Wie Fake News, Populisten und
unkontrollierte Technik uns manipulieren
Zweite überarbeitete Auflage
Vorwort
Eine neue Ära der Manipulation
Desinformation und ihre gesellschaftlichen Risiken
Eine Typologie der Irreführung
Soziale Medien als Drama-Maschine
Angst vor der Echokammer
Zersplitterte digitale Debatte
Populisten kreieren Parallelrealitäten
Leben wir im Informationskrieg?
Russland: Vorteil durch Dissens
Wie Falschmeldungen das Denken prägen
Die gefährdete Wahl
Wie ich Fans kaufte
Die Macht der Bilder
Düstere Werbeformen
Wann Falschmeldungen strafbar werden
Welches Netz möglich wäre
Was jeder zur Aufklärung beitragen kann
Festhalten an Fakten
Anmerkungen
Ich habe seit der Erstauflage dieses Buchs viel gelernt – und ich durfte diese Eindrücke nun in eine neue Fassung einfließen lassen. Beispielsweise interessierte mich, wieso Bilder so wirkmächtig sind. Oft funktionieren Falschmeldungen gerade deshalb, weil sie manipulierte oder aus dem Kontext gerissene Fotos einsetzen. Es ist offensichtlich, dass Menschen Bildern gegenüber ein Grundvertrauen zeigen, das sie dem geschriebenen Wort nicht entgegenbringen. Und zum Glück fand ich eine Expertin, die mir erklären konnte, wie unser Gehirn Bilder anders als Text verarbeitet und auch stark unbewusst aufnimmt. Das war einer der Aha-Momente bei meiner Recherche für die Neuauflage.
Zugegeben: Ich habe auch etwas leicht Unmoralisches getan und ein Experiment gestartet. Ich wollte wissen, wie leicht es ist, gefälschte Fans auf Facebook zu kaufen, und wie viel das kostet. Das Ergebnis können Sie in Kapitel 12 nachlesen. So viel sei verraten: Es war schon ein Nervenkitzel, als ich einige gefälschte Likes bestellt hatte, und plötzlich die Fanzahlen meiner Seite in die Höhe schossen. Von null auf 200, auf 500, auf 1000 und dann auf 2000 Fans. Es ist beeindruckend, live mitzuerleben, wie ein Knopfdruck und eine kleine Überweisung bewirken, dass man plötzlich online ziemlich populär wirkt. Das verdeutlicht umso mehr, wie skeptisch man einigen Erfolgszahlen im Netz, mit denen sich auch gerne Parteien brüsten, gegenüberstehen sollte.
Die wesentlichsten neuen Erkenntnisse betreffen allerdings die globale Debatte: Unterschiedliche Manipulationsformen wurden umso deutlicher – vor allem wissen wir nun genauer, wie im Frühjahr, Sommer und Herbst 2016 in den USA, rechtzeitig vor der Präsidentschaftswahl, die Stimmung im Netz angeheizt wurde und welche Rolle hierbei heimlich ausländische Agitatoren spielten. Die Erkenntnisse der amerikanischen Untersuchungen hierzu lesen sich teils wie ein Krimi, den ich Ihnen auch präsentieren werde.
Ich habe genau genommen alle Kapitel des Buchs überarbeitet, zum Teil diese komplett neu aufgesetzt, in jedem Fall alle Themen aktualisiert, viele neue wissenschaftliche Erkenntnisse wurden von mir eingeflochten. Auch habe ich weitere neue Tipps herausgearbeitet, wie man Falschmeldungen leichter erkennen und ein ausgeprägtes Gespür entwickeln kann, ob man vielleicht gerade manipuliert wird. Ich hoffe, dass die neuen Empfehlungen und Tricks eine nun umso praxisnähere Hilfe bieten. Eines ist aber gleich geblieben: Das grundsätzliche Anliegen und die Überzeugung dieses Buchs, dass wir die Manipulation im Netz besser verstehen müssen, wenn wir sie bekämpfen wollen.
Es ist Sonntagabend, der 12. März 2017: Im Eiltempo verbreitet sich eine Meldung im Internet, ihre Schlagzeile lautet: „Merkel hofft auf 12 Millionen Einwanderer“. Tausende Menschen macht dieser Bericht wütend, sie klicken auf „Gefällt mir“, teilen die Nachricht. Sie schreiben Kommentare wie: „Dahin soll die Reise gehen, Umvolkung, das ist das Ziel der Elite […]“ Oder sie posten über die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Diese Tante muss mann zum Teufel jagen, und der Asylanten Bus soll die erwischen.“1
In der erhitzten und rasch geführten Debatte fällt vielen Bürgern eines aber nicht auf: Diese Meldung ist irreführend. Sie lässt sich als Paradebeispiel einstufen, wie online mit Halbwahrheiten oder falschen Behauptungen Stimmung gemacht wird, wie Nutzer durch unseriöse Meldungen in Wut versetzt werden. Angela Merkel hat gar nie gesagt, dass sie auf 12 Millionen Einwanderer „hofft“ – die Hoffnung wurde ihr in den Mund gelegt. Die Wirkung bleibt nicht aus: 58.000-mal haben Benutzer bei dem emotionalisierenden Beitrag auf „Like“ geklickt, ihn kommentiert oder geteilt. Solche Zahlen sind selbst für große Nachrichtenhäuser eine erfreuliche Bilanz, allerdings kommt der Artikel nicht aus einem etablierten Medium, er stammt von einer eher unbekannten rechten Seite, die den Klickerfolg feiert.
Wir können online beobachten: Gerade unseriöse, emotionalisierende Berichte sind oft beeindruckend erfolgreich. Sie erreichen auf sozialen Medien mitunter ein größeres Publikum als manch eine ausgewogene, nüchterne Recherche. Im Netz ist ein Markt an Irreführung und Desinformation entstanden, der bis zu „Fake News“ reicht, also vollständig erfundenen Meldungen. Viele Bürger bemerken gar nicht, dass sie solche Falschmeldungen konsumieren und dabei unseriösen Portalen Vertrauen schenken.
So wie an jenem 12. März 2017. Eine 55-jährige Bayerin ist auf Facebook unterwegs. Sie scrollt auf ihrem iPhone durch die neuesten Meldungen, bleibt bei dem Text hängen, dass Angela Merkel auf 12 Millionen Migranten hoffe. Auch sie wird wütend, tippt in ihr Smartphone: „Die Frau und ihre Helfer müssen weg – hoffentlich kann die AFD noch was retten !!! Wenn die Wahl mit Rechten Dingen zu geht !! Was ich bezweifle“. Sieben Nutzer liken ihre Wortmeldung.
Womöglich hätte die Bayerin gar nie erfahren, dass der Bericht so nicht stimmt, dass einzelne Behauptungen falsch oder irreführend sind. Das erfährt sie erst, als ich sie ein paar Tage später auf Facebook kontaktiere und um ein Interview bitte. Ich habe Dutzende Nutzer, die mit Fehlinformationen in Kontakt kamen, angefragt. Mich interessiert, wie Betroffene über den Vorfall denken, ob sie daraus Schlüsse für ihren weiteren digitalen Medienkonsum ziehen?
„Nein, ich ziehe da keine Schlüsse. Es ist einfach so: Was geschrieben wird, wird geschrieben, weil die Leute das hören wollen. Weil sie lesen wollen, was sie selber denken“, sagt die Bayerin am Telefon. Sie ist eine der ganz wenigen, die sich zu einem Gespräch bereit erklären – ich habe ihr Anonymität zugesichert.
Die 55-Jährige ist höflich, gesprächsbereit und zugleich erbost über die Politik. Wir unterhalten uns zweieinhalb Stunden lang – sie erzählt mir, dass Flüchtlinge besser behandelt würden als Einheimische und sie damit rechnet, dass bald ein Bürgerkrieg zwischen den, wie sie es nennt, „Normalbürgern“ und anderen ausbreche. Früher hat die Frau stets die konservative CSU gewählt – jetzt will sie zur rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) wechseln. Sie ist eine typische „besorgte Bürgerin“. Ein Aspekt interessierte mich besonders: Wie denkt sie über den Bericht, dass Angela Merkel auf 12 Millionen Migranten hofft. Ärgert es sie, dieser irreführenden Meldung geglaubt zu haben? Die Frau sagt: „Was heißt ärgern? Ärgern tut es mich insofern nicht, weil ich der Meinung bin, es kann passieren. Auch wenn es jetzt momentan nicht gestimmt hat, ist es doch eine Meldung, die passieren kann – wenn nicht heute oder morgen, dann vielleicht in einem halben Jahr.“ Sie argumentiert dies damit, dass man ein solches Vorgehen der deutschen Kanzlerin zutrauen könne.
Die Aussage hat mich dann doch überrascht, auch wenn ich online schon häufiger solche Argumentationen gelesen haben. Nur: Wie antwortet man Menschen, die erklären, dass eine falsche Information zwar nicht wahr sei, aber eines Tages doch noch wahr werden könnte? Die Bayerin ist mit dieser Sichtweise nicht allein. In den sozialen Medien können wir Polarisierung mitansehen; Falschmeldungen werden genützt, um bestehende Vorurteile zu schüren und bestehende Bruchlinien in der Gesellschaft zu vertiefen. In solch polarisierten Debatten geht es dann nicht mehr darum, ob eine Behauptung belegbar ist, sondern ob sie dem anderen politischen Lager schadet. Wie Fehlinformation und Halbwahrheiten das demokratische Klima verätzen, können wir bereits beobachten.
Facebook-Gründer Mark Zuckerberg nannte es einst eine „ziemlich verrückte Idee“, dass Fake News im Netz politische Wahlentscheidungen beeinflussen.2 Die Aussage sorgte zu Recht für Irritation. Wir können sehen, dass ein Teil der Bevölkerung Falschmeldungen sehr wohl glaubt. Wissenschaftler versuchen spätestens seit der US-Wahl 2016 zu messen, wie groß der Einfluss von Falschmeldungen auf Bürger ist. Dass Facebooks erste Reaktion in der Debatte war, die politische Tragweite manipulativer Artikel nicht ernst zu nehmen, beunruhigte viele. Das Unternehmen gibt mittlerweile immerhin zu, dass auf sozialen Medien Gefahren für die Demokratie auftreten können.3 Ich würde Mark Zuckerberg empfehlen, länger mit Amerikanerinnen und Amerikanern zu reden, die Barack Obama für einen Muslim halten, oder mit deutschsprachigen Bürgerinnen und Bürgern, die der Ansicht sind, dass in Österreich oder Deutschland Wahlbetrug an der Tagesordnung stünde, nachdem sie das online gelesen haben. Auch Irreführung wirkt.
Selbst eine der wichtigsten Personen der Digitalisierung, Sir Tim Berners-Lee, der im Jahr 1989 in der Forschungseinrichtung CERN das World Wide Web erfand, zeigt sich mittlerweile besorgt. Zum 28. Geburtstag des Web verfasste er einen Aufruf. Er schrieb, „in den vergangenen 12 Monaten bin ich zunehmend beunruhigt worden“, und plädierte unter anderem dafür, die Verbreitung von Desinformation im Netz schwerer zu machen und auch mehr Transparenz von politischen Kampagnen online einzufordern.4
Jede neue Technologie muss eben auch auf ihr Missbrauchspotenzial überprüft werden. Nehmen wir den Wahlsieg von Donald Trump: Das Internet ist gewiss nicht die Ursache, warum Menschen diesem politischen Provokateur zujubeln. Wir leben in einer Zeit, in der Populisten es vermögen, eine tiefe gesellschaftliche Unzufriedenheit anzusprechen. Das Internet ist nicht schuld an dieser grundsätzlichen Attraktivität von umstrittenen Kandidaten, nur kann es ihren Erfolg mitantreiben. Technik wirkt manchmal wie ein Verstärker. Aktuell können wir in einigen Ländern beobachten, dass Desinformation und bösartige Unterstellungen online überdurchschnittlich sichtbar sind und ausgerechnet Rechtspopulisten von den digitalen Tools auffällig profitieren. Warum es tatsächlich Grund zur Beunruhigung gibt, was zu dieser Situation führte und was wir auch dagegen tun können, werde ich auf den folgenden Seiten erklären.
Ich habe dieses Buch in vier Teile gegliedert: Zuerst erkläre ich das Ausmaß der Irreführung im Netz und die Hintergründe, wieso wir gerade online so viele Falschmeldungen und äußerst tendenziöse, emotionalisierende Beiträge erleben. Offensichtlich ist der Mensch ein wesentlicher Teil des Problems – wir sind empfänglich für Fehlinformationen, die allzu gut zu unseren Vorstellungen und Feindbildern passen. Hinzu kommt, dass die Technik womöglich – zumindest in der jetzigen Ausgestaltung vieler Webseiten – diese menschlichen Schwachstellen verstärkt.
Darauffolgend beschreibe ich die neu entstandenen Machtverhältnisse – ein digitales Ökosystem, in dem Rechtspopulisten für ihre Anhänger eine wutgeladene Parallelrealität errichten, in der Staaten wie Russland versuchen, gekonnt die Meinung der Bürger anderer Länder zu beeinflussen, und russische Akteure auch nachweisbar Wut schüren in ausländischen Wahlkämpfen. Ich gehe der Frage nach, ob wir uns tatsächlich in einem „Informationskrieg“ befinden, wie es manch ein Verschwörungstheoretiker schon länger behauptet. Hier erkläre ich auch, wie unsere Weltsicht von ständig wiederkehrender Desinformation im Netz nachhaltig geprägt wird.
Im dritten Teil habe ich ein kleines Experiment gewagt und selbst gefälschte Likes gekauft – ich werde hier erläutern, wie Technik einen verzerrten Eindruck herstellen kann. Diese unfairen Methoden reichen von sogenannten Social Bots, also Accounts, die aussehen wie Menschen, aber in Wirklichkeit nur Software sind, bis hin zu unehrlicher Online-Werbung, die ein irreführendes Bild von Politikern zeichnen kann.
Zum Schluss dieses Buchs werden rechtliche, technische und gesellschaftliche Lösungen gebracht: Wir können etwas gegen die Manipulation im Netz tun. Das beginnt bei den großen Technikplattformen, die transparenter werden müssen – weil sie zu bedeutend geworden sind, um ihre Software und ihre Regeln im Verborgenen zu halten. Zumindest sollten Wissenschaftler die Möglichkeit haben, genau zu überprüfen, welche Nebeneffekte digitale Tools für die Demokratie haben. Zweitens werde ich behandeln, wie sich Betroffene juristisch gegen Falschmeldungen zur Wehr setzen können – und inwiefern es ein konsequenteres Vorgehen der Staatsanwaltschaft braucht. Drittens erkläre ich den Wert von Faktenchecks für die Gesellschaft, und nicht nur das: Ich werde konkrete und anschauliche Beispiele liefern, wie jede Bürgerin und jeder Bürger selbst Desinformation leichter durchschauen und effizienter dagegen vorgehen kann. Denn das ist eine der offensichtlichsten Lösungen: Je mehr Menschen die Methoden der Fälscher und Provokateure durchschauen und sich nicht von ihnen instrumentalisieren lassen, desto schwerer werden es diese Akteure in Zukunft haben, mit ihren Tricks durchzukommen. Ich bin überzeugt, dass jeder von uns einen Beitrag leisten kann, dass die Situation besser wird.
Ich habe mit Faktencheckern aus Ländern wie Italien gesprochen; mit Experten, die Fehlinformation im französischen Wahlkampf beobachten; mit amerikanischen Journalisten und Wissenschaftlern, die dort Fake News und politische Propaganda erforschen; mit Beobachtern aus Osteuropa, die über russische Medien Bericht führen; und mit Vertretern aus dem deutschsprachigen Raum, die seit Jahren zum Betrug im Netz recherchieren. Bei all diesen Gesprächen faszinierte mich eine Facette besonders: Mit welch ähnlichen Problemen wir im Einsatz gegen Irreführung konfrontiert sind. So streuen Fälscher und dubiose Webseiten in unterschiedlichen Ländern häufig vergleichbare Gerüchte, die Misstrauen in die Demokratie nähren.
Zwar gibt es landesspezifische Unterschiede, etwa welcher Politiker eine besondere Hassfigur ist, welche Minderheiten kulturell eher als Sündenbock herhalten müssen oder wie viel Geld dubiose Webseiten mit erfundenen Artikeln und den daraus generierten Klicks machen können. Doch insgesamt sind einige Parallelen auffällig: In all diesen Ländern sind neue, eher unjournalistische Webseiten entstanden, die gezielt ein Gegenpol zu dem sein wollen, was sie als „Mainstream-Journalismus“ bezeichnen. Diese sogenannten „alternativen Medien“ versprechen oft, die „Wahrheit“ zu liefern oder eine „Gegenöffentlichkeit“ herzustellen – allerdings fällt ihre Berichterstattung weniger durch faktenorientierte Ausgewogenheit als durch besondere Einseitigkeit auf. Viele dieser Seiten produzieren keinen Journalismus im klassischen Sinne – häufig haben wir es vielmehr mit politisch motivierter Berichterstattung zu tun.
Besonders deutlich wird das in Wahlkampfzeiten. Nehmen wir Frankreich: Ich interviewte Sam Dubberley, der das Projekt „CrossCheck“ redaktionell leitete, das Falschmeldungen im französischen Wahlkampf aufdeckte. „Wir sehen vor allem Spekulationen“, sagte er zu mir mehrere Wochen vor der Stichwahl. Schon früh im Wahlkampf wurden Gerüchte über den liberalen Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron gestreut, etwa dass er auf der französischen Insel Mayotte die Scharia einführen wolle, was Unsinn ist.5 Kurz vor der Wahl hieß es dann sogar, Macron würde Geld auf Offshore-Konten und vorbei am französischen Fiskus bunkern – mittels nachbearbeiteter Bilder wurde diese Geschichte im Netz verbreitet. Projekte wie „Cross-Check“ halfen, die Bevölkerung über die Irreführung rechtzeitig aufzuklären.
Speziell in polarisierten Wahlkämpfen sind solche Halbwahrheiten und Falschmeldungen mittlerweile Normalität: Mit Unterstellungen werden einzelne Kandidaten in ein schlechtes Licht gerückt. Im schlimmsten Fall sind einzelne Gerüchte extrem sichtbar und führen dazu, dass der betroffene Politiker sich wiederholt rechtfertigen muss; in diesem Moment kapern Falschmeldungen also sogar einen Teil der öffentlichen Debatte. Vor allem aber kann man sich Fehlinformation als Brandbeschleuniger für das dazu passende erhitzte politische Lager vorstellen: Die meisten Falschmeldungen sind nicht in der breiten Bevölkerung wirksam, sondern zirkulieren gerade bei jener Gruppe von Wählern, zu deren politischen Ansichten die jeweilige Botschaft besonders gut passt. Die Gefahr besteht hier, dass diese Bürger auch durch Falschmeldungen emotional weiter angetrieben werden. Das Schüren von Wut ist eine äußerst erfolgreiche politische Strategie – es aktiviert das eigene Lager und bringt Menschen auch eher zur Stimmabgabe.6
Die meisten üblen Gerüchte kursieren also hauptsächlich in der inhaltlich dazu passenden Nische im Netz, allerdings gibt es politische Hochphasen, in denen einzelne Falschmeldungen tatsächlich eine beträchtliche Sichtbarkeit erringen.
Dazu ein Beispiel aus Italien: Im Dezember 2016 stimmte das Land über eine Verfassungsreform ab, die den Senat in Rom geschwächt hätte. Das Referendum scheiterte schließlich. In den Wochen vor der Wahl kursierten haufenweise Falschmeldungen. Die Faktenchecker-Seite „Pagella Politica“ machte eine interessante Auswertung: Sie haben die zehn stärksten Texte im italienischen Wahlkampf auf sozialen Medien analysiert – ausgewertet wurden Artikel mit „Referendum“ im Titel, gemessen wurde ihre Interaktion auf den Plattformen Facebook, LinkedIn, Twitter und Google+. „Die Resultate sind nicht ermutigend“, schreiben sie.7
Unter den zehn stärksten Texten sind fünf problematisch: Bei vier handelt es sich um glatte Falschmeldungen, eine ist in ihrem Titel schwer irreführend. Die erfolgreichste Meldung auf Social Media trug die Überschrift: „Wahlzettel wurden bereits mit ‚Ja‘ markiert“. In dem Text wird behauptet, dass 500.000 Karten vorab manipuliert worden seien.8 Das ist eine Erfindung – und im Impressum wendet diese Seite einen weit verbreiteten Trick an: Sie erklärt, dass sie nur „Satire“ sei, wobei das Element der Satire hier nicht erkennbar ist. Insgesamt hat diese erfundene Meldung 233.000 Reaktionen auf sozialen Medien ausgelöst – eine beeindruckende Zahl.9
Unter den zehn stärksten Meldungen zum italienischen Referendum sind also fünf irreführend oder falsch. Solche Hochphasen von Desinformation sind ein Worst-Case-Scenario für demokratische Abstimmung, weil man davon ausgehen muss, dass ein Teil der Bürger seine Wahlentscheidungen auch basierend auf Fehlinformation trifft.
Noch berühmter als die Irreführung in Italien ist natürlich die US-Wahl 2016, bei der viele erfundene Geschichten kursierten und letztlich der republikanische Kandidat Donald Trump gegen die Demokratin Hillary Clinton gewann. Das Onlinemedium „Buzzfeed“ veröffentlichte eine Statistik, die viele Amerikaner entsetzte: Über Monate hinweg hatten die Journalisten analysiert, ob die erfolgreichsten Artikel auf Facebook aus dem klassischen Journalismus stammten oder ob sie Fake News, also frei erfundene Meldungen, waren. Gemessen wurde die sogenannte Interaktion, also die Gesamtzahl der Likes, Kommentare und wie oft ein Beitrag geteilt wurde.
In den letzten drei Monaten wurden zutiefst unseriöse Geschichten dominanter: Die 20 stärksten Falschmeldungen erzielten nun mehr Wirbel auf Facebook als die 20 stärksten Nachrichtentexte klassischer Medien. „Als die Wahl näherkam, schoss die Interaktion bei gefälschten Inhalten auf Facebook in die Höhe und überbot die Inhalte von großen Nachrichtenmedien“, erklärt das Medium. Die größte Falschmeldung in dieser Phase war der Bericht, wonach der Papst Donald Trump als Kandidat unterstützen würde. Die zweitstärkste Fehlinformation behauptete, dass Hillary Clinton Waffen an die Terrorgruppe „IS“ verkauft hätte.10 Unter den 20 erfolgreichsten Falschmeldungen waren 18 hilfreich für die Kampagne von Trump, und nur eine sprach das Clinton-Lager an.
Interessanterweise scheinen Menschen Falschmeldungen tendenziell zu glauben. Das legt zumindest eine Befragung des Meinungsforschungsinstituts Ipsos Public Affairs nahe, die im Auftrag von „Buzzfeed“ nach der US-Wahl durchgeführt wurde. Die Meinungsforscher legten Bürgern unterschiedliche Fake-News-Schlagzeilen vor und fragten sie, ob sie die Meldung selbst gesehen und ob sie diese damals für wahr gehalten hatten. Die Mehrheit der Amerikaner, die sich an einzelne Falschmeldungen erinnern konnten, hatten sie geglaubt. Nehmen wir nur die Meldung, dass der Papst Trumps Kandidatur unterstützen würde. Beinahe zwei von drei der Amerikaner, die nach eigener Auskunft diese Behauptung gesehen hatten, hielten sie für wahr – unter Trump-Wählern waren es sogar 75 Prozent.11
Einzelne erfundene Storys haben also eine starke Sichtbarkeit und werden wohl von einigen Nutzern geglaubt. Die große Frage ist nun: Wie weit verbreitet ist das Problem der Fake News in der Gesamtbevölkerung – betrifft es nur einen Ausschnitt oder die breite Masse?
Mittlerweile gibt es hierzu eine aufschlussreiche Untersuchung der Politologen Brendan Nyhan, Jason Reifler und Andy Guess. Sie haben die letzten Wochen vor dem amerikanischen Wahlkampf ausgewertet. Sie analysierten dabei, welche Webseiten mehr als 2500 erwachsene Amerikaner auf ihrem Laptop- oder Desktopcomputer aufriefen. Und sie kombinierten diese Ergebnisse auch mit Umfragedaten dieser Studienteilnehmer. Die Forscher kamen zum Ergebnis: Einer von vier Amerikanern rief eine Fake-News-Seite während des Wahlkampfes auf, konkret waren es 27,4 Prozent.
Das ist eine gute und schlechte Nachricht zugleich: Fake News sind demnach kein Phänomen, das die breite Masse betrifft. Sehr wohl aber kam ein signifikanter Teil der Bevölkerung mit derartiger Desinformation in Kontakt, immerhin jeder vierte Amerikaner ab 18.
Angemerkt sei an dieser Stelle, dass diese Studie wirklich nur eindeutige „Fake News“-Webseiten erfasst, die bekannt dafür sind, Meldungen zu erfinden und herausragend falsche Inhalte zu verbreiten. Gemessen wurde also der Kontakt mit Meldungen wie: „Papst Franziskus schockiert die Welt, unterstützt Donald Trumps Kandidatur, veröffentlicht dazu Statement.“ Nicht gemessen wurde eine große Grauzone – also beispielsweise rechte Medien wie „Breitbart“, die oftmals tendenziös und auch irreführend berichten, aber nicht unbedingt Geschichten als Ganzes erfinden. Diese Statistik betrifft also nur das Schlimmste des Schlimmen: Ein Viertel der Amerikaner kam mit solchen Meldungen in Kontakt.
Wobei hierzu eine zweite Erkenntnis der Wissenschaftler wichtig ist: Der Konsum von Fake News ist nicht gleichmäßig auf die Gesellschaft verteilt. Im Gegenteil! Jene Amerikaner, die besonders viele konservative Webseiten frequentieren, sind besonders betroffen. Zwei von drei sahen Fake News, konkret 65,9 Prozent.
Die Politologen ermittelten nämlich die „Mediendiät“ der Studienteilnehmer – ob diese hauptsächlich rechte, hauptsächlich linke oder doch heterogene Medien konsumierten. Jenes Zehntel, das am meisten rechte Webseiten aufrief, konsumierte auch den Großteil der Falschmeldungen. Diese Bürger riefen im Schnitt sogar 33 Fake-News-Artikel auf von Webseiten, die positiv über Donald Trump berichteten. Überzeugte Trump-Wähler waren offensichtlich die größten Opfer von Desinformation.
Noch eine weitere Erkenntnis der Forscher ist wichtig: Facebook spielte eine Rolle. Jenes Drittel der Amerikaner, das dieses soziale Medium besonders aktiv nutzte, rief überdurchschnittlich oft Falschmeldungen auf. Speziell Trump-Unterstützer, die viel Zeit auf Facebook verbringen, kamen in sechs von zehn Fällen mit Fake News in Kontakt (62,4 Prozent). „Unsere Ergebnisse liefern den bisher triftigsten unabhängigen Beleg, dass Facebook ein zentraler Faktor in der Verbreitung von Fake News war“, notieren die Wissenschaftler Brendan Nyhan, Jason Reifler und Andy Guess.12
Dieses Ergebnis ist beunruhigend, da viele Bürger soziale Medien als Nachrichtenquelle benutzen. In den USA sind es 51 Prozent, in Österreich und der Schweiz je 45 Prozent und in Deutschland 29 Prozent (die Deutschen sind hier vergleichsweise zurückhaltend), dies geht aus dem „Digital News Report 2017“ des Reuters Institute der Universität Oxford hervor.13
Der bisherige Forschungsstand legt nahe: Wir müssen wahrlich keine Angst haben, dass jeder Bürger nur noch Desinformation konsumiert – selbst die USA scheinen von einer solchen Dystopie weit entfernt, viele Internetnutzer informieren sich durchaus ausgewogen. Sehr wohl aber gibt es ein messbares Problem, wonach eine Nische in der Bevölkerung ein besonders einseitiges Mediennutzungsverhalten zeigt und auch umso anfälliger für Falschmeldungen ist. Das ist keine gute Ausgangslage für Wahlen.
Wobei eines wichtig ist: Nicht bei jeder Wahl treten automatisch solche unbehaglichen Phänomene zutage. Die Bundestagswahl 2017 in Deutschland war zum Beispiel insgesamt eher unspektakulär – vereinzelt gab es Fälschungen und irreführende Behauptungen, aber sie haben keine so enorme Sichtbarkeit erlangt wie bei anderen brutaler umkämpften Wahlen.14 Es gibt meines Erachtens zwei Faktoren, die solche unfairen Methoden eher begünstigen: Erstens die allgemeine Polarisierung im Land. Je gespaltener eine Gesellschaft – und dementsprechend auch erhitzter die öffentliche Debatte – ist, desto eher entsteht ein Nährboden, auf dem auch groteske Behauptungen über das andere Lager gut gedeihen können. Die Bundestagswahl 2017 bot wenig Nährboden, weil sich früh der Eindruck erhärtete, dass Angela Merkels CDU wohl klar die Abstimmung gewinnen würde. Am emotionalisierendsten war wohl noch die Frage, ob und mit wieviel Prozentpunkten die rechtspopulistische AfD in das Parlament kommen würde (was ihr letztlich sogar mit einem zweistelligen Ergebnis gelang). Meine zweite These ist, dass gerade Wahlen mit einer binären Auswahl Polarisierung begünstigen und dann auch für unfaire Meinungsmache anfällig sind – ich meine damit Wahlen, bei denen Bürgern nur zwei Optionen zur Verfügung stehen. Wir erleben solche Situationen in Zwei-Parteien-Systemen wie den USA, bei Volksabstimmungen oder bei Stichwahlen zwischen Präsidentschaftskandidaten – hierbei können Bürger nur zwischen zwei Kandidaten oder zwischen Ja und Nein wählen. Solche Phasen begünstigen mitunter eine Trennung der Gesellschaft in zwei Lager. Zumindest waren auffällig viele Wahlkämpfe, in denen einzelne Falschmeldungen deutlich sichtbar wurden, binäre Abstimmungen: Darunter die US-Wahl 2016, die Präsidentschaftswahlen 2016 in Österreich und das Referendum in Italien 2016. Gerade bei Wahlkämpfen zwischen nur zwei politischen Lagern werden oft gesellschaftliche Bruchlinien besonders deutlich. Eine der größten Gefahren von Falschmeldungen ist, dass sie ohnehin schon existierende Bruchlinien in der Gesellschaft weiter vergrößern.
Das führt mich zu einem weiteren Aspekt, der die Desinformation so unbehaglich macht: Einzelne Falschmeldungen sind darauf ausgerichtet, die Grundpfeiler unserer Demokratie ins Wanken zu bringen. Einerseits ist ein Teil der Falschmeldungen antidemokratisch, mit erfundenen oder aufgebauschten Behauptungen wird das Misstrauen in Wahlen geschürt. Und andererseits zielen einige Falschmeldungen darauf ab, die Wut gegenüber einzelnen Minderheiten zu nähren – und sie begünstigen letztlich die „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“, bei der einzelne Bevölkerungsgruppen abgewertet werden. Schlimmstenfalls fördern solche Falschmeldungen sogar eine Entfremdung zu demokratischen Grundwerten, zumindest in jenem kleinen Teil der Bevölkerung, der diese Geschichten liest und aktiv teilt.
In etlichen Ländern finden Sie beispielsweise solche Behauptungen, dass Wahlen gefälscht seien. Nicht nur Donald Trump verbreitet solche Thesen auf Twitter, ohne einen Beleg dafür zu bringen.15 Erinnern Sie sich kurz an die erfolgreichste Meldung in sozialen Medien zum italienischen Referendum. Dieser erfundene Text behauptete, 500.000 ausgefüllte Stimmzettel seien vor der Wahl entdeckt worden. Ein Sizilianer wäre mit seinem Hund Gassi gegangen, hätte Säcke voll mit solchen Zetteln gefunden und den Behörden gemeldet. Im Text heißt es auch: „Shock ed incredulità tra i cittadini del luogo per il ritrovamento che e’ stato fatto oggi dalla sezione Polizia elettorale.“ Auf Deutsch: „Schock und Fassungslosigkeit unter den Bewohnern des Ortes aufgrund dessen, was die Abteilung für Wahlprüfung der Polizei entdeckt hat.“16 Die erfolgreichste Meldung zum Referendum ließ Italiener also daran zweifeln, ob sie dem Wahlergebnis überhaupt trauen können.
Auch in Deutschland kursieren Gerüchte über angeblichen Stimmbetrug. So berichtet ein Blog namens „Der Wächter“: „Studie beweist: Wahlfälschung in Deutschland keine Ausnahme, sondern die Regel!“ Der Titel ist falsch, der Text insgesamt irreführend: Zwar wird darin eine reale Studie zitiert, nur die zentrale Erkenntnis der Untersuchung falsch wiedergegeben. Die Politikwissenschaftler Achim Goerres und Christian Breunig haben ungeheuerliche Datenmengen ausgewertet. Mit mathematischen Berechnungen suchten die Wissenschaftler nach statistischen Indizien für mögliche Unregelmäßigkeiten – einen großen Wahlbetrug fanden sie dezidiert nicht. Ich kontaktierte beide Studienautoren, was sie von dem alarmistischen Blogeintrag des „Wächters“ halten. Ihr Urteil: „Völlig falsche Wiedergabe“. Doch diese „völlig falsche Wiedergabe“ ihrer Studie, die Misstrauen in die deutsche Demokratie nährt, erzielte 31.000 Interaktionen auf Facebook und war damit erfolgreicher als viele ausgewogene und korrekt recherchierte Geschichten.17
In Österreich kennen wir Spekulation über angeblich manipulierte Wahlen auch gut – während der Bundespräsidentschaftswahlen 2016 kursierten etliche wilde Gerüchte auf Facebook, und die Rechtspopulisten der FPÖ stilisierten sich als Opfer. 18 Tatsächlich hob der Verfassungsgerichtshof (VfGH) einen Wahlgang wegen Schlampereien und Rechtswidrigkeiten in einzelnen Wahlbehörden auf. Allerdings hielten die Höchstrichter ausdrücklich fest, dass „keiner der von ihnen einvernommenen Zeugen Anhaltspunkte für tatsächliche Manipulationen wahrgenommen hat“.19 Einige Facebook-Nutzer ließen sich von der Einschätzung der Richter damals nicht beeindrucken, sie posteten Sätze wie: „Wahlbetrug mitten in Europa! Darum geht es hier! Eine einzige Schande!!!“ Und wenn andere Bürger dem widersprachen, wurde ihnen beispielsweise ausgerichtet: „ich finde es traurig, dass es immer noch so viele gibt wie dich, die von den Medien erfolgreich manipuliert werden.“20
Viele politische Falschmeldungen nähren also Zwietracht und Unbehagen in unserer Gesellschaft: Indem eine große Verschwörung der „Altparteien“/Elite/Medien gegen „das Volk“ insinuiert wird oder indem Randgruppen als Gefahr für das eigene Wohlergehen oder als Konkurrenz dargestellt werden, beispielsweise indem es heißt, diese Randgruppen würden angeblich mehr Mittel vom Staat erhalten.
Ich habe mir zum Beispiel angesehen, was die erfolgreichsten Meldungen zum Thema „Flüchtlinge“ auf Facebook im Jahr 2017 waren – erfasst wurden mittels dem Analysetool Buzzsumo jene Beiträge, die besonders viele Likes, Kommentare und Shares (also Interaktionen) hatten. Hier ist die Übersicht der fünf erfolgreichsten Texte aus einem ganzen Jahr:
1.700 Euro Weihnachtsgeld für Flüchtlinge (erschienen auf: nachrichten.de.com, 180.000 Interaktionen)
2.„Flüchtlinge sind bei uns unerwünscht!“: AfD will Alice Weidel aus Partei ausschließen (erschienen auf: der-postillon.com, 66.000 Interaktionen)
3.Barcelona: 160.000 Spanier demonstrieren für Aufnahme von Flüchtlingen (erschienen auf: zeit.de, 55.000 Interaktionen)
4.Baden-Württemberg: Flüchtlinge machten offenbar mehrfach Urlaub in Heimatländern (erschienen auf: welt.de, 52.000 Interaktionen)
5.Italien: „Flüchtlinge“ führen blutigen Krieg gegen Militär und Polizei – Mafia liquidiert 120 Afrikaner (erschienen auf: anonymousnews.ru, 50.000 Interaktionen)
Die erfolgreichste Meldung in diesem Ranking, wonach Flüchtlinge 700 Euro zu Weihnachten bekämen, ist erfunden: Bei der Adresse nachrichten.de.com handelt es sich um eine Fake-Seite, auf der Nutzer anonym Artikel erfinden können. In der Selbstbeschreibung heißt es: „Alle Witz dieser Seite sind frei erfunden und fiktiv, es ist alles nur Spaß!“21 Wobei der angebliche „Spaß“ für viele User nicht erkennbar war, die diese Meldung ernst und erbost kommentierten und teilten.
Unter diesen Top-fünf-Meldungen zu Flüchtlingen sind insgesamt drei falsch oder umstritten: Platz eins ist eine Erfindung22; Platz vier ist umstritten, weil hierzu harte Zahlen fehlen, was zum Beispiel „ZDF“ aufzeigte23; Platz fünf ist irreführend, beispielsweise gab es keine Ermordung von 120 Afrikanern.24 Die Webseite anonymousnews.ru, die auf Platz fünf landete, ist ein außerdem eine herausragend unseriöse Quelle, die regelmäßig Falschmeldungen und Verschwörungstheorien verbreitet.
Dass eine Erfindung zum Thema Flüchtlinge an erster Stelle auf Facebook landet und dort somit erfolgreicher ist als jede andere Meldung zu Flüchtlingen aus dem Jahr 2017, erscheint mir schon besorgniserregend. In den Kommentaren zu diesem Text quillt der Zorn hervor: „Die sollen zurück ins heimatland gehen die dreckschweine !!danke frau merkel die dürfen hier morden und werden noch nicht mal bestraft supper echt geil ich kotz gleich“, schreiben Nutzer. Oder: „Kann mal einer die Alte aufhalten. Bei sowas wünsche ich mir die RAF zurück!“25
Ich bezweifle, dass Falschmeldungen der Grund sind, warum so viel Wut gegenüber Flüchtlingen in unserer Gesellschaft sichtbar ist – das wäre eine zu simple Erklärung. Aber Falschmeldungen heizen das ohnehin schon brisante Klima zusätzlich an.
Aktuell werden auch menschenverachtende Narrative sichtbar, die in den vergangenen Jahrzehnten bewusst zurückgedrängt worden waren – darunter klar antisemitische Theorien, bei denen einzelne Juden als Sündenbock desavouiert werden. Das offensichtlichste Beispiel ist US-Milliardär George Soros, dessen Stiftung auch Bürgerrechtsorganisationen und Flüchtlingshelfer in Osteuropa unterstützt. Soros wird nicht nur von Rechten in Osteuropa verunglimpft, auch im deutschsprachigen Raum ist er Opfer unseriöser Behauptungen. Das verschwörungstheorielastige Blog noch.info schreibt über ihn: „Der Plan von George Soros gehackt: Seine organisierte Flüchtlings-„Krise“ basiert auf Bestechung und Täuschung“. Zu Beginn der Meldung heißt es prompt: „Geld regiert die Welt. Niemand weiß das besser als Rothschild-Agent George Soros.“26 Das rechte Magazin „Compact“ titelte wiederum: „George Soros und sein 7-Punkte-Plan für den Volksaustausch“. Nutzer posten dann Sätze wie: „Man sollte noch darauf hinweisen, dass der Soros auch nur der Laufbursche des Rothschild-Clans ist.“ Oder: „Typisch! Soros ist Jude und fordert die systematische Ausrottung des deutschen! Fordere mal weiter, mal sehen wer dann ausgerottet wird!!!“27 Und wer in flüchtlingskritischen Facebook-Gruppen mitliest, sieht Bildmontagen, die Soros beispielsweise als Marionettenmeister zeigen, der unterschiedliche politische Akteure insgeheim lenkt – ein klassisch antisemitisches Sujet. Perfide an derartigen Unterstellungen ist, dass George Soros 1930 in Budapest geboren wurde und mit großem Glück den Nationalsozialismus überlebte.