse auszusuchen, begeben Sie sich auf eine ballistische Kurve, deren Verlauf bis zu Ihrer Rente oder Ihrem vorzeitigen Tod vorgezeichnet ist. Und anders als bei Ihrem Weihnachtsessen auf der Arbeit findet sich keine Janet aus der Logistik, die mit Ihnen Hühnchen gegen Grillkäsespieße tauscht – Sie bleiben auf Ihrer Wahl sitzen.
Die Gründe, die Sie im Alter von sechzehn Jahren bewegen, sich für ein Leben in der Medizin zu entscheiden, laufen im Allgemeinen auf das Muster hinaus: »Meine Mama/mein Papa ist Arzt«, »Ich finde Emergency Room so toll« oder »Ich will Krebs heilen«. Die Gründe eins und zwei sind albern, Grund drei wäre komplett in Ordnung – vielleicht ein bisschen zu ernst für Ihr Alter –, wäre da nicht der Umstand, dass dies etwas ist, das von Wissenschaftlern versucht wird, nicht von Ärzten. Davon abgesehen will es ein bisschen unfair erscheinen, jemanden dieses Alters bei seinem Wort zu nehmen – ein bisschen so, als erklärten Sie jenes »Ich will mal Astronaut werden«-Bild, das Sie mit fünf Jahren gemalt haben, zu einem rechtlich bindenden Dokument.
Was mich betrifft, erinnere ich mich nicht daran, dass Medizin in meinem Falle eine aktive Berufsentscheidung gewesen ist, es war eher so etwas wie die Werkseinstellung für mein Leben – wie der Marimba-Klingelton und das vorinstallierte Hintergrundfoto von einem Gebirgsmassiv auf Ihrem PC-Bildschirm. Ich bin in einer jüdischen Familie aufgewachsen (wobei für diese wohl vor allem das entsprechende Essen im Vordergrund stand), war auf einer Schule, die im Prinzip nichts anderes war als eine Würstchenfabrik für künftige Ärzte, Rechtsanwälte und Kabinettsmitglieder, und mein Vater war Arzt. Ich konnte gar nicht anders. Es war meine Bestimmung.
Da auf einen Platz fürs Medizinstudium mehr als zehn Bewerber kommen, müssen alle Kandidaten ein Interview über sich ergehen lassen, bei dem nur diejenigen, die sich unter Grillbedingungen am allerbesten schlagen, mit einem Studienplatz belohnt werden. Dass alle Bewerber sich in ihren Kursen auf einem glatten Einser-Niveau bewegen, wird sowieso vorausgesetzt, daher gründen die Universitäten ihre Entscheidungen auf nichtakademische Aspekte. Das freilich ergibt Sinn: Ein Arzt muss psychisch für den Job geeignet sein – imstande, unter furchterregendem Druck Entscheidungen zu treffen, verängstigten Angehörigen schlimme Neuigkeiten zu überbringen, und fähig, tagtäglich dem Tod ins Auge zu sehen. Er muss über etwas verfügen, das sich nicht auswendig lernen und benoten lässt: Ein wirklich guter Arzt muss ein riesengroßes Herz haben und dazu eine massiv erweiterte Hauptschlagader, durch die ein ganzes Meer an Mitgefühl und Menschenfreundlichkeit gepumpt wird.
Das jedenfalls ist das, was man annehmen sollte. In Wirklichkeit scheren sich die medizinischen Hochschulen nicht auch nur einen feuchten Kehricht um irgendwas davon. Sie fragen nicht mal danach, ob Sie Blut sehen können, sondern versteifen sich vielmehr auf ganz andere außerschulische Qualitäten: Der ideale Student ist Kapitän zweier Sportmannschaften, amtierender Schwimm-Champion des Landes, Leiter des Jugendorchesters und Herausgeber der Schulzeitung. Das Ganze ist im Grunde eine Miss-Wahl unter Gleichgesinnten, nur fehlt die Schärpe. Schauen Sie sich den Wikipedia-Eintrag irgendeines berühmten Arztes an, und Sie werden Dinge lesen wie: »In der Juniorliga ein versierter Rugby-Spieler, glänzte er später als Langstreckenläufer und war im letzten Schuljahr Vizekapitän der Leichtathletikmannschaft.« Diese spezielle Beschreibung passt übrigens auch auf einen gewissen Dr. H. Shipman, das System ist vielleicht doch nicht so unfehlbar.
Das Imperial College in London befand zufrieden, dass meine Lorbeeren aus acht Jahren Klavier und Saxofon sowie ein paar dilettantische Theaterrezensionen für die Schülerzeitschrift mich perfekt auf ein Leben auf Station vorbereitet hätten, sodass ich meine Sachen packte und mich auf die abenteuerliche Zehnkilometerreise von Dulwitch nach South Kensington machte.
Wie Sie sich vielleicht vorstellen können, ist das Auswendiglernen jedes einzelnen Aspekts von Anatomie und Physiologie des menschlichen Körpers samt jeder denkbaren Art und Weise, wie dieser versagen kann, eine ziemliche Herkulesaufgabe. Aber die Begeisterung, die mir das Wissen vermittelte, eines Tages Arzt zu sein – etwas so Bedeutendes, dass Sie wie ein Superheld oder ein international gesuchter Verbrecher dafür buchstäblich Ihren Namen ändern –, trieb mich jene sechs langen Jahre unaufhaltsam meinem Ziel entgegen.
Dann hatte ich es geschafft. Ich hatte meine Zulassung und trat mein erstes Jahr im Klinikdienst an.4 Ich hätte bei der Quizshow Mastermind auftreten können – Spezialgebiet »der menschliche Körper«. Jeder von den Zuschauern zu Hause hätte vor seinem Fernseher lauthals ausgerufen, dass das Gebiet viel zu weit und uferlos sei, und ich mich, wenn ich Erfolg haben wolle, besser auf etwas so Umgrenztes wie »Arteriosklerose« oder »Ballenzehen« beschränken solle, aber sie hätten falschgelegen, ich hatte es tatsächlich auf die Reihe bekommen.
Endlich war es an der Zeit, gerüstet mit all diesem erschöpfenden Wissen, hinaus auf die Stationen zu gehen und die Theorie in Praxis umzusetzen. Meine innere Sprungfeder hätte gespannter nicht sein können. Es war daher ein ziemlicher Schlag, als ich feststellen musste, dass ich ein Viertel meines bisherigen Lebens auf der Medizinhochschule zugebracht hatte und mich das nicht im Geringsten auf das Jekyll-and-Hyde-Dasein eines Arztes in der klinischen Ausbildung vorbereitet hatte.5
Tagsüber war der Job machbar, wenn auch nervig und irre zeitaufwendig. Sie erscheinen am Morgen zur Visite, bei der das Ärzteteam geschlossen jeden seiner Patienten abklappert. Sie dackeln hinterher wie ein hypnotisiertes Entchen, den Kopf in Einfühlsamkeit suggerierender Weise zur Seite geneigt, notieren sich jede Anweisung Ihres Vorgesetzten – MRT-Termin ausmachen, an die Rheumatologie überweisen, ein EEG veranlassen. Den Rest Ihres Arbeitstages (plus in der Regel weitere vier unbezahlte Stunden) verbringen Sie dann damit, diese schier nicht enden wollenden Anweisungen auszuführen, Formblätter auszufüllen, Anrufe zu tätigen. Letztlich sind Sie nichts weiter als ein persönlicher Assistent Ihres Chefs. Nicht gerade das, wofür Sie so lange studiert haben, aber was soll’s.
Die Nachtwachen hingegen lassen Dantes Hölle wie Disney erscheinen – ein erbarmungsloser Albtraum, der mich bitter bereuen ließ, jemals den Gedanken gehegt zu haben, ich sei gemessen an meiner Ausbildung hin und wieder möglicherweise eventuell nicht hinreichend ausgelastet gewesen. Nachts bekommt der Arztanfänger ein kleines Funkgerät – liebevoll Piepser oder auch Pager genannt – ausgehändigt, und damit fällt ihm die Verantwortung für jeden einzelnen Patienten in der gesamten Klinik zu. Den ganzen verdammten Haufen. Der diensthabende Senior House Officer und der Assistenzarzt sind unten in der Notaufnahme, untersuchen Patienten und nehmen Leute auf, während Sie oben auf Station das Schiff alleine segeln. Ein Schiff von ungeheuren Ausmaßen, auf dem zu allem Überfluss Wasser eindringt und Sie überhaupt nicht navigieren können. Man hat Sie gelehrt, Herz und Kreislauf eines Patienten zu untersuchen, Sie kennen die Physiologie der Herzkranzgefäße, aber selbst wenn Sie jedes kleinste Anzeichen und Symptom eines Herzinfarktes im Schlaf erkennen, ist es beim ersten Mal nicht so einfach, damit klarzukommen.
Sie werden von Station um Station angepiepst, von einer Schwester nach der anderen mit einem Notfall nach dem anderen – es hört nie auf, die ganze Nacht nicht. Ihre älteren Kollegen behandeln in der Notaufnahme Patienten mit einem speziellen Problem: einer Lungenentzündung, einem gebrochenen Bein. Ihre Patienten sind ähnliche Notfälle, aber sie befinden sich bereits in stationärer Behandlung, das heißt, sie haben grundsätzlich bereits ein ernsthaftes Problem. Es ist so eine Art »Super-Big-Mac«, bei dem sich Symptome zu Beschwerden und Beschwerden zu Krankheiten addieren: Sie haben einen Patienten mit Lungenentzündung zu behandeln, der mit Leberversagen eingeliefert worden war, oder einen mit gebrochenem Bein, der nach einem epileptischen Anfall aus dem Bett gefallen ist. Sie sind eine mobile, mehr oder weniger unausgebildete Ein-Mann-Notaufnahme, die von Körperflüssigkeiten (und zwar nicht solchen, die Spaß machen) durchweicht einen endlosen Strom an besorgniserregend kranken Patienten zu versorgen hat, um die sich zwölf Stunden zuvor noch ein ganzes Ärzteteam gekümmert hat. Plötzlich sehnen Sie sich nach einer Sechzehnstundenschicht mit lauter Schreibkram (oder idealerweise einem Job irgendwo dazwischen, der Ihre Fähigkeiten weder übersteigt noch zu wenig beansprucht).
Es heißt untergehen oder schwimmen, und Sie müssen lernen zu schwimmen, sonst gehen haufenweise Patienten mit Ihnen unter. Ich fand all das auf verdrehte Weise beglückend. Sicher, die Arbeit war brutal hart. Okay, die Arbeitszeiten grenzten ans Unmenschliche. Und es stimmt, ich habe Dinge gesehen, die sich bis heute unauslöschlich in meine Netzhaut eingegraben haben. Aber immerhin war ich Arzt.
4 Als »Junior Doctor« wird hierzulande jeder bezeichnet, der noch kein Facharzt oder niedergelassener Arzt ist (eine exakte deutsche Entsprechung fehlt, hier folgt nach dem Studium sofort der Assistenzarzt. Die eineinhalbjährige Station »Arzt im Praktikum« – kurz AiP – wurde 2004 abgeschafft). Der englische Begriff ist ein bisschen verwirrend, denn er suggeriert einen jungen Arzt frisch von der Uni, aber viele sind gar nicht mehr so jung, sondern arbeiten seit fünfzehn Jahren und haben in der Zeit einen Doktortitel sowie verschiedene andere Qualifikationen erworben. Es ist ein bisschen so, als wolle man jeden in Westminster – abgesehen vom Premierminister – als »Juniorpolitiker« bezeichnen.
5 Die Hierarchie sieht in England folgendermaßen aus: House Officer (1. Jahr), Senior House Officer (2. Jahr, in zwei verschiedenen Häusern), Registrar (Assistenzarzt) an verschiedenen Kliniken, Consultant (Facharzt), Senior Registrar (Oberarzt).