KOSMOS
Umschlaggestaltung und Illustrationen von Carolin Liepins
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© 2018, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-440-16381-8
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Für meine Eltern, die mir mit ihrer Kreativität immer ein Vorbild sind. Und für mein Patenkind Tabea, die nun erwachsen ist und schon immer eine DIY-Queen war.
Licht aus! Spot an! Es ist mucksmäuschenstill. Alle starren gebannt auf den Laufsteg. Und dann. PENG. Die Musik setzt ein. BUMM. BUMM. Der Bass lässt die Stühle vibrieren.
Jetzt geht es los. Super gestylte Models laufen mit langen, coolen Schritten über den Laufsteg. Yeah! Das Publikum jubelt, steht auf. Tosender Applaus! Blitzlichtgewitter. Die Leute von der Presse sind außer sich.
Katy Perry tritt auf. WOW! Aber heute geht es nicht um sie. Sie ist nicht der Star des Abends. Die Models stellen sich rechts und links vom Laufsteg auf. Sie klatschen und tanzen. Alle schauen zum Bühneneingang.
Und dann kommt SIE!
Mitten durch den jubelnden Modeltunnel geht sie bescheiden lächelnd den Catwalk entlang.
Die megaberühmte,
einzigartige
Stardesignerin
GRETA MEIERMÜLLER!
»Greta, Greeeetaaaa!«
Ich lächle HULDVOLL in die Menge. Greta – das bin ich!
Katy kommt singend auf mich zu. Wir umarmen uns. Sie kann es immer noch nicht fassen, dass ICH ihr das Hauptkleid meiner neuen Kollektion geschenkt habe. Sie sieht FANTASTISCH darin aus. Das musste einfach sein. Dann singen wir eine Strophe ihres neuesten Hits zusammen. Und plötzlich bin ich Popstar. Popstar UND Designerin gleichzeitig!
Wir sind auf unserem Konzert. Katy und ich. Justin Bieber ist an der Gitarre, Justin Timberlake an den Drums. Die schicken Frauen und Männer, die eben noch mit flatternden Fächern den Laufsteg gesäumt haben, sind auf einmal coole Jugendliche … Sind das nicht Mimi und Emir, und da ist sogar Anna, da Julie und dort Chiara? Hey, fast meine ganze Klasse ist hier! Und sie jubeln mir zu …
»Greeeeeta, Gretaaaaa!«
»I’m wide awake. Not losing any sleep. I picked up every piece. And landed on my feet. I’m wide awake. Need nothing to complete myself, no …«
Mein Duett mit Katy ist so cool. Das Publikum verlangt eine Zugabe …
»Greta! Komm, Schatz, es wird Zeit!«
»Falling from cloud nine. Crashing from the high. I’m letting go tonight. I’m falling from cloud nine …«
»Greta!«
»Ja, Mama«, murmele ich. »Eine Strophe noch, bitte …«
»Strophe? Was denn für eine Strophe? SCHULE!«, sagt meine Mutter.
Das ist gemein! Und gar kein guter Tausch! Aber Mum hat wirklich nichts Besseres zu bieten als Aufwachen und Schule …
Ich will zurück auf die Bühne, aber es klappt einfach nicht. Jetzt bin ich wach und muss auf ein weiteres Ständchen mit meiner Lieblingssängerin verzichten.
#KatyPerryIstPhänomenal
»Wir haben verschlafen!«, ruft meine Mutter über die Schulter, während sie eilig in die Küche läuft. Ich versuche, mir den Schlaf aus den Augen zu reiben, und schleppe mich ins Bad.
Beim Zähneputzen klingt in meinem Kopf noch die Musik nach, und ich summe und wippe nach dem Rhythmus des Songs hin und her. Aus schmalen Schlitzen schaue ich in den Spiegel. Meine Augen wirken braun, obwohl sie dunkelgrün sind. Das ist immer so, wenn ich noch müde bin und die Augen nicht richtig aufkriege. Dann sind sie alles andere als groß und mandelförmig wie sonst. Und meine rotblonden Haare haben heute nichts mit einem Sonnenaufgang zu tun, wie mein Großvater gerne sagt. Sie sehen fahl und matt aus.
»Hör auf zu zappeln und beeil dich!«, ruft meine Mum im Vorbeilaufen.
»Mmmm! Mhhhm mmm mmhh!«, rufe ich mit zahnpastavollem Mund zurück. Das soll »Jaaaa! Mach ich doch!« heißen. Aber das ist egal. Weil ich fast fertig bin. Zum Glück ist meine Frisur unkompliziert. Sie ist kurz und, na ja, eher WILD. Ich gehe nämlich nicht so gern zum Friseur und schneide meinen Pony meistens selbst. Nur ein bisschen Gel und etwas durchwuscheln – das war’s.
Zum Frühstücken ist keine Zeit mehr, deswegen bekomme ich noch ein Pausenbrot zusätzlich. Mila, meine kleine Schwester, und Luka, mein großer Bruder, sitzen schon im Auto. Er und ich werden heute ein Stück Richtung Kindergarten mitfahren. Sonst kommen wir wirklich zu spät.
Mila ist drei, und weil sie in letzter Zeit oft krank war, trägt sie auch heute ihr Lieblingshalstuch mit dem bunten Eulenmuster. Ihre blonden Löckchen kringeln sich um ein rosafarbenes Wollhaarband, das Milas Ohren schützen soll. Obwohl es tagsüber schon fast so warm wie im Sommer ist. Luka ist fünfzehn und schläft mit offenen Augen. Er murmelt träge »Guten Morgen«, als ich und Mum einsteigen. Seine Haare sehen heute wieder nach einer wilden gerade-aus-dem-Bett Frisur aus. Sein überlanger schräger Pony, hinter dem er sich sonst immer versteckt, steht ab und gibt den Blick auf seine verschlafenen Augen frei.
Luka sitzt natürlich auf dem Beifahrersitz. Ich beschließe, nicht zu meckern, obwohl ich es total gemein finde, dass er wegen seiner langen Beine immer vorne sitzen darf. Okay, er ist im letzten Jahr vielleicht zehn Zentimeter gewachsen, aber muss er auch noch den Sitz so weit nach hinten schieben, dass ich auf der Rückbank breitbeinig sitzen muss? Und Mum will, dass Mila unbedingt hinter ihr sitzt, damit sie sie über den Rückspiegel im Auge hat. Dabei hätte ich hinter meiner Mutter viel mehr Platz. Sie ist nämlich genauso groß wie ich: 1,57 Meter.
Einen Augenblick denke ich, dass ich immer diejenige bin, die zurückstecken muss, und bin eingeschnappt. Als würde ich nicht zählen. Und ausgerechnet jetzt sticht es mir wieder ins Auge: Mila und Luka sind meiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Die Ähnlichkeit zwischen den dreien ist nicht zu übersehen! Ich gleiche – bis auf die kleine Zahnlücke zwischen meinen oberen Vorderzähnen – eher meinem Vater. Aber das tut nichts zur Sache, weil er nicht da ist. Außerdem waren wir, also er und ich, irgendwie noch nie ein Team. Auch nicht, als er noch bei uns gewohnt hat. Er war eigentlich nie da. Immer auf Geschäftsreise. Bis er auf einmal gar nicht mehr kommen wollte.
Seit mein Vater ausgezogen ist, hat meine Mum sich total verändert. Obwohl sie sich auch vorher meistens allein um uns gekümmert hat, war sie damals nicht so übertrieben besorgt um uns, sondern VIEL entspannter. Das merkt man auch an ihrer Frisur, finde ich. Okay, das klingt vielleicht komisch, aber früher hat sie ihre milchkaffeebraunen Haare öfter mal offen getragen. Und das sah richtig gut aus. Aber seit einer Ewigkeit macht sie sich jeden Tag einen Pferdeschwanz, den sie immer ganz weit oben am Hinterkopf zusammenbindet. Keine Strähne verirrt sich mal in ihre Stirn. Genauso ist sie selbst fast nie locker. Manchmal gibt sie das auch zu. Sie sagt, dass sie sich jetzt noch mehr um uns sorgt, weil sie die Verantwortung für uns ganz allein trägt.
Was ich aber nicht kapiere, ist, warum ich deswegen keinen YouTube-Channel haben darf. Ja, das ist total doof, aber leider wahr. Es ist nämlich so: Eigentlich will ich ja gar kein Popstar werden, so wie in meinem Traum eben. Designerin schon. Nur muss ich dafür erst mal viel besser im Nähen werden. Ein bisschen kann ich es ja. Na gut, vielleicht etwas mehr als das. Die meisten Sachen, die ich genäht habe, ziehe ich sogar an.
Und in einem eigenen YouTube-Kanal könnte ich dann alles zeigen, was ich bisher entworfen habe! Bestimmt würden mir Leute folgen, die wirklich Ahnung von Modedesign haben und die mögen, was ich so entwerfe. Ein Konzept habe ich auch schon: Ein ganzes Matheheft hab ich damit vollgekritzelt.
Aber Mama ist total dagegen, weil ich erst 12 ¾ bin. Ob ich mit 13 YouTuber werden darf, weiß ich nicht. Ich weiß aber, wie mein Kanal heißen könnte, nämlich GRETA-LIKE, GRETAsWORLD oder THIS IS GMM (Greta Meiermüller). Entschieden habe ich mich noch nicht.
Jedenfalls hab ich mir schon aufgeschrieben, was ich so in den Näh-Tutorials zeigen würde. Was ich sagen könnte. Was ich meine Abonnenten fragen würde. Ein paar Videos habe ich schon beim Nähen gedreht. Leider sind die noch nicht wirklich perfekt. Weil ich nämlich ein Problem habe. Ein echtes Problem! Wenn ich die Kamera anmache, passiert es. Zuerst bekomme ich Schluckauf. Wenn der irgendwann aufhört, fange ich an zu stottern. Echt wahr! Und dann verspreche ich mich auch noch ständig. Na ja … ich weiß zwar noch nicht, wie, aber irgendwann werde ich das schon hinbekommen. Bis dahin habe ich mir etwas ausgedacht: Die Strategie ist, dass nur meine Hände zu sehen sind, während ich Schritt für Schritt zeige, wie ich meine Entwürfe nähe.
Und wenn ich dann vielleicht mal so ein paar tausend Abonnenten habe, dann wäre ich ja schon ein bisschen berühmt. Viel schneller würde das gehen, wenn ich bei einer Newcomer-Challenge gewinnen würde. Da machen YouTube-Anfänger aus allen möglichen Bereichen mit. Und die interessantesten und kreativsten Ideen gewinnen tolle Preise und man ist plötzlich ein überall bekannter Video-Blogstar! Oh Mann! Der nächste Termin ist schon im Juli, aber ich habe ja noch nicht mal einen Kanal.
Mimi, meine beste Freundin, sagt, sie würde meinem VLog als Erste folgen. Allerdings ist Nähen gar nicht so ihr Ding. Sie sagt »Cool!« oder »Nice!«, und wenn es ihr mal nicht so gefällt, »Na ja, also …«.
Ich kenne aber jemanden, der richtig viel Ahnung vom Nähen hat und mir alles beibringt. Der mir Tricks zeigt und wie man Maß nimmt. Mir sagt, wie die vielen Stoffarten heißen. Und wenn meine Nähmaschine streikt, dann weiß nur er, wie man sie repariert. Er sagt »Genial!«, »Extravagant!« und »Raffiniert!«, wenn er meine Ideen mag. Und er sagt: »Auftrennen und neu nähen!«, wenn etwas nicht gelungen ist.
Sein größtes Lob ist es, wenn er sagt: »Enkeling, du kommst nach mir!« (So nennt er mich immer. Das ist ein Extra-Wort aus Enkel und Lehrling, nur für mich!)
Ja, es ist mein Großvater. Er war früher mal Schneider. Ein richtig guter sogar! Er hat fürs Theater gearbeitet und dort so POMPÖSE (auch so ein tolles Opa-Wort), also richtige Kostüme genäht. Ich meine so alte, historische Gewänder. Die sahen voll echt aus, wie solche, die im Museum hängen.
Heute näht er kaum noch, weil seine Augen nicht mehr so gut sind.
Ich nenne ihn manchmal auch Groß-Papa, nicht nur, weil er groß ist, sondern auch, weil er mich unterstützt, wo er kann - wie ein richtiger Vater das auch tun würde.
Mein Opa ist der Beste.
Und deswegen muss ich erzählen, was gestern passiert ist.
#FantastischsterOpaDerWelt
»Ja genau, Greta Meiermüller, das ist meine Tochter«, hat meine Mutter zu dem Paketboten an der Haustür gesagt. Da hat mein Herz aber einen Satz gemacht! Wenn das Paket für MICH war, konnte es natürlich nur von einem einzigen Menschen auf dieser Welt sein. Und so war es auch! Es war von Opa! YAY!
Er hatte mir eine kurze Nachricht dazu geschrieben:
»Enkeling, habe mein altes Atelier aufgeräumt. Das ist nur eine Kostprobe. Beeil dich, habe schon den Sperrmüll bestellt!! Es wird dringend Zeit, dass du kommst!
Dein Opa«
»Ooooooh!«, rief meine Mutter. Das klang entzückt und gerührt zugleich. Sofort sind ihr Tränen in die Augen geschossen. Mama ist manchmal echt ’ne Heulsuse.
Ich tauchte meine Hände in das Paket. Stoffe, so viele GLAMOURÖSE (Opa!) Stoffe waren darin. WOW! Ich fing gleich an zu träumen. Dieses Knistern und Rascheln. Und wie sich das anfühlte! Ich zog einen Stoff nach dem anderen raus, bald lagen sie ausgebreitet überall, auf der Couch, auf dem Tisch, auf den Stühlen.
Diese Stoffe waren ganz anders, viel edler als meine bunten Baumwoll-, Polyester- und Viskosestoffe.
Sofort schlichen sich Bilder in meinen Kopf. Bilder von RAFFINIERTEN Kleidern und UMWERFENDEN Oberteilen.
Der Chiffonstoff da in Sonnengelb würde prima für ein luftiges Trägerkleid passen, das ich erst neulich entworfen hatte. Ich wickelte das Tuch ungefähr so um meinen Körper, wie ich meine Zeichnung noch in Erinnerung hatte. Das sah so wunderschön aus!
In dem Moment vermisste ich Opa so richtig schlimm. Weil Mila ja in letzter Zeit oft krank gewesen war, hatte meine Mum den Besuch bei ihm immer wieder verschoben. Seit meine Oma vor einem Jahr gestorben ist, besuchen wir Opa eigentlich regelmäßig. Mindestens einmal im Monat. Er wohnt auf dem Land. Eine Autostunde entfernt. Mama hat immer ein schlechtes Gewissen, dass sie sich nicht genug um ihn kümmert.
Und was hieß eigentlich Sperrmüll bestellt? Ich hab auf einmal richtig Panik bekommen. Wer weiß, welche Schätze er entdeckt hatte, die demnächst auf dem Müll landen würden?
»Greta!«, sagte meine Mutter plötzlich. »Wenn du magst, fahren wir übermorgen gleich nach der Schule mal raus, ja?«
»WAS?! Wirklich, Mama?« Vor Freude hab ich mich fast an meiner Spucke verschluckt.
»Während ich mich um das Haus kümmere und Besorgungen mache, könnt ihr beiden Schneider euch ja eurem Nähkram widmen.«
»Und Mila?«, fragte ich. Ich wollte schließlich Opa für mich und mich nicht wieder die ganze Zeit um meine Schwester kümmern müssen: VERSTECKEN SPIELEN, FANGEN SPIELEN, EINKAUFEN SPIELEN … während wieder nur Mama mit Opa reden würde und wir fast gar keine Zeit füreinander haben würden.
»Keine Sorge«, sagte meine Mutter. »Luka kommt doch übermorgen früher von der Schule.«
»Und wenn er wieder nicht mitfahren will?«
»Dann muss er eben mit Mila hierbleiben!«
YAY! Opas Brief hatte Mama wohl gezeigt, dass er und ich wirklich dringend mal wieder Zeit für uns brauchten. Ich sage ja, mein Opa ist perfekt! »Danke, Mama!« Sofort hab ich die Schatzkiste gepackt und bin damit auf mein Zimmer geflitzt. Wo war nur mein Handy? Das musste ich sofort Mimi erzählen.
»Taft, Organza, Tüll und Chiffon!«, jauchzte ich in mein Telefon.
»Was ist los? Tütü, tata!«, motzte Mimi. »Ich verstehe kein Wort! Was soll das sein?«
»Na, Stoff!«
»Stoff?!« Mimi klang irgendwie enttäuscht. »Stoff!«, sagte sie noch mal, als wollte sie sichergehen, dass sie sich nicht verhört hatte. »Und da freust du dich, als hättest du 1000 Euro zum Shoppen bekommen?«
»Hä, shoppen?! Also wirklich, Mimi. Das kannst du doch nicht vergleichen!«
»Wieso?«, sagte Mimi. »Du hast jetzt schließlich nur Stoffe, die Klamotten musst du ja erst mal noch alle nähen! Da gehe ich doch lieber schnell ins Kaufhaus.«
OH MANN! Mimi findet es viel praktischer, Klamotten kaufen zu gehen, als selbst welche zu nähen. Okay, das stimmt ja vielleicht manchmal. Aber wenn ich erst mit diesen Stoffen fertig bin und meine Entwürfe genäht habe, dann wird jedes einzelne Stück mindestens 1000 Euro wert sein. Na ja, vielleicht auch 100. Aber es werden Einzelstücke sein! Klamotten, die ich mir selbst ausgedacht habe und die man nirgendwo sonst bekommen kann. Meine eigene Fashion-Kollektion! MEIN TRAUM. Das kann man doch nicht mit Sachen vergleichen, die man bei irgendeiner doofen Klamotten-Kette kaufen kann?!
Aber gestern hatte ich keine Lust, am Telefon darüber zu diskutieren. Lieber habe ich danach gleich meinen Opa angerufen, um mich zu bedanken. Dabei hab ich ihm natürlich auch gleich erzählt, dass wir morgen kommen. Opa hat sich sehr gefreut. Ich hab es am Ton seiner Stimme gemerkt, so wie er »Das ist gut, Enkeling!« gesagt hat.
Mit Mimi werde ich heute in der Schule noch mal über das Thema reden. Ich hab extra für sie Fotos von meinen neuen Stoffen gemacht. Damit sie sehen kann, dass die TOTAL besonders sind.
»Guck mal …« Kicher, kicher.
»Wo sie das wieder herhat …!«
»Von GSMC natürlich: Greta’s self-made clothes!« Hahaha!
»Die sollte lieber mal deinen Cat-Talk abonnieren, als immer diese bunten Lumpen zusammenzunähen.«
OH MANN. Chiara nervt total. Sie und ihr Gefolge lästern mal wieder lautstark über mich. Und ich muss gleich an ihnen vorbeigehen. Ich halte die Luft an und tue so, als würde ich sie nicht hören. Wo ist nur Mimi?
#MimiIchBraucheDich
Der Weg bis zum Bio-Raum zieht sich. Er befindet sich ganz am Ende von dem langen Gang im Trakt III. Hoffentlich ist die Pause bald um. Ich gehe betont langsam, sonst denken die noch, ich hätte Angst vor ihnen. Es ist ganz schön schwer, cool zu tun, wenn man innerlich eigentlich megawütend ist.
Auf ihre »Erfindung« GSMC ist Chiara besonders stolz. Sie spricht das immer englisch aus: »Dji Äss Ämm Si.« (Eigentlich klingt das ja gar nicht schlecht, aber es nervt mich trotzdem total.) Und das Gelächter ihrer schleimenden Anhängerinnen hasse ich ganz besonders.
Chiara ist der Star unserer Klasse. Sie hat einen eigenen YouTube-Kanal, den Cat-Talk (wegen CAT und WALK – oh Mannomann! Was für ein tolles Wortspiel! Haha!). Es geht darin um Fashion und sie kommt sich vor wie eine YT-Queen. Für den Vorspann hat Chiara sich wie eine Katze geschminkt. Sie flirtet total bescheuert mit der Kamera, kommt immer näher heran und formt mit ihren Zeigefingern und Daumen ein Herz. Ganz oft trägt sie auch Katzenohren.
Ständig holt sie sich neue Klamotten und präsentiert sie jede Woche ihren Abonnenten: »HalloOoOo, meine Lieben! Da bin ich wieder, eure Catty!« (So nennt sie sich in ihrem Video-Blog.) Um die Klamotten geht es ihr nicht mal, ich glaube, sie weiß bestimmt nicht, wie man manche Kleidungsstücke nennt. Lieber erzählt sie, mit wem sie das letzte Mal shoppen war und über was sie so geredet haben. Das klingt dann ungefähr so:
»Also, ich hab das Teil im Laden gesehen, und dann ich so: Oh mein Gott, oh mein Gott! Das muss ich haben! Und dann hat es auch Anna gesehen und sie dann sofort so: Oh mein Gott, oh mein Gott! Kauf es dir!«
Dann kombiniert sie die Sachen immer wieder neu. Und das ist das Einzige, was an dem VLog kreativ ist: Rosa Hoodie mit schwarzen Leggings, schwarzer Tasche und rosa Sneakern. Danach rosa Hoodie über ein weißes Kleid, mit weißer Tasche und weißen Slippern. Und schließlich rosa Hoodie über Jeans-Shorts mit rosa Accessoires. Damit hat sie sich schon letztes Jahr bei der Newcomer-Challenge beworben. Echt wahr! Und dann hat sie überall erzählt, dass sie nur knapp verloren hätte. Und sie will dieses Jahr wieder mitmachen! Aber diese blöde Angeberei scheint niemanden zu stören. Fast die ganze Schule folgt ihr. Sogar die meisten Jungs. Ich aber nicht mehr. Seit sie dauernd so über mich lästert, habe ich sie einfach entfolgt.
Chiara hat mir gleich wieder eine Einladung geschickt. Mich wundert, wie sie das bei über 2.500 Abonnenten überhaupt bemerkt hat, dass ich ihr nicht mehr folge.
Und dabei behandelt sie mich doch so mies und redet kaum ein Wort mit mir! Stattdessen hetzt sie immer wieder die ganze Klasse gegen mich auf! Da folge ich ihr doch ganz bestimmt nicht mehr!
Jetzt kommen ein paar Mädchen aus den jüngeren Jahrgängen angelaufen und umzingeln Chiara und ihren Clan wie fast in jeder Pause.
»Catty, Catty! Dein letztes Video war so cool!«, ruft ein Mädchen mit genau solchen Katzenohren, wie Chiara sie in den Videos trägt.
»Unterschreibst du mir auf meine Tasche?«, fragt eine andere. »Guck mal, es ist die gleiche, die du neulich gezeigt hast!«
Ich bin jetzt erst mal uninteressant, obwohl ich nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt bin. Chiara lächelt plötzlich genauso starlike wie in ihren Videos. Das Metall ihrer Zahnspange blitzt im Sonnenschein, der von einem der Dachfenster herunterstrahlt. »Halt mal kurz.« Einer ihrer Schatten muss ihre Sachen halten. Ein anderer reicht ihr einen Edding. Das Mädchen hält ihre Tasche auf Schreibhöhe hoch, damit Chiara bequem ihren Namen darauf kritzeln kann. Sie wirft zuerst ihre lange blonde Wellenmähne über die Schulter und schreibt schnell wie ein Profi.
»Ich will auch!«, bettelt das Mädchen mit den Katzenohren.
Bereitwillig schreibt Chiara auf ein Heft, das das Mädchen ihr hinhält.
»Kennst du jetzt die Lochis oder immer noch nicht?«, ruft ein Junge, der gerade vorbeikommt.
Chiara grinst geheimnisvoll. »Verrate ich im nächsten Video!«
Plötzlich sind alle ganz aufgeregt. Aber Chiara will nichts mehr ausplaudern. »Okay, ihr Süßen. Ich muss jetzt in Bio«, sagt sie und beendet die Autogrammstunde. Dann wollen alle noch schnell ein Selfie mit ihr machen. KLICK! KLICK!
»Du bist so lieb, Catty!« – »Danke! Du siehst so schön aus!« – »Ich liebe deine Videos!«, quaken sie durcheinander und laufen quietschend vor Glück wieder weg.
»Und vergesst nicht, das nächste Mal wieder einzuschalten. Ich freue mich auf eure Kommis«, ruft Chiara ihnen hinterher.
MIMI