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Fußnoten

Ljubow Jewgenijewna Beloserskaja: Michail Bulgakows zweite Frau (1895–1987), er lernte sie Anfang 1924 kennen, erreichte im April des Jahres die Scheidung von seiner ersten Frau Tatjana Lappa, heiratete Ljubow am 30. April 1925 und ließ sich 1932 von ihr scheiden.

Alexander Puschkin, Die Hauptmannstochter: Alexander Puschkins (1799–1837) berühmtestes Prosawerk, erschienen 1836, erzählt von der Zeit der Bauernaufstände in den 1770er Jahren. In der hier zitierten Szene trifft der junge Adlige Grinjow, der als Offizier in der Provinz dient, einen unbekannten Wanderer, der ihm in diesem Schneesturm das Leben rettet und dem Grinjow aus Dankbarkeit einen Pelz schenkt, später entpuppt sich der Lebensretter als Bauernrebell Pugatschow, der Grinjow bei der Erstürmung einer Festung durch die Bauern am Leben lässt. Die Hauptmannstochter gilt als Vorbild für Tolstois Krieg und Frieden, einen Roman, auf den und dessen historischen Hintergrund, den Befreiungskrieg gegen Napoleon 1812, Bulgakow in der Weißen Garde noch anspielen wird.

Ein gewaltiges Jahr, ein furchtbares Jahr war nach Christus das Jahr 1918 …: Um das Jahr 1918 zu verstehen, muss man in das Jahr 1 der Revolution, 1917, zurückgehen: Im Februar 1917 hatten sich angesichts der miserablen Versorgungslage und der desaströsen Situation an der Front Brotunruhen in Petrograd, so lautete von 1914–24 der offizielle Name von Sankt Petersburg, zu einem Streik der Arbeiter, dem sich bald die in der Stadt stationierten Soldaten anschlossen, und schließlich zu einer Revolution (Februarrevolution) ausgeweitet. Das erste Regiment, das sich auf die Seite der Aufständischen stellte, war das aus Ukrainern rekrutierte Regiment »Wolhynien«. Am 2. März (nach dem in Russland bis Februar 1918 gültigen julianischen Kalender, nach dem gregorianischen am 15. März) dankte Zar Nikolaus II. ab. In Petrograd wurde eine Provisorische Regierung eingesetzt, die an der Seite der Ententemächte Großbritannien, Frankreich und Japan, im Roman »die Alliierten« genannt, den Krieg gegen die Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn weiterführen wollte. Am 16. April traf Lenin in Petrograd ein, »wie ein Pestbazillus in einem plombierten Waggon von der Schweiz nach Russland befördert« (Winston Churchill). Im Juli 1917 begann die sogenannte Kerenski-Offensive an der Südwestfront (in Galizien), die von deutschen Truppen aber bald zurückgeworfen wurde, an der Front kam es zu einem Aufstand der Bolschewiken und zu Massendesertationen. Konstantin Paustowski erinnerte sich: »In wenigen Monaten sprach Russland alles aus, worüber es ganze Jahrhunderte geschwiegen hatte. Von Februar bis Herbst 1917 glich das Land Tag und Nacht einer pausenlosen, chaotischen Volksversammlung … Schwüre, Aufrufe, Enthüllungen, Ansprachen– alles ging unter in dem rasenden Schrei ›Nieder!‹ oder einem begeisterten, heiseren ›Hurra!‹, und das rollte über alle Straßenkreuzungen wie donnernde Räder über Kopfsteinpflaster.« (Der Beginn eines verschwundenen Zeitalters, übersetzt von Gudrun Düwel und Georg Schwarz) – Am 25. Oktober (nach gregorianischem Kalender am 7. November) kam es in Petrograd zum Umsturz, die Bolschewiken ergriffen die Macht und eroberten mit ihrer Roten Armee schnell auch andere russische Städte. Ihnen widersetzte sich die Weiße Armee, die sich im Süden Russlands auf der Krim und am Don sammelte, ein Bündnis von Monarchisten, Kosaken, radikalen Sozialisten, ukrainischen Anarchisten, weißrussischen Partisanen, Privatarmeen und ausländischen Expeditionskorps … Am 16. Juli 1918 wurde Zar Nikolaus II. mit seiner Familie in Jekaterinburg von Bolschewiken ermordet.

Ab Dezember 1917 tobte der Bürgerkrieg zwischen Roten und Weißen, als er 1922 endete, hatte er etwa 10 Millionen Tote gefordert.

In Kiew war am 17. März 1917 von ukrainischen Nationalisten die Zentralna Rada (Zentraler Rat) gebildet worden, im April wurden auf dem Gesamtukrainischen Nationalkongress Deputierte gewählt, vertreten waren alle Volksgruppen, Ukrainer, Russen, Polen, Juden, sowie die Bauern, die Arbeiter und die Armee, es dominierten die Ukrainische Sozialistische Arbeiterpartei und die Ukrainische Partei der Sozialrevolutionäre. Die Mala Rada (Kleiner Rat) wurde als Exekutivorgan gewählt. Von der Provisorischen Regierung in Petrograd verlangte man Autonomie, die Einführung der ukrainischen Sprache an den Schulen, die Ukrainisierung der Armee und die Anerkennung der Zentralna Rada als offizielle Vertretung der Ukraine. Die Provisorische Regierung lehnte das ab, woraufhin die Zentralna Rada am 23. Juni beschloss, die Verwaltung zu übernehmen, ukrainische Gesetze zu erlassen und eigene Steuern zu erheben. Der Schriftsteller Viktor Schklowski, der als Kommissar der Provisorischen Regierung im Mai, auf dem Weg an die Südwestfront, in Kiew haltmachte, berichtete: »Über der Stadt wehte die blau-gelbe [ukrainische] Fahne … auf den Straßen gab es Meetings: Russen stritten mit Ukrainern, und die Juden schmollten und warteten, wann man über sie herfallen würde.« (Sentimentale Reise, Übersetzung Olga Radetzkajy) Am 2. Juli garantierte die Zentralna Rada den nationalen Minderheiten der Russen, Polen und Juden– in Kiew etwa waren 1919 21 Prozent der Einwohner Juden – das Recht auf ihre eigenen Sprachen, Schulen und Religionen. In der Folge entschied sie die Enteignung der Großgrundbesitzer und der Kirche. Im Juli handelten die Provisorische Regierung und die Zentralna Rada einen Kompromiss aus: Die Provisorische Regierung erkannte die Zentralna Rrada als legitime Vertretung des ukrainischen Volkes an, die Zentralna Rada verzichtete bis zur Einberufung einer konstituierenden Versammlung für ganz Russland auf völlige Autonomie, die bewaffneten Verbände in der Ukraine und an der Front durften ukrainisiert werden, blieben aber unter russischem Oberbefehl, die Grenzen der Ukraine wurden allerdings nicht klar definiert. Kommissar für Militärangelegenheiten der Zentralna Rada war der ukrainische Nationalist und Sozialdemokrat Symon Petljura. Nach dem Umsturz am 25. Oktober in Petrograd erklärten die Bolschewiken Mitte November, alle Völker der Sowjetunion hätten das Recht auf freie Selbstbestimmung und Souveränität. Die Zentralna Rada rief daraufhin am 19. November 1917 die Ukrainische Volksrepublik aus und erkannte den Rat der Volkskommissare in Petrograd nicht als zentrale Regierung an– was durchaus nicht im eigentlichen Sinne der Bolschewiken war. Im Dezember bildeten sie in Charkow, im Osten der Ukraine, eine Gegenregierung zur Zentralna Rada und riefen eine Ukrainische Volksrepublik der Sowjets aus. Die Ententemächte erwarteten von der Ukraine eine Weiterführung des Kriegs gegen die Mittelmächte, sandten aber keine ausreichende militärische Hilfe. Unter dem Druck der übergroßen Kriegsmüdigkeit und der militärischen Erfolge der Bolschewiken, entsandte die Zentralna Rada im Januar 1918 eine Deputation nach Brest-Litowsk, um mit Deutschland und Österreich-Ungarn einen Frieden auszuhandeln. Am 22. Januar wurde die endgültige Trennung von Russland und die völlige Selbstständigkeit der Ukraine verkündet. Eine Woche später brach in Kiew ein bolschewikischer Aufstand los, am 4. Februar zogen bolschewikische Truppen am linken Dnepr-Ufer auf und beschossen die Stadt, am 8. Februar verließ die Zentralna Rada Kiew. Die Bolschewiken marschierten ein, und es kam zu Massenhinrichtungen, innerhalb von drei Wochen wurden etwa 5000 Menschen erschossen. Iwan Bunin, der vor den Roten von Moskau nach Odessa geflohen war, hatte mit Abscheu in seinem Tagebuch festgehalten: »Matrosen mit gewaltigen Brownings am Gürtel, Taschendiebe und Verbrecher … aber mit Goldzähnen und großen, dunklen Kokainaugen … Dem Volk, der Revolution wird alles vergeben– ›das sind alles nur Exzesse‹.« Am 9. Februar unterzeichnete die ukrainische Delegation in Brest-Litowsk den Friedensvertrag, den Mittelmächten wurde die Lieferung von Rohstoffen und Lebensmitteln, vor allem Getreide, Rinder, Eier und Zucker, garantiert. Am 15. Februar richtete die ukrainische Delegation einen Aufruf an das deutsche Volk, die Ukraine im Kampf gegen die Bolschewiken zu unterstützen. Und so stießen mit Unterstützung ukrainischer Verbände deutsche Truppen bis zum 1. März nach Kiew vor. Die Zenralna Rada kehrte nach Kiew zurück und führte u.a. eine neue ukrainische Währung ein. Sowjetrussland unterzeichnete seinerseits am 3. März den Friedensvertrag von Brest-Litowsk und war gezwungen, die Ukraine als unabhängigen Staat anzuerkennen, am 12. Juni wurde der Waffenstillstand unterzeichnet, über eine Grenzziehung konnte man sich nicht einigen.

Im Juni 1918 war die Zentralna Rada bereits entmachtet, denn das deutsche Kaiserreich hatte um die Getreidelieferungen gefürchtet. »Wieviel könnte ich dir erzählen aus dieser interessanten, schönen Stadt und aus dieser merkwürdigen veilchenblauen sozialistischen Republik. Gott bewahre uns vor solch einem Chaos und einer Regierung, die vielleicht die schönsten menschheitsbeglückenden Ideen hat, aber vor lauter Ideen und Reden nicht zum Handeln kommt. Diese Art Sozialismus ist zwar nicht von der radikalen Sorte, aber vorläufig von der Art, daß sie nicht zum klaren Erkennen der Tatsachen und zum Entschlusse sich aufraffen kann. Diktatoren sind die Leute nicht, und ob sie im Lande so viel Einfluß gewinnen können, daß sie tatkräftig regieren können, ist mir mehr als zweifelhaft«, hatte der deutsche Generalstabschef Wilhelm Groener an seine Frau geschrieben. Und an die Oberste Heeresleitung: »Unsere Politik führt einen Eiertanz um die ukrainische Regierung auf, die in der Tat diesen Namen nicht verdient. Sie ist ein Debattierklub und scheut sich vor jeder Tat.«– Die Deutschen sorgten dafür, dass im April General Pawel Skoropadski zum Hetman mit diktatorischen Befugnissen ausgerufen wurde. Skoropadski, der sofort seinen Namen zu Pavlo Skoropadskyj ukrainisierte, stützte sich vor allem auf die Landbesitzer und die russische Verwaltungsoberschicht, berief sich aber wie die Nationalisten der Zentralna Rada auf die mittelalterliche Kiewer Rus und die Tradition der freien ukrainischen Kosaken als Gründungsgeschichte der modernen Ukraine. Einige Mitglieder der Zentralna Rada, u.a. Petljura, ließ er verhaften. Gegen den Hetman stellten sich die gesamte revolutionäre ukrainische Intelligenz, die russischen revolutionären Demokraten, die Bolschewiken und die Vertreter der russischen Aristokratie– er war auf die Unterstützung des deutschen Militärs angewiesen. Da sich die Großgrundbesitzer, meist Russen und Polen, an den ukrainischen Bauern für Zerstörungen und Landbesetzungen mit Unterstützung deutscher Truppen durch Strafexpeditionen rächten, und weil die Deutschen gefordert hatten, die Enteignung der Grundbesitzer zurückzunehmen, kam es zu Bauernaufständen. Als die Lage zu explosiv wurde, übten die Deutschen im September Druck auf den Hetman aus, Petljura wieder freizulassen, um die ukrainischen Nationalisten zu beruhigen. Am 11. November erklärte das Deutsche Reich die Kapitulation, am 14. November wurde eine ukrainisch-nationalistische Gegenregierung, das »Direktorium« gebildet, zu dem fünf Mitglieder, u.a. Symon Petljura, gehörten. Auch die »Union zur Wiedergeburt Russlands« rief zum Aufstand gegen den Hetman auf. In der deutschen Truppe übernahmen Soldatenräte das Sagen, es kam zu Verbrüderungen von deutschen und bolschewikischen Truppen, Waffen und Ausrüstungen wurden verkauft oder schlicht liegen gelassen. Tausende Bauern schlossen sich Petljuras Truppe, die zeitweise 100.000 Mann stark war, an und zogen auf Kiew zu.

Über die Jahre 1917–21 schrieb Bulgakow in seiner Skizze Die Stadt Kiew 1923: »Nach Rechnung der Kiewer waren es achtzehn Machtwechsel. Manche der Memoirenschreiber zählten zwölf; ich kann Ihnen sagen, dass es genau vierzehn waren– und ich selbst habe zehn davon durchlebt … Den Rekord hielt der bekannte Buchhalter und spätere Angestellte der Städtevereinigung Semjon Wassiljewitsch Petljura. Viermal tauchte er in Kiew auf, und viermal jagte man ihn davon.«

… der rote zitternde Mars: Der nach dem römischen Kriegsgott benannte Planet steht hier mit dem nach der römischen Liebesgöttin benannten am Himmel.

Christbaumgreis: russisch Eločnyj ded, eine seltenere Bezeichnung für »Väterchen Frost« (Ded moroz).

Podol: Podol wurde nach der Zerstörung der Oberstadt durch die Mongolen 1240 zum Zentrum Kiews und blieb es bis ins 19. Jahrhundert; das Haus Nr. 13 am Alexej-Steig (tatsächlich: Andreas-Steig), in dem die Turbins wohnen, liegt in diesem Stadtteil.

… zur Kapelle von Nikolaus dem Gütigen …: Eine dem hl. Nikolaus von Myra geweihte Kirche in der Nähe des Andreas-Steigs (im Roman des Alexej-Steigs).

… des altersgebräunten Hierarchen Nikolaus: Sie standen zu Füßen einer Ikone des in Russland hochverehrten hl. Nikolaus, dem Wundertäter (siehe auch Anmerkung zu … Nikolaus dem Gütigen).

Der Zimmermann von Saardam: Saardamskij plotnik (1849), ein Kinderbuch des Schriftstellers und Journalisten Pjotr Romanowitsch Furmann (1816–56), erzählt vom junger Zaren Peter I., später der Große genannt, der 1697–98 mit der Großen Gesandtschaft nach Westeuropa reiste und im niederländischen Zaandam inkognito als Schiffszimmermann arbeitete. Das Sujet war im 19. Jahrhundert beliebt, Alber Lortzing (1801–51) etwa verarbeitete es in seiner komischen Oper Zar und Zimmermann (1837).

… mit dem Zaren Alexej Michajlowitsch …: Alexej Michajlowitsch (1629–1676), genannt »der Sanftmütige«, war der zweite Zar aus der Romanow-Dynastie und der Vater Peters des Großen (1672–1725); 1654 übernahm er die Schutzherrschaft über das ukrainische Hetmanat, sicherte sich dann die Herrschaft über Smolensk, die Ostukraine und Kiew und dehnte sein Reich bis Ostsibirien aus.

… mit Natascha Rostowa, mit der Hauptmannstochter …: Natascha Rostowa ist die Heldin aus Leo Tolstois (1828–1910) Roman Krieg und Frieden (1868–69), der den Zusammenschluss aller Russen aus allen Schichten zur Voraussetzung des Siegs über Napoleon 1812 beschwört. In die Hauptmannstochter Mascha verliebt sich der junge Grinjow in Puschkins gleichnamigem Roman (siehe Anmerkung zu S 7).

Sich Sorgen zu machen, ist eine schwere Sünde …: In der orthodoxen Tradition gilt der Zustand der Sorge und des Verdrusses (unynie) als sündhaft.

S. 15: »Und der dritte Engel goß aus seine Schale …«: Offenbarung 16,4. Alle Bibelzitate folgen der Lutherbibel 1912.

Über dem einstöckigen Haus Nr. 13 …: In dieses Haus, das tatsächlich am Andreas-Steig liegt, zog die Familie Bulgakow 1906 (Bulgakow war 15 Jahre alt).

Wenn man dir sagt, die Alliierten werden schon helfen …: Die Alliierten sind die Ententemächte Großbritannien, Frankreich und Japan, seit April 1917 auch die USA, die als Verbündete Russlands gegen die Mittelmächte Krieg geführt und der Weißen Armee ihre Hilfe im Kampf gegen die Bolschewiken zugesagt hatten. Die versprochenen Expeditionskorps kamen entweder nicht oder konnten nicht viel ausrichten. Außerdem waren die Alliierten wegen des Vertrages von Brest-Litowsk ausgesprochen verstimmt und ihr Oberkommando stand unter dem Einfluss von russischen Monarchisten, die den ukrainischen Staat als deutsche Erfindung betrachteten.

Die Visage des Momos: Momos ist in der griechischen Mythologie der Tadler, der alles kritisiert, was die Götter tun. In Hesiods Theogonie heißt es: »Nyx [die Göttin der Nacht] gebar … – keiner hatte den Schoß der nächtigen Herrin befruchtet– Momos, den Tadler …« Zu den dunklen Nachkommen der Nyx zählen auch Thanatos, der Tod, Moros, das Verhängnis, und Hypnos, der Schlaf.

Papacha: Eine kaukasische zylinderförmige Fellmütze.

Schlagt Petljura!: Symon Petljura (1879–1926), Sohn eines Kosaken, gehörte 1905 zu den Mitbegründern der Ukrainischen Arbeiterpartei, von 1905–09 gab er die Zeitschriften Slovo und Ukrainskaja Zhyzn heraus, im 1. Weltkrieg diente er in der zarischen Armee. Im Februar 1917 stand er an der Spitze des ukrainischen Frontrats, war im März ein konstituierendes Mitglied der Zentralna Rada; dem Exekutivkomitee, gehörte er als Kommissar für Militärangelegenheiten, de facto also als Kriegsminister an. Die russischen Monarchisten betrachteten ihn als »Banditen«. Hetman Pavlo Skoropadskyj ließ ihn mit anderen Mitgliedern der Zentralna Rada verhaften, im September musste er ihn auf Druck der Deutschen, die die Nationalisten beruhigen wollten, freilassen. Als am 14. November 1918 eine Gegenregierung zu Skoropadskyjs Hetmanat gebildet wurde, gehörte er als Oberbefehlshaber zu den fünf Mitgliedern des Direktoriums: »Auf Befehl des Direktoriums der Ukrainischen Republik rufe ich als Ataman [Oberkommandierender] alle ukrainischen Soldaten und Kosaken auf, für die staatliche Selbständigkeit der Ukraine gegen den Verräter, den ehemaligen Zarenknecht General Skoropadskyj zu kämpfen.« Dem Ruf des offenbar charismatischen Anführers folgten Tausende, am 20. Dezember 1918 zog Petljura in Kiew ein. Im Januar 1919 erklärte er den Bolschewiken den Krieg, im Februar wurde er Vorsitzender des Direktoriums, am 9. Februar eroberte die Rote Armee Kiew, im Oktober wurde Petljuras Truppe auch von der Weißen Armee geschlagen. Im April 1920 versprach Petljura der polnischen Regierung die Abtretung der Westukraine, die zu Österreich-Ungarn gehört hatte und am 22. Januar 1919 der Ukrainischen Volksrepublik beigetreten war, im Tausch für militärische Hilfe gegen die Bolschewiken. Den Sieg trug allerdings die Rote Armee davon, im März 1921 wurde nach dem Sowjetisch-Polnischen Krieg die Ukraine zwischen der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) und Polen aufgeteilt.

1923 ging Petljura über Wien und Genf nach Paris, wo er am 25.5.1926 von Scholem Schwarzbard (1886–1938) erschossen wurde. Schwarzbard erklärte, er habe sich rächen wollen  während der anderthalb Jahre der »Regierung« Petljura wurden, trotz der Aufrufe Petljuras zur Mäßigung, in der Ukraine gut 50.000 Juden ermordet, wie Alexander Solschenizyn schätzte, darunter auch 15 Familienangehörige Schwarzbards. Im Prozess plädierte Schwarzbards Verteidiger: »Die Soldaten Petljuras verübten ihre Gewalttaten unter den Rufen ›Es lebe unser Vater Petljura!‹ Nun ist der feierliche Augenblick gekommen, die Pogrome von gestern zu verurteilen und jene von morgen zu verhüten.« Die Geschworenen sprachen seinen Mandanten frei  mit der Begründung, er habe ein Verbrechen aus Leidenschaft begangen.

Kom mu ne? oder: Kom me nie?: russisch Komu – na, a komu – ne, ein in den 1920ern beliebter Kalauer, den Wladimir Majakowski (1893–1930), Michail Prischwin (1873–1954) und andere Schriftsteller verwendeten. Gemeint ist, dass das neue kommunistische System dem einen nutzt, dem anderen schadet.

Aida: 1871 uraufgeführte Oper von Guiseppe Verdi (1813–1901), in der sich der ägyptische Feldherr Radames zwischen seiner Liebe zur äthiopischen Prinzessin Aida– aus dem Feindeslager  und der Loyalität zum Pharao entscheiden muss.

Juni. Die Barkarole: Ein Stück aus Pjotr Tschaikowskis (1840–93) Klavierzyklus Jahreszeiten (1875/76).

Aus gutem Grund vergisst kein Russe das Borodiner Feld: Zeile aus dem Gedicht »Borodino« von Michail Lermontow (1814–41). Das Gedicht erschien 1837 anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Schlacht von Borodino in der Petersburger Literaturzeitschrift Sowremnik (Der Zeitgenosse). Beim Dorf Borodino, etwa 130 Kilometer westlich von Moskau, hatte sich am 26. August (nach julianischem Kalender) 1812 die russische Armee unter General Kutusow der Grande Armee Napoleons entgegengestellt. Die Schlacht gehörte zu den blutigsten des 19. Jahrhunderts, auf russischer Seite fielen 40.000–50.000 Mann. »Das war ein Kampf nicht zwischen Männern, sondern wilden Tigern«, kommentierte ein russischer Hauptmann, Tolstoi schilderte ihn in Krieg und Frieden eindrücklich (und nannte Lermontows Gedicht den »Keim« seiner Schlachtendarstellung), auch Alexander Puschkin verfasste ein Gedicht zum »Jahrestag von Borodino« (1831), dem »brüderlichen Totenfest«.  Napoleon stand danach zwar der Weg nach Moskau offen, doch seine Armee war entscheidend geschwächt. Am Ende des Russlandfeldzugs waren von anfangs 600.000 Mann der Grande Armee 400.000 umgekommen und 100.000 in Gefangengenschaft geraten, auf russischer Seite starben etwa 500.000 Menschen. Napoleon hatte den Nimbus des Unbesiegbaren verloren, Russland war »der Retter Europas«, im Zarenreich selbst galt der Ausgang des »Vaterländischen Krieges« als Sieg des »einigen russischen Volkes«.

Moische Mandelbaum: Im Original heißt es »Abram Prushiner«, pružina bedeutet in etwa »Stahlfeder«, »Bettfeder«. Ab dem Ende des 18. Jahrhunderts nahmen Juden, die bis dahin meist den Vatersnamen (wie Aaron ben Juda, Aaron Sohn des Juda) getragen hatten, Familiennamen an  viele waren dem poetischen Zeitgeschmack geschuldet, wie Morgenthau, Goldstein, Tugendreich oder Mandelbaum. Der im Sommer 1917 in der Ukraine zuständige Kommissar für jüdische Fragen etwa hieß Moses Silberfarb. Diese selbst gewählten Namen »markierten« ihre Träger aber genauso als jüdisch wie die von missgünstigen Beamten zugeteilten, wie Buttermilch, Grobtuch, Leichentritt oder eben Prushiner.

25. Oktober 1917: Nach dem gregorianischen Kalender der 7. November 1917, an diesem Tag fand der bolschewistische Umsturz in Petrograd statt.

Chevron: Winkelförmige Tressen auf dem Ärmel einer Uniformjacke oder eines -hemds, die den Dienstgrad anzeigen.

Die Erkundung: Ein bekanntes Lied der Fahnenjunker, das die Übung der topographischen Erkundung thematisiert.

Die Militärschule: Die 1915 gegründete Alexej-Schule für militärische Ingenieure in Kiew; Bulgakows Bruder Nikolaj war dort Fahnenjunker.

Bröckelnde Alexandersäulen: Gemeint sind die Säulen aus der Epoche der Regentschaft des Zaren Alexander I., 1801–25.

Säulen … über dem güldenen ukrainischen Ackerland: Auch Bulgakow verwendet einen antikisierenden Begriff – červonnye für die rötlich-goldenen Felder.

Die Nacht vor Weihnachten: Ein sehr beliebtes Weihnachtsmärchen (1832) von Nikolaj Gogol (1809–52), das in der Ukraine spielt. Pjtor Tschaikowski nahm es als Vorlage für seine komische Oper Pantöffelchen (1887), Nikolaj Rimski-Korsakow beließ für seine Oper 1895 den Gogol’schen Titel.

Swjatoschino: Ein Vorort im Nordwesten Kiews.

Der Herr aus San Francisco … »… das Dunkel, den Ozean, den Sturm.«: Eine von Tolstois Der Tod des Iwan Iljitsch beeinflusste Erzählung (Gospodin is San Francisco, 1915) Iwan Bunins (1870–1953), die ihren Verfasser sofort in ganz Europa bekannt machte. Bunin, der 1918 vor den Bolschewiken in die von den Weißen gehaltene Schwarzmeerstadt Odessa und von dort aus nach Frankreich floh, erhielt 1933 den Literaturnobelpreis. Die Erzählung endet mit den Worten »… das Dunkel, den Ozean, den Sturm.«

Unterbrach sich selbst und wurde bei der Bewegung vom Samowar verunstaltet: Ein Beispiel für Bulgakows Liebe zu ungewöhnlichen Formulierungen, im Russischen steht Sam sebja prerval, »Unterbrach sich selbst«.

… deine Deutschen. Hab schon welche mit roten Bändern gesehen: Eine Anspielung auf die Verbrüderung deutscher Soldaten mit den Bolschewiken bzw. auf die deutschen Soldaten, die sich auf die Seite der Soldatenräte gestellt haben.

S’ il vous plaît: französisch, bitte schön.

S. 26 … die schwere Mauser mit dem hölzernen Holster …: Die ab 1896 produzierte Mauser C96 hatte ein hölzernes Holster, das auch als Schulterstütze diente und die Pistole damit praktisch in ein Kurzlaufgewehr verwandelte; auch bei den Rotarmisten war die Waffe sehr beliebt, Wladimir Majakowski nannte sie in seinem Gedicht »Linker Marsch«: »Genosse Mauser« (»Du / hast das Wort, / rede, Genosse Mauser!«, Übersetzung: Hugo Huppert).

Vom Roten Gasthof: Ein nach dem Gasthof benanntes Dorf (Krasnyj Traktir) etwa fünf Kilometer von Kiew entfernt.

S. 28 … dero Gnaden, den Hetman der Ukraine …: Der ehemalige Flügeladjutant des Zaren General Pawel Skoropadski, ukrainisch Pavlo Skoropadskyj (1873–1945), hatte 1917 das 34. Armeekorps ukrainisiert und mit diesem Korps das Eindringen bolschewikischer Soldatenmassen, die von der Front flohen, in die Ukraine verhindert. Er erlangt damit Ruhm und wurde zum Ehrenataman des ukrainischen freien Kosakentums erhoben– er stammte selbst aus einem bekannten Kosakengeschlecht und pflegte die Kosakentradition sehr, im Roman wird mehrfach darauf angespielt. Die deutsche Regierung hatte dafür gesorgt, dass Skoropadskyj Hetman wurde und die gesamte Regierungsgewalt in seiner Hand lag. Den Russen in der Ukraine war er zu ukrainisch, den Ukrainern zu russisch, so gut wie allen galt er als Marionette Deutschlands (siehe auch Anmerkung zu Ein gewaltiges Jahr… 1918).– Hetman hießen seit dem Mittelalter die Heerführer der Kosaken.

Ein Chevaliergarde, wie?: Ein Chevaliergarde war ein Angehöriger des noblen 1. Garde-Kürassierregiments der russischen Armee, das von Katharina der Großen (1729–96; seit 1762 Zarin) aufgestellt worden war.

Oberst Nay-Tours: Er ist »so wie in meiner Vorstellung ein russischer Offizier zu sein hat«, sagte Bulgakow; ein Vorbild dieser Idealfigur war General Graf Fjodor Keller (1857–1918), der eine Freiwilligentruppe befehligt, den Hetman unterstützt hatte und Kiew dann gegen die Petljura-Truppen zu verteidigen versuchte; nach der Einnahme der Stadt wurde er gefangengenommen und am 21.12.1918 von Soldaten Petljuras getötet. Den Namen »Nay-Tours« könnte Bulgakow phonetisch aus dem Roman Chod Konja (1923) von Viktor Schklowski (1893–1984) abgeleitet haben, in dem Schklowski einen ungehinderten Springerzug beim Schach als »knight’s tour« bezeichnet.

Belgrader Husaren: Ein Regiment mit diesem Namen gab es nicht, vor 1917 existierte lediglich das 12. Belgoroder Ulanenregiment.

… Horden, die Serebrjanka überfallen hatten …: Bei Serebrjanka dürfte es sich um einen fiktiven Ortsnamen handeln.

Post-Wolynski: Ein Vorort von Kiew, im weiteren Verlauf der Geschichte teils auch schlicht »Post« genannt.

S. 30 … diese Dostojewski-Gottesträger: In seinem Roman Die Dämonen (1871), auch: Böse Geister, ließ Fjodor Dostojewski (1821–81), den Studenten Schatow sagen, das einzige »Gottesträgervolk« sei das russische, wobei er mit dem Volk vor allem die Bauern meinte; Dostojewski kritisierte damit den säkularisierten westlichen Materialismus, denn er verband jedes moralische Handeln untrennbar mit dem christlichen Glauben; den »Gottesträgern« ist es beschieden, die Welt zu erneuern und zu erlösen.

Popeljucha: Ein fiktiver Ort.

S. 31 … »Sind allähsamt zu Petljura gählaufen.«: Im Original spricht der Alte Ukrainisch und wechselt dann ins Russische.

General Kartusow: Als Vorbild gilt der General Lew Kirpitschjow (1876–1928), der im November 1918 Kommandeur des Kiewer Freiwilligenbataillons und des Freien Korps der hetmanschen Armee war.

Tamaras Schloss: Ein georgischer Weinkeller in Kiew, der Name des Lokals bezieht sich wohl auf die georgische Königin Tamar (1166–1213), Protagonistin der Ballade »Tamara« und des Poems Der Dämon (Demon) des russischen Romantikers Michail Lermontow. Das Poem bildet, vor allem für die Charakterisierung der Gestalt Scherwinskis als »der Dämon«, ein wichtiges Leitmotiv in Bulgakows Roman. Eine gewisse Komik ergibt sich aus der Tatsache, dass sich bei Lermontow das Schloss Tamaras auf einem hohen Felsen befindet, während es im Roman ein Keller ist.

Serdjuken: Im Juni 1918 hatte der Hetman die Aufstellung einer Division mit einer vorgesehenen Stärke von 5000 Mann befohlen, die als seine Garde vorgesehen war, denn er misstraute vielen hohen Offizieren und glaubte nicht an ihre Loyalität; tatsächlich stellten sich einige auf Petljuras Seite. Die Division war nach den Serdjuky benannt, den Ende des 17., Anfang des 18. Jahrhunderts in der linksufrigen Ukraine stationierten Kosakenregimentern. Die Rekruten mussten Ukrainer und orthodoxe Christen sein.

Der Koffer … seine matrosenhafte Trennwand: Die Trennwand ist gestreift, wie die Hemden der russischen Matrosen.

Um ein Uhr nachts …von Bussowsche Generalstab: Der deutsche Befehlshaber war damals Generaloberst Günther von Kirchbach (1850–1925).  Den Namen lieh sich Bulgakow möglicherweise von Conrad Bussow (1552/53–1617), einem deutschen Soldaten und Abenteurer, der in Diensten des Usurpators Boris Godunow (1552–1605) gestanden und die Moskowitische Chronik (Verwirrter Zustand des russischen Reichs …) verfasst hatte, die als eine der wichtigsten nicht russischen Quellen zur Geschichte der Jahre 1584–1613 zählt.

Das hetmansche Ministerium ist billigste Operette … wie im Übrigen auch der Hetman selbst: Der Schriftsteller Konstantin Paustowski (1892–1968), ein jüngerer ehemaliger Mitschüler Bulgakows, der im Herbst 1918 aus Moskau kommend in Kiew eintraf, hielt den Hetman für einen »langbeinigen, geschniegelten und recht dummen Offizier … Die ukrainischen Zeitungen rechneten ihm seine Abneigung gegen dekolletierte Kleider als Verdienst an. Weitere bemerkenswerte Eigenschaften waren an Skoropadskij nicht zu entdecken. Selbst die Deutschen machten sich über diese Hetmanattrappe lustig.« (Der Beginn eines verschwundenen Zeitalters)

Im März 1917 … mit einer breiten roten Binde betrat: Am 3. März war in den Kiewer Zeitungen die Abdankung von Zar Nikolaus II. verkündet worden; die aufständischen Petrograder Soldaten hatten sich rote Binden angelegt, um sich von den nicht aufständischen abzusetzen, die rote Farbe signalisierte keine bestimmte Parteizugehörigkeit.

Da war es Thalberg … den berühmten General Petrow verhaftete: Gemeint ist Generaladjutant Nikolaj Judowitsch Iwanow (1851–1919), der als unfähiger Befehlshaber an der Südwestfront im 1. Weltkrieg katastrophale Niederlagen der russischen Armee zu verantworten, aber Fürsprecher in höchsten Kreisen hatte und vom Zaren am 27. Februar 1917 zum Oberbefehlshaber des Bezirks Petrograd ernannt worden war und den Aufstand niederschlagen sollte. Nach der Abdankung des Zaren wurde er seiner Ämter enthoben, am 10. März traf er in Kiew ein und wurde unter Hausarrest gestellt, am 14. März befahl Alexander Kerenski als Justizminister der Provisorischen Regierung, ihn nach Petrograd bringen zu lassen.

Und nachdem am Ende … verkündeten, sie würden unter gar keinen Umständen aus der Großen Stadt an die Front ziehen …: Viktor Schklowski, der im Mai 1917 als Kommissar der Provisorischen Regierung an die Front unterwegs war, um die sogenannte Kerenski-Offensive vorzubereiten, berichtete: »Die Lage war miserabel, sämtliche Soldaten, die über Kiew an die Front geschickt wurden, verwandelten sich hier in Ukrainer und wollten nicht mehr weg.« (Sentimentale Reise)

Die Menschen mit den Pluderhosen …: Gemeint sind ukrainische Nationalisten, die sich kosakisch mit Pluderhosen kleideten und herabhängende Kosakenschnauzbärte trugen.

Moskau: Moskau hatte 1712 den Hauptstadtstatus an St. Petersburg verloren, blieb aber das geistige Zentrum Russlands, am 11. März 1918 machten es die Bolschewiken wieder zur Hauptstadt.

Eines Tages, im März …: Nun ist die Erzählung im März 1918 angekommen.

Ignatij Perpillo. Ukrainische Grammatik: Das Ukrainische wurde wie das Russische und das Weißrussische schon auf dem Gebiet der Kiewer Rus gesprochen, im Zarenreich, das vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf Russifizierung setzte, galt es als »kleinrussischer Dialekt« und wurde 1876 verboten, trotzdem entstand schon im 19. Jahrhundert ukrainische Literatur. Eine einheitliche Sprachentwicklung wurde durch die geschichtliche Entwicklung gehemmt, in der über Jahrhunderte erst stark polnisch und dann ab der Ersten Polnischen Teilung 1772 österreichisch geprägten Westukraine (um Lemberg) sprach man die »sogenannte galizische Sprache«, wie Paustowski schrieb, »… ein recht schwerfälliges Idiom voller Lehnwörter aus den benachbarten Sprachen«  ganz anders als »die scharf geschliffene, klingende Volkssprache der Ukrainer, glanzvoll und wahrhaft von perlendem Schimmer wie die Zähne junger übermütiger Bäuerinnen …« (Der Beginn eines verschwundenen Zeitalters)

Im April 1918 … dero Gnaden, der Hetman der Ukraine: Am 29. April 1918 wurde Pawel Skoropadski auf dem Gesamtukrainischen Bauernkongress, der ein Kongress der Landbesitzer war und im Kiewer Zirkusbau stattfand, zum Hetman ausgerufen, es war eine mit der deutschen Obersten Heeresleitung abgesprochene Entmachtung der Zentralna Rada. Schon in der Nacht des 28./29. April hatte er seine erste Proklamation als Hetman vorbereitet und mit seinem ukrainisierten Namen Pavlo Skoropadskyj unterzeichnet.

Im Wagen schlotterte … ein Blankrasierter …: Der da schlottert, ist Symon Petljura, der anders als die meisten sich auf das Kosakentum berufenden Nationalisten keinen herunterhängenden Schnurrbart trug.

Westi: zu Deutsch »Nachrichten«, in Kiew erschienen auch in dieser Zeit noch Zeitungen in russischer Sprache, doch dieser Name ist fiktiv.

Ich glaube … auf die Krim und zum Don: Auf der Krim und am unteren Don war das Hauptquartier der Weißen Armeen, die Weißen wollten das »unteilbare Russland« als Zentralstaat wiedererstehen lassen.

Denikin: Anton Iwanowitsch Denikin (1872–1947), Generalleutnant der zarischen Armee und einer der wichtigsten Befehlshaber der Weißen Armeen, ihm unterstanden die Verbände am Don, 1920 ging er ins Exil.

Bulgakow wurde als Arzt von den Petljura-Truppen zwangsverpflichtet, nachdem sie in Kiew eingezogen waren, er setzte sich ab, als sie Anfang Februar vor den Bolschewiken aus der Stadt flüchteten, und schloss sich im September 1919 Denikins Armee an, die Kiew von den Roten eroberte, während sie gleichzeitig gegen Petljuras ukrainische Nationalisten kämpfte. Seine Brüder Iwan und Nikolaj dienten ebenfalls in der Weißen Armee.

Faust: Am 19. März 1859 uraufgeführte Oper in fünf Akten von Charles Gounod (1818–93), das Faust/Mephisto-Motiv durchzieht Bulgakows späteren Roman Meister und Margarita (Master i Margarita).

… und der bunte rotbärtige Valentin singt: In der 2. Szene des 2. Akts von Gounods Faust singt Valentin, der Bruder Margarethes, bevor er in den Krieg zieht– und bunt ist, weil er eine farbenfrohe Uniform trägt: »Da ich nun verlassen soll / Mein geliebtes Heimatland, /Sei, Herr des Himmels, inbrunstvoll / Mein Flehen zu dir gewandt. / Schütze die Schwester mir, Herrgott, so bete ich zu dir …«.

S. 40: Kavatine: Ein liedartiges Sologesangsstück aus einer Oper.

… die langen Pullmans …: Luxuriöse Schlaf- und Salonwagen der amerikanischen Pullman Palace Car Company, der Begriff hatte sich als Bezeichnung für Luxuswaggons so eingebürgert, dass auch die Wagen der Compagnie Internationale des Wagons-Lits, die in Europa und Russland operierte, so bezeichnet wurden.

… mit den durchscheinenden Buchstaben S.W.E.B: Die Buchstaben stehen für Süd-West-Eisenbahn, eine 1870 gegründete russische Eisenbahngesellschaft für das Gebiet der Ukraine, 1914 war ihr Streckennetz insgesamt 4167 Kilometer lang.

Wassilissa: Der Spitzname Lissowitschs wirkt besonders komisch, weil Wassilissa (bzw. Wassilissa die Schöne) der traditionelle Name der überseeischen Prinzessin aus russischen Volksmärchen ist, die Iwan der Dumme zu rauben hat.

Das passierte … statt des präzisen W. Lissowitsch, aus Angst vor etwaiger zukünftiger Rechenschaft … nur noch Wass. Liss: In Bulgakows früherer Fassung In der Nacht auf den 3. wird Lissowitschs Motivation, seinen Namen zu verbergen, mit einer vagen Angst vor der noch unbekannten Staatsmacht beschrieben »… jeden Morgen beim Aufstehen erwartete der Ärmste irgendeine neue und extraordinäre Großüberraschung … Auf zahllosen Papieren und Fragebögen, wovon jede Regierungsform ganze Stapel verbraucht und verlangt, begann der VHV Wass. Liss. zu schreiben, gefolgt von einem langen zittrigen Schnörkel. Dies alles in Vorahnung irgendeiner furchtbaren, außerordentlichen Verantwortung vor der kommenden, noch unbekannten, aber, nach Meinung des VHV, rächenden, strafenden Macht.«

Nikolka, dem Wassilij Iwanowitsch am 18. Januar 1918 Kärtchen für Zucker ausgestellt hatte, bekam am Kreschtschatik … einen schlimmen Schlag … in den Rücken … : Da im Krieg Lebensmittel knapp waren, wurden Bezugskarten ausgestellt, auch auf Zucker, obwohl in der Ukraine die größten Zuckerfabriken des russischen Reichs standen; der Kreschtschatik ist die Hauptgeschäftsstraße in Kiew, ein vornehmer Corso; im Januar 1918 war der bolschewikische Aufstand in Kiew ausgebrochen.

Bepinselt mit Kleister, verklebten sie die winzigen Freiräume meisterlich: Auch im Russischen mit einem Assonanzenreim: Smazannye klejsterom, oni legli na razrez tak akkuratno, čto prelest …

Akazienzweig: Im Original ist ausdrücklich von einem Zweig, nicht von einem Ast die Rede – s vetvi akacii; möglicherweise will Bulgakow damit die Erscheinung des Wolfsmenschen, der später im Roman als Gebetloser (Nemoljaka) vorkommt, noch ephemerer und ungreifbarer machen.  Da es sich bei der Akazie um ein subtropisches Gewächs handelt, ist hier wohl eine Robinie gemeint, die auch als Scheinakazie oder Falsche Akazie bezeichnet wird und winterhart ist.

Taras Bulba: Der titelgebende Held einer Erzählung von Nikolaj Gogol (1809–52), die 1835 im nach der ukrainischen Stadt benannten Band Mirgorod erschien; sie erzählt von dem Saporoger Kosaken Taras Bulba, der in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit seinen Söhnen heroisch gegen die Polen, die damals in der Ukraine herrschten, kämpft. 1842 gab Gogol eine überarbeitete Fassung heraus, in der er alle Stellen, die darauf hätten hindeuten können, dass die Ukraine ein eigenständiger Staat ist, geändert hatte.

50 Karbowanzen: Karbowanez, die 1918 eingeführte Währungseinheit der Ukrainischen Volksrepublik.

Und auch hier der Schnauzer nach unten auf die ukrainische Art: In Abgrenzung zu allem Russischen ist der Mann mit einem herunterhängenden »Kosakenschnurrbart« dargestellt.

Direktor der Staatskasse Lebidj-Jurtschik: ukrainisch Charyton Lebid’-Jurčyk (1877–1945), floh nach dem Bürgerkrieg nach Deutschland.

Alexander II.: Zar Alexander II. (1818–81) versuchte mit Reformen der Rückständigkeit Russlands ein Ende zu setzen, die folgenreichste war die Befreiung der Bauern (etwa 25 Millionen Menschen) aus der Leibeigenschaft 1861, weshalb man ihn den »Befreier-Zar« nannte. Auf die soziale Dynamik, die die Umgestaltung der Gesellschaft begleitete, reagierte er dann mit Repressionen, 1881 starb er nach einem Attentat der linksterroristischen Organisation Narodnaja Wolja (Volkswille).

S. 47 … Träger des Stanilaus-Ordens: Der Stanislaus-Orden wurde 1765 als polnischer Orden für die höheren Adelsstände gestiftet und nach dem Krakauer Bischof und Märtyrer Hl. Stanislaus (1035–79) benannt; 1815 erneuert ihn Zar Alexander I. als König von Polen als russischen Verdienstorden.

Im grünlichen Lichtschein … Gontscharow, Dostojewski … Brockhaus-Efron: Iwan Gontscharow (1812–91) wurde auch der »russische Flaubert« genannt, sein zweiter, 1859 erschienener Roman Oblomow machte ihn berühmt; zu Fjodor Dostojewskis (1821–81) bekanntesten Werken zählen Die Dämonen, auf die Bulgakow in der Weißen Garde mehrfach anspielt, ein Roman, der von vielen als Voraussage der Revolution gelesen wurde; sowie Schuld und Sühne, auch: Verbrechen und Strafe, in dem einige, durch ihr »gewissenhaft vergossenes Blut« Gerechtigkeit herstellen wollen; der Leipziger Verlag F.A. Brockhaus und der St. Petersburger Verleger Ilja Efron gaben 1890–1904 ein an den Brockhaus angelehntes russisches Konversationslexikon in 86 Bänden heraus, 1899–1902 erschien eine kleine, dreibändige Ausgabe.

Zusammen mit fünfzehn Katharinkas, neun Peter-, zehn Nikolaus-I-Noten …: Das Porträt Katharinas der Großen zierte den 1910 ausgegebenen 100-Rubel-Schein, das Peters des Großen den 500-Rubelschein (dessen Wert im Ausgabejahr 1912 dem Wert von 430 Gramm Gold entsprach), Nikolaus I. prangte auf dem 50-Rubelschein.

Anna-Orden: Der St. Annen-Orden wurde 1735 als Hausorden der Herzöge von Schleswig-Holstein-Gottorp gestiftet (aus dieser Dynastie stammte Zar Peter III.), 1797 nahm Paul I. (1754–1801) ihn als Verdienstorden in das russische System auf.

Alles in Von-Einem-Gebäckschachteln …: Theodor von Einem (1826–76) aus dem brandenburgischen Belzig eröffnete 1851 eine Konditorei am Moskauer Arbat, 1867 gründete er mit dem aus dem Schwarzwald eingewanderten Julius Heuss eine Schokoladen- und Gebäckfabrik, die bald den Zarenhof belieferte; 1918 wurde sie verstaatlicht und zur »Staatlichen Süßwarenfabrik Nr. 1, vormals Einem«, ab 1922 hieß sie »Roter Oktober«.

Arschin: Ein Arschin entspricht 71,12 Zentimetern.

Drei Viertel vom Rohr Richtung Nordosten …: Gemeint sind drei Viertel Arschin.

… irgendwelche Schelme von Tuschino …: Als »der Schelm von Tuschino« wird in der russischen Geschichte der zweite Pseudo-Demetrius bezeichnet– der zweite, der sich als jüngster Sohn Dmitri Iwanowitsch des Zaren Iwan IV. (des Schrecklichen) ausgab, der der Ermordung durch Boris Godunow entgangen sein sollte; er wurde 1610 getötet.

Letzter Schritt – aus der Wohnung hinauskündigen …: Auch im russischen Original benutzt Wassilissa die sprachlich vollkommen unmögliche Wendung – Otkazat’ ot kvartiry.

Auf dem Sessel ein zerknülltes Blatt des Satiremagazins Teufelspuppe: Dahinter verbirgt sich die satirische Zeitschrift Čertova perečnica (Des Teufels Pfeffermühle), die der Schriftsteller Ilja Markowitsch Wassiljewski (1882–1938), Künstlername Ne-Bukva (kein Buchstabe), herausgab. Er war von Ende der 1910er bis Anfang der 1920er Jahre mit Ljubow Jewgenijewna Beloserskaja verheiratet, die Bulgakow kennenlernte, während er an der Weißen Garde arbeitete (siehe auch Anmerkung zur Widmung). Die Zeitschrift hatte ihren Sitz ursprünglich in St. Petersburg, nachdem die Bolschewiken sie verboten hatten, gab Wassiljewski sie im November und Dezember 1918 in Kiew heraus; für sie schrieben die namhaftesten Satiriker ihrer Zeit wie Arkadij Awertschenko (1881–1925), Don Aminado (1888–1957) und Teffi (d.i. Nadeshda Alexandrowna Lochwitzkaja, 1872–1952).

Mit nacktem Profil sollte man nicht auf einem Igel Platz nehmen!: Das leicht abgewandelte Motto der 6. Ausgabe von Des Teufels Pfeffermühle.

Man züchtet auf der Zeltbahn Ziegen./Amerika wird immer siegen: Die nun folgenden Verse sind dem »ABC für Epileptiker und Selbstmörder«, einem ABC-Gedicht, entnommen, das im November 1918 in Des Teufels Pfeffermühle erschienen war.

Herr Leitmann lässt sich lustig lesen./Wo bleiben die Senegalesen?: Im Original steht: Herr Breitmann. Der Literat Grigori Breitmann (1873–1949) gab 1906–19 in Kiew die Zeitung Poslednie novosti (Letzte Neuigkeiten) heraus. Die Franzosen entsandten 1918 zur Unterstützung des Kampfes gegen die Bolschewiken Truppen, zu denen auch senegalesische Kolonialtruppen gehörten, nach Odessa. Sie landeten dort zusammen mit griechischen sowie kleinen Kontingenten polnischer, rumänischer und freiwilliger russischer Truppen am 17. Dezember 1918.

Zum Präsidenten wird Rodsjanko: Michail Rodsjanko (1859–1924), dessen Ländereien im Osten der Ukraine lagen, war bereits Präsident gewesen  der letzten Duma im Russischen Kaiserreich  und hatte sich als Vermittler zwischen dem Volk und dem Zaren gesehen, entgegen dessen ausdrücklichem Befehl löste Rodsjanko im Februar 1917 die Duma nicht auf, sondern wurde Leiter des Provisorischen Duma-Komitees. Er hatte gute Chancen auf das Amt des Premiers in der Provisorischen Regierung, das dann aber an den liberalen Fürst Lwow ging. Nach der Machtübernahme der Bolschewiki floh Rodsjanko zur Weißen Armee, später emigrierte er nach Serbien.

Fürst Belorukow: Als Vorbild diente der Generalleutnant Fürst Alexander Dolgorukow (1872–1948), ein enger Freund des Hetmans, der Ende November 1918 zum Oberbefehlshaber der Ukrainischen Streitkräfte ernannt wurde und im Dezember 1918 nach Deutschland emigrierte.

S. 51 … die Karausche: Ein gedrungener, zur Familie der Karpfen gehörender Fisch; sie kommt mit sehr wenig Sauerstoff aus, gilt als sehr widerstandsfähig und kann dank des in ihrem Blut enthaltenen Alkohols sogar ein vollständiges Durchfrieren von Gewässern überleben.

Oberst Malyschew: Ein gewisser Oberst A. Malyschew stellte in Kiew im Dezember 1918 ein Bataillon aus patriotisch gesinnten Schülern und Pfadfindern auf.

… das Epithalamium auf den göttlichen Hymenaeus …: Gemeint ist das berühmte Epithalamium (Brautlied) aus der Oper Nero (1879 in Hamburg uraufgeführt) von Anton Rubinstein (1829–94), der im Gouvernement Podolien, Generalgouvernement Kiew, geboren wurde.– Hymenaeus (Hymenaios) ist in der griechischen Mythologie der Gott der Hochzeit.

Er beehrt La Scala und das Bolschoi in Moskau …: Neben der Mailänder Scala gilt und galt das Moskauer Bolschoi Theater (Großes Theater) am Theaterplatz als eines der besten Theater für Opern  und Ballett.

Nachdem er »fünf« gesagt hatte, ließ Scherwinski selbst den Kopf etwas hängen und sah sich ein wenig verwirrt um, so als hätte es ihm ein anderer berichtet und nicht er selbst: Ein weiteres Beispiel für Bulgakows Vorliebe für merkwürdige Satzbildungen. Die Übersetzung folgt exakt dem Original.

… serbische Regimenter einmarschieren: Serbien hatte im 1. Weltkrieg aufseiten der Entente gekämpft; im Russischen Bürgerkrieg kämpften diverse ausländische Verbände, wie etwa die Tschechoslowakische Legion, aufseiten der Weißen. Im Dezember 1918 kündigte die Zeitung Golos Kieva (Die Stimme Kiews) die Ankunft serbischer Quartiermacher in Kiew an.

… im Hafen von Odessa … zwei Divisionen der Senegalesen: siehe Anmerkung zu Herr Leitmann lässt sich …

… die Steyr …: Pistole der Österreichischen Waffenfabriksgesellschaft in Steyr; die halbautomatische Steyr M1912 war die Standardpistole der österreichisch-ungarischen Armee.

… mit den wedelnden Schwänzen auf dem Kopf?: Gemeint ist der lange schweifähnliche Zopf auf einem ansonsten rasierten Schädel – eine charakteristische Haartracht der Kosaken (siehe auch Anmerkung zu Serdjuken sowie zu … hin zur Saporoger Sitsch).

Wie heißt auf Ukrainisch »Katze«? … in jedem Wald …: Ein Versuch, das russische Wortspiel auch im Deutschen nachzubilden. Das Wortspiel basiert auf einer Lautverschiebung vom Russischen ins Ukrainische, wobei aus dem o oft ein i wird, aus dem i ein y. Bei Bulgakow wird aus dem russischen kot (Kater) ein ukrainisches kit. Das Wort kitkitkyt