Inhaltsverzeichnis

1941–1992

 

und

 

Michael Wade Kaplan

1974–2004

Thomas McGuane, Panama

Leute, die zu einer Überzeugung über einen Mann gelangt sind, lieben es nicht, sich umstimmen zu lassen, ihr Urteil aufgrund neuer Indizien oder neuer Argumente zu revidieren, und der Mann, der sie umzustimmen versucht, verschwendet mindestens seine Zeit, wenn er sich nicht gar Ärger einhandelt.

John O’Hara

Ja, von der Tafel der Erinnerung will ich

Weglöschen alle törichten Geschichten,

Aus Büchern alle Sprüche, alle Bilder,

Die Spuren des Vergangnen, welche da

Die Jugend einschrieb und Beobachtung.

Hamlet

die anfänge

»Du siehst dir verblüffend ähnlich.«

 

So lautet der erste Satz von Lunar Park, der in seiner Kürze und Einfachheit eine Rückkehr zur Form, ein Echo auf die erste Zeile meines Debütromans Unter Null darstellen soll.

 

»Auf den Freeways in Los Angeles werden die Leute auch immer rücksichtsloser.«

 

Von da an wurden die ersten Sätze meiner Romane, mochten sie noch so geschickt konstruiert sein, immer komplizierter und verschachtelter, überfrachtet mit der sperrigen, überflüssigen Aufzählung von Nebensächlichkeiten.

 

Mein zweiter Roman, Einfach Unwiderstehlich, begann zum Beispiel:

 

»die dich vielleicht langweilt, aber du mußt ja nicht zuhören, sagte sie mir, weil sie immer gewußt hat, daß es so kommen würde, und sie glaubt, es war ihr erstes Jahr, oder, eigentlich ein Wochenende, tatsächlich Freitag, im September, in Camden, und das ist drei oder vier Jahre her, und sie wurde so betrunken, daß sie im Bett landete, entjungfert wurde (spät, sie war schon achtzehn) in Lorna Slavins

 

Das Folgende stammt aus meinem dritten Roman, American Psycho.

 

»›Ihr, die ihr hier eintretet, lasset alle Hoffnung fahren‹ ist in blutroten Lettern auf die Wand der Chemical Bank an der Ecke Eleventh und First geschmiert, so groß, dass man es auch vom Rücksitz des Taxis aus erkennen kann, das sich im Verkehr aus der Wall Street vorarbeitet, und eben als Timothy Price die Schrift bemerkt, schiebt sich ein Bus neben uns, und eine Seitenwerbung für Les Misérables versperrt den Blick, aber Price, sechsundzwanzig und bei Pierce & Pierce, scheint das nicht zu kümmern, denn er verspricht dem Fahrer fünf Dollar, wenn er das Radio lauter stellt, ›Be My Baby‹ auf WYNN, und der Fahrer, kein Amerikaner, macht es.«

 

Das hier aus meinem vierten Roman, Glamorama:

 

»›Flecken – das ganze dritte Panel ist voller Flecken, da! – nein, das – das zweite von unten, und ich wollte das ja schon gestern jemand sagen, aber da kam der Fototermin dazwischen, und Yaki Nakamari oder wie zum Teufel der Designer schon heißt – ein Meister seines Fachs, hahaha – hat

 

(Die Informanten war eine Sammlung von Erzählungen, die zwischen American Psycho und Glamorama erschien, und da ich viele davon schon zu Collegezeiten verfasst hatte – vor der Veröffentlichung von Unter Null –, standen sie für den gleichen Minimalismus.)

 

Wie jeder, der den Gang meiner Karriere verfolgt hat, unschwer erkennen kann – falls Literatur tatsächlich zwangsläufig das Innenleben des Schriftstellers bloßlegt –, liefen die Dinge wohl etwas aus dem Ruder und bekamen fatale Ähnlichkeit mit dem, was die New York Times als »mittlerweile kompliziert bis zur Skurrilität … aufgebläht und banal … überdreht« bezeichnet hatte, und dem mochte ich nicht unbedingt widersprechen. Ich wollte zur früheren Schlichtheit zurück. Mein Leben war mir über den Kopf gewachsen, und in diesen Anfangssätzen schien sich zu spiegeln, was falschgelaufen war. Ich musste zurück zu den Wurzeln, und obwohl ich hoffte, dass ein schlanker Satz – »Du siehst dir verblüffend ähnlich« – diesen Prozess in die Wege leiten würde, war mir doch bewusst, dass mehr als eine Aneinanderreihung von Wörtern notwendig war, um das Trümmerfeld zu bereinigen,

 

Als ich noch am Camden College in New Hampshire studierte, belegte ich ein Tutorium über kreatives Schreiben und schrieb im Winter 1983 einen Text, aus dem dann irgendwann Unter Null entstand. Das Buch schilderte detailliert die Weihnachtsferien eines reichen, sexuell ambivalenten, gefühlskalten jungen Manns, der aus seinem College im Osten nach Los Angeles – genauer gesagt nach Beverly Hills – zurückkommt; es geht also um Partys, auf denen er sich herumtreibt, um Drogen, die er konsumiert, um die vielen Mädchen und Jungen, mit denen er Sex hat, und all die Freunde, die er in Drogenabhängigkeit, Prostitution und völlige Apathie abrutschen sieht, ohne etwas dagegen zu tun; tagsüber fährt man mit gut aussehenden Blondinen in hochglanzpolierten Cabrios zu schnell zum Beachclub und ist dabei auf Nembutal; die Nächte vergeudet man in VIP-Rooms angesagter Klubs und damit, an den Fenstertischen bei Spago Kokain zu sniffen. Das Buch prangert nicht nur einen Lebensstil an, der mir vertraut war, sondern die ganze Reagan-Ära – wie ich großspurig glaubte – und etwas indirekter auch den damaligen Zustand der westlichen Kultur allgemein. Mein Lehrer war ebenfalls überzeugt, und nach ein paar flüchtigen Korrekturen und Änderungen (ich hatte das Manuskript in L. A. auf dem Boden meines Schlafzimmers liegend in einem achtwöchigen Crystal-Methedrin-Exzess runtergehackt) legte er es seinem Agenten und seinem Verlag vor, die es beide akzeptierten (der Verlag etwas zögernd – jemand aus dem Lektorat meinte: »Wenn es tatsächlich ein Publikum für Romane über koksende, schwanzlutschende Zombies gibt, dann sollten wir das verdammte Ding auf jeden Fall rausbringen«), und ich beobachtete mit einer

Mein Vater hatte den Großteil seines Vermögens mit hochspekulativen Immobiliengeschäften verdient, vorwiegend während der Reagan-Ära, und die Freiheit, die ihm sein Reichtum verschaffte, hatte ihn zunehmend labil werden lassen. Mein Vater war von jeher ein schwieriger Fall gewesen – lieblos, ausfallend, alkoholabhängig, eitel, zornig, paranoid –, und selbst nachdem sich meine Eltern (auf Wunsch meiner Mutter) hatten scheiden lassen, als ich noch ein Teenager war, ließ er die Familie (zu der auch noch zwei jüngere Schwestern gehörten) seine bedrohliche Macht und Kontrollgewalt spüren, und stets ging es um Geld (endlose Auseinandersetzungen der Anwälte über Alimente und Unterhalt für die Kinder). Es war eine heilige Mission für ihn, uns zu schikanieren, uns nachdrücklich bewusst zu machen, dass wir – nicht etwa sein Verhalten – ihn aus unserem Leben ausgeschlossen hatten. Er zog unter Protest aus unserem Haus in Sherman Oaks aus und nach Newport Beach, und seine Wut bildete fortan einen scharfen Kontrast zu unserem ansonsten friedlichen kalifornischen Leben: Tage, die man träge unter einem unablässig blauen und klaren Himmel am Pool verbrachte, gedankenloses Schlendern durch die Galeria, endloses Umherfahren im Auto – nickende Palmen eskortierten uns an unsere Ziele, müßiges Plaudern zum

 

Da mein Vater kein Vertrauen in mein schriftstellerisches Talent besaß, hatte er verlangt, dass ich an der Business School der UCLA studierte (meine Noten waren mies, aber er hatte Beziehungen), während ich auf eine Universität wollte, die geografisch so weit wie nur möglich von meinem Vater weg lag – irgendwas mit Kunst, beharrte ich trotz seines Gebrülls, eine, wo nichts angeboten wurde, was mit BWL zu tun hatte. In Maine fand ich keine, daher wählte ich Camden, ein kleines Liberal-Arts-College, das in die bukolische Hügellandschaft des nordöstlichen New Hampshire gebettet war. Mein Vater, wie üblich rasend vor Zorn, weigerte sich, meine Studiengebühren zu bezahlen. Aber mein Großvater, der von seinem eigenen Sohn gerade wegen einer Geldangelegenheit verklagt worden war – eine derart verwickelte und komplizierte Sache, dass ich heute noch nicht weiß, wie oder warum sie begann –, übernahm die Kosten. Ich bin ziemlich sicher, dass die Tatsache, dass mein Vater sich schrecklich darüber ärgern würde (was er auch tat), meinen Großvater bewog, die unerhört hohen Studiengebühren zu zahlen. Als ich im Herbst 1982 in Camden mein Studium antrat, brachen mein Vater und ich den Kontakt zueinander ab, für mich war es eine Erlösung. Diese beidseitige Funkstille hielt an, bis Unter Null veröffentlicht und zum Bestseller wurde. Seine nihilistische, ablehnende Haltung mir gegenüber schlug durch den Erfolg des Romans in eine seltsam überschwängliche Anerkennung um, was meinen Ekel noch verstärkte. Mein Vater hatte mich gemacht, mich kritisiert, mich zerstört, und dann, als ich mich selbst

 

Das Buch wurde als Autobiografie missverstanden (dabei hatte ich vor Unter Null bereits drei autobiografische Romane geschrieben, alle unveröffentlicht, deshalb hatte Unter Null weitaus mehr fiktionale Anteile und war in geringerem Maße ein Schlüsselroman als die meisten Erstlingswerke), und die reißerischen Szenen darin (der Snuff-Film, die Massenvergewaltigung der Zwölfjährigen, die verwesende Leiche in der Gasse, der Mord im Drive-in) basierten auf blutrünstigen Gerüchten, die in meiner Clique in L. A. die Runde gemacht hatten, nicht auf eigenen Erfahrungen. Aber die Presse biss sich an den »schockierenden« Stellen des Buches und besonders an meinem Stil fest – sehr knappe Eindrücke, szenisch und kontrolliert wie Haikus. Das Buch war kurz und leicht zu lesen (man hatte dieses »schwarze Zuckerstückchen«, so das New York Magazine, in ein paar Stunden durch), und aufgrund seiner großen Drucktype (und weil kein Kapitel länger als ein oder zwei Seiten war) wurde

 

Das Brat-Pack war im Wesentlichen eine Erfindung der Medien: inszenierte Sensation, Punk und Randale. Es bestand aus einer kleinen, angesagten Truppe erfolgreicher Autoren und Lektoren (alle unter dreißig), die einfach abends zusammen abhingen, entweder im Nell’s, im Tunnell oder MK oder der Au Bar, und die New Yorker Presse war entzückt, ebenso wie die landesweite und internationale. (Warum? Nun, laut Le Monde »war amerikanische Literatur noch nie so jung und sexy«.) In Anlehnung an das Hollywood-Rat-Pack der späten Fünfziger bestand es aus mir (Frank Sinatra), dem Lektor, der mich entdeckt hatte, Morgan Entrekin (Dean Martin), dem Lektor, der Jay entdeckt hatte, Gary Fisketjon (als Peter Lawford), Hepcat-Lektor Erroll McDonald von Random House (Sammy Davis jr.) und McInerney (dem Jerry Lewis der Gruppe). Wir hatten sogar unsere eigene Shirley MacLaine in Gestalt von Tama Janowitz, die einen Band mit Kurzgeschichten über hübsche, drogenumnebelte Hipster in Manhattan geschrieben hatte, der monatelang auf der Bestsellerliste der New York Times

 

Man stellte mich aus. Alles, was ich tat, kam in die Zeitung. Paparazzi folgten mir auf Schritt und Tritt. Ein bei Nell’s verschütteter Drink wurde in der Gesellschaftsspalte der New York Post als Vollrausch hingestellt, ein Essen mit Judd Nelson und Robert Downey jr. (dem Kostar in der Verfilmung von Unter Null) in der Canal Bar als »flegelhaftes Benehmen« (na gut, aber trotzdem). Aus einem harmlosen Lunch zwecks Drehbuchbesprechung mit Ally Sheedy bei Palio konstruierte man eine sexuelle Beziehung. Aber ich hatte mich ja selbst derart exponiert und nicht gerade versteckt – was also hatte ich erwartet? Ich machte schon mit zweiundzwanzig Werbung für Ray-Ban. Ich posierte für die Titelseiten englischer Magazine auf einem Tennisplatz, auf einem Thron und in einer violetten Robe auf dem Fußboden meiner Wohnung. In dieser Wohnung schmiss ich nach Lust und Laune (auf einer Einladung stand »Weil Donnerstag ist!«) verschwenderische Partys mit Catering vom Feinsten – manchmal inklusive Stripperinnen. In Southampton fuhr ich einen geborgten Ferrari zu Schrott, und der Besitzer lächelte bloß (aus irgendeinem Grund war ich dabei nackt). Ich besuchte drei ziemlich exklusive Orgien. Ich hatte Gastauftritte als ich selbst in Family Ties, The Facts of Life, Melrose Place, Beverly Hills 90210, Central Park West. Im Sommer 1986 dinierte ich auf Einladung von Jeb und George Bush jr., beide Fans von mir, im Weißen Haus. Mein Leben war ein nicht enden wollendes Schaulaufen, das dadurch umso magischer wurde, dass permanent von irgendwoher Kokain auftauchte, und wer auf meine Gesellschaft Wert

 

Die zwei wichtigsten Ereignisse in der nächsten Phase meines Lebens waren die übereilte Veröffentlichung meines zweiten Romans, Einfach unwiderstehlich, und eine Affäre mit der Schauspielerin Jayne Dennis. Einfach unwiderstehlich hatte ich während meines Abschlussjahrs in Camden verfasst. Er schildert das Sexleben einer kleinen Gruppe wohlhabender, gefühlskalter, sexuell ambivalenter Studenten an einem kleinen Liberal-Arts-College in New England (Camden nicht ganz unähnlich – tatsächlich nannte ich die fiktive Universität auch Camden) in den Achtzigern, auf dem Höhepunkt der Reagan-Ära. Wir folgen ihnen von einer wüsten Party zur nächsten, von einem fremden Bett ins nächste;

 

Jayne Dennis war ein junges Model, dem nahtlos der Wechsel ins ernsthafte Schauspielfach gelungen war und die für ihre Rollen in einer Reihe seriöser Filmprojekte nur lobende Kritiken geerntet hatte. Unsere Wege hatten sich am Ende des

Was kann man zu American Psycho sagen, das nicht bereits gesagt wurde? Ich habe nicht das Bedürfnis, hier weiter ins Detail zu gehen. Für alle, die damals hinterm Pfeiler gesessen haben, die Kurzfassung: Ich schrieb einen Roman über einen jungen, wohlhabenden, gefühlskalten Wall-Street-Yuppie namens Patrick Bateman auf dem Höhepunkt der Reagan-Achtziger, der, wie der Zufall es will, nebenbei Serienmörder ist und eine ungeheure innere Leere verspürt. Der Roman ist pornografisch und extrem brutal, und zwar so sehr, dass mein Verlag Simon & Schuster sich weigerte, das Buch zu veröffentlichen, und aus Gründen des guten Geschmacks einen Vorschuss im mittleren sechsstelligen Bereich in den Wind schrieb. Sonny Metha, der Chef von Knopf, schnappte sich die Rechte, und noch vor der Veröffentlichung waren die Kontroverse und der Skandal, die der Roman auslöste, immens. Ich gab keine Interviews, denn dafür bestand gar kein Anlass – meine Stimme wäre in dem allgemeinen Gezeter ohnehin untergegangen. Dem Roman wurde vorgeworfen, Serial-Killer-Chic gesellschaftsfähig zu machen. Er wurde schon drei Monate vor seinem Erscheinen in der New York Times besprochen – die Überschrift lautete »Kaufen Sie dieses Buch nicht«. Er wurde Thema eines Zehntausend-Wörter-Essays von Norman Mailer in Vanity Fair (»der erste Roman seit Jahren, der sich schwieriger, düsterer dostojewskischer Themen annimmt – wie sehr

 

Was ich niemandem erzählte – erzählen konnte –, war, welch extrem beunruhigende Erfahrung die Arbeit an diesem Buch für mich gewesen war. Dass ich zwar geplant hatte, meinen Vater als Grundlage für die Figur Patrick Bateman zu nehmen, aber irgendjemand – irgendetwas – anderes griff ein und bewirkte, dass diese Figur während der drei Jahre, in denen ich an dem Roman arbeitete, zu meiner einzigen Richtschnur wurde. Ich erzählte niemandem, dass das Buch vorwiegend bei Nacht entstand, wenn der Geist dieses Wahnsinnigen mich heimsuchte, mich manchmal sogar aus einem

 

Mein Vater starb im August 1992. Ich hielt mich damals gerade in einem Strandcottage in Wainscott in den Hamptons auf, das 20.000 Dollar im Monat kostete, wo ich versuchte, meine Schreibblockade zu überwinden, und mich gleichzeitig

 

Und dann wurde der Sommer von einem Telefonanruf mitten in der Nacht unterbrochen. Seine zweiundzwanzigjährige Freundin hatte ihn nackt auf dem Badezimmerfußboden in seinem leeren Haus in Newport Beach gefunden. Mehr wussten wir nicht.

 

Ich wusste nicht, was ich tun, wen ich anrufen, wie ich damit umgehen sollte – ich stand regelrecht unter Schock. Irgendwer musste mich aus diesem Cottage rausholen und nach Kalifornien schaffen. Es gab eigentlich nur einen Menschen, der das für mich tun konnte – oder genauer gesagt, bereit war, es zu tun. Jayne verließ also den Set ihres Drehs in Pennsylvania, wo sie an der Seite von Keanu Reeves spielte, reservierte Flugplätze bei MGM Grand, holte mich bibbernden Kloß aus den Hamptons und flog mit mir nach L. A. – das alles innerhalb von vierundzwanzig Stunden, nachdem ich erfahren hatte, dass mein Vater tot war. In jener Nacht, in dem Haus in Sherman Oaks, in dem ich aufgewachsen war, war ich betrunken und verängstigt und fickte sie brutal in meinem alten Kinderzimmer, und wir weinten beide dabei. Am nächsten Tag flog Jayne zurück zum Dreh nach Pennsylvania. Keanu schickte mir Blumen.

Mein

 

Als ich nach New York zurückkehrte, erklärte mir Jayne, dass sie schwanger sei und das Kind behalten wolle und ich der Vater sei. Ich bekniete sie, es abtreiben zu lassen. (»Mach was! Regel das! Unternimm was!«, schrie ich. »Ich kann das nicht! In zwei Jahren werde ich schon tot sein! Guck mich nicht an, als wär ich verrückt!«) Kinder haben Stimmen, sie wollen sich mitteilen, sie wollen einem erklären, wo alles ist – ich konnte gut darauf verzichten, diese besonderen Fähigkeiten kennenzulernen. Ich hatte bereits alles gesehen, was ich wollte, und Kinder zählten nicht dazu. Wie für alle Singlemänner hatte meine Karriere für mich oberste Priorität. Ich lebte den Traum eines jeden Junggesellen, und so sollte es auch bleiben. Ich tobte und beschuldigte Jayne, mich reingelegt zu haben, ich beharrte darauf, das Kind sei nicht von mir. Aber sie sagte, genau das hätte sie von mir erwartet, und im darauffolgenden März entband sie das Kind vorzeitig im Cedars Sinai in L. A., wo sie mittlerweile lebte. Ich sah den Jungen einmal in seinem ersten Lebensjahr. Als Jayne anlässlich der Premiere eines neuen Films in der Stadt war, brachte sie ihn in meine Wohnung in der 13th Street, damit wir eine Art Vater-Sohn-Beziehung aufbauten. Sie hatte den Jungen Robert getauft – Robby. Ich machte ihr erneut Vorwürfe und erklärte, er sei nicht von mir. Sie fragte: »Wen zum Teufel hältst du denn für den Vater?« Ich stürzte mich auf das Erste, was mir einfiel. »Keanu Reeves!« brüllte ich. Ich hatte mich an den Film erinnert, den sie mit ihm

 

Jayne hatte immer darauf bestanden, dass Robby im Zuge der Öffentlichkeitsarbeit nie mit mir in Zusammenhang gebracht werden dürfe, und ich stimmte dem natürlich zu. Doch im August 1994, als Vanity Fair anlässlich der Veröffentlichung von Die Informanten ein Porträt über mich brachte, deutete der Autor an, wer Robbys Vater sein könnte. In der ersten Fassung des Artikels, auf die ICM misstrauisch einen Blick warf, bekräftigte er unter Berufung auf eine »verlässliche Quelle«, dass Bret Easton Ellis tatsächlich Robbys Vater sei. Ich informierte Jayne darüber. Jayne rief meine Agentin Binky Urban und den Boss von Knopf, Sonny Mehta, an und verlangte, dass diese »Tatsache« gestrichen würde. Graydon Carter, der Chefredakteur von Vanity Fair – zudem ein Freund –, tat ihr den Gefallen, sehr zum Ärger des Journalisten, der eine Woche mit mir in Richmond,

 

Nur sehr wenige Menschen (enge Freunde eingeschlossen) wussten etwas über diese Geschichte – meinen geheimen Sohn –, und abgesehen von Jay McInerney und meinem Lektor Gary Fisketjon (die Robby gesehen hatten, als Jayne und ich auf der Hochzeit eines gemeinsamen Freundes in Nashville waren) hatte niemand, den ich kenne, einschließlich meiner Mutter und meinen Geschwistern, ihn je gesehen. Bei der erwähnten Hochzeitsfeier in Nashville erzählte mir Jayne, dass Robby gefragt habe, wo sein Vater sei, warum er nicht bei ihnen wohne und warum er nie zu Besuch käme. Angeblich kam es zunehmend zu Weinkrämpfen und langen Schweigephasen; es herrschte Verwirrung und das Verlangen nach Klärung; es gab neurotische Verhaltensweisen, irrationale Ängste, Bindungsschwäche, Wutanfälle in der Schule. Er ließ sich von niemandem berühren. Dennoch hatte er bei der Hochzeit in Nashville intuitiv nach meiner Hand gegriffen – dabei war ich ein Fremder, irgendein Freund seiner Mutter, ein Niemand –, um mir eine Eidechse zu zeigen, die er hinter einer Hecke des Hotels entdeckt haben wollte, in dem viele der Hochzeitsgäste untergebracht waren. Ich tat so, als ließe mich das kalt, und versuchte ihn bei den Tausenden von Cocktailpartys, die ich in den folgenden Jahren besuchte, möglichst nicht zu erwähnen. Aber jedes Mal, wenn jemand abends das Kokain auspackte (und das passierte damals zugegebenermaßen allabendlich), machte

Allerdings hielten mich viele für schwul und vergaßen es daher schnell, wenn Bret Easton Ellis – überdreht, zugekokst, den x-ten Stoli runterkippend – irgendwas von einem Kind faselte. Diese Schwulengeschichte war das Resultat eines besoffenen Interviews für die britische Presse, in dem ein Reporter mich gefragt hatte, ob ich homosexuell sei. Ich gab das Interview anlässlich einer BBC-Dokumentation über mein dreiunddreißigjähriges Leben (der Titel war ein Zitat der letzten Zeile aus American Psycho): Kein Ausgang: Die Bret Easton Ellis Story