Dieses Buch wurde vermittelt von der Literaturagentur erzähl:perspektive, München (www.erzaehlperspektive.de)
Deutsche Erstausgabe
Copyright Gesamtausgabe © 2018 LUZIFER-Verlag
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Cover: Michael Schubert
Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2018) lektoriert.
ISBN E-Book: 978-3-95835-336-7
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
In Liebe für meine Familie
Hannah, Emma und Volker
Schon wieder ein Regionalkrimi? Es gibt inzwischen schon unzählige davon. Aus fast jeder Region, aus den verschiedensten Orten in vieler Herren Länder.
Warum ist das so?
Genau das habe ich mich auch gefragt, als dieses Buch fast fertig geschrieben war.
Ich kann es mir nur so erklären, dass die Liebe zur Heimat und zu seinen eigenen Wurzeln irgendwann zurückkommt. Meist nach der persönlichen »Sturm-und-Drang-Zeit« eines jeden Einzelnen und dem Ruf der großen weiten Welt. Irgendwann ist der Hunger, die Suche nach dem ständigen Kick, nach etwas Neuem vorbei. Vor allem bei denjenigen, die eine glückliche Kindheit auf dem Land verbracht haben.
Bei mir war das jedenfalls so. Wenn schon nicht die wichtige Lebensfrage nach dem »Wohin« verlässlich beantwortet werden kann, dann ist es doch beruhigend, zumindest das »Woher« zu kennen. Dies gilt natürlich nicht pauschal für die Menschheit, aber ich denke für einen ganz großen Teil davon. Sicher gibt es auch »Stadtpflanzen«, die genau dort glücklich sind, obwohl sie aus einem Dorf kommen.
Zur Suche nach seinen Wurzeln kommen, die täglichen Schreckensmeldungen mit denen wir in den Medien förmlich »beschossen« werden. Terror, Panik, Korruption, Krieg, Unruhen, Hass, Gewalt und Umweltkatastrophen – irgendwann stumpfen sogar die sensibelsten Menschen ab. Da ist es kein Wunder, wenn die Sehnsucht nach etwas Bekanntem, Überschaubarem, nach Regionalität und nach Heimat wächst. Sicherheit und ein kleines Stück »heile Welt«, wer wünscht sich das nicht?
Nicht umsonst steigen die Zahlen der Rückkehrer aus der »großen Stadt« jährlich an. Nach Studium oder Ausbildung zieht es immer mehr junge Erwachsene wieder in die Heimat zurück, zu den bekannten Wurzeln.
In Bayern ist aus dieser neuen Heimatliebe sogar eine Art hipper Trend geworden. Nicht nur die Regionalkrimis, auch Volksmusik oder Interpretationen davon sowie Trachtenmode haben Hochkonjunktur.
Zu meiner Jugendzeit wäre es nicht auszudenken gewesen, bei einem Volksfest in einem Dirndl zu erscheinen. Für meine beiden heranwachsenden Töchter wäre es heute wiederum unmöglich, dies ohne besagtes Kleidungsstück zu tun.
Früher war es spießig, heute ist es cool und neu – das Alte.
Meine ganz eigene Heimatliebe ist im fiktiven Dorf Unterfilzbach greifbar bzw. lesbar geworden. Unterfilzbach ist universell austauschbar, denn in jedem Dorf gibt es eine Gemeinschaft, eine Dorfratschn, einen Supermarkt, eine Feuerwehr, Volksfeste und – einen Bauhof.
Deshalb ist es mir auch ein Anliegen, dieses Buch nicht unbedingt als Thriller zu sehen. All jene, die das erwarten würden, wären enttäuscht. Für mich persönlich standen die Menschen im Dorf Unterfilzbach, ihre eigenen Geschichten und der Humor im Vordergrund.
Die Krimigeschichte sehe ich als Dreingabe. Als einen Schuss Spannung und Rätselraten bis zur Aufklärung.
Mein ganz persönlicher Wunsch ist es, allen, die dieses Buch lesen werden, ein Schmunzeln oder vielleicht sogar ab und zu ein herzhaftes Lachen zu entlocken.
Wobei ich natürlich weiß, auch Humor ist, wie vieles andere, absolute Geschmacksache.
Zu guter Letzt möchte ich noch anmerken, dass keine Ähnlichkeiten zu lebenden Personen beabsichtigt waren. Und wenn sich doch jemand erkennen sollte oder jemanden erkennt, den er kennt, dann bitte ich dies als künstlerische Freiheit oder Zufall zu sehen.
Eva Adam
Der Morgen dämmerte gerade erst, als sich Johann Scharnagl, genannt Hansi, in seine strahlend leuchtende, orangefarbene Latzhose schlängelte. Na gut, strahlend war sie seit den letzten Teerarbeiten in der Einfahrt des Rathauses vielleicht nicht mehr wirklich, aber die Arbeitskleidung ist ja auch immer ein Indiz für das Geleistete. Die Bürger in Unterfilzbach sollten so auch hoffentlich erkennen, dass in ihrem Bauhof schwer gearbeitet wurde. Eigentlich mochte Hansi seinen Job im gemeindlichen Bauhof im bayerischen Unterfilzbach gerne, jedoch verstand er ab und zu nicht ganz, warum er manche Arbeitsaufträge erledigen sollte. Ludwig Hackl, seines Zeichens Bauhofchef und von allen nur Wiggerl genannt, war für die Arbeitseinteilung seiner Mannschaft zuständig. Manchmal konnte Hansi sogar verstehen, dass die Leute immer dachten, sie würden nicht allzu viel ausrichten bei ihren täglichen Aufgaben, denn es gab tatsächlich Sachen, die fanden alle restlichen Arbeiter – Wiggerl natürlich ausgenommen – höchst unlogisch. Aber so war er eben, ihr Chef. Dafür waren die Brotzeiten regelmäßig, was Hansi schon sehr wichtig war. Und die Arbeit war bei ihm daheim – in seinem Unterfilzbach.
Als er in die Küche schlurfte, roch er es bereits. Ach nein, nicht schon wieder grüner Tee, dachte Hansi. Als seine Frau Bettina vor Jahren in der Volkshochschule einen Yoga-Kurs besucht hatte, war das der Startschuss für ihre Esoterik-Leidenschaft gewesen und diese beeinflusste inzwischen auch den Speiseplan der Familie Scharnagl. Bei den Scharnagls gab es seitdem sehr viel gesunde Kost und viel weniger wirkliche Schmankerl, so wie Hansi sich das eigentlich wünschen würde. Hansi war nämlich ein leidenschaftlicher Koch. Er liebte es, seine Familie, seine Kollegen oder Freunde zu bekochen. Dann verdrehte Bettina immer die Augen, denn Hansi war bekennender Fleischliebhaber. Deftig, würzig, traditionell, aber dennoch sehr experimentierfreudig in der Küche. Sein Kartoffelsalat war eine echte Legende in Unterfilzbach. Allerdings kochte seine Frau die meiste Zeit, und damit war der Speiseplan oft so gesund, dass Hansi manchmal beinahe krank wurde. Denn so ganz ohne Rehbraten oder Lüngerl ist das Leben ja auch nicht schön.
Was hilft es mir, wenn ich gesund lebe und überhaupt keinen Spaß am Essen habe? Essen ist doch schließlich die Erotik des Alters, fand Hansi und befürchtete gar, am Ende müsse er noch gesund sterben.
Heute schwirrten aber gedanklich schon die Weißwürste durch seinen Kopf, die es am Vormittag bei der Brotzeit im Bauhof geben würde. Sein Kollege und bester Freund Sepp wollte zu seinem 45. Geburtstag eine Brotzeit spendieren, was seine Kollegen dem »gniggaden Hund« gar nicht zugetraut hatten, denn eigentlich war Sepp wirklich ein recht sparsamer Zeitgenosse. Insofern war das gesunde Frühstück à la Bettina mit grünem Tee und Leinölquark jetzt halt nur ein kleines »Mogndratzerl«, quasi ein Appetithäppchen, wie man im Rest der Welt außerhalb Bayerns auch sagen könnte.
Bettina rührte bereits voller Inbrunst das Leinöl in den Naturquark. Mit Leinsamen und einer Bio-Birne ein Festschmaus, dachte sie, auch wenn Hansi da anderer Meinung war.
Bettina Elke Scharnagl, geborene Schlessinger, war Hansis große Liebe. Seit 25 Jahren waren sie nun schon ein Paar. Bettina war gerade 17 Jahre alt geworden, als sie sich in den zwei Jahre älteren Hansi verliebte. Die Ehe der Scharnagls ist, was wahrscheinlich sehr selten vorkommt, tatsächlich immer noch ohne größere Skandale verlaufen. Bisher gab es wirklich keine erwähnenswerten Krisen, nur ganz normale Höhen und Tiefen. Die beiden passten einfach zusammen wie der Deckel auf den Topf und sie verstanden sich auch nach all den Jahren noch richtig gut. Im Großen und Ganzen war Hansi recht glücklich und zufrieden mit seinem Leben, wenn man jetzt mal von Bettinas Leidenschaft für gesundes Essen und Esoterik absah. Er hatte drei wunderbare Kinder, auf die er zu Recht stolz war.
Isabelle, seine Erstgeborene, war eine Schönheit im aufregenden Alter von 20 Jahren. Was natürlich von den männlichen Einwohnern Unterfilzbachs und Umgebung nicht unbemerkt blieb. Mit ihren langen blonden Haaren, ihrer Model-Figur und dem Engelsgesicht hätte sie so manch einer Claudia Schiffer Konkurrenz machen können, fand Hansi. In der Bauhofwerkstatt hingen ja oft Bilder von jungen leicht bis gar nicht bekleideten Mädels an der Wand. Da könnte Isabelle locker mithalten. Aber das würde der Vater seiner Tochter natürlich niemals sagen, am Ende käme die Dorfschönheit noch auf dumme Ideen. Schließlich war Isa ja seine Tochter und Hansi wachte mit Argusaugen schon ganz genau über die Verehrer, von denen sich Isabelle abholen oder beschenken ließ.
Isabelle war mittlerweile die Starfriseuse – ähm, Verzeihung, den Ausdruck »Friseuse« mochte Isabelle absolut nicht – respektive Top Hair Artist in »Karins Friseur Stüberl«. Sie wusste, wie sie ihre Kundinnen und natürlich auch die männlichen Kunden glücklich machen konnte, Isa wickelte jeden um den Finger! Sie war selbstbewusst und strebte ihr großes Ziel an. Isa hatte sich nämlich in den Kopf gesetzt, dass sie nach ihrer erweiterten Ausbildung zum Make-up- Artist, die sie schon fest geplant hatte, einmal hinter den Kulissen der großen Modeschauen der Welt arbeiten wollte. New York, Paris, Mailand – da wollte sie hin, in die große Welt des Prêt-à-porter und des sagenumwobenen Modelbusiness. Bei Heidi Klums Topmodel-Show die zickigen Kandidatinnen schminken, das wär's doch, dachte sich Isabelle oft. Wahrscheinlich würde sie auch irgendwann ihr Ziel erreichen, denn den nötigen Biss hatte die Erstgeborene von Hansi und Bettina allemal. Aber noch schnitt sie die Haare in Unterfilzbach und lebte im elterlichen Einfamilienhaus, wenn auch in der schicken Einliegerwohnung.
Was das Essen betraf, war Hansis große Tochter durchaus bereit, die Kost zu essen, die Bettina jeden Tag zauberte. Isabelle war die Anzahl der Kalorien wichtiger als der Geschmack, mit Ausnahme von Hakans Döner, da warf sie ab und zu gerne ihre Vorsätze über Bord.
»Ich muss ja schließlich schon auf meine Figur achten. Von alleine kommt das auch nicht«, sagte sie meistens, wenn der überwiegende Teil der Scharnagls an Bettinas Öko-Gerichten herumnörgelte.
Heute schwebte Isa mal wieder engelsgleich durch die Küche und hatte es wie immer sehr eilig. Es war Dienstag, Extensions-Day in »Karins Friseur Stüberl«, das war harte Arbeit. Hansi verstand nicht so ganz, wieso Männer zum Haareschneiden zum Friseur gehen und Frauen sie sich dann wieder ankleben lassen. Aber Männer würden Frauen wohl nie wirklich verstehen.
»Guten Morgen, Papa«, begrüßte Isabelle ihren Vater mit einem Busserl auf seine Wange und – schwups – war sie auch schon wieder weg. »Heute haben wir fünf Exti-Kundinnen, und die haben nicht wirklich viel, wo man was ankleben könnte. Das wird wieder eine Fuzzelarbeit, da muss ich noch viel herrichten. Servus«, trällerte sie noch im Hinausschweben.
Bettina stellte ihrem Gatten eine große Schüssel Leinölquark vor die Nase und erklärte wieder einmal, wofür es gut sei, wenn Hansi viel davon essen würde.
»Mei, Bärle, das ist ja so gut für dein Herz und deinen Kreislauf, es fördert die Konzentration … und überhaupt … fürs Cholesterin ist es auch nicht schlecht.«
Insgeheim dachte Hansi, dass sich Bettina ja schon manchmal selber widersprach, denn bei den Fleisch- und Wurstwaren achtete sie penibel darauf, welchen Fettgehalt diese hatten, aber beim Leinöl, was ja auch eigentlich reines Fett war, da konnte sie ganze Flaschen in Schüsseln schütten – und das war dann auch noch gesund! Aber der brave Ehemann nickte nur und löffelte schweigend seine Schüssel leer. Hier half sowieso kein Widerstand.
Im Streitgespräch, wie eigentlich fast immer, kamen die zwei restlichen Scharnagl-Kinder zur Tür hereingepoltert. Der Zweitgeborene, Hansi junior, und das Nesthäkchen Indira. Die Streitigkeiten waren meistens eher unausgeglichen, denn der Scharnagl-Stammhalter Hansi war immer der stillere Teil.
Hansi junior war im dritten Lehrjahr bei Elektro Garhammer und eigentlich viel zu gut für diese Welt. Seitdem er vor Kurzem volljährig geworden war und sein eigenes Auto besaß, mutierte er quasi zu jedermanns Chauffeur. Hansis einziger Sohn konnte keinem Menschen einen Wunsch abschlagen, das sah man ihm auch schon von Weitem an. Auch der kleine Hansi trug eine Latzhose, aber nicht orange, sondern blau. Darunter wölbte sich ein kleines Bäuchlein. Überhaupt erinnerte der Jüngling an einen Teddybären mit seinen freundlichen Augen, den wuscheligen Locken – die vor langer Zeit so ähnlich auch einmal das Haupt seines Vaters geziert hatten – und dem immer lächelnden Gesichtsausdruck.
»Kannst du mich heute in die Schule fahren oder nicht?«, fuhr Indira ihren Bruder an.
Indira! Ja, dieser Name hatte viele Diskussionen im Hause Scharnagl ausgelöst. Schuld daran war Bettinas Yoga-Lehrer Ashanti, der Hansi schon ein rechter Dorn im Auge war.
Eigentlich hieß Ashanti ja Alois Amberger, aber seit er angeblich zwei Monate in einem indischen Ashram verbracht hatte, war er auf einmal Ashanti – obwohl er eigentlich auch ein echter Unterfilzbacher war. Loisl Amberger alias Ashanti kleidete sich seither nur noch in helle Leinenhosen und Leinenhemden. Sein graues Haar war schulterlang und leicht struppig. Aber auf Frauen mit dem gewissen Faible für Esoterik und ab Mitte 40 aufwärts übte Ashanti eine absolute Anziehung aus.
Seine Kurse in der Volkshochschule, Zweigstelle Unterfilzbach, waren immer gut besucht, egal ob es Yoga, Reiki, Blockadenlösung, Meditation oder Kamasutra war.
Richtig, Kamasutra unterrichtete Ashanti auch. Allerdings war der Kurs der indischen Liebeskunst sehr frauenlastig.
Bettina wollte Hansi dazu schon seit Monaten überreden, aber er sträubte sich bisher konsequent dagegen. Sie versuchte wirklich alles, um ihn zu überzeugen. Letzten November hatte sich Hansis Frau viel Mühe gemacht und ihm einen Kamasutra-Adventskalender gebastelt. Wunderschön verziert, mit glänzenden Sternen und Christbäumen, sehr filigran, aus Goldfolie ausgeschnitten. Sie hatte sich dafür extra goldene Tinte für ihren Kalligrafie-Füller und einen goldenen Skizzierstift gekauft. Auf schwarzem Fotokarton waren 24 ausgewählte Kamasutra-Stellungen mit vielsagenden Namen wie »Der Brückenpfeiler«, »Der Patronengurt« oder »Der Schmetterling« zu sehen. Sofern man sie erkennen konnte, denn das war leider nicht ganz einfach. Bettina hatte wirklich Talent für Handarbeiten aller Art, wie zum Beispiel Socken stricken oder Mützen häkeln. Aber zeichnen? Das konnte sie nicht ganz so gut. Zumindest nicht so, dass man erkennen konnte, was sie denn genau darzustellen versuchte. Das abgebildete Paar war zumindest daran auseinanderzuhalten, dass der agierende Mann wohl eine Latzhose trug – oder diese manchmal auch nur noch halb am Körper hatte – und die beteiligte Frau eine wuschelige Kurzhaarfrisur à la Inka Bause aus Bettinas Lieblingssendung »Bauer sucht Frau«. Somit waren zwei wichtige Kennzeichen für Hansi beziehungsweise Bettina gegeben und man wusste zumindest, wer gemeint war. Aber die Stellungen selbst waren sehr kompliziert und durch diese Schwierigkeit wohl auch undeutlich in der Darstellung zu erkennen, es erinnerte teilweise eher an Schlangen als an Menschen. Diese Bilder und das damit verbundene sofort einsetzende Kopfkino, wie Hansi dabei seinen Körper verdrehen und biegen müsste, hatten ihn dann doch eher abgeschreckt als seine Kamasutra-Neugierde geweckt. Regelrechte Phantomschmerzen hatte er bei diesem Anblick gefühlt.
Außerdem war Hansi schon ein wenig eingeschnappt gewesen, dass es Bettina wohl nicht nur um das gemeinsame aufregende Liebesspiel ging.
Unter jeder einzelnen Übung war zu lesen, wie viele Kalorien der Mann dabei verbrauchen würde und sogar, welche Muskelpartien trainiert werden sollten. Wohlgemerkt, nur für den Mann!
Es war Hansi natürlich bewusst, dass Bettina mit seinem wachsenden kleinen Bäuchlein nicht ganz so glücklich war. Aber dieses Bäuchlein hatte er ja immer schon. Und schließlich hatte sie ihn damit auch geheiratet. Dass so ein Bauchansatz im Alter manchmal wachsen konnte, war einfach der Lauf des Lebens, fand Hansi. Außerdem war er eigentlich ganz zufrieden mit seinem Liebesleben.
Wenn man jedoch den Kalender so sah und vor allem das Gedicht auf der ersten Seite las, das Bettina eigens für ihn geschrieben hatte, hätte man fast vermuten können, sie wäre todunglücklich mit der ehelichen Sinnlichkeit im Hause Scharnagl.
Als sie ihm den Kalender damals überreicht hatte, war Hansi anfangs wirklich sehr gerührt gewesen, bis er dann zu lesen angefangen hatte:
Bärles »besonderer« Adventskalender
Mit jeder Zeile, die Hansi las, konnte er dieses ganze Kamasutra-Zeug und alle Inder gleich mit dazu immer weniger leiden. Er fühlte sich wirklich gekränkt.
Bettina war bis dahin gar nicht bewusst gewesen, wie sehr sie ihren Mann damit getroffen hatte, aber er ließ es sie dann auch gleich spüren. Nicht, dass er was gesagt hätte, nein, aber was das Gezicke im Hause Scharnagl betraf, war Hansi ganz klar Spitzenreiter – noch weit vor seiner pubertierenden Tochter Indira und der Unterfilzbacher Stilikone Isabelle.
Über Tage hinweg hatte Bettina damals ein schlechtes Gewissen gehabt. Und sich so auch mit ihrem Wunsch, Hansi möge sie doch einmal zum Unterfilzbacher Kamasutra-Kurs begleiten, einige Zeit lang sehr zurückgehalten. Es schien wohl auch mehreren Männern nicht ganz geheuer zu sein, was da in der Schulturnhalle veranstaltet wurde, denn es waren wirklich nur weibliche Kursteilnehmer, die mehr Schwung in ihr Erotikleben bringen wollten. Die ohnehin im katholischen Unterfilzbach lediglich möglichen »Trockenübungen« wurden also aufgrund fehlender männlicher Teilnehmer mit dem Tageslichtprojektor besser veranschaulicht. Allein das mit dem Projektor verstand Hansi ja schon nicht ganz. Wie sollte denn da eine rechte erotische Stimmung aufkommen? Das war ja, als ob der Wiggerl mal wieder erklärt hätte, wie und wo bei einer Straßensperrung wie viele Verkehrsschilder wann aufgestellt werden sollten. Aber gut, Hansi war da recht tolerant. Jeder, wie er wollte – solange Bettina sein Nein akzeptierte. Für ihn war das Thema Kamasutra auf jeden Fall bis auf Weiteres abgehakt.
Für Bettina aber eben leider nicht, sie war Feuer und Flamme für den Loisl aus dem Ashram, wo immer dieser auch gewesen sein sollte. Damals hatte er eben sogar die Namensfindung des Scharnagl-Nesthäkchens beeinflusst, und von da an war er dem Hansi direkt unsympathisch gewesen. Als Bettina mit Indira schwanger war, erzählte Ashanti im Yoga-Kurs die Geschichte von Mahatma Gandhi, und davon war Bettina mehr als angetan, sowohl von der Lebensgeschichte als auch vom Namen. Gottseidank wurde Indira ein Mädchen, sonst hieße »er« jetzt Mahatma Scharnagl. Hansi hätte ja lieber eine Florentine gehabt, aber da war der Einfluss von Ashanti auf die Mutter seiner Kinder zum damaligen Zeitpunkt wohl größer gewesen.
Indira war der jüngste Spross der Scharnagl-Familie. Obwohl sie mit ihren 15 Jahren in der absoluten Hardcore-Pubertät steckte, war sie im Vergleich zu ihren Altersgenossinnen doch noch einigermaßen zugänglich. Irgendwie schlug sie trotzdem ziemlich aus der Art, fand Hansi, denn ihr neuester Wunsch war es, zu studieren. Das musste man sich mal vorstellen! Ein Scharnagl hatte bisher noch nie studiert. Hansi war die bodenständige Welt des Handwerks viel lieber und erklärbarer. »Gstudierte« mochte Hansi nicht besonders, er fand, die machten alles immer noch komplizierter.
Aber auch Indira hatte immer schon ihren eigenen Kopf gehabt. Seit ihr der Wechsel aufs Gymnasium verwehrt worden war, was Indira ihrem Vater heute noch übel nahm, hatte sie sich vorgenommen, über ihre weitere Karriere selber zu entscheiden. Und ein klein wenig war der Papa ja doch auch stolz auf sie. Sie war in der Realschule die Klassenbeste und wusste Sachen, von denen hatte der Hansi noch nie etwas gehört. Indira hatte sich in den Kopf gesetzt, nach dem Realschulabschluss ihr Abitur nachzuholen und dann vielleicht Medizin, Politik oder Philosophie zu studieren. Abitur! Ein Scharnagl! Studieren! Ein Scharnagl! Hansi bekam manchmal eine Gänsehaut, wenn er sich das vorstellte: »Frau Dr. Scharnagl bitte in den OP.«
Inzwischen fand er sich jedoch langsam aber sicher damit ab, dass er einfach eine sehr gescheite Tochter hatte. Indira war zwar genauso hübsch wie Isabelle, aber sie machte sich nicht besonders viel aus Äußerlichkeiten. Sie las lieber Bücher, als dass sie mit ihrer Schwester in »Elkes Nagel Salon« ging. Sie spielte mit den Bewohnern des Unterfilzbacher Altersheims Zum ewigen Licht regelmäßig Schach oder las ihnen etwas vor, was Hansi zuckersüß und sehr liebenswert fand. Ansonsten war auch Indira sehr selbstbewusst und bei Diskussionen allen anderen Scharnagls weit überlegen. Wie man auf gut Bayerisch halt sagt: »Sie hat a recht a Gosch'n«, quasi eine große Klappe. Und diese »Gosch'n« bekam eben heute wieder der kleine Hansi zu spüren.
»Mei, Indira, ich muss jetzt dann gleich in die Berufsschule, ich kann dich heut nicht fahren. Mir pressiert es heute wirklich ganz furchtbar«, versuchte Hansi junior seiner Schwester sein Nein zu den geforderten Chauffeurleistungen zu erklären.
»Aber ich hab doch heute meinen Projekttag Korruption in der Pharmaindustrie. Weißt du eigentlich, wie viel Zeug ich da mitschleppen muss? Soll ich das jetzt alles im Bus mitnehmen?« Indira war sichtlich erbost.
Bettina sah ihren einzigen Sohn an, der mit den Augen förmlich um Unterstützung seiner Mutter flehte.
»Indira, das hättest du dir jetzt aber auch früher überlegen können, der Hansi ist ja nicht dein Taxi«, versuchte Bettina die Situation zu beschwichtigen.
Dabei konnte man in der Küche ein sehr dankbares, entspanntes Durchatmen vom kleinen Hansi vernehmen.
»Der Papa kann dich jetzt dann zum Bus bringen, wenn er in die Arbeit fährt, dann musst du zumindest nicht bis zur Bushaltestelle laufen«, sprach die Mutter ein Machtwort.
Nachdem die Scharnagls ihr Frühstück beendet hatten, machte sich jeder auf seinen Weg. Bettina räumte noch die Küche auf und radelte dann zum KaufGut-Supermarkt im Dorf, wo sie an der Kasse saß.
An der Kasse zu arbeiten war eigentlich der beste Job im Supermarkt. Man sah, was die Leute so einkauften und konnte sich damit so manches Mal einen Reim auf die Gerüchte machen, die im Dorf umgingen. Wenn jemand zu Saufen anfängt, zum Beispiel, dann wusste es Bettina meistens schon recht früh. Außerdem ging immer ein Ratsch, wenn die Schlange nicht so lang war. Wahrscheinlich wusste eine Supermarkt-Kassiererin mehr von ihren Mitbürgern als so manch ein Pfarrer. Gottseidank musste sich Bettina aber nicht an das Beichtgeheimnis halten, auch wenn sie das Getratsche, das in einem Dorf üblich war, nicht so sehr mochte.
Donnerstag war allerdings immer so eine Sache im KaufGut, denn dann fielen die Unterfilzbacher immer wie eine Horde Heuschrecken im einzigen Dorf-Supermarkt ein. Das aktuelle Angebot aus den Werbeflyern der Einkaufskette war dann brandneu zu haben. Dies interessierte jetzt eigentlich keinen, wenn es sich um Oster-Deko oder solch banale Dinge handelte, aber bei Fernsehern, Computern oder Gartenmöbeln war es für das Supermarkt-Personal recht schwierig, gegen die Horden wild gewordener Hausfrauen durchzugreifen.
Die Aktions-Angebote waren immer sehr günstig und nicht in großer Stückzahl vorrätig. Am schlimmsten war es aber, wenn es Kinderstrumpfhosen oder Kinderschneeanzüge gab. Da war wirklich Nahkampf angesagt, nicht selten kam es sogar vor, dass sich da eine feine Schlägerei entwickelte. Nach dem letzten Schneeanzug-Donnerstag hatten die Supermarkt-Frauen einen wahren Brandbrief an die Regionalverwaltung vom KaufGut geschrieben. Sie forderten darin, bei der nächsten Verkaufsaktion dieser Art Security-Männer für den Ansturmtag im Laden zu organisieren, um nicht immer selbst eingreifen zu müssen.
Am schlimmsten war da ja die Hinkhofer Berta, die zwar schon 68, ledig und kinderlos war, aber die Berta hatte dieses Jahr gleich fünf Schneeanzüge in Größe 86 bis 136 gekauft und drei Paar Herrenfilzpantoffeln in den Größen 44, 45 und 46. Bettina fragte sich manchmal, was sie damit wohl machte. Im Internet versteigern? Am Schneeanzug-Schwarzmarkt verkaufen? Vielleicht ging es ihr aber auch nur um das Gefühl, jemand anderes die Beute vor der Nase weggeschnappt zu haben.
Die Berta war schon in Rente und sollte alle Zeit der Welt haben. Sie war früher die gefürchtete Sekretärin vom Bürgermeister gewesen. Aber trotz Ruhestand war sie immer im Stress, mehr noch als alle anderen Rentner. Von Berta erfuhr Bettina allerdings immer die absolut brandheißen News aus dem Unterfilzbacher Gemeindeleben. Berta war die ungekrönte Königin aller Dorftratschen und nicht gerade zimperlich, wenn es darum ging, über ihre Mitbürger zu lästern.
Hansi bog an diesem strahlenden Oktoberdienstag recht entspannt mit seinem blauen Opel Astra Kombi in die Bauhofeinfahrt ein. Hier am Bauhof herrschte irgendwie eine eigene Zeitrechnung, das bemerkte man schon am automatischen Einfahrtstor, das sich gut und gern 45 Sekunden Zeit lassen konnte, bis es endlich zur Durchfahrt offen war. Aber genau das liebte Hansi ja so an seiner Arbeit, es gab hier nicht wirklich Stress – außer vielleicht in den Wintermonaten. Da war es dann schon manchmal ziemlich anstrengend, das Bauhofleben, denn in Unterfilzbach schneite es sehr oft und sehr viel. Und der Schnee musste ja schließlich auch geräumt und die Straßen gestreut werden. Ab Oktober war der Bauhof-Kapo Wiggerl quasi dauerangespannt. Er kannte so ziemlich alle weltweit zugänglichen Wetterportale und recherchierte von Oktober bis März den ganzen Tag, ob es vielleicht doch noch unter 0 Grad werden könnte, wie hoch die Schneefallwahrscheinlichkeit war, wie viel Meter Schnee es werden könnten und ob auch ja genug Streusalz vorhanden war. Ganz wichtig war aber natürlich auch, dass seine Männer rufbereit waren, wenn Hilde – Wiggerls Frau – zum Telefon greifen musste, um die Bauhofmänner teilweise bereits gegen 3.00 Uhr morgens aus den Federn zu klingeln. Wiggerl rief nur selten persönlich bei seinen Männern an, weil er dann im Fall der Fälle lieber sofort in sein Bauhoffahrzeug hüpfte und kontrollierte, in welchen Straßen seines Zuständigkeitsbereichs es am meisten geschneit hatte. Da erinnerte er Hansi immer ein wenig an den hektischen Luis de Funès in seinen besten Zeiten. Wiggerl hatte bei Räumarbeiten quasi eine Funkgeräte-Standleitung zu seinen Schneepflugmännern. Allerdings verließ sich der Bauhofvorarbeiter nicht immer nur allein auf die Wetter-und Temperaturvorhersagen aus dem Internet. Nein, Wiggerl hatte seine ganz persönliche Methode entwickelt, die weitaus besser war als jeder Meteorologe. Fand zumindest Wiggerl. Wenn er das Gefühl hatte, oha, jetzt ist es aber kalt, warf er einen seiner Hausschlappen die Einfahrt vor dem Haus hinauf, und wenn dieser wieder zurückschlitterte, dann rief er: »Hilde, mach an Rundruf! Heut wird's zum Streuen.«
Das war quasi Temperaturmessung auf Bayerisch.
Ja, ja, der Wiggerl, das war schon so einer. Er war als Vorarbeiter für die Verteilung der Arbeit zuständig, aber irgendwie hatte er dazu nicht das richtige Karma (würde Ashanti wahrscheinlich sagen). Da konnte es schon mal vorkommen, dass die neuen Blumentröge für die Ortseinfahrt erst im Oktober aufgestellt und bepflanzt wurden, weil man vergessen hatte, dass die ja noch im Lager waren. Ab Oktober konnte es aber in Unterfilzbach schon wieder schneien, und dann kamen die Blumentröge spätestens Mitte Oktober auch wieder weg – denn eventuell könnte man diese ja dann, falls es spontan zum Wintereinbruch mit fünf Meter Schneehöhe käme, mit dem Schneepflug übersehen. Und dann wären sie hin.
Das Betriebsklima unter den Bauhofkollegen war recht gut. Alles Unterfilzbacher oder aus den Nachbardörfern, alle aktive Mitglieder bei der Feuerwehr und auch sonst recht zünftige Mannen. Hansi war ursprünglich gelernter Maurer, da herrschte auf der Baustelle schon ein anderer Wind. Deshalb war es im Vergleich dazu im Kommunaldienst recht entspannt. Das allerschönste im Bauhof war aber die Verlässlichkeit, vor allem beim Thema Nummer eins. Täglich um halb zehn wurde am Bauhof Brotzeit gemacht, komme, was da wolle. Alle waren Tag für Tag pünktlich im Brotzeitstüberl versammelt. Das war quasi wie ein Dogma.
Jetzt im Herbst wurde es jedoch allmählich ein wenig hektischer im Unterfilzbacher Bauhof. Also, Hektik war jetzt relativ, aber verglichen mit den sonstigen Verhältnissen schon, fand Hansi. Der Wiggerl hatte nämlich einmal in einem Seminar für kommunale Sicherheitsbeauftragte gelernt, dass bei einem Gefälle ab mindestens acht Prozent die Unfallgefahr im Straßenverkehr bei starkem Laubblätterbelag – das heißt, ab vier Blättern übereinander, sagte Wiggerl – erheblich erhöht wäre. So, und weil ja Unterfilzbach inmitten des Bayerischen Waldes lag und somit auch viele Straßen mit Gefällen hatte, um nicht zu sagen, auch steile Straßen, dazu noch eine größere Anzahl an Laubbäumen, war dies natürlich für den Wiggerl wieder eine absolute Stresssituation, sobald die ersten Blätter sich gelb färbten. Ab heute geht's wieder los, dachte Hansi noch, als er die bunte Blätterpracht auf seinem Arbeitsweg bewunderte. Und tatsächlich war es dann auch so. Als Wiggerl seine morgendlichen Aufträge verteilte, huschte ein leichtes Grinsen über die Gesichter der Bauhofmänner.
»Hansi und Sepp, ihr zwei sperrt ab heute wieder jeden Tag die Dorfstraße und blast mit dem Laubbläser das Laub weg. Am besten gleich in der Früh. Nicht auszudenken, wenn es regnet. Ein Sicherheitsrisiko, unverantwortlich, da müssen wir schon aufpassen! Das ist wirklich eine saugefährliche Sache, ihr wisst ja, was damals passiert ist.«
Wenn es nach dem Wiggerl gegangen wär, dann gäbe es aus Sicherheitsgründen in Unterfilzbach überhaupt keinen einzigen Baum mehr, was aber im Bayerischen Wald doch auch wieder recht schwierig wäre. Seit nämlich vor zwei Jahren die Straubmeier Franziska, in Unterfilzbach besser bekannt als die »ledige Fannerl«, im rüstigen Alter von 86 Jahren mit ihrem Rollator die Dorfstraße wegen des starken Laubbefalls heruntergeschlittert war und sich dadurch den Oberschenkelhals gebrochen hatte, ist der Wiggerl da noch viel vorsichtiger geworden.
Die ledige Fannerl ging jeden Donnerstag zum KaufGut, der am Ende der Dorfstraße stand, und stürzte sich ins Getümmel um die besten Kinderstrumpfhosen oder was es halt grad so zu erstehen gab. Für den Wiggerl war damit der »Schlapperl-Test« im Winter ebenso aussagekräftig wie der »Fannerl-Test« im Herbst.
Um kurz nach halb acht Uhr schaltete Sepp dann den nagelneuen »Turbo-Laub-Master-Blaster 5000« ein und war sofort begeistert. Geh, leck, ist das ein Gerät, dachte sich der Sepp, und der Hansi war ein kleines bisserl neidisch, weil er mit dem alten »Laubbläser-Gigant 50« nur ein laues Lüftchen im Vergleich zum neuen Gebläse veranstaltete. Aber genauso kraftvoll, wie das neue Wundergerät war, genauso laut war es auch. Natürlich trugen Sepp und Hansi Ohrenschützer gegen den Lärm, weil der Wiggerl auch auf die Sicherheit und Gesundheit seiner Männer bedacht war. Und mit Ohrenschützer hörten sie dieses ohrenbetäubende Gebläse natürlich nicht mehr. Jedoch wohnte an der Dorfstraße auch die Hinkhofer Berta. Und weil ja die Berta schon in wohlverdienter Rente war, schlief sie in der Regel noch morgens um kurz nach halb acht. Dies war allerdings heute ab sofort nicht mehr möglich. Als Hansi und Sepp die Dorfstraße schon halb vom Laub befreit hatten, erschraken sie aufgrund eines markerschütternden Schreies – den sie trotz Ohrenschützer wahrnahmen.
»Ja seid's ihr denn narrisch! Ihr seid's ja die allergrößten Volldeppen, die blödesten Hirschen! Zu meiner Zeit hätt es dafür eine Abmahnung gegeben.«
Hansi und Sepp waren sprachlos und wussten gar nicht, wie ihnen geschah.
Die Hinkhofer Berta stand im geblümten Nachthemd und mit Schlafmaske in den Haaren vor ihnen und schimpfte und zeterte auf sie ein, weil sie brutal aus ihrem Schlaf gerissen worden war, und in ihrem Alter war das ja schon fast wie ein hinterhältiger Mordanschlag, so ein brutaler Lärm. Und überhaupt war das bei den acht Blättern, die da auf der Dorfstraße lagen, sowieso ein Schmarrn, was sie da machten, und noch so einiges mehr.
Als sich Hansi die Ohrenschützer abzog, musste er wirklich eingestehen, dass der neue »Turbo-Laub-Master-Blaster 5000« schon sehr laut war, allerdings war die Berta noch lauter.
»Ja, Berta, da hast du schon recht, aber Auftrag ist Auftrag, da musst du schon den Wiggerl anrufen und dich beschweren«, antwortete Hansi ein wenig hilflos.
Damit ließ sich die Berta jedoch nicht wirklich beruhigen und schimpfte wutentbrannt weiter: »Ihr kommt's mir ja vor wie die zwei, wo einer ein Loch gräbt und der andere schaufelt es wieder zu, bis sie merken, dass der dritte, der die Bäume reinsetzen sollte, Urlaub hat. So blöd seid's ihr!«
Solche Beschimpfungen waren leider keine Seltenheit. Hansi fand, die Arbeit des Bauhofs wurde manchmal nicht so geschätzt, wie sie es eigentlich verdient hätte. Aber er hatte sich daran schon gewöhnt, Hauptsache, die Brotzeit war immer pünktlich und regelmäßig. Sepp funkte einfach via Bauhoffunk ihren Vorgesetzten an. Sollte sich doch der Wiggerl mit der Hinkhofer Berta auseinandersetzen, der hatte schließlich die Idee mit der Laubblaserei um diese frühe Uhrzeit gehabt.
Der Wiggerl kam dann auch zum »Tatort« und diskutierte leidenschaftlich mit Berta. Er versuchte ihr sehr geduldig das Sicherheitsrisiko zu erklären und zählte die Blätter als Beweis dafür, dass es halt nicht mehr zu verantworten wäre, wenn es jetzt regnen würde. Hansi und Sepp packten nach getaner Arbeit ihre Sachen zusammen und fuhren zur Brotzeit in den Bauhof. Wie die Diskussion zwischen der Berta und dem Wiggerl letztendlich ausgegangen war, wussten sie nicht. Denn Wiggerl wollte zu diesem Thema für den restlichen Tag nichts mehr sagen.
Der Winter war dieses Jahr – wieder einmal – ein Jahrhundertwinter, jammerte Wiggerl tagtäglich. Aber es schneite heuer wirklich seit Wochen unaufhörlich in Unterfilzbach. Wiggerl war schon knapp vor dem Herzinfarkt, weil die Schneemassen besonders heftig daherkamen und Hilde, seine Frau, beinahe täglich um 3.00 Uhr nachts bei Hansi und seinen Kollegen anrief, um sie darauf hinzuweisen, dass es schneite.
»Als ob ich das nicht selber sehe, wenn ich aus dem Fenster schau, Hilde!«, sagte Hansi jeden Tag schon automatisch und inzwischen recht genervt vom täglichen telefonischen Weckruf mitten in der Nacht.
Hansi war heute wie immer unter anderem für die Angerstraße zum Räumen und Streuen eingeteilt. Saukalt war es wieder an diesem Februarmittwoch in Unterfilzbach. Heute hätte der Wiggerl sicher keinen »Schlapperl-Test« machen brauchen, denn heute fühlte jeder Unterfilzbacher, sobald er das Haus verließ, dass der Gefrierpunkt weit unterschritten war.
Als Hansi hochkonzentriert die Angerstraße hinauffuhr, dachte er sich wieder einmal, wie saudumm es hier doch zum Räumen war. Eng, kurvig und dazu auch noch eine Sackgasse. Zum Wohnen aber ideal, weil sie direkt zentrumsnah und doch ruhig lag. Allerdings war das Wenden und Drehen mit dem neuen kommunalen »Snow-Magic-Hero 1000«-Räum- und Streufahrzeug wirklich eine Herausforderung. Zu Beginn des Winters hatte Hansi dabei jedes Mal noch ein wenig den Gartenzaun vom Birnböck Michael leicht touchiert, der am Ende der Angerstraße wohnte. Aber inzwischen hatte er ja eine Zeit der Übung hinter sich und Gefühl und Gespür für das Fahrzeug entwickelt. Hansi und sein »Snow-Magic-Hero 1000« waren in diesem Winter ein richtig gutes Team geworden.
Es war 5.45 Uhr und Hansi räumte und streute in den Straßen von Unterfilzbach schon seit 4.00 Uhr, was das Zeug hielt. Er wendete seinen Schneepflug in der Angerstraße 9 geschickt in drei Zügen und fuhr den steilen Berg langsam wieder hinunter. Plötzlich sah er etwas zwischen den Zaunlatten in der Angerstraße 5 hervorstehen. Direkt hinter dem Streugutbehälter. Was war denn das? Vielleicht ein Ast? Auf jeden Fall musste er hier einmal genauer hinschauen, denn er war ja als Bauhofmitarbeiter immer auf die Sicherheit und Ordnung in Unterfilzbach bedacht. Bestimmt war das die Schaufel vom Streugutbehälter, die wieder einmal irgendeiner so schlampig hingeworfen hatte. Wenn das der Wiggerl sehen würde, dachte sich Hansi noch, als er aus seinem »Snow-Magic-Hero 1000« ausstieg. Oha, heute ist es aber wirklich sehr glatt, erschrak Hansi und landete auf der schneeglatten Angerstraße fast auf seinem Hintern. Er näherte sich dem unbekannten Objekt.
Ja, Hundsdreck, verreckter! Das ist ja ein Arm, schoss es ihm durch den Kopf, als er wie in Schockstarre auf den Gegenstand am Gartenzaun blickte.
Es wurde Hansi noch kälter, als es ihm sowieso schon war, und gleichzeitig verspürte er eine Hitzewelle im ganzen Körper. Er rieb sich die Augen, um auch wirklich sicherzugehen, dass er richtig sah. Aber es war immer noch ein Arm, den er dort erblickte. Wie angewurzelt stand er vor seinem Fundstück und wusste nicht so recht, was er denken sollte, weil sein Gehirn aufgehört hatte, überhaupt noch einen Gedanken zustande zu bringen.
Sicher vergingen vier oder fünf Minuten, bis Hansi langsam wieder Blut durch seine Denkwindungen leiten konnte und ein bisserl zur Besinnung kam. Da stand tatsächlich ein Arm zwischen den Zaunlatten hindurch und ragte auf die Straße.
Ist da jetzt auch noch ein Körper dran?, ging es Hansi durch den Kopf.
Sollte er nachschauen? Was war, wenn da wirklich noch jemand am Arm dranhing? Wobei es mir schon lieber wäre, wenn an dem Arm noch jemand dranhängen würde, weil so ein alleinstehender Arm ja auch nicht so toll ist, dachte Hansi.
Es half jetzt alles nix, er musste nachschauen. Direkt hinter dem Streugutbehälter lag der Anhang vom Arm und war schon mit einer leichten Schneedecke überzogen, die Hansi nun unter beginnender Schnappatmung vom leblosen Körper strich.
»Ja, mi leckst am Arsch! Das ist ja der Apotheker!«, fuhr es dem Finder durch Mark und Bein.