Richard L. Tierney

 

Die Winde der Zarr

 

 

 

 

Roman

 

Apex Fantasy-Klassiker, Band 8

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DIE WINDE DER ZARR 

 

ERSTES BUCH 

ZWEITES BUCH  

DRITTES BUCH 

 

Das Buch

 

 

Inspiriert von Cecil B. DeMilles Leinwand-Epos Die Zehn Gebote (The Ten Commandments, 1956) schrieb der US-amerikanische Autor Richard L. Tierney (in Deutschland insbesondere bekannt durch seine Robert-E.-Howard-Adaptionen und die gemeinsam mit David C. Smith verfassten Red-Sonja-Romane) den Roman Die Winde der Zarr (The Winds Of Zarr, 1975) und verknüpfte in diesem Text biblische Motive mit Aspekten der Zeitreise sowie mit Elementen aus den Werken Robert E. Howards und H.P. Lovecrafts (hier insbesondere aus dem Cthulhu-Mythos): Tierney interessierte die Story hinter der Story von Die Zehn Gebote, und im Ergebnis ist Die Winde der Zarr eine überaus faszinierende Melange aus Fantasy, Science Fiction und Horror (Lovecraft'scher Prägung).

 

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Romans, der nun erstmals seit nahezu vierzig Jahren wieder in deutscher Sprache erhältlich ist.

DIE WINDE DER ZARR

 

 

ERSTES BUCH

 

 

 

 

 

1.

 

 

Dumpfe Trommelschläge dröhnten über die Strände von Khem, über die sich langsam die Dämmerung senkte. Hörner sangen in metallischen Klängen von Schlachten und großen Türmen, die sich standhaft im goldenen Licht des westlichen Horizonts erhoben, wo ein langer Zug von Menschen zwischen spitzen Obelisken und schattigen Palmen einher marschierten. Die Spitzen der Kriegsspeere glänzten wie metallische Feuer, und das Trampeln der Füße schien durch das ganze Tal zu dröhnen, als die Prozession der Straße folgte, die durch die Tore der großen, von starken Mauern umsäumten Stadt führte.

Als die Kolonne die inneren Wälle, die den Palast umgaben, erreichte, klangen weitere Trompeten auf. Der große Mann in dem Kriegswagen, der die Armee anführte, betrachtete die Menschenmenge, die sich zusammendrängte, um den Siegeszug zu beobachten, mit einem Hauch Arroganz. Angesichts des festlichen Ereignisses benahm sich die Menge seltsam; sie schwieg, anstatt in Jubelrufe auszubrechen, und manche der Beobachter schienen sogar zu seufzen. Der großgewachsene Mann lächelte kurz, doch seine Augen blieben kalt, denn er wusste, was das Trompetenspiel und die Trauerkleidung der Menge zu bedeuten hatten.

Unter dem Rasseln von Ketten und dem Ächzen schwerer Riegel schwangen die großen, bronzenen Tore unendlich langsam auf. Ohne zu warten, marschierte die gesamte Armee durch die Portale in den Hof hinein. Hinter dem prunkvollen, mit Gold und Elfenbein beschlagenen Kriegswagen des großgewachsenen Mannes rumpelten sechshundert weitere Wagen einher, aus denen die Fahrer und kaltäugige khemitische Bogenschützen mit kühlem Stolz die Menschenmenge betrachteten. Ihnen folgten mehrere tausend Speerträger - die Fußsoldaten von Khem, gekleidet in leichte Rüstungen und von schwarzen Helmen geschützt, versehen mit großen, breiten Schilden, die dann und wann leicht gegen den Erdboden schlugen. Hinter diesen Truppen folgte eine lange Reihe angeketteter oder gefesselter Gefangener; ihre Halsringe und Ketten, mit denen sie aneinandergefesselt waren, rasselten ununterbrochen unter den Peitschenschlägen der Aufseher, die mit harter Nilpferdhaut auf die Sklaven einhieben. Danach kamen schwerfällige hölzerne Wagen, die von Ochsen oder Sklaven gezogen wurden. Ihre großspeichrigen Räder ächzten unter der schweren Beute, die sie zu tragen hatten. Schließlich folgten erneut mehrere tausend Fußsoldaten, die in die verschiedensten Abteilungen unterteilt waren - barbarische Libyer aus dem Westen und staubige Krieger aus den geheimnisvollen Ländern von Kush, das weit im Süden lag, alles Söldner der Armeen von Khem.

Als die letzten Menschen der langen Prozession die Tore durchschritten hatten, wurden diese unter mächtigem Dröhnen geschlossen; die gesamte Armee hielt wie ein Mann, und das Trompetengeschall verstummte. Nur noch das dumpfe, langgezogene Trommeln, das aus den Ecktürmern erklang, war zu hören.

Der Mann, der die Prozession anführte, trat nun aus seinem Kriegswagen und stieg mit eindrucksvoller Gebärde die marmornen Stufen des Palastes hoch. Er blickte weder rechts noch links und beachtete keinen der Priester, die, in weiße Roben gekleidet, seinen Weg säumten und deren kahle, mit Öl eingeriebene Schädel wie geschliffene Kristalle im flackernden Licht eines Lagerfeuers glänzten. Dennoch bemerkte er auch ohne einen Seitenblick, dass in ihren Blicken ein neugewonnener Respekt mitschwang. Der Mann lächelte düster, wissend, dass während seiner Abwesenheit alles zum Guten verlaufen war.

Im Palast angelangt, entspannte sich seine Haltung, und er eilte schnellen Schrittes durch die weitläufigen, mit Marmor ausgekleideten Hallen. Sein langer roter Umhang verursachte ein leises Geräusch auf den polierten Steinplatten. Erneut verbeugten sich weitere Priester vor ihm, als er einen weißen, blumenübersäten Raum betrat, in dem sich ein Teich und mehrere sanft plätschernde Springbrunnen befanden, doch er schenkte ihnen keinen Blick seiner kalten, dunklen Augen. Leichtfüßig stieg er eine weitere Treppe empor und schritt durch einen langgezogenen Gang, der genauso düster und verlassen wie der erste war. Sein Gesicht wirkte nun hart und gespannt, und er war so tief in seine Gedanken versunken, dass er die Anwesenheit eines weiteren Mannes erst bemerkte, als eine tiefe, kühne Stimme plötzlich aus der Dunkelheit eines mit schweren Stoffen verhängten Eingangs zu ihm sprach: »Heil Euch, Pharao! Mir wurde berichtet, dass Euer Zug erfolgreich verlief!«

Der als Pharao angesprochene Mann sprang hastig zurück und zog sein kurzes, breitschneidiges Schwert halb aus der Scheide, aber beim Anblick der Gestalt, die sich aus dem Schatten schälte, entspannte er sich und ließ das Schwert wieder zurückgleiten.

»Sethos!«, brummte er und fuhr mit den juwelenberingten Fingern durch sein dickes schwarzes Haar. »Ich hätte Euch beinahe aufgeschlitzt! Identifiziert Euch gefälligst, bevor Ihr aus dunklen Ecken hervorspringt!«

Sethos lachte mit tiefer, schallender Stimme. Ein wenig Spott schwang in dem dröhnenden Gelächter mit. Er trug nur Sandalen und einen goldbestickten Lendenschurz, der bis auf seine Knie reichte und von einem breiten, mit funkelnden Diamanten besetzten Gürtel gehalten wurde. Augenscheinlich war auch er ein Priester, denn sein Kopf war rasiert  und glänzte vor Ol, doch seine große, athletische Gestalt und die mächtigen Muskeln der Arme, die er über seiner breiten Brust gefaltet hatte, erweckte den Eindruck der Stärke eines Kriegers. Sein Gesicht, aus dem die schwarzen Augen mit seltsamer Gelöstheit starrten, zeugte von dunklem, priestereigenem Zynismus.

»Ich fürchte Euer Schwert nicht«, gab er zurück und grinste selbstsicher, vielleicht sogar ein wenig arrogant. »Sowie Ihr die Schwerter von Meuchelmördern, die in dunklen Schatten lauern, nicht mehr zu fürchten braucht. Denn Ihr seid nun der Pharao.«

»Ja, ich weiß. Eure Boten haben mich informiert. Also ist der alte Meren-Ptah wahrhaftig tot.«

»Genau, wie wir es geplant haben«, erwiderte Sethos. »Hört Ihr nicht die Todestrommeln, die ihn betrauern?«

»Schweigt!«, warnte der andere und blickte den Gang entlang. »Diese Hallen tragen unser Echo weit.« Er senkte seine Stimme noch mehr und fragte: »Sagt mir - wie ist es geschehen?«

»Ein Tropfen starken Birnensteingiftes geriet in seinen Wein. Nicht genug, um einem jungen Mann schaden zu können, aber gerade geeignet, das schwache, kranke Herz des Pharao zu peinigen. Er starb auf diese Weise, und seine jungen, gesunden Vorkoster wurden noch nicht einmal krank. Niemand hat Verdacht geschöpft.«

Der neue Pharao verspürte in seinem Inneren trotz seiner nach außen hin stolzen und unbeteiligten Haltung ein tiefgehendes Erschaudern. Sethos, der Priester, war allzu schlau. Er kannte zu viele Geheimnisse, die durch die dunklen Jahrhunderte hindurch von einem Priester zum anderen weitergegeben worden waren, und sein nekromantisches Wissen schien über alles, was heilig und vernünftig war, hinauszugehen. Nun, Sethos und sein schwarzes Wissen standen auf seiner Seite!

»Dann wird es niemals jemand erfahren?«

»Niemals«, bestätigte Sethos. »Meren-Ptah stirbt ohne Erbe - auch dafür hat meine Magie gesorgt. Niemand wird Euch seinen Thron streitig machen. Morgen werdet Ihr mit der Doppelkrone von Khem gekrönt werden - wie es Euer Wunsch war!«

Die momentane Nachdenklichkeit des neuen Pharaos schwand und wurde durch große Freude ersetzt. »Pharao«, dachte er. »Ich, Ammenmeses, werde Pharao sein, bin es schon jetzt - Gott und Herrscher über Khem und all die von Khem kontrollierten Länder! Morgen werde ich von den Priestern rasiert und in der Halle der Götter gekrönt werden, und alle Männer werden vor mir niederfallen und mich rühmen, mich, Ammenmeses - Pharao!«

»Und nun - wie wird Euer erster Befehl lauten, Herr der zwei Länder?«, fragte Sethos.

Ammenmeses verspürte den plötzlichen Argwohn und die Angst, der Priester hätte in seinen Gedanken gelesen. Er überwand seine Verwirrung, überhörte den leichten Spott in Sethos' Frage und gab zurück: »Ich habe von vielen Dingen geträumt. Ich werde eine neue Stadt erbauen, eine Stadt, die größer ist als all jene, die von den alten Pharaos erschaffen wurden, dazu einen Palast, der so schön ist, dass er mit dem Heim der Götter verglichen werden kann. Die Sklaven, die ich von meinem Feldzug mitgebracht habe, werden sich zu denen gesellen, die schon jetzt in den Gruben des östlichen Deltas arbeiten. Ja, dorthin werden sie geschickt werden. Ich werde weitere Aufseher in den Dienst nehmen, um sie unter Kontrolle halten zu können. Und damit die Arbeiten zügig fortschreiten können, werde ich meine Armeen ausschicken, um weitere Länder der Erde zu unterjochen. So wie die großen Pharaonen Thutmoses und Ramses es ebenfalls getan haben! So wie diese großen Herrscher ihre Armeen in die Schlacht geführt haben, werde auch ich die meinen führen. Und ich werde noch mehr Schätze erbeuten, als ich auf diesem Feldzug erbeutet habe - und auch noch mehr Sklaven. Ich werde alle Reiche der Erde' niederwerfen. Die fremden Völker werden meine Sklaven beim Bau meiner neuen Stadt unterstützen. Und ihre Schätze und ihre schönsten Frauen sollen meinen Palast schmücken, den schönsten Palast, den je ein Mann im Angesicht der Götter zu erbauen wagte. Und dann...«

Ammenmeses verstummte, als er Sethos' Gesichtsausdruck gewahr wurde und bemerkte, dass der Priester sich über seinen Enthusiasmus amüsierte. Vielleicht hielt er seine Pläne für zu hochtrabend? Doch Sethos sagte nur: »Und dann...?«

»Dann werde ich die königliche Tioseret zur Frau nehmen!«

»Solange werdet Ihr doch wohl nicht ausharren wollen, um sie zu nehmen!« bellte Sethos und lachte dröhnend. »Bei Seth! Ich dachte, dass Ihr zuerst an sie denken werdet - so, wie Ihr ihr bislang nachgestellt habt!«

»Natürlich werde ich nicht warten!«, schrie Ammenmeses. Sogar unter seiner dunklen, kupferfarbenen Hautfarbe wurde deutlich, dass der Zorn ihn erhitzte. Als er jedoch das offene Grinsen auf dem Gesicht von Sethos sah, verließ ihn sein Ärger, und er lachte mit dem Priester. In ihrem Gelächter wurde deutlich, wie gefühllos diese beiden Männer waren, denn ihre Augen blieben trotz des Lachens kalt.

»Dann kommt!«, rief Sethos und schlug Ammenmeses mit seiner breiten Hand auf den Rücken, dass dessen Rüstung klirrte. »Lasst uns die neuen Gefangenen begutachten und die hübschesten Frauen für uns selbst aussuchen. Dann könnt Ihr den Rest in die Steinbrüche schicken, um Eure wunderbare neue Stadt zu erbauen. Oder wohin auch immer sonst!«

Hager, mit abgezehrten Gesichtern und glasigen Augen, warteten die Sklaven in dem flackernden Flammenschein. Sie schwiegen. Dann rasselten die Ketten, als die Männer und Frauen mit müden Schritten über die marmornen Böden der großen Hallen schlurften. Nur die Stimmen der Wächter waren vernehmbar. Sie trieben die elendigen Menschen mit wilden Flüchen und Schlägen der harten Peitschen auf Schultern und Rücken voran. Aus unzähligen Wunden rann Blut auf den Boden hinab, und ein animalischer Gestank lag über dem ungewaschenen Haufen.

Der neue Pharao Ammenmeses beobachtete die Sklaven von einem niedrigen Balkon aus; zu seiner Linken stand ein riesenhafter Leibwächter, zu seiner Rechten Sethos, der Priester. Der Pharao trug noch immer seinen glänzenden Helm unter dem linken Arm, und sein Kurzschwert hing noch an seiner Hüfte. Sein falkenähnlicher, arroganter Blick wanderte über die Gefangenen.

Endlich sprach er. »Dort, die Langhaarige mit den silbernen Kämmen im Haar - ergreift sie!«, befahl er, »Und diese Schlanke neben dem Bärtigen«, sagte er einen Moment später. »Sie auch.« Bei jedem Befehl deutete der braunhäutige Leibwächter mit seinem Speer auf die betreffende Sklavin. Zwei Aufseher ergriffen sie, zogen sie fort, manchmal unter den Schreien des Geliebten oder von Kindern, die ihre eigenen zu sein schienen. Dann und wann widersetzte sich eine Gefangene, und Sethos lächelte düster, als er beobachtete, wie sie von den Aufsehern gebändigt wurde.

»Seht nur, wie sie sich ihrem Schicksal widersetzen!«, sagte er und kicherte guttural. »Wieso eigentlich? Sind nicht die Betten der Priester und Adligen weicher als die lehmbeschmutzten Böden der Sklavenhütten?« Seine schwarzen, glitzernden Augen musterten die Menge. »Und manche versuchen sich sogar hinter ihren Gefährten zu verstecken - wie diese Lohfarbene dort vorn!«

Ammenmeses folgte Sethos' ausgestrecktem Zeigefinger mit den Blicken und erspähte einen hellen Flecken.

»Lohfarben!«, rief er. »Unter diesen dunkelhaarigen Menschen der östlichen Länder? Zweifellos stammt sie aus dem Norden und wurde in einem östlichen Hafen verkauft. Bringt sie her!«

Zwei Aufseher folgten der Richtung, die Sethos' Zeigefinger andeutete, und zerrten eine blonde, hellhäutige Frau hervor. Sie brachte keinen Schrei über die Lippen, widersetzte sich aber mit solch einer Wut, dass die Wachen schließlich gezwungen waren, sie an den Füßen zu packen und ihr die Hände mit dicken Seilen auf den Rücken zu fesseln. Die Menge schrie leidvoll auf. Manche Rufe des Zorns und Hasses erklangen, aber kein Mann war mutig genug, sich den Speeren der Soldaten, die vor der Balustrade des Pharao postiert waren, zu widersetzen. Als die Aufseher das Mädchen gefesselt hatten, stießen sie sie unsanft die marmornen Stufen zum Balkon hoch, wo Ammenmeses und Sethos standen; sie gab ihren Widerstand auf und blickte ihre neuen Herren aus blauen Augen angstvoll an.

»Ein selten schöner Besitz«, meinte Sethos und ließ seinen Blick über die knappe Kleidung des Mädchens gleiten, die kaum etwas verbarg. Sie war nicht so groß wie die meisten Frauen des Nordens; ihre Figur entsprach dem Ideal des östlichen Menschen. Trotz ihrer Lumpen und der Schmutzkruste war die Schönheit ihrer schlanken, fremdartigen Gestalt augenscheinlich.

»Aus welchem Land kommst du, Mädchen?«, fragte Ammenmeses.

»Sprecht so nicht mit mir - ich bin keine Sklavin!« Obwohl die Stimme des Mädchens zitterte, schwang in ihr ein Stolz mit, der dem des Pharao gleichwertig war, obwohl jede Arroganz fehlte. »Ich bin die Priesterin des Goldenen Tempels der Mitra. Kein Mann darf mich wie eine Sklavin behandeln!«

»Das mag schon sein«, gab Ammenmeses zur Antwort, »aber ich bin der Pharao und als solcher nicht länger mehr ein Mensch, sondern ein Gott. Und ich habe dir eine Frage gestellt, die du noch nicht beantwortet hast. Daher, Mädchen, sprich rasch! Wo liegt dein Heimatland?«

»Ich... ich weiß es nicht!«, sagte die Frau.

»Sie spricht die Wahrheit!«, schrie ein bärtiger, untersetzt gebauter Mann aus der Menge der Gefangenen. »Bestraft sie nicht, oh, großer Herr, denn sie weiß es wirklich nicht...«

Der Mann verstummte, als ein Wächter ihm die Nilpferdpeitsche durch das Gesicht zog, so dass er neben seinen Gefährten zu Boden sank. Langsam erhob er sich wieder. Seine Augen blitzten, und er riss an der kupfernen Kette. Der Wächter, der ihn zu Boden geschickt hatte, beäugte ihn aufmerksam.

»Ich habe nicht dir befohlen zu sprechen!«, sagte Ammenmeses, »so wie du mich nicht noch einmal als Herr anreden sollst. Ich bin der Pharao!«

»Wie Ihr wollt, oh, Pharao!«, stieß der Mann hervor. Augenscheinlich kämpfte er seinen Zorn nieder. »Dennoch bitten wir Euch, unsere Goldene Priesterin nicht zu demütigen. Sie ist der Göttin Mitra geweiht und die Letzte ihrer Rasse.«

Sethos warf dem Mann einen kalten Blick zu. »Und was ist das für eine Rasse?«

»Sie ist eine Brythunierin - die letzte dieser geheiligten Rasse und unberührbar, außer für einen Mann ihres eigenen Volkes.«

»Was für ein Land ist Brythunia?«, fragte Ammenmeses. »Und weshalb ist es mir unbekannt?«

»Ein altes Land, das schon lange vom Antlitz der Erde verschwunden ist«, erklärte Sethos dem Pharao. Die dunklen Augen des Priesters glühten aufgeregt. »Manche alten Berichte erzählen, dass in einem Land namens Brythunia weißhäutige Menschen mit lohfarbenem Haar lebten - in den Jahren, da Atlantis von den Fluten des Ozeans verschlungen wurde und Khem an den Ufern des Nils entstand.«

Er wandte sich an den Sprecher der Gefangenen. »Trete vor!«, befahl er.

Der Sklave gehorchte und schritt zum Fuß der Balustrade. Seine Augen glühten.

»Ist es wahr«, sagte Sethos langsam, »dass diese Frau von Menschen abstammt, die gelebt haben, als Khem und die östlichen Länder noch nicht geboren waren, und als Länder, die von den Fluten der nördlichen See verschlungen wurden, zu den alten Königreichen gehörten?«

»Ja, dunkler Priester. Seit unbekannten Zeiten leben die Söhne und Töchter von Brythunia als Hüter der Tempel Mitras in unserer Stadt und bewachen die heiligen Früchte und die unsterblichen Flammen des goldenen Altars. Niemals haben sie sich mit gewöhnlichen Menschen vermischt, und ihre Reinheit ist nur mit jener der Götter vergleichbar.«

»Bei Ammon! Wo sind dann eure restlichen Priester und Priesterinnen?«

»Erschlagen!«, schrie der Gefangene, der sich nun ein wenig gehen ließ. »In ihrem eigenen Tempel von Euren blutdürstigen Plünderern erschlagen, die unsere Stadt dem Erdboden gleichgemacht haben. Ihr geheiligtes Blut klagt Euch an, Pharao von Khem! Und solltet Ihr diese Frau antasten, die letzte ihrer Rasse, dann schwöre ich, dass Mitras Fluch...«

Erneut streckte der Schlag einer Nilpferdpeitsche den Mann zu Boden. Blut spritzte von seinen aufgerissenen Lippen. Doch er schüttelte den Schmerz ab, kam wieder auf die Füße und warf dem Pharao einen düsteren Blick zu.

»Bist du der Anführer dieses Haufens?«, fragte Ammenmeses. Seine Stimme war ruhig, und doch schwang eine Drohung in ihr mit.

Das gefesselte Mädchen begann leise zu wimmern.

»Ich bin Nobol, Kommandant des westlichen Walles. Niemand mit höherem Rang hat überlebt.«

»Dann wisse, dass du und dein Volk in die Steinbrüche geschickt werdet, um dort mit den anderen Sklaven bis zu eurem Tode zu arbeiten. Denn ich werde eine Stadt errichten, die größer als alle anderen Städte ist, die Menschen bislang erbaut haben - sogar größer als jene Hauptstadt, die der große Pharao Ramses errichtet hat.«

»Also sind wir Sklaven!«, schrie der Führer der Gefangenen. »Wir haben mit Meren-Ptah einen Handel abgeschlossen. Wir wurden in Frieden gelassen, da wir Tribut entrichteten und unsere Waffen nicht erhoben. Unsere Stadt hätte euren Truppen niemals die Tore geöffnet, wenn wir gewusst hätten, wie ein Pharao zu seinem Wort steht.«

»Meren-Ptah ist tot«, sagte Ammenmeses. »Deine Stadt liegt in Schutt und Asche, die Mauern sind niedergerissen, die Tempel angezündet. Mit der Kraft eurer Körper werde ich eine neue Stadt mit starken Wällen und hohen Türmen errichten. Und ich werde euer erstes Geschenk an mich, euren neuen Gott, akzeptieren - und eure geheiligte Priesterin zu meiner Frau machen!«

Tausend Ketten rasselten, und tausend Stimmen erhoben sich zu zornigem Protest. Das Geschrei wurde schnell eingedämmt von Peitschenschlägen und Speerhieben, mit denen die Aufseher wieder Ruhe herstellten.

Als das Geschrei verstummt war, wandte sich Sethos zu Ammenmeses und sagte mit leiser, spöttischer Stimme: »Ihr irrt, großer Pharao - denn ich wähle dieses Mädchen für mich selbst.«

Trotz des leisen Tonfalls hatte das Mädchen auf den Stufen Sethos' Worte vernommen, und es schrie in plötzlichem Schrecken auf, als die dunklen, reptilienartigen Blicke des Priesters über ihren Körper huschten. Sie blickte zum Pharao und erkannte plötzlich Zorn in seinen Augen, der aber rasch von einer Emotion verwischt wurde, die der Furcht zu ähneln schien. Dann verwandelten sich die Züge des Pharao zu ihrer üblichen steinernen Maske zurück, und sie hörte ihn durch die fast regungslosen Lippen die Worte ausstoßen: »Dann nehmt sie - sie gehört Euch!«

Sethos trat auf das Mädchen zu und sah tief in seine blauen Augen. Die seinen schienen zu dunklen, kristallinen Teichen zu werden, deren Wasser nur darauf warteten, die Seelen der Menschen zu ertränken. Als er sprach, schien seine Stimme aus einer tiefen Gruft zu kommen.

»Wie heißt du, Goldhaarige?«

»Ny... Nyala.« Das Mädchen schien gar nicht zu bemerken, dass es sprach. Ihre Augen hafteten an denen des Priesters, wie der Blick eines Kaninchens an dem einer Giftschlange haftet. Die Gefangenen, die begriffen, was sich ereignete, schwiegen plötzlich und beobachteten die Balustrade mit tödlichem Schweigen. Plötzlich wurde die unnatürliche Stille von einem lauten, schrillen Schrei unterbrochen:

»Zurück... zurück, du schwarzer Geier! Lass sie in Ruhe...«

Sethos ließ seinen Blick ruhig von dem Mädchen abgleiten und betrachtete den bärtigen Führer der Gefangenen, der in hellem Zorn an seinen Ketten riss. Das Gesicht des Priesters verzog sich in plötzlichem Zorn, doch dann verzogen die Lippen sich zu einem schiefen Grinsen. Er hob die Hand und zog alle Blicke auf seine große, eindrucksvolle Gestalt.

Dann geschah etwas, was noch nie jemand in den marmornen Palästen von Khem gesehen hatte. Aus seinem breiten, silberbeschlagenen Gürtel zog Sethos einen dunklen metallischen Gegenstand, der in dem flackernden Fackellicht hell glänzte. Langsam, mit vorsichtigen Bewegungen, streckte er seine Hand aus.

Ein plötzlicher Donnerschlag zerriss die Luft und erweckte dröhnende Echos in den düsteren Marmorhallen. Frauen schrien, und der Bärtige schrie unterdrückt und gurgelnd auf, schlug wie verrückt auf seine Brust und fiel zu Boden. Ein Schreckensschrei schien allen Kehlen zugleich zu entrinnen.

Sethos steckte den Gegenstand zurück in seinen Gürtel und hob erneut die Hand. Die Menge wurde still und betrachtete ihn ängstlich. Das Mädchen Nyala kroch zurück, richtete sich an der Wand auf und schien kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen. Sogar auf dem Gesicht von Ammenmeses spiegelte sich kurz die Furcht.

»Seht die Macht der Götter von Khem!«, schrie Sethos. »Seht das Schicksal jener, die sich dem Willen des Pharao widersetzen. Geht, Sklaven, und gehorcht den Befehlen eurer Aufseher. Versucht nicht zu rebellieren, denn sonst wird der Donnerschlag des Verderbens auch euch treffen!«

»Wache!«, sagte der Pharao, als er seine Fassung zurückgewonnen hatte. »Bringt die Mädchen weg. Und schafft den Rest dieser Viehherde zu den Steinbrüchen, wo sie sich zu den anderen Sklaven gesellen und an meiner Stadt bauen sollen.«

 

 

 

 

2.

 

 

 

Als die verschreckten Gefangenen von den kaum weniger verschreckten Wachen aus der Marmorhalle geführt wurden, ergriff Sethos das wie versteinert dastehende Mädchen an seinen gefesselten Händen und zerrte es zu einem Vorhang, der verhinderte, dass das helle Licht der Halle auch in den dahinterliegenden düsteren Gang fiel. Der Priester blieb stehen und schlug einen großen bronzenen Gong, der von den Händen einer dunklen Statue gehalten wurde. Sofort erschienen zwei junge, dunkelhäutige Frauen aus einem verborgenen Nebengang und verbeugten sich tief vordem Priester. Dann erhoben sie sich und blieben regungslos stehen, die Gesichter so ausdruckslos wie kupferne Masken.

»Schafft diese Frau in meine Kammern«, befahl Sethos, »Sorgt dafür, dass sie zu Essen bekommt und in parfümiertem Wasser gebadet wird - und bewacht ihre Tür gut, damit niemand sie belästigt.« Der kurze, harte Blick, den er Nyala zuwarf, beraubte sie wieder jeder Hoffnung auf Freundlichkeit, die bei seinen Worten kurz aufgeflammt war. Dann wandte er sich ab, und ließ das Mädchen in den Händen der sphinxhaften khemitischen Frauen zurück.

Er kehrte zu der Balustrade zurück und fand Ammenmeses noch genau dort, wo er ihn verlassen hatte. Der Pharao umklammerte mit den Händen die steinerne Wand der Balustrade, und seine Augen starrten in die Leere der nun verlassenen Halle. Sein Gesicht war schweißnass.

»Was für eine schwarze Magie war das, Sethos?«, murmelte er, ohne sich umzudrehen. »Eine Magie, mit der Ihr Männer erschlagt, ohne sie mit dem Schwerthieb zu fällen, einfach, indem Ihr die Hand gegen sie ausstreckt?«

»Eine Magie, wie nur ich sie besitze«, gab der Priester zurück.

»Die Zahl der Geheimnisse ist groß, die mir schon lange verstorbene Priester oder Pharaonen mitgeteilt haben oder die ich in den Schriften gelesen habe, die von den Legenden der prä-khemitischen Reiche berichten. Obwohl Ihr Pharao seid, Ammenmeses - vergesst niemals, dass ich, Sethos, Kräfte besitze, die jenseits des Wissens der Menschen liegen!«

Ohne auf eine Antwort zu warten, wandte er sich um und ging leise zurück, während der Pharao seinen Worten nachgrübelte.

Nachdem er den Pharao verlassen hatte, beschleunigte Sethos seine Schritte, und die künstliche Gleichmütigkeit fiel von seinem Gesicht ab. Schnell durcheilte er die düsteren Korridore und weiten Marmorhallen, wo steinerne Götter in düsterem Schweigen warteten, bis er schließlich zu einer verschlossenen Pforte gelangte.

Der Raum hinter der Tür war klein und bis auf einen marmornen Tisch in der Mitte ohne Einrichtung. Lediglich die Wände waren mit farbigen Vorhängen, juwelenbesetzten Regalen, goldenen Stäben und anderen religiösen Kultgegenständen geschmückt. Auf dem Tisch lagen drei Gegenstände, die in dieser Umgebung äußerst unpassend und fremd erschienen, und über diese Gegenstände beugte sich Sethos mit leuchtenden Augen und unverhohlenem Interesse.

Eines dieser drei Objekte war eine flache, rechteckige Schachtel aus dunkelblauem Metall, so lang wie die Hand eines Mannes, halb so breit und zwei Finger dick. Eine der beiden großen Oberflächen war nicht so spiegelglatt wie die andere, sondern von Aufschriften und Zeichen besetzt, die in einer ungewöhnlichen Symmetrie angeordnet waren. Einige Hervorhebungen erweckten das besondere Interesse des Priesters, und Sethos berührte eine davon. Es klickte leise, dann folgte ein Rascheln, das an das Aufrollen einer Papyrusrolle erinnerte. Das Rascheln wurde lauter. Sethos hörte gespannt zu, aber als sich weiter nichts ereignete, stieß er die Hervorhebung wieder an. Mit einem zweiten Klicken verstummte der Gegenstand.

Der Priester beschäftigte sich nun mit dem zweiten Objekt auf dem Tisch. Es war ebenfalls rechteckig und flach, sah aber komplexer aus und befand sich zum Teil in einer Lederhülle. Ein kurzer Zylinder aus silberhellem Metall ragte heraus. Auf der Rückseite befand sich ein viereckiges Kristallfenster, durch das der Priester blickte. Die Wand des Raumes bot sich ihm in verkleinerter Darstellung. Er berührte diesen Gegenstand nicht. Vielmehr schien er eine ehrfürchtige Scheu davor zu besitzen und sogar Angst davor zu haben, dieses Ding anzufassen.

»Dieser dickköpfige Zauberer sei verflucht!«, murmelte er. »Würde er mir seine Geheimnisse verraten, könnte ich das Schicksal aller Menschen bestimmen!«

Das dritte Objekt war kleiner; es schien Sethos auch weniger zu interessieren und in Furcht zu versetzen als die beiden anderen. Es war nur eine metallische Scheibe von drei Fingerbreiten im Durchmesser, die an einem flexiblen Band aus Metall befestigt war. Dennoch war das bläuliche Leuchten des Metalls sehr seltsam. Sethos nahm den Gegenstand und legte ihn sich um den Kopf, so dass die Scheibe auf seiner Stirn ruhte. Dann streckte er sich, zog eine lange, rote Robe über, ergriff einen schwarzen, schlangenverzierten Stab von der Wand und verließ damit die kleine Kammer,

Zwei braunhäutige Shardanna-Krieger hielten Wache am Ende der Kammer, und Sethos bedeutete ihnen, ihm zu folgen. Ohne ein Wort zu sagen, ging das Paar hinter dem Priester her.

Sie durchquerten helle Marmorhallen, weite Innenhöfe und sorgsam behauene Stufen, die in dunklere Gänge führten, und begaben sich zu einem nahen, schwarzen Turm, wo die Schatten hinter dem Licht der Fackeln mit der Dunkelheit verschmolzen. Schließlich blieben sie vor einer Tür aus massivem Eichenholz stehen, und Sethos bedeutete den beiden Wachen, hier zu warten. Er zog einen silbernen Schlüssel aus seinem Gürtel, drehte ihn in dem schweren Schloss, öffnete die Tür, schlüpfte in die dahinterliegende Kammer und schloss die Tür hinter sich.

»Heda, Zauberer!«, murmelte er in die Dunkelheit. »Ich bin es, Sethos. Zünde deine Lampe an, damit ich dein Gesicht sehen kann.«

Etwas kratzte scharf über den Boden, dann erschien eine leuchtende Flamme, die ein Mann in der Hand hielt. Die Flamme verschwamm, als der Mann sich bückte und einen Stapel Papyrus anzündete, und der Raum wurde von unserem Halbdunkel erfüllt.

»Du hast mich geweckt«, sagte der Mann. Er war von mittlerer Größe und Statur, aber von einzigartigem Erscheinen. Sein kurzgeschnittenes Haar war dunkel, und sein Gesicht war bis auf die Oberlippe und einen kurzen Stoppelbart am Kinn rasiert. Auch an den Wangen zeigten sich Bartstoppeln. Er trug eine äußerst seltsame Kleidung, aber am sonderbarsten waren die beiden runden, leicht gebogenen Scheiben vor den dunkelbraunen Augen. Sie wurden von einem seltsamen Gestell, das hinter seinen Ohren endete, im Gesicht gehalten.

»Ich komme nun zum letzten Male«, sagte Sethos. »Meine Geduld ist zu Ende, und ich muss noch viel lernen.«

»Ich habe dir die Geheimnisse der Todeswand gezeigt,« gab der andere zurück. Er sprach die Zunge von Khem mit einem seltsamen, fremden Akzent. »Was willst du noch von mir?«

»Viel mehr, Taggart! Ich will wissen, wie man die Schachtel-die-spricht benutzen kann, damit ich die Dämonen befehligen kann. Ich wünsche das Geheimnis des Seelenfängers zu erfahren, damit ich Seelen in die schwarzen Gruben des Verderbens zu schicken vermag, und ich benötige viel mehr von diesen kleinen Donnerteufeln, damit meine Feinde auf ewig vor mir in Schrecken gebannt dastehen werden.«

Der Mann namens Taggart setzte sich hinter einen runden hölzernen Tisch, dessen Platte von gelbem, beschriebenem Papyrus bedeckt war. Wenn ich dir diese Geheimnisse verraten sollte - welche Sicherheiten haben ich dann, dass du mich in Freiheit und unverletzt von dannen ziehen lässt?«

»Höre mir zu, Zauberer!« Sethos Stimme war hart, und seine Augen brannten. »Als ich dich in dem verbotenen Tempel des Aton, in der verfluchten Stadt Sketaton am Nil, gefunden habe, dachte ich zuerst, du seiest ein Plünderer. Du hast drei Leibwächter mit dem Todesstab erschlagen und auch einen geheiligten Priester des Ammon, bevor wir dich ergreifen konnten. Ich hätte dich auf der Stelle töten können, habe dir aber dennoch das Leben geschenkt, da ich erkannte, dass du große Geheimnisse der Magie besitzt, die ich mir zunutze machen kann. Doch sonst ist dein Leben wertlos. Daher sage ich dir zum letzten Male, Taggart: Berichte mir die Dinge, die ich wissen will, und ich werde dich freigeben. Wenn du dich weigerst, wirst du noch in dieser Nacht bestraft, denn ich habe dich jetzt einen halben Mond in dem Palast versteckt, und meine Geduld geht zu Ende!«

»Nun gut - was willst du wissen?«

Sethos' Augen glitzerten. »Das Geheimnis des Seelenfängers«, sagte er.

Taggart lehnte sich mit gelangweiltem Gesichtsausdruck zurück. »Ich habe dir schon einmal gesagt, dass dieser Seelenfänger ein harmloses Gerät ist, das einzig und allein dazu dient, Bilder von Szenen oder Gegenständen, die dem Eigentümer des Gerätes gefallen, aufzufangen und festzuhalten.«

»Du lügst!«, sagte der Priester. »Ich bin kein Narr. Was hast du mit diesem Ding in dem verbotenen Tempel des Aton angestellt, als ich und meine Männer dich gefasst haben?«

»Das ist meine Angelegenheit«, sagte Taggart. »Und was hast du getan, wenn dieser Ort so verpönt ist?«

Sethos' Gesicht verdüsterte sich, doch dann lächelte er beinahe väterlich. »Die Gesetze wurden für gewöhnliche Menschen geschaffen, nicht für solche wie dich und mich, wie du sehr wohl wissen wirst. Ich suche überall nach der geheimen Magie vergangener Tage: in den bewachten Tempeln und bewohnten Städten von Khem, wie auch in den Tempeln im Osten, wo die Teufel und Dämonen lauern. Und ich glaube, dass auch du nach diesem Wissen suchst.

»Nun, ich habe viel gelernt, aber niemals zuvor habe ich solche Magie gesehen, wie sie dem Todesstab und dem Seelenfänger innewohnt.«

»Du bist zu vorschnell«, sagte Taggart. »Das Ding, das du Seelenfänger nennst, ist wirklich harmlos. Bringe es mir, und ich zeige dir, wie es funktioniert.«

»Ha! Damit du meine Seele in das kleine Kristallfenster sperren kannst? Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich kein Narr bin - also versuche nicht, mich für einen solchen zu halten! Habe ich nicht die kleine Rolle gesehen, die du aus dem Ding mit dem Zylinder herausgenommen hast, und die Bilder, die sich darauf formten, als du mit den Zauberdrogen, die ich dir auf deinen Wunsch gebracht habe, deine Magie eingesetzt hast? Ja, all dies habe ich gesehen. Die Bilder, die entstanden, hätten in dieser Perfektion selbst von dem besten Künstler in ganz Khem nicht gemalt werden können. Es waren Bilder mit den Wandaufschriften des Tempels von Aton!«

»Und was beweist das?«, sagte der Mann namens Taggart.

»Dass du den wahren Sinn der Existenz dieser Wände in deiner magischen Schachtel gefangengenommen hast. Sonst hättest du nicht ein so perfektes Bild erschaffen können! Wenn man diese Schachtel auf die gleiche Weise gegen einen Menschen richten würde, müsste dessen Seele mit Sicherheit durch das Kristallfenster gezogen und in der kleinen Rolle gefangengenommen werden. Trifft meine Vermutung nicht zu?«

»Nein«, sagte Taggart. »Du bist ein Narr, der sich in eine bestimmte Idee verrannt hat.«

Sethos lief rot an. »Also mag es so kommen! Du weigerst dich, mir die Geheimnisse zu verraten, und ich sehe ein, dass ich dich nicht auf vernünftige Art und Weise überreden kann. Also muss ich zu anderen Mitteln greifen. Du wirst nicht mehr länger in dieser Turmkammer im Palast des Ramses leben und von mir mit reichhaltigem Essen, Wein und jenen Zauberdrogen versorgt werden, mit denen du deine Magie vorbereiten kannst. Heute Nacht wirst du den Palast verlassen.«

Taggarts Gesicht wirkte gespannt. »Und wohin willst du mich schicken?«

»Zu den Steinbrüchen, wo du mit den anderen Sklaven an der neuen Stadt des Pharao arbeiten wirst.« Der Priester wandte sich zur Tür und schrie: »Wache!«

Die beiden braunhäutigen Shardanna kamen herein und stellten sich hinter Taggarts Stuhl, einer rechts und einer links von dem Mann.

»Bringt ihn zu der neuen Sklavenhütte auf der Straße nach Pi-tum, wo die neue Stadt des Pharao erbaut werden soll. Steckt ihn zu den Sklaven, die gerade aus dem Osten hierhergebracht wurden und achtet darauf, dass die Aufseher ihn im Auge behalten und nicht davor zurückschrecken, ihre Peitschen zu benutzen!«

Dann drehte Sethos sich wieder zu dem Mann in der seltsamen Kleidung um und sagte mit einem schiefen Grinsen auf den Lippen, als wollte er seine Macht unter Beweis stellen: »Nun Zauberer, ich werde die Zeit wählen, wann wir uns wieder sprechen. Du wirst den Luxus des Palastes nicht mehr genießen können. Statt Wein wirst du das schmutzige Wasser des Nils trinken; du wirst kein saftiges Fleisch und Honigbrot mehr erhalten, sondern die karge Nahrung der Sklaven. Der harte Boden soll dein Bett sein und Ochsenmist dein Kissen. Du wirst unter der heißen Sonne arbeiten und die Striemen auf deinen Schultern verkraften müssen, weil du es so gewollt hast. Nun geh, Taggart - und wenn wir uns das nächste Mal Wiedersehen, wirst du vielleicht bereitwilliger sein, mich an deinen Geheimnissen teilhaben zu lassen.