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Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg

Copyright für diese Ausgabe © 2018 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

 

© der englischen Originalausgabe

The Estate of A.S. Neill,

1967, 1986, 2005, 2011, 2017 – Zoë Neill Readhead

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Umschlaggestaltung Anzinger | Wüschner | Rasp, München

 

 

Impressum der zugrundeliegenden gedruckten Ausgabe:

 

 

ISBN Printausgabe 978-3-499-16690-7

ISBN E-Book 978-3-688-11022-3

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-688-11022-3

I Selbstbestimmung

Ich habe so viele Bücher über Erziehung geschrieben, daß ich wahrscheinlich nichts Neues mehr zu sagen habe. Seine eigenen Bücher zu lesen ist eine Tortur, und ich kann mich einfach nicht entschließen nachzulesen, was ich alles schon geschrieben habe. Deshalb werde ich mich auf diesen Seiten wohl wiederholen. Das ist meiner Meinung nach nicht sehr schlimm, denn die Leser vergessen rasch, was sie gelesen haben. Der Grund, warum ich dieses Buch schreibe, ist einfach: Ich möchte die vielen Fragen beantworten, die mir von Hunderten von Besuchern und Briefschreibern gestellt worden sind. Die Frage, die mir immer wieder von neuem gestellt wird, ist folgende:

Wie kann man zwischen Freiheit und Zügellosigkeit („licence“) unterscheiden?

Ein alter Freund beschwor mich, ein Buch über dieses Thema zu schreiben. Er sagte: „Du mußt das unbedingt tun. Denn viele Eltern, die ‚Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung‘ lesen, fühlen sich wegen der Strenge, mit der sie ihre Kinder behandelt haben, schuldig und sagen ihnen dann, daß sie von jetzt an frei seien. Das Ergebnis ist gewöhnlich eine Schar von ungezogenen Bälgern; die Eltern haben nämlich keine Ahnung, was Freiheit ist. Sie verstehen nicht, daß zur Freiheit Geben und Nehmen gehört, daß es ebenso Freiheit für die Eltern wie Freiheit für die Kinder sein muß. Diese Eltern meinen, Freiheit sei, alles tun zu können, wozu man Lust hat.“

Das sind betrübliche Nachrichten. In Amerika habe ich den Eindruck gewonnen, daß die Kinder zu viel von der falschen Freiheit haben. Beispiel: Ich möchte jemand besuchen, mit dem sich ein Gespräch lohnt, einen Professor, einen Lehrer oder einen Arzt. Bei meiner Ankunft sind gerade seine Frau und zwei Kinder im Zimmer. Die Kinder bleiben da und beherrschen die Unterhaltung. Als heute ein Besucher kam, waren drei Kinder in meinem Zimmer. „Kommt, Kinder“, sagte ich, „haut ab, ich möchte mit diesem Besuch sprechen.“ Sie gingen anstandslos. Aber es könnte auch einmal andersherum sein, denn meine Schüler haben mich schon oft rausgeschickt, wenn sie unter sich sein wollten, zum Beispiel um ein Theaterstück zu proben.

Ich habe es da freilich leichter als Eltern. Nur selten muß ich einem Kind etwas verbieten – weil die Schulgemeinde bestimmt, nicht ich. Ich sehe durchaus die Schwierigkeiten einer Mutter in einer normalen Wohnung, die das Essen kochen soll, während drei lärmende Kinder ihr im Wege sind und heiße Kochtöpfe anfassen wollen. Es ist leider so, daß sich Kinder und Erwachsene nicht in denselben Räumen aufhalten sollten. Unsere Bücherregale, Kunstgegenstände und Wanduhren bedeuten einem Kind nichts. Leider können es sich nur die Reichen leisten, besondere Räume für Kinder einzurichten, und dann verderben sie die Sache oft dadurch wieder, daß sie Kindermädchen anstellen, die von Kindern und Kinderpsychologie nichts verstehen. Kinder gehören nicht in die Küche oder ins Wohnzimmer. Sie sollten ihr eigenes Revier haben, möglichst in schmiedeeiserner Ausführung. Wir müssen jedoch die Tatsachen nehmen, wie sie sind, und eine Tatsache ist, daß wir diese Reviere für Kinder nicht haben. Aber wenn eine Mutter das richtige Verhältnis zu ihren Kindern hat, wenn diese keine Angst vor ihr haben, so kann sie ruhig etwas energisch verbieten, ohne ihnen dadurch Schaden zuzufügen.

Unglücklicherweise haben sehr viele Leser Summerhill nur mit dem Verstand begriffen, auf der verbalen Ebene, wie es Krishnamurti genannt hat. Aber der Verstand hat uns noch nie weitergeholfen. Der Antrieb muß aus dem Herzen kommen.

Sie sprechen so oft von Selbstbestimmung („self-regulation“). Was heißt das eigentlich? Können Sie uns Müttern eine handfeste Anleitung dazu geben?

Ich fürchte, daß das nicht möglich ist. Das Prinzip der Selbstbestimmung hängt sehr viel von der Mutter selber ab, von ihrer Gemütsverfassung, ihren Anschauungen und Wertvorstellungen. Kein Kind kann frei aufwachsen, wenn einer Mutter bestimmte Dinge wichtiger sind als ihr Kind, wenn sie zum Beispiel wegen einer zerbrochenen Vase Krämpfe kriegt oder wenn sie mit ihrem reizenden und wohlerzogenen Kind den Nachbarn imponieren will. Bei einer Mutter, die sich vor Sexuellem und vor Exkrementen fürchtet, kann kein Kind frei aufwachsen. Das Prinzip verlangt eine ausgeglichene, seelisch entspannte Frau, die nur auf das Wert legt, was wichtig ist. Ich scheine da das Idealbild einer Mutter zu malen, die es noch nie und nirgends gegeben hat. Gott sei Dank, möchte man sagen. Was ich klarmachen will, ist, daß ein Kind nicht freier und unbefangener sein kann, als seine Mutter es ist. Um einen extremen Fall zu nehmen: Wie kann sich ein Kind frei fühlen, wenn es eine hysterische, unglückliche Mutter hat, die gleich zuschlägt? So daß die Antwort an eine Rat suchende Mutter sein müßte: Versuchen Sie zuerst einmal, mit sich selbst ins Gleichgewicht zu kommen. Machen Sie sich von allen konventionellen Vorstellungen von Reinlichkeit, Unordnung, Kinderlärm, Fluchen, sexuellen Spielen und unwillkürlichem Kaputtmachen von Spielsachen frei. Viele Spielzeuge sollten von einem gesunden Kind bewußt kaputtgemacht werden. Das mag sich anhören, als mache ich es wie Krishnamurti, der dem Fragesteller aus seiner Frage gern einen Strick dreht. Aber hier geht es nicht anders. Das Verhalten einer Mutter oder eines Vaters wird das Verhalten der Kinder bestimmen. Moralische und religiöse Eiferer, Eltern, denen Disziplin über alles geht, können keine freien Kinder aufziehen. Selbstbestimmung ist ein Verhalten, das aus dem Selbst hervorgeht, das nicht von außen aufgezwungen ist. Das von außen geformte Kind hat jedoch kein Selbst, es ist nur eine Kopie seiner Eltern.

Diese sogenannte Erziehung und Bildung ist nicht unbedingt nötig. Ich denke da an Mary, die jetzt als hochbetagte Frau in einem Dorf in Schottland lebt. Mary verbreitete eine wunderbare Ruhe um sich; nichts konnte sie aufregen, sie war nie außer sich; instinktiv stand sie auf der Seite ihrer Jungen und Mädchen; diese wußten, daß sie bei allem mit ihrem Verständnis rechnen konnten. Die mütterliche Mary war eine freundliche Gluckhenne inmitten ihrer Küken. Sie hatte eine natürliche Begabung, Liebe zu geben, ohne Besitzansprüche zu stellen. Ich fürchte, daß wir als kleine Jungen Marys Gutmütigkeit zu sehr ausnützten, wenn sie beim Essen zum zweitenmal die Teller füllte.

Hier war eine einfache Frau, die nie etwas von Psychologie oder von Selbstbestimmung gehört hatte und die schon vor fast siebzig Jahren nach diesem Prinzip handelte. Ich habe oft Bauersfrauen getroffen, die wie Mary waren, die sich bei allem, was ihre Familie anging, auf ihr Gefühl verließen und die sich in der Kindererziehung nicht an irgendwelche vorgeschriebenen Regeln hielten. Auf einem Hof schienen sogar die Tiere selbstreguliert zu sein. Die Hunde fletschten nie die Zähne, der Stier war nicht wild, der Hengst war zahm. Freilich hatten jene Frauen bessere Voraussetzungen als eine Mutter in einer Großstadtwohnung. Die Kinder waren die meiste Zeit im Freien, und im Hause gab es keine teuren Geräte, die man vor Kinderhänden schützen mußte, wie Radiogeräte, Plattenspieler, elektrische Bügeleisen. In der Familie gab es keine kostbaren Kleider, auf die man aufpassen mußte. Das ideale Zuhause für ein freies Aufwachsen wäre auf dem Lande.

Alles sehr schön, sagt die Mutter, aber ich lebe nicht auf dem Lande, was dann? Ich glaube, die wesentliche Frage ist, wie sehr Sie Ihr Kind wirklich lieben. Ihr Zweijähriger wird sich schlecht benehmen, wenn er spürt, daß er in einer gespannten Umgebung ist, wo es heißt: „Sieh mal nach, was der Kleine anstellt, und sag ihm, daß er das nicht darf!“ Sie sollten nie gewaltsame Versuche machen, daß Ihr Kind sauber wird. Es ist verkehrt, es auf den Topf zu zwingen. Wenn der Topf in der Nähe ist, wird es das Kind mit der Zeit von selber lernen, ihn zu benutzen. Wenn es etwas nicht essen will, dürfen Sie das Kind auf keinen Fall dazu zwingen oder überreden. Wenn es seine Genitalien berührt, sollten Sie das lächelnd billigen. Das kling alles so einfach, aber was soll man machen, wenn er seine Wutanfälle kriegt? Was soll man dazu sagen, wenn er seine kleine Schwester schlägt? Wenn er Sachen demoliert? Es ist sinnlos, wenn man versucht, einem zweijährigen Kind Vernunft einzureden; es kann den Zusammenhang von Ursache und Wirkung nicht begreifen. Wenn es die Katze am Schwanz zieht, ist es zwecklos, zu sagen: „Würde es dir gefallen, wenn ich dich an der Nase ziehe?“ und das dann praktisch zu zeigen. Manchmal muß man einfach nein sagen, oder man muß das Kind wegnehmen, zum Beispiel von einer weinenden Schwester, manchmal muß man auch sagen „Laß das liegen!“ Sonst erhält man ein verzogenes Kind. Es ist hier nicht möglich, allgemeine Richtlinien aufzustellen, wie sich eine Mutter verhalten soll. Eine Mutter, die die Ruhe bewahrt, weiß, was sie tun und was sie sagen muß; die Mutter dagegen, deren Stimme und Hand ihren Kindern Schrecken einjagen, wird die Ungezogenheit nur noch verstärken. Mit anderen Worten, Selbstbestimmung ist nichts Handgreifliches; niemand kann sie lehren. Es gibt so wenig junge Leute, die sich als Kinder frei entwickeln konnten, daß man nichts Endgültiges über sie sagen kann. Soviel ich sehen kann, sind sie weniger aggressiv, toleranter, körperlich gelöster und geistig freier. Sie sind nicht bereit, sich von lebensfeindlichen Moralisten bevormunden zu lassen.

Aber freies Entwickelnlassen bedeutet nicht, daß man ein Kind nicht beschützen sollte. Wenn Mütter schreiben und mich fragen, ob es gegen die freie Entwicklung wäre, wenn sie ein Kamingitter anbringen, so stoße ich einen Seufzer aus. Eine der geplagtesten Mütter wohnt mit einem Vierjährigen an einer Hauptverkehrsstraße. Sie meint, oft müsse sie alles, was über freie Entwicklung gesagt wurde, einfach vergessen und in der Angst ihr gefährdetes Kind an sich reißen. Autos, Fahrräder, elektrische Stecker, feuergefährliche Stoffe, Kanäle, Gullys machen die freie Entwicklung für viele ängstliche Mütter zu einer schwierigen Sache.

Wie können sich frei erzogene Kinder im späteren Leben zurechtfinden?

Dies ist eine ständig wiederkehrende Frage, sie ist mir schon tausendmal gestellt worden. Sie ist so kompliziert, daß sie sich nicht ohne Verallgemeinerungen beantworten läßt. Wie soll ich wissen, ob Bill, der zehn Jahre in Summerhill war, jetzt fünfundvierzig und – sagen wir – Universitätsdozent, mit seiner Familie, seiner Arbeit, seiner sozialen Umwelt und mit seinen Träumen glücklich ist? Ich weiß es nicht, und so kann ich nur das Allgemeine betonen.

Summerhillschüler verbringen acht Monate in der Schule und vier Monate zu Hause. Sie sind nicht ohne Kontakt mit der Außenwelt. Gewiß, diese Außenwelt ist alles andere als frei, aber unsere früheren Schüler finden sich in ihr zurecht. Oft geht es bei ihnen, wie bei uns allen, nicht ohne bewußte Heuchelei. Wenn ich vor einer Frau den Hut ziehe, so ist das eine bedeutungslose Geste, die tatsächlich die traurige Tatsache verdeckt, daß in einer patriarchalischen Kultur die Frau nicht für voll genommen wird. Unser Betragen gegenüber Frauen ist eine Kompensation dafür, und trotzdem ziehe ich meinen Hut, wenn ich einen aufhabe, obwohl ich weiß, daß es gar nichts bedeutet. So machen unsere früheren Schüler gute Miene zum bösen Spiel und halten die bedeutungslosen sozialen Spielregeln ein. Einigen fällt es schwer, Freunde zu finden, die so wie sie denken und fühlen. Viele stammen aus London und treffen sich häufig, aber wenn einer aus der Provinz kommt, aus Glasgow oder Liverpool zum Beispiel, dann ist es gar nicht so leicht, Kontakte herzustellen.

Man kann Leben und Berufe nicht auf frei erzogene Kinder zuschneiden. Unsere Schüler schlagen wie die Schüler jeder anderen Schule die Richtung ein, in die sie Begabung und Charakter weisen. Ein Junge ist Maurer geworden, und kein schlechter. Einer ist Professor. Ein anderer ist Friseur. Vier sind Universitätsdozenten, und einem wurde eine Professur angeboten, die er ausschlug, weil er seine Forschungsarbeit fortsetzen wollte. Eine ganze Anzahl sind Ärzte, Zahnärzte, Rechtsanwälte, Ingenieure und Künstler. Einige Mädchen widmen sich der Kinderpflege, einige werden Sekretärinnen, eine oder zwei sind Künstlerinnen mit eigenen Ausstellungen in London. Nur wenige gehen ins Lehrfach. Als ich vor einigen Jahren gefragt wurde, ob von unseren Schülern auch welche Lehrer geworden seien, konnte ich ehrlich antworten: „Nur ein Mädchen wollte Lehrerin werden, und die war geistig beschränkt.“ Das gilt jetzt nicht mehr, denn ungefähr drei sind ins Lehrfach gegangen. Der bewußte Grund, warum die meisten nicht Lehrer werden wollen, ist, daß es nur ein Summerhill gibt und daß Lehrersein bedeuten würde, an einem Pult zu stehen und einen Haufen Kinder zu unterrichten, die lieber mit Murmeln spielen würden. Wahrscheinlich hat es aber eine tiefere Bedeutung, warum wir so wenige Lehrer hervorbringen. Freie Menschen wollen nicht etwas lehren, sie wollen etwas tun, oder wie Shaw es formuliert hat: „Wer etwas kann, tut es; wer nichts kann, unterrichtet.“ Wie viele Lehrer sind Könner? Wie viele Englischlehrer schreiben je ein gutes Buch? Wie viele Kunsterzieher gibt es an den Schulen, deren Bilder in Galerien zu sehen sind? Wie in einem Detektiv wahrscheinlich ein heimlicher Bösewicht steckt, der seine Schuld auf einen andern überträgt, so kann ein Lehrer ein unzufriedener Mensch sein, der seine Lebensfremdheit auf seine Klassen überträgt und anstatt sich selbst zu bessern, seine Schüler zu bessern versucht. Vielleicht ist das der Grund, warum so viele Lehrer völlig humorlos sind. Bei Zusammenkünften von Lehrern bemerke ich immer wieder, daß sie nicht richtig lachen können. Ein Mann, der sich als kleiner Herrgott in seinem Klassenzimmer fühlt, hat Angst, es könne seinem Ansehen schaden, wenn er einen Spaß macht.

Ich glaube, daß meine früheren Schüler nicht unterrichten wollen, weil sie zu ausgeglichen und zu selbstkritisch sind, um Würde zur Schau zu tragen und Gehorsam, Respekt und Unterordnung zu verlangen.

Ein Punkt ist bezeichnend. Unsere Schüler scheinen selten einen kaufmännischen Beruf zu ergreifen; sie trachten nicht danach, mit dem Verkaufen von Waren Geld zu verdienen. Es gab eine Zeit, wo ich mir ausmalte, daß einer meiner Schüler Großindustrieller wird und der Schule eine Schenkung macht, aber gleichzeitig sah ich ein, daß er dazu ein hartgesottener Geschäftsmann sein müßte, der nichts verschenken würde. Meine persönliche Meinung ist, daß sie zu ehrlich sind, um Profit zu machen.

Soviel zur Sache des Berufs. Betätigen sie sich in der Politik? Normalerweise nicht, vielleicht wieder wegen ihrer Ehrlichkeit; denn Politik ist ein schmutziges Geschäft, wie wir alle wissen. Wir haben schreiende Mißstände – aber wenn man im Parlament für ein humanes Gesetz stimmt, könnte das die Stimmen der Katholiken oder Baptisten oder was weiß ich für Wähler kosten. Deswegen braucht es mindestens drei Generationen, um schreiende Mißstände durch Gesetz abzuschaffen.

Freie Kinder sind keine agitierenden Rebellen; sie tragen oft die Zeichen der Atomwaffengegner, aber keiner meiner Schüler wurde wegen eines Sitzstreiks mit Bertrand Russell auf dem Trafalgar Square festgenommen. In der Tat bin ich wohl der einzige Summerhillianer, der wegen eines Sitzstreiks vor Gericht gestellt wurde. Ich protestierte in Schottland vor einem Stützpunkt mit Polarisraketen und erhielt dafür sechzig Tage oder zehn Pfund Geldstrafe. Ich versuchte das nicht noch einmal, weil ich einsah, daß man damit wenig oder gar nichts erreicht. Nein, die Freiheit macht keine Rebellen; und hier stellt sich die peinliche Frage: Wenn einer gegen das Establishment rebelliert, muß er dann nicht zuvor schwer unter ihm gelitten haben? Wie es bei Shelley heißt: „Durch Unrecht werden Unglückliche zu Dichtern; im Leiden lernen sie, was sie im Liede lehren.“ Ist der Bahnbrecher immer ein unzufriedener Mensch, der gegen seine frühe Erziehung rebelliert? Aber kommt es darauf an? Ein Psychoanalytiker sagte mir, daß ich meine Schule aus Haß gegen die Herrschaft meines Vaters, des Dorfschulmeisters, gegründet hätte. Das könnte sein; aber was zum Teufel macht das aus? Meine Schüler hatten sicher nicht den Wunsch, gegen ihre Schulzeit zu rebellieren. Ein ehemaliger Schüler sagte: „Ich laufe nicht herum und versuche, meinen Nachbarn die Freiheit zu predigen. Ich hoffe, daß der Eindruck, den ich durch meine Art zu leben auf andere mache, genügt, und das gilt besonders für meine Kinder. Ich kann es mir nicht leisten, sie nach Summerhill zu schicken, aber auch wenn ich das Geld hätte, weiß ich nicht, ob ich es tun würde; denn ich habe das Gefühl, daß ich von der Schule so viel mitbekommen habe, daß ich meine Kinder selber richtig erziehen kann.“ Und ein Vater sagte: „Diejenigen, die aus Summerhill hervorgegangen sind, glauben, daß sie nicht die Hilfe einer Schule brauchen, nicht einmal Summerhills, um ihre Kinder großzuziehen. Meine Generation vertraute Ihnen unsere Kinder an, weil wir merkten, daß wir sie nicht richtig behandelt hatten.“

Um es zusammenzufassen: Was für eine Art von Menschen bringt diese Schule hervor? Wenn man es einmal negativ sagen will: Was sie nicht hervorbringen könnte, wären Menschen, die Juden oder Neger hassen; Erwachsene, die Kinder schlagen; Moralisten, die ihre Kinder nach ihrem Bilde formen möchten. Freiheit versieht uns mit einer riesigen Portion Toleranz, und wenigstens drei Eltern haben sich bei mir beklagt, daß Summerhill ihre Kinder zu tolerant gemacht hätte. Ein Beispiel ihrer Toleranz habe ich oft angeführt: In fünfundvierzig Jahren habe ich nicht erlebt, daß ein aus Kindern zusammengesetztes Gericht einen jungen Dieb für seinen Diebstahl bestrafte; alles, was sie verlangen, ist, daß er ersetzt, was er gestohlen hat. Den Erwachsenengerichten zur Nachahmung empfohlen.