Elizabeth Scarborough
Bronwyns Fluch
Roman
Aus dem Amerikanischen von Rose Aichele
FISCHER Digital
Elizabeth Scarborough schreibt eine ganz spezielle Sorte heiter-ironischer Phantasien. Wie keine andere versteht sie es, mit altbekannten Versatzstücken des phantastischen Genres zu jonglieren und daraus höchst originelle, neuartige Geschichten zusammenzusetzen. Sie wurde in Kansas City/USA geboren. Nach der Schule arbeitete sie fünf Jahre als Militärkrankenschwester, darunter auch ein Jahr als Sanitäterin in Vietnam. Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit pflegt sie häusliche und musische Hobbies – weben, spinnen, Gitarre und Hackbrett spielen. Mit ›Aman Akbars Harem‹ schrieb Elizabeth Scarborough einen rasanten Roman aus dem Orient der Legenden, der in der Bibliothek der phantastischen Abenteuer erschien. Elizabeth Scarborough lebt heute in Fairbanks/Alaska.
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Im dritten Band der »Gretchen-Grau-Geschichten« wird von Bronwyn – Brüllos und Bernsteinweins Tochter – berichtet. Sie ist das Ebenbild ihres Vaters: groß, stürmisch, tolpatschig, gutmütig, laut und von unstillbarem Tatendrang und Kampfesmut erfüllt. Nur die Wahrheit sprechen kann sie nicht, weil ein Fluch auf ihr lastet, den bisher keiner lösen konnte. Da Kronprinz H. Würdigmann der Würdige die Gesellschaft der Zigeunerkönigin Xenobia dem Thron vorgezogen hat, regiert in Ablemarle jetzt sein Bruder, Würdigmann der Unwürdige, der Absichten auf Argonia hat.
Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.
Erschienen bei FISCHER Digital
© 2018 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung: buxdesign, München
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Impressum der Reprint Vorlage
ISBN dieser E-Book-Ausgabe: 978-3-10-562118-9
Zur Erinnerung an Leslie Taylor, die ich immer in liebevollem Andenken behalten werde, und an meinen geliebten Kater, »Saddleshoes«, der Chings geistiger Vater war.
Dieses Buch ist auch meinem Bruder, Monte und Robert Aranow gewidmet.
Das Große Band ist vor allem Karen H. gewidmet.
Ich danke auch Linda Aranow-Brown, Robert Brown und Chris Opland für ihre treue Zuhörerschaft, ebenso Prof. Dean Gottehrer fürs Fahnenlesen, Nora Young und dem verstorbenen Teeny Fittroon für die Anregungen bezüglich der Charaktere und schließlich Zelma Trafton für ihren Einfall, ein versunkenes Schloß in die Geschichte mit einzubeziehen.
Bronwyn die Kühne | erstgeborene Prinzessin von Argonia, ein großes, gutmütiges und tolpatschiges Mädchen, auf dem ein schrecklicher Fluch lastet: sie kann nicht die Wahrheit sagen |
König Brüllo Eberesch | ihr Vater |
Königin Bernsteinwein | ihre Mutter |
Prinzessin Gretchen Grau | ihre Tante |
Graf Colin von Wurmhorst | deren Gatte |
Karola | deren Tochter, Bronwyns Kusine |
Anastasia | eine verzauberte Schwänin, früher Prinzessin |
Jacopo (Jack) | ein Zigeunerjunge, zugleich Thronfolger von Ablemarle |
zwei Sirenen, mit Bronwyn entfernt verwandt | |
Belburga | eine Menschenfresserin |
ihre Töchter | |
Leofwin | Herrscher von Frostingdung, verheiratet mit Lilienperle |
Leofrig | sein erster Drilling, verheiratet mit Tausendschön |
Leofric | sein zweiter Drilling, ein Einsiedler |
Jehan der Flotte | ein Piratengeist |
Furchtbart | ein böser Zauberer, Gretchen Graus Großonkel |
Gilles Kilgilles | ein Edler an Leofwins Hof |
florierendes Wüstenunternehmen für Zaubereibedarf; Propheten des Profits |
Aus den Argonischen Archiven für den Argonischen Herold übersetzt von Cyril Hühnerstange:
Kronprinzessin bei Taufe verflucht
Königin wird ohnmächtig, als
verhextes Spielzeug die Thronerbin
Bronwyn als »Lügnerin« brandmarkt
Bent Eiswurm im Norden Argonias: Während des ersten Regierungsjahrs König Brüllos des Roten … Zu Beginn dieses Jahres wurde die Königliche Taufe der Erstgeborenen des Königspaares durch ein verhextes Taufgeschenk verdorben, ein Männchen, das aus einer Schachtel heraussprang und der winzigen Prinzessin Bronwyn ins Gesicht schrie: »Du bist eine Lügnerin!« – und sie auf diese Weise dazu verdammte, eine solche zu werden. Königin Bernsteinwein sank hysterisch kreischend, aber anmutsvoll ihrem Gebieter in die Arme und wurde ohnmächtig, während die Thronerbin, die vor Erregung laut aufschrie, von den Umstehenden besänftigt wurde.
Die Sachverständigen befürchten, daß die Prinzessin wegen des Fluchs nicht in der Lage sein wird, ihrem Vater, dem König, auf dem Thron nachzufolgen, und wie aus unterrichteter Quelle verlautet, soll der König eine Ermittlung in Gang gebracht haben, um dem Fluch auf den Grund zu gehen.
Geheimer Erlaß Seiner Königlichen Hoheit! König Brüllo I. an den Hauptarchivar, Herrn Cyril Hühnerstange:
»Hühnerstange: Während wir Ihre Idee grundsätzlich billigen, die archivierten Dokumente im Hinblick auf den Zeitpunkt, da die Bevölkerung zu lesen lernt, in einem volkstümlicheren Stil abzufassen, war doch der oben genannte Artikel nicht ganz das, was uns vorgeschwebt hatte. Wie Sie wissen, war unser Versuch, die Prinzessin vom Fluch zu befreien, nicht so ganz erfolgreich. Unsere diesbezüglichen Ermittlungen müssen nun aber zurückgestellt werden, weil andere Staatsangelegenheiten vordringlicher sind. Deswegen haben Wir zusammen mit Unserer Königin beschlossen, die Sache nicht weiter publik zu machen, bis wir Uns eines anderen besinnen sollten, damit es unsere Untertanen nicht an der nötigen Achtung gegenüber unserer Tochter fehlen lassen und das Leben für das winzige Mädchen noch schwerer machen als es ohnehin schon ist. Diejenigen aber, die von Bronwyns Fluch wissen, sollen in ihrer Gegenwart die Klappe halten, damit die Prinzessin so normal als irgend möglich aufwächst und nicht für etwas bestraft und verfolgt wird, an dem sie keine Schuld trägt. Wir wissen, daß wir in dieser Sache auf Ihre Treue zählen können. Der König: Brüllo.«
Aus den argonischen Archiven für den Argonischen Herold übersetzt von Cyril Hühnerstange
Gute und schlechte Nachrichten: Königin Bernsteinwein
schwanger nach einer Pause von mehr
als zehn Jahren und: Ablemarle entsendet Invasionsflotte
Königinstadt: Unter der Regierung König Brüllos, des Roten, im Jahr des Großen Krieges … Dieses Jahr hat ein Sprecher des Königshauses verkündet, daß unsere liebe Königin dank der Gnade der Großen Mutter wieder ein Kind unter dem Herzen trägt, das unserem Reich zur größeren Ehre gereichen wird. Seit der Geburt Prinzessin Bronwyns vor mehr als zehn Jahren war die Königin zwar auf eine sehr elegante, aber doch auch sehr unfruchtbare Weise schlank gewesen. Wegen der zarten körperlichen Verfassung Ihrer Majestät haben ihr ihre Heiler empfohlen, während der Schwangerschaft im Bett liegen zu bleiben. Der König soll angeblich gesagt haben, daß es ihm gleich ist, ob das Baby ein Junge oder ein Mädchen wird, solange Mutter und Kind gesund sind.
Auf der Schattenseite der Nation wurde von amtlicher Seite bestätigt, daß der König vor seinem Rat habe verlauten lassen, daß wir uns nun offiziell im Krieg mit Ablemarle befinden. Ein verläßlicher königlicher Spion hat die ablemarlonische Flotte mit König Würdigmann dem Unwürdigen an Bord des Flaggschiffs entdeckt, die sich auf dem Weg hierher befindet. Einem unoffiziellen Bericht zufolge sollen die Ablemarlonier vorhaben, eine geheime Waffe einzusetzen, die Tod und Verderben über uns bringen wird, möge uns die Große Mutter davor bewahren! König Brüllo hat sich unterdessen mit den vereinigten Streitkräften, der Armee, der Marine und der aus drei Drachen bestehenden Luftwaffe auf den Weg gemacht, um die Pläne der niederträchtigen Aggressoren zu vereiteln.
Die Gräfin von Wurmhorst (geborene Greta Grau), die Halbschwester der Königin, wurde von Seiner Majestät dazu ernannt, die Regentschaft während seiner Abwesenheit und der Unpäßlichkeit der Königin zu übernehmen. Die gnädige Frau, ihrer natürlichen Anlage nach eine Herdhexe, ist auch eine Nationalheldin (laut dem Bericht über Gräfin Grau und dem Graf Colin in der uralten Ausgabe des argonischen Herolds aus dem Jahr, in dem König Brüllo gekrönt wurde, in dem erzählt wird, wie die beiden Ihre Majestät, Königin Bernsteinwein aus den Fängen des Bösen erretteten). Gräfin Greta wurde von Seiner Majestät, dem König, vor einigen Jahren zur Ehrenprinzessin erwählt, einen Titel, den sie aber aus Bescheidenheit nicht führt. Ihr Gemahl, Colin Liedschmied, Graf von Wurmhorst und Präsident der Vereinigung der ehemaligen Studenten der Gesangsschule, reist derzeit im Land herum, um die Bevölkerung mit Liedern und Worten zu der Verteidigung des Königs und des Vaterlandes aufzurufen. Möge die Große Mutter seine Schritte beflügeln und ihm Erfolg gewähren!
Die Wangen Bronwyns der Mutigen glühten immer noch vom Gefecht, als der Haushofmeister sie in dem kleinen Hof unter der östlichen Mauer des königlichen Palastes fand. Bäume, Mauern, Turnierattrappen und das geschätzte Petunienbeet der Königin waren je nachdem zerhackt, zerquetscht oder auf irgendeine andere Weise verstümmelt. Die Prinzessin kniete neben der Mauer, ihr kurzes Schwert steckte in der Scheide, um abzukühlen und ihr roter, geschnitzter Schild lag in der Nähe. Sie war offensichtlich zufrieden mit der Niederlage, die sie ihren Feinden beigebracht hatte, und beugte sich über die ausgestreckten Leiber der Puppen. Jede einzelne war mit einem Taschentuch bedeckt, in das das Monogramm der Prinzessin eingestickt war.
»Gnädiges Fräulein«, begann der Haushofmeister …
»Was gibt’s, Onkel Binky?« fragte sie, indem sie dabei mit zarter Stimme das Brüllen ihres Vater nachzumachen versuchte. »Siehst du denn nicht, daß ich’s hier mit einigen tödlich Verwundeten zu tun habe? Wir brauchen sofort Sanitäter und Medikamente!«
»Ja, gnädiges Fräulein«, antwortete der Haushofmeister in einem sachlichen Ton, und mit einer Miene, die vom langen und mühevollen Üben völlig unbeweglich geworden war, fügte er hinzu: »Ich werde mich persönlich darum kümmern, gnädiges Fräulein …«
»General tut’s auch«, sagte Bronwyn wohlwollend, weil sie sehr froh darüber war, jemanden gefunden zu haben, mit dem sie plaudern konnte. Sie sprang auf und nahm den Haushofmeister bei der Hand, eine ganz normale Geste für ein Kind, nur daß ganz gewöhnliche kleine Mädchen königliche Gefolgsleute in der Regel nicht überragten. »Was gibt’s Neues hinter unseren Linien?«
»Ihre Frau Mutter möchte etwas mit Ihnen besprechen, gnädiges Fräulein«, erwiderte der Haushofmeister.
»Sie hat doch nicht etwa …?« fragte Bronwyn und zog dabei aufgeregt an seiner Hand.
»Nein, gnädiges Fräulein, sie hat noch nicht und wird auch nicht vor Ablauf eines Monats entbinden, wie Prinzessin Greta Ihro Königlicher Hoheit bereits gesagt hat«, sagte er und preßte daraufhin seine Lippen so fest zusammen, als ob er befürchtete, daß Bronwyn seine Zähne klauen wolle.
Nicht nur vom Haushofmeister, sondern auch von all den anderen Leuten, die ihr aufwarteten, war es Bronwyn gewohnt, daß sie eine seltsame Haltung annahmen, wenn sie sie nach etwas fragte oder mit ihnen sprechen wollte, wie gewöhnlich schwatzte sie munter drauflos, so als ob er jede ihrer Bemerkungen beantworten und ihr seine ungeteilte Aufmerksamkeit zuwenden würde. Sie vermutete, daß es mit ihrem hohen Rang zusammenhing, daß alle vor ihrer Person soviel Respekt hatten, daß sie in ihrer Anwesenheit nicht mehr richtig sprechen konnten. Später kam sie aber dann doch zu dem Schluß, daß sein Schweigen ungewöhnlicher gewesen war als sonst und mehr der stoischen Ruhe eines Wachtpostens geglichen hatte, der seinen Gefangenen zum Schafott führt oder mindestens zum schlimmsten aller möglichen Exile.
Gretchen, das heißt die Gräfin von Wurmhorst, ging im königlichen Krankenzimmer mit einer Besorgnis auf und ab, die auch nicht die schweren Schritte ihrer Nichte mildern halfen, die sich nun von der Eingangshalle her näherten. Wenigstens würde dieses Gespräch kurz werden, aber es würde nicht einfach sein.
Sie blickte zur Königin hinüber – die natürlich schlief, was sie aber auch tun sollte, um sich wenigstens das bißchen Kraft, das ihr noch geblieben war, zu erhalten. Abgesehen von der Wölbung ihres Bauches, dessen Konturen von einer weißen Satindecke verwischt wurden, machte die Königin auf Gretchen einen sehr viel zerbrechlicheren Eindruck als zuvor; die Knochen standen wie bei einem gerupften Huhn ab, und ihre Haut war so durchsichtig geworden, daß auf eine gespenstische Weise das blaue Geäder durchschien. Gretchen liebte ihre ältere Halbschwester und wünschte, daß sie etwas mehr für sie hätte tun können, als ihr Gesellschaft zu leisten, wenn sie erwachte oder sich darum zu kümmern, daß ihr Nachttopf immer geleert und ihr Bettzeug makellos sauber war.
Obwohl Gretchen offiziell Regentin war, wußte sie doch nur soviel vom Regieren, daß man es am besten den paar fähigen Ministern überließ, die der König dazu ausersehen hatte, daß sie sich um die Kriegsvorbereitungen an der Heimatfront kümmerten. O ja, sie hatte natürlich von ihrer Herdhexenzauberkraft Gebrauch gemacht, die ihr erlaubte, alle Arbeiten, die mit dem Haus zusammenhingen, auf magischem Wege zu erledigen, so konnte sie zum Beispiel helfen, das Schloß mitsamt der umgebenden Stadt für den Belagerungsfall vorzubereiten. Aber sie hoffte natürlich, daß die Vorbereitungen, die sie gemacht hatte und die hauptsächlich darin bestanden, die vorhandenen Lebensmittelvorräte zu erweitern und über den Winterbedarf hinaus zu lagern, gar nicht notwendig waren.
Mit ein bißchen Glück würde König Brüllos Armee Würdigmann den Unwürdigen und die ablemarlonischen Streitkräfte zurückschlagen und sie von der Verwerflichkeit ihres Vorhabens überzeugen. Natürlich würde das nicht leicht werden. Würdigmann war ein skrupelloser Schurke und Verschwender, der in einem seiner lichten Momente beschlossen hatte, einen großen Teil des Kronschatzes für ein stehendes Heer von Berufssoldaten auszugeben. Ohne auch nur zu versuchen, ein Handelsabkommen zu erwirken, hatte er gleich danach König Brüllo unter dem Vorwand den Krieg erklärt, daß sein Land argonisches Bauholz für den Schiffsbau benötige, was sogar stimmen konnte, da nämlich die restlichen Waldgebiete Ablemarles unter seiner Anweisung abgeholzt und kultiviert worden waren. Der König, Gretchen und ein paar andere hegten jedoch den Verdacht, daß Würdigmann in Wirklichkeit hoffte, bei dem Feldzug seinen älteren Bruder und legitimen Thronfolger zu finden und zu eliminieren. Obwohl es der Bruder vorgezogen hatte, sein weiteres Leben in friedfertiger Weise bei den argonischen Zigeunern zu verbringen, hatte er im Mittelpunkt von diversen ablemarlonischen Rebellionen gestanden. Welche Gründe der Krieg auch haben mochte, Gretchen wünschte, daß er schon vorüber wäre und daß sie mit Colin und ihrer eigenen Tochter Karola wieder heil zurück auf Wurmhorst wäre.
Was sie wieder an ihr vordringliches Problem erinnerte – das sowohl Karola als auch Bronwyn betraf. Zu schade, daß ihr der König nicht einen weisen Minister hiergelassen hatte, dem sie die Lösung dieser lästigen häuslichen Krise auftragen könnte, aber unglücklicherweise mußte sie mit der Königin allein weiterwursteln.
Wenn sie nur diese Bronwyn nicht so furchtbar irritiert hätte! Mit ihren ständigen Tollheiten provozierte sie Gretchen so sehr, daß diese sich offensichtlich nur noch mit ihr unterhalten konnte, indem sie sie anschrie, obwohl sie wußte, daß das, was sie am meisten ärgerte, gar nicht die Schuld des armen Mädchens war. Bronwyn konnte von Glück sagen, daß Gretchen nur eine Herdhexe und keine Verwandlungskünstlerin wie Großmutter Grau oder eine wirklich bösartige Hexe wie Gretchens kinderfressende Ur-Ur-Urgroßmutter Elspat war, dann hätte Ihre Königliche Hoheit, Prinzessin Bronwyn, zuweilen mit sehr viel schwereren Strafen rechnen müssen, als nur angeschnauzt zu werden …
»Die Prinzessin Bronwyn«, kündigte der Haushofmeister an der Eingangstür an.
»Meinst du eigentlich, daß wir das nicht mit unseren eigenen Augen sehen können?« fuhr ihn Gretchen an – das verflixte Mädchen hatte sie schon wieder ganz aus dem Konzept gebracht. Der Haushofmeister zog sich schnell wieder zurück, und Bronwyn lächelte ihre Tante schüchtern an, was bei solch einem strammen Mädchen ziemlich lächerlich aussah. Dann rückte sie seitwärts, ohne Gretchen aus den Augen zu lassen, von der sie eine Ohrfeige zu erwarten schien, ans Bett ihrer Mutter. Im letzten Augenblick stolperte sie, so daß sie längelang über die schlafende Königin fiel. Bernsteinwein keuchte und setzte sich auf, wobei sie ihre Tochter am Arm packte. Mit der einen Hand hielt Bronwyn ihre Mutter am Ellbogen fest und mit der anderen bürstete sie sie ab, als ob sie durch die Berührung schmutzig geworden wäre.
»Laß sie los, Nichte, du wirst sie noch zerdrücken!« riet Gretchen so ruhig wie möglich.
Bronwyn sprang hastig auf.
Die zerbrechliche Königin zwinkerte zweimal mit ihren großen, grünen Augen und streckte ihrer Tochter die Hand hin, die sie zaghaft ergriff. »Schön, dich zu sehen, Liebes«, sagte die Königin, »wie geht’s dir denn so?«
»Prima, Mama, um nicht zu sagen, phantastisch!« erwiderte Bronwyn. »Ich habe gerade die ganze ablemarlonische Armee niedergemetzelt und ihre Anführer in deinem Namen aufknüpfen lassen!«
Gretchen stöhnte und Bernsteinwein wurde – soweit möglich – noch blässer. »Äh – wie lieb von dir, mein Täubchen«, sagte sie schließlich, »bist du aber ein aufmerksames Kind, stimmt’s, Gretchen?«
Gretchen schüttelte den Kopf und brachte ein klägliches Lächeln zustande. Von ihrer Mutter hatte Bronwyn nur die Augen und das Kinn, ansonsten glich sie ganz und gar ihrem Vater. Sie machte ihren Vorfahren väterlicherseits alle Ehre: Eberesch dem Wilden, dem Wüterich oder Eberesch dem Rücksichtslosen, für König Brüllo hätte sie einen ganz vortrefflichen Sohn abgegeben. Schade, denn in den weiblichen Disziplinen war sie eine vollkommene Niete. Sie hatte schon so viele Gewänder ramponiert, daß ihre Hofdamen schließlich resignierten und ihr erlaubten, in der Kleidung herumzulaufen, die sie aller anderen vorzog und die nur aus einem einfachen Unterrock und der Rüstung bestand. Irgendwie klirrte sie auch jetzt, als sie am Bettrand saß. Sie hatte sich nicht mit ihrem ganzen Gewicht darauf niedergelassen, befürchtend, ihrer Mutter die Knochen zu brechen, wenn sie es sich bequem machte. Sie war nun mal ein sehr groß geratenes Mädchen – überragte sowohl Gretchen als auch Bernsteinwein um eine halbe Körperlänge, und hatte dabei das ungute Gefühl, erst noch lernen zu müssen, ihren Körper zu beherrschen. Sie hatte begriffen, daß sie allem, was sie umgab, im Handumdrehen einen nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügen konnte. Wenn man ihr doch nur erlauben würde, in etwas anderes als die eigenen Finger hineinzustechen, wie dies bei ihrem ernsthaften, aber letztlich schmerzhaften Versuch, Handarbeiten zu machen, der Fall war, dann wäre das Kind trotz seiner Schwierigkeiten vielleicht noch zu etwas gut gewesen.
Bernsteinwein bemerkte Gretchen und sagte zu Bronwyn: »Deine Tante hat eine wunderschöne Überraschung für dich, Liebes, nicht wahr, Gretchen?«
Gretchen bekam wieder Gewissensbisse, als sie einen Hoffnungsschimmer und freudige Erwartung in den Augen des Mädchens aufblitzen sah, aber bevor Bronwyn übers ganze Gesicht zu lachen anfing, verlor Gretchen den Mut und ließ Bernsteinwein die Unterhaltung weiterführen. Ob die Königin nun krank war oder nicht, schließlich war sie Bronwyns Mutter. Sollte sie ihr also die Neuigkeiten beibringen. »Ich glaube, ihr wär’s lieber, wenn du’s ihr sagen würdest«, sagte Gretchen.
»Mir sagen – was denn?« fragte Bronwyn in einem Tonfall, der wie eine kindliche Parodie auf ihres Vaters dröhnende Stimme klang.
Vor lauter Aufregung konnte Bronwyn kaum mehr still sitzen.
Bernsteinwein warf Gretchen einen gekränkten Blick zu und sagte zu Bronwyn: »Nun, wir haben für dich eine hübsche Reise aufs Land arrangiert, Liebes. Damit du auch die Teile des Königreiches siehst, die du bis jetzt noch nicht kennst und vor allem damit du deine Kusine Karola kennenlernst. Es muß ja furchtbar langweilig für dich sein, die liebe lange Zeit über im Schloß so eingesperrt und …«
»Aber das ist es nicht, Mama, ehrlich«, protestierte Bronwyn, obwohl es wirklich der Fall war.
»Und schließlich ist da ja auch noch deine Pflicht, kleines Fräulein«, mischte sich Gretchen ein, bevor Bernsteinwein wieder die Kontrolle über das Kind verlor, »deiner Mutter, deinen Untertanen und Argonia gegenüber«, fügte sie hinzu. »Irgendwann einmal mußt du von deinem Königreich außer dem Regierungssitz auch noch etwas anderes kennenlernen, und jetzt ist die günstigste Zeit dazu!«
Bronwyn wollte gerade schon wieder dagegen protestieren, aber dieses Mal blieb Bernsteinwein hart.
»Übrigens will auch ich es so haben«, warf Bernsteinwein ein, »Gretchen und ich waren so gute Freundinnen, als wir klein waren, deswegen mußt du auch Karola kennenlernen und dich mit ihr anfreunden. Ich möchte ja nur, daß du Freunde gewinnst … und Liebes – schau mich nicht so an – du wirst dabei natürlich auch sehr viel Spaß haben! Gretchen, erzähl ihr doch von dem Schloß im Eis, dem Drachen, den Tieren dort und dem Plappermaulfluß!«
Gretchen fing nun an, sehr schnell zu reden und stolperte über ihre eigenen Worte. Sie wollte die optischen Besonderheiten von Schloß Wurmhorst schildern, bevor die Prinzessin zu heulen anfing oder irgendeinen anderen Aufstand inszenieren konnte, über den sich Bernsteinwein vielleicht fürchterlich aufregen würde. Von Bronwyn abgesehen, beunruhigte es die Königin schließlich schon genug, daß sie ein Kind bekam und liegen mußte, während ihr Mann einen Krieg führte, und dem Land ein feindlicher Überfall bevorstand. Auch war es ja nicht nur so, daß ihr das ungestüme Mädchen in einer so kritischen Zeit zu schaffen machte, sondern wenn die neuesten Berichte stimmten, und der Feind den Golf der Kobolde erreicht hatte, mußte es nur noch dem König durch irgendeinen unglücklichen Zufall mißlingen, die feindliche Flotte aufzuhalten, so daß es auch nicht mehr lange dauern würde, bis die feindliche Flotte im Hafen von Königinstadt auftauchen würde. Schließlich war Bronwyn die Kronprinzessin und mußte an einen sicheren Ort gebracht werden. Aber Bernsteinwein war überzeugt, daß sich ihre Tochter weigern würde wegzugehen, wenn sie wüßte, wie gefährlich die Situation eigentlich war, obwohl es die nationale Sicherheit gerade erforderte, daß Bronwyn Königinstadt verließ. Gretchen war der Ansicht, daß das Mädchen langsam erwachsen werden mußte; aber Gretchen war natürlich nicht die Königin und auch sehr froh darum. Das mindeste, was sie tun konnte, war weiterzureden. Ach, sie hätte sich nun so sehr gewünscht, die Redegabe ihres Gatten zu besitzen und seine überzeugende Musikalität, um glaubwürdiger zu klingen.
Bronwyn, die sich vom Bett ihrer Mutter erhoben hatte, um Haltung zu bewahren, unterbrach sie mitten im Satz. Ihr Gesicht war in einem schmerzlichen Lächeln erstarrt, das aber nicht genügte, um das Zittern ihres sommersprossenübersäten Kinns unter Kontrolle zu bringen. »Ich danke dir für deine aufregende Geschichte, hochherrschaftliche Tante, aber wenn es mir meine königliche Mutter befiehlt, so werde ich die Verbannung, die mir auf deinem Schloß bevorsteht, ohne Zweifel auch genießen. Wenn ihr mich nun entschuldigen würdet, damit ich mich auf die Reise vorbereiten kann«, sagte Bronwyn und wandte sich zum Gehen.
Gretchen und Bernsteinwein atmeten erleichtert auf, weil Bronwyn im Unterschied zu sonst so gefügig gewesen war. Sie mußten in dem Augenblick mit ganz anderen Problemen beschäftigt gewesen sein, und es zeugte auch von Bernsteinweins angegriffener Gesundheit, daß ihnen erst sehr viel später auffiel, daß Bronwyns scheinbar so vernünftige Haltung eigentlich verdächtiger war als jede Show, die sie abgezogen hätte. Denn der Ärger mit Bronwyn lag ja darin, daß sie, ohne selbst etwas dafür zu können, einfach nicht die Wahrheit sagen konnte.
Spätestens als die Prinzessin mit rasselndem Harnisch aus der Kutsche ausstieg, dämmerte es bei der Ehrenwerten Karola, daß es vielleicht doch nicht so aufregend wäre, hier eine Königliche Hoheit um sich zu haben, als ihr anfänglich weisgemacht worden war, auch wenn es sich dabei um ihre Kusine handelte. Seitdem der Bote durch einen Vogel die Nachricht von der Ankunft der Königlichen Hoheit vor einem Monat hatte überbringen lassen, hatten sich Karolas Gedanken fast ausschließlich um den Besuch gedreht. Die Bewohner rings um Wurmhorst waren alle Umsiedler und Flüchtlinge, die aus einem heruntergekommenen Dorf hierhergekommen waren. Sie waren alle älter als Karolas Eltern und hatten keine Kinder.
Karolas Vater konnte ihr wunderschöne Lieder von Kindern vorsingen, die miteinander spielten, und die Dorfschneiderin hielt Karola dazu an, Nähen zu lernen, während sie selbst die Kleider enger machte, aus denen ihre älteren Verwandten im Dorf herausgewachsen waren.
Prinzessin Bronwyn war nur zwei Jahre älter als Karola, und es war zu erwarten, daß sie ihrer Kusine auf dem Land ein paar schöne Kleider vermachen würde. Auch ging das Gerücht um, daß die Ebereschs kein magisches Talent hatten, daher wäre es sicherlich sehr lustig für sie, wenn sie Bronwyn ihre neuesten Zaubertricks vorführen konnte. Wenigstens hatte Karola sich das so ausgedacht.
Aber das schwertgegürtete, kraushaarige, rotäugige Wesen, das nun vor ihr aufragte, machte nicht den Eindruck, als ob es zu einer Zaubervorführung aufgelegt wäre. Überhaupt sah das Mädchen kein bißchen freundlich aus.
Mit den Worten »ich bin Bronwyn die Kühne« kündigte sich die Prinzessin den fünf oder sechs Bauern an, die in ihrer Arbeit innegehalten hatten, um die Kutsche ankommen zu sehen. Drei davon, die offensichtlich bei Bronwyns Vorstellung genug gesehen hatten, schlenderten wieder davon und arbeiteten weiter. Als ob sie befürchtete, nicht genug Eindruck gemacht zu haben, zog die Prinzessin ihr Schwert, das für ihre Maßstäbe kurz war, aber Karola wie ein richtiger langer Säbel vorkam. Bronwyn war größer als alle Männer im Dorf, dies galt auch für Bernard den Wachtposten, den militärischen Sonderbeauftragten von Wurmhorst. Mit einer Selbstverständlichkeit, die offensichtlich auf Wirkung abzielte, zerteilte Bronwyn mit zwei scharfen Hieben die Luft und sagte: »Ich bin im Auftrag meines Vaters hier, denn ich soll die entlegensten Provinzen unseres Reiches inspizieren. Ihr könnt nun auf die Knie sinken!«
Karola wußte nicht, was das sollte, jedenfalls mochte sie Bronwyns Ton nicht. Aber vielleicht war ihre Kusine auch nur deswegen so unfreundlich, weil sie von der langen Reise in der Kutsche müde war. Mit einer Geduld, die für eine Grau-Hexe erstaunlich war, besann sich Karola auf ihre guten Manieren und fragte Bronwyn: »Möchtest du nicht vielleicht zuerst lieber das Essen inspizieren, das eigentlich fertig sein müßte?«
Bronwyn steckte ihr Schwert mit viel Geklapper wieder in die Scheide zurück, hielt dann plötzlich inne und sah Karola mißtrauisch an und sagte: »Dein Aussehen berührt mich auf seltsame Weise, irgendwie kommst du mir bekannt vor, Mädel, aber dann hast du auch wieder etwas Fremdes an dir. Bist du vielleicht eine Spionin, die mir von meines Vaters Feinden gesendet wurde, um mich zu verderben? Wenn dies der Fall ist …«
»Ach, laß doch den Quatsch!« rief Karola erbost, »ich komme dir bekannt vor, weil ich meiner Mutter gleiche. Wenigstens so in etwa, obwohl Großmutter behauptet, daß ich meines Vaters Nase habe. Natürlich kennst du meine Mutter, weil sie seit geraumer Zeit bei euch im Schloß wohnt und nach deiner Mutter schaut. Aber wenn jemand seiner eigenen Mutter nicht ähnlich sieht, dann bist’s zweifellos du! Du hast ja überhaupt nichts mit dem Porträt von Tante Bernsteinwein im Gästezimmer gemein. Übrigens wirst du dort schlafen, es ist das hübscheste Zimmer im ganzen Haus. Vom hinteren Fenster aus kann man die Ruinen des Eisschlosses sehen.«
Da der Kutscher dachte, daß die Mädchen gehen wollten, ließ er Bronwyns Koffer, an dem ein kleiner Schild festgebunden war, auf den Boden fallen. Kurz darauf sprang er selbst vom Kutschbock herunter und reichte Karola eine versiegelte Schriftrolle. Dann ging er hinter der neugierigsten Frau im Dorf her, die sich nun ebenfalls auf den Weg zum Abendessen machte.
Karola entfernte das Siegelwachs und folgte den beiden nach, schnellte aber wie von der Tarantel gestochen wieder zurück, als sie Bronwyn mit der in einem Metallhandschuh steckenden Hand an der Schulter packte.
»Halt, Mädchen!« befahl die Prinzessin, »keiner soll sich unterstehen, ungestraft die Ähnlichkeit mit der Königin in Frage zu stellen. Nimm’s zurück und sage, daß ich ganz genauso wie Mama aussehe!«
»Das kann ich nicht«, argumentierte Karola vernünftig, »das würde bedeuten, daß ich die Unwahrheit sagen müßte und Lügen ist ja ganz verkehrt!«
»Nimm’s zurück«, wiederholte Bronwyn, indem sie jedes Wort einzeln hervorstieß und die Finger immer tiefer in Karolas Schulter grub.
»He, laß das!«
Bronwyn sah so aus, als ob sie gleich losheulen würde, aber ihre Stimme war unerbittlich und zornig: »Ich sagte, nimm es zurück und knie dabei nieder!«
»Oder was?« fragte Karola, denn sie hatte nun genug. Kusine hin oder her, die Prinzessin war kein besonders liebenswürdiges Geschöpf.
»Oder ich werde … ich werde dich verdreschen, merk dir’s«, sagte Bronwyn, und es stand außer Zweifel, daß sie es konnte, obwohl sie bis jetzt außer Puppen noch nichts verdroschen hatte. Karola war nur halb so groß wie sie und spindeldürr.
»Hmmm …«, sagte das Landmädchen, »jetzt gleich?« Seltsamerweise schien sie überhaupt keine Angst zu haben, sah vielmehr ganz zufrieden aus. Ja, sie summte vor sich hin! Vielleicht war dies das Kampflied ihrer Familie? Wenigstens klang es ein bißchen martialisch. Ja, eindeutig ein Marsch! Dabei auch noch ein wirklich guter Rhythmus! Es war ganz unmöglich, die Füße dabei stillzuhalten. Zu einer solch frischen Melodie mußte man einfach den Takt schlagen. Bronwyn ließ die Schulter ihrer Kusine los. Verwundert sah sie auf ihre Stiefel herab, die von alleine im Takt stampften. Welch ein Marsch! Wenn nur ihr Vater solch ein Kampflied hätte, dann wären seine Truppen unschlagbar. Vor dem Herrschaftssitz machte Bronwyn kehrt und ging in die entgegengesetzte Richtung, weg vom Haus und ihrer grinsenden Kusine. Sie hatte die Melodie noch in den Ohren, lange nachdem Karola wieder in die Küche zurückgeschlendert war.
Bronwyn ging die einzige Straße entlang, die das Dorf durchzog, vorbei an der blauweiß gesprenkelten Vorderseite des Gletschers und den halbgeschmolzenen Türmen des Schlosses, die aus dem Eis herausgehauen worden waren, sie ging durch die kargen Wälder direkt zum Fluß hinab – dem Fluß, der sprechen konnte, überlegte sie. Was ihr Tante Gretchen darüber erzählt hatte, waren wenigstens keine Ammenmärchen gewesen. Bronwyn konnte nun ganz deutlich hören, daß der Fluß alle möglichen Wörter murmelte, Wörter, die sie immer deutlicher unterscheiden konnte, je mehr sie sich den wirbelnden Wassermassen näherte. Sie hörte die Worte ganz deutlich, als der Militärmarsch plötzlich ihrem Bewußtsein entschwand und sie den festen Boden verließ, um in die murmelnden Fluten zu plumpsen, die laut aufbegehrten. Als Bronwyn spürte, wie die Wasser über ihrem Kopf zusammenschlugen, erinnerte sie sich – viel zu spät – wieder daran, daß ihre Kusine Karola von einer Hexenfamilie abstammte, was offensichtlich nicht erfunden war.
Und so will ich denn hoffen, hieß es im Brief der Gräfin Greta von Wurmhorst an ihre Tochter, daß Du alles tun wirst, damit sich Bronwyn bei uns wie zu Hause fühlt und nachsichtig bist bezüglich ihres kleinen Problems, das die Leute hier ganz einfach ihre ›schrullige Art‹ nennen, wie wir auch mit Dir, meine liebe Tochter, zuweilen Nachsicht üben müssen. In Bronwyns Fall ist nämlich ein Fluch mit im Spiel, sie kann wirklich nicht anders, Du mußt also ihr gegenüber gerecht sein und ihr Verhalten einfach ignorieren. Nur die Große Mutter kann wissen, wie sehr das Kind Freunde braucht. Später mehr darüber. Der Kutscher lädt gerade Bronwyns Koffer ein und Bernsteinwein läutet nach mir. Sei brav und grüße Deinen Vater recht lieb von mir, wenn Du ihn vor mir siehst. Alles Liebe, Deine Mama.
Karola rollte den Brief wieder zusammen. Ihr selbstgefälliges Lächeln war verschwunden. Fluch? Warum hatte man ihr denn das nicht schon früher gesagt? Auf die Erwachsenen war doch wirklich kein Verlaß mehr, die ließen immer das Wichtigste aus! Wahrscheinlich blieb ihr jetzt nichts anderes übrig, als nach der flegelhaften Person zu suchen und sich bei ihr dafür zu entschuldigen, daß sie sie durch Wald und Feld gejagt hatte, obgleich ihr das Laufen sicher gut getan hatte, nachdem sie in der Kutsche so lange sitzen mußte. Von Bronwyn konnte man allerdings nicht erwarten, daß sie die Dinge so sah. Karola steckte ein paar Kekse in die Tasche – als Friedensgeschenk –, bevor sie ihren Mantel nahm und wieder hinausstapfte. Am Abend war es draußen immer ein bißchen frisch, vielleicht sollte sie auch Bronwyns Mantel mitnehmen, obwohl – sie hatte ja gar keinen gesehen, als sie in die Kutsche geguckt hatte, nur der Koffer mit dem kleinen roten Schild hatte auf dem Boden gestanden. Den Schild konnte sie vielleicht noch brauchen, wenn Bronwyn ihre Entschuldigung nicht gleich annehmen würde.
Karola schlug dann den Weg ein, den die Prinzessin genommen hatte. Sie ging nicht übermäßig schnell, aber als sie in der Nähe des Flusses war, fing sie an zu laufen. Wenn sich die Dorfbewohner nicht gerade im Herrenhaus zum Abendessen versammelt hätten, hätte sicherlich schon jemand die anderen alarmiert.
»Hilfe«, kreischte der Fluß, der vor lauter Entrüstung überkochte.
»Hilfe! Verschmutzung! Vergiftung!« Karola rannte an den Häusern vorbei und wäre am Ufer beinahe ins Wasser gefallen, weil sie nicht mehr anhalten konnte. Sie hätte nicht gedacht, daß die dumme Kuh in den Plappermaulfluß fallen würde, schon gar nicht mit der ganzen Rüstung …
»Du – paff – hast sie – paff – doch nicht etwa ertränkt – paff – oder?« fragte sie, zog ihre Stiefel aus und rollte ihren Mantel zusammen, den sie dann zwischen den Schild und die Halteriemen steckte, um das Kleidungsstück trockenzuhalten. Es schoß ihr durch den Kopf, daß, wenn Bronwyn schon nicht tot wäre, doch wenigstens abgetrocknet werden müßte.
»Wie soll ich denn wissen, was das dumme Ding getan hat?« fragte der verzauberte Fluß entrüstet. »Frag doch mal weiter flußabwärts, ich will ja wirklich nicht das Schlimmste hoffen … ein aufgedunsener, verwesender Leichnam, würde mir ja gerade noch fehlen, daß ich den mit ins Meer nehme!«
»Du würdest sie besser nicht ins Meer hinaustragen«, sagte Karola, die vorsichtig ins seichte Wasser stieg und dem Ufer entlang watete. »Und untersteh dich, mich auch noch hinunterzuziehen!«
»Das würde mir nicht mal im Traum einfallen«, sagte der Fluß schnippisch. Obwohl der elende Schwätzer schlechter Laune war, klang das, was er sagte, zur Abwechslung einmal plausibel. Offenbar war gestern nacht ein Einhorn hier gewesen und hatte den Fluß gereinigt. Als Karola am Abend zuvor dort das Wasser für das Abendessen geholt hatte, hatte der Fluß nämlich immer noch geschwätzigen Unsinn von sich gegeben, aus dem sich sein übliches Repertoire zusammensetzte. Der Fluß war nicht nur verzaubert, sondern wurde auch vom Geist der bescheuerten Hexe heimgesucht, die sich ins Wasser stürzte, nachdem sie dem sinnlos daherredenden und von ihr mit einem Plapperfluch verhexten Fluß gelauscht hatte, damit sie für immer zusammen wären. Erst mit den Einhörnern, die nach Drachenhafen kamen, wurde der Fluß wieder vernünftig und begann Fragen zu beantworten, die man ihm stellte, manchmal waren die Antworten ganz gescheit – ein anderes Mal aber auch wieder nicht.
Da Karola ihr ganzes Leben in der Nähe des Plappermaulflusses verbracht hatte, kam es ihr auch überhaupt nicht merkwürdig vor, daß sie das Wasser aus einem sprechenden Fluß schöpfte, und gerade jetzt konnte sie sich davon überzeugen, daß er weniger mitteilsamen Flüssen gegenüber seine Vorteile hatte.
Der Fluß begleitete ihre Schritte mit seinem Gurgeln und führte sie weiter abwärts, als Karola sich je vorgewagt hatte. Das hieß aber nicht, daß sie nicht abenteuerlustig gewesen wäre, denn an der steil abfallenden Bergseite, über der sich der Gletscher befand, wuchs entlang den Flußufern soviel Gestrüpp, daß man sich in einem Gewirr von Hecken und Nesseln verstrickte, bevor man zum Wasser kam. Obwohl ihr Vater sie im Sommer manchmal zum Schwimmen mitgenommen hatte, wenn er zufällig einmal nicht für den König geschäftlich unterwegs war oder an einem Seminar an der Singschule teilnahm (von dem Mutter behauptete, daß es ein fürchterlicher Quatsch war und für ihn nur einen Vorwand darstellte, um sich singenderweise mit anderen Musikern die Zeit zu vertreiben und alberne Lieder auszudenken. Karola fand das ziemlich unfair, denn das war ja schließlich, was alle Musikanten taten). Übrigens mochte es Mutter gar nicht, wenn sie im Wasser herumplanschte, und wenn Mutter etwas nicht paßte, dann hatte sie Mittel und Wege, um Karola daran zu hindern.
Das Wasser weiter flußabwärts war sehr viel begieriger darauf, Karola zu helfen, als man das vom Flußabschnitt behaupten konnte, der näher am Ort dran war. Wahrscheinlich rührte es daher, daß die entlegeneren Winkel des Flusses so selten Menschen ausgesetzt waren, daß sie es jetzt genossen, gleich zwei an einem Nachmittag bei sich zu haben, dachte Karola, aber sie überlegte nicht lange, weil sie zu sehr damit beschäftigt war, ihr Gleichgewicht zu halten und nach Bronwyn zu suchen. Das war gar nicht so leicht, weil das Wasser in den Schatten unter dem Gestrüpp pechschwarz war, während dort, wo der Fluß um die Felsklippen einen Bogen machte und sich in der Mitte des Flußbettes dahinwälzte, die kleinen Wellen so hell glitzerten, daß sie Karola blendeten. Als ob dies nicht schon genug Konzentration erfordert hätte, mußte sie auch noch auf die gegurgelten Anweisungen des Flusses achten.
»Nun, hier lang! Mach schnell! Paß auf das Loch auf! Bist du aber tolpatschig! Versuch in Zukunft vorsichtiger zu sein! Also wirklich, mir reicht’s vollkommen, wenn mich einer von eurem Kaliber schmutzig macht. Mach jetzt die Augen weit auf, siehst du, deine Kusine hat den Felsen dort gerammt und einen ganz entsetzlichen Lärm dabei gemacht – der Felsen wird nie wieder wie vorher sein. Wie du sehen kannst, ist ein großes Stück dabei abgehauen worden. Aha, hier wären wir also. Um die nächste Biegung herum und …«
»Und was?« fragte Karola, als sie, wie angewiesen, um die Flußbiegung herumgegangen war und wieder die Felswand vor sich hatte. Vom Fluß war dort nichts mehr zu sehen, und auch von ihrer Kusine hatte Karola noch immer kein Lebenszeichen. »He, das ist nicht fair, wo bist du denn plötzlich?«
»Hier unten«, gurgelte die Stimme, die offensichtlich aus dem Inneren des Gletschers heraufdrang.
»Pfui Teufel!« rief Karola, schüttelte nachdrücklich den Kopf und trat zurück. »Du hast sie also doch ertränkt und nun willst du auch mich noch holen!«
»Jetzt sei bloß nicht albern«, erwiderte der Fluß. »Ich glaube, ich habe meine Gefühle in dieser Beziehung ziemlich deutlich ausgedrückt. Na, wird’s bald?«
»Ich kann doch nicht so einfach in den Gletscher hineingehen«, sagte Karola, und ohne daß sie es wollte, bekam ihre Stimme einen weinerlichen Klang, als sie das Treibholz sah, das die unermeßlich weite, weiße Gletscherbasis verstopfte, die sich auf beiden Seiten des Flusses bis tief in die Wälder hinein erstreckte.
»Nein, aber du kannst ja schwimmen«, erwiderte der Fluß.
»Du bist also offenbar wirklich darauf aus, mich zu ertränken!«
»Sei nicht so kindisch! Hätte ich dich dann vielleicht vor den Löchern und Strudeln gewarnt? Ich habe hier ziemlich wenig Wasser bis auf eine Stelle ganz unten, aber daran schwemme ich dich vorbei. Laß nur den Kopf unten, damit du ihn dir nicht an der überhängenden Eisdecke anschlägst, und halt dich an dem Ding in deiner Hand fest, damit du weiterschwimmst, wenn du umkippst.«
»Du hörst dich ja gerade so an, als ob alles ganz einfach wäre«, sagte Karola zweifelnd.
»Ich verbringe schließlich auch meine ganze Zeit damit«, erwiderte der Fluß. »Nun aber runter mit dir. So ist’s recht. Beweg deinen Podex ein bißchen, du bist nämlich steckengeblieben. Jetzt aber … Hurra!«
Für den Fluß war es ja schön und gut dies zu sagen, dachte Karola, die zuerst ein panischer Schrecken ergriff, als sie flußabwärts glitt. Aber ihr Angstgefühl machte bald einer Hochstimmung Platz, als sie erkannte, daß sie weder fror noch sich unbehaglich fühlte, wie dies bei einem eisigen Gebirgsbach im Herbst nur natürlich wäre. Es war wirklich eine Wucht, im Wasser einfach so dahinzugleiten. Karola schleuderte Bronwyns Schild nach vorn, so daß die Innenseite nach oben zeigte, dann krabbelte sie hinauf und glitt in die Dunkelheit.
Der Gletschereingang war eine Rutsche aus Steinen und Eis, die seit Urzeiten vom Plappermaulfluß abgeschliffen worden waren. Karola glitt mit dem Kopf nach vorn durch die Öffnung und schloß die Augen vor Angst, daß sie mit dem Kopf anstoßen könnte. Sie hoffte, der Schild würde sie beschützen.
Sie brauchte aber keinen Schutz, denn vom Ende der Rutsche aus schoß sie direkt in einen tiefen See hinein und kam erst wieder zur Ruhe, als sie mit aller Wucht gegen einen durchweichten, klirrenden Gegenstand stieß.
»Mission beendet«, seufzte der Fluß. »Bitte hol sie raus, bevor sie rostet!«
Der Strudel um sie herum fing an zu kichern, und Karola konnte es ihm nicht verübeln. Hoch über ihnen spiegelten ein paar riesige, runde Löcher in der Decke der Eisgrotte eine wild um sich schlagende, fluchende Bronwyn wider, die alle möglichen Arten von Verrenkungen und Kreisbewegungen mit dem Teil ihres Körpers ausführte, der über dem Wasser geblieben war. Karola, die aufrecht zu stehen versuchte, begann sogleich in die dicke Schlammdecke einzusinken. Bronwyn, die bis zu den Füßen in ihrer Rüstung steckte, konnte sich nicht losstrampeln, aber auch Karola, die durch nichts behindert war, vermochte sich kaum über Wasser zu halten. Sie schwamm zu Bronwyn hinüber und rüttelte an ihrem Arm.
»Laß mich los«, rief die Prinzessin mit einer klagenden und völlig verängstigten Stimme. »Ich komm schon allein zurecht, danke!« Jeder Idiot konnte sehen, daß dies nicht stimmte, und was die Hilfsaktion anbetraf, so kam Karola mit sich selbst auch nicht so gut zurecht. Der Tümpel bedeckte den ganzen Boden der Grotte und sein eisiger Rand war kaum mehr als ein glitschiger, schmaler Rand mit nichts, woran man sich festhalten konnte und keiner trockenen Stelle, zu der Karola ihre Kusine hätte bringen können, wenn es ihr tatsächlich gelungen war, sie aus dem Schlamm herauszuziehen.
»Wie kommen wir hier raus?« fragte Karola den Fluß.
»Raus, raus? Du bist doch gerade erst reingekommen. Wie soll denn ich das wissen, wie ihr hier wieder rauskommt? Schließlich hast du mich doch nur gebeten, nach deiner Kusine zu suchen, als ob Kusinen wichtig wären! Pah! Ich hatte zum Beispiel einen Vetter – ein albern dahinkriechendes kleines Ding –, das zu allem Übel auch noch dachte, daß es das tiefe, blaue Meer wäre, aber wirklich kaum mehr war als eine Dreckpfütze – und bei so etwas dulde ich keinen Widerspruch, kann ich dir sagen. Ich sage also zu dieser Pfütze, jawohl, sage ich …«
»O nein«, jammerte Karola – unter anderen Umständen hätte sie mit dem Fuß aufgestampft.
Bronwyn berührte die Hoffnungslosigkeit in ihrem Ton wenigstens so sehr, daß sie ihr eigenes Mißgeschick vorübergehend vergaß.
»Der Einhornzauber verliert seine Wirkung«, erklärte Karola, »nun kommen wir hier nie mehr heraus. Ich wußte doch, daß dieser vermaledeite Fluß versuchen würde, uns beide zu ertränken!« Sie mußte nun wirklich schreien, um den Fluß zu übertönen, denn wenn er in seiner unvernünftigen Phase war, schwatzte er unablässig vor sich hin, und sein Geplapper war viel lauter als in seiner vernünftigen Phase, und es war ihm egal, ob er andere unterbrach oder vor sich hinschwatzte, wenn sich andere unterhielten.
»Und was nun?« fragte Bronwyn, die nur mit größter Anstrengung schreien konnte, weil sie durch ihren Kampf immer tiefer sank, so daß sie jetzt bis zum Kinn im Wasser steckte und ihre Stimme genauso verzerrt war wie die des Flusses.
Karola paddelte um sie herum und schrie schließlich zurück – sie würde mit den Schultern gezuckt haben, wenn es ihr gelungen wäre, sich dabei über Wasser zu halten …»Ich weiß nicht«, sagte sie verzagt, »wahrscheinlich müssen wir so lange warten, bis wieder ein Einhorn kommt und den Fluß segnet, so daß er uns sagen kann, wie wir hier rauskommen oder die Erwachsenen hierherführt. Glaubst du, daß du so lange aushalten kannst?« Als Karola dies sagte, war ihr Tonfall mehr wehmütig als hoffnungsvoll.
»Klar – blubb – kann ich das«, antwortete Bronwyn, die jetzt so tief gesunken war, daß sie gerade noch die Unterlippe mit äußerster Anstrengung über Wasser halten konnte. »Bring dich in Sicherheit – schluck – Mädel. Sorg dich nicht – schluck – um mich. Ich komme – schluck – schon alleine zurecht!«
Karola, der Bronwyns Fluch wieder einfiel, kam zu dem Schluß, daß der offensichtlich sehr tapfere Verzicht aus dem Mund einer Prinzessin in Wirklichkeit ein Hilferuf und eine Beschwörung war, sie nicht zu verlassen. Als ob Karola gekonnt hätte, wenn sie gewollt hätte! Das Licht, das von den Löchern an der Decke kam, wurde immer schwächer, und Karolas Blicke suchten verzweifelt nach einem Weg aus der Höhle oder einen Felsvorsprung, an den sie sich klammern oder auf den sie hätte klettern können. Schließlich mußte der Fluß, wenn er in die Grotte hereinfloß, auch irgendwo wieder austreten.
Kaum war sie von Bronwyn weg und um das mit einer rutschigen Masse gesäumte Halbrund herumgeschwommen, als sie den Ausgang entdeckte und das seltsame Gebilde, das ihn verstopfte. Sie konnte es mehr fühlen als sehen, denn es lag im Schatten. Es faßte sich wie ein Boot an, aber auch wie ein Badezuber mit gewölbten Seitenwänden. Das Ganze war ein bißchen verbogen und roch nach Moder, aber als Karola den Boden mit der Hand abtastete, fühlte sich dessen hölzerne Oberfläche sehr fest und auch nicht nässer an als ihre Hand.
»Aha!« rief sie triumphierend und wandte sich dann an Bronwyn: »Ich glaube, ich habe das Richtige für uns gefunden! Bleib, wo du bist und ich will versuchen, es zu dir rüberzubringen!«
»Stell dir nur vor, ich wollte – schluck – gerade spazierengehen«, erwiderte Bronwyn.
Als Karola den Schild in das baufällige Gefährt geworfen hatte, hakte sie sich mit dem einen Arm am Rand fest und versuchte, das seltsame Boot durch Stöße mit den Beinen in Bewegung zu versetzen. Unglücklicherweise war der Rand ziemlich hoch, so daß sie sich nicht gleichzeitig festhalten und richtig schwimmen konnte. Also legte sie sich auf den Rücken, packte den Rand mit den Fingerspitzen und begann zu ziehen.
Das Boot – oder was es auch sein mochte – glitt mit ihr durchs Wasser. Sie hatte ungefähr die Hälfte des Weges zurückgelegt, als das Gefährt plötzlich in die entgegengesetzte Richtung gezogen wurde. Karola zog fester, aber das Boot rührte sich nicht mehr vom Fleck. Da sie dachte, daß es sich vielleicht verklemmt habe, zog sie sich am Rand hoch. Sie wurde aber vom flügelschlagenden schwarzen Grauen gepackt, bevor sie wieder ins Wasser zurückkonnte.
Die Kreatur zischte ganz abscheulich, es klang wie Wasser, das ins prasselnde Feuer geschüttet wird oder wie ein Teekessel, der am Überkochen ist. Sie schlug das Mädchen mit etwas Weichem, aber doch mit großer Wucht, so daß Karola das Gefühl hatte, zugleich gezüchtigt und mit nassen Tüchern erstickt zu werden. Mit einem stumpfen Gegenstand, der sich wie ein hölzerner Löffelstiel anfühlte, stieß ihr das Wesen in die Schulter, in die Hüften, die Wangen, den Rücken und hätte ihr beinahe ein Auge ausgeschlagen.