László Krasznahorkai
Baron Wenckheims Rückkehr
Roman
Aus dem Ungarischen
von Christina Viragh
FISCHER E-Books
László Krasznahorkai wurde 1954 in Gyula/Ungarn geboren. 1993 erhielt er für »Melancholie des Widerstands« den Preis der SWR-Bestenliste. Bela Tarr verfilmte u.a. »Satanstango« und »Melancholie des Widerstands« als »Werckmeisters Harmonien«. Zuletzt erschien »Krieg und Krieg«, »Im Norden ein Berg, im Süden ein See, im Westen Wege, im Osten ein Fluß« und »Die Welt voran«. »Seiobo auf Erden« wurde 2010 mit dem Brücke-Berlin-Preis sowie dem Spycher Literaturpreis Leuk ausgezeichnet. 2014 wurde ihm der Vilenica International Literary Prize und der America Award zuerkannt, 2013 und 2014 der Best Translated Book Award. 2015 erhielt er den Man Booker International Prize.
Christina Viragh, 1953 in Budapest geboren, lebt in Rom. Neben László Krasznahorkai übersetzte sie u. a. Marcel Proust, Imre Kertész, Sándor Márai und Péter Nádas, für dessen Übertragung sie 2012 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde. Daneben entstehen Romane, zuletzt »Im April« (2006) und »Eine dieser Nächte« (2018).
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»Jedes meiner Bücher soll die literarische Landkarte verschieben.«
László Krasznahokai, 2015 mit dem International Man Booker Prize ausgezeichnet, gelingt mit »Baron Wenckheims Rückkehr« ein Meisterwerk: ein Feuerwerk aus unerschöpflicher Erfindungsgabe, hellsichtiger Psychologie, abgründigen Themen und absurdem Humor.
»›Baron Wenckheims Rückkehr‹ ist die Krönung seines Lebenswerks.«
Balázs Torda, Fimetekercs
»Obsessiv und visionär.«
James Wood, The New Yorker
Erschienen bei FISCHER E-Books
Die Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel
»Báró Wenckheim Hazatér« im Verlag Magvető, Budapest
© László Krasznahorkai, 2016
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 2018 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung: KOSMOS, Büro für visuelle Kommunikation
Coverabbildung: Mariusz Majewski/EyeEm/Getty Images
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-403169-9
Er nahm einen Apfel aus dem Früchtekorb, rieb ihn ab, hielt ihn gegen das Licht, um zu sehen, ob er ringsum glänzte, hob ihn an den Mund, als wolle er hineinbeißen, aber er biss nicht hinein, sondern zog ihn von seinem Mund weg und begann, ihn in der Hand zu drehen, während er langsam den Blick über die vor ihm Stehenden schweifen ließ, dann kippte die Hand mit dem Apfel auf seinen Schoß hinunter, er seufzte tief, lehnte sich etwas zurück, und nach einer langen Stille, die rein gar nichts bedeutete, sagte er, sie mögen ihn anreden, wie sie wollen, auch wenn er ihnen raten würde, ihn überhaupt nicht anzureden, er könnte sagen, die oder die Anrede, nur hätte das nicht den geringsten Sinn, da er sich in keiner Weise angesprochen fühlen würde, Sie werden mich, sagte er mit metallischer Stimme, überhaupt nie anreden können, da Sie mit Anreden nicht umgehen können, mir genügt, wenn Sie mit Ihren Instrumenten irgendwie umgehen, denn das wird von jetzt an die Hauptsache sein, Sie müssen etwas anreden lassen, zum Reden bringen, sagte er lauter, vergegenwärtigen, um es anders zu sagen, erklärte er, und er müsse von dem allem wissen, wobei es jetzt nichts zur Sache tue, fügte er hinzu, dass er im Übrigen selbstverständlich von allem die genaueste Kenntnis habe, es gehöre einfach dazu, dass Sie, sagte er und hob die Hand mit dem Apfel, und während er ihn mit vier Fingern eng umfasst hielt, streckte er den Zeigefinger aus und zeigte auf sie, dass Sie, Herren Musici, mich über alles umgehend orientieren, Sie dürfen vor mir keine Geheimnisse haben, ich will über alles rechtzeitig Bescheid wissen, unabhängig davon, dass – wie schon gesagt – ich von allem schon im Voraus und in allen möglichen Einzelheiten weiß, Sie können vor mir nichts verschweigen, müssen die winzigsten Kleinigkeiten melden, sind also von jetzt an zu uneingeschränkter Berichterstattung verpflichtet, das heißt, ich bitte Sie um Ihr Vertrauen, und er begann zu erörtern, was er darunter verstand, dass da etwas, in diesem Fall das Vertrauen, zwischen ihnen so unbegrenzt sein müsse wie überhaupt nur möglich, ansonsten würden sie es miteinander nirgendshin bringen, das möchte er ihnen jetzt gleich von Anfang an stärkstens einprägen, ich will wissen, sagte er, wie und warum Sie das Instrument aus seiner Hülle heben, und das Wort Instrument sollen Sie jetzt der Einfachheit halber in seiner allgemeinen Bedeutung verstehen, erklärte er, das heißt, er möchte nicht darauf eingehen, wer Geige spiele, wer Klavier, wem das Bandoneon gehöre, die Bassgeige oder die Gitarre, er bezeichne alles einheitlich als Instrument, denn das Wesentliche ist, dass ich wissen will, welche Saiten die Streicher verwenden, wie und warum sie ihre Saiten so und nicht anders stimmen, wie viele Ersatzsaiten sie vor der Vorstellung im Kasten haben, ich will wissen, sagte er mit noch metallischerem Ton, wie viel die Bandoneon- und Klavierspieler vor der Vorstellung geübt haben, wie viele Minuten, Stunden, Tage, Wochen und Jahre, was sie heute gegessen haben und was sie morgen essen wollen, ob sie den Frühling mögen oder den Winter, ob die Sonne oder den Schatten, ob … alles, verstehen Sie, auch ein genaues Bild vom Stuhl, auf dem Sie üben, auch vom Notenständer, in welchem genauen Winkel Sie ihn aufstellen, auch vom Harz will ich wissen, insbesondere bei den Geigern, auch wo Sie es kaufen und warum gerade dort, Ihre banalsten Gedanken zum herunterrieselnden Harzstaub, oder wann Sie sich die Fingernägel schneiden und warum gerade so, abgesehen von dem allem möchte er ihnen aber auch ans Herz legen, sagte er, sich auf dem Stuhl zurücklehnend, dass, wenn er sage, er wolle wissen, und sie sollen ihn nicht so erschrocken anstarren, das heiße, wissen von jeder noch so unbedeutenden Kleinigkeit, während sie selbst wissen müssen, dass er, den sie als eine Art Impresario bezeichnen können, falls jemand fragt, dass er also jeden ihrer Schritte überwachen werde, ihre kleinsten Regungen beobachten, während er schon im Voraus wisse, welches jene nächste winzige Regung sein würde, von der zu berichten sie im Übrigen die Pflicht haben, sie würden also, zusammenfassend, zwischen zwei Feuer geraten, einerseits die Pflicht zu unbedingtem und unauslotbarem Vertrauen und zur Berichterstattung und andererseits das unbestreitbare, aber für sie unablässig störende, ja, unlösbare Paradox – und er bitte sehr darum, dass sie das nicht zu verstehen versuchten –, dass er von allem, das sie ihm der Pflicht gemäß berichten, schon im Voraus alles und eingehendst wisse, die vertragliche Zusammenarbeit werde sich also zwischen zwei Feuern abspielen, wobei sie, möchte er noch hinzufügen, fügte er hinzu, auch noch wissen müssen, dass diese selbstverständlich eine unbedingt einseitig ausgerichtete Abhängigkeit bedeute, Sie, fuhr er fort und begann, langsam den im strahlenden Licht glänzenden Apfel erneut in der Hand zu drehen, dürfen mit niemandem teilen, was Sie mir erzählen, merken Sie sich das, und zwar auf ewig, Sie dürfen das zu Sagende ausschließlich mir sagen und niemandem sonst, wobei Sie parallel dazu unter gar keinen Umständen damit rechnen können, dass ich, er zeigte mit dem Apfel in der Hand auf sich, im Anschluss an das jetzige, für Sie schicksalhafte Gespräch auch nur irgendetwas erzähle oder erkläre oder beleuchte oder wiederhole, ja, es ist am besten, wenn Sie sich meine Worte auf eine Art anhören, als, ich scherze jetzt, hörten Sie Gott, der einfach erwartet, dass Sie wissen, was Sie im gegebenen Fall zu tun haben, was das ist, weiß ich nicht, saugen Sie es sich eben aus den Fingern, so ist es eben, und hier kann man nicht fehlgehen, die metallische Stimme klang noch unheilverheißender als bisher, denn Fehler gibt es einfach nicht, weil es sie nicht geben darf, das zu akzeptieren, so dünke ihn, sagte er, sei hier ein jeder fähig, er behaupte allerdings nicht, dass diese Zusammenarbeit von diesem Moment an, da er ein einziges Mal, also jetzt, klar und eingehend mitteile, woraus sie in Wirklichkeit bestehe, ihnen zu gar so großer Freude gereichen werde, das werde sie nicht tun, es sei besser, wenn sie sie jetzt, von diesem Augenblick an, eher als Leiden betrachten, da sie damit immer noch besser fahren, und nicht als Freude, sondern gleich von Anfang an als Leiden, als eine schweißtreibende Arbeit, denn in der Tat, es erwarte sie Leiden, bittere, erschöpfende, quälende Arbeit, wenn sie dann bald, als die einzige Errungenschaft ihres Zusammenwirkens zwar unabsichtlich, aber doch das in die Schöpfung einpassen werden, wofür sie hierherberufen wurden, also Fehler machen, das gibt es hier nicht, so wie es auch keine Proben gibt, keine Vorbereitung, kein »na, das Ganze noch mal von vorn« und Ähnliches, das ist nicht die Milonga, von der Sie kommen, hier muss man sofort und umfassend wissen, was man zu tun hat, und diese Worte, so irreführend sie, im Fall einer oberflächlichen Formulierung, in ihrem Wesen auch sind, verschleiern wenigstens, was das hier Besprochene betrifft, den erwähnten Schweiß und die Freudlosigkeit nicht, denn das werde ihr Los sein, sie würden keine Freude haben an dem, was sie hier tun, denn was sind Sie, Herren Musici, einzeln betrachtet, donnerte er sie an, ein Trupp Katzenmusiker, eine dahergelaufene Bande, in der jeder für sich unglücklich auf den Instrumenten herumstümpert und fürs Ganze, im gegebenen Fall die bevorstehende Produktion, auch gar nichts wird können, ich will sagen, sich in keiner Weise ihre gemeinsam errungene Bedeutung wird zuguteschreiben können, er könne es aber auch so sagen, dass sie zur Kenntnis nehmen sollen, am Ganzen keinerlei Anteil zu haben, das ergibt sich irgendwie, wenn sie die Übereinkunft vollumfänglich einhalten, es werde irgendwie, der Kuckuck weiß wie, aber es werde sich ergeben, er wisse schon jetzt, wie er nicht genug wiederholen könne, dass es so sein werde, denn es müsse so sein, womit sie sich besser abzufinden hätten, ohne Fragerei, wie es denn, wenn das mit dem je einzelnen Herumstümpern eventuell tatsächlich stimmte, wie es denn möglich sei, dass es gemeinsam etwas ganz anderes wird, darauf sei er nicht willens, eine Antwort zu geben, sagte er mit müder Überheblichkeit, nein, das gehe sie nichts an, sie sollen sich damit abfinden, dass sie je einzeln, mit ihren Herumstümpereien, in keinem Fall dazu beitragen werden, es solle ihnen nicht einmal in den Sinn kommen, das auch nur zu denken, und das reiche jetzt, es würde ihn nur quälen, wenn jemand versuchte, von ihm eine Antwort zu erhalten, denn es grause ihm schon beim Gedanken, dass er im Fall einer solchen Löcherei immer aufs Neue daran denken müsste, wie sie mit dem Bogen auf den Saiten herumstreichen, wie sie auf die Tasten hämmern, während sie vom Ganzen nichts verstehen, denn das Ganze übersteigt die Einzelnen, es schaudere ihn, er sage es ehrlich, wenn er an dieses Trostlose denke, nämlich eben, wie sehr das schon erwähnte Ganze sie je einzeln übersteige, aber lassen wir das, sagte er kopfschüttelnd, auch wenn ihm die nicht einmal so traurige als vielmehr lächerliche Tatsache deutlich vor Augen stehe, mit wem er da eigentlich zusammenarbeiten müsse, werde es sich am Ende ergeben, ja, schon von Anfang an werde es klingen, wie es klingen soll, Rebellion aber, sagte er auf einmal ganz leise, auch nur der Plan, dass Sie gegen mich etwas unternehmen, oder auch nur ein Vorschlag, in dem der Wunsch aufscheint, irgendetwas anders zu machen, als wie ich es will, das alles soll Ihnen nicht einmal im Traum einfallen, schlagen Sie sich das aus dem Kopf, versuchen Sie zumindest, es sich aus dem Kopf zu schlagen, denn es hätte ein bedauerliches Ende, wenn Sie es versuchten, und das ist jetzt eine Warnung, wenn auch keine wohlmeinende, denn hier dürfen Sie nur ein bestimmtes Genre spielen, und auch das nur auf eine einzige Art, wobei ich, er zeigte wieder mit dem Apfel in der Hand auf sich, beide Teile der Zusammenarbeit bestimme, Sie, meine Herren, werden nach meiner Pfeife musizieren, und glauben Sie mir, ich spreche aus Erfahrung, es hat keinen Wert, sich gegen mich aufzulehnen, es hat einfach keinen Sinn, Sie dürfen, sofern ich davon weiß, es sich vorstellen, dürfen damit phantasieren, sofern Sie es mir gestehen, dass einmal alles anders sein wird, und es wird anders sein, weil es nicht anders sein wird, und es wird nichts anderes geben, so und nicht anders wird es sein, solange ich, bleiben wir bei diesem Ausdruck, der Impresario dieser Produktion bin, solange wird hier geschehen, was ich bestimme, und dieses Solange ist wie die Ewigkeit, da ich mich mit Ihnen ja nur auf eine einzige, alleinige Produktion verpflichtet habe, die als solche für Sie die einzige mögliche Produktion ist, für Sie ist nämlich jegliche andere Produktion von einem solchen Niveau ausgeschlossen, es gibt also kein Nachher, kein Vorher, und außer dem zugegebenermaßen kargen Honorar wird es auch keine Belohnung geben, natürlich nicht, und also wird es auch keine Freude, keinen Trost geben, wenn wir zu Ende sind, ist es zu Ende, und damit hat’s sich – aber ich muss Ihnen verraten, verriet er jetzt, und seine metallische Stimme schien sich ein bisschen zu mildern, dass es auch für mich so sein wird, keine Freude, kein Trost, und ich spreche nicht nur davon, sagte er, dass mir im Grunde genommen schnuppe ist, ob Freude oder Trost, oder was Sie von unserer Übereinkunft denken, was Sie fühlen oder tun, und überhaupt, womit Sie sich die beklagenswerte Art und Weise Ihrer Teilnahme erklären, das heißt, was Sie sich vorflunkern werden, nicht nur davon spreche ich, sondern auch davon, dass auch ich an dem Ganzen keine Freude habe, und auch mein Honorar steht in keinem Verhältnis zu dem, was wir hier Produktion nennen, sie muss zustande kommen, sagte er, weil sie zustande gekommen sein wird, und das ist alles, ich mag Sie nicht, ich hasse Sie nicht, meinetwegen können Sie auch abkratzen, wenn einer ausfällt, tritt jemand anderer an seine Stelle, ich bin es, der voraussieht, was sein wird, ich höre voraus, was sein wird, und es wird sein, ohne Freude, ohne Trost, damit es künftig nicht mehr zu so etwas kommt, auch ich freue mich also nicht, wenn ich mit Ihnen, Herren Musici, auftrete, ich werde nicht die Spur glücklich sein, wenn sich alles nach der vorbestimmten Möglichkeit vollzieht, denn – das wollte ich Ihnen zum Abschied noch sagen – ich liebe die Musik nicht, beziehungsweise das, was wir hier jetzt gemeinsam produzieren werden, ich liebe sie, sagen wir es, überhaupt nicht, ich habe hier lediglich die Aufsicht, ich bin der, der nichts hervorbringt, sondern nur vor jedem Ton präsent ist, denn ich bin derjenige, der hier, weiß Gott, nur aufs Ende dieses Ganzen wartet.
Auf ewig; es dauert, solange es dauert
Die eventuelle Ähnlichkeit der im Roman vorkommenden Charaktere, Namen, Schauplätze oder ihr Zusammenfallen mit der Realität sind ausschließlich das Werk des verdammten Zufalls und entsprechen nicht der Absicht des Autors.