für
1941–1992
und
Michael Wade Kaplan
1974–2004
Wer gerne eine große Show abzieht, läuft auf lange Sicht Gefahr, sich selbst eine Eintrittskarte zu kaufen.
Thomas McGuane, Panama
Leute, die zu einer Überzeugung über einen Mann gelangt sind, lieben es nicht, sich umstimmen zu lassen, ihr Urteil aufgrund neuer Indizien oder neuer Argumente zu revidieren, und der Mann, der sie umzustimmen versucht, verschwendet mindestens seine Zeit, wenn er sich nicht gar Ärger einhandelt.
John O’Hara
Ja, von der Tafel der Erinnerung will ich
Weglöschen alle törichten Geschichten,
Aus Büchern alle Sprüche, alle Bilder,
Die Spuren des Vergangnen, welche da
Die Jugend einschrieb und Beobachtung.
Hamlet
»Du siehst dir verblüffend ähnlich.«
So lautet der erste Satz von Lunar Park, der in seiner Kürze und Einfachheit eine Rückkehr zur Form, ein Echo auf die erste Zeile meines Debütromans Unter Null darstellen soll.
»Auf den Freeways in Los Angeles werden die Leute auch immer rücksichtsloser.«
Von da an wurden die ersten Sätze meiner Romane, mochten sie noch so geschickt konstruiert sein, immer komplizierter und verschachtelter, überfrachtet mit der sperrigen, überflüssigen Aufzählung von Nebensächlichkeiten.
Mein zweiter Roman, Einfach Unwiderstehlich, begann zum Beispiel:
»die dich vielleicht langweilt, aber du mußt ja nicht zuhören, sagte sie mir, weil sie immer gewußt hat, daß es so kommen würde, und sie glaubt, es war ihr erstes Jahr, oder, eigentlich ein Wochenende, tatsächlich Freitag, im September, in Camden, und das ist drei oder vier Jahre her, und sie wurde so betrunken, daß sie im Bett landete, entjungfert wurde (spät, sie war schon achtzehn) in Lorna Slavins Zimmer, weil sie im ersten Jahr war, und Lorna, fällt ihr ein, im vierten oder im dritten Jahr war und normalerweise hin und wieder in der Wohnung ihres Freundes außerhalb des Campus, der ihrer Meinung nach im zweiten Jahr war und Töpfern als Hauptfach hatte, aber der in Wirklichkeit entweder ein Typ von der New York Universität war, ein Film-Student, der nur wegen der Bums-Klamotten-Fete hier in New Hampshire war, oder einer aus dem Ort.«
Das Folgende stammt aus meinem dritten Roman, American Psycho.
»›Ihr, die ihr hier eintretet, lasset alle Hoffnung fahren‹ ist in blutroten Lettern auf die Wand der Chemical Bank an der Ecke Eleventh und First geschmiert, so groß, dass man es auch vom Rücksitz des Taxis aus erkennen kann, das sich im Verkehr aus der Wall Street vorarbeitet, und eben als Timothy Price die Schrift bemerkt, schiebt sich ein Bus neben uns, und eine Seitenwerbung für Les Misérables versperrt den Blick, aber Price, sechsundzwanzig und bei Pierce & Pierce, scheint das nicht zu kümmern, denn er verspricht dem Fahrer fünf Dollar, wenn er das Radio lauter stellt, ›Be My Baby‹ auf WYNN, und der Fahrer, kein Amerikaner, macht es.«
Das hier aus meinem vierten Roman, Glamorama:
»›Flecken – das ganze dritte Panel ist voller Flecken, da! – nein, das – das zweite von unten, und ich wollte das ja schon gestern jemand sagen, aber da kam der Fototermin dazwischen, und Yaki Nakamari oder wie zum Teufel der Designer schon heißt – ein Meister seines Fachs, hahaha – hat mich mit jemand verwechselt, also konnt ich mich nicht gleich beklagen, aber meine Herren – und Damen –, da SIND sie, die Flecken, sehrsehr ärgerliche kleine Flecken, und die sehen mir gar nicht zufällig aus, eher wie mit der Maschine gemacht – also ich will jetzt keine langen Opern hören, nur kurz die Story bitte, zack, kein großes Gesülze: wer, was, wo, wann bitte sehr und vor allem warum, obwohl ich jetzt echt den Eindruck hab, wenn ich mir eure belämmerten Visagen anschaue, dass es auf dieses Warum keine Antwort gibt – also los, los, verdammt noch mal, was läuft hier eigentlich?‹«
(Die Informanten war eine Sammlung von Erzählungen, die zwischen American Psycho und Glamorama erschien, und da ich viele davon schon zu Collegezeiten verfasst hatte – vor der Veröffentlichung von Unter Null –, standen sie für den gleichen Minimalismus.)
Wie jeder, der den Gang meiner Karriere verfolgt hat, unschwer erkennen kann – falls Literatur tatsächlich zwangsläufig das Innenleben des Schriftstellers bloßlegt –, liefen die Dinge wohl etwas aus dem Ruder und bekamen fatale Ähnlichkeit mit dem, was die New York Times als »mittlerweile kompliziert bis zur Skurrilität … aufgebläht und banal … überdreht« bezeichnet hatte, und dem mochte ich nicht unbedingt widersprechen. Ich wollte zur früheren Schlichtheit zurück. Mein Leben war mir über den Kopf gewachsen, und in diesen Anfangssätzen schien sich zu spiegeln, was falschgelaufen war. Ich musste zurück zu den Wurzeln, und obwohl ich hoffte, dass ein schlanker Satz – »Du siehst dir verblüffend ähnlich« – diesen Prozess in die Wege leiten würde, war mir doch bewusst, dass mehr als eine Aneinanderreihung von Wörtern notwendig war, um das Trümmerfeld zu bereinigen, von dem ich mich umgeben sah. Aber es wäre ein Anfang.
Als ich noch am Camden College in New Hampshire studierte, belegte ich ein Tutorium über kreatives Schreiben und schrieb im Winter 1983 einen Text, aus dem dann irgendwann Unter Null entstand. Das Buch schilderte detailliert die Weihnachtsferien eines reichen, sexuell ambivalenten, gefühlskalten jungen Manns, der aus seinem College im Osten nach Los Angeles – genauer gesagt nach Beverly Hills – zurückkommt; es geht also um Partys, auf denen er sich herumtreibt, um Drogen, die er konsumiert, um die vielen Mädchen und Jungen, mit denen er Sex hat, und all die Freunde, die er in Drogenabhängigkeit, Prostitution und völlige Apathie abrutschen sieht, ohne etwas dagegen zu tun; tagsüber fährt man mit gut aussehenden Blondinen in hochglanzpolierten Cabrios zu schnell zum Beachclub und ist dabei auf Nembutal; die Nächte vergeudet man in VIP-Rooms angesagter Klubs und damit, an den Fenstertischen bei Spago Kokain zu sniffen. Das Buch prangert nicht nur einen Lebensstil an, der mir vertraut war, sondern die ganze Reagan-Ära – wie ich großspurig glaubte – und etwas indirekter auch den damaligen Zustand der westlichen Kultur allgemein. Mein Lehrer war ebenfalls überzeugt, und nach ein paar flüchtigen Korrekturen und Änderungen (ich hatte das Manuskript in L. A. auf dem Boden meines Schlafzimmers liegend in einem achtwöchigen Crystal-Methedrin-Exzess runtergehackt) legte er es seinem Agenten und seinem Verlag vor, die es beide akzeptierten (der Verlag etwas zögernd – jemand aus dem Lektorat meinte: »Wenn es tatsächlich ein Publikum für Romane über koksende, schwanzlutschende Zombies gibt, dann sollten wir das verdammte Ding auf jeden Fall rausbringen«), und ich beobachtete mit einer Mischung aus Angst und Faszination – angereichert mit freudiger Erregung –, wie aus einer Hausarbeit für die Uni ein schickes Hardcover wurde, das sich zu einem ungeheuren Bestseller und Meilenstein des Zeitgeists auswuchs, in dreißig Sprachen übersetzt und mit großem Budget verfilmt wurde, alles innerhalb von nur rund sechs Monaten. Und im Frühjahr 1985, nur vier Monate nach der Veröffentlichung des Romans, passierten drei Dinge gleichzeitig: Ich wurde finanziell unabhängig, irrsinnig berühmt, und, was das Wichtigste war, ich entkam meinem Vater.
Mein Vater hatte den Großteil seines Vermögens mit hochspekulativen Immobiliengeschäften verdient, vorwiegend während der Reagan-Ära, und die Freiheit, die ihm sein Reichtum verschaffte, hatte ihn zunehmend labil werden lassen. Mein Vater war von jeher ein schwieriger Fall gewesen – lieblos, ausfallend, alkoholabhängig, eitel, zornig, paranoid –, und selbst nachdem sich meine Eltern (auf Wunsch meiner Mutter) hatten scheiden lassen, als ich noch ein Teenager war, ließ er die Familie (zu der auch noch zwei jüngere Schwestern gehörten) seine bedrohliche Macht und Kontrollgewalt spüren, und stets ging es um Geld (endlose Auseinandersetzungen der Anwälte über Alimente und Unterhalt für die Kinder). Es war eine heilige Mission für ihn, uns zu schikanieren, uns nachdrücklich bewusst zu machen, dass wir – nicht etwa sein Verhalten – ihn aus unserem Leben ausgeschlossen hatten. Er zog unter Protest aus unserem Haus in Sherman Oaks aus und nach Newport Beach, und seine Wut bildete fortan einen scharfen Kontrast zu unserem ansonsten friedlichen kalifornischen Leben: Tage, die man träge unter einem unablässig blauen und klaren Himmel am Pool verbrachte, gedankenloses Schlendern durch die Galeria, endloses Umherfahren im Auto – nickende Palmen eskortierten uns an unsere Ziele, müßiges Plaudern zum Soundtrack von Fleetwood Mac und den Eagles –, all die entspannenden Vorteile, zu jener Zeit dort aufzuwachsen, wurden durch seine unsichtbare Gegenwart beträchtlich verdüstert. Dieser relaxte Lebensstil, dekadent und lässig, hat meinen Vater nie entspannt, er blieb stets in einem gewissen verrückten Zorn gefangen, ganz gleich, wie angenehm die äußeren Umstände seines Lebens auch waren. Und aus diesem Grund hatte die Welt für uns etwas Bedrohliches; auf eine undefinierbare, abstrakte Weise, aus der wir selbst nicht hinausfanden – die Landkarte war weg, der Kompass kaputt, wir hatten uns verlaufen. Meine Schwestern und ich entdeckten in einem ungewöhnlich frühen Alter die dunkle Seite des Lebens; aus dem Verhalten unseres Vaters lernten wir, dass man sich auf nichts in der Welt verlassen kann und Menschen in diesem Chaos nur scheitern konnten, und diese Tatsache trübte alles, was wir anfingen. Einzig und allein meines Vaters wegen floh ich auf ein College in New Hampshire, statt mit meiner Freundin in L. A.zu bleiben und mich wie die meisten meiner Mitschüler nach der Privatschule, die ich in einem Vorort im San Fernando Valley besucht hatte, an der USC einzuschreiben. Es war ein verzweifelter Plan. Und es war zu spät. Mein Vater hatte meine Sicht auf die Welt eingeschwärzt, seine höhnische, sarkastische Haltung allem und jedem gegenüber hatte auf mich abgefärbt, und sosehr ich seinem Einfluss zu entfliehen versuchte, es gelang mir nicht. Er war in mich eingesickert und machte mich zu dem, der ich wurde. Jedes Quäntchen Optimismus, das ich vielleicht noch besessen hatte, wurde durch seine bloße Existenz weggewischt. Die Annahme, dass allein die räumliche Distanz zu ihm irgendetwas ändern würde, war absurd, und ich brachte mein erstes Jahr in Camden vor Angst und Depressionen wie gelähmt zu. Was mich an meinem Vater am meisten ärgerte, war, dass die verbalen und körperlichen Schmerzen, die er mir zugefügt hatte, letztendlich der Grund waren, dass ich Schriftsteller wurde. (Ergänzende Information: Er schlug übrigens auch unseren Hund.)
Da mein Vater kein Vertrauen in mein schriftstellerisches Talent besaß, hatte er verlangt, dass ich an der Business School der UCLA studierte (meine Noten waren mies, aber er hatte Beziehungen), während ich auf eine Universität wollte, die geografisch so weit wie nur möglich von meinem Vater weg lag – irgendwas mit Kunst, beharrte ich trotz seines Gebrülls, eine, wo nichts angeboten wurde, was mit BWL zu tun hatte. In Maine fand ich keine, daher wählte ich Camden, ein kleines Liberal-Arts-College, das in die bukolische Hügellandschaft des nordöstlichen New Hampshire gebettet war. Mein Vater, wie üblich rasend vor Zorn, weigerte sich, meine Studiengebühren zu bezahlen. Aber mein Großvater, der von seinem eigenen Sohn gerade wegen einer Geldangelegenheit verklagt worden war – eine derart verwickelte und komplizierte Sache, dass ich heute noch nicht weiß, wie oder warum sie begann –, übernahm die Kosten. Ich bin ziemlich sicher, dass die Tatsache, dass mein Vater sich schrecklich darüber ärgern würde (was er auch tat), meinen Großvater bewog, die unerhört hohen Studiengebühren zu zahlen. Als ich im Herbst 1982 in Camden mein Studium antrat, brachen mein Vater und ich den Kontakt zueinander ab, für mich war es eine Erlösung. Diese beidseitige Funkstille hielt an, bis Unter Null veröffentlicht und zum Bestseller wurde. Seine nihilistische, ablehnende Haltung mir gegenüber schlug durch den Erfolg des Romans in eine seltsam überschwängliche Anerkennung um, was meinen Ekel noch verstärkte. Mein Vater hatte mich gemacht, mich kritisiert, mich zerstört, und dann, als ich mich selbst neu erschuf und langsam wieder zu mir kam, verwandelte er sich in einen stolzen, großspurigen Dad, der versuchte, sich wieder in mein Leben zu drängen, und das alles innerhalb eines Zeitraums, der mir vorkam, als wären nur ein paar Tage vergangen. Ich fühlte mich unterlegen, obwohl ich durch meine neu gewonnene Unabhängigkeit jetzt selbst die Kontrolle hatte. Telefongespräche nicht entgegenzunehmen und Einladungen auszuschlagen, überhaupt jeden Kontakt zu ihm zu verweigern, brachte mir keine Genugtuung; dadurch wurde es auch nicht besser. Ich hatte im Lotto gewonnen und kam mir immer noch arm und bedürftig vor. Deshalb stürzte ich mich in dieses neue Leben, das sich vor mir ausbreitete, obschon ich es als einer der übersättigten Jugendlichen aus L. A., die den Durchblick hatten, eigentlich hätte besser wissen müssen.
Das Buch wurde als Autobiografie missverstanden (dabei hatte ich vor Unter Null bereits drei autobiografische Romane geschrieben, alle unveröffentlicht, deshalb hatte Unter Null weitaus mehr fiktionale Anteile und war in geringerem Maße ein Schlüsselroman als die meisten Erstlingswerke), und die reißerischen Szenen darin (der Snuff-Film, die Massenvergewaltigung der Zwölfjährigen, die verwesende Leiche in der Gasse, der Mord im Drive-in) basierten auf blutrünstigen Gerüchten, die in meiner Clique in L. A. die Runde gemacht hatten, nicht auf eigenen Erfahrungen. Aber die Presse biss sich an den »schockierenden« Stellen des Buches und besonders an meinem Stil fest – sehr knappe Eindrücke, szenisch und kontrolliert wie Haikus. Das Buch war kurz und leicht zu lesen (man hatte dieses »schwarze Zuckerstückchen«, so das New York Magazine, in ein paar Stunden durch), und aufgrund seiner großen Drucktype (und weil kein Kapitel länger als ein oder zwei Seiten war) wurde es als »Roman der MTV-Generation« bekannt (mit freundlicher Genehmigung von USA Today), und ich wurde praktisch von jedermann zur Stimme dieser neuen Generation stilisiert. Auf den Umstand, dass ich erst einundzwanzig war und andere Stimmen sich bislang noch nicht zu Wort gemeldet hatten, kam es wohl nicht an. Ich bot eine Story mit Sexappeal, und niemand mochte auf das Defizit an anderen Leitbildern hinweisen. Ich wurde nicht nur in jedem Magazin und jeder Zeitung porträtiert, sondern auch im Fernsehen interviewt: in der Sendung Today (rekordverdächtige zwölf Minuten), in Good Morning America, dann von Barbara Walters, von Oprah Winfrey; ich war Gast bei Letterman. William F Buckley und ich führten ein recht lebhaftes Gespräch bei »Firing Line«. Eine geschlagene Woche lang sagte ich Videos bei MTV an. Als ich wieder in Camden war, verlobte ich mich (kurzfristig) mit vier verschiedenen Mädchen, die vor dem Erscheinen des Buchs nicht sonderlich an mir interessiert gewesen waren. Bei der Examensfeier, die mein Vater für mich im Carlyle ausrichtete, erschienen Madonna, Andy Warhol in Begleitung von Keith Haring und Jean-Michel Basquiat, Molly Ringwald, John McEnroe, Ronald Reagan jr., John-John Kennedy, die komplette Besetzung von St. Elmo’s Fire, diverse VJs und Mitglieder meines riesigen Fanklubs, der von fünf Schülern der Vassar Senior High School ins Leben gerufen worden war, ferner eine Filmcrew von 20/20, die alles aufzeichnete. Ebenfalls zugegen war Jay McInerney, der kurz zuvor mit Ein starker Abgang einen vergleichbaren Debütroman über junge Leute und Drogen in New York veröffentlicht hatte, der ihn über Nacht berühmt und zu meinem schärfsten Ostküsten-Konkurrenten gemacht hatte (ein Rezensent hatte in einem der vielen Artikel, die die beiden Romane miteinander verglichen, darauf hingewiesen, dass man nur das Wort »Kokain« durch »Schokolade« ersetzen müsse, dann würden sowohl Unter Null als auch Ein starker Abgang als Kinderbücher durchgehen, und da wir beide so oft zusammen fotografiert wurden, begannen die Leute, uns zu verwechseln; um die Sache zu vereinfachen, sprachen die New Yorker Zeitungen von uns beiden einfach als den Toxic Twins). Nach dem Examen im Camden zog ich nach New York und kaufte mir in der Lower Eastside von Manhattan, einen Block vom Union Square Park entfernt, eine Eigentumswohnung im selben Gebäude, in dem auch Cher und Tom Cruise lebten. Und während die Realität langsam zerfloss, wurde ich zum wichtigsten Mitglied des sogenannten literarischen Brat-Pack.
Das Brat-Pack war im Wesentlichen eine Erfindung der Medien: inszenierte Sensation, Punk und Randale. Es bestand aus einer kleinen, angesagten Truppe erfolgreicher Autoren und Lektoren (alle unter dreißig), die einfach abends zusammen abhingen, entweder im Nell’s, im Tunnell oder MK oder der Au Bar, und die New Yorker Presse war entzückt, ebenso wie die landesweite und internationale. (Warum? Nun, laut Le Monde »war amerikanische Literatur noch nie so jung und sexy«.) In Anlehnung an das Hollywood-Rat-Pack der späten Fünfziger bestand es aus mir (Frank Sinatra), dem Lektor, der mich entdeckt hatte, Morgan Entrekin (Dean Martin), dem Lektor, der Jay entdeckt hatte, Gary Fisketjon (als Peter Lawford), Hepcat-Lektor Erroll McDonald von Random House (Sammy Davis jr.) und McInerney (dem Jerry Lewis der Gruppe). Wir hatten sogar unsere eigene Shirley MacLaine in Gestalt von Tama Janowitz, die einen Band mit Kurzgeschichten über hübsche, drogenumnebelte Hipster in Manhattan geschrieben hatte, der monatelang auf der Bestsellerliste der New York Times stand, zumindest kam es einem so vor. Wir waren auf der Überholspur. Alle Türen flogen für uns weit auf. Jedermann begegnete uns mit offenen Armen und strahlendem Lächeln. Ganze Fotostrecken in Modemagazinen zeigten, wie wir sechs uns in Armani-Anzügen aufreizend auf den Sofas angesagter Restaurants rekelten. Rockstars himmelten uns an und baten uns hinter die Bühne: Bono, Michael Stipe, Def Leppard, Mitglieder der E Street Band. Wir bekamen stets die besten Plätze. Wir saßen immer im ersten Wagen der großen Achterbahn. Nie sagte einer von uns: »Bestellen wir doch einfach mal keine Flasche Cristal«; nie: »Gehen wir doch heute mal nicht bei Le Bernardin essen« (wo zu unseren Auftritten Essensschlachten gehörten, bei denen wir mit Hummer um uns warfen und uns flaschenweise Dom Perignon über die Köpfe kippten, bis die Belegschaft, die das ganz und gar nicht lustig fand, uns aufforderte, das Lokal zu verlassen). Wir wurden die ganze Zeit von unseren Lektoren mit ihren unbegrenzten Spesenkonten freigehalten, also bezahlten die Verlage praktisch unsere Ausschweifungen. Damit begann eine Zeit, in der es einem vorkam, als seien die Bücher selbst ganz ohne Bedeutung. Ein glänzendes buchartiges Objekt zu veröffentlichen, war bloß ein Vorwand für Partys und Glamour und dafür, dass gut aussehende Schriftsteller ihren punktgenauen Minimalismus Studenten vortrugen, die mit vor Bewunderung aufgesperrtem Mund dasaßen und dachten: »Das kann ich auch, auch ich könnte dazugehören.« Außer natürlich, man war nicht fotogen genug, dann konnte man es vergessen, traurig, aber wahr. Und falls man kein Anhänger des Brat-Pack war, mit uns abfinden musste man sich trotzdem. Denn wir waren allgegenwärtig. Es gab kein Entrinnen vor unseren Gesichtern, die einem aus Magazinen und Fernsehshows, aus Scotch-Anzeigen und aus Reklametafeln auf Bussen entgegenstarrten, aus den Klatschspalten der Zeitungen, unseren ausdruckslosen Gesichtern im kalten Licht der Blitzlichter, in der Hand eine Zigarette, die ein Fan gerade anzündete. Uns gehörte die Welt.
Man stellte mich aus. Alles, was ich tat, kam in die Zeitung. Paparazzi folgten mir auf Schritt und Tritt. Ein bei Nell’s verschütteter Drink wurde in der Gesellschaftsspalte der New York Post als Vollrausch hingestellt, ein Essen mit Judd Nelson und Robert Downey jr. (dem Kostar in der Verfilmung von Unter Null) in der Canal Bar als »flegelhaftes Benehmen« (na gut, aber trotzdem). Aus einem harmlosen Lunch zwecks Drehbuchbesprechung mit Ally Sheedy bei Palio konstruierte man eine sexuelle Beziehung. Aber ich hatte mich ja selbst derart exponiert und nicht gerade versteckt – was also hatte ich erwartet? Ich machte schon mit zweiundzwanzig Werbung für Ray-Ban. Ich posierte für die Titelseiten englischer Magazine auf einem Tennisplatz, auf einem Thron und in einer violetten Robe auf dem Fußboden meiner Wohnung. In dieser Wohnung schmiss ich nach Lust und Laune (auf einer Einladung stand »Weil Donnerstag ist!«) verschwenderische Partys mit Catering vom Feinsten – manchmal inklusive Stripperinnen. In Southampton fuhr ich einen geborgten Ferrari zu Schrott, und der Besitzer lächelte bloß (aus irgendeinem Grund war ich dabei nackt). Ich besuchte drei ziemlich exklusive Orgien. Ich hatte Gastauftritte als ich selbst in Family Ties, The Facts of Life, Melrose Place, Beverly Hills 90210, Central Park West. Im Sommer 1986 dinierte ich auf Einladung von Jeb und George Bush jr., beide Fans von mir, im Weißen Haus. Mein Leben war ein nicht enden wollendes Schaulaufen, das dadurch umso magischer wurde, dass permanent von irgendwoher Kokain auftauchte, und wer auf meine Gesellschaft Wert legte, musste schon mindestens einen Eightball dabeihaben. Schon bald beherrschte ich es meisterhaft, den Eindruck zu vermitteln, ich würde meinem Gegenüber zuhören, während ich in Wirklichkeit nur selbstverliebt vor mich hin träumte: von meiner Karriere, dem vielen Geld, das ich verdient hatte, wie mein Ruhm gewachsen und gediehen war und mich definiert hatte und was für ein unmögliches Benehmen ich mir herausnehmen durfte. Wenn ich mal wieder über Weihnachten in L. A. war, kassierte ich vier oder fünf Strafzettel in dem cremefarbenen 450 SL, den mein Vater mir vermacht hatte, doch in der Gegend, in der ich lebte, ließen sich die Cops schmieren; dort konnte man nachts ohne Licht fahren, dort konnte man Koks sniffen, während eine zweitklassige Schauspielerin einem einen blies, man konnte sich eine dreitägige Heroinsause mit dem kommenden Supermodel in einem Viersternehotel leisten. Es war eine Welt, in der bald sämtliche Schranken fielen. Es gab Dilaudid zur Mittagszeit, und ich musste fünf Monate lang mit niemandem aus dem engeren familiären Umfeld auch nur ein Wort reden.
Die zwei wichtigsten Ereignisse in der nächsten Phase meines Lebens waren die übereilte Veröffentlichung meines zweiten Romans, Einfach unwiderstehlich, und eine Affäre mit der Schauspielerin Jayne Dennis. Einfach unwiderstehlich hatte ich während meines Abschlussjahrs in Camden verfasst. Er schildert das Sexleben einer kleinen Gruppe wohlhabender, gefühlskalter, sexuell ambivalenter Studenten an einem kleinen Liberal-Arts-College in New England (Camden nicht ganz unähnlich – tatsächlich nannte ich die fiktive Universität auch Camden) in den Achtzigern, auf dem Höhepunkt der Reagan-Ära. Wir folgen ihnen von einer wüsten Party zur nächsten, von einem fremden Bett ins nächste; es ist jede Droge aufgelistet, die sie sich einverleiben, jedes Glas, das sie kippen, und wie leicht sie in Abtreibungen und völlige Apathie abrutschen und ihr Studium schleifen lassen. Es sollte, na ja, was weiß ich was anprangern, aber an diesem Punkt meiner Laufbahn hätte ich auch die Notizen veröffentlichen können, die ich mir in der Unterstufe in einem Virginia-Woolf-Seminar gemacht hatte, und dennoch den riesigen Vorschuss und die ungeheure Publicity kassiert, die ich für Einfach unwiderstehlich einheimste. Auch dieses Buch wurde ein Bestseller, wenn auch kein so großer wie Unter Null. Die Presse war von mir jedoch faszinierter denn je (wegen der in dem Buch geschilderten Dekadenz, die ja mein öffentlich gelebtes Leben widerzuspiegeln schien, ebenso wie das Jahrzehnt, das uns alle in seinem Bann hielt; das Buch zementierte meinen Ruf als das Sprachrohr dieser Generation, und ich blieb im Rampenlicht), und mein Ruhm wuchs umgekehrt proportional zur Anzahl der verkauften Bücher. Und so lief alles weiter: kistenweise Champagner, Armani-Anzüge, Cocktails in der ersten Klasse, Superplatzierungen auf diversen Power-Listen, Logenplätze bei den Spielen der Lakers, die Einkäufe bei Barney’s nach Ladenschluss, die Groupies, die Vaterschaftsklagen, die Kontaktsperren für »leidenschaftliche Fans«, die erste Million, die zweite Million, die dritte Million. Ich plante meine eigene Möbelkollektion. Ich plante meine eigene Produktionsfirma. Und das blendend weiße Licht des Ruhms wurde immer greller, besonders, als ich begann, mit Jayne Dennis auszugehen.
Jayne Dennis war ein junges Model, dem nahtlos der Wechsel ins ernsthafte Schauspielfach gelungen war und die für ihre Rollen in einer Reihe seriöser Filmprojekte nur lobende Kritiken geerntet hatte. Unsere Wege hatten sich am Ende des Jahrzehnts bei diversen Promipartys gekreuzt, und sie hatte immer hemmungslos mit mir geflirtet – aber da damals jeder mit mir flirtete, nahm ich es kaum wahr, bis sie zu einer Weihnachtsparty kam, die ich Dezember 1988 in meiner Wohnung gab, und sich mir praktisch an den Hals warf (so unwiderstehlich war ich). Bei der After-Party bei Nell’s fand ich mich mit ihr knutschend in einer der Nischen vorn im Restaurant wieder, danach schleppte ich sie mit in meine Suite im Carlyle (die Caterer brauchten zwei Tage, um meine Wohnung zu schmücken, und drei Tage, um sie wieder herzurichten, immerhin waren fünfhundert Gäste da, deswegen war ich für eine Woche ins Hotel gezogen), wo wir die ganze Nacht lang Sex hatten; am nächsten Morgen musste ich einen Flieger nach L. A. erwischen, wo ich die Feiertage verbrachte. Als ich zurück nach New York kam, wurden wir offiziell ein Glamour-Paar. Wir ließen uns beim Aids-Benefiz-Konzert von Elton John im Madison Square Garden sehen, man fotografierte uns bei einem Polomatch in den Hamptons, Entertainment Tonight interviewte uns bei der Premiere der neuesten Eddie-Murphy-Komödie auf dem roten Teppich vor dem Ziegfeld, wir saßen bei der Versace-Modegala in der ersten Reihe, Paparazzi folgten uns bis zur Villa eines Freundes in Nizza. Obwohl Jayne sich in mich verliebt hatte und heiraten wollte, war ich einfach zu sehr mit mir selbst beschäftigt und glaubte, die Beziehung würde sich bis zum Sommer erledigt haben, wenn sie so weiterlief. Neben ihrem Anlehnungsbedürfnis und ihrem Selbstekel gab es weitere Hürden, die zu hoch waren, um genommen zu werden: namentlich Drogen-, aber gelegentlich auch Alkoholexzesse; außerdem gab es andere Mädchen, es gab andere Jungs; es gab immer noch eine weitere Party, auf der man versacken konnte. Jayne und ich trennten uns im Mai 1989 in aller Freundschaft und blieben auf irgendwie traurig-lustige Weise in Kontakt; ihrerseits bestand eine anhaltende wehmütige Verliebtheit, meinerseits extremes sexuelles Interesse an ihr. Aber ich brauchte meinen Freiraum. Ich musste allein sein. Keine Frau sollte meiner Kreativität im Weg stehen, zu der Jayne außerdem nichts beizutragen hatte. Ich hatte mit einem neuen Roman begonnen, der den Großteil meiner Zeit zu beanspruchen begann.
Was kann man zu American Psycho sagen, das nicht bereits gesagt wurde? Ich habe nicht das Bedürfnis, hier weiter ins Detail zu gehen. Für alle, die damals hinterm Pfeiler gesessen haben, die Kurzfassung: Ich schrieb einen Roman über einen jungen, wohlhabenden, gefühlskalten Wall-Street-Yuppie namens Patrick Bateman auf dem Höhepunkt der Reagan-Achtziger, der, wie der Zufall es will, nebenbei Serienmörder ist und eine ungeheure innere Leere verspürt. Der Roman ist pornografisch und extrem brutal, und zwar so sehr, dass mein Verlag Simon & Schuster sich weigerte, das Buch zu veröffentlichen, und aus Gründen des guten Geschmacks einen Vorschuss im mittleren sechsstelligen Bereich in den Wind schrieb. Sonny Metha, der Chef von Knopf, schnappte sich die Rechte, und noch vor der Veröffentlichung waren die Kontroverse und der Skandal, die der Roman auslöste, immens. Ich gab keine Interviews, denn dafür bestand gar kein Anlass – meine Stimme wäre in dem allgemeinen Gezeter ohnehin untergegangen. Dem Roman wurde vorgeworfen, Serial-Killer-Chic gesellschaftsfähig zu machen. Er wurde schon drei Monate vor seinem Erscheinen in der New York Times besprochen – die Überschrift lautete »Kaufen Sie dieses Buch nicht«. Er wurde Thema eines Zehntausend-Wörter-Essays von Norman Mailer in Vanity Fair (»der erste Roman seit Jahren, der sich schwieriger, düsterer dostojewskischer Themen annimmt – wie sehr wünschte man, dieser Schriftsteller hätte kein Talent!«). Er war Gegenstand verächtlicher Leitartikel, es gab Diskussionen auf CNN, es gab einen feministischen Boykott durch die National Organization of Women, es gab Morddrohungen (eine Lesetour wurde deswegen abgesagt), PEN und der Schriftstellerverband waren nicht bereit, sich hinter mich zu stellen. Ich wurde diffamiert, obwohl sich das Buch millionenfach verkaufte und meinen Ruhm in solche Höhen katapultierte, dass ich auf einer Stufe mit Filmstars oder Sportgrößen stand. Ich wurde ernst genommen. Ich war ein Witz. Ich war Avantgarde. Ich war ein Traditionalist. Ich wurde unterschätzt. Ich wurde überschätzt. Ich war unschuldig. Ich war mitschuldig. Ich hatte die Kontroverse inszeniert. Ich war unfähig, irgendwas zu inszenieren. Ich galt als frauenfeindlichster amerikanischer Gegenwartsautor. Ich war ein Opfer der um sich greifenden Unkultur der politischen Korrektheit. Die Debatte tobte weiter, und nicht einmal der Beginn des Golfkriegs im Frühjahr 1991 konnten der Angst, Besorgnis und Faszination Abbruch tun, die Patrick Bateman und sein abartiges Leben in der Öffentlichkeit hervorriefen. Ich verdiente so viel Geld, dass ich nicht mehr wusste, wohin damit. Es war das Jahr des Gehasstwerdens.
Was ich niemandem erzählte – erzählen konnte –, war, welch extrem beunruhigende Erfahrung die Arbeit an diesem Buch für mich gewesen war. Dass ich zwar geplant hatte, meinen Vater als Grundlage für die Figur Patrick Bateman zu nehmen, aber irgendjemand – irgendetwas – anderes griff ein und bewirkte, dass diese Figur während der drei Jahre, in denen ich an dem Roman arbeitete, zu meiner einzigen Richtschnur wurde. Ich erzählte niemandem, dass das Buch vorwiegend bei Nacht entstand, wenn der Geist dieses Wahnsinnigen mich heimsuchte, mich manchmal sogar aus einem bleiernen Xanax-Schlaf riss. Als ich zu meinem Entsetzen begriff, was diese Figur von mir wollte, kämpfte ich dagegen an, doch der Roman erzwang es, geschrieben zu werden. Ich war oft stundenlang weggetreten, nur um dann festzustellen, dass weitere zehn Seiten vollgekritzelt waren. Ich will sagen – und ich weiß nicht recht, wie ich es anders ausdrücken könnte –, dass das Buch von jemandem geschrieben werden wollte. Es schrieb sich selbst und fragte nicht danach, was ich davon hielt. Ich sah mit Entsetzen zu, wie der Stift über die gelben Notizblöcke huschte, auf die ich die erste Fassung schrieb. Ich war von dieser Schöpfung angewidert und wollte nicht die Urheberschaft dafür übernehmen – Patrick Bateman beanspruchte die Urheberschaft. Nachdem das Buch veröffentlicht war, hatte ich den Eindruck, als sei er beinahe erleichtert und, was noch abscheulicher war, befriedigt; er hörte auf, nach Mitternacht zu erscheinen und schadenfroh meine Träume heimzusuchen, und ich konnte mich endlich erholen und musste mich nicht mehr auf seine nächtlichen Besuche gefasst machen. Aber selbst Jahre später brachte ich es noch nicht fertig, das Buch anzusehen, und schon gar nicht, es zu berühren oder noch einmal zu lesen – es hatte etwas, nun ja, abgrundtief Böses an sich. Mein Vater erwähnte American Psycho mir gegenüber nie. Allerdings schickte er, nachdem er es zur Hälfte gelesen hatte, meiner Mutter kommentarlos die Newsweek-Ausgabe aus dem damaligen Frühjahr, auf deren Titel über dem Gesicht eines Babys die Frage »Ist Ihr Kind schwul?« prangte, was seltsam genug war.
Mein Vater starb im August 1992. Ich hielt mich damals gerade in einem Strandcottage in Wainscott in den Hamptons auf, das 20.000 Dollar im Monat kostete, wo ich versuchte, meine Schreibblockade zu überwinden, und mich gleichzeitig auf den Besuch meiner Wochenendgäste (Ron Galotti, Campion Platt, Susan Minst, mein italienischer Verleger und McInerney) vorbereitete, indem ich diesen ganz bestimmten Pflaumenkuchen für 40 Dollar bei dieser ganz bestimmten Bäckerei in East Hampton vorbestellte und zwei Kisten Domaines Ott kaufte. Ich versuchte, nüchtern zu bleiben, köpfte aber schon morgens um zehn die ersten Chardonnay-Flaschen, und wenn ich am Vorabend alles weggetrunken hatte, saß ich in meinem für den Sommer geleasten Porsche auf dem Parkplatz eines Spirituosenladens in Bridgehampton, wartete, dass der Laden aufmachte, und rauchte mit Peter Maas, der meistens ebenfalls dort saß, eine Zigarette. Ich hatte gerade aufgrund eines abstrusen Streits beim Makrelengrillen mit einem Model Schluss gemacht – sie hatte sich über die Sauferei beschwert, das Zugedröhntsein, den Exhibitionismus, diese Schwulensache, meine Gewichtszunahme, die Paranoia. Aber es war der Sommer von Jeffrey Dahmer, dem berüchtigten Homosexuellen/Serienmörder/Kannibalen aus Wisconsin, und ich war zu der Überzeugung gelangt, dass er unter dem Einfluss von American Psycho gemordet hatte – seine Verbrechen waren ebenso makaber und entsetzlich wie die von Patrick Bateman. Und da tatsächlich ein Serienmörder, der das Buch gelesen hatte und zwei seiner Morde nach Stellen aus dem Buch inszenierte – von allen beschissenen Orten ausgerechnet –, in Toronto herumgelaufen war, rief ich betrunken und hysterisch bei meiner Agentin bei ICM und bei meinem Lektor bei Knopf an, um mich zu vergewissern, dass es im Falle von Dahmer nicht so war (war’s nicht). Und ja, es stimmte, ich hatte 40 Pfund zugelegt – ich war so sonnenverbrannt und fett, dass man, hätte man ein Gesicht auf einen riesigen rosafarbenen Marshmallow gemalt und es vor ein Laptop platziert, keinen Unterschied zwischen uns hätte feststellen können. Und zugegeben, seit ich derart aus dem Leim gegangen war, hatte ich einen Hang zum Nacktbaden im Atlantik, der nur fünfzig Meter von meinem 20.000-Dollar-pro-Monat-Cottage entfernt war, und na schön, ich hatte mich vorübergehend in einen Jungen verguckt, der bei Loaves and Fishes arbeitete, daher war es halbwegs verständlich, dass Trisha mich verließ. Dass sie mich aber einen »beschissenen Irren« nannte und in meinem geleasten Porsche davonbrauste, war es aber nicht.
Und dann wurde der Sommer von einem Telefonanruf mitten in der Nacht unterbrochen. Seine zweiundzwanzigjährige Freundin hatte ihn nackt auf dem Badezimmerfußboden in seinem leeren Haus in Newport Beach gefunden. Mehr wussten wir nicht.
Ich wusste nicht, was ich tun, wen ich anrufen, wie ich damit umgehen sollte – ich stand regelrecht unter Schock. Irgendwer musste mich aus diesem Cottage rausholen und nach Kalifornien schaffen. Es gab eigentlich nur einen Menschen, der das für mich tun konnte – oder genauer gesagt, bereit war, es zu tun. Jayne verließ also den Set ihres Drehs in Pennsylvania, wo sie an der Seite von Keanu Reeves spielte, reservierte Flugplätze bei MGM Grand, holte mich bibbernden Kloß aus den Hamptons und flog mit mir nach L. A. – das alles innerhalb von vierundzwanzig Stunden, nachdem ich erfahren hatte, dass mein Vater tot war. In jener Nacht, in dem Haus in Sherman Oaks, in dem ich aufgewachsen war, war ich betrunken und verängstigt und fickte sie brutal in meinem alten Kinderzimmer, und wir weinten beide dabei. Am nächsten Tag flog Jayne zurück zum Dreh nach Pennsylvania. Keanu schickte mir Blumen.
Mein Vater hatte mich zu seinem Nachlassverwalter eingesetzt, doch sein Erbe war nicht nur wertlos, er hatte auch noch Steuerschulden, die in die Millionen gingen, und so kam es zu einem langwierigen Rechtsstreit mit dem Finanzamt (dort konnte man nicht begreifen, wie jemand, der in den letzten sechs Jahren seines Lebens 20.000.000 Dollar verdient hatte, alles ausgegeben haben konnte – das war, bevor wir die Sache mit dem gemieteten Lear-Jet und der ganzen Schrottkunst entdeckten), der mich mehrere Monate in Los Angeles festhielt, wo ich mit drei Anwälten und einem halben Dutzend Buchhaltern in einem Büro eingesperrt saß, bis endlich alle Finanzfragen geklärt waren. Am Schluss blieben mir zwei Uhren von Patek Philippe, eine Kiste Armani-Anzüge in Übergrößen und die ungeheure Erleichterung, ihn los zu sein. (Meine Mutter und Geschwister gingen leer aus.) Die Autopsie ergab, dass er einen schweren Schlaganfall erlitten hatte (um 2.40 Uhr in der Nacht), auch wenn es verschiedene Ungereimtheiten gab, die dem Leichenbeschauer rätselhaft waren. Es hatte jedoch niemand Interesse, diesen Ungereimtheiten nachzugehen, und er wurde umgehend eingeäschert. Seine Asche kam in eine Tasche – und obwohl er im Testament verfügt hatte, dass seine Kinder sie im Meer, vor der Küste bei Cabo San Lucas, verstreuen sollten, wo er häufig Urlaub gemacht hatte, stellten wir die Tasche in ein Schließfach der Bank of America auf dem Ventura Boulevard, gleich neben einem baufälligen McDonald’s. Als ich einige der Armani-Anzüge zum Änderungsschneider brachte (ich hatte die ganzen Pfunde, die ich im Sommer zugelegt hatte, innerhalb weniger Wochen verloren), musste ich angeekelt feststellen, dass die Hosenbeine innen am Schritt mit Blut befleckt waren, das Ergebnis einer vermurksten Penisimplantation, die er in Minneapolis hatte vornehmen lassen, wie wir später erfuhren. Die fatale Kombination von Diabetes und Alkoholismus hatte meinen Vater in seinen letzten Jahren impotent gemacht. Ich ließ die Anzüge beim Schneider und fuhr heulend und fluchend zurück nach Sherman Oaks; während ich rücksichtslos durch die Canyons kurvte, boxte ich immer wieder gegen das Dach des Mercedes.
Als ich nach New York zurückkehrte, erklärte mir Jayne, dass sie schwanger sei und das Kind behalten wolle und ich der Vater sei. Ich bekniete sie, es abtreiben zu lassen. (»Mach was! Regel das! Unternimm was!«, schrie ich. »Ich kann das nicht! In zwei Jahren werde ich schon tot sein! Guck mich nicht an, als wär ich verrückt!«) Kinder haben Stimmen, sie wollen sich mitteilen, sie wollen einem erklären, wo alles ist – ich konnte gut darauf verzichten, diese besonderen Fähigkeiten kennenzulernen. Ich hatte bereits alles gesehen, was ich wollte, und Kinder zählten nicht dazu. Wie für alle Singlemänner hatte meine Karriere für mich oberste Priorität. Ich lebte den Traum eines jeden Junggesellen, und so sollte es auch bleiben. Ich tobte und beschuldigte Jayne, mich reingelegt zu haben, ich beharrte darauf, das Kind sei nicht von mir. Aber sie sagte, genau das hätte sie von mir erwartet, und im darauffolgenden März entband sie das Kind vorzeitig im Cedars Sinai in L. A., wo sie mittlerweile lebte. Ich sah den Jungen einmal in seinem ersten Lebensjahr. Als Jayne anlässlich der Premiere eines neuen Films in der Stadt war, brachte sie ihn in meine Wohnung in der 13th Street, damit wir eine Art Vater-Sohn-Beziehung aufbauten. Sie hatte den Jungen Robert getauft – Robby. Ich machte ihr erneut Vorwürfe und erklärte, er sei nicht von mir. Sie fragte: »Wen zum Teufel hältst du denn für den Vater?« Ich stürzte mich auf das Erste, was mir einfiel. »Keanu Reeves!« brüllte ich. Ich hatte mich an den Film erinnert, den sie mit ihm zum Zeitpunkt des Todes meines Vaters gedreht hatte. (Ich war mit Keanu befreundet, der zur ursprünglichen Besetzung bei der Verfilmung von Unter Null gehört hatte. Später wurde er durch Andrew McCarthy ersetzt, weil die Produktionsfirma im Frühjahr 1987 einen überraschenden Erfolg mit der Low-Budget-Produktion Mannequin landete, in der McCarthy mitspielte und die originellerweise von dem Vater des Mädchens produziert worden war, das mir als Vorbild für Blair, die Heldin aus Unter Null, diente; wie klein meine Welt doch war.) Ich drohte Jayne, sie zu verklagen, falls sie Unterhalt verlangen sollte. Da ich einen Vaterschaftstest rundheraus verweigerte, nahm sie sich einen Anwalt. Ich nahm mir auch einen. Ihr Anwalt argumentierte, das Kind habe »eine augenfällige Ähnlichkeit mit Mr Ellis«, während mein Anwalt auf mein Drängen hin widerstrebend dagegenhielt, das Kind habe »eine verblüffende Ähnlichkeit mit einem gewissen Mr Keanu Reeves!« (das Ausrufezeichen – meine Idee; die Freundschaft mit Keanu deswegen zu beenden – nicht meine Idee). Der Vaterschaftstest, zu dem ich auf dem Rechtswege gezwungen wurde, bewies, dass ich der Vater war, doch ich behauptete, Jayne hätte mir gegenüber behauptet, dass sie verhüte. (»Miss Dennis und Mr Ellis unterhielten eine offene Zweierbeziehung. Auch wenn Mr.Ellis der Vater ist, war es doch ihr eigener, freier Entschluss, eine alleinerziehende Mutter zu sein«, argumentierte mein Anwalt.) Ich erfuhr, dass in Fällen wie diesen die Ejakulation juristisch gesehen der Point of no Return ist. Doch eines Morgens, nach einem besonders erbitterten Telefonat zwischen meinem Anwalt und Jaynes Anwalt, legte Marty plötzlich verblüfft den Hörer aus der Hand und sah mich an: Jayne hatte aufgegeben. Sie forderte nicht länger Unterhalt für das Kind, sondern zog ihre Klage zurück. In diesem Moment, im Büro meines Anwalts im World Trade Center, begriff ich, dass sie das Kind nach meinem Vater benannt hatte. Als ich sie später am Tag, nachdem wir beide einander zaghaft vergeben hatten, damit konfrontierte, schwor sie, das sei ihr gar nicht in den Sinn gekommen. (Was ich ihr auch heute noch nicht abkaufe; das war einer der Gründe für die kommenden Geschehnisse in Lunar Park – ein Katalysator.) Und sonst? Ihre Eltern hassten mich. Auch nachdem bewiesen war, dass ich der Vater war, blieb Jaynes Familienname auf der Geburtsurkunde. Ich begann, Hawaiihemden zu tragen und Zigarren zu rauchen. Jayne bekam fünf Jahre später noch ein Kind, ein Mädchen namens Sarah, und wieder funktionierte die Beziehung mit dem Vater nicht. (Ich kannte den Kerl flüchtig – ein berühmter Plattenfirmenmensch aus L. A.; er war nett.) Zum Schluss wirkte Jayne einigermaßen patent, mütterlich und seelisch gefestigt. Wir blieben gute Freunde. Sie liebte mich immer noch. Ich orientierte mich anderweitig.
Jayne hatte immer darauf bestanden, dass Robby im Zuge der Öffentlichkeitsarbeit nie mit mir in Zusammenhang gebracht werden dürfe, und ich stimmte dem natürlich zu. Doch im August 1994, als Vanity Fair anlässlich der Veröffentlichung von Die Informanten ein Porträt über mich brachte, deutete der Autor an, wer Robbys Vater sein könnte. In der ersten Fassung des Artikels, auf die ICM misstrauisch einen Blick warf, bekräftigte er unter Berufung auf eine »verlässliche Quelle«, dass Bret Easton Ellis tatsächlich Robbys Vater sei. Ich informierte Jayne darüber. Jayne rief meine Agentin Binky Urban und den Boss von Knopf, Sonny Mehta, an und verlangte, dass diese »Tatsache« gestrichen würde. Graydon Carter, der Chefredakteur von Vanity Fair – zudem ein Freund –, tat ihr den Gefallen, sehr zum Ärger des Journalisten, der eine Woche mit mir in Richmond, Virginia, »durchlitten« hatte, wo ich mich angeblich im Haus eines Freundes verkrochen hatte. In Wirklichkeit besuchte ich heimlich die neue Canyon Ranch, die vor Kurzem aufgemacht hatte, um mich für eine kurze Lesetour fit zu machen, die ich Knopf als Promotion für Die Informanten versprochen hatte. Doch auch dieser Sachverhalt gelangte nie in den Artikel.
Nur sehr wenige Menschen (enge Freunde eingeschlossen) wussten etwas über diese Geschichte – meinen geheimen Sohn –, und abgesehen von Jay McInerney und meinem Lektor Gary Fisketjon (die Robby gesehen hatten, als Jayne und ich auf der Hochzeit eines gemeinsamen Freundes in Nashville waren) hatte niemand, den ich kenne, einschließlich meiner Mutter und meinen Geschwistern, ihn je gesehen. Bei der erwähnten Hochzeitsfeier in Nashville erzählte mir Jayne, dass Robby gefragt habe, wo sein Vater sei, warum er nicht bei ihnen wohne und warum er nie zu Besuch käme. Angeblich kam es zunehmend zu Weinkrämpfen und langen Schweigephasen; es herrschte Verwirrung und das Verlangen nach Klärung; es gab neurotische Verhaltensweisen, irrationale Ängste, Bindungsschwäche, Wutanfälle in der Schule. Er ließ sich von niemandem berühren. Dennoch hatte er bei der Hochzeit in Nashville intuitiv nach meiner Hand gegriffen – dabei war ich ein Fremder, irgendein Freund seiner Mutter, ein Niemand –, um mir eine Eidechse zu zeigen, die er hinter einer Hecke des Hotels entdeckt haben wollte, in dem viele der Hochzeitsgäste untergebracht waren. Ich tat so, als ließe mich das kalt, und versuchte ihn bei den Tausenden von Cocktailpartys, die ich in den folgenden Jahren besuchte, möglichst nicht zu erwähnen. Aber jedes Mal, wenn jemand abends das Kokain auspackte (und das passierte damals zugegebenermaßen allabendlich), machte ich kleine Andeutungen über diese verborgene Existenz. Wenn ich dann die betrübten, schockierten Mienen der anderen sah, die die Sehnsucht hinter meinem Pokerface spürten, hörte ich rasch auf. »Ich mach bloß Spaß, ich mach bloß Spaß«, war mein Mantra, und dann stellte ich die gerade aktuelle Freundin Leuten vor, die sie schon seit Jahren kannten. Das Mädchen hob dann nur den Kopf von einem mit Koks überhäuften Spiegel, blickte mich verwundert an, zuckte mit den Schultern und beugte sich wieder vor, um eine weitere Line durch eine eng zusammengerollte 20-Dollar-Note wegzuputzen. Mit der Hochzeitsfeier – als Robby das erste Mal meine Hand ergriff – fing es an. Das war der Augenblick, in dem der Sohn für den Vater plötzlich real wurde. Es war auch das erste Jahr, in dem ich fast 100.000 Dollar für Drogen ausgab. Geld, das – tja – auch an Robby hätte gehen können, denke ich. Aber Jayne kassierte vier bis fünf Millionen Dollar pro Film, und ich war permanent high, also hörte ich auf, darüber nachzudenken.
Allerdings hielten mich viele für schwul und vergaßen es daher schnell, wenn Bret Easton Ellis – überdreht, zugekokst, den x-ten Stoli runterkippend – irgendwas von einem Kind faselte. Diese Schwulengeschichte war das Resultat eines besoffenen Interviews für die britische Presse, in dem ein Reporter mich gefragt hatte, ob ich homosexuell sei. Ich gab das Interview anlässlich einer BBC-Dokumentation über mein dreiunddreißigjähriges Leben (der Titel war ein Zitat der letzten Zeile aus American Psycho): Kein Ausgang: Die Bret Easton Ellis StoryendlichRolling StonePRIndependentBEEAmerican Psycho,AdvocatePlayboyLANational Enquirerdas