Prolog
Die Straße nach Norden
Die Fallen
Toms Plan
Wind in den Bergen
Der Baum des Seins
Sanpaos Herausforderung
Rettung durch Arcta
An Bord des Piratenschiffs
Kampf mit dem Biest
Sieg oder Niederlage?
Mit besonderem Dank an Cherith Baldry
Für Elliot
Ich bin Sanpao, der Piratenkönig von Makai! Mein Schiff bringt mich an eure Küsten, um einen uralten Zauber zu erbeuten, der mächtiger ist als alles, was ihr kennt. Niemand wird es wagen, sich mir in den Weg zu stellen, auch Tom und seine Freunde nicht. Selbst Aduro wird euch dieses Mal nicht helfen können. Meine Piraten werden gnadenlos alles plündern und niederbrennen und meine Biester werden von keinem Helden aus Avantia zu schlagen sein.
Piraten, macht die Leinen los und hisst die Segel! Wir kommen, um zu erobern und zu zerstören!
„Flieg, Redwind!“
Hal sah lächelnd zu, wie sein geliebter Falke die Flügel ausbreitete und sich hoch in die Luft schraubte. Die Glöckchen an seinen Beinen bimmelten. Seit Jahren freute sich Hal zu sehen, wie sein Vogel über das nördliche Gebirge von Avantia flog.
Redwind war heute in Bestform. Hal musste die Augen zusammenkneifen, um im Gegenlicht den Umriss des Falken zwischen den Bergspitzen auf- und abtauchen zu sehen.
„Du bist der prächtigste Vogel in ganz Avantia“, rief er laut. „Und du wirst das diesjährige Flugrennen von Nord-Avantia gewinnen, das weiß ich einfa-“
Hal sprach nicht weiter. Denn Redwind schwebte plötzlich auf der Stelle. Zuerst dachte Hal, der Falke hätte auf dem Berghang Beute erspäht und mache sich zum Sturzflug bereit. Doch Redwinds Flügel waren weit ausgebreitet wie zum Segelflug. Aber er bewegte sich nicht das kleinste bisschen. Er wirkte gar nicht mehr wie ein echter Vogel, sondern wie ein Bild am Himmel.
Hal hob den Arm. Das war das Zeichen für den Falken, zu ihm zu fliegen. „Redwind, hierher!“
Aber Redwind bewegte sich nicht.
„Was ist los?“, wunderte Hal sich besorgt.
Er wollte gerade erneut rufen, als ihn plötzlich wie aus dem Nichts ein heftiger Windstoß traf und ihm den Atem raubte. Der Wind zwang ihn in die Knie.
Hal wehrte sich gegen die Sturmböe, die ihn wie die Hand eines Riesen zu Boden drückte. Es gelang ihm, wieder auf die Füße zu kommen. Er sah zu Redwind hoch, der mit den Flügeln auf und ab schlug. Jetzt verstand Hal. Der Vogel versuchte, gegen den Sturmwind anzufliegen, aber er kam nicht vorwärts.
Hal kämpfte darum, aufrecht stehen zu bleiben. Da entdeckte er einen goldenen Schimmer hinter einer der Bergspitzen. Ein riesiger, eidechsenähnlicher Kopf tauchte unter dem Falken auf. Seine Schuppen glänzten im Sonnenlicht und sein Maul war weit aufgerissen.
„Der Wind kommt aus seinem Maul“, begriff Hal. „Oh, nein. Redwind!“
Hal rief seinem Falken eine Warnung zu, aber seine Stimme wurde vom Wind verschluckt. Er konnte nichts tun, außer geschockt mit anzusehen, wie sich das Maul des Drachen um seinen gefiederten Freund schloss.
Sofort verschwand der Wind, als hätte jemand eine gigantische Tür geschlossen. Hal fiel auf die Knie. „Nein!“
Durch seine Tränen sah Hal die ganze Gestalt des furchtbaren Biests, das hinter den Felsen hervorkam. An den Eidechsenkopf schloss sich ein langer Drachenkörper an, der mit goldenen Schuppen bedeckt war. Auf dem Rücken hatte das Biest eine Reihe spitzer Stacheln und aus dem schlanken, muskulösen Körper ragte ein Flügelpaar. Mit kräftigen Flügelschlägen erhob sich das Biest in die Luft und schwebte über dem höchsten Berggipfel.
Seine Krallen glitzerten wie Diamanten und bohrten sich tief in den Fels, als das Biest auf einem Bergvorsprung landete. Es hockte sich auf den Fels, stieß ein triumphierendes Schnauben aus und senkte dann den Kopf.
Hal zuckte zurück. Er spürte den Blick des Biests auf sich ruhen, drehte sich um und rannte los.
Im Laufen warf er einen Blick über seine Schulter und sah, wie das Biest in die Luft aufstieg. Seine mächtigen Krallen rissen Furchen in die Bergwand, während es sich in die Tiefe herabstürzte. Sein fauliger Atem traf Hal und er hörte die Flügel durch die Luft zischen. Hals Füße trommelten durch das raue Gras, das so hoch stand, dass er den Stein nicht sah, an dem sein Fuß hängen blieb. Er krachte der Länge nach auf den Boden. Als der Schatten des Biests auf ihn fiel, wurde alles um ihn herum dunkel.
Tom zog an Storms Zügeln und brachte seinen Hengst zum Stehen. Dann holte er aus seiner Satteltasche die Landkarte aus Baumrinde. Elenna und er hatten den äußeren Rand der Grasebene erreicht und die nördlichen Berge ragten vor ihnen auf. Bedrohlich hoben sich die felsigen Gipfel vom Himmel ab.
Tom rollte die Karte auf und betrachtete die eingeritzten Straßen, Flüsse und Berge Avantias, dann schüttelte er enttäuscht den Kopf. „Der Baum des Seins ist immer noch nicht aufgetaucht“, sagte er zu Elenna.
Elenna kam auf ihrer weißen Stute Blizzard näher, lehnte sich herüber und warf einen Blick auf die Karte. „So lange hat es bisher nie gedauert“, sagte sie. „Wir brauchen unbedingt irgendeinen Hinweis, wo wir ihn finden können. Sonst …“
Elenna beendete ihren Satz nicht. Das brauchte sie auch nicht. Tom rollte die Karte zusammen und steckte sie wieder weg. Er versuchte, nicht daran zu denken, was passieren würde, wenn Sanpao und seine Piraten sie einholen würden. Elenna und er mussten als Erste am Baum des Seins ankommen, um das Königreich zu retten.
Tom wühlte in der Satteltasche und fischte seinen goldenen Kompass heraus. „Die Nadel zeigt immer noch auf Schicksal“, sagte er. „Wir sollten weiter nach Norden reiten.“
„Aber wenn der Baum im Süden oder Westen auftaucht, bekommen wir echte Schwierigkeiten“, murmelte Elenna besorgt. „Was, wenn er das Falsche anzeigt?“
„Der Kompass hat uns noch nie in die falsche Richtung geführt“, erwiderte Tom.
Er packte den Kompass wieder ein und forderte Storm zum Traben auf. Elenna folgte ihm auf Blizzard. Während sie weiterritten, warf Tom einen Blick über die Schulter. Vom Wald war jetzt nichts mehr zu sehen. Elenna und er waren immer noch müde und erschöpft von ihrem Kampf gegen Tritonas, aber Tom wusste, dass sie sich jetzt nicht ausruhen durften. Die Piraten aus Makai waren irgendwo da draußen. Und Avantia war in größerer Gefahr als jemals zuvor.
„Wir müssen den Baum des Seins unbedingt zuerst erreichen“, murmelte Tom in sich hinein. „Wenn Sanpao, der Piratenkönig, ihn in seine Finger bekommt, wird er die magischen Kräfte nutzen, um alle Königreiche zu überfallen und zu plündern.“
Aber das war nicht der einzige Grund, warum Toms Magen sich beim Gedanken an eine Niederlage zusammenzog. Der Baum des Seins konnte ein Portal nach Tavania öffnen, wo Toms Mutter Freya und Elennas zahmer Wolf Silver bei ihrer letzten Mission zurückgeblieben waren.
„Nur wenn wir zuerst am Baum des Seins sind, können wir sie retten“, dachte Tom.