Michael Shamiyeh
Was wir vom
Silicon Valley
lernen können
© 2018 Michael Shamiyeh, Bolko von Oetinger
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Umschlaggestaltung: Christoph Kerschner
Korrektorat: Lisa Deutschmann
Verlag: myMorawa von Morawa Lesezirkel GmbH
Gedruckt mit Unterstützung der Kunstuniversität Linz
978-3-99070-636-7 (Paperback)
978-3-99070-638-1 (E-Book)
Für Elke, Paul und Georg
von Bolko von Oetinger
„NACH DEN WERKZEUGEN, DIE DAS HEUTIGE LEBEN GEFORMT HABEN, WIR WOLLEN WISSEN, WIE ES ZUSTANDE GEKOMMEN IST UND WIE DER WACHSTUMSPROZESS VOR SICH GEHT.“
„WER MACHT EIGENTLICH UNSERE WELT VON MORGEN? SIND ES DIE ÜBERWIEGEND MÄNNLICHEN INGENIEURE DES SILICON VALLEY ODER DOCH DIE NUTZER UND KONSUMENTEN DER NEUEN TECHNOLOGIEN, DIE TÄGLICH IMMER WIEDER AUFS NEUE MIT IHREN KLICKS ÜBER DIE ZUKUNFT ABSTIMMEN? UND UNTER WELCHEN VORAUSSETZUNGEN WIRD DIESE ZUKUNFT EIGENTLICH GEMACHT?“
„HABEN DIE TECHNOLOGIEENTREPRENEURE DES SILICON VALLEYS NICHTS ALTES ZU VERGESSEN, DAS SIE IM MACHEN DER ZUKUNFT BEHINDERT?“
„IN DER VIELFALT IM DENKEN UND BEI DER KOLLABORATION IM HANDELN LIEGT DIE INNOVATIONSKRAFT SILICON VALLEYS.“
„ES INTERESSIERT HIER NIEMANDEN, OB MAN TITEL ODER GELD HAT, AUẞER VIELLEICHT DIE IMMOBILIENMAKLER.“
„VERGEBLICHE SUCHE NACH ANTWORTEN ODER GIBT ES HIER IM SILICON VALLEY KEINEN KONRAD PAUL LIESSMANN?“
„DIE BINDUNG AN EIN BESTIMMTES ERGEBNIS VERHINDERT, ANDERE POTENZIELLE ERGEBNISSE ODER ZIELE ZU SEHEN.“
„DER NOBELPREISTRÄGER DENNIS GABOR MEINTE 1963: ZUKUNFT KANN MAN NICHT VORHERSAGEN, SEHR WOHL ABER ERFINDEN.“
„KONZERNEIGENE FORSCHUNGS- UND ENTWICKLUNGSZENTREN HABEN HEUTE KEINEN EINFLUSS MEHR.“
„DIE ZENTRALE ROLLE DER DESIGN-INDUSTRIE IM SILICON VALLEY WIRD GERNE ÜBERSEHEN.“
„PLATTFORMUNTERNEHMEN WIE UBER ZEIGEN: OHNE GESETZLICHE BESTIMMUNGEN WERDEN DIE REGELN WILLKÜRLICH GEMACHT UND ZUMAL AUCH ZUGUNSTEN EINIGER WENIGER.“
Danksagung
Index
POST
AUS DEM
TAL DES
EWIG
NEUEN
Lässt sich der Schleier über der Erfolgsgeschichte des Silicon Valleys lüften? Seit Jahren pilgern Heerscharen von Journalisten und Managern ins „Tal des ewig Neuen“ (Shamiyeh), um seinen Geheimnissen auf die Spur zu kommen. Sie haben das Offenkundige gesehen: Ihnen sind Technologiesüchtige in einer offenen Netzgemeinschaft in bewundernswerter Freiheit begegnet, die aus ihrem Scheitern lustvoll lernen und rastlos Neues produzieren. Wie im klassischen Jazz scheinen sich alle Beteiligten wie von allein so harmonisch zu vereinen, dass ständig radikal Neues geboren wird.
Und wir in Europa? Wir haben vom Silicon Valley gelernt und institutionell aufgeholt. Allenthalben sind auch bei uns Netze, Cluster, Hightech-Industrieparks, Start-ups, Kooperationen zwischen Wirtschaft und Universitäten und Venture Capitalists am Werke. Aber es fehlt etwas! Ob Michael Shamiyeh auf dieser Suche war, als er wie ein Ethnologe ein halbes Jahr den homo californiensis beobachtete, der sich um die Universität von Stanford entwickelt und verbreitet hat, weiß ich nicht, aber seine Essays lesen sich wie eine Expedition zu den neuen Digital-Wilden. Das Bemerkenswerte ist der scharfe Blick des Autors für das, was das Tal so erfolgreich macht und sich nur erkennen lässt, wenn man den Genius Loci einatmet. Shamiyehs Blick geht aber weiter, das machen die Essays so wertvoll. Er sieht auch die Risse, die sich durch den Erfolg ziehen und Fragezeichen hinterlassen.
Nichts beschreibt den Genius Loci der Stanford University besser als deren Siegel, auf dem sich ein bemerkenswertes deutsches Zitat findet ein Ausspruch des Humanisten, Dichters und Kirchenkritikers zur Zeit der Reformation, Ulrich von Hutten: „Die Luft der Freiheit weht“.
Diese Luft der Freiheit ist allenthalben spürbar. In einer von der Universität befeuerten Kultur des dezentralisierten und informellen Austausches in offenen Kollaborationsnetzwerken, in einer Kultur der Vielfalt akademischer Disziplinen, des schnellen kollektiven Lernens und unkomplizierter Kooperationspartnerschaften für eine konsequente Umsetzung liegt die ungeheure Innovationskraft des Silicon Valleys. In dieser „Ursuppe“ (Shamiyeh) gedeiht das große Neue und an dieser Kultur mangelt es uns in Europa. Wir arbeiten in vergleichsweise stärker isolierten Organisationsstrukturen.
In diesem Selbstverständnis werden auch die Netzwerke anders gesehen: Netzwerke im Silicon Valley dienen dazu, ständig „Fluss und Vielfalt an Informationen zu erhöhen“ (Shamiyeh). Investoren investieren nicht nur Geld, sondern gerade auch ihre Zeit und ihr Know-how, um die Leistungskraft der Netzwerke zu steigern. Netze werden im Silicon Valley als offene, dynamische Katalysatoren verstanden. Netzwerke bei uns ähneln dagegen eher privilegierten Zugängen.
Im Silicon Valley sind alle Entwicklungen hoch fokussiert, auf technisch und wirtschaftlich Bahnbrechendes ausgerichtet, mit dem die Menschheit beglückt werden soll. Dieser innere Antrieb, Zukunft zu schreiben und die konsequente Fokussierung alle Ressourcen auf den nächsten Durchbruch schaffen ein unbezwingbares Momentum: Man muss sich nicht mehr anstrengen, um das Alte zu vergessen, man kann sich rücksichtslos auf das Neue konzentrieren. Die Innovationskraft gewinnt dadurch eine Schubkraft, die wir in Europa bisher nicht erreichen konnten.
Michael Shamiyeh hat aber auch Züge entdeckt, die einige Fragezeichen aufwerfen. Ist etwa im Silicon Valley nicht mehr alles Gold, was glänzt?
Es fängt schon bei der Offenheit an: Start-ups erfreuen sich mehr denn je des offenen Systems, aber die Giganten (Apple, Amazon, Google, Facebook) verfolgen offensichtlich weniger offene Wege. Mit der erfolgreichen Monopolisierung großer gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Gebiete scheint das Interesse der großen Vier an Offenheit und Kollaboration am Schwinden zu sein. Sie schotten sich zunehmend ab, Verschwiegenheitserklärungen und NichtVeröffentlichen sind die neue Kultur, eigentlich die alte, klassische Kultur. Die Monopolrendite lässt herzlich grüßen.
Die großen Vier und alle, denen sie als Vorbild dienen, kommunizieren ihre Geschäftsmodelle als Segen für die ganze Menschheit. Die gebetsmühlenartige Beschwörung der Sinnhaftigkeit allen Tuns im Silicon Valley, ein „better life“ für die ganze Menschheit zu schaffen, ist die Ideologie, mit der die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Macht- und Monopolansprüche versinnhaftet werden sollen. Die Inhalte der „besseren Welt“ sind undefiniert, sie beruhen auf keinem gesellschaftlichen Diskurs, von einer Ethik ganz zu schweigen. Um das „better life“ zu erreichen, darf aus Sicht des Silicon Valleys nichts verschont bleiben, weder die Privatsphäre noch die Arbeitsplätze – noch das Leben schlechthin! Aber wer wollte sich schon gegen ein „besseres Leben“ aussprechen?
Die Abschirmung ist nicht nur ein wirtschaftliches, sondern zunehmend ein politisches Problem. Unsere Zukunft wird in wenigen Unternehmen geschaffen, zu denen die Gesellschaft keinen Zugang hat und somit auch keinen Einfluss ausüben kann. Im technologisch-wirtschaftlichen Fokus werden die Folgen für die Gesellschaft ausgeblendet. „Orwell’sche Gefahren“ (Shamiyeh) rücken in Realitätsnähe, vor denen selbst ein führender Silicon-Valley-Kopf wie Elon Musk deutlich warnt.