Es gibt Kinder, die »Emil und die Detektive« gelesen haben. Und es gibt Kinder, die das Buch noch nicht gelesen haben. Die einen will ich im weiteren Verlauf kurzerhand die »Fachleute« nennen und die anderen die »Laien«. Eine solche Einteilung empfiehlt sich, weil ich an jede der zwei Gruppen ein besonderes Vorwort zu richten habe.
»Ordnung muss sein«, sagte Onkel Karl und schmiss auch noch den letzten Teller an die Wand.
Es sind tatsächlich zwei Vorworte nötig. Sonst könnte es womöglich geschehen, dass der alte Herr Schlaumeier den zweiten Band heimbringt und dass seine Kinder – also die kleinen Schlaumeier – ganz aufgeregt rufen: »Aber wir haben doch den ersten Teil noch nicht gelesen!« Und dann müsste Herr Schlaumeier senior das Buch sorgfältig wieder einwickeln, in den Buchladen zurückbringen und dort sagen: »Tut mir leid, Herr Buchhändler. Aus dem Geschäft kann nichts werden. Das Buch ist ja der zweite Band.«
Sehr geehrte Laien! Auch wer den ersten Band noch nicht kennt, kann den zweiten lesen und verstehen. Verlasst euch in dieser Angelegenheit ganz auf mich. Ich gehöre, was den Emil Tischbein betrifft, zu den ältesten Fachleuten, die es links und rechts der Elbe gibt.
Da fällt mir übrigens ein, dass ich euch ja schließlich kurz erzählen könnte, worum es sich im ersten Band handelt. Soll ich? Also gut.
Zuvor muss ich nur die Herren Fachleute bitten, weiterzublättern und gleich das zweite Vorwort aufzuschlagen. Was ich bis dahin erzählen werde, wissen sie längst.
Sehr geehrte Fachleute! Entschuldigt mich eine Weile. Auf Wiederhören im zweiten Vorwort! Parole Emil!
Der erste Band handelte von der ersten Reise des Neustädter Realschülers Emil Tischbein nach Berlin.
Emil sollte seiner Großmutter hundertvierzig Mark nach Berlin bringen. Aber das Geld wurde ihm in der Eisenbahn gestohlen, während er schlief. Emil hatte einen Mann im Verdacht, der Grundeis hieß und einen steifen Hut trug. Doch der Junge wusste erstens nicht, ob dieser Herr Grundeis tatsächlich der Dieb war. Und zweitens war Herr Grundeis, als Emil erwachte, nicht mehr im Abteil. – Der Junge war, wie ihr euch denken könnt, sehr verzweifelt. Am Bahnhof Zoo hielt der Zug. Emil blickte zum Fenster hinaus, sah einen Mann im steifen Hut und rannte, mit seinem Koffer und einem Blumenstrauß bewaffnet, hinter der schwarzen Melone her. Dabei sollte er aber erst am Bahnhof Friedrichstraße aussteigen!
Kinder, Kinder! Die Melone war wirklich Herr Grundeis! Emil folgte ihm. Der Mann stieg in eine Straßenbahn. Emil kletterte schleunigst auf den Anhänger. Und nun fuhr der kleine Neustädter Realschüler ohne einen Pfennig Geld durch das riesengroße, fremde Berlin. Er fuhr hinter seinen hundertvierzig Mark her und wusste nicht einmal, ob Herr Grundeis der richtige Dieb war.
Inzwischen wurde Emil von seiner Großmutter und seiner Kusine Pony Hütchen auf dem Bahnhof Friedrichstraße erwartet. Der Zug aus Neustadt kam. Doch wer nicht kam, war Emil! Sie wussten nicht, was sie davon denken sollten. Schließlich wanderten sie sehr besorgt nach Hause. Das heißt, wandern tat nur die Großmutter. Pony Hütchen fuhr auf ihrem Fahrrad neben der wandernden Großmutter her.
Herr Grundeis stieg auf der Kaiserallee an der Ecke Trautenaustraße von der Straßenbahn und setzte sich auf die Sommerterrasse des Cafés Josty.
(Er hatte selbstverständlich keine blasse Ahnung davon, dass er verfolgt wurde.)
Emil stieg ebenfalls aus und versteckte sich hinter einem Zeitungskiosk. Dort sprach ihn ein Berliner Junge an. Und diesem erzählte er, was geschehen war. Der Junge hieß Gustav mit der Hupe. Weil er in der Hosentasche eine Autohupe hatte.
Dieser Junge fegte nun laut hupend durch die Gegend und alarmierte seine Freunde. Mit diesen kam er zu Emil zurück. Sie hielten einen Kriegsrat ab. Sie gaben ihr Taschengeld her. Sie gründeten einen Bereitschaftsdienst, eine Telefonzentrale und andere notwendige Unterabteilungen.
Und als sich der ahnungslose Herr Grundeis auf der Kaffeehausterrasse satt gegessen hatte und in einer Autotaxe davonfuhr, fuhren Emil und die »Detektive« in einer anderen Autotaxe hinterher.
Herr Grundeis nahm im Hotel Kreid am Nollendorfplatz ein Zimmer. Emil und seine Freunde ernannten den Hof des gegenüberliegenden Theaters zu ihrem Standquartier. Nur Gustav folgte dem Mann im steifen Hut und wurde im Hotel Kreid für einen Tag Liftboy. So erfuhren die Detektive, dass Herr Grundeis am nächsten Morgen um acht Uhr aufstehen wollte.
Na ja. Und als Herr Grundeis am nächsten Tag früh um acht ans Fenster trat, war der ganze Nollendorfplatz voller Kinder!
Aber ich will nicht zu viel erzählen. Wie die Verfolgung weiterging, kann sich jeder richtige Junge an den eigenen Fingern abklavieren. Ich muss nur noch hinzufügen, dass Herr Grundeis tatsächlich der Dieb war und dass er nicht nur Grundeis hieß, sondern mindestens ein halbes Dutzend Familiennamen hatte. Das ist bei besseren Verbrechern bekanntlich immer so.
Jawohl. Und wenn Emil im Zug keine Stecknadeln bei sich gehabt hätte, hätte ihm Kriminalkommissar Lurje die hundertvierzig Mark wahrscheinlich gar nicht zurückgeben können. Die Stecknadeln waren nämlich die Beweise! Aber mehr verrate ich nun wirklich nicht. Über die Prämie von tausend Mark zum Beispiel sage ich kein Sterbenswort. Auch nicht über das Denkmal vom Großherzog Karl mit der schiefen Backe oder darüber, wie er eines Tages einen Schnurrbart und eine rote Nase bekam. Oder über Wachtmeister Jeschke, der hinter Emil mit einer Eisenbahn herfuhr, die von neun Pferden gezogen wurde. – Und dass schließlich Emils Mutter nach Berlin kam, behalte ich auch für mich.
Ein Mann muss, wenn es darauf ankommt, schweigen können.
Ich will nur noch erzählen, dass Emils Großmutter ganz zum Schluss sagte: »Geld soll man nur per Postanweisung schicken.« Sie war, wie ihr seht, eine sehr gescheite alte Frau. Sie war es nicht nur. Sie ist es noch immer. Ihr werdet sie kennenlernen. Vorher muss ich nur noch das Vorwort für die Fachleute abdrucken lassen.
Ach richtig, die Fachleute!
Zwei Jahre nach Emils Abenteuern mit Herrn Grundeis hatte ich auf der Kaiserallee, an der bewussten Ecke Trautenaustraße, ein höchst seltsames Erlebnis.
Eigentlich wollte ich mit der Linie 177 nach Steglitz fahren. Nicht, dass ich in Steglitz etwas Besonderes zu erledigen gehabt hätte. Aber ich gehe gern in Stadtvierteln spazieren, die ich nicht kenne und in denen man mich nicht kennt. Ich bilde mir dann ein, ich sei irgendwo in der Fremde. Und wenn ich mich dann so richtig einsam und verlassen fühle, fahre ich rasch wieder heim und trinke in meiner Wohnung gemütlich Kaffee.
So bin ich nun einmal.
Aber aus meiner Steglitzer Weltreise sollte an diesem Tage nichts werden. Denn als die Straßenbahn kam und bremste und ich gerade auf den Vorderwagen klettern wollte, stieg ein merkwürdiger Mann ab. Er hatte einen steifen schwarzen Hut auf und blickte sich um, als habe er ein ziemlich angeschmutztes Gewissen. Er lief rasch an dem Vorderwagen vorbei, überquerte die Straße und ging zum Café Josty hinüber.
Ich schaute gedankenvoll hinter dem Mann her.
»Wollen Sie mitfahren?«, erkundigte sich der Schaffner bei mir.
»Ich bin so frei«, meinte ich.
»Na, dann beeilen Sie sich ein bisschen!«, sagte der Schaffner streng.
Aber ich beeilte mich keineswegs, sondern blieb wie angewurzelt stehen und starrte entgeistert auf den Anhängerwagen.
Von diesem Anhänger kletterte nämlich ein Junge herunter. Er trug einen Koffer und einen in Seidenpapier gewickelten Blumenstrauß und blickte sich nach allen Seiten um. Dann schleppte er den Koffer hinter den Zeitungskiosk, der sich an der Ecke befindet, setzte sein Gepäck ab und musterte die Umgebung.
Der Schaffner wartete noch immer auf mich. »Nun reißt mir aber die Geduld«, sagte er dann. »Wer nicht will, der hat schon!« Er zog an der Klingelschnur, und die Straßenbahn 177 fuhr ohne meine werte Person nach Steglitz.
Der Herr im steifen Hut hatte auf der Terrasse des Cafés Platz genommen und sprach mit einem Kellner. Der Junge guckte vorsichtig hinter dem Kiosk hervor und ließ den Mann nicht aus den Augen.
Ich stand noch immer am gleichen Fleck und sah wie ein Ölgötze aus. (Hat übrigens jemand eine Ahnung, wie Ölgötzen aussehen? Ich nicht.) Das war ja allerhand! Vor zwei Jahren waren Herr Grundeis und Emil Tischbein an genau derselben Ecke aus der Straßenbahn gestiegen. Und jetzt passierte die ganze Sache noch einmal? Da musste doch wohl ein Irrtum vorliegen.
Ich rieb mir die Augen und blickte wieder zum Café Josty hin. Aber der Mann im steifen Hut saß noch immer da! Und der Junge hinterm Kiosk setzte sich müde auf seinen Koffer und zog ein betrübtes Gesicht.
Ich dachte: Das Beste wird sein, wenn ich zu dem Jungen hingehe und frage, was das Ganze bedeuten soll. Und wenn er mir erzählt, man hätte ihm hundertvierzig Mark gestohlen, klettere ich auf den nächsten Baum.
Ich ging also zu dem Jungen, der auf dem Koffer saß, und sagte: »Guten Tag. Wo fehlt’s denn?«
Aber er schien nicht nur auf dem Koffer, sondern auch auf den Ohren zu sitzen. Er antwortete nicht und blickte unausgesetzt nach dem Café hinüber. »Hat man dir vielleicht zufällig 140 Mark gestohlen?«, fragte ich.
Da blickte er auf, nickte und sagte: »Jawohl. Der Halunke dort drüben auf der Terrasse, der war’s.«
Ich wollte gerade mit dem Kopf schütteln und dann, weil ich’s mir vorgenommen hatte, auf den nächsten Baum klettern, als es laut hupte. Wir fuhren erschrocken herum. Doch hinter uns stand gar kein Auto, sondern ein Junge, der uns auslachte.
»Was willst du denn hier?«, fragte ich.
Er hupte noch einmal und meinte: »Mein Name ist Gustav.«
Mir blieb die Spucke weg. Das war ja ein tolles Ding! Träumte ich auch ganz bestimmt nicht?
Da kam ein fremder Mann quer über die Trautenaustraße gerannt, fuchtelte mit den Armen, blieb dicht vor mir stehen und brüllte: »Machen Sie sich gefälligst schwach! Mischen Sie sich nicht in fremde Angelegenheiten! Sie schmeißen uns ja die ganze Außenaufnahme!«
»Was denn für ’ne Außenaufnahme?«, fragte ich neugierig.
»Sie sind ja reichlich begriffsstutzig«, meinte der wütende Mann.
»Das ist bei mir ein Geburtsfehler«, entgegnete ich.
Die beiden Jungen lachten. Und Gustav mit der Hupe sagte zu mir: »Mann, wir drehen doch hier einen Film!«
»Natürlich«, erwiderte der Junge mit dem Koffer. »Den Emil-Film. Und ich bin der Emil-Darsteller.«
»Sehen Sie zu, dass Sie weiterkommen«, bat mich der Filmonkel. »Zelluloid ist teuer.«
»Entschuldigen Sie die kleine Störung«, antwortete ich. Dann ging ich meiner Wege.
Der Mann rannte zu einem großen Auto, auf dem eine Filmkamera montiert war und auf dem der Kameramann stand und nun wieder zu kurbeln begann.
Ich spazierte nachdenklich zum Nikolsburger Platz und setzte mich auf eine der Bänke. Dort blieb ich lange sitzen und blickte leicht verblüfft vor mich hin. Ich hatte zwar gewusst, dass die Geschichte von Emil und den Detektiven verfilmt werden sollte. Aber ich hatte es wieder vergessen. Na, und wenn man eine Geschichte wie diese nach zwei Jahren zum zweiten Mal erlebt, mit Koffern, Blumensträußen und Hupen und steifen Hüten – ein Wunder ist es nicht, wenn einem die Augen vor Staunen aus dem Kopf treten …
Plötzlich setzte sich ein sehr großer, hagerer Herr zu mir. Er war älter als ich, trug einen Kneifer und blickte mich lächelnd an. Nachdem er ein Weilchen gelächelt hatte, sagte er: »Eine verrückte Sache, hm? Man denkt, man erlebt etwas Wirkliches. Und dabei ist es nur etwas Nachgemachtes.« Dann sagte er, glaube ich, noch, die Kunst sei eine Fiktion der Realität. Aber er meinte es nicht böse. Und so redeten wir eine Zeit lang gescheit daher. Als uns diesbezüglich nichts mehr einfiel, meinte er: »Nachher wird hier auf unsrer friedlichen Bank der Kriegsrat der Detektive abgehalten werden.«
»Woher wissen Sie denn das? Sind Sie auch vom Film?«
Er lachte. »Nein. Die Sache liegt anders. Ich warte hier auf meinen Sohn. Der will die Filmaufnahmen begutachten. Er war nämlich damals einer von den richtigen Detektiven.«
Ich wurde munter und betrachtete meinen Nachbarn genauer. »Gestatten Sie, dass ich zu raten versuche, wer Sie sind?«
»Ich gestatte«, meinte er vergnügt.
»Sie sind Justizrat Haberland, der Vater vom Professor!«
»Erraten!«, rief er. »Aber woher wissen Sie denn das? Haben Sie das Buch ›Emil und die Detektive‹ gelesen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe es geschrieben.«
Das freute den Justizrat außerordentlich. Und binnen weniger Minuten unterhielten wir uns, als kennten wir uns seit der Konfirmation. Und ehe wir’s uns versahen, stand ein Gymnasiast vor der Bank und zog seine Schülermütze.
»Da bist du ja, mein Junge«, sagte Justizrat Haberland.
Ich erkannte den Professor auf den ersten Blick wieder. Er war seit damals gewachsen. Nicht sehr, aber immerhin. Ich hielt ihm die Hand entgegen.
»Das ist doch Herr Kästner«, meinte er.
»Das ist er«, rief ich. »Und wie gefallen dir die Filmaufnahmen, die sie von eurer Geschichte machen?«
Der Professor rückte seine Brille zurecht. »Sie geben sich alle Mühe. Kann man nicht leugnen. Aber ein Film wie dieser müsste selbstredend von Jungens geschrieben und gedreht werden. Erwachsene haben da nichts zu suchen.«
Sein Vater, der Justizrat, lachte. »Er heißt noch immer der Professor. Aber eigentlich müsste er längst der ›Geheimrat‹ genannt werden.«
Na, und dann setzte sich der Professor zwischen uns und erzählte mir von seinen Freunden. Von Gustav mit der Hupe, der inzwischen zu seiner Hupe ein Motorrad bekommen habe. Und vom kleinen Dienstag. Dessen Eltern seien nach Dahlem hinausgezogen. Er komme aber noch oft in die Stadt, weil es ihm ohne seine alten Kameraden nicht gefalle. Und von Bleuer und Mittenzwey und Mittendrei und von Traugott und Zerlett. Ich erfuhr eine Menge Neuigkeiten. Und der böse Petzold sei immer noch derselbe tückische, ekelhafte Lümmel wie vor zwei Jahren. Dauernd hätten sie mit dem Kerl ihren Ärger. »Was sagen Sie übrigens dazu?«, meinte der Professor dann. »Ich bin Hausbesitzer geworden.« Er setzte sich gerade und sah furchtbar stolz aus.
»Ich bin fast dreimal so alt wie du«, sagte ich, »und ich bin noch immer kein Hausbesitzer. Wie hast du das bloß gemacht?«
»Er hat geerbt«, erklärte der Justizrat. »Von einer verstorbenen Großtante.«
»Das Haus steht an der Ostsee«, erzählte der Professor glücklich. »Und im nächsten Sommer lade ich Emil und die Detektive zu mir ein.« Er machte eine Pause. »Das heißt, wenn’s meine Eltern erlauben.«
Der Justizrat blickte seinen Sohn von der Seite an. Und es sah sehr ulkig aus, wie sie einander gegenseitig durch ihre Brillengläser musterten. »Wie ich deine verehrten Eltern kenne«, meinte dann der Justizrat, »werden sie nicht zu widersprechen wagen. Das Haus gehört dir. Ich bin nur der Vormund.«
»Abgemacht!«, sagte der Professor. »Und wenn ich später heiraten und Kinder kriegen werde, benehme ich mich zu ihnen genauso wie du zu mir.«
»Vorausgesetzt, dass du so vorbildliche Kinder kriegst wie dein Vater«, erklärte der Justizrat Haberland.
Der Junge lehnte sich dicht an den Justizrat und meinte: »Vielen Dank.«
Damit war das Gespräch erledigt. Wir standen auf und gingen alle drei nach der Kaiserallee. Auf der Terrasse vom Café Josty stand der Schauspieler, der Herrn Grundeis zu spielen hatte. Er hatte seinen steifen Hut abgenommen und trocknete sich die Stirn mit dem Taschentuch. Vor ihm standen der Regisseur, der Kameramann und jener Mann, der mich am Zeitungskiosk so angeschnauzt hatte.
»Das halte ich nicht länger aus«, rief der Schauspieler, der den Herrn Grundeis zu spielen hatte, ärgerlich. »Davon wird man ja magenkrank! Zwei Eier im Glas soll ich essen! Das steht im Film-Manuskript. Zwei Eier! Nicht mehr! Nun hab ich schon acht Eier gefressen, und ihr seid mit der Aufnahme noch immer nicht zufrieden!«
»Das hilft nun alles nichts«, sagte der Regisseur. »Die Aufnahme muss immer noch einmal gemacht werden, mein Lieber.«
Der Schauspieler setzte sich den steifen Hut auf, blickte gequält zum Himmel empor, winkte dem Kellner und erklärte traurig: »Herr Ober, bitte noch zwei Eier im Glas!« Der Kellner notierte die Bestellung, schüttelte den Kopf und sagte: »Das wird aber ein teurer Film!« Dann machte er sich aus dem Staube.
Erstens: Emil persönlich
Da ist er wieder! Seit wir ihn zum letzten Male sahen, sind mehr als zwei Jahre vergangen. Er ist inzwischen größer geworden. Und einen neuen blauen Sonntagsanzug hat er auch. Mit langen Hosen natürlich! Aber wenn der Junge so schnell weiterwächst, kann er sie im nächsten Jahr als kurze Hosen auftragen. Sonst hat er sich wenig verändert. Er ist noch immer der freiwillige Musterknabe von damals. Er hat seine Mutter noch genauso lieb wie früher. Und manchmal, wenn sie beisammensitzen, sagt er ungeduldig: »Hoffentlich verdiene ich bald viel Geld. Dann darfst du aber nicht mehr arbeiten.« Und sie lacht und sagt: »Fein, dann fange ich Fliegen.«
Zweitens: Oberwachtmeister Jeschke
Die Überschrift stimmt. Aus dem Wachtmeister Jeschke in Neustadt ist ein Oberwachtmeister geworden. Die Sache mit dem bemalten Denkmal ist längst in Vergessenheit geraten. Und der Herr Oberwachtmeister kommt sogar manchmal, wenn er dienstfrei hat, zu Tischbeins zum Kaffeetrinken. Vorher kauft er dann jedes Mal beim Bäcker Wirth eine große Portion Kuchen. Und Frau Wirth, die ja eine Kundin von Frau Friseuse Tischbein ist, sagte erst neulich zu ihrem Mann, dem Bäckermeister Wirth: »Du, Oskar, fällt dir nichts auf?« Und als er den Kopf schüttelte, meinte sie: »Ein Glück, dass das Pulver schon erfunden ist!«
Drittens: Das Erbe des Professors
Das also ist das Haus, das der Professor von seiner Tante geerbt hat. Es liegt in Korlsbüttel an der Ostsee. Irgendwo zwischen Travemünde und Zinnowitz. Die tote Tante war, als sie noch lebte, eine leidenschaftliche Gärtnerin. Und der Garten, in dem das einstöckige alte Haus liegt, ist eine Sehenswürdigkeit. Der Badestrand ist ganz in der Nähe. Man kann gleich im Schwimmtrikot hinspazieren. Drei Minuten durch einen grün dämmernden Erlenbruch – und schon steht man oben auf den Dünen. Drunten breitet sich die Ostsee aus. Und die hölzerne Brücke, an der die Küstendampfer anlegen, reicht fast bis an den Horizont.
Viertens: Gustav mit der Hupe
Kennt ihr die Geschichte von dem Mann, der einen Knopf fand und sich dazu einen Anzug machen ließ? So ähnlich ging’s mit Gustav. Erst hatte er nur eine Hupe. Und dann piesackte er seinen Vater so lange, bis ihm der ein Motorfahrrad dazuschenkte. Es ist natürlich keine sehr schwere, sondern eine führerscheinfreie Maschine. Aber den Bewohnern der Nachbarhäuser genügt der Krach, den Gustav macht, auch so. Wenn er, in seinem Trainingsanzug, aufspringt oder ratternd um die Ecke biegt, denkt man mindestens: Der deutsche Motorradmeister kommt. Die Schularbeiten gucken mittlerweile in den Mond. »Ach, Mensch«, sagt Gustav, »in der Penne rutsche ich so mit durch. Ich bin der Vorletzte. Das genügt mir.«
Fünftens: Fräulein Hütchen
Wenn ein Junge vierzehn Jahre alt wird, ist er noch immer ein richtiger Junge, vielleicht sogar ein Lausejunge. Wenn aber ein Mädchen in dieses Alter kommt, wird es eine junge Dame. Und wehe, wenn man dann so ’n Frollein auslacht! Oder wenn man sagt: »Gib nicht so an, du Göre!« Da kann man anschließend sein himmelblaues Wunder erleben. Pony Hütchen ist natürlich in den letzten Jahren nicht gerade ein Affe geworden. Dazu ist sie ja ein viel zu patenter Kerl. Aber früher war sie ein halber Junge. Und heute ist sie ein halber Backfisch. Die Großmutter sagt oft zu ihr: »Lass dir Zeit, mein Kind, lass dir Zeit, mein Kind; ’ne alte Schachtel wirst du früh genug.«
Sechstens: Der Eisenbahn-Dampfer
Habt ihr schon einmal ein Trajekt gesehen? In Saßnitz? Oder in Warnemünde? Oder in Stralsund? Das sind merkwürdige Dampfer! Sie legen am Bahnhof an, sperren das Maul auf, und plötzlich fährt ein Zug aufs Schiff. Und dann fahren sie mit einer ganzen Eisenbahn im Bauch über die Ostsee weg. Bis nach Dänemark oder Rügen oder Schweden. Dort landen sie, und der Zug fährt vom Dampfer herunter und auf dem Festland weiter, als sei überhaupt nichts gewesen. Das ist eine Sache, was? Mit der Eisenbahn fahren ist schön. Mit dem Dampfer fahren ist schön. Wie schön muss es erst sein, mit der Eisenbahn Dampfer zu fahren!
Siebentens: The three Byrons