Inhaltsverzeichnis

Fußnoten

Aus dem Song Antisocial der Gruppe Trust, dt. etwa »Diese lasterhafte Frau kann man gar nicht vergewaltigen«

Raffaëla Anderson und Coralie Trinh Thi

Ich schreibe aus dem Land der Hässlichen und für die Hässlichen, die Alten, die Mannweiber, die Frigiden, die schlecht Gefickten, die nicht Fickbaren, die Hysterischen, die Durchgeknallten, für alle vom großen Markt der tollen Frauen Ausgeschlossenen. Und ich sage gleich, damit das klar ist: Ich entschuldige mich für nichts und ich werde nicht jammern. Ich würde meinen Platz gegen keinen anderen tauschen, denn Virginie Despentes zu sein finde ich viel spannender als alles andere.

Ich finde es großartig, dass es auch Frauen gibt, die gern verführen, die gekonnt verführen, Frauen, die sich heiraten lassen, Frauen, die nach Sex riechen oder nach dem Kuchen für die Kinder, wenn sie aus der Schule kommen. Großartig, dass es sehr sanfte gibt und solche, die in ihrer Weiblichkeit aufgehen, junge, sehr schöne oder kokette und strahlende. Ehrlich, ich freue mich für alle, die zufrieden sind, wie es ist. Das sage ich ohne Ironie. Nur dass ich nicht dazugehöre. Natürlich würde ich nicht schreiben, was ich schreibe, wenn ich schön wäre, so schön, dass alle

Denn dem Ideal der weißen, verführerischen, aber nicht nuttigen, gut verheirateten, aber nicht unsichtbaren Frau, berufstätig, aber nicht zu erfolgreich, um ihren Mann nicht zu erdrücken, schlank, aber ohne Essstörung, undefinierbar jung bleibend, ohne sich von den Schönheitschirurgen entstellen zu lassen, glückliche Mutter, aber nicht aufgefressen von Windeln und Schulaufgaben, gute Hausfrau, aber kein altmodisches Muttchen, gebildet, aber weniger als ein Mann, dieser weißen, glücklichen Frau, die man uns ständig vor die Nase hält, der ähnlich zu sein wir uns bemühen sollen – abgesehen davon, dass sie aussieht, als würde sie sich über jede Kleinigkeit aufregen –, der jedenfalls bin ich noch nie begegnet. Ich glaube, die gibt es gar nicht.

Virginia Woolf, Ein eigenes Zimmer

Seit einiger Zeit werden wir in Frankreich ständig wegen der 70er-Jahre beschimpft. Dass das ein Irrweg gewesen sei und was wir denn mit der sexuellen Revolution erreicht hätten und ob wir uns für Männer hielten oder was und dass man sich angesichts unseres Blödsinns frage, wo die gute alte Männlichkeit geblieben sei, die von Papa und Großpapa, die der Männer, die noch im Krieg zu fallen und einen Haushalt mit gesunder Autorität zu führen verstanden. Und mit dem Gesetz im Rücken. Wir werden beschimpft, weil die Männer Angst haben. Als könnten wir etwas dafür. Aber das ist doch fantastisch oder zumindest modern, ein Beherrscher, der herumheult, weil der Beherrschte nicht mitspielt … Spricht der weiße Mann hier tatsächlich zu den Frauen oder will er nur seine Überraschung darüber kundtun, welche Wendung seine Angelegenheiten überall nehmen? Egal. Auf jeden Fall ist es unglaublich, wie wir beschimpft, zur Ordnung gerufen und kontrolliert werden. Mal spielen wir zu sehr die Opfer, mal vögeln wir nicht, wie es sich gehört, zu sehr wie

Ich bin 1969 geboren. Ich war in einer gemischten Schule. Ich habe schon in der ersten Klasse gelernt, dass die schulische Intelligenz der Jungs die gleiche ist wie die der Mädchen. Ich habe kurze Röcke getragen, ohne dass jemand in meiner Familie sich Gedanken gemacht hat, was die Nachbarn sagen. Ich habe mit 14 die Pille genommen, ohne dass es ein Problem war. Ich habe gevögelt, sobald ich die Gelegenheit hatte, das hat mir damals super gefallen, und zwanzig Jahre später ist der einzige Kommentar, der mir dazu einfällt: »zu cool für mich«. Ich bin mit 17 ausgezogen und durfte allein wohnen, ohne dass jemand etwas dagegen hatte. Ich habe immer gewusst, dass ich arbeiten würde. Ich würde nicht die Gesellschaft eines Mannes ertragen müssen, damit er meine Miete bezahlt. Ich habe ein Bankkonto auf meinen Namen eröffnet, ohne zu wissen, dass ich zur ersten Generation Frauen gehörte, die das ohne Vater oder Ehemann tun durfte. Ich habe erst ziemlich spät angefangen zu masturbieren, aber ich kannte das Wort schon, weil ich es in Büchern gelesen hatte, die keinen Zweifel ließen: Ich war kein asoziales Monster, weil ich mich anfasste, außerdem ging es nur mich an, was ich

Zugegeben, das heutige Frankreich ist keineswegs Arkadien für alle. Hier sind weder alle Frauen glücklich noch

Die Frauen um mich herum verdienen tatsächlich weniger als die Männer, haben weniger hohe Posten, finden es normal, dass sie unterschätzt werden, wenn sie etwas unternehmen. Es gibt diesen Domestikenstolz, über Hindernisse hinweg vorwärtskommen zu müssen, als wäre das nützlich, angenehm oder sexy. Ein unterwürfiges Glück bei der Vorstellung, als Sprungbrett zu dienen. Wir schämen uns unserer Kräfte. Auf Schritt und Tritt überwacht von Männern, die sich weiter in unsere Angelegenheiten einmischen und uns erklären, was gut oder schlecht für uns sei, aber vor allem von anderen Frauen, in der Familie, in Frauenzeitschriften und im alltäglichen Diskurs. Eine Frau muss ihr Licht unter den Scheffel stellen: »kompetent« ist immer noch gleichbedeutend mit »männlich«.

 

Die Psychoanalytikerin Joan Rivière schrieb 1927 »Weiblichkeit als Maskerade«. Darin schildert sie den Fall eines »Zwischentyps« von Frau, also heterosexuell, aber männlich, die darunter litt, dass sie nach jedem öffentlichen Auftritt von entsetzlicher Angst gepackt wurde, die ihr alle Kraft raubte und sich in einem zwanghaften und

»Durch die Analyse stellte sich dann heraus, dass sich ihr zwanghaftes Flirten und Kokettieren (…) folgendermaßen erklärte: Es war der unbewußte Versuch, sich gegen die Angst zur Wehr zu setzen, die sich einstellte, weil sie nach der intellektuellen Leistung ihres Vortrags Vergeltungsmaßnahmen von seiten der Vaterfigur befürchtete. Die öffentliche Zurschaustellung ihrer geistigen Fähigkeiten, die sie an sich erfolgreich durchführte, bedeutete, daß sie sich selbst als im Besitz des Penis ihres Vaters zur Schau stellte, nachdem sie ihn kastriert hatte. Sobald die Vorführung vorüber war, wurde sie von einer furchtbaren Angst vor der Vergeltung, die ihr Vater üben würde, erfaßt. Offensichtlich war das Bestreben, sich ihm sexuell hinzugeben, ein Versuch, den Rachesuchenden zu besänftigen.«

 

Diese Analyse bietet einen Schlüssel zum Verständnis der Schwemme heißer Outfits im heutigen Popgeschäft. Egal, ob du durch die Stadt läufst, MTV oder eine Varietésendung im ersten Programm siehst oder in einem Frauenmagazin blätterst – du bist erschlagen von der Explosion des extremsten, oft sehr kleidsamen Schlampenlooks, den viele junge Mädchen übernehmen. Im Grunde ist das ihre Art, sich zu entschuldigen und die Männer zu beruhigen: »Sieh nur, wie gut ich bin; trotz meiner Autonomie, meiner Bildung, meiner Intelligenz ist mein einziges Ziel

Auf den ersten Blick scheint es überraschend, dass die Mädchen mit so viel Begeisterung die Attribute der »Objekt«-Frau übernehmen, dass sie ihre Körper verstümmeln und spektakulär zur Schau stellen, während diese junge Generation zugleich die »anständige Frau« wieder aufwertet, also weit entfernt ist von ausgelassenem Sex. Der Widerspruch ist nur scheinbar. Die Frauen senden den Männern eine beruhigende Botschaft: »Habt keine Angst vor uns.« Dafür lohnt es sich, unbequeme Sachen zu tragen und Schuhe, in denen niemand laufen kann, sich die Nase zertrümmern oder die Brust aufblasen zu lassen und zu hungern. Keine Gesellschaft hat je so viele Beweise für die Unterwerfung unter ein ästhetisches Diktat, so viele körperliche Veränderungen zur Verweiblichung des Körpers verlangt. Und gleichzeitig hat keine Gesellschaft den Frauen so viel körperliche und intellektuelle Bewegungsfreiheit gelassen. Die Über-Markierung der Weiblichkeit gleicht einer Entschuldigung für den Verlust der männlichen Vorrechte. »Seien wir befreit, aber nicht zu sehr. Wir spielen das Spiel mit, wir wollen keine phallische Macht, wir wollen niemandem Angst machen.« Die Frauen machen sich freiwillig klein, verschleiern, was sie gerade errungen haben, machen sich zu Verführerinnen,

Wir haben nicht so sehr die Idee unserer Unterlegenheit verinnerlicht – wie gewalttätig auch immer die Kontrollinstrumente waren, der Alltag hat uns gezeigt, dass die Männer weder von Natur aus überlegen noch sehr anders als die Frauen sind. Vielmehr ist uns die Vorstellung, dass unsere Unabhängigkeit schädlich sei, in Fleisch und Blut übergegangen und wird von den Medien eifrig verbreitet: Wie viele Artikel wurden in den letzten zwanzig Jahren über Frauen geschrieben, die den Männern Angst machen, über Frauen, die für ihren Ehrgeiz oder ihre Einzigartigkeit bestraft werden? Als wäre es ein neues Phänomen, Witwe, verlassen, in Kriegszeiten allein zu sein oder misshandelt zu werden. Frauen mussten sich immer ohne Hilfe durchschlagen. Die Behauptung, dass sich Männer und Frauen vor den 70er-Jahren besser verstanden hätten, ist historisch falsch. Sie hatten weniger miteinander zu tun, das ist alles.

 

Dazu passend ist die Mutterschaft zur unverzichtbaren weiblichen Erfahrung geworden, die über allen andern steht: Leben schenken, das ist großartig. Selten war die Pro-Mutterschafts-Propaganda so marktschreierisch wie heute. Das ist Verarschung, eine zeitgemäße, systematische