1

Das Übungsschießen der 2. Abteilung hatte gestern stattgefunden. Gestern, am 4. Juni 1941. Von sechs Uhr morgens bis ein Uhr mittags. Dass die Witterung denkbar schlecht war und dass dicke Wolken tief über der Münsinger Alb hingen, dass es wie aus Kannen goss und dass die Zufahrtswege zu den Feuerstellungen total verschlammt waren, hinderte den Kommandeur nicht daran, Punkt 6.34 Uhr mit zwölf schweren Feldhaubitzen den Feuerschlag auf die angenommene feindliche Bunkerlinie zu eröffnen und diese innerhalb weniger Minuten in ein qualmendes Zielquadrat zu verwandeln.

Dass die graue Wolkendecke just in dem Augenblick aufriss und die Junisonne sich zaghaft hervorwagte, als die Feuereinstellung befohlen wurde, erschien dem Gefreiten Robert Benz, Richtkanonier am 1. Geschütz, wie ein Hohn, ebenso die Tatsache, dass man sich mit einem einzigen und nur halblaut geäußerten Wort, nämlich »Idiot«, Urlaub und bevorstehende Beförderung vermasselt hatte.

Genau betrachtet stand die Ursache in keinem Vergleich zur Wirkung. Die 2. Batterie zog im frühmorgendlichen Regendampf durch den schwäbischen Forst in die Feuerstellungen. Die Kanoniere waren aufgesessen und fröstelten unter den triefend nassen Zeltbahnen, die Fahrer trieben die schweren Gäule mit halblauten Flüchen an und gebrauchten sogar die Sporen, da der Fahrweg immer schlechter und die Schlammlöcher immer tiefer wurden.

In der Nähe der Feuerstellung passierte es dann, dass sich das 1. Geschütz hoffnungslos festfuhr und bis an die Radnaben in einem Schlammloch versank. Die Kanoniere saßen ab und versuchten mit vereinten Kräften, die schief im Schlammloch sitzende Lafette herauszuziehen und den angestrengt arbeitenden Gäulen zu helfen.

Wachtmeister Karl Schimanek, Zugführer der ersten beiden Geschütze, ritt heran und brüllte erst die Fahrer, dann die schwitzenden Kanoniere an, denn es war sein Ehrgeiz, dass der 1. Geschützzug vor dem 2. die Feuerbereitschaft zu melden hatte. Nun aber schien es, als ob dieses Mal der 2. Geschützzug den stets ziemlich hitzig ausgetragenen Wettstreit gewinnen würde.

Wer war schuld? Der Stangenfahrer Xaver Hirtz oder der etwas beschränkte Spitzenfahrer Franz Däubler oder der Gefreite Benz, der Richtkanonier? In keinem Falle wollte Geschützführer Unteroffizier Brenner schuld daran sein, was er durch erbostes Geschrei bekundete. Man murkste also an der festgefahrenen Lafette herum und vertat kostbare Zeit.

Da Wachtmeister Schimanek mit Geschützführer Brenner ziemlich dick befreundet war und mit diesem mehrmals wöchentlich Skat spielte, war es klar, dass nicht Brenner an dem zeitraubenden Zwischenfall schuld sein konnte.

»Benz, Sie Tüte! Sie Pflaumenheini!«, brüllte Wachtmeister Schimanek von seinem nervös tänzelnden Braunen herab. »Haben Sie wieder gepennt, he? Warum haben Sie nicht achtgegeben, dass der Karren mehr rechts fährt?«

Blaurot vor Wut war sein Gesicht unter dem Stahlhelm. »In fünf Minuten ist die Lafette in der Feuerstellung, verstanden! Und gnade Ihnen Gott, wenn das nicht der Fall ist! Ich mache Sie zur Schnecke, Mann!«

Benz hatte ein ruhiges Gesicht, er regte sich nie auf. Er war von Beruf Lehrer und hatte es gelernt, sich zu beherrschen. Aber diesmal schoss ihm doch Hitze in die Augen.

»Ich kann nichts dafür, Herr Wachtmeister«, verteidigte er sich. »Ich bin …«

»Halten Sie den Rand, Sie Heini!«, brüllte der Reiter mit dem Portepee. »Noch ein Wort – und ich melde Sie wegen unmilitärischen Benehmens dem Chef!«

Das war der Augenblick, in dem sich der Gefreite Benz brüsk umdrehte und »Idiot« murmelte.

Was dann kam, war mehr als ein Hagelgewitter; es war ein Wutausbruch, dem alle Beteiligten beklommen und verlegen gegenüberstanden. Schimanek gab seinem Braunen so hart die Sporen, dass der Gaul sich aufbäumte und mit den Vorderbeinen zu schlagen begann.

»Waaaas haben Sie gesagt?«, brüllte Schimanek. »Was haben Sie gesagt? Idiot? Mann! Mann! Ich …« Er sprang vom Gaul und stolperte auf Benz zu. »Wiederholen Sie das noch mal, Mann!«

Benz hütete sich. Er stand nur stramm und sah den Wachtmeister an – so lange, bis dieser schnaufte, die Augen zu einem Spalt schloss und herausquetschte:

»Das kommt Sie teuer zu stehen, Benz!«

Der 1. Zug kam natürlich erst nach dem 2. in die Feuerstellung, und Wachtmeister Erler rieb sich zufrieden die Hände, als sein Zug vor dem 1. die Feuerbereitschaft meldete.

Das war gestern. Heute schien die Sonne, und der Truppenübungsplatz Münsingen sah etwas freundlicher aus, obwohl auf den Exerzierplätzen noch große Pfützen standen und die flachen Barackendächer vor Nässe dampften.

Der Rapport sollte um neun stattfinden. Dienstanzug, umgeschnallt, versteht sich. Benz sah gelassen aus, als er sich fertig machte. Die Kameraden waren beim Geschützreinigen. In der Stube hielt sich nur Werner Stöger auf, der fußkrank war und keinen Dienst zu machen brauchte.

»Was wirst denn sagen?«, fragte er.

»Zugeben, dass ich ›Idiot‹ gesagt habe«, erwiderte Benz, während er noch ein letztes Mal über das schimmernde Koppel wischte.

»Mensch, das bringt dir mindestens acht Tage Bau ein. Streit es doch ab!«

Benz lächelte vergnügt. »Er ist ein Idiot, Werner, der größte, dem ich jemals begegnet bin.«

Stöger, der gerade einen Brief an daheim schrieb, legte den Bleistift weg.

»Dann kannst du dir die ›Gurkenschalen‹ abschminken«, sagte er.

Benz zuckte die Schultern. Natürlich wäre er gern Unteroffizier geworden und stand auch bereits auf der Beförderungsliste. Er galt als der flinkste Richtkanonier, und er hatte auch den letzten U-Lehrgang mit guter Beurteilung bestanden. Die Aussicht, Geschützführer am Geschütz 1 zu werden, war dahin! Oder würde Hauptmann Schröder ein Auge zudrücken? Hauptmann Schröder, der von Beruf Schulrat war und daher Benz, den jungen Lehrerkollegen, mit stetem Wohlwollen betrachtet hatte – würde der Chef wirklich ein Auge zudrücken? Würde er diese dumme Geschichte so hinbiegen, dass ihm kein Nachteil daraus entstand?

Benz schaute auf die Uhr. Noch fünf Minuten Zeit bis zum Rapport. Er zündete sich eine Zigarette an und setzte sich an den Tisch. Stöger saß wieder kopfschüttelnd hinter seinem Schreibzeug.

»Was ist das doch für ’n Krampf«, murmelte er. »Jetzt kannst du dir deinen Urlaub auch in den Kamin schreiben, Robert.«

Benz lächelte.

»Hab ich bereits. Mein Mädel kommt am Samstag hierher. Ich habe ihr noch gestern ein Telegramm geschickt.«

»Deiner Gerti?«

Benz nickte. Er sah Gerti vor sich: jung, taufrisch, voller Hingabe und Zärtlichkeit. Sie wohnte in Ulm, wo sie Telefonistin am Postamt war. Man kannte sich seit sechs Wochen. So lange war das 4. Artillerieregiment schon, aus Frankreich kommend, in Münsingen. Ulm war nicht weit, und Benz hatte dort zwei Sonntagsurlaube verbracht. Er hatte Gerti in einem Tanzcafé kennengelernt. Sie hatten sich gesehen, miteinander getanzt, und sie hatten sich vom ersten Augenblick an gerngehabt.

»Mein Urlaub ist fällig«, hatte Benz gesagt, als sie sich vor Kurzem getroffen hatten, »du fährst mit mir heim, meine Eltern sollen dich kennenlernen.«

Gerti hatte blanke Augen bekommen und genickt. Dann hatte sie ihn so stürmisch geküsst, dass ihm ganz schwindelig geworden war. Und nun …? Nun wurde wahrscheinlich nichts aus dem Urlaub! Nun drohten Bau und Strafwachen!

Noch drei Minuten Zeit.

Stöger schrieb, weit über das linierte Briefpapier gebeugt, dann hielt er inne und nagte am Bleistift, schaute zu Benz herüber und sagte:

»Die allgemeine Lage, Robert? Ich will grad davon schreiben. Wie ist sie … die allgemeine Lage?«

Benz stand auf und nahm den Stahlhelm.

»Schreib: Wir glauben an den Sieg, weil wir siegen müssen. Und schick auch einen Gruß von mir mit heim!«

»Danke«, murmelte der andere.

Benz stülpte den Stahlhelm auf den Kopf. Er sah plötzlich nicht mehr aus wie ein sanftmütiger Lehrer, sondern recht kriegerisch, wie die Steinfigur eines Kriegerdenkmals: grau und anonym militärisch.

»Gefreiter Benz meldet sich ab zum Rapport!«, schnarrte er und knallte die Hacken zusammen.

Stöger nickte und winkte lässig: »Haun Sie ab, Benz, und lassen Sie sich durch den Wolf drehn!«

Benz ging hinaus, ging den halbdunklen Barackenflur entlang. Es roch nach Waschlauge und ein klein wenig nach Lysol. Die vorletzte Tür links führte in die Schreibstube.

»Gefreiter Benz meldet sich zum Rapport!«

Hinter der Barriere standen Schreibtische. Sonnenlicht fiel zu den offenen Fenstern herein. Der Schreibstubenbulle tippte auf der Schreibmaschine.

»Ah, Benz!« Er grinste herüber. Er war Obergefreiter, er mochte Benz.

»Chef schon da?«

»Nee. Rapport fällt wahrscheinlich aus. Du hast Schwein, Benz!«

»Wieso?«

»Weil irgendwas anliegt. Offiziersbesprechung beim Kommandeur.«

»Aha.« Benz war es, als würden die beiden Fenster größer und das Sonnenlicht noch stärker. »Geht’s vielleicht ab, Max?«

»So was scheint im Gange zu sein.«

»Und was ist jetzt mit meiner Wenigkeit?«, fragte Benz. »Soll ich warten? Wo ist der Spieß?«

»Mit Schimanek in die Kantine ’rüber. Sie heben einen. Geh inzwischen auf deine Bude und warte. Falls der Rapport doch noch steigen sollte, lass ich dich durch den Gefreiten vom Dienst rauspfeifen.«

Benz wollte kehrtmachen und gehen, als Hopf plötzlich herüberrief:

»Moment noch, Benzlein.« Er stand auf und kam an die Barriere heran. »Was ist eigentlich los mit dir und dem Schimanek? Warum könnt ihr euch nicht riechen?«

Benz nahm den Stahlhelm ab und strich sich über das dichte, dunkelblonde Haar.

»Tschja, Max – das ist eigentlich schon eine alte Geschichte. Ich bin mal mit ihm in Frankreich zusammengerasselt. Letzten Silvester.«

Max Hopf holte eine zerknautschte Schachtel Juno aus der Tasche, bot Benz eine Zigarette an und reichte ihm Feuer.

»Was war da?«, fragte er. »Ich hab da was läuten gehört.«

»Letzten Silvester hatte ich gerade Wache«, erzählte Benz. »Ich machte meine Runde bei den Geschützen. Da hörte ich was und ging hin. Schimanek und eine junge Französin. Das Ding schrie wie am Spieß. Ich trat dazwischen, ohne zu wissen, dass ich Schimanek vor mir hatte. Seither bin ich bei ihm unten durch.«

Hopf nickte. »Kann ich mir vorstellen, Benz. Mensch, das wird dir noch allerhand Ärger bereiten. Schimanek … na ja, du kennst ihn ja! Aber du hättest ’n bisschen zurückhaltender sein sollen, Benz. Den ›Idioten‹ kann er nicht auf sich sitzen lassen.«

»Was sagt der Spieß?«

»Dass man dir die Hammelbeene mal langziehen sollte.«

»Und der Chef?«

Hopf kehrte an seinen Schreibplatz zurück und setzte sich. »Der hat noch keine Stellung dazu genommen.« Hopf begann auf der Maschine zu tippen, hielt noch einmal inne und meinte: »Dein Glück, dass du beim Alten eine gute Nummer hast. Und jetzt hau ab, Knallkopp! Halte dich auf der Bude auf, falls du doch noch bestraft werden solltest. Kehrt marsch!«

Benz ging hinaus.

Der Barackenflur war leer. Als Benz in die Stube zurückkam, saß Stöger noch immer am Tisch und schrieb mit schwerer Hand den Brief an daheim.

»Na?«, fragte er, als Benz hereinkam. »Wie viel?«

»Aufgeschoben«, murmelte Benz, während er den Stahlhelm abnahm. »Die Chefs sind in die Kommandantur gerufen worden und haben eine Besprechung.«

Stöger hatte ein sommersprossiges Gesicht mit pfiffigen Augen. Seine Frisur war streichholzlang und borstig.

»Das schmeckt nach Abmarsch«, sagte er. »Ich hätt nichts dagegen, wenn wir bald aus diesem Windloch rauskämen.«

Benz legte den Stahlhelm auf den Spind, öffnete dann die Schranktür und betrachtete Gertis Bild. Wie sie lachte! Froh und heiter wie ein Maientag. Sie war ein dunkelhaariges, bildhübsches Mädchen.

»Robert«, hörte Benz Stögers Stimme, »wirst sehen, wir bleiben nicht mehr lange. Du brauchst den Knast nicht abzusitzen. Wetten wir?«

Benz aber dachte an anderes. An Gerti. Er hatte ihr gestern ein Telegramm geschickt und sie nach Münsingen in die Bahnhofswirtschaft gebeten. Würde Gerti kommen? Würde er noch die Zeit haben, ihr zu versichern, dass beim nächsten Urlaub geheiratet würde? Benz spürte große Sehnsucht nach Gerti, aber zugleich auch etwas wie Angst. Angst, sie nicht mehr sehen zu können, ohne Abschied von ihr gehen zu müssen!

Er holte Brot und den Rest Kunsthonig aus dem Essfach, ging zum Tisch und setzte sich Stöger gegenüber.

»Was glaubst du, Werner – wohin geht’s von hier? Nach Frankreich zurück?«

»War nicht schlecht!«, Stöger grinste. »Noch lieber wär mir, wenn wir nach Dänemark kämen. Da kannst fressen, so viel und was du willst. Dort gibt’s alles. Aber keinen Kunsthonig!«

Er lachte und schrieb weiter.

Gerade als Benz sich die Kanne mit kaltem Kaffee holen wollte, ertönte im Barackenflur Getrampel. Die Tür flog auf, und die Geschützbedienung kam herein. Die Männer trugen verwaschene Drillichanzüge und waren ölverschmiert.

»Was ist los?«, fragte Benz den Stubenältesten, den Gefreiten Emmerich, K zwo am ersten Geschütz. »Ist der Dienstplan umgestellt worden?«

»Wir sollen uns umziehen und zum Antreten fertig machen. Und wie war es bei dir? Bist du verdonnert worden?«

»Nein. Rapport fiel aus wegen schlechten Wetters«, sagte Benz lachend.

Die Männer schnatterten wie ein Schwarm aufgescheuchter Spatzen durcheinander. Jeder spürte, dass irgendetwas in der Luft lag. Schon seit Tagen kursierten verschiedene Parolen: dass man in Münsingen umgruppiert werden sollte; dass eine Regimentsverlegung nach Dänemark wahrscheinlich wäre; dass es wieder nach Frankreich zurückginge. Einige wollten sogar wissen, dass das 40. Artillerieregiment nach dem Südosten geschickt würde. Die Gerüchte häuften sich, aber niemand wusste etwas Genaues.

Woher kamen diese Parolen? Wer streute sie aus? Sie waren anynom wie das Grau der Uniformen.

Im Barackenflur gellte die Pfeife des U. v. D.

»Batteriiie – ’raustreten!«

Im Dienstanzug, umgeschnallt, drängten sie hinaus vor die Baracke. Spieß Dirks ließ sein trompetenhaftes Organ erschallen. Der Chef, Hauptmann Schröder, ein vornehm aussehender Mann mit angegrauten Schläfen, gestiefelt und gespornt, kam von links mit dem Batterieoffizier Leutnant Herrberg.

Fünf Minuten später war es allen klar, dass die Zeit in Münsingen zu Ende ging und die Abteilung den Marschbefehl irgendwohin zu erwarten hatte. Und so kam es, dass der Gefreite Robert Benz nicht bestraft wurde und die Dienstgradbeleidigung ungesühnt blieb – vorläufig wenigstens, weil es Wichtigeres gab.

2

Der Blitzfeldzug gegen Polen, die Einnahme Norwegens durch General Dietls Gebirgsjägerdivisionen, die rasche Überwindung der als uneinnehmbar geltenden Maginotlinie, die Kapitulationen Hollands, Belgiens, Luxemburgs und Frankreichs hatten der deutschen Streitmacht zu Lande, zu Wasser und in der Luft die Glorie der Unbesiegbarkeit verliehen.

Nun schien sich wieder etwas vorzubereiten – ein Sturmlauf gegen einen neuen Feind. Gegen die UdSSR? Aber nein! Mit Russland bestand doch ein Nichtangriffspakt! Molotows Besuch in Berlin war allen noch in guter Erinnerung!

Doch was hatte es zu bedeuten, dass die Bekleidungskammern ihre Türen weit öffneten und alle im Münsinger Lager stationierten Truppenteile vollkommen neu eingekleidet wurden? Die scharf bewachten Stacheldrahttore der im Forst verstreut liegenden Munitionsdepots wurden geöffnet, und lange Kolonnen leerer Munitionsfahrzeuge zogen hinein und kamen vollbeladen mit Brisanzmunition wieder heraus.

Dass etwas in der Luft lag, konnte der Landser auch aus der Dienstplanaufstellung entnehmen. Appelle, Appelle, Appelle! Das sicherste Anzeichen aber, dass eine bedeutsame Truppenbewegung im Gang war, verriet sich aus der Tatsache, dass eine plötzliche Urlaubssperre befohlen wurde und alle auf Urlaub befindlichen Wehrmachtssoldaten telegrafisch zurückgeholt wurden.

Kein Zweifel, es stand etwas Großes bevor – ein erneuert militärischer Stoß in eine noch unbekannte Richtung. Jeder Soldat spürte es, jeder ahnte es und erwartete das Kommende mit Spannung oder Gleichmut.

Benz verließ die Münsinger Alb gar nicht ungern. Er hatte es gelernt, die von Fahrzeugen zerfurchten Waldwege zu hassen, die Kraterlandschaften in den Zielgebieten zu verabscheuen; er hasste den seines ursprünglichen Friedens beraubten Forst ebenso gründlich wie die nach Lysol riechenden Baracken. Und dennoch fürchtete er einen plötzlichen Abmarsch; er musste vorher noch mit Gerti zusammentreffen – mit Gerti, die sein Telegramm erhalten hatte, nach Münsingen zu kommen.

Morgen war Samstag. Um ein Uhr sollte der Zug kommen, der sie aus Ulm brachte. Morgen, Samstag!

Benz fieberte diesem Zusammentreffen entgegen, er erschrak vor jedem Trillerpfiff im Barackenflur, der die Batterie auf den Marsch bringen konnte.

Aber noch geschah nichts. Ein bebrillter Offizier vom Stab hielt im Speisesaal eine schwungvolle Rede mit allen nur möglichen Siegesverkündigungen, die Batterie hielt Kleider-, Geschütz-, Waffen- und Pferdeappelle ab, die allgemeine Spannung hielt an, und das Rätseln, wohin der Marsch diesmal gehen würde, beschäftigte Landser und Offiziere.

Der Ausgang war gesperrt; man musste schon Glück haben, um durch das Tor nach Münsingen gelassen zu werden; man musste jedenfalls dienstliche Gründe vorweisen können, wollte man die Talstraße hinunter in die Ortschaft.

Wieder ein Pfiff mit der Trillerpfeife auf dem Flur.

»Kanoniere! Raustreten zum Stalldienst!«

Das war so üblich. Auch die Herren Kanoniere sollten wissen, wie die Arbeit bei den Pferden schmeckt und dass die Fahrer kein Volk waren, über das man die Nasen rümpfen oder auf das man gar geringschätzig herabblicken durfte. Unteroffizier Brechtmann, der Stallmeister, brachte es den Kanonieren schon bei, dass es zwischen den beiden »Vereinen« keinen Unterschied gab und der Dienst bei den Gäulen ebenso gründlich verrichtet werden musste wie jener am Geschütz.

»Los, meine Herren – puuutzen, puuutzen!«, röhrte der krummbeinige Stallbeherrscher und inspizierte die Tätigkeit der Kanoniere mit den Händen auf dem Rücken und einem höhnischen Grinsen im Gesicht.

»Flinker, flinker! Das höchste Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde!«

Er gab noch mehr Reiterzitate zum besten, und dabei brüllte er den Gefreiten Emmerich an, weil dieser den Striegel zu langsam führte, oder drüben den Kanonier Stöger, der höchst ungern die Hufe des Pferdes Max vom Mist reinigte.

Zwölf schwere Belgier gehörten zum ersten Geschütz. Es waren kostbare Tiere, die mit Sorgfalt und Hingabe gepflegt wurden. Benz wurde dem Stangenfahrer Xaver Hirtz als Hilfe zugeteilt und musste die Fuchsstute Emmi striegeln. Sie war ebenso wohlgenährt wie ihr Zugpartner Alf, der nebenan mit Wohlbehagen seine Haferration aus der Krippe fraß.

Benz mochte Pferde. Er wusste, wie schwer sie zu arbeiten hatten und welche Lasten man ihnen auferlegte, wenn Einsatz gefahren wurde. Er liebte den strengen Geruch der Tiere und ihr seidiges, gepflegtes Fell. Und Xaver Hirtz, der als einer der tüchtigsten Stangenfahrer galt, war sehr stolz auf sein Gespann.

Die Fahrer waren mit der Appellvorbereitung des Geschirres beschäftigt. Benz dachte, während er Emmi striegelte, an morgen, an den bewussten Samstag. Wie soll ich hier wegkommen? Gerti kommt bestimmt, obwohl sie mir keine Nachricht gegeben hat. Ich muss es irgendwie drehen, dass ich nach Münsingen komme! Wenn nicht anders – dann einfach über den Zaun! Egal, was daraus wird!

»Na, Sie Pflaumenheini? Sie schlafen wohl?«

Die Stimme traf Benz wie ein Peitschenhieb. Mit dem gewohnten hinterhältigen Grinsen im bronzebraunen Haudegengesicht stand Wachtmeister Schimanek vor der Pferdebox.

Benz nahm unwillkürlich stramme Haltung an.

»Niemand schläft, Herr Wachtmeister!« In seiner Stimme klang unterdrückte Gereiztheit.

Schimanek kam einen Schritt näher und klopfte der Fuchsstute auf die runde Kruppe.

»Denken Sie bloß nicht, Benz, ich hätte die Beleidigung vergessen.«

Er kam heran, er war ein Bulle von einem Wachtmeister, untersetzt und breit in den Schultern. Er war ein sogenannter Zwölfender, ein ehemaliger Reichswehrsoldat. Früher sei er mal Bäcker gewesen, hieß es. Weiß der Himmel, warum er Berufssoldat wurde! Aber er galt als bester Reiter in der Abteilung, und bei ihm gab’s nichts zu lachen, wenn er Geländedienst oder Appelle abhielt.

Benz stand noch immer stramm.

»Haben Sie mir etwas zu sagen, Benz?«

Schimanek klatschte mit der Hand auf das Fell des fressenden Gaules.

»Was wollen Sie hören, Herr Wachtmeister?«

»Eine Entschuldigung.«

Benz spürte, dass ihm wieder die Hitze ins Gesicht stieg. Er umkrampfte Bürste und Striegel und starrte an Schimanek vorbei in die Stallgasse. Am Pfosten, wo das Sattelzeug hing, tauchte Hirtzens breites Bauerngesicht auf. Er schaute besorgt herüber.

»Wofür soll ich mich entschuldigen, Herr Wachtmeister?«

»Fragen Sie nicht so dämlich«, zischte Schimanek. »Sie wissen genau, was ich meine.«

»Ich war nicht schuld daran, dass die Lafette stecken blieb, Herr Wachtmeister.«

»Darum geht es jetzt nicht. Sie haben mich beleidigt. Ich habe Sie zum Strafrapport gemeldet. Er ist nur aufgeschoben, Benz … nicht aufgehoben!«

Benz schwieg. Seine Backenknochen traten hart aus dem schmalen Gesicht, sein Mund war ein blutleerer Strich.

Schimanek kam noch einen Schritt näher – so nahe, dass Benz seinen nach Nikotin riechenden Atem spüren konnte.

»Sie! Sie sogenannter Gescheiter«, grinste Schimanek, »Sie Herr Lehrer! Sie denken wohl, Sie können auf mich runterschaun, ha? Sie glauben wohl, ich vergesse Ihnen den ›Idioten‹?«

»Herr Wachtmeister, das Wort ist mir nur so herausgerutscht!«

Die grauen Augen Schimaneks sprangen auf.

»Aha! Sie geben es also zu?«

»Jawohl!«

»Und Sie werden es auch vor dem Chef zugeben?«

»Jawohl, Herr Wachtmeister.«

»Sie wollen sich dafür bestrafen lassen?«

»Jawohl, Herr Wachtmeister.«

Sie sahen sich starr in die Gesichter.

Schimanek trat einen halben Schritt zurück, räusperte sich rau und nickte plötzlich.

»Gut. Ich werde dafür sorgen, dass der Rapport nicht stattfindet, Benz. Wir tragen das unter uns aus. Einverstanden?«

Benz begann zu hoffen. Er nickte.

»Wie lange sind Sie jetzt schon Richtkanonier, Benz?«

»Seit meiner Ausbildung am Geschütz, Herr Wachtmeister.«

Schimanek legte den Kopf etwas schief und grinste noch um einen Grad tückischer.

»Über zwei Jahre also schon?«

»Jawohl, Herr Wachtmeister.«

»Das reicht, Benz. Ab heute sind Sie Mittelfahrer am Lafettenfahrzeug. Däubler wird zum Tross versetzt. Am Geschütz wird Emmerich die Funktion des Richtkanoniers übernehmen.«

Benz war es, als zöge ihm jemand den Boden unter den Füßen weg, als fiele er in einen tiefen Brunnen.

Was Schimanek eben ausgesprochen hatte, kam einer Degradierung gleich! Mittelfahrer, auch »Brackenschiss« genannt, wurden jene Landser, die sich geistig nicht sehr hervortun konnten. Und jetzt sollte er auf diese Stelle gesetzt werden.

Wie Schimanek grinste! Er sah, dass der Gefreite kreidebleich geworden war und nach Worten suchte.

»Wir sind quitt, Benz«, sagte Schimanek, drehte sich um, versetzte dem Gaul einen Klatsch auf die Kruppe und verließ den Stand.

Benz stand noch immer entgeistert da und ließ die Arme hängen. Da schob sich die vierschrötige Figur des Stangenfahrers heran. Hirtz runzelte die Stirn und nickte.

»Es wird dir scho bei uns gefallen, Robert. Ganz gewiss! Reiten kannst ja, wie i weiß!« Er schlug Benz auf die Schulter. »I bin net traurig, dass der Däubler Franz zum Tross versetzt wird. Der Däubler war scho immer a Hirsch.«

Nun hatte der Gefreite Benz doch seine Strafe bekommen, eine sehr empfindliche sogar, eine weitaus schwerere, als wenn ihn Hauptmann Schröder zu drei oder acht Tagen Bau verurteilt hätte.

Im Stall wieherte ein Ross.

Benz hörte es wie aus weiter Ferne. Ihm war elend zumute, so elend, dass er am liebsten geheult hätte. Und er dachte dabei an Gerti.

Ob er sie noch einmal sehen würde?

3

Die Umgruppierung eines vorzüglichen Richtkanoniers in den Fahrerdienst ging natürlich nicht ohne Kommentar über die Bühne. Die Bedienungsmannschaft des 1. Geschützes wunderte sich über die Versetzung ebenso sehr, wie Benz sich darüber grämte, obschon er nach außenhin so tat, als sei er bereit, sich mit dieser Schikane abzufinden.

»Mensch, geh doch dagegen an!«, rief Emmerich, dem es besonders leidtat, Benz zu verlieren und im Haufen der Fahrer zu sehen. »Meld dich doch beim Alten zum Rapport.«

»Hat keinen Zweck«, meinte Benz. Denn ihm schien jeder Protest nur eine Verschlimmerung der Lage und des Verhältnisses zwischen ihm und Schimanek bringen zu können.

Gleich nachdem sich diese Versetzung vollzogen hatte, kam auch Unteroffizier Brenner auf die Stube. Er knöpfte sich Benz vor und sagte mehr kameradschaftlich als schikanös, dass er sich in die Entscheidung des Zugführers fügen und vorerst nichts dagegen unternehmen solle.

Benz wechselte um elf Uhr in die Fahrerstube über und packte seine Klamotten nur flüchtig in den Spind.

»Du denkst eppa, bei uns wär’s net gemütlich?«, sagte Hirtz, der Rosenheimer. »Mir san die Gäul liaba als wia alle Heinis mitnander. Auf einen Gaul kannst dich verlassen, der trägt dir aa nix nach, wenn du ihm eins überziehst.«

Sechs Fahrer lagen auf der Stube 4, Lafettenfahrer und Rohrwagenkutscher alle beisammen. Däubler siedelte ziemlich gleichgültig zum Tross um und verschwand ohne viel Getue. Vielleicht war er auch froh, aus Xaver Hirtz’ Nähe zu kommen, weil dieser ihn oft in seiner gutmütig groben Art anraunzte und selten mit seiner Fahrkunst zufrieden war.

Benz dachte im Augenblick weniger an die Umstellung als an das Treffen mit Gerti. Die Minuten rasten nur so dahin, und es bestand nicht die geringste Aussicht, nach Münsingen auf den Bahnhof zu gelangen.

Aber das Schicksal schien es mit ihm gut zu meinen und bescherte ihm Punkt zwölf Uhr mittags eine Sonderüberraschung in der Form, dass plötzlich vier Fahrer zum Bahnhof abkommandiert wurden, um dort ein paar Waggons aus dem Allgäu eingetroffenen Pferdefutters, Heu und Hafer, umzuladen.

Unteroffizier Brenner stellte das Kommando zusammen, und Benz vergaß seinen Kummer, als er mit Hirtz, Berger und dem Rohrwagenfahrer Fritz Abel kurz darauf zum Lagertor hinaustrabte und einen leeren Munitionswagen nach Münsingen hinunterkutschierte.

Man fuhr einspännig. Das Pferdepaar, das Benz übernommen hatte, hieß Toni und Tino, zwei kräftige, hochbeinige Halbblütler, Hannoveraner, dunkel im Fell, mit etwas zu lang geratenen Köpfen. Aber sie waren tüchtig und gut im Futter. Das Sattelpferd hatte einen ruhigen Trab, und als Benz so die Gangart des Pferdes in sich aufnahm und den Blick über Wald und Flur schweifen ließ, wollte es ihm vorkommen, als sei die Versetzung zu den Fahrern gar keine Strafe, sondern eine Abwechslung, die vielleicht guttat und dem Alltag neue Würze bringen könnte.

Was ist schon dabei?, ging es Benz durch den Sinn, als die Muni-Wagen bergab polterten und eine Staubwolke aufwirbelten. Hirtz und Berger sind feine Burschen! Nicht schlechter und nicht besser als Emmerich, Stöger und wie sie alle heißen, mit denen ich über zwei Jahre lang beisammen gewesen bin! Und außerdem – wir sind ja nicht getrennt. Wir gehören nach wie vor zusammen! Der eine braucht den anderen. Na schön, dann richte ich eben kein Geschütz mehr ein und fahre dafür die Lafette in der Mitte!

Seine Laune hatte sich beträchtlich gebessert, und die ihm auferlegte Schikane eines gewissen Portepeeträgers dünkte ihm immer weniger peinlich oder schmerzhaft.

Benz sah Hirtz vor sich reiten, geschmeidig jeden Tritt des Gaules mit dem Hintern wahrnehmend, breit in den Schultern, schmal in den Hüften, das Krätzchen schief auf dem runden Kopf.

Hirtz! Auch ein lieber Kerl! Und er versteht etwas vom Fahren! Ich werde mich nicht dümmer anstellen, dachte Benz, als Däubler!

Dann, als der Bahnhof auftauchte, schweiften seine Gedanken ab. Gerti kam in knapp einer Stunde … dort, auf einem der silbrig schimmernden Gleise!

Gerti!

Die Gespanne trabten zum Güterbahnhof. Dass eine Truppenverlegung im Gange war, sah Benz aus den bereitstehenden langen Transportzügen. Offene Loren, Güterwagen, Personenwaggons in langen, langen Reihen!

An die Güterrampe war der Heutransport aus dem Allgäu herangefahren. Auch die anderen Batterien hatten ihre Fahrzeuge geschickt, um das Pferdefutter zu übernehmen.

Benz sah die untersetzte Figur des Stallmeisters, hörte dessen lautes, bayerisch klingendes Organ: »Ihr damischen Ritter, da geht’s her … da geht’s her, Kruzinesennoamol!«

Benz schwang sich aus dem Sattel, Hirtz ging bereits auf Unteroffizier Brechtmann zu und redete mit ihm, dann deutete Brechtmann zur lang gestreckten Güterhalle, worauf Hirtz nickte und herankam.

»Wir müssen noch warten«, sagte er. »Wir könna derweil in der Bahnhofswirtschaft a Bier trinka.«

Benz spürte, dass ihm die Freude die Kehle zuschnürte, dass er jetzt keinen Schluck Bier trinken konnte. Er musste mit Hirtz reden, ob man eine Stunde wegbleiben könnte.

»Du, mein Mädel kommt kurz vor zwei Uhr«, sagte er zu Hirtz. »Ist es möglich, dass ich sie abholen und mit ihr ein Weilchen sprechen kann?«

»Dein Madl?«, Hirtz grinste. »Wo kommt s’ denn her?«

»Aus Ulm.«

»Festes Verhältnis oder nur so …?«

»Festes«, murmelte Benz, und er wusste plötzlich, dass er nicht mehr sagen konnte, dass er nicht prahlen durfte, wie es sonst üblich war.

»Wie lange werden wir denn am Bahnhof bleiben?« fragte Benz.

»Na, sagen wir halt – drei Stund mindestens.« Hirtz grinste breit von einem abstehenden Ohr bis zum anderen. »Hau ab. Ich pass schon auf’n Toni und ’n Tino auf.«

Benz ergriff Hirtzens Hand und drückte sie. »Das vergess ich dir nie, Xaver.«

»Geh, spinn net so!«

Die Junisonne schien warm. Am Horizont war kein Wölkchen zu sehen. Die Kornfelder dufteten, und Lerchen sangen im Blau des Himmels. Benz schaute auf die Uhr. Noch zehn Minuten Zeit. Noch lange zehn Minuten! Eine kleine Ewigkeit musste er noch warten.

Er blieb noch bei Hirtz, Berger und Fritz Abel. Man unterhielt sich über den Zeitpunkt des Abtransportes, man rätselte wieder, wohin es gehen würde. Fritz Abel tippte auf Frankreich. Er meinte, dass es ganz sicher dorthin ginge, um irgendeine andere Abteilung im Besatzungsgebiet abzulösen.

Hirtz schüttelte den Kopf.

»Stimmt alles net, Buam. Ich sag, es geht nach Osten! Der Russ’ soll über hundert Divisionen längs der Grenz aufgezogen haben. Da kann leicht was zum Brandeln und Stinken anfangen, sag i.«

Woher Hirtz das wisse?, fragte der Abel. Worauf Hirtz meinte, er habe es halt gehört.

In diesem Augenblick pfiff in der Ulmer Richtung der Zug, und Hirtz wandte sich an Benz.

»Verschwind jetzt, hörst«, sagte er und versetzte Benz einen sanften Rippenstoß. »Nimm dei Madl und verkrümel dich. Grüß sie von mir.« Er grinste gutmütig.

Benz ging rasch zum Bahnhofsgebäude. Die drei Fahrer schauten ihm nach.

»Was haltet ihr von ihm?«, fragte Abel.

»Prima Bursch«, sagte Hirtz. »Er traut sich was, und das imponiert mir, er lässt sich net den Butter vom Brot nehma.«

»Jetzt kann’s uns passieren«, ließ sich Berger vernehmen, »dass wir den Schimanek andauernd am Hals haben und schikaniert werden.«

Hirtz lachte.

»Der frisst schon koan Heuwagen, Buam.«

»Dem Benz kommt’s aber doch hart an, dass er zu uns versetzt worden ist«, sagte Abel.

»Na ja«, gab Hirtz nachdenklich zu, »einfach ist’s für ihn net, aber er wird dran aa net kaputtgehen. Barras bleibt eben Barras, und Schnaps ist Schnaps!«

»Du meine Fresse!«, rief Berger erschrocken und deutet mit dem Kopf zur Straße, die zum Bahnhof heranführte. »Guckt mal, wer dort kommt!«

Wachtmeister Schimanek kam auf einem Fahrrad herangeradelt.

Hirtz runzelte die Stirn und murmelte: »Bazi, du hättest aa wegbleiben könna.«

Der Personenzug aus Ulm kam pünktlich. Benz stand auf dem Bahnsteig und war sehr erregt. Sein Herz hämmerte gegen die Rippen, als er die Waggonschlange entlangspähte. Die Türen sprangen auf, Reisende und ein paar vom Urlaub zurückkehrende Landser stiegen aus. Nur wenige Zivilisten stiegen ein. Plötzlich hörte Benz hinter sich eine bekannte Stimme:

»Gefreiter Benz, was machen Sie hier?«

Benz fuhr herum. Schimanek stand da. Sein dunkles Gesicht sah unbeweglich und dienstlich aus.

Benz knallte die Hacken zusammen und würgte den Kloß, der im Halse stak, krampfhaft hinunter.

»Herr Wachtmeister, ich erwarte meine Braut.«

Dessen Gesicht verzog sich zu einem Grinsen.

»Und wer hat Ihnen erlaubt, hier zu sein?«

»Ich bin zum Abholen der Futtermittel abkommandiert, Herr Wachtmeister. Wir warten noch aufs Abladen. Ich darf annehmen, dass es mir erlaubt ist, meine Braut …«

»Robert!«

Benz drehte sich um. Hinter ihm stand Gerti, schlank, jung, dunkelhaarig, in einem hellen Kostümchen und weißen Schuhen, weißer Handtasche, über dem Arm einen hellen Staubmantel.

Sie schlang die Arme um seinen Hals und küsste ihn mitten auf den Mund.

»Ich hab mich so gefreut! Als ich dein Telegramm erhielt …«

»Bitte, sei still«, sagte er rasch.

Gertis tiefblaue Augen, die einen reizenden Kontrast zu ihrem dunklen, halblangen Haar abgaben, sahen an Benz vorbei.

»Das ist Wachtmeister Schimanek«, stellte Benz vor; seine Stimme klang frostig. »Mein Zugführer, Gerti.« Und zu Schimanek: »Gestatten Sie, dass ich eine Stunde mit meiner Braut beisammenbleiben darf?«

Schimaneks helle, kalte Augen glitten über die schlanke Figur des Mädchens hinweg, erfassten alles an ihr, taxierten sie von Kopf bis Fuß.

»Es wäre nett von Ihnen, Herr Wachtmeister«, sagte Gerti mit reizendem Grübchenlächeln. »Oder gönnen Sie uns das Zusammentreffen etwa nicht? Ist es verboten?«

Schimaneks Miene wurde zu einer grinsenden Maske der Höflichkeit. »Es ist keinesweg verboten, Fräulein.« Und zu Benz sagte er mit halbdienstlich klingendem Organ: »Es wäre besser gewesen, Benz, wenn Sie mir Ihre Absichten vorher gemeldet hätten.«

Mit diesen Worten machte Schimanek kehrt und verschwand vom Bahnsteig.

Benz sah blass aus. Doch Gerti schob ihren Arm unter den seinen und schmiegte sich an ihn.

»Freust du dich, Robert?«

»Ja, sehr«, murmelte er.

»Was hast du?«

»Ach – nichts weiter.«

»Und wohin gehen wir?«, fragte sie und hängte sich schwer an seinen Arm.

Er sah sie an und vergaß allen anderen Kummer. Er küsste sie, während der Zug abfuhr, und dann fragte er sie mit leuchtenden Augen:

»Willst du lieber ins Bahnhofslokal, oder spazieren wir ein bisschen durch die Felder?«