Angriff im Schneesturm
Eisiger Tod
Lebendig begraben
Die Höhle der Schatten
Kronus greift an
Fußspuren im Schnee
Das Schneemonster
Feuerpfeile
Der Kampf der Biester
Der Eissee
Blinde Passagiere
Mit besonderem Dank an Allan Frewin Jones
Ich bin Sanpao, der Piratenkönig von Makai! Mein Schiff bringt mich an eure Küsten, um einen uralten Zauber zu erbeuten, der mächtiger ist als alles, was ihr kennt. Niemand wird es wagen, sich mir in den Weg zu stellen, auch Tom und seine Freunde nicht. Selbst Aduro wird euch dieses Mal nicht helfen können. Meine Piraten werden gnadenlos alles plündern und niederbrennen und meine Biester werden von keinem Helden aus Avantia zu schlagen sein.
Piraten, macht die Leinen los und hisst die Segel! Wir kommen, um zu erobern und zu zerstören!
„Zieh!“
Abel saß vorne auf dem Kutschbock des Planwagens und trieb den Elch über die eisige Ebene. Das Tier schnaubte aus seinen großen Nasenlöchern, stapfte auf seinen breiten Hufen weiter und zog den hölzernen Wagen durch den endlosen Schnee.
„Ja! Zieh! So ist es gut.“
Abel sah zu seinem Vater, der neben dem Planwagen ritt. Er saß auf einem prächtigen Elch mit einem Geweih, das so ausladend war wie die Äste eines Baums. Abel steuerte den Wagen über eine tückische Eisfläche und sein Vater nickte ihm anerkennend zu.
Vor ihnen erstreckte sich eine lange Reihe aus knarzenden und quietschenden Planwagen, die sich wie eine dunkle Linie durch den Schnee schlängelten. Abels Stamm wollte Felle und Häute gegen getrocknete und geräucherte Lebensmittel eintauschen, um auch dann über den Winter zu kommen, wenn die Jagd unmöglich wurde.
Abels Vater blickte den Weg zurück, den sie gekommen waren. Er runzelte sein wettergegerbtes Gesicht.
„Was ist los, Vater?“, fragte Abel.
„Da kommt ein Schneesturm auf uns zu“, antwortete er.
Eine eiskalte Faust schien sich in Abels Magen zu bohren. Er stand auf und blickte über das Dach des Wagens zurück. Hinter ihnen war der Himmel zu einem bedrohlichen Wirbel aus Grau und Weiß geworden.
Sein Vater drückte dem Elch die Fersen in die Seiten und galoppierte an der Wagenreihe entlang nach vorn. „Beeilt euch!“, rief er mit tiefer Stimme. „Wir müssen Schutz suchen!“
Die Leute drehten sich um und machten beim Anblick der herannahenden Gefahr verbissene Gesichter.
Abel setzte sich wieder, nahm die Zügel auf und ließ sie über dem Rücken des Elchs schnalzen. „Schneller!“, rief er.
Der Elch hob den Kopf und stieß ein erschrockenes Blöken aus. Andere Elche warfen nervös ihre Geweihe auf und ab, rollten mit den Augen und stampften mit den Hufen.
„Sie haben schon viele Schneestürme erlebt“, dachte Abel beunruhigt. „Sie scheinen noch etwas anderes zu spüren … etwas Schlimmeres.“
Ein panisches Rufen ertönte hinter ihm und Abel blieb vor Schreck beinahe das Herz stehen. Abel wandte den Kopf um und schrie auf, als er einen riesigen Vogel entdeckte, der vom Himmel herabstürzte. Die Flügel waren weit ausgebreitet, die Krallen gebogen und der Kopf auf dem langen, dürren Hals nach vorne gestreckt. Der Vogel war schwarz und die Flügel abgerissen und zottelig. Der dunkle Körper schimmerte, als wären die Federn in Öl getaucht worden.
Er war abscheulicher als alle Aasgeier, die Abel je gesehen hatte. Und riesig! Der Kopf war kahl, nur über den Augen wuchsen ein paar weiße Federbüschel. Als der Vogel herabstürzte, schrammten seine Krallen über das Dach eines Wagens. Der Planwagen kippte auf die Seite und die Reisenden wurden in den Schnee geschleudert.
Abel sprang von seinem fahrenden Wagen, um den Leuten zu helfen. Er kam mit dem Fuß falsch auf, rannte aber trotzdem weiter. Der Vogel landete auf dem umgestürzten Wagen. Seine Krallen bohrten sich in die Holzbretter und sein Kopf beugte sich über die Plane, an der er mit dem Schnabel zu zerren begann.
Die anderen Elche jagten auseinander und zogen die Wagen hinter sich her. Gepäck und Menschen fielen in den Schnee. Ängstliche Schreie ertönten. Der Vogel erhob sich mit weiten Schwingen und ein entsetzlicher Gestank wehte mit dem heranbrausenden Sturm auf Abel zu.
Erneut stürzte der Vogel herab und schnappte sich mit seinem krummen Schnabel einen flüchtenden Mann. Er schüttelte ihn und schleuderte ihn in die Luft. Schreiend fiel der Mann zu Boden und blieb dort bewegungslos im Schnee liegen.
Der Vogel stieß ein schreckliches Kreischen aus und drehte sich zu Abel um. Mit seinen bösen Augen starrte er ihn an. Dann erhob er sich wieder und verdeckte den Himmel über Abel beinahe vollständig.
„Abel!“ Vom Ruf seines Vaters wurde er aus seiner Schockstarre gerissen. „Lauf, Junge! Rette dich!“
Er hatte noch nie solche Furcht in der Stimme seines Vaters gehört.
Abel gehorchte und rannte los. Der tiefe Schnee zog an seinen Füßen und er musste sich sehr anstrengen, nicht zu stolpern und zu fallen. Angst erfüllte sein Herz, weil er seinen Vater zurückgelassen hatte. Er wusste nicht, wohin er lief. Er musste nur weg von dem schrecklichen Vogel.
Er spürte den stinkenden Wind gegen seinen Rücken peitschen. Der Vogel schwebte über ihm und stieß ohrenbetäubende Schreie aus. Abel stolperte im Schnee, fiel hin und rappelte sich sofort wieder auf. Halb drehte er sich zu dem Vogel um und hob schützend die Arme über den Kopf. In diesem Augenblick brach wirbelnd und rauschend der Schneesturm über ihn herein. Heftige Windböen zerrten an Abel und warfen ihn beinahe um.
Die Augen des Vogels leuchteten durch den wirbelnden Schneesturm. Sie brannten rot wie Feuer. Blendende Lichtstrahlen schossen plötzlich aus den Augen. Der Doppelstrahl traf Abel ins Gesicht und sofort erfüllte ihn sengender Schmerz. Abel schrie gequält auf und drückte die Hände auf seine Augen. Zuckend brach er im Schnee zusammen.
Tom brachte Storm zum Stehen und starrte über die weite gefrorene Landschaft, die sich bis zum Horizont erstreckte.
Elenna ritt auf ihrer weißen Stute, Blizzard, neben ihn. Sie hatte die Stute nach dem Kampf gegen das Biest Striatos von einem Pferdeflüsterer geschenkt bekommen. Blizzard schüttelte ihre Mähne, schnaubte und stampfte mit den Hufen. Sie mochte den Anblick anscheinend nicht, der vor ihnen lag. Elenna zitterte vor Kälte und starrte aus zusammengekniffenen Augen geradeaus.
Sie hatten den Rand von Avantias Eisebene erreicht.
Toms Atem bildete weiße Wölkchen vor seinem Mund. Er beugte sich vor und klopfte Storm den Hals. „Die Temperatur sinkt schnell“, sagte er.
„Glaubst du, der Baum erscheint noch einmal auf der Karte, nach dem, was beim letzten Mal passiert ist?“, fragte Elenna.