Über Karsten Brensing

Karsten Brensing ist Meeresbiologe und promovierter Verhaltensforscher. Er war wissenschaftlicher Leiter des Deutschlandbüros der internationalen Wal- und Delfinschutzorganisation WDC. Die von ihm gegründete Individual Rights Initiative (IRI) setzt sich dafür ein, dass Tiere Persönlichkeitsrechte erhalten, um ihren Schutz verbessern zu können. Sein letztes Buch »Das Mysterium der Tiere. Was sie denken, was sie fühlen« wurde ein Bestseller. Lieferbar bei atb.

Informationen zum Buch

Mit Tieren sprechen: Geht das?

Ist es wirklich möglich, die uralte Menschheitssehnsucht, dass Mensch und Tier einander verstehen, zu verwirklichen? Karsten Brensing kennt die Antwort, und seit wir wissen, dass Meisen in Sätzen reden, Delfine eine komplizierte Grammatik sicher anwenden können und manche Tierarten 300 und mehr Vokabeln beherrschen, erscheint fast alles möglich.

»Karsten Brensing versteht wie kaum ein anderer die Sprache der Tiere. Sein Buch zeigt, dass unsere Welt zu einem besseren Ort wird, wenn wir die Rechte aller Lebewesen respektieren. Eine großartige Lektüre!« Elli H. Radinger (Die Weisheit der Wölfe)

ABONNIEREN SIE DEN
NEWSLETTER
DER AUFBAU VERLAGE

Einmal im Monat informieren wir Sie über

Folgen Sie uns auf Facebook, um stets aktuelle Informationen über uns und unsere Autoren zu erhalten:

https://www.facebook.com/aufbau.verlag

Registrieren Sie sich jetzt unter:

http://www.aufbau-verlag.de/newsletter

Unter allen Neu-Anmeldungen verlosen wir

jeden Monat ein Novitäten-Buchpaket!

Karsten Brensing

Die Sprache der Tiere

Wie wir einander besser verstehen

Inhaltsübersicht

Über Karsten Brensing

Informationen zum Buch

Newsletter

I. Können wir Tiere verstehen?

II. Die Suche nach dem universellen Übersetzungsprogramm

1. Was ist Kommunikation?

2. Nonverbale Kommunikation

3. Meisen reden in Sätzen

4. Tieren Sprechen beibringen

Delfine

Primaten

Papageien

5. Wir sind nicht allein – Die Evolution der Sprache

Neandertaler

Das Sprachgen FOXP2

Vokales Lernen oder Welche Tiere können sprechen?

Der Kontexttrick

Der Autismustrick

Der Sündenfall oder Nach dem Erkennen der Lüge waren wir nicht mehr allein

Redewendungen

Rhetorik

Der Dialog

Höflichkeit zahlt sich aus

III. Wir müssen Tiere vermenschlichen!

6. Wie wir denken

Der erste Gedanke auf »unserem« Planeten

Kategoriebildung

Logisches Denken (Inferential reasoning)

Abstraktes Denken (Analogical reasoning)

Kreatives Denken

Strategisches Denken

Metakognition

Selbstbewusstsein

Mitgefühl

Suprameganes Denken

Reziproker Altruismus oder Die Erfindung der Freundschaft

Persönlichkeit

Biographien

Moral und Fairness

Kultur und Imitation

Schwarmintelligenz

7. Wie wir fühlen

Den richtigen Partner finden

Dem Partner treu bleiben

Steht das Denken über dem Fühlen?

IV. Das Mensch-Tier-Verhältnis: Ein Missverständnis?!

8. Tieren auf Augenhöhe begegnen

Unser altes Bild von Tieren

Vor 1850

Brehms Thierleben – Das kompetente und kluge Tier

Die Stunde des Behaviorismus

Tierpsychologie als Alternative zum Behaviorismus

Unser neues Bild von Tieren

Heute

Die Sprache

Biophilie-Hypothese

Perspektivwechsel

Ein Beispiel: Schwimmen mit Delfinen

Schwimmen mit Delfinen in Gefangenschaft

Delfintherapie: Betrug an Mensch und Tier

Warum sind wir von Delfinen so fasziniert?

Können wir Delfine zu Haustieren machen?

Muss der Traum vom Schwimmen mit Delfinen platzen?

9. Die wilden Tiere

Haie

Tauben

Jagdwild

Tiere im Tourismus

10. Tiere in Menschenhand

Haustiere

Was versteht das Tier?

Was versteht der Mensch?

Beispiel Leinenzwang bei Hunden

Tiergestützte Therapie

Tiere im Labor

Tiere mit Psyche, Geist und Seele

Psychologische Betreuung von Elefanten

Das Mausmodell

V. Die Universelle Verständigungsformel

Anmerkungen

Bildnachweis

Dank & Bitte

Impressum

I. Können wir Tiere verstehen?

Vermutlich kennen Sie viele Menschen, die mit ihren Tieren reden, ich mache das auch. Doch was ist daran wirklich Kommunikation, reden wir vielleicht nur aneinander vorbei? Oder können wir tatsächlich mit Tieren sprechen? Gibt es vielleicht ein universelles Verständnissystem oder sogar eine Handy-App mit Übersetzungsfunktion?

Tatsächlich teilen wir mit den anderen Menschenaffenarten ein gemeinsames Grundvokabular an Gesten, und seit wir wissen, dass Meisen in Sätzen reden, Delfine eine komplizierte Grammatik sicher anwenden können und manche Tierarten 300 und mehr Vokabeln beherrschen, erscheint fast alles möglich. Wir können sogar am Klang des Quakens eines Froschs hören, wie es ihm geht.

Doch jede Form der Kommunikation ist abhängig vom Kontext. Wenn ich einem Wildschwein im Wald begegne, werde ich mit ihm anders kommunizieren als mit einer Katze auf meinem Schoß, und ein Mensch in Indien kommuniziert mit einer Kuh, die er als heilig betrachtet, anders als ein deutscher Milchbauer in seinem Stall. Dieses Buch zeigt Ihnen das breite Spektrum des menschlichen Umgangs mit Tieren und beleuchtet das Verhalten der beteiligten Interaktionspartner. Anhand unzähliger Beispiele werden wir sowohl tierisches als auch menschliches Verhalten und Kommunizieren erleben und aus dem Blickwinkel aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse neu interpretieren. Dabei wird die Vermenschlichung zu einem wichtigen Werkzeug, und der Leser erfährt, wann und wie er seine tierischen Freunde vermenschlichen darf und wo die Grenzen liegen.

Für die meisten Menschen sind Tiere ein Buch mit sieben Siegeln. Dieses Buch wird nun geöffnet. Es geht darin nicht um uns Menschen und auch nicht um den Nutzen oder Schaden für uns. Es geht auch nicht um das Verhalten von Tieren untereinander, auch wenn dieses oft erklärend herangezogen wird. Und jeder Leser, der sich neue Tricks für sein Training oder die Dressur erhofft, sei gewarnt: Die Enttäuschung ist vorprogrammiert. Dennoch: Nach der Lektüre dieses Buches werden Sie Tiere besser verstehen, und wenn Sie dann richtig kommunizieren, werden Sie auch besser verstanden werden. Die Zeiten der instinktgesteuerten Bioroboter und vermenschlichten tierischen Clowns sind vorbei, die Zeiten eines fairen Miteinanders haben begonnen. Warum? Weil wir einander heute besser verstehen können!

In diesem Sinne folge ich dem mehr als 150 Jahre alten Motto von Emil Adolf Roßmäßler und stelle die Tiere unter den Schutz des Wissens aller.1

II. Die Suche nach dem universellen Übersetzungsprogramm

Noch vor kurzem wäre die Suche nach einem universellen Übersetzungsprogramm als esoterisch oder romantisch verklärter Quatsch abgetan worden. Wie sollte es ein Übersetzungsprogramm geben, wenn es bei Tieren doch gar nichts zu übersetzen gibt? Doch selbst Darwin hat bereits vor etwa 150 Jahren über einen universellen Verständigungscode zwischen Mensch und Tier spekuliert.2

Natürlich kann ich Ihnen hier viel erzählen, und daher möchte ich Sie lieber in ein beeindruckendes Experiment entführen: Sie sitzen entspannt in einem kleinen Raum und lauschen den Geräuschen aus Ihrem Kopfhörer. Damit Ihr internes Übersetzungsprogramm langsam auf Touren kommt, hören Sie Babygeschrei unterschiedlicher Intensität, von leichtem Quengeln bis hin zu panikartigem Geschrei. Auf einem Monitor vor sich lesen Sie Ihre Instruktionen. Nun geht es los, und Sie dürfen gespannt auf die kommenden 180 Lautäußerungen sein. In völlig unregelmäßiger Reihenfolge hören Sie jeweils zwei akustische Beispiele einer Tierart und müssen sich entscheiden, welcher Ruf Ihnen intensiver oder erregter erscheint.

Hätten Sie gedacht, dass Sie mit 90-prozentiger Sicherheit bestimmen können, ob ein Frosch oder ein Panda erregt ist oder nicht? Obwohl ich mir durchaus einbilde, mit offenen Augen und Ohren durch die Natur zu wandern, käme ich niemals auf die Idee, den emotionalen Status eines Frosches anhand seines Quakens zu erkennen. Und doch ist genau dies möglich. Bei der Untersuchung bekamen 75 Studenten aus unterschiedlichen Nationen den Auftrag, anhand von Lautäußerungen den emotionalen Status von Schweinen, Berberaffen, Elefanten, Pandas, Fröschen, Alligatoren, Raben und Meisen sowie von Menschen, die Tamil (eine indische Sprache) sprachen, einzuschätzen. Und siehe da: Tamilen, Pandas und Frösche wurden mit über 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit richtig eingeschätzt. Am schlechtesten – aber immer noch mit mehr als 60 Prozent – wurden Schweine, Raben und Makaken verstanden.3

Die Untersuchung wurde von über zehn international anerkannten Forschern, unter anderem auch dem deutschen Biopsychologen Onur Güntürkün, verfasst und in einer renommierten wissenschaftlichen Zeitschrift publiziert. In einer neurologischen Untersuchung konnte sogar gezeigt werden, welche Bereiche des Gehirns bei vergleichbaren Aufgaben aktiv sind.4

Doch die Dimension dieser Kenntnis geht viel weiter, und ich darf hier ein echtes kleines Mysterium lüften. Vor einigen Jahren hatte ich die große Freude, von Bettina Tietjen und Eckart von Hirschhausen zu ihrer Talkshow eingeladen zu werden, und ich lernte dort den Geiger David Garrett kennen. Ich höre gern Musik, ohne auch nur die Ahnung von diesem Metier zu haben, und so nutzte ich die Gelegenheit, Herrn Garrett zu fragen, warum Musik so unterschiedliche Gefühle ansprechen kann und alle Menschen die Sprache der Musik verstehen. Seine Antwort hat mich damals nicht befriedigt, und ich habe sie vergessen, aber backstage erzählte mir Eckart von Hirschhausen, dass es Untersuchungen gibt, die darauf hindeuten, dass Kinder schon sehr früh in der Menschheitsgeschichte mit Liedern zum Einschlafen gebracht wurden. Das klang zwar plausibel, doch so richtig war meine Frage immer noch nicht beantwortet.

6038-001.tif

Der Universalcode zwischen Mensch und Tier reicht 370 Millionen Jahre in die Vergangenheit zurück.

6038-002.tif

Tanzende Vögel mit Rhythmusgefühl, ein Beispiel für die universelle Sprache der Musik? Vermutlich ja!

Vielleicht ahnen Sie schon, was jetzt kommt. Tatsächlich konnte in einer Metastudie, in der 104 Studien zum emotionalen Verständnis von Sprache und 41 Studien zur Wahrnehmung von Musik ausgewertet wurden, gezeigt werden, dass die zugrundeliegenden Mechanismen vergleichbar sind.5 Die Tatsache, dass wir Menschen sowohl tierische als auch menschliche Rufe emotional einschätzen können und wir genauso dazu in der Lage sind, Musik emotional einzuordnen, lässt den Schluss zu, dass wir alle ähnlich fühlen, Gefühle vergleichbar zum Ausdruck bringen und uns sogar auf einer emotionalen Ebene verstehen können. Wir alle teilen die gleichen evolutionären Wurzeln. Doch damit sind wir mit den Aha-Erlebnissen noch nicht am Ende. Unter den gegebenen Umständen ist es durchaus wahrscheinlich, dass auch Tiere die Sprache der Musik verstehen. Sehen Sie nur mal tanzenden Tieren zu.6 Wir kommen im Kapitel »Vokales Lernen oder Welche Tiere können sprechen« darauf zurück.

Wir dürfen allerdings auch nicht den Fehler begehen und den in vielen Kinderliedern noch heute besungenen Tanzbären als echten Tänzer betrachten. Tatsächlich wurde ihm das Tanzen auf äußerst grausame Weise beigebracht. So wurde er im Training auf eine heiße Eisenplatte gestellt, und es wurde ihm zeitgleich Musik vorgespielt. Aufgrund der Hitze musste er seine Füße abwechselnd anheben, so wie wir eine heiße Kartoffel oder ein Ei von einer Hand in die andere nehmen. Auf dieses Verhalten wurde der Bär mit Musik konditioniert. Dem Zuschauer zeigt sich später ein Tier, das, sobald Musik ertönt, zu tanzen beginnt. Dies ist ein trauriges Beispiel dafür, wie schnell wir das Verhalten von Tieren missverstehen. Wem der Begriff der Konditionierung nichts sagt, den möchte ich bitten, sich bis zum Kapitel »Unser altes Bild von Tieren« zu gedulden.

6038-003.tif

Der Tanzbär: kein Beispiel für Musikverstand, sondern für abartiges menschliches Handeln und ein großes Missverständnis.

Wir haben in der Vergangenheit gelernt, dass wir keine menschlichen Gefühle oder Gedanken in das Verhalten von Tieren hineininterpretieren dürfen. Doch genau dies haben die Probanden in dem erwähnten Experiment mit den unterschiedlich erregten Rufen gemacht. Sie haben sich in die Lautäußerungen hineingefühlt und hatten die richtigen Assoziationen. Wir wundern uns, warum bestimmte Musik bestimmte Emotionen auslöst, und doch ist dies ganz einfach zu erklären, wenn man ein gemeinsames emotionales Verständnis, das sich im Verlauf der Evolution im Tierreich entwickelt hat, voraussetzt.

Auch gibt es eine Vielzahl von Untersuchungen der vergleichenden Verhaltensbiologie, in der Tiere genauso gut abschneiden wie wir Menschen. Logisches Denken bleibt logisches Denken, egal, wer denkt. Meiner Meinung nach ist das Vermenschlichungsverbot heute nicht mehr haltbar. Im Gegenteil: Wenn wir Tiere verstehen wollen, müssen wir diese Gemeinsamkeiten erkennen und nutzen.

Doch bevor wir in unserem zweiten großen Kapitel beginnen, Tiere richtig zu vermenschlichen, schauen wir uns zunächst einmal an, was Kommunikation ist und ob Tiere vielleicht sogar eine Sprache sprechen.

1. Was ist Kommunikation?

Gestern Abend habe ich meine Kinder angeschnauzt. Es war ein schöner Tag, wir hatten Besuch, und der Mittagsschlaf war ausgefallen. Dementsprechend müde waren meine beiden kleinen Söhne, und irgendwie fanden sie Spaß daran, ihren Vater bis an die Grenzen der Weißglut zu bringen. Ich hatte ebenfalls einen schönen, aber eben auch anstrengenden Tag gehabt, und zum Dank für so viel Mühe wurde ich nun auch noch geärgert und provoziert. Da ich ein ganz normaler Vater bin, wurde ich laut. Dies ist sonst nicht meine Art, und so wurde meine Aufforderung diesmal als wirklich dringlich wahrgenommen. Ohne ein anderes Wort zu sagen, konnte ich also die Bedeutung einer Aussage durch die Lautstärke steigern. Doch ist es vorstellbar, dass so etwas auch Bakterien können?

Bakterien leben normalerweise als Einzeller, auch wenn sie, wann immer es geht, als Kolonie oder als sogenannter Bakterienfilm zusammenleben. Soweit ich weiß, gibt es nur eine Bakteriengattung, die von diesem Muster abweicht. Es handelt sich um einen Vertreter aus der Gruppe der Mykobakterien. Bei der Art Myxococcus xanthus spezialisieren sich unterschiedliche Individuen, und man könnte sogar von einem mehrzelligen Organismus sprechen, denn in dem Moment, in dem sie ihren »Fruchtkörper« bilden, agieren sie als ein Organismus.7 Im Prinzip stehen solche Lebewesen am Beginn der Entwicklung vielzelliger Lebewesen. Doch eine solche Lebensweise muss koordiniert sein, und dies funktioniert nicht ohne ein Mindestmaß an Kommunikation. Die Kommunikation bei Myxococcus xanthus geht sogar so weit, dass in einer Art chemischer Abstimmung nach den Gesetzen der Mehrheit darüber entschieden wird, wer sich zugunsten der anderen opfern muss und Suizid begeht beziehungsweise wer zu einer Spore wird und in dieser Überdauerungsform weiterleben darf.

Im Verlauf der Evolution müssen diese Bakterien Rezeptoren (Empfangsmoleküle für die Botenstoffe) entwickelt haben, die konzentrationsabhängig unterschiedliche Verhaltensweisen auslösen. Im Zentrum des neuen Organismus ist die Konzentration des Botenstoffes zwangsläufig höher als am Rand, und so gehören die im Zentrum befindlichen Bakterien zu den Gewinnern, und die anderen müssen sich opfern.

Der Botenstoff ist dabei das gesprochene Wort, mit dem ich meine Kinder ins Bett geschickt habe, und die chemische Konzentration ist die Lautstärke, mit der ich meine Worte aussprach. In beiden Fällen wurde differenziert kommuniziert.

Anders als in den menschlichen Kommunikationswissenschaften ist in der Biologie Kommunikation etwas sehr Einfaches. Sobald es einen Sender, ein kodiertes Signal, ein Übertragungsmedium und einen Empfänger, der das Signal dekodieren kann, gibt, spricht man von einer Kommunikation. Manche Forscher fordern noch ein Feedback, so dass es sich um einen bilateralen Informationsaustausch handelt. Folgt man aber dieser Definition, dann würde ich als Autor dieses Buches im Moment gar nicht mit Ihnen kommunizieren – ein Gedanke, der mir nicht behagt.

Die Signale und die Übertragungswege können dabei so unterschiedlich wie die Sender und Empfänger sein. In der englischen Wikipedia werden daher unter »Animal communication« folgende Sinneseindrücke gelistet: Sehen, Hören, Chemorezeption (Riechen und Schmecken), Fühlen sowie die Wahrnehmung für Vibration, Temperatur und Elektrizität. Auf all diesen Ebenen können Informationen ausgetauscht werden, und wir Menschen können meist sogar mitmachen. Freilich würde uns die Nutzung von Temperaturunterschieden (Schlangen und Vampirfledermäuse) und der Elektrizität (einige Fischarten und Bienen) ein wenig schwerfallen. Aber Vibrationen, wie sie beispielsweise Elefanten zum Kommunizieren über große Entfernungen einsetzen, können wir auch erzeugen, indem wir einfach unsere Füße über einen rauen Boden reiben. Sitze ich beispielsweise auf meiner Terrasse über dem Wintergarten, kann ich, ohne dass es jemand hört, mit meinem Fußballen Vibrationen erzeugen, die unter mir prima wahrnehmbar sind.

Grundsätzlich – und das ist der Punkt – können wir mit den meisten Tieren prima kommunizieren. Das Problem ist nur: Wir wissen nicht, wie. Wir kennen zwar ihre Signale, aber können wir sie auch dekodieren? Und wenn wir sie richtig dekodiert haben, können wir die Tiere auch verstehen?

Ludwig Wittgenstein hatte da seine Zweifel: »Wenn ein Löwe sprechen könnte, wir könnten ihn nicht verstehen.«8 Dieses Diktum seines nach seinem Tod erschienenen Spätwerks »Philosophische Untersuchungen« wird oft zitiert und zielt auf ein weiteres Problem. Selbst wenn mir ein Selbstmordattentäter in klarem und verständlichem Deutsch erklären würde, warum er sich und andere im Namen Allahs oder eines anderen Gottes in die Luft jagt, könnte ich ihn nicht verstehen.

Ein anderes und grundsätzlicheres Hindernis kann heute nicht mehr gelten. Vor noch nicht einmal 100 Jahren beharrte Martin Heidegger auf einem unüberwindlichen Abgrund zwischen Mensch und Tier.9 Das ist insofern erstaunlich, weil der Philosoph Heidegger in seinem Hauptwerk »Sein und Zeit« durchaus denkt, wie heute gedacht wird. Er spricht beispielsweise von Existenzialien, so wie ich im Verlauf des Buches von kognitiven Fähigkeiten spreche, und geht davon aus, dass sich die Gesamtheit der menschlichen Existenz aus einzelnen Elementen ergibt. Warum sein Standpunkt heute nicht mehr zu halten ist, erfahren wir im Kapitel »Wir müssen Tiere vermenschlichen«.

Die Geschichte mit der Kommunikation kann beliebig komplex werden, doch wenn wir uns auf einfache und naheliegende Aspekte des Lebens beschränken, dann können wir mit Tieren sehr wohl kommunizieren und sogar eine enge soziale Bindung aufbauen. Wem dies reicht, der wird an den folgenden Kapiteln viel Freude haben.

2. Nonverbale Kommunikation

Als nonverbale Kommunikation wird im Prinzip jede Art der Interaktion bezeichnet, die nichts mit Sprache zu tun hat. Auch wenn ich Ihnen im Titel des Buches versprochen habe, Ihnen die Sprache der Tiere näherzubringen, so möchte ich doch die nichtsprachliche Kommunikation nicht ganz ignorieren.

Ohne Zweifel ist diese Form der Kommunikation viel älter als die sprachliche, und es ist daher auch nicht verwunderlich, dass die nonverbale Kommunikation sehr einfach, aber auch ausgesprochen komplex sein kann. Es ist beispielsweise relativ leicht, an der Körpersprache eines Menschen oder eines Tieres bestimmte Dinge abzulesen. Psychologen und Verhaltensbiologen haben gleichermaßen viel Freude daran, in einer bestimmten Körperhaltung oder einer Bewegung Dinge zu entdecken, die nicht offenkundig etwas mit aktiver Kommunikation zu tun haben. Dabei handelt es sich oft um unbewusst ablaufendes Verhalten, und es spielt überhaupt keine Rolle, ob wir dies bei Tieren oder Menschen beobachten.

Etwas komplizierter wird die echte Kommunikation, wenn der Organismus darauf angewiesen ist, verstanden zu werden. Dies klingt zwar logisch, ist aber etwas ganz anderes als die Interpretation einer Körperhaltung oder gerichteten Bewegung. Zunächst einmal müssen wir uns über eines klar sein: Jedes Signal ist nur so gut, wie es eindeutig codiert werden kann. Es geht nämlich darum, ein Signal so zu codieren, dass es unmissverständlich ist. Nun haben sich im Verlauf der Evolution nicht irgendwann einmal ein paar Tiere einen Code ausgedacht und sich darüber verständigt, wie er zu verwenden ist. Der Code hat sich über Jahrmillionen ausgeprägt. Doch wie muss man sich das vorstellen?

Vielleicht haben Sie schon einmal ein Tier, das Sie nicht kannte, gefüttert. Eine Nahrungsquelle ist zweifellos attraktiv, und die meisten Tiere verspüren einen unwiderstehlichen Drang, sich zu bedienen. Demgegenüber steht die Angst vor dem fütternden, aber auch potentiell gefährlichen Menschen. Viele Tiere tun dann etwas ziemlich Komisches, sie drehen beispielsweise den Kopf zur Nahrungsquelle, wohingegen ihre Füße versuchen, in die Gegenrichtung fortzulaufen. Für den Betrachter sieht dies oft albern aus, denn es ist sonnenklar, dass dieses Verhalten völlig sinnlos ist. Das arme Tierchen sitzt praktisch zwischen den Stühlen seiner einander widersprechenden inneren Motivationen. In der Verhaltensbiologie spricht man von sogenannten Übersprungshandlungen, und früher glaubte man hier das Wirken zweier gegensätzlicher Instinkte zu sehen.

Diese Handlungen sind an sich völlig sinnlos, haben aber als eindeutiges Signal einen großen Wert. Der Balztanz vieler Vögel beispielsweise besteht zu Teilen aus Übersprungsverhalten, das in diesem Kontext als eindeutiges Signal der Brautwerbung Verwendung findet.

Eine andere Form der eindeutigen Signalübermittlung ist der Tanz der Honigbienen. Bei diesem Tanz handelt es sich um eine extrem abstrakte Form der Kommunikation. Es gibt zwei verschiedene Tänze. Bei dem Rundtanz wird den anderen Bienen nur gesagt, dass sich eine Nahrungsquelle in unmittelbarer Umgebung des Bienenstocks befindet. Die Bienen, die mit dem Tanz animiert werden sollen, selbst auf Nahrungssuche zu gehen, riechen und schmecken die gesammelten Schätze der tanzenden Biene und sind dann entsprechend motiviert.

Die zweite Tanzform ist ausgesprochen kompliziert, denn mit dem Tanz wird nicht nur die Art der Nahrung, sondern auch die räumliche Position relativ genau beschrieben. Dazu werden zwei Informationen, nämlich Richtung und Entfernung, angegeben. Allein die Angabe der Richtung ist schon ein kleines Wunder. Bienen orientieren sich am Stand der Sonne. Diese können sie, dank ihrer Fähigkeit, auch polarisiertes Licht zu sehen, sogar bei bedecktem Himmel erkennen. Nun findet der Tanz aber im dunklen Bau statt und zu allem Überfluss nicht in der Horizontalen, sondern in der Vertikalen. Die Bienen erbringen dabei eine kleine Meisterleistung, indem sie die Schwerkraft mit der Sonne gleichsetzen. Ein Tanz nach oben bedeutet eine Flugrichtung direkt auf die Sonne zu. Wird von der Schwerkraftachse beispielsweise 10 Grad nach rechts abgewichen, dann bedeutet dies, dass die Nahrungsquelle 10 Grad rechts von der Sonne zu finden ist. Doch damit nicht genug. Während des Tanzes vibriert der Hinterleib seitlich hin und her (Schwänzeln). Je häufiger geschwänzelt wird und je länger der Tanz in eine Richtung dauert, desto weiter entfernt ist die Nahrungsquelle.10 Vor einiger Zeit wurde sogar noch ein weiterer Mechanismus entdeckt.

Beim Flug entsteht durch die Bewegung der Flügel ein elektrisches Potential auf dem Bienenkörper. Die Höhe des Potentials richtet sich nach der Dauer des Fluges, und die elektrische Spannung kann sich bis maximal 450 Volt summieren. Diese Spannung kann von den anderen Bienen wahrgenommen werden, und so wird die wichtige Information der Distanz zweifach vermittelt.11 Doch dies ist noch nicht alles, denn trotz dieser bereits komplexen Informationen wäre es für die Tiere schwer, die genaue Nahrungsquelle zu finden. Aus diesem Grund versprühen im Freiland andere Bienen mit ihren Nasanov-Drüsen Duftstoffe direkt über der Nahrungsquelle. Der Geruch hilft also den Bienen, auf den letzten Metern den richtigen Futterplatz zu finden.

Außerdem darf ich nicht unterschlagen, dass auch die Geräusche, die die Bienen während des Schwänzeltanzes von sich geben, eine Rolle spielen. Letzteres konnte man mit kleinen Roboterbienen nachweisen, denn erst nachdem die Roboterbienen auch summten, wurden sie ernst genommen und konnten andere Bienen überzeugen, den Bau zu verlassen, um auf Nahrungssuche zu gehen. Wir haben also bei Bienen eine ganze Vielzahl unterschiedlicher Kommunikationskanäle. Neben der Körpersprache und der Akustik kommen zusätzlich eine elektrische und chemische Kommunikation hinzu.

Natürlich fragt man sich, wie sich so etwas Komplexes entwickelt haben kann. Derzeit gehen die Forscher davon aus, dass der Rundtanz zuerst da war und dass sich eine einfache Form des Schwänzeltanzes entwickelt hat, um beim Ausschwärmen (Vermehrung eines Volkes) sicherzustellen, dass ein Bienenvolk ungefährdet eine neue Bleibe findet. Für Bienen kann ein solcher Umzug lebensbedrohlich sein, und daher suchen Kundschafter vorher die Umgebung nach geeigneten Plätzen ab. Ist ein solcher Platz gefunden, muss den anderen Bienen eindeutig vermittelt werden, wo er ist.

Der Evolutionsdruck ist in solchen Momenten gigantisch, und die Natur ist bestrebt, eine möglichst perfekte Anpassung zu erreichen. In diesem Fall ist die Anpassung die Redundanz der Informationen. Auf unterschiedlichen Kanälen werden die wichtigen räumlichen Informationen vermittelt, und so wird das Risiko für Fehler minimiert.

Sie können sich sicher vorstellen, wie lange ein solcher Prozess im Verlauf der Evolution gedauert haben muss, und damit sind wir auch gleich bei einem extremen Nachteil der nonverbalen Kommunikation. In den allermeisten Fällen ist diese nämlich angeboren und unterliegt den Mechanismen der Selektion. Diese Form der Kommunikation ist also alles andere als dynamisch und anpassungsfähig. Jede kleine Veränderung bedarf einer Mutation, die sich dann über mehrere Generationen stabilisieren muss. Im Gegensatz dazu ist eine sprachliche Kommunikation so schnell wie das Licht im Verhältnis zur Durchschnittsgeschwindigkeit einer Weinbergschnecke. Doch Achtung! Die nonverbale Kommunikation hat es durchaus in sich, wie wir in den folgenden Beispielen sehen werden.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich während meiner Schulzeit einen Vortrag halten musste und von meiner Deutschlehrerin für mein Herumhampeln kritisiert wurde. Heute werde ich wegen meiner lebhaften Präsentationen gelobt und in Talkshows eingeladen. Unsere Sprache beschränkt sich nicht nur auf das, was unseren Mund verlässt, sondern umfasst unseren ganzen Körper. Gorillas beispielsweise haben circa 126 Gesten,12 Schimpansen 115. Orang-Utans haben nicht ganz so viele Gesten, denn sie leben bei weitem nicht so sozial und haben sich wahrscheinlich nicht so viel zu sagen. Erstaunlich ist aber, dass wir mit diesen Menschenaffenarten einen gemeinsamen »Grundwortschatz« von etwa 24 Gesten teilen13 ‒ Gesten, die schon Kindern genetisch in die Wiege gelegt wurden.14 Ich möchte Ihnen aber auch nicht vorenthalten, dass die Übertragung tierischer auf menschliche Gesten durchaus umstritten ist. Der in Leipzig arbeitende Anthropologe Michael Tomasello bezweifelt dies. An der Geste des Auf-etwas-Zeigens (Pointing) macht er deutlich, dass nur wir Menschen die Geste in einer abstrakten oder auch ikonischen Form anwenden.15 Doch dazu später mehr.

Die Gesten reichen über die Bitte um Essen, die Aufforderung zum Kuscheln bis hin zu so kraftvollen Gesten wie der des drohend erhobenen Armes. Oft machen wir diese Gesten unbewusst oder zur Untermalung und Verstärkung des Gesagten. Wir tun es aber auch im Ausland, wenn keiner unsere Sprache spricht. Wie Sie wissen, funktioniert das überraschend gut. Wenn Sie sich für diese und andere Gesten interessieren, dann empfehle ich Ihnen ein YouTube-Video,16 das auf Grundlage einer detaillierten Untersuchung bei Bonobos und Schimpansen erst kürzlich veröffentlicht wurde.17

Ich könnte jetzt unzählige Beispiele für Körpersprache bei verschiedenen Tieren bringen, könnte über den Buckel der Katze und über das Wedeln des Hundeschwanzes reden. Doch all diese Aspekte finden sich zuhauf in diversen Ratgeberbüchern. Was mir am Herzen liegt, ist, Ihnen ein Gefühl dafür zu geben, wie tierische Kommunikation funktioniert und was wir in tierische Kommunikation hineininterpretieren dürfen oder was nicht.

Aus diesem Grund wähle ich eine einzige Geste aus, an der ich verdeutlichen möchte, worüber sich seit nunmehr 30 Jahren die Gelehrten streiten. Es handelt sich um die Geste des sogenannten Pointing ‒ also eine Geste, mit der ich auf etwas verweise oder verwiesen werde. Doch was macht diese Geste zu etwas Besonderem und zum Gegenstand jahrzehntelanger philosophischer Kontroversen und verhaltensbiologischer Forschung?

Pointing kann eine Form der Abstraktion sein und darauf hindeuten, dass Tiere, die sie anwenden oder zu deuten wissen, eine Vorstellung davon haben, dass andere existieren und dass man sich mit anderen über ein Objekt, das diese auch wahrnehmen, verständigen kann. Pointing ist so etwas wie ein universeller abstrakter Begriff, den ich für alles anwenden kann. Ich muss nur einfach auf etwas deuten, und schon betrete ich eine neue wundervolle Welt. Die Philosophen sprechen von einer gemeinsamen geteilten Welt und haben diese in der Vergangenheit Tieren grundsätzlich abgesprochen. Ein hypothetisches Tier, das nicht in einer gemeinsamen geteilten Welt lebt, lebt als einziges Individuum im Universum. Es nimmt andere Individuen nur als Reize der Umwelt wahr und hat keine Vorstellung davon, dass andere auch denken und fühlen können. Handlungen, die von anderen Individuen ausgeführt werden, sind somit nicht berechenbar und erzeugen lediglich eine Reaktion auf den unmittelbaren Reiz. Vielleicht hilft ein kleines Beispiel beim Verständnis.

Bitte stellen Sie sich kurz vor, Sie stehen vor einem Regal und wollen vom obersten Brett ein Buch greifen. Sie stellen sich auf die Zehenspitzen und strecken ihre Hand nach oben. Ihre Hand weist auf das Buch, das sie haben möchten, und es wäre durchaus denkbar, diese Geste als Pointing und somit als Form der Kommunikation zu deuten. Sie verweisen mit dem ausgestreckten Arm auf etwas, das sie haben möchten, und teilen diesen Wunsch durch ihre Geste einer beobachtenden Person mit (declarative).

Natürlich haben nicht alle Tiere einen Arm, um mit ihm auf etwas zu deuten, und so ist es durchaus legitim, die Blickrichtung oder die Ausrichtung einer Schnauze entsprechend zu interpretieren. Ein Hund beispielsweise, der nach oben zu einem Regal blickt, auf dem ein Karton mit seinem Futter steht, verhält sich nicht anders als Sie, wenn Sie versuchen, nach dem Buch zu greifen. Auch er kommt nicht an sein Ziel, und auch sein Verhalten könnte man als Pointing und als Kommunikation deuten.

Wir wissen aber, dass beide Situationen überhaupt nichts mit Kommunikation zu tun haben. In beiden Fällen versucht ein Individuum nur, an etwas Bestimmtes heranzukommen (imperative).

Bei uns Menschen ist die Frage schnell geklärt, denn wir müssen unser Gegenüber mit dem ausgestreckten Arm nur fragen, was es gerade will. Bei einem Hund wird es etwas schwieriger, und so haben sich die Forscher zwei kleine Tricks ausgedacht. Zu einer Kommunikation gehören in der Regel mindestens zwei, und beide müssen aufeinander achten. Es wurde also einerseits versucht, zu beobachten, ob vor der Ausführung der Geste Blickkontakt mit dem Interaktionspartner aufgenommen wurde, und es wurde andererseits versucht, zu beobachten, ob die Geste auch gemacht wird, wenn niemand da ist. Wird beispielsweise kein Augenkontakt gesucht oder ist überhaupt kein Interaktionspartner anwesend, dann kann die Geste nichts mit Pointing zu tun haben. Es fehlt einfach der Interaktionspartner, dem das Pointing etwas mitteilen soll.

Ein weiteres Kriterium, zumindest bei Affen, war das Ausstrecken des Fingers. In den Anfangsjahren der Pointing-Forschung galt die Geste nur als Pointing, wenn der Zeigefinger ausgestreckt war. Allein mit der Namensgebung unserer Finger zeigen wir schon, wie wichtig dieser Finger ist und welche Aufgabe er hat. Natürlich kann man von einem Affen nicht verlangen, dass er durch Zufall auch seinen zweiten Finger als Zeigefinger benutzt, und so war diese Idee nach einiger Diskussion vom Tisch.

6038-004.tif

Unsere nächsten Verwandten strecken ihren Zeigefinger nicht einzeln nach vorn. In den Anfangsjahren der Pointing-Forschung erwarteten die Forscher, dass die Tiere auch ihren Zeigefinger benutzen. Da es keine Tiere gab, die den Zeigefinger zum Zeigen benutzten, schlossen die Forscher messerscharf, dass die Tiere zum Pointing nicht fähig sind.

Ein weiterer nicht von der Hand zu weisender Punkt war, dass die Geste des Bettelns leicht als Pointing fehlgedeutet werden kann. Verstärkt wurde dieser Aspekt durch die allgemeine Praxis, Tiere mit Futter zu irgendwelchen Handlungen zu bringen. Es war und ist somit gar nicht so einfach, echtes Pointing zu identifizieren.

Nachdem man ausgiebig mit unseren nächsten Verwandten experimentiert hatte, wandten sich die Forscher anderen Tieren zu und entdeckten relativ schnell, dass viele Hunde sehr gut mit Pointing umgehen konnten. In Verbindung mit uns Menschen konnten sie Pointing selber anwenden, aber auch unser Pointing verstehen. Sie können sogar die Richtung, in die wir sprechen, erkennen und sich daran orientieren.18 Darüber hinaus erfüllten sie auch das Kriterium der Aufmerksamkeit, denn die Aufmerksamkeit von Hunden ist ohnehin meist auf den Menschen gerichtet. Als man dann feststellte, dass Wölfe dies nicht können, hielt man die Fähigkeit des Pointings für eine kooperative Entwicklung, die wir gemeinsam mit unseren geliebten Vierbeinern durchlaufen haben.

Dann entdeckten allerdings einige Wissenschaftler, dass Wölfe genauso gut mit Pointing umgehen können wie ihre domestizierten Verwandten. Allerdings mussten sie von Menschenhand aufgezogen worden sein und im Prinzip so gelebt haben wie ein Hund. Andersherum funktionierte das übrigens auch. Wenn beispielsweise ein Hund von früher Kindheit an verwildert war, so schnitt auch er bei den entsprechenden Tests zum Pointing schlecht ab. Diese Ergebnisse wiederum ermutigten andere Forscher, weitere Tiere in ihre Experimente mit aufzunehmen, und siehe da: Es stellte sich heraus, dass viele Tierarten, wenn sie mit uns Menschen zusammenleben, ähnlich gut abschnitten wie Hunde.

Es scheint, als würden viele Tierarten tatsächlich die Fähigkeit des Pointing besitzen, aber sie müssen die Geste erst erlernen und sich im sozialen Kontext von uns Menschen abschauen. Ganz ähnlich funktioniert das auch bei unseren Babys, die schon sehr früh imperatives Pointing (Bettelgeste) zeigen, aber ein deklaratives Pointing erst im Verlauf der frühen Kindheit entwickeln.

Die Frage, die sich nun stellt, ist natürlich: Warum beobachten wir die Geste des Pointings in der freien Natur so selten? Die Antwort darauf ist aus meiner Sicht noch nicht plausibel gegeben, und ich wäre nicht überrascht, wenn wir dieses Verhalten bei vielen Tierarten auch im Freiland beobachten könnten, wenn wir nur genauer hinsähen. Vielleicht reicht einigen Tieren ein Schulterzucken oder ein Hüftschwung in die richtige Richtung. Möglicherweise werden sogar Duftmarken als Pointing verwendet. Delfine beispielsweise könnten mit ihrem Ultraschall Pointing betreiben. In ihrer Wahrnehmung würde das angeschallte Objekt wie eine Magnesiumfackel aufleuchten und wäre für alle anderen leicht zu erkennen.

Die Aspekte, die ich hier in wenigen Absätzen zusammengefasst habe, wurden über Jahrzehnte von klugen Menschen hin und her diskutiert. Statt sämtliche Publikationen zu diesem Thema zu zitieren, verweise ich hier nur auf einen ganz aktuellen Artikel, der es sich zum Ziel gesetzt hat, 30 Jahre Forschung zum Thema Pointing zusammenzufassen.19 In der folgenden Tabelle werden außerdem alle Forschungsergebnisse zum Pointing aus den letzten 30 Jahren zusammengefasst.

Tier

Pointing anwenden

Pointing verstehen

Aufmerksamkeit gegenüber Sozialpartner

Schimpansen

11/12

10/14

10/12

Bonobos

3/4

4/5

1/1

Gorillas

1/1

1/2

1/2

Orang-Utan

3/4

6/7

3/3

Gibbons

 

1/1

1/1

Meerkatzen verwandte (z. B. Makaken)

8/8

5/6

3/4

Neuweltaffen (z. B. Kapuzineräffchen)

5/5

2/3

4/6

Hunde

4/4

53/53

20/24

Wölfe

1/1

5/5

 

Füchse

 

2/2

 

Dingos

 

1/1

1/1

Kojoten

 

1/1

 

Robben (z. B. Seelöwe)

 

4/4

2/4

Rabenvögel

 

3/4

2/3

Elefanten

 

2/3

 

Fledermäuse

 

1/1

 

Pferde

1/1

4/5

2/2

Frettchen

 

1/1

 

Ziegen

 

1/2

0/1

Schweine

 

1/2

1/1

Katzen

 

1/1

 

Delfine

2/4

4/4

4/4

Elster

1/1

 

1/1

Papageien

 

1/1

0/1

30 Jahre Forschung zum Thema Pointing. Keine Angaben heißt, es wurde keine Veröffentlichung mit der Fragestellung publiziert. Die Zahlen 11/12 bedeuten, dass bei 11 von 12 Untersuchungen nachgewiesen werden konnte, dass die Tiere die Fähigkeit haben.

Aus meiner Sicht zeigen diese Ergebnisse eindeutig, dass viele Wirbeltiere in einer gemeinsam geteilten Welt leben. Sie werden in dem Kapitel »Wir müssen Tiere vermenschlichen!« unzählige Beispiele dafür finden, dass wir Menschen die Tiere maßlos unterschätzt haben. Vielleicht denken Sie dann auch wieder an dieses Beispiel und reihen es in Ihr Gesamtbild ein.

3. Meisen reden in Sätzen

Ich habe bereits in meinen beiden letzten Büchern »Persönlichkeitsrechte für Tiere« und »Das Mysterium der Tiere« ausgiebig über die Sprache und die Kommunikation von Tieren geschrieben. Doch neueste wissenschaftliche Erkenntnisse legen uns nahe, dass es das Thema Sprache der Tiere neu zu entdecken gilt, und vieles deutet darauf hin, dass wir in den kommenden Jahren einige echte Sensationen erleben werden. Aus diesem Grund hat die Zeitschrift »Aktuelle Meinung in der Verhaltensforschung« (Current Opinion in Behavioral Sciences),20 die sich gern mit innovativen Ideen beschäftigt, eine Sonderausgabe mit dem Titel »Die Evolution der Sprache« (The Evolution of Language)21 herausgebracht. In der im Juni 2018 erschienenen Ausgabe wird praktisch in jedem der Artikel deutlich, wie wichtig und erfolgversprechend weitere Untersuchungen auf diesem Feld sind. Ich wage die Voraussage, dass dieses Thema, wie vor einigen Jahren die Kultur im Tierreich22 oder die Individualität,23 zum regelrechten Trendthema wird.

Obwohl wir Menschen ausgesprochen gern sprechen und uns auch gern über Sprache unterhalten, ist die Entwicklung der Sprache doch ein Buch mit sieben Siegeln. Je nach dem, in welchem Fachbereich man unterwegs ist, findet man die unterschiedlichsten Hypothesen zur Sprachentwicklung. Mal hat sich die Sprache im Verlauf der Evolution langsam entwickelt, und ein anderes Mal entstand sie ganz plötzlich per Mutation und ist für die Menschwerdung verantwortlich. Das Problem in der Vergangenheit war, dass wir keinen Zwischenschritt zwischen einer Sprache und einer Nichtsprache finden konnten. Da niemand bei der Sprachentstehung dabei war, gibt es natürlich viel Raum für Spekulationen. Die folgende Liste gewährt nur einen kleinen Einblick in das Reich der Naturwissenschaften:

Manche der Hypothesen haben keine deutsche Übersetzung, und so war ich ein bisschen kreativ. Ich hoffe, Sie verzeihen mir eine Wortschöpfung wie die Tratschhypothese. Manche Hypothesen sind sogar so neu, dass sie noch nicht einmal einen englischen Namen haben. In ihrer Veröffentlichung »Vom Vogelruf zur menschlichen Sprache«30 postulieren einige Forscher so etwas wie Minimalanforderungen der Sprachentwicklung. Sie gehen davon aus, dass die Tiere mindestens:

  1. die Fähigkeit entwickelt haben, gemeinsame Interessen zu verfolgen,
  2. schon verschiedene kontextspezifische Rufe kennen und
  3. bei Bedarf bestehende Rufe kombinieren können, um mehrere Verhaltensweisen gleichzeitig auszulösen.

Alles in allem ist das ein gewaltiger Anspruch, und daher müssen wir uns dies an ein paar Beispielen genauer ansehen.

1. Gemeinsame Interessen: Dies ist recht leicht geklärt: Praktisch alle sozial lebenden Tiere haben gemeinsame Interessen. Sie gehen zusammen auf die Jagd, beschützen sich gegenseitig vor Räubern oder ziehen gemeinsam ihre Jungtiere auf. Auch wenn dies ein bisschen banal klingt: Ohne diese gemeinsamen Interessen oder Ziele gäbe es keinen Grund, zu kommunizieren, und daher muss dieser Punkt auf jeden Fall erfüllt sein. Allerdings kann es ein bisschen kompliziert werden, wenn man sich fragt, ob die Tiere auch eine gemeinsame Vorstellung von der Welt haben, doch dazu mehr im Kapitel »Körpersprache« beim Thema »Die Geste des Zeigens«.

2. Kontextspezifische Rufe: Jetzt wird es schon ein bisschen komplizierter. Erst seit etwa 20 bis 30 Jahren wissen wir, dass viele Tiere, ähnlich wie wir, für bestimmte Dinge Vokabeln haben. Begonnen hat dies vor fast 30 Jahren mit spektakulären Untersuchungen an Erdhörnchen31 und Erdmännchen, die jeweils etwa 20 unterschiedliche Rufe kennen. Heute wissen wir sogar, dass Erdhörnchen Eindringlinge und angeblich sogar die Farbe eines T-Shirts bis ins Detail beschreiben können.32 Dazu mehr im Kapitel »Der Sündenfall oder Nach dem Erkennen der Lüge waren wir nicht mehr allein«. Doch Erdhörnchen und Erdmännchen sind kein Einzelfall. Vom sibirischen Unglückshäher – einem Verwandten unseres Eichelhähers – weiß man beispielsweise, dass er vierzehn verschiedene Ruftypen kennt und unterschiedliche Warnrufe für Falken und Eulen hat.33 Die Pakas – etwa 30 Zentimeter hohe Meerschweinchenverwandte aus Südamerika – besitzen mindestens sieben unterschiedliche Rufe.34 Weiterhin gibt es verschiedene Wal- und Affenarten, die kontextspezifische Rufe verwenden, und auch Elefanten benennen unterschiedliche Gefahren mit unterschiedlichen Rufen.35 Es wird sogar glaubhaft darüber spekuliert, dass Tintenfische mittels der Veränderung ihrer Körperfarbe und Muster miteinander kommunizieren.36

Als allgemeine Voraussetzung zur Entwicklung einer semantischen (Rufe haben eine eindeutige Bedeutung) Kommunikation gilt ein komplexes Sozialleben (Social Complexity Hypothesis for Communication).

Nun stellen Sie sich bitte vor, Sie müssten sich mit Rufen anstelle von Worten verständigen. Sie fragen sich, was ist denn da der Unterschied? Versuchen Sie einfach mal, so viele Geräusche wie möglich zu machen, aber es darf kein einziges Wort dabei sein, und Sie dürfen auch nicht singen. Sie werden schnell feststellen, dass Ihr Repertoire an möglichen unterschiedlichen Rufen begrenzt ist. Was soll’s, Klicken mit der Zunge, Grunzen, Schniefen oder Ahhh und Ohhh machen hatte ohnehin keine Bedeutung. Doch keine Sorge: Ihre Lautäußerungen waren nicht sinnlos. Ähnlich wie die Gesänge der Buckelwale oder die Lieder der Singvögel können diese Lautäußerungen beeindrucken, denn wenn Sie laut und besonders schön singen, dann gelten Sie als attraktiv und haben vielleicht die Liebe Ihres Lebens gefunden oder mit kräftigem Gebrüll einen Rivalen in die Flucht geschlagen.

6038-005.tif

Auch Pakas (Cuniculus paca), etwa 30 Zentimeter große Verwandte der Meerschweinchen, verfügen über mindestens sieben unterschiedliche Rufe.