Steven Low | Jarlo Ilano
KÖRPER HALTUNG
KORRIGIEREN
Steven Low | Jarlo Ilano
KÖRPER HALTUNG
KORRIGIEREN
Über 50 Übungen und Trainingspläne für ein schmerzfreies und aktives Leben
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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1. Auflage 2018
© 2018 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2017 bei Battle Ground Creative unter dem Titel Overcoming poor posture. © 2017 by Steven Low and Jarlo Ilano. All rights reserved.
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Übersetzung: Ulrich Korn
Redaktion: Carmen Achter
Umschlaggestaltung: Manuela Amode
Umschlagabbildung: vorn Corinne Karl, hinten Ryan Hurst
Fotos: Ryan Hurst und Alicia Nowak
Illustrationen: Corinne Karl
Satz: Carsten Klein, Torgau
Druck: Florjancic Tisk d.o.o., Slowenien
eBook: ePubMATIC.com
ISBN Print 978-3-7423-0651-7
ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-0218-9
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-0219-6
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1 Alles eine Frage der Haltung
2 Mit Haltungstraining zu einem besseren Lebensstil
3 Wie Körperhaltung und Schmerzen zusammenhängen
Schmerzen und Muskelverspannungen
Körperliche Anpassungsreaktionen und Haltungskorrektur
4 Die Körperhaltung im Alltag
5 Ihr Weg zu einer besseren Haltung
Was hindert uns daran, eine gesunde Haltung einzunehmen?
6 Übungen zur Haltungskorrektur
Beweglichkeits- und Stabilitätsübungen
Kraft- und Ausdauerübungen
Reset-Übungen
Weitere Übungen
7 Wie Sie Gewohnheiten ändern
Perfektion ist der Feind des Guten
Wissen, was Sie motiviert
Selbstwirksamkeit und Neuroplastizität
Die ersten Schritte
8 Training zur Haltungskorrektur
Übungsziele
Übungsanordnung
9 Schlusswort
10 Trainingspläne
Absolutes Minimum (für alle mit wenig Zeit)
Aufwärmen und Cool-down
Am Arbeitsplatz
Nacken und Rücken
Rücken und Unterkörper
Steigerung der Beweglichkeit und Haltungsreset
Erweiterungen für bestehende Trainingsroutinen
Übungsverzeichnis
Quellen
Über die Autoren
In der Welt der Fitness und der Medizin ist die Körperhaltung heute eines der am häufigsten missverstandenen Themen. Es gibt so viele Mythen rund um die Körperhaltung, mit denen man nur seine Zeit und Energie vergeudet und die einen ausgesprochen frustriert zurücklassen. Angesichts all der Fehlinformationen ist es wichtig, die Mechanismen der Körperhaltung zu verstehen. Dieses Verständnis verhilft uns zu einem besseren Aussehen, mehr Wohlbefinden und einer gesteigerten Leistungsfähigkeit.
Wenn es im Zusammenhang mit Fitness ein Prinzip gibt, das man unbedingt verstanden haben sollte, dann ist es das sogenannte SAID-Prinzip (Specific Adaption to Imposed Demand, zu Deutsch spezifische Anpassung an auferlegte Anforderungen), dem alle Reaktionen unseres Körpers folgen. Das SAID-Prinzip zeigt uns, dass der Körper sich entsprechend anpasst, wenn er mit bestimmten Reizen beziehungsweise Stimuli konfrontiert ist, sodass die Homöostase nicht gestört wird. Homöostase bedeutet vereinfach gesagt, dass der Körper alles tut, um das Gleichgewicht zwischen den äußeren Anforderungen und seinen Funktionen und Strukturen aufrechtzuerhalten. Wenn Sie beispielsweise Krafttraining mit schweren Gewichten absolvieren, reagiert Ihr Körper auf diese auferlegten Anforderungen mit einer spezifischen Anpassung, indem er die Knochendichte erhöht, das Bindegewebe intakt hält, mehr Muskelmasse aufbaut und neurologische Anpassungen vornimmt, um mehr Kraft zu entwickeln. Unsere Körperhaltung lässt sich als ein ähnlicher Prozess verstehen: Auch hier reagiert der Körper laufend auf die Anforderungen, die Sie ihm auferlegen.
Lange wurde die Körperhaltung als etwas Statisches begriffen: Die korrekte Ausrichtung verschiedener knöcherner Orientierungspunkte übereinander wurde als »gute« Haltung betrachtet. Diese knöchernen Orientierungspunkte reichen von den Sprunggelenken bis hoch zum Kopf. Die lineare Anordnung dieser Orientierungspunkte galt als die optimale Ausrichtung. Folgende knöcherne Orientierungspunkte stehen dabei im Fokus:
• Etwas vor dem Außenknöchel gelegener Punkt
• Etwas vor der Knieachse gelegener Punkt
• Etwas hinter der Hüftachse gelegener Punkt (der große Rollhügel am oberen Ende des Oberschenkelknochens dient als Orientierungspunkt)
• Lendenwirbelkörper
• Halbierungslinie durch das Glenohumeralgelenk (also das Schultergelenk, in dem das obere Ende des Oberarmknochens und das Schulterblatt sich treffen)
• Die meisten Halswirbelkörper
• Am Schädel der Punkt etwas hinter dem Scheitel der Kranznaht (in der Nähe der Protuberantia occipitalis externa, also der Knochenvorwölbung an der Außenseite des Hinterhauptbeins)
Diese Auffassung von der Körperhaltung als statisches System hat sich jedoch in den vergangenen Jahren vor dem Hintergrund zusätzlicher Forschungsanstrengungen gewandelt. Unsere Körperhaltung ist ein sehr komplexes Zusammenspiel zwischen dem neurologischen und dem muskulären System unseres Körpers. Beide ermöglichen es uns gemeinsam, bestimmte Haltungen einzunehmen. Einige Faktoren, die daran beteiligt sind, dieses Zusammenspiel zu gestalten, sind Gewohnheiten, neurologische Reflexe, Anpassungsreaktionen des Körpers und die Zeit.1 Lassen Sie uns diesen Zusammenhang anhand einiger Beispiele etwas verständlicher machen.
• Gewohnheiten: Was mit Gewohnheiten gemeint ist, ist leicht nachzuvollziehen. Wir schlafen oft auf die gleiche Art und Weise, putzen uns nach dem Aufstehen und vor dem Zubettgehen die Zähne und duschen zu bestimmten Zeiten. Es gibt zahllose weitere Beispiele für einen solchen typischen Tagesablauf. Gewohnheiten im Hinblick auf die Körperhaltung und -ausrichtung können tief in unserem Körper verwurzelt sein: Kinder, die von ihren Eltern oft gesagt bekamen, sie sollen gerade sitzen oder stehen, werden diese Angewohnheit, die ihnen in jungen Jahren nahegelegt wurde, sehr wahrscheinlich beibehalten. Wer eine militärische Ausbildung absolviert hat und häufig strammstehen musste, wird diese Gewohnheit vermutlich ebenfalls beibehalten. Andererseits wird jemand, der viel Zeit im Sitzen verbringt oder einen Schreibtischjob hat, eher dazu neigen, im Oberkörper mit gebeugtem Hals nach vorn zu sacken.
• Neurologische Reflexe: Haben Sie schon mal beobachtet, wie jemand im Auto oder im Flugzeug einschläft? Sitzt die Person aufrecht auf einem Stuhl und gleitet dann allmählich in den Schlaf, beginnt der Körper zu schwanken. Meist neigt sich der Körper zu der einen oder anderen Seite und sackt dann in sich zusammen. Zwischendurch richtet sich der Schlafende möglicherweise aus unerklärlichen Gründen ruckartig auf, ohne dabei aufzuwachen. Das ist ein neurologischer Reflex, den der Körper ganz von allein auslöst; ein Reflex also, der keiner bewussten Anstrengung bedarf und der den Körper aufrecht hält.
• Körperanpassungen: Im Hinblick auf die Aufrechterhaltung physiologischer Prozesse reguliert sich der Körper mit dem Ziel, wieder die richtige Balance zu finden, fortwährend selbst. Ähnlich wie Atome oder jede andere Art von hoch- oder höherenergetischen Objekten bewegt sich der Körper insbesondere bevorzugt auf einem möglichst niedrigen Energieniveau: Der Mensch liebt es, sich zu entspannen. Im niedrigstmöglichen Energiezustand des Körpers – beim Essen, Entspannen, wenn wir liegen und schlafen – dominiert der Parasympathikus: Beim Sitzen fordert eine nach vorn gebeugte Haltung dem Körper den geringsten Energieeinsatz ab. Sind die Muskeln des Körpers inaktiv, sinken wir zusammen oder krümmen unseren Rücken, während die Knochen und Bänder unser Gewicht halten. Dieses Streben nach einem geringen Energieaufwand ist einer der wesentlichen Faktoren dafür, dass wir beim Sitzen dazu neigen, in uns zusammenzusacken.
• Zeit: Die Zeit ist ein wichtiger Faktor im Zusammenspiel zwischen unseren Gewohnheiten und den Anpassungsreaktionen unseres Körpers. Wenn Sie regelmäßig vor dem Computer sitzen oder sich beim Lernen nach vorn über Ihr Buch beugen, versucht der Körper – vor allem hinsichtlich der Haltung – den Aufwand, den er erbringen muss, zu minimieren. Daher spannt er nun bestimmte Muskeln an, während er andere entspannt, um sich dieser Haltung anzupassen. Der Zeitfaktor gemahnt Sie daran, dass nicht nur Ihr Training Ihre Körperhaltung beeinflusst, sondern dass alles andere, was Sie im Laufe des Tages tun, ebenfalls eine Rolle spielt. Studenten und Büroangestellte, die über lange Zeiträume am Schreibtisch sitzen, müssen für ihre Haltung ein stärkeres Bewusstsein entwickeln als andere Menschen, deren Alltag stärker von körperlicher Aktivität geprägt ist.
Wie Sie sehen, bestehen zahlreiche Wechselwirkungen zwischen Angewohnheiten, neurologischen Reflexen und Anpassungsreaktionen, die die Körperhaltung jedes einzelnen Menschen beeinflussen.
Da wir neurologische Reflexe in der Regel nicht bewusst steuern können, konzentrieren wir uns im Folgenden auf die Herausbildung positiver Gewohnheiten, um eventuell bestehende Probleme zu korrigieren. Achtsamkeit hilft uns dabei, möglichen Problemen in Bezug auf körperliche Anpassungsreaktionen entgegenzuwirken. Die Entwicklung förderlicher Gewohnheiten und Achtsamkeit sind ausschlaggebend, um Nutzen aus einer guten Körperhaltung und -ausrichtung zu ziehen.
Falls Sie eine schlechte Körperhaltung haben und Ihren Körper in eine Haltung bewegen, die allgemein als gute Haltung betrachtet wird, werden Sie sich zunächst unbehaglich fühlen. Das liegt daran, dass Ihr Körper sich der schlechten Haltung angepasst hat und sie als normal empfindet, obwohl sie das in Wirklichkeit nicht ist. Ihre Standardhaltung wird Ihnen zur Gewohnheit, so wie wir uns auch das Rauchen, übermäßiges Essen, Zahnpflege ohne Zahnseide oder jede andere alltägliche Handlung angewöhnen können. Es ist ausgesprochen schwierig, schlechte Gewohnheiten loszuwerden, vor allem, wenn schon einige Zeit vergangen ist und Ihr Körper sich ihnen angepasst hat.
In den folgenden Kapiteln dieses Buchs werden wir tiefer in die Materie einsteigen und uns mit der Geschichte der Haltungskorrektur befassen, mit Schmerzen, Muskelverspannungen und der Bedeutung der Körperhaltung für verschiedenste Aspekte unseres Lebens – und natürlich damit, wie Sie Schritt für Schritt zu einer besseren Körperhaltung gelangen können.
Eine gute Körperhaltung bringt immense Vorteile mit sich. In unterschiedlichen Studien wurde nachgewiesen, dass eine verbesserte Haltung mehr Kraft2 und mehr Selbstbewusstsein3 zur Folge haben kann. Im Tierreich betrachten wir das als etwas ganz Alltägliches; unterschiedliche Körperhaltungen spielen im sozialen Miteinander und beim Festlegen der Rangordnung eine große Rolle. Was hingegen uns Menschen angeht, so sind Fragen der gesellschaftlichen Hierarchie gemeinhin heiß diskutiert – wir sollten in diesem Zusammenhang aber auch die positiven Auswirkungen einer guten Körperhaltung berücksichtigen.
Neben der Tatsache, dass man sich stärker und selbstbewusster fühlt, bietet eine gute Haltung noch weitere Vorteile. Das aus bestimmten Haltungen resultierende Selbstbewusstsein wirkt sich auch auf die Selbstwahrnehmung bei Tests und Bewerbungsgesprächen aus.4 Eine gute Haltung kann darüber hinaus die Testosteronproduktion steigern,5 das Risiko von Erkrankungen verringern6 und die Schmerztoleranz erhöhen.7 Bei älteren Erwachsenen wirkt sich der Winkel der Nackenstellung sogar auf die kognitiven Prozesse, also auf die Verarbeitungsvorgänge im Gehirn aus.8 All diese positiven Aspekte stehen in Zusammenhang mit unserer Körperhaltung – aber das ist längst noch nicht alles.
Den Fokus auf die Körperhaltung zu legen, trägt zu einer insgesamt besseren Ausrichtung der körperlichen Strukturen bei. Das verbessert die sportliche Leistung, senkt die Anfälligkeit für Verletzungen und begünstigt ein effizienteres Atemmuster. Letzteres lässt sich leicht nachvollziehen: Versuchen Sie einmal, tief und entspannt zu atmen, während Sie nach vorn gebeugt sitzen.
Dennoch existiert, ganz real betrachtet, keine gute Haltung und keine Klassifikation guter Haltungen. Es gibt nicht die eine richtige oder gute Haltung. Vielmehr hat jeder Mensch seine ganz einzigartige, individuelle gute Haltung. Das mag auf den ersten Blick Ihrer Intuition widersprechen, entspricht aber den Tatsachen.
Wäre eine schlechte Haltung für sich genommen die Ursache für Schmerzen, würden dann nicht alle, die eine starke seitliche Wirbelsäulenverkrümmung (Skoliose) haben, von Rückenschmerzen geplagt? Wäre die Haltung die Schmerzursache, würden dann nicht diejenigen, die an den Rollstuhl gefesselt sind, mehr Schmerzen haben, je länger sie darin sitzen? Wir wissen, dass Menschen mit ausgeprägtem Schiefwuchs der Wirbelsäule oder Rollstuhlfahrer nicht in jedem Fall unter stetig stärker werdenden Schmerzen im unteren Rücken oder anderen Schmerzen leiden. Häufig haben Menschen mit einer seitlichen Wirbelsäulenverkrümmung oder Rollstuhlfahrer sogar überhaupt keine Rückenschmerzen. Das zeigt uns, dass eine bestimmte Körperhaltung nicht zwangsläufig als gut oder schlecht eingestuft werden kann.
Interessanterweise haben Studien gezeigt, dass der Winkel der Beckenneigung, eine Lumballordose (die normale Biegung der Lendenwirbelsäule nach vorn in Richtung Bauch) und die Thoraxkyphose – die natürliche Krümmung der Brustwirbelsäule – nicht mit einer Schmerzzunahme im unteren Rücken verbunden sind.9 Ein Anterior Pelvic Tilt, also eine Neigung des Beckens nach vorn, wird häufig für Probleme im Zusammenhang mit der Körperhaltung und mit Schmerzen im unteren Rücken verantwortlich gemacht. Das ist falsch. Es scheint, dass die Haltung selbst nicht unmittelbar an der Entstehung von Rückenschmerzen beteiligt ist. Vielmehr werden Schmerzen durch ganz andere Faktoren ausgelöst.
Die Nourbakhsh-Studie10 gibt uns einen Hinweis auf die Faktoren, die mit einem vermehrten Auftreten von Schmerzen im unteren Rücken einhergehen. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass unter allen untersuchten Faktoren die Rückenstreckmuskulatur am engsten mit Schmerzen im unteren Rücken in Zusammenhang steht. Andere Faktoren, wie die Länge der Rückenstreckmuskulatur und die Kraft der Hüftbeuger, der Hüftadduktoren und der Bauchmuskeln, waren ebenfalls deutlich mit Schmerzen im unteren Rücken verbunden. Das lässt die Schlussfolgerung zu, dass muskuläre Ausdauer und Muskelschwäche in Zusammenhang mit Schmerzen im unteren Rücken stehen, während strukturelle anatomische Faktoren, wie zum Beispiel das Ausmaß der Lumballordose, die Beckenneigung, die unterschiedliche Beinlänge sowie die Länge der Bauchmuskeln, der ischiocruralen Muskeln und des Musculus iliopsoas, nicht mit dem Auftreten von Schmerzen im unteren Rücken verbunden sind.