Elizabeth Scarborough
Zauberlied
Roman
Aus dem Amerikanischen von Rose Aichele
FISCHER Digital
Mit nur vier Romanen hatte sich Elizabeth Scarborough bereits einen Namen gemacht, der für eine ganz spezielle Sorte heiter-ironischer Phantasien steht. Wie keine andere versteht sie es, mit altbekannten Versatzstücken des phantastischen Genres zu jonglieren und daraus höchst originelle, neuartige Geschichten zusammenzusetzen. Sie wurde in Kansas City/USA geboren. Nach der Schule arbeitete sie fünf Jahre als Militärkrankenschwester, darunter auch ein Jahr als Sanitäterin in Vietnam. Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit pflegt sie häusliche und musische Hobbies – weben, spinnen, Gitarre und Hackbrett spielen. Mit ›Aman Akbars Harem‹ schrieb Elizabeth Scarborough einen rasanten Roman aus dem Orient der Legenden, der in der Bibliothek der phantastischen Abenteuer (Fischer Taschenbuch Verlag) erschien. Elizabeth Scarborough lebt heute in Fairbanks / Alaska.
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Was passiert, wenn Hexen der verschiedensten Disziplinen, feuerspeiende Drachen, Zauberer mit überaus bösen Absichten, Hausgeister, verwunschene Könige und einige beinahe gewöhnliche Sterbliche aufeinandertreffen, und das manchmal mit ganz unterschiedlichen Zielen und Absichten – das alles wird auf fesselnde und zugleich amüsante Weise erzählt. »Zauberlied« ist ein heiteres Stück abenteuerlicher Spannungsliteratur mit märchenhaften Elementen, der erste Band der äußerst witzigen »Gretchen-Grau-Geschichten«.
Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.
Erschienen bei FISCHER Digital
© 2018 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung: buxdesign, München
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Impressum der Reprint Vorlage
ISBN dieser E-Book-Ausgabe: 978-3-10-562120-2
Betty, Don, Monte und Gladys Scarborough sowie Richard Gridley Kacsar und meinen Tieren gewidmet, die meine eigentliche Familie sind – und vor allem Dr. Martha Kowalski, die ihre Forschungsarbeit im Laboratorium ganz allein machen mußte, als sich ihre medizinische Assistentin auf den Kampf mit Drachen einließ. Die Bücher sind aber auch Jeannie, Jett, Marion Watts, Allen Damron und Dr. Jeff Trilling gewidmet, die nicht nur an Fabeltiere und furchteinflößende Zauberei glauben, sondern darüber hinaus sogar an mich.
Gretchen Grau | eine mutige junge Hexe aus uralter Zaubersippe, eine vorzügliche Hausfrau und treue Schwester |
Herr Wilhelm Sturmhaub | Gutsherr im Lande Argonia, ihr Vater |
Bernsteinwein (Goldie) | seine Tochter aus erster Ehe, Gretchens Halbschwester |
Maudie Grau | Gretchens Großmutter, eine temperamentvolle Hexe |
Sibyl | Gretchens Großtante, eine ehrwürdige Hexe von altem Schrot und Korn |
Furchtbart | Gretchens Großonkel, ein böser und unwürdiger Zauberer mit verzweigtem Liebesieben und auch sonst keineswegs einwandfreiem Charakter |
Colin Liedschmied | Gretchens Freund und Reisegefährte, ein friedfertiger junger Mann |
Herr Brüllo Eberesch | Bernsteinweins junger Gatte und späterer König von Ablemarle |
Davie | Bernsteinweins herzloser Entführer |
Zorah | seine Geliebte, eine schöne Zigeunerin |
Xenobia | Davies Mutter, die Zigeunerkönigin |
David Würdigmann | ein Bär, früher Kronprinz von Ablemarle, Xenobias Wunschgemahl und Davies Vater |
Prinzessin Pegien | eine von Furchtbarts Liebschaften, Tochter König Finbars des Feuerfesten von Argonia |
Griselda | eine Drachendame auf der Suche nach ihrem verlorenen Geliebten |
Grimmut | eben dieser (wiedergefundene) Geliebte |
Mondschein | ein ungemein tugendhaftes Einhorn |
Wenn Gretchens Zauberkraft nicht gewesen wäre, dann wären die Eier aus dem Korb gefallen und zerbrochen, als das keuchende und nach Atem ringende Schankmädchen mit ihr zusammenstieß. Gretchens Spezialzauber, mit dem etwas von selbst eingesammelt wurde, hatte kaum Zeit zu wirken und die Eier in den Korb zurückzubefördern, als sie auch schon wieder herauspurzelten, weil die verwirrte junge Frau nun begann, Gretchen ungestüm am Ärmel zu zupfen.
»Komm schnell! Deine Großmutter ist wieder mal vollständig durchgedreht!«
»Paß doch auf!« sagte Gretchen und griff hastig nach den Eiern, damit sie nicht zerbrachen. Gleichzeitig versuchte sie, dem Mädchen ihren Ärmel zu entreißen. »Sag mal, was meinst du eigentlich?«
»So ein armer junger Spielmann hat ihr ein Lied vorgesungen, als sie ganz plötzlich anfing, herumzutoben und zu schimpfen und ihn in ein hilfloses, kleines Vögelchen verwandelte, hinter dem sie herjagte. Dann hat sie nach ihrem großen Kater gerufen, damit er den Vogel auffrißt. O weh, o weh, ich hör den Kater miauen, mach schnell!«
Das Mädchen kam nicht mehr dazu, Gretchen beim Ärmel zu erwischen, vielmehr rutschte es auf den zermatschten Eiern aus, die Gretchens Weg markierten, als sie nun über den Hof rannte und durch den Hintereingang der Wirtschaft verschwand.
Man hörte die Geräusche von Holz auf Stein und von Faustschlägen, als sich die Gäste mit roher Gewalt um den Vordereingang rauften, um nach draußen zu kommen. Sie hatten es so eilig, daß sie über umgestürzte Stühle stolperten und auf die Tischtücher traten. Nur drei Stammgäste blieben am Tisch sitzen und schlürften ungerührt ihr Bier, wobei sie dem Tumult um sie herum sehr viel weniger Aufmerksamkeit schenkten als ihren Bierkrügen.
Beim Laufen schwang Großmutters Zopf schneller hin und her als ein Kuhschwanz, der Fliegen abwehrt. Für eine Frau ihres Alters legte sie eine erstaunliche Behendigkeit an den Tag und war trotz ihres Gehüpfes nie zu sehr außer Atem, um nicht noch eine Kanonade einfallsreicher, wenn auch derber Flüche zu veranstalten. Mit der Anmut eines jungen Mädchens schwang sie sich über eine Bank auf den Tisch und schlug mit ihrem Besen wütend auf den über ihr liegenden Balken.
»Komm sofort dort runter, du entsetzlicher Schreihals«, befahl Gretchens Großmutter, »du kannst dich auf was gefaßt machen!« Ihre dunklen Augen blitzten wütend und ihr Körper bewegte sich im Rhythmus ihrer cholerischen Anfälle. »Ching!« schrie sie über die Schulter hinweg, »komm her, Miez, dein Frühstück …«
Zum guten Glück bemerkte Gretchen die Spottdrossel, die vor dem Besen unter den Tisch flüchtete, ehe der Kater sie entdeckte. Gerade in dem Augenblick, als der Kater zum Sprung auf den tieffliegenden Vogel ansetzte, machte auch Gretchen einen Satz durch die Luft. Sie erwischte den Kater im Sprung und ließ ihn auch dann noch nicht los, als sie beide mit einem dumpfen Geräusch neben dem Tisch aufschlugen.
Gretchen rang verzweifelt nach Luft, die es ihr bei der gewaltsamen Landung verschlagen hatte, dabei mußte sie den Kater festhalten, der sich nun zu winden begann, um ihrem Griff zu entkommen. »Jetzt hör doch endlich auf damit, Großmutter!« keuchte sie und versuchte dabei, so respekteinflößend zu erscheinen, wie es ihre mißliche Lage zuließ.
»Kommt gar nicht in Frage«, schnautze die alte Dame und holte dabei zu einem weiteren Schlag gegen den Vogel aus, der wieder sicher auf dem Balken über dem Tisch gelandet war. »Das wäre ja noch schöner, wenn jeder hergelaufene kleine Gauner mit seinem jämmerlichen Geplärr in meinem Wirtshaus meine Verwandtschaft mit Schmutz bewerfen könnte und dabei auch noch ungeschoren davonkäme.« Sie sprang vom Tisch herunter, um sich nach einem anderen Ausgangspunkt für ihre Attacken umzusehen.
»Wer es auch sein mag, Großmutter, verwandle ihn wieder zurück in seine ursprüngliche Gestalt«, sagte Gretchen unbeirrt und ließ den Kater los, da der Vogel nun außer Reichweite war. Zitternd vor Angst beobachtete er von seinem Platz auf dem Balken die schlitzäugigen Blicke, die ihm die ältliche, besenschwingende Matrone und ihr nicht minder schlitzäugiger, schwarzweißgefleckter Kater zuwarfen.
Die alte Dame blitzte ihre Enkeltochter wütend an, brachte sorgfältig ihr Gewand wieder in Ordnung, steckte ihren Zopf zu einem Knoten auf und sagte dann: »Das werde ich ganz bestimmt nicht tun!«
»Doch, das wirst du«, sagte Gretchen bestimmt, obwohl der zum Äußersten entschlossene Unterkiefer ihrer Großmutter und das gefährliche Glitzern in ihren Augen sie etwas verwirrten. »Was auch immer er getan haben mag, es steht nur Papa zu, Recht zu sprechen – heutzutage ist es nun einmal nicht mehr üblich, die Leute kurzerhand in eine Katzenmahlzeit zu verwandeln, nur weil sie einem mißfallen. Was sollen die Nachbarn von uns denken? Das ist kein anständiges Benehmen.«
Die alte Dame fuhr sie an: »Die Nachbarn kümmern mich einen Dreck! Warte nur, bis du erfährst, was er verbrochen hat und vor allem, bis dein Vater es erfährt! Wenn Herr Wilhelm erst mit diesem erbärmlichen Spatzenhirn abrechnet, wäre es ihm wahrscheinlich lieber, wenn Ching ihn schon vorher aufgefressen hätte!«
»Aber ich habe das Lied ja gar nicht selbst geschrieben!« sagte der Mann, in den sich die Spottdrossel nun verwandelte, als Gretchens Großmutter durch ihr Fingerschnippen das Befreiungsritual einleitete. Mit Händen und Füßen hielt er sich am Balken fest, weil er um sein Leben fürchtete. »Könnte mir nicht jemand eine Leiter bringen?« fragte er zaghaft.
»So hoch ist es ja nun auch wieder nicht!« schnaubte die Großmutter verächtlich, »wo doch sogar Ching von diesem Tisch aus dort raufspringt.«
»Kann mir mal einer von euch Männern mit diesem Ding hier helfen?« fragte Gretchen und packte das Ende einer der langen Bänke. Einer der Getreuen, der während des Tumults ganz ruhig und in sein Bier vertieft am Stammtisch sitzen geblieben war, kam daraufhin zu ihr herüber und packte die Bank am anderen Ende, dann stellten sie sie auf den Tisch, so daß die ehemalige Spottdrossel herunterklettern konnte.
»Nun, Herr«, sagte Gretchen, die beide Hände in die Hüften stemmte und ihn dabei herausfordernd ansah. »Ihr habt meine Großmutter fürchterlich verärgert, und ich möchte nun wissen, wie das passieren konnte. Was haben Sie eigentlich zu ihr gesagt?«
»Ich soll sie verstimmt haben?« stammelte der junge Mann und dabei wurden seine ohnehin schon roten Wangen noch röter.
»Also, was hat er zu dir gesagt?« Gretchen drehte sich rasch zu ihrer Großmutter herum, die mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Boden saß und ihren Kater zu beruhigen versuchte. Offensichtlich versuchte der Kater, seine wirklich bedrohliche Fauchhaltung beizubehalten, als die alte Dame ihn mit angelegten Ohren und wütend peitschendem Schwanz zu sich auf den Schoß zog.
»Ach, nichts von Bedeutung, Liebes«, antwortete Gretchens Großmutter und warf ihrer Enkelin dabei einen äußerst scheinheiligen Blick zu. »Er kann’s ja dann deinem Vater erklären. Chingachgook ist ein bißchen durcheinander. Ich bin in meinem Haus, falls du mich brauchst.« Dem Fremden zu Ehren zeigte sie noch die Grübchen in ihren Wangen, die zwei runzligen Äpfeln glichen. »Junger Mann, vergessen Sie ja nicht, das hübsche Lied wieder zu singen, wenn Sie bei Herrn Wilhelm sind! Wiedersehen, Gretchen!« Sie winkte zum Abschied mit der Hand, der Kater, den sie sich unter den Arm geklemmt hatte, peitschte noch einmal wütend mit dem Schwanz – und dann waren die beiden verschwunden.
Als sich Gretchen nach dem Fremden umdrehte, sah sie ihn mit seiner Geige vor dem Kamin sitzen. Um herauszufinden, ob das Instrument beschädigt worden war, klemmte er es unter das Kinn und strich mit dem Bogen ganz leicht über die Saiten. Über die Schulter hing ihm eine Gitarre.
»Sie sind also ein Spielmann?«
Er mußte unbedingt noch einige Noten spielen, ehe er geruhte, ihre Frage zu beantworten. »Wenn ich Maurer wäre, würde ich mich mit meiner Musik wohl kaum so beliebt machen, oder?« Seine Ausdrucksweise war so gröblich, daß Gretchen sich überlegte, ob er damit vielleicht nur das Zittern seiner Hände übertünchen wollte, doch ehe sie sich’s versah, verstaute er seine Fiedel und den Bogen in einer Tasche aus weichem Leder – offensichtlich zufrieden, seine Instrumente unbeschädigt zu wissen. »Wer sind Sie eigentlich? Schließlich weiß ich von Ihnen ja nur, daß Sie eine Verwandte dieser alten Hexe sind.«
»Sie würden gut daran tun, etwas sanftere Töne anzuschlagen, denn die, die Sie bis jetzt gesungen haben, sind ja nicht gerade auf Gegenliebe gestoßen. Ist das klar, Spielmann? Übrigens bin auch ich eine Verwandte Herrn Wilhelms, er ist nämlich mein Vater.«
Der Spielmann blinzelte angestrengt, als erwarte er, daß sich dieses mittelgroße, dunkelhäutige Mädchen dadurch in seine Vorstellung von einer liebreizenden, zartgliedrigen Blaublütigen verwandele. Gretchen sah ihn immer noch unverhohlen und nicht gerade begeistert an; barfüßig, in grobgewebtem Hemd und Rock und mit einer schmutzigen weißen Schürze, verkörperte sie für ihn bestenfalls angenehme Mittelmäßigkeit, die jedoch noch durch eine momentane Mißstimmung getrübt war. Dennoch besann sich der Spielmann seiner guten Manieren, verbeugte sich und sagte kurz: »Colin Liedschmied, fahrender Spielmann, zu Ihren Diensten, mein Fräulein.«
Gretchen war seinen prüfenden Blicken gefolgt und dabei bis zu ihren schmutzigen Füßen gelangt. Nun sah sie auf, begegnete seinem Blick mit listigen braunen Augen und sagte: »Sie sehen ja auch nicht gerade umwerfend aus. Moment mal.«
Als Colin sie durch die Hintertür verschwinden sah, sank er auf einer Bank nieder, die merkwürdigerweise nicht umgefallen war und rieb sich mit den langen, müden Fingern die Augen. Während seiner Lehrzeit hatte man ihn nicht darauf vorbereitet, daß er einmal in eine andere Gestalt verwandelt, von Hexen und Katzen verfolgt und dann wieder in seine ursprüngliche Erscheinungsform zurückverwandelt werden würde. Er konnte ganz gut Instrumente bauen, ergreifende epische Balladen schreiben und auch die ebenso ergreifende Begleitmusik dazu komponieren, er konnte recht ordentlich Laute, Zither, Harfe, Zimbal und Flöte spielen und war ein geschickter Trommler. Seine Darbietungen auf der Geige und sein Gitarrespiel aber waren ganz vorzüglich, zumindest war er selbst dieser Meinung. Er war darauf vorbereitet, bei Festen für Unterhaltung zu sorgen und sich damit seinen Unterhalt zu verdienen, er war auch darauf gefaßt, durch seinen Gesang die Abenteuer der Helden unsterblich zu machen und deswegen selbst als Abenteurer betrachtet zu werden, ferner hatte er damit gerechnet, aus der Geschichte zu erzählen und dafür von all den Damen umworben zu werden, deren besonderen Liebreiz er in seinen Liedern festhielt …
Aber er hatte ganz gewiß nicht damit gerechnet, daß er vor einem undankbaren Publikum die neueste südländische Ballade singen und kurz darauf seine Geige aus der Vogelperspektive betrachten würde. Auch hatte er nicht gedacht, daß die Matrone, die ihn noch kurz zuvor verköstigt hatte, ihn gleich darauf verdreschen und die Katze rufen würde, damit sie ihn auffräße.
Colin hatte nicht gelernt, in einer Situation Gelassenheit zu bewahren, in der er sich an einem Balken festklammern mußte, Splitter in Finger und Knie bekam und mit ansehen mußte, wie sich eine braunhaarige junge Frau mit ihrer graumelierten Großmutter herumstritt, weil sie es nicht anständig fand, daß er der Katze zum Fraß vorgeworfen würde, während das in Frage stehende Tier keinen Hehl aus seiner mörderischen Absicht machte.
In seiner Grübelei wurde er durch die Rückkehr der jungen Dame, der man ihr edles Geblüt nicht gerade ansah, unterbrochen. Sie hatte sich mit einem Besen bewaffnet. Colin warf die Bank um, auf der er gesessen hatte, weil er es plötzlich sehr eilig hatte, zu entkommen.
»Sei bloß nicht albern«, sagte sie. »Ich will dich ja nur ein bißchen säubern, weil du voller Federn und Staub bist. Wenn du meinen Vater besuchst, mußt du ein bißchen anständiger aussehen. Er ist nämlich krank und bettlägerig, und du stinkst förmlich nach ansteckenden Krankheiten.« Colin brachte es sogar fertig, stillzustehen, als sie ihre robuste Energie darauf verwandte, ihn tüchtig abzubürsten.
Nachdem Herr Wilhelm durch seine schwere Krankheit bereits fünf Monate ans Bett gefesselt war, konnte er durch kein Drehen und Wenden seines Körpers und kein Umbetten mehr zufriedengestellt werden. Es lag nicht nur an seinen Beinen, die zerquetscht worden waren, als sein Pferd bei der Jagd unerklärlicherweise von einem Pfeil durchbohrt wurde. Das bedauernswerte Geschöpf hatte sich in seinem Schmerz aufgebäumt und Herrn Wilhelm unter sich begraben. Großmutter Grau behauptete, das Wundfieber habe seine Genesung weit über die übliche Zeit hinausgezögert, seine Beine seien durch das lange Siechtum geschwächt und die Wunden brandig geworden, ein Zustand, den sie immer noch mit ihrem gesamten Arsenal von Heilkräutern bekämpfte.
Währenddessen sehnte sich Herr Wilhelm danach, daß Bernsteinwein wieder nach Hause käme – und wäre es auch nur für einen kurzen Besuch –, auch wenn sie über keinerlei Heilkraft verfügte und frohgelaunt zugab, daß sie schon bei den grundlegendsten häuslichen und herrschaftlichen Verrichtungen passen müsse, brachte sie es doch fertig, mit ihrer feenhaften, unbeschwerten Fröhlichkeit und ihrer einsichtigen, ruhigen Intelligenz selbst auf den Wangen der Großmutter die Grübchen hervorzuzaubern, die unter der traditionellen mürrischen Hexenmiene verborgen waren, und Gretchens ungestümes Temperament so zu zügeln, daß Sanftmut darunter zum Vorschein kam.
Er seufzte vor sich hin und brachte sein Bett in Ordnung, um die Besucher würdig empfangen zu können, deren Schritte er jetzt auf der langen Wendeltreppe hörte, die zu seinem Turmzimmer hinaufführte. Er hatte wirklich sein Bestes getan und sie mit diesem Fürsten aus dem Süden verheiratet – wie es hieß, hatte der Kerl sogar gute Aussichten, König zu werden, und obendrein liebte sie ihn auch noch. Wie er allerdings einen so guten Ehemann für das kratzbürstige Gretchen finden sollte –, das überstieg die Kräfte eines kranken Mannes. Es war eben schwierig, ledige Töchter unter die Haube zu bringen, die man erst später anerkannt hatte. Die Tochter der Dorfhexe, die im Alter von zwei Jahren zur Tochter des hochherrschaftlich-fürstlichen Haushofmeisters, Ritters und Statthalters der nördlichen Territorien (einschließlich der dazugehörigen Dorfgemeinden) seiner Majestät ernannt wird, neigt dennoch dazu, die Tochter der Dorfhexe zu bleiben. Keine noch so vornehme Erziehung und kein Vorteil irgendwelcher Art konnten aus dem Hexenkind eine feine Dame machen, nach dem Vorbild ihrer Halbschwester, der Fee. Auch Bernsteinweins zusätzliche Ermutigungen und Erziehungsversuche halfen nichts – Gretchen blieb ein Zwitter: die Vorfahren ihrer Mutter waren zu niedrig für die Adligen und das Geschlecht ihres Vaters zu vornehm für die Leute niedrigen Standes. Schade, daß sie nicht ein Sohn war, dann hätte er ihr nur seine Ländereien zu vermachen brauchen, die sie schon jetzt mit großem Geschick verwaltete, und ihr nur noch eine Frau zu suchen brauchen, was nach Herrn Wilhelms Ansicht einfach gewesen wäre, da ehrbare Ehefrauen leichter zu haben waren als achtbare Ehemänner.
Als er das Klopfen an seiner Tür vernahm, gab er die Erlaubnis einzutreten. Durch die Tür kam ein völlig zerzaustes Gretchen, gefolgt von einem jungen Mann, der kaum weniger zerzaust aussah.
»Hallo, Paps«, sagte Gretchen und gab ihm einen Kuß auf die Stirn.
»Hallo, Gretchen. Wer ist denn das?« Er machte den krampfhaften Versuch, dem jungen Mann gegenüber besonders fröhlich zu erscheinen.
»Ich habe Großmutter dabei erwischt, wie sie ihn Ching verfüttern wollte. Sie hatte eine fürchterliche Wut.«
Herrn Wilhelms Augen wurden schmal. »Was haben Sie getan, um in meiner Schwiegermutter den Wunsch zu wecken, Katzenfutter aus Ihnen zu machen, junger Mann?«
»Mit Verlaub, Herr«, sagte der Angesprochene und machte eine tiefe Verbeugung«, Colin Liedschmied, fahrender Spielmann, zu Ihren Diensten, Herr. Ich weiß nicht, warum sich die Dame über mich geärgert hat. Ich habe ihr nur das neueste südländische Lied vorgesungen, das ich noch üben wollte, um es dann Ihnen darbieten zu können.«
»Was, ausgerechnet mir? Verdammt – laßt uns endlich auf den Grund der Sache kommen. Komm, Gretchen, Liebe, kratz mir den Buckel – ja, da – braves Mädchen!«
Da Colin im Anschluß an seinen Liedvortrag, den er auf der Geige begleitet hatte, in einen Vogel verwandelt wurde, nahm er dieses Mal die Gitarre von der Schulter und stimmte sie. Das gab ihm Zeit, sich zu sammeln. Schließlich trommelte er mit den Fingern auf die Gitarre und erzählte seinen Zuhörern, was ihm durch den Kopf ging: »Ich bin weder von hier, noch stamme ich aus der Gegend, wo das Lied entstanden ist. Ich habe es von Spielmann Giles gelernt, der mir sagte, daß er immer um diese Jahreszeit nach Norden käme, um die Blüte ganz bestimmter südlicher Pflanzen zu vermeiden, weil er dann Allergien bekommt, die Nase und Rachen beeinträchtigen. Wie Sie sich wahrscheinlich denken können, ist dies das schlimmste Mißgeschick, das einem fahrenden Sänger widerfahren kann.« Er machte eine Pause, um die Information auf seine Zuhörer wirken zu lassen. Gretchen nickte nur kurz, um anzudeuten, daß sie dieses Berufsrisiko wohl einschätzen konnte, und der alte Mann winkte Colin ungeduldig zu, fortzufahren. »Hmm – ja, also, wie gesagt, zumindest finden die Leute im Süden das Lied unterhaltsam. Wie mir Giles sagte, soll es dort sogar sehr in Mode sein.« Colin legte noch eine Pause ein, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, bevor er sein Spiel mit einem Moll-Akkord begann. Die Gitarre schickte Wellen von Seufzern in den Raum, einmal, zweimal und noch ein drittes Mal.
Der Gesichtsausdruck des Spielmanns wurde hart und seine Stimme tiefer. Die Gitarre war nun eine Steinmauer, an die er sich lehnte, um einem anderen Bauern eine deftige Klatschgeschichte zu erzählen. Die Musik galoppierte dahin, hielt den Takt mit seiner Stimme:
ZIGEUNERBALLADE
Ritt ein Zigeuner wohl über Land,
sang so laut und so munter,
er sang so süß und so elegant …
Herrin Fee stieg vom Schloß herunter …
junge Fee stieg vom Schloß herunter.
Tripp und trapp ging’s treppab vors Tor,
mit den Mägden so hübsch und so sauber,
so schön war sie, daß sein Herz er verlor,
und er warf über sie einen Zauber.
Bei diesen Worten öffnete Herr Wilhelm die Augen, weil auch in seinem Dorf ein Zigeuner während der vorletzten Festzeit ziemlich viel Unheil angerichtet hatte, und zwar war dieser gleich mit zwei Mädchen auf einmal verschwunden. Es hatte sich um zwei Schwestern aus der Molkerei gehandelt, die zur Grafschaft gehörte. Damals hatte Herr Wilhelm helfen müssen, den Ruf der beiden Mädchen wiederherzustellen. Damals hatte er einen ansehnlichen Zuschuß zu ihrer Mitgift beigesteuert, damit die beiden verheiratet werden konnten, ehe sie Nachwuchs bekamen. Aber wenn der Kerl sogar eine Fee bezirzt hatte, mußte er wirklich unwiderstehlich sein, denn Feen durchschauten doch meistens die billigen Zaubertricks anderer.
Der Spielmann schlüpfte nun aus der Rolle des Bauern und spielte den Zigeuner, der in die romantische Phantasiewelt der Herrin eindringt. Gretchen sah er in der Rolle der Dame. Durch seine leidenschaftlichen Blicke brachte Colin Gretchens abwartend höfliche Haltung, die sie bis jetzt an den Tag gelegt hatte, ins Wanken. Sie versuchte, auf Colin, den falschen Zigeuner, ebenso verächtlich herabzusehen wie auf die Katze ihrer Großmutter und ärgerte sich, als sie bemerkte, daß ihre Blicke ihrem Willen nicht mehr gehorchten.
»Willst du vergessen Gemahl und Land
und den Reichtum, den weiten und breiten?
Willst du verlassen dein Haus und Land
und mit dem Zigeuner reiten …
mit Zigeuner-Davie reiten?«
Gretchen stieg die Röte ins Gesicht, ihr von Natur aus dunkler Teint wurde purpurn vor Verlegenheit, als der Spielmann endlich wieder ihren Blick losließ, um in die Rolle des Erzählers zurückzuschlüpfen.
Sie zog ihren hellgrünen Mantel an
und die Stiefel von feinstem Leder,
und ihr schönstes Rößlein bestieg sie dann,
folgt ihm nach, wie dem Wind die Feder.
Heim von der Jagd kam Herr Eberesch spät,
und er fragte nach seiner Fraue,
und die eine Magd weint und die andere kräht:
»Sie ist fort wohl über die Aue …
mit Davie über die Aue.«
Das Hauptthema wurde von komplizierten Nebenthemen untermalt, die das Pferdegetrappel simulierten, das allmählich jenseits des Moors, das sich hinter dem Wohnsitz der Dame ausdehnte, verhallte. Der Spielmann sah erst wieder von seinem Instrument auf, als das Summen seiner Laute in der Stille verklungen war. Herrn Wilhelms Gesicht hatte eine ziemlich ungesunde violette Färbung angenommen, und bei Gretchen wurde plötzlich auf unangenehme Weise die Ähnlichkeit mit ihrer Großmutter sichtbar.
»Nun, Vater, was meinst du – sollen wir ihn in kochendes Öl werfen oder ihm die Haut bei lebendigem Leib abziehen?« fragte sie grinsend und bleckte dabei ihre scharfen weißen Zähne.
Was hatten ihm seine Lehrmeister beigebracht? überlegte sich Colin. Wenn du es mit Aristokraten zu tun hast, mußt du im Zweifel vor ihnen auf dem Boden kriechen. Er fiel mit lautem Knall auf die Knie, weil er es gar so eilig hatte. »Ich bitte vielmals um Verzeihung, Fräulein, und auch Sie, Herr Wilhelm. Ich habe nur getan, worum Sie mich gebeten hatten und wollte Sie nicht verletzen. Auch kann ich mir wirklich nicht vorstellen, warum mein Lied Sie gekränkt haben soll. Ich werde es nie wieder spielen – das verspreche ich Ihnen – nie!« Wenigstens nicht in Ihrer Nähe, fügte er in Gedanken hinzu, wobei er verzweifelt nach einer Fluchtmöglichkeit Ausschau hielt. Herrn Wilhelms Gesicht gewann seine ursprüngliche Blässe zurück.
»Vielleicht solltest du dir in Zukunft nicht gar so exotische Themen für deine Gesangsdarbietungen aussuchen, mein Junge«, meinte der alte Ritter trocken, »oder zumindest keine Namen nennen. Derselbe Herr Brüllo Eberesch, dem in deinem Lied die Hörner aufgesetzt werden, ist, wenn es nicht noch einen anderen Mann dieses Namens gibt, kein geringerer als mein Schwiegersohn, der Mann, der mit Bernsteinwein, meiner zweitjüngsten Tochter, verheiratet ist.«
Colin verschlug es die Stimme, und er ließ verstohlen seine Blicke zwischen dem bleigefaßten Fenster und der hohen Treppe, über die sie die Turmstube erreicht hatten, hin und her schweifen.
»Wie heißt doch gleich der Mann, von dem du das Lied angeblich hast?« fragte Gretchen scheinheilig.
»Meinen Sie vielleicht Spielmann Giles, schönes Fräulein?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob es ihm großen Spaß machen würde, wenn man seine Nase entfernte, sagte Gretchen.
»Aber Gretchen!« schimpfte Herr Wilhelm, »du jagst dem jungen Mann einen Mordsschreck ein, du kleine Barbarin. Er hat dir doch versichert, daß das Lied nicht von ihm stammt.« Und etwas sanfter sagte er zum Spielmann, der nun vor Angst in Schweiß gebadet war: »Tut mir leid, mein Junge.« Mit dem Daumen deutete er auf seine finster dreinschauende Tochter. »Im Grunde genommen ist sie ein tolles Mädchen, nur mag sie, wie wir alle hier, ihre Schwester so gern.« Er schüttelte den Kopf. »Ich versteh das überhaupt nicht. Goldie – ich meine Bernsteinwein – ist überhaupt nicht der Typ von Mädchen, das mit dem Erstbesten durchbrennt. Dazu ist sie viel zu rücksichtsvoll. Ohne Erklärung abhauen! Ohne uns einen Brief zu schicken! Auch wenn sie ihren Mann nicht gemocht hätte, was nicht der Fall war – das kann ich beschwören – hätte sie kaum ohne Vorwarnung ihre Familie in eine so peinliche Lage versetzt –«
»In der Tat, schönes Fräulein, ehrwürdiger Herr«, pflichtete ihm der Spielmann nachdrücklich bei, »ich bin überzeugt, daß Frau Bernsteinwein über jeden Zweifel erhaben ist.«
»Sie sagen es, gewiß ist sie das.« Nervös bearbeitete Herr Wilhelm mit den Händen die Bettdecke, bevor er sein verblüfftes und unglückliches Gesicht Gretchen zuwandte.
Sie beugte sich zu ihm herab und schloß ihn in die Arme. »Ach Vater, natürlich ist sie das. Sie würde sich doch nicht einfach mit dem erstbesten Zigeuner herumtreiben, der ihr über den Weg läuft – du weißt doch so gut wie ich, daß sie sich kaum entschließen kann, welches Kleid sie zum Frühstück tragen soll, ohne vorher die ganze Dienerschaft und darüber hinaus Großmutter und mich zu befragen. Sie würde gewiß nicht einfach durchbrennen, weil sie mindestens eine Woche lang packen müßte!« Sie blitzte wieder den am Boden kauernden Colin an. »Wahrscheinlich hat einer von den Feinden meines Vaters diesen Giles dafür bezahlt, daß er sich so ein abscheuliches Lied ausdenkt!«
Colin schluckte und erhob zögernd den Zeigefinger, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Mit Verlaub, schönes Fräulein«, begann er schüchtern. Wenn er auch die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer nicht noch mehr auf seine Person lenken wollte, widerstrebte es ihm doch, daß Giles die Konsequenzen seines Schweigens tragen sollte. »Giles verbesserte nur noch ein wenig die Melodie, aber eigentlich war es eine volkstümliche Schöpfung.«
»Volkstümliche Klatschmusik, wie?« Herr Wilhelm erschien Colin nun noch wesentlich älter und kränker als beim Betreten des Zimmers, und bereits da hatte er schon zwanzig sorgenschwere Jahre älter ausgesehen als Gretchens Großmutter. »Gretchen, was ist bloß los mit Bernsteinwein?« fragte er schließlich.
Gretchen senkte den Blick und vergrub ihre Fäuste noch tiefer in den Taschen ihrer Schürze. »Keine Ahnung, Vater.«
»Erinnerst du dich an diesen fiesen Kerl, der mit Mullalys Töchtern durchgebrannt ist, und für den ich so tief in die Tasche greifen mußte, um den Ruf der Mädchen zu retten?«
»Ja, Vater, aber Betsy und Beatrice Mullaly sind genauso dumm wie ihre Eltern. Das weiß jeder hier. Unsere Goldie hat mehr Grips.«
»Das hoffe ich, aber ich weiß nicht so recht. – Ich wünschte, meine Beine würden wieder mittun, dann könnte ich Brüllo Eberesch aufsuchen und mit ihm sprechen.« Ungeduldig versuchte er, aufzustehen, aber Gretchen hielt ihn sanft zurück.
»Wie du selber weißt, hat das doch keinen Zweck. Ich werde zu Brüllo gehen und mit ihm sprechen.«
Der alte Mann sah sie lange an, dann schloß er die Augen und sank in seine Kissen zurück. »Natürlich wirst du das tun, Mädel. Ich glaube, du bist wirklich die einzige, die das kann.« Dann riß er wieder ein Auge auf, um sie kritisch zu mustern und sagte: »Aber du hast doch hoffentlich nicht vor, allein zu reisen?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Warum auch nicht? Wir wollen doch nicht, daß sich das Gerücht wie ein Lauffeuer verbreitet, wenn nichts dahintersteckt. Schließlich habe ich ja meine Zauberei, die mich beschützt.«
Herr Wilhelm schnaubte verächtlich. »Hausbackene Hexerei, was? Gerade recht, um Schloß und Kneipe in Schuß zu halten, aber was würdest du tun, wenn dir ein Bär in die Quere kommt?«
»Nun gut«, räumte sie ein, weil sie ihren Vater nicht länger mit Meinungsverschiedenheiten strapazieren wollte. »Dann nehme ich eben diese Spottdrossel mit.«
Colin war von Gretchens Erklärung vollkommen überrascht.
Herr Wilhelm sah ihn scharf an. »Natürlich, und wenn ein Bär angetrottet kommt, wird er das Tier mit einem seiner blutrünstigen Wiegenlieder in den Schlaf singen, und du wirst es dann in einen Bettvorleger verwandeln, stimmt’s?« Nachdenklich strich er sich mit der Hand durch sein schütteres Haar, das seit dem Unfall noch grauer geworden war. »Na ja, er ist seiner Zunft für sein Benehmen verantwortlich, und wenn er bei dir ist, kann ich wenigstens sicher sein, daß er dieses unselige Lied nicht weiter verbreitet. Wahrscheinlich wäre es nicht besonders vernünftig, dir von hier einen Beschützer mitzugeben. Ich glaube zwar nicht, daß einer von ihnen deine Schwester vorsätzlich verleumden würde, aber dennoch scheinen die Leute nicht darauf verzichten zu können, alles weiterzutratschen, was sie wissen.« Er seufzte noch einmal und gab dann auf. »Ich glaube, die Spottdrossel muß uns genügen.«
»Gut.« Gretchen küßte ihren Vater zum Abschied auf die Wange und erhob sich. »Ich mach mich jetzt auf den Weg, um mit einem Zauber die Putzarbeiten, die ich bereits hinter mich gebracht habe, auf die nächste Zeit auszudehnen und die Speisekammer ein wenig zu vergrößern, bevor ich Großmutter sage, was sie tun muß, damit alles in Schuß bleibt, solange ich weg bin.«
»Das kann ja heiter werden«, murmelte Herr Wilhelm hinter Gretchen her, die mit Colin im Schlepptau durch die Tür rauschte.
Gretchen ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, als sie beim Betreten der großmütterlichen Hütte die Territorialtruppen in geschlossener Formation aufmarschieren hörte, die von berufsmäßigen Klageweibern begleitet wurden, um die Toten und Verwundeten zu beweinen, denn sie erkannte, daß das Stampfen der Marschierenden der Zweiertakt war, den die Großmutter mit ihren kräftigen Händen beim Weben schlug, und der immer wie ein vorrückendes Heer klang, das aber erst durch die Pfeifen, Trommeln und Klagelaute, die in dem altertümlichen Lied der alten Dame durchklangen, vollkommen wurde. Sie hatte es gesungen, weil es ihr bei der Arbeit langweilig war.
»Gretchen, mein Schatz!« rief sie und zog dabei die Beine hoch, drehte sich auf ihrem Hocker um die eigene Achse, um ihrer Enkeltochter ins Gesicht zu sehen: »Ich bin ja so froh, daß du wieder hier bist! Nun kannst du dich ja um diese lästige Arbeit kümmern, während ich das Zeug für Betsy Bäcker zubereite.«
»Seltsam, ich habe gerade von ihr gesprochen.« Gretchen nahm ein neues Schiffchen, veränderte den Kettbaum mit einem Tritt auf das Fußpedal und schnalzte vorwurfsvoll mit der Zunge. »Also wirklich, Großmutter, jetzt sieh dir mal all die abgebrochenen Kettfäden an, die du einfach hängenlassen hast. So wird das Gewebe nie halten!«
Großmutter Grau sah sie durch den Meßbecher an, den sie in Augenhöhe hielt und in den sie nun langsam eine dampfende gelbe Flüssigkeit goß. »Du, meine Liebe, bist die Heimwerkerin und ich bin nur die Alchimistin – aber ich bekenne mich zu meinem Beruf … Diese vertrackten kleinen Fädchen – Igitt!«
»Also bis jetzt habe ich dich allerdings noch kein Blech in Gold verwandeln sehen«, antwortete Gretchen, die mit Daumen und Zeigefinger die gerissenen Fäden wieder zusammenfügte. Mit Hilfe des Flickzaubers, den sie während des Gesprächs ausübte, würden die Fäden sehr viel fester werden als ursprünglich.
Gretchens Großmutter mischte der gelben Flüssigkeit ein leuchtend blaues Pulver bei, so daß grüner Rauch mit gelbem Dampf vermischt zu den Kräuterbündeln an der Decke aufstieg, die so dicht hingen, daß Gretchen manchmal meinte, auf dem Kopf über eine Wiese zu gehen. »Ich habe das schon immer als ein törichtes Unterfangen betrachtet, Magdalena, denn Blech ist schließlich wesentlich nützlicher als Gold«, antwortete ihre Großmutter schließlich. Immer, wenn die Großmutter ihre Zauberkraft ausübte, setzte sie eine besonders würdevolle Miene auf, eingehüllt von übelriechenden, mit Partikeln von Materia Medica durchsetzten Dampfschwaden. Bei diesen Gelegenheiten hatte Gretchen so manche nützliche Lektion erhalten. Ihre Großmutter hatte sie während dieser Predigten immer mit »Magdalena« angeredet, ihrem richtigen Namen, den sie besonders haßte.
Gretchen drehte sich auf der Bank herum, um ihrer Großmutter ins Gesicht zu sehen; mit dem Rücken lehnte sie am vorderen Balken des Webstuhls, mit dem rechten Bein, das sie hin und her pendeln ließ, zerknautschte sie den Teppich, den sie für ihre Großmutter gewebt hatte. Dabei bemerkte sie, daß sie wieder eine Stelle ausbessern mußte, an der das Gewebe abgenutzt war. Ihre Großmutter verschüttete immer wieder säurehaltige Flüssigkeiten auf den Teppich, die sich hineinfraßen; vielleicht hatte ihn aber auch der Kater mit seinen Krallen blankgewetzt. Schließlich sagte sie zu ihrer Großmutter: »Ich reise nach Süden, Großmutter.«
»Das hat mir Ching schon gesagt.« Die Großmutter stellte den Becher mit der Flüssigkeit ab und sah ihre Enkelin scharf an: »Findest du nicht, daß es Bernsteinweins ureigenste Angelegenheit ist, mit wem sie davonläuft?«
»Doch, ja.« Gretchen sah mit sorgenvoll gerunzelter Stirn auf ihre Fingernägel und versuchte, sich das Unbehagen zu erklären, das sie vom ersten Augenblick an empfunden hatte, als sie das Lied des Spielmanns gehört hatte. Dann sagte sie: »Aber sie ist eben anders als wir, Großmutter. Weißt du, schließlich war sie diejenige, die mich sonst immer ermahnte, mir zu überlegen, wie sich das, was ich gerade tat, auf andere auswirkt – von sich aus tut sie nichts Unüberlegtes.«
»Du meinst, man hat sie dazu gezwungen?«
Gretchen nickte. »Oder etwas in dieser Richtung. Vielleicht hat Eberesch sie schlecht behandelt, aber wenn dem so wäre, dann wäre sie wahrscheinlich schon längst wieder nach Hause zurückgekehrt. Wie dem auch sei und abgesehen davon, wie sie sich verhält, wird sie gegen einen Besuch ja kaum etwas einzuwenden haben, und ich komme endlich mal aus diesem dämlichen Kaff heraus. Weißt du eigentlich, daß mir einer von Ebereschs Leibwächtern bei der Trauung erzählt hat, daß die Bäume dort unten zu dieser Jahreszeit bereits blühen?«
»Nicht nur die Bäume, mein Schatz.« Die Großmutter betrachtete sie mit strengem Blick. »Unser Klima mag den größten Teil des Jahres über zwar unwirtlich sein, aber glücklicherweise bewahrt es unsere Bewohner auch vor dem Unsinn, der im Süden an der Tagesordnung ist. Vor ungefähr einem Monat hat mir deine Tante Sibyl geschrieben, daß sie Banditen gesehen hat, die über die brazorianische Grenze gekommen sind, um in unmittelbarer Nähe von Ebereschs Reich ein Bergdorf zu zerstören. Aber das ist noch nicht alles. Offenbar gibt es dort auch noch Drachen, Werwölfe, Menschenfresser und Piraten.« Sie mußte sich setzen, weil Länge und Wichtigkeit ihrer Liste sie ermüdeten. »Und Löwen und Tiger«, fügte sie hinzu.
»Vergiß die Bären nicht«, sagte Gretchen ganz trocken.
»Ja natürlich – auch Bären, und du brauchst mich gar nicht auszulachen, mein Kind, sogar Einhörner können gefährlich werden, wenn sie durcheinander sind. Am gefährlichsten sind natürlich die Menschen. Weil Hexen und Zauberer manchmal ein ausgeprägtes Territorialverhalten haben, solltest du mit fremden Zauberern vielleicht etwas höflicher umgehen als mit deiner alten Großmutter. Und was schließlich die Männer anbetrifft, die ein großes Problem darstellen, so finde ich es von deinem Vater nicht gerade sehr klug, dich mit diesem intriganten, singenden Ganoven von dannen ziehen zu lassen.«
»Sei doch nicht so albern, Großmutter. Er ist ja nur ein Musiker – er kann nicht mal zaubern.«
»Jetzt bist du aber albern, du weißt ja überhaupt nicht, ob er zaubern kann oder nicht. Und schließlich ist er ein Mann. Wie erklärst du dir, daß die Männer uns zahlenmäßig überlegen sind und wir von Generation zu Generation schwächer werden?«
»Es darf doch wohl nicht wahr sein, daß meine Großmutter mir eine Moralpredigt hält?« Gretchen fing an zu grinsen.
Die Großmutter machte einen verlegenen Eindruck. »Natürlich nicht, du freches Biest. Aber du solltest dir erst einen Partner suchen, wenn deine Kräfte voll entwickelt sind und du Gelegenheit hattest, sie zu erproben. Deine arme Mutter hat es als Hexe nicht weit gebracht, weil sie sich schon so früh mit einem Mann eingelassen hat und alles …«
»Jetzt schieb bloß nicht die ganze Schuld auf Papa …«
»Tu ich ja nicht. Ich bin nicht so bigott wie so mancher andere, aber …«
Sie wurden von einem munteren Klopfen an der Tür unterbrochen. Gretchens Großmutter hatte keine Zeit mehr, »Herein« zu rufen, als auch schon die Tür aufging und ein rundes Gesicht mit einem Schopf weißer Haare hereingrinste. Eine zum Gesicht passende Hand mit rosafarbenen Fingern winkte ihnen zu. »Guten Tag, Hexe Grau und Jungfer Gretchen. Darf ich hereinkommen?«
»Sieht so aus, als wärst du bereits drinnen, Hugo«, sagte die Großmutter. »Was kann ich für dich tun?«
Da es sonst keine Sitzgelegenheit mehr gab, nahm der Mann im Schaukelstuhl Platz. Er grinste und zeigte dabei eine Reihe von Zähnen, in der die bekanntesten Metalle vertreten waren. »Da ich gerade auf dem Weg in den Norden bin, hab ich gedacht, ich könnte auch mal bei dir vorbeischauen und etwas vom Üblichen mitnehmen.« Seine wässrigen blauen Augen wanderten zu Gretchen hinüber und verweilten dort sehr viel länger, als es sich für eine Begrüßung schickte.
»Natürlich«, sagte Gretchens Großmutter und kletterte auf ihr schmales Bett, um das Bord mit den handgemachten Krügen zu erreichen, das darüber an der Wand hing. Sie roch an mehreren, ehe sie schließlich einen auswählte.
Einen Augenblick lang folgte Hugo ihren Bewegungen, während er sich genüßlich die Lippen leckte. Dann wandte er sich an Gretchen:
»Nun, Jungfer Gretchen, wie ich erfahren habe, wollen Sie eine kleine Reise machen?«
»Wie schnell sich doch Neuigkeiten herumsprechen!«
»Ich nehme an, daß sie in den Süden reisen, um ihre liebliche Schwester zu besuchen?«
»Verdammt! Weiß es denn schon das ganze Dorf?« Gretchen war wütend; nicht nur hatte sie gehofft, daß ihre Mission geheim bleiben würde, auch hatte sie eine ganz besondere Abneigung dagegen, daß ein so übler alter Schwätzer wie Hugo, der Handlungsreisende, über ihre Pläne Bescheid wußte.
»Aber nein, teures Fräulein, Sie haben doch von mir nichts zu befürchten, ich werde es keinem Menschen weitererzählen. Sie wissen doch, daß ich schweigen kann wie ein Grab, wenn es um die delikaten Geheimnisse einer Dame geht. Aber ich habe dem Schmied einen neuen Hammer gebracht, und er hat mir erzählt, daß Sie morgen abreisen werden, woraufhin ich natürlich angenommen habe …«
»Hier, Hugo!« Gretchens Großmutter schüttete etwas Pulver aus dem irdenen Krug auf ein Stück Papier, das sie dann feierlich faltete und dem Hausierer überreichte. »Macht sechs Kupfermünzen.«
»Sechs! entrüstete sich Hugo und schnallte widerstrebend den schmucken Geldbeutel ab, den er am Gürtel trug. »Du hast also aufgeschlagen. Ich weiß noch ganz genau, daß es ursprünglich nur zwei Kupfermünzen kostete.«
»Das sind die Folgen der Geldentwertung«, sagte Großmutter Grau frohgemut und verstaute das Geld in ihrer Rocktasche. »Das ist eben heutzutage der Preis für Hexerei. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sich die Dürre im letzten Jahre auf meinen Gewinn ausgewirkt hat. Einige meiner kostbarsten Pflanzen sind ausgetrocknet und werden dieses Jahr wahrscheinlich überhaupt nicht mehr treiben …«
Hugo ging rückwärts zur Tür hinaus, beim Weggehen tippte er mit der Hand an eine nichtvorhandene Mütze: »Ja, nun denn, meine Damen, leben Sie wohl!«
Gretchen lachte laut. »Ach, Großmutter, wie konntest du nur sechs Kupfermünzen für einen solchen Unsinn verlangen!«
»Das gehört doch mit zum Zauber, mein Schatz. Gute Magie wird immer für wirksamer gehalten, wenn sie etwas mehr kostet, als sich der Kunde bequem leisten kann.«
»Wofür ist das Mittel eigentlich?«
»Gegen Impotenz. Du kannst nun hereinkommen, mein Schatz.« Gretchens Großmutter lockte ihren Liebling mit einer so sanften Stimme herbei, wie die Leute im Dorf und auch Gretchen sie überhaupt nicht an ihr kannten. Chingachgook, der schwarz-weiß-gefleckte Kater, sprang vom Fensterbrett und nahm auf dem Schoß der alten Dame Platz.
»Nun, vielleicht brauche ich selber auch ein paar von deinen Pülverchen.«
»Weil ich auch schon daran gedacht habe, habe ich meine uralte Weisheit zu Hilfe genommen und ein paar Dinge für dich vorbereitet.«
»Die woraus bestehen?« fragte Gretchen mißtrauisch und ließ sich auf der Bank am Webstuhl nieder, weil ihr der Kater auf die Schulter gesprungen war. Großmutter Grau nahm ihren Zopf nach vorn, zupfte sich sieben lange Haare aus und sagte zu Gretchen: »Hier, du bist die Weberin, flechte diese Haare zu einer Kette zusammen und trage sie als Halskette.«
»Wozu eigentlich?« fragte Gretchen, als sie mit flinken Fingern die Haarschlaufen zu einer Kette zusammenflocht, die sie dann mit einem komplizierten Knoten unter ihrem otterfarbenen Haarschopf verschloß.
»Natürlich, um dich verständlicher zu machen«, schnurrte ihr Ching ins Ohr, wobei er seinen Kopf an ihrer Wange rieb.
Gretchen wollte gerade aufbegehren, doch als sie das zufriedene Gesicht ihrer Großmutter sah, gab sie es auf: »Gut, ich glaube, Chings Anwesenheit wird mir helfen, mich mit den größeren nichtmenschlichen Arten zu verständigen. Aber ich hoffe, daß ich mir nicht das Gejammer des Pferdes anhören muß, das sich über wehe Füße und schlechtes Futter beklagt!«
»Nur, wenn du Ching darum bittest, mein Schatz. Aber ich habe mir gedacht, wenn du nur diesen rührseligen Spielmann mitnehmen willst, wirst du froh sein über jede Art intelligenter Gesellschaft.«
»Ja, Großmutter.«
»Was die intelligente Gesellschaft anbetrifft, so rate ich dir auch, unterwegs bei Sibyl vorbeizuschauen, sonst gibt es wieder einen Familienkrach.«
Gretchen zappelte vor Ungeduld, so daß Ching von ihrer Schulter herunterspringen mußte. Zu ihrer Großmutter gewandt sagte sie: »Aber Großmutter, vielleicht ist es wichtig, daß ich Goldie möglichst schnell erreiche!«
»Ein Grund mehr, bei Sibyl vorbeizuschauen!« sagte Großmutter Grau und warf Gretchen eine Ledertasche mit Riemen zu. »Da ist dein Medizinbeutel, und nun geh. Ich bin ziemlich sicher, daß hier alles von selbst weiterlaufen wird.«
»Das muß es ja wohl auch«, murmelte Ching, legte den Kopf auf die Vorderpfoten und wand den Schwanz um seine Schnauze.
Gretchen wollte so schnell aus dem Dorf heraus, daß sie Colin und das Packpferd in der ersten halben Stunde weit hinter sich ließ. Nach dem langen, frostigen Winter auf der Eisdrachenfeste war es eine reine Freude, über die aufgeweichten, matschigen Wege zu reiten und durch die Schmelzwasserpfützen zu platschen, die der Sturm im vergangenen Monat übriggelassen hatte. Sie nahm kaum die Kälte an ihren Ohren wahr, die durch den Luftzug beim Galoppieren entstand, und das Zerren ihres wollenen Umhangs, der sich hinter ihr aufbauschte. Sie hätte laut singen mögen vor Freude! Der Geruch des frischen, zarten Grases und überhaupt alle Gerüche nach einem Winter mit niedrigen Temperaturen und toter Natur, einem Winter, in dem einem die Nase zugefroren war, waren Gretchen sehr viel angenehmer als alle Parfums der vornehmen Damen bei Goldies Hochzeitsfeier. Sogar unter einem bleiernen, grauen Himmel leuchteten nach den dunklen Farbtönen und endlosen Weißflächen des Winters endlich die Farben des Frühlings. Natürlich belebte vor allem das Grün die Natur, aber auch Kardinalvögel und Blaumeisen, die in der Luft herumschwirrten, und eine vereinzelte gelbe oder lila Blütenknospe, die sich aus dem Boden hervorgewagt hatte.
Ihre Nachbarn, die im Straßengraben Zuflucht suchen mußten, als sie vorüberraste, streifte Gretchen mit einem kurzen Seitenblick. Auch sie waren bunt angezogen. Nach den neun Monaten, in denen sie nur schwarze, dunkelblaue oder dunkelbraune Gewänder getragen hatten, die die Kälte abhielten, hatten die Frauen nun die dunklen Mäntel gegen die kleidsamen Trachten mit den goldenen und roten Röcken, den blauen oder gelben Blusen und den gestickten weißen Schürzen und Tüchern ausgetauscht. Die Mehrzahl der Männer trug nun sogar noch praktischere Kleidung als im Winter, weil erfahrungsgemäß der Pflug einer weißen Schürze weit abträglicher sein kann als ein Butterfaß, aber Gretchen wußte, daß auch die Männer an den Markttagen, die nun nicht mehr allzu fern waren, Samtwesten über ihre gesmokten Hemden aus handgesponnenem Leinen ziehen würden, die mit den ausgefallensten Szenen und Farben bestickt waren, die sich ihre Frauen ausdenken konnten. Je einfallsreicher die Stickerei, um so einfallsreicher der Mann, sagt ein altes Sprichwort. Welche Frau würde sich auch die Augen verderben, um sich für einen Trottel solch eine Arbeit zu machen?
Erst als Gretchen anhalten mußte, weil vor ihr in aller Seelenruhe eine Schafherde den Weg überquerte, holte der Spielmann sie schnaufend und mit gerötetem Gesicht auf seinem graugelb gefleckten Pferd ein. Ching, der in seinem Korb auf dem Rücken des Packpferds unbarmherzig durcheinandergerüttelt wurde, warf mit unanständigen Katzenflüchen um sich.
Colin konnte nur mühsam seinen Zorn unterdrücken, als er die Hexe auf ihrer schwitzenden braunen Stute einholte. »Mit Verlaub, schönes Fräulein, aber wenn Ihr in diesem Tempo weiterreitet, werdet Ihr Euer Tier umbringen, bevor wir das nächste Dorf erreichen.«
Als Gretchen die Schimpfreden, mit denen Großmutter Graus Kater sie überhäufte, richtig verstand, verbiß sie sich die wütende Antwort, die sie dem Spielmann geben wollte, nickte statt dessen nur demütig und trieb ihr Pferd sanft an, als die letzten Schafe den Weg überquert hatten.