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Titel

SCM Hänssler ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-7751-7413-8 (E-Book)
ISBN 978-3-7751-5843-5 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book: Satz & Medien Wieser, Stolberg

Dieses Buch beruht auf Tatsachen. Dennoch wurden zum Schutz der
Persönlichkeitsrechte einige Namen und Umstände geändert.
Kursive Schrift in den Bibelzitaten kennzeichnen Hervorhebungen des Autors.

© der deutschen Ausgabe 2018
SCM Hänssler in der SCM Verlagsgruppe GmbH
Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-haenssler.de; E-Mail: info@scm-haenssler.de

Originally published in English under the title: Daring to hope.
Finding God’s Goodness in the Broken and the Beautiful
Copyright © 2017 by Katie Davis Majors
This translation published by arrangement with Multnomah, an imprint of the
Crown Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC Published
in association with Yates & Yates, LLP, attorneys and counselors, Orange, CA,
www.yates2.com.

Die Bibelverse sind, wenn nicht anders angegeben,
folgender Ausgabe entnommen:
Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006
SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH Witten/Holzgerlingen.

Übersetzung: Silvia Lutz
Umschlaggestaltung: Kathrin Spiegelberg, Weil im Schönbuch
Titelbild: © Mary McLeod, www.wanderingwithmary.com
Satz: Satz & Medien Wieser, Stolberg










Für unsere Kinder
Diese Dinge will ich euch mitgeben

Inhalt

Über die Autorin

Vorwort von Ann Voskamp

1 | Eine Einladung, Hoffnung zu wagen

2 | Gotteskämpfer

3 | Im Busch

4 | Verwundet

5 | Es besteht Hoffnung

6 | Wir haben einander

7 | Ein trockenes und erschöpftes Land

8 | Aber ich werde mich freuen

9 | Narben

10 | Zum Leben kommen

11 | Den Glauben wählen

12 | Eine glimmende Flamme

13 | Treu

14 | Die Zeit des Singens

15 | Er, der verheißen hat

16 | Eine tiefe und stille Liebe

17 | Zu Hause

18 | Brot des Lebens

19 | Schönheit im Sturm

Nachwort

Danksagung

Anmerkungen

Fußnoten

Leseempfehlungen

Vorwort von Ann Voskamp

Wenn man den Mut hat, Hoffnung zu wagen, kann das befreien und Ketten sprengen, obwohl man manchmal nicht einmal weiß, dass man in einem Gefängnis sitzt.

Und manchmal?

Manchmal ist uns gar nicht bewusst, dass die Hoffnung bereits schwach in uns glimmt, bis wir einem Menschen begegnen, in dem das Flüstern von Gottes Herrlichkeit wie ein loderndes Feuer brennt.

So ist es, als ich Katie unter der glühenden Julisonne auf dem roten afrikanischen Lehmboden ihrer Veranda treffe.

Fünf Minuten später sitze ich im Schneidersitz auf Katies Couch. Ihre kleinste Tochter hat einen Stapel Bücher angeschleppt und ich lese mitten in Uganda aus dem amerikanischen Kinderbuch Ox-Cart Man vor, während sich dieses kleine Wunder auf meinen Schoß kuschelt und den Kopf mit seinen Zöpfen unter mein Kinn legt. Ich habe das Gefühl, mein Herz müsse jeden Moment zerspringen.

Katie rührt in einem massiven Topf auf dem Herd Bohnen um. Eines der Mädchen zieht einen Stuhl heran und zerdrückt einen dampfenden Berg Kartoffeln, während ich dem kleinsten Mädchen die Geschichte vorlese. An der Wand über Katies Tisch hängt eine Weltkarte.

Wir könnten es in allen Küchen der Welt an die Wand schreiben: Du tust etwas Großartiges mit deinem Leben, wenn du mit Gottes großer Liebe unzählige kleine Dinge tust. Du veränderst die Welt, wenn du die Welt eines einzigen Menschen veränderst. Du verpasst im Leben nichts, wenn du Gelegenheiten ergreifst, andere Menschen so zu lieben, wie Jesus sie liebt.

Liebe ist kompliziert und gleichzeitig das Einfachste der Welt. Und sie ist das Einzige, worauf es ankommt.

Wenn man Gottes Liebe auf tausenderlei Weise kennenlernt, wird der Mut, Hoffnung zu wagen, so selbstverständlich wie das Atmen.

Wenn man nur fünf Minuten mit Katie zusammen ist, spürt und sieht man, dass sie ein Zeugnis für Liebe und Hoffnung und ein reiches Leben ist. Sie ist eine Frau, die laut und lange lacht. Sie erinnert ein wenig an einen Engel, wenn jemand sagt, sie wäre eine moderne Mutter Teresa.

Katie nimmt Jesus einfach beim Wort: Echtes Leben wird auf den Knien gelebt. Unsere Hoffnung ist ein mutiger Samen, den wir durch Gebet immer wieder aussäen und durch den wir in unserem Leben immer mehr Freude ernten.

Ein Mann, sichtbar von einem Virus angegriffen, kommt humpelnd an die Tür. Katie macht die Tür weit auf und holt ihm einen Stuhl. Ich sehe zu, wie sie seine Wunde verbindet. Katies Hoffnung ist ein Tunwort, das Gott die Hände hinhält, das den Menschen die Hände hinhält, das Hände und Herz hat. Und sie gibt die Hoffnung nie auf.

Wir gehen in die notleidende Umgebung hinaus, in der Amazima, der Dienst, den sie gegründet hat, hunderte Kinder ernährt. Wir singen Lobpreislieder, bis ich das Gefühl habe, der Himmel stehe über uns offen. Ich schiebe lachende Kinder auf Schaukeln an und sehe zu, wie diese Kinder in ihrer schwierigen Umgebung den Himmel berühren. Ich sehe, wie alle Hoffnungen zu Gottes weitem Horizont nach oben schaukeln.

Eine von Katies schönen Töchtern feiert Geburtstag. Katie und ich stehen in der Küche und bereiten sechs Pfannen Lasagne vor. Ich kann fast fühlen, wie der Himmel herabsteigt und diesem mutigen Glauben begegnet. Katie verköstigt heute Abend 22 Menschen an ihrem Tisch. Sie beugt sich in der Küche über meine Schulter und flüstert: »Bete bitte. Heute Abend kommt ein Freund, er heißt Benji. Es ist noch ganz frisch, aber vielleicht beruft uns Gott zu etwas, das weitergeht als nur Freundschaft. Vielleicht kannst du mit uns hoffen?« Katie lächelt und strahlt. Dank ihrer unablässigen Gebete und ihres unerschütterlichen Lobpreises trägt sie Strahlen der leuchtenden Sonne, Funken von Gottes unbestreitbarer Herrlichkeit in sich.

Als Katie an diesem Abend die Kerzen anzündet, kann man das Leuchten fühlen: In einem radikalen Leben geht es nicht darum, wo man lebt; es geht darum, wie man liebt.

Wie man Gottes Schönheit liebt, wie man sein schönes Volk liebt.

Es geht darum zu erkennen: Echtes Leben, große Liebe geschieht nicht, wenn man an einem bestimmten Ort ankommt. Es geschieht, wenn Ihr Herz an einem bestimmten Ort ankommt. Es ist egal, wo Sie sind. Es passiert genau da, wo Sie sind, ob in Afrika mit seinen Lehmstraßen oder in Amerika mit seinen asphaltierten Seitenstraßen.

Wenn Ihr Herz beschließt, sich in Gottes Arme zu begeben, bekommen Sie immer das, was Sie sich wirklich erhoffen: mehr von Gott.

Den Mut zu haben, große Dinge zu hoffen, heißt nicht, einen außergewöhnlichen Glauben zu haben. Es geht darum, in den kleinen, gewöhnlichen Dingen treu zu sein. Es geht darum, sich auf den nächsten Moment einzulassen, den einem Gott vor die Füße legt. Dann finden Sie, was Sie sich immer erhofft haben: Gottes Schulter, an die Sie sich lehnen können, Gottes Arme, die alles tragen, Gottes Herz, das Ihr Zuhause ist.

Ich werfe einen Blick hinüber auf Katie, die über die Kerzen lächelt, Katie, die strahlt, und da ist es: Radikales Leben, radikales Lieben, radikales Hoffen hat nicht so sehr damit zu tun, wohin Sie gehen, sondern mit einem Leben, in dem Sie Jesu Angesicht schauen und sich von ihm dort, wo Sie sind, in Bewegung setzen lassen.

Vielleicht führt Gott Sie auf die andere Seite der Erde. Oder er führt Sie dazu, dass Sie wieder glauben, dass Sie wieder etwas wagen, dass Sie wieder auf Gott und auf andere Menschen zugehen. Wenn Jesu tragende Liebe Sie führt, führt sie Sie mit der kühnsten Hoffnung in die Welt hinaus. Er führt Sie, dass Sie auf scheinbar unmögliche Dinge hoffen können, weil seine Nähe für Sie das Kostbarste ist.

Zu oft wollen wir Klarheit, aber Gott will, dass wir näher kommen. Träume werden konkret, wenn man näher kommt und sie durch Gottes reine Liebe sieht. Jede Seite dieses Buches, das Sie in Händen halten, ist reine Transparenz. Katies Herz und ihre Nähe zu Gott werden Ihnen den Atem rauben, und Sie werden erleben, dass Sie ein befreiter Gefangener der größten Hoffnung sind.

Nach der Geburtstagsfeier zündet Benji im Garten ein Lagerfeuer an. Katies 13 Töchter suchen Stecken. Benji hilft Katies Mädchen, einen Berg von Marshmallows zu grillen. Man sieht es in Katies Augen, wie sie ihn ansieht, wie sie ihre Töchter ansieht: Sie ist von der Wärme von Gottes Liebe, die nicht von dieser Welt ist, entfacht.

Als Katie in jener Nacht unter dem Sternenhimmel von Uganda stand, wusste sie noch nicht, wie die Geschichte, die Sie jetzt in Händen halten, weitergehen würde. Sie wusste nicht, welcher Kummer auf sie zukommen würde, sie wusste nicht, welche Kurven und Wendungen und Umwege die Straße vor ihr bereithielt, sie wusste nicht, dass sie Gottes Herrlichkeit erleben und ihn sehen und in allem von ihm gehalten werden würde.

Katie wandte sich an mich und sagte: »Die Antwort auf alles ist Beziehung.« Ich nickte und konnte die heilende Wärme fühlen.

Die Antwort auf jede Frage, die wir haben, ist immer eine enge Beziehung.

Eine enge Beziehung zu Gott.

Es kommt auf die Beziehung an. Katie lebt das auf eine seltene, echte und Jesus-revolutionäre Weise. Diese Seiten bezeugen eine enge Liebesbeziehung zu Jesus, die eine Hoffnung gebiert, die nicht enttäuschen kann. Wenn wir wissen, dass Jesus uns festhält, können wir uns immer an die Hoffnung klammern.

Meine älteste Tochter und ich verbrachten drei ganz gewöhnliche, ungewöhnliche Tage bei Katie und erlebten eine unverfälschte, authentische, erstaunliche Gnade. Hart erarbeiteter Friede herrschte und am Ende jeder Mahlzeit servierte Katie ihrer Familie Lebendiges Brot aus Gottes Wort, genauso wie sie es auf jeder Seite dieses Buches macht. Ich konnte nur denken: Wir hoffen so gut, wie wir unseren himmlischen Vater kennen. Katie hofft so, wie sie das Gesicht ihres himmlischen Vaters kennt. Das ist ein heiliges Zeugnis. Sie halten ein Buch in Händen, das dies bezeugt.

Dieses Buch wird Sie verändern.

Als Benji noch einmal im Feuer stochert, fliegen die Funken. Hoffnung steigt zum Himmel auf und selbst die Sterne loben Gott.

Ann Voskamp

Autorin der Bestseller
Durch meine Risse scheint dein Licht
und Tausend Geschenke

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Eine Einladung, Hoffnung zu wagen

Meine Küche ist gelb gestrichen. Weil Gelb die Farbe des Sonnenscheins und der Freude ist und weil Gelb meine Lieblingsfarbe ist.

Sie ist nie so sauber, wie ich sie gerne hätte. Während ich in der Stille, nachdem die Kinder im Bett sind, hier stehe, folgen meine Augen einer Spur von Fußabdrücken aus rotem Lehm über diesem Boden. Eigentlich sollte er weiß sein. Tränen der Dankbarkeit steigen in mir auf. Geliebte Erinnerungen melden sich. Erinnerungen an vieles, das sich hier in dieser Küche zugetragen hat.

Diese Küche ist der Ort, an dem ich diene. Oft verbringe ich fast den ganzen Tag in dieser Küche. Durch das Fenster über der Spüle schaue ich in den Garten hinaus. Mein Blick wandert hinüber, wo die hohen Maispflanzen stehen und die Kinder zwischen Sonnenblumen und Zuckerrohrpflanzen Verstecken spielen. Ich sehe durch dieses Fenster den Mangobaum, an dem meine Mädchen oft hängen, glücklich und mit winkenden Armen und Beinen. Ich tue so, als würde ich mir keine Sorgen machen, dass sie herunterfallen könnten. Ich habe 13 Kinder, 13 kleine Mädchen, die sich schneller, als mir lieb ist, in junge Frauen verwandeln. Jedes einzelne Kind kam durch das unglaublich schöne, unglaublich schwere Wunder der Adoption in unsere Familie.

Ich stehe an diesem Fenster und manchmal habe ich das Gefühl, als würde ich den größten Teil des Tages hier verbringen. Ich spüle Geschirr, wasche Gemüse und singe Lobpreislieder. Direkt neben der Spüle ist die Tür, die in den Garten führt. Die Kinder laufen hinaus und herein, ihre endlosen Fragen, ihr lautes Lachen und ihre staubigen Fußabdrücke erfüllen unser Haus mit Freude. Das klingt zauberhaft, nicht wahr? Es kann auch zauberhaft sein.

Manchmal ist es jedoch nicht zauberhaft. Die Kinder quengeln und die Mutter verliert die Geduld und das Brot brennt an und alles kann ziemlich schnell unerfreulich werden.

Diese Arbeitsplatten, abgestoßen und mit Krümeln bedeckt, und die Spüle, neben der das Geschirr zum Trocknen hoch aufgestapelt ist, könnten viele Geschichten erzählen. Sie haben meine Freude gesehen, wenn ich durch das Fenster auf meine lachenden Kinder hinausschaue und meine Hände, an denen der Spülschaum hängt, im Lobpreis erhebe. Sie haben Tränen der Resignation gesehen, die ich wegen scheinbar hilfloser Situationen vergossen habe, während ich einen Berg Kartoffeln schälte und Psalmen aufsagte, um mein Herz zu beruhigen. Sie haben meine Zunge ungeduldige Worte zischen hören, wenn wieder einmal ein Kind durchs Haus brüllte. Später hörten sie meine geflüsterte Reue, wenn ich Gott bat, mich zu der Mutter zu machen, die ich gern sein möchte. Diese gelben Wände haben Lachen mit lieben Freunden bis tief in die Nacht und Trauer wegen gestorbener Träume am frühen Morgen gehört. Sie haben Schuldbekenntnisse und Erfolge und die Gebete so vieler leidender Herzen – einschließlich meines Herzens – gehört.

In diese Küche habe ich mich niedergeschlagen zurückgezogen, als ich ohne die vierjährige Pflegetochter zurückkam, um die ich vergeblich gekämpft hatte. Liebe Freunde versammelten sich um meine Töchter und mich und machten uns etwas zu essen. Ihre schweigende Hilfe bedeutete mehr als Worte. Ich erinnere mich an unser erstes Erntedankessen, das in dieser Küche zubereitet wurde, an meine Mutter, die das Festessen aus dem Ofen holte, Kinder, die glücklich tanzten, und Menschen – ach, so viele Menschen –, die diesen kleinen Raum füllten und Freude verbreiteten. Hier haben wir zu laute Musik gespielt und getanzt, während wir Berge über Berge von Geschirr spülten. Hier habe ich Pflegebabys neben Töpfen mit Essen für Nachbarn auf die Arbeitsplatten gelegt. Hier, in dieser Küche, habe ich mitten in der Nacht erschöpft gestanden und hochkalorische Milch für Menschen angerührt, die um ihr Leben kämpften, und zu Jesus geschrien, dass er sie retten möge.

Ich stehe hier und gebe den Erinnerungen in meinem Herzen Raum. Vor meinem geistigen Auge sehe ich Kinder auf der Arbeitsplatte sitzen, die mir beim Backen zusehen und ungeduldig darauf warten, dass sie den Finger in das, was ich zusammenrühre, stecken dürfen. Ich höre das Tapsen kleiner Füße über dem Blubbern des Kaffeetopfs und die aufgeregte Stimme meiner Kleinsten, die verkündet, dass die Hühner am frühen Morgen »aufgeplatzt« sind. Und ich fühle, wie mich an diesem Ort Gottes Barmherzigkeit überflutet. Ich sehe unzählige Kochstunden, kleine Kinder, die um einen großen Topf herumstehen und eifrig abmessen, eingießen, umrühren wollen. Ich sehe Geburtstagskuchen – so viele Geburtstagskuchen –, die mit Zuckerguss überzogen und mit Schmetterlingen und Blumen verziert werden. Ich rieche Vollkornbrot, das jeden Tag warm in diesem Ofen aufgeht, und danke staunend, dass Gott unser tägliches Brot ist.

Ich denke an die Menschen, an die vielen Menschen, die im Laufe der Jahre an diesem Ort waren. Dank der Gespräche und Gebete und des Trostes in dieser Küche finden obdachlose Mütter einen Weg zu einem besseren Leben, werden Kinder geheilt, finden Freunde Ruhe und erwidern Menschen, die ich liebe, meine Liebe. Menschen lernen an diesem Ort den Herrn kennen. Ich lerne den Herrn an diesem Ort kennen.

Ich fahre mit den Fingern über die verkratzten Arbeitsplatten. Die Zeit vergeht zu schnell. Menschen werden von hier ausgesandt. Menschen, die nach Hause gehen, und Menschen, die in eine neue Zukunft gehen. Eines Tages werden auch diese Mädchen in ihre eigene Zukunft gehen. Es ist fast zu viel, die Zeit vergeht so schnell. Träume sterben und neue keimen auf, Babys wachsen zu Kindern heran und Kinder zu Frauen und Herzen zur Reife. Ich weine, weil ich alles für immer festhalten will, die Güte des Herrn an diesem Ort.

Ich habe hier gelacht, ich habe hier geweint, ich habe hier geschafft, und, oh, ich habe hier gebetet. An diesem Ort habe ich Gott besser kennengelernt. Ich habe nicht alles richtig gemacht, und an manchen Tagen habe ich das Gefühl, nicht genug zu sein, aber ich weiß, dass er genug ist. Er ist genug.

Direkt über dem Ofen sind diese Worte aus der Apostelgeschichte an die Wand geschrieben: »Sie nahmen gemeinsam die Mahlzeiten ein, bei denen es fröhlich zuging und großzügig geteilt wurde. … Und jeden Tag fügte der Herr neue Menschen hinzu, die gerettet wurden.«1 Das ist mein tiefster Wunsch. Ich weiß es, so wie ich um meinen nächsten Atemzug weiß: Die Zeit vergeht, und diese Menschen werden gehen. Sie werden an neue Orte und in eine neue Zukunft aufbrechen, und nur Gott wird bleiben. Ich verteile in dieser Küche Mahlzeiten, aber ich will auch verteilen, was wirklich zählt. Ich will allen, die eine Weile an diesem Ort sind, das Lebendige Brot geben, das Einzige, das wirklich zählt.

Meine Augen wandern zu den Fußabdrücken, die zur Tür führen, und mit angehaltenem Atem frage ich, bitte ich: »Herr, wenn ich nur um eines bitten könnte, könnte ich ihnen bitte dich nahebringen?«

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Vor zehn Jahren bin ich aus Tennessee nach Uganda umgezogen. Ich war erfüllt von etwas, das ich für Hoffnung hielt. Aber in Wirklichkeit war es eher naiver Optimismus. Wenn man mich damals gefragt hätte, wie der Herr meine Beziehung zu ihm am meisten vertiefen könnte, hätte ich darauf alle möglichen Antworten gegeben. Im reifen und weisen Alter von 19 Jahren dachte ich, viel zu wissen. Ich wollte mein Leben für Jesus geben. Ich wollte das Leben von Menschen verändern, indem ich sie das Evangelium von Jesus lehre und dazu beitrage, dass für ihre Grundbedürfnisse gesorgt ist. Gott würde mich gebrauchen. Ich wäre die Lösung.

Ich hatte keine Ahnung von der Schönheit, die ich in einem Leben, das Gott zur Verfügung gestellt wird, finden würde. Von der Freude, kleine Kinder meine »Töchter« zu nennen, mich fest an Jesus zu klammern und zu lernen, was das wirklich bedeutet. Die Freude echter und reiner Anbetung inmitten von Menschen, die nicht dieselbe Sprache sprechen, die aber zu demselben Gott beten. Die Begeisterung zu erleben, wie sich ein Leben verändert, weil es mit solchen einfachen Dingen wie mit Medikamenten und Lebensmitteln versorgt wird.

Ich wusste nichts von dem Schmerz, der mich auf der anderen Seite des Ozeans erwartete, auf der anderen Seite der Demut, wo ich erkennen würde, wie wenig ich zu bieten habe. Ich wusste nicht, dass ich ein kleines Mädchen, das mich jahrelang »Mami« genannt hatte, wieder würde hergeben müssen. Ich wusste nicht, dass ich die Verantwortung würde übernehmen müssen, einer Mutter ins Gesicht zu blicken und ihr zu sagen, dass ihr Kind nicht überleben würde. Ich wusste nicht, dass ich tiefe Freundschaften zu Menschen aufbauen würde, die von einer Sucht gefangen waren, und dass ich ihnen, sosehr ich mich auch bemühte, nicht würde helfen können, diese Sucht zu überwinden. Ich wusste nicht, dass ich mich um Menschen, die sich mit HIV infiziert haben, kümmern würde, einmal sogar monatelang. Und dass ich Gott verzweifelt anflehen würde, ihr Leben zu verschonen, und dass ich später ihre Hand würde halten müssen, während sie in die Ewigkeit hinübergehen und von Jesus auf der anderen Seite empfangen werden würden.

Und ich wusste nicht, dass ich inmitten großer Schmerzen und Trauer und Verluste eine Freude und einen Frieden erleben würde, die jedes menschliche Verstehen bei Weitem übersteigt. Die Realität erschütterte meinen Optimismus, aber ich erkannte, dass meine positive Einstellung ohnehin nur ein billiger Ersatz für echte Hoffnung war. Der Herr nahm die Dunkelheit und machte sie zu meinem geheimen Ort, an dem ich ihn persönlicher und tiefer kennenlernte, als ich es je für möglich gehalten hatte. Inmitten des Orkans, der mich umgab, erlebte ich einen wahren Trost, der so tief, so klar war, dass er sich einfach nicht leugnen ließ. Dieser Trost war Jesus. Er war nahe.

In unserem Schmerz ist er nahe.

In schlaflosen Nächten, wenn Freunde sterben und wenn Familien zerbrechen, ist Jesus der Einzige, der konstant bleibt. Er ist der Einzige, der genügt. Er hält meine Hände. Er berührt mein Gesicht. Er ist nahe, und er flüstert, dass der Tag kommen wird, an dem die Schmerzen vorbei sind und ich niederfallen und ihn für immer anbeten kann.

Im Laufe der Jahre erlebte mein Glaube mit allen meinen richtigen und falschen Antworten eine persönliche Berührung durch den lebendigen Gott. Meine Trauer war seine Trauer und meine Freude war seine Freude. In meiner Finsternis kannte ich ihn und er kannte mich. Inmitten des Schmerzes, den ich mir nicht freiwillig ausgesucht hätte, war er real und unbestreitbar und wahr. Wenn das Leben nicht so war, wie ich erwartet hatte, wenn die Hoffnung nicht das war, was ich dachte, schuf er in meinem Herzen Raum für sich.

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Dieses Leben ist zwar ganz anders als das perfekte Leben mit zwei Kindern und einem Einfamilienhaus mit nettem Vorgarten, das ich mir früher vorgestellt hatte. Unser Haus ist bei Weitem nicht so gut organisiert, wie ich es gern hätte, und oft kommt das Essen zu spät auf den Tisch. Wir fallen im Supermarkt auf und wir schaffen nie den ganzen Schulstoff, den ich mir für die Woche vornehme. Wir kommen zu spät zum Gottesdienst. Manchmal kommen wir dort an und ein Kind hat keine Schuhe an und ein anderes hat vergessen, sich die Haare zu kämmen. Wir können ein wenig chaotisch sein. Aber wir haben einen Gott, der alles, was uns fehlt, ausgleicht, einen Gott, der Schönheit statt Asche und Ströme in der Wüste und Gnade für heute verspricht.

Ich habe das Gefühl, dass er mir diese Verheißung gibt: Diese Tage sind heilig. Gott ist hier und heute gut zu uns und wirkt alles zu unserem Guten. Er nimmt mir täglich die Schuppen von den Augen und öffnet sie mir, damit ich sehe. Es ist nicht das, was ich mir früher vorgestellt habe; es ist besser.

Unser Haus ist immer voll, aber es kommt mir nie zu klein vor. Im Laufe der Jahre haben wir eine Gewohnheit entwickelt, eigentlich einen Lebensstil: Wir öffnen unsere Türen weit, auch wenn wir das Gefühl haben, dass wir es nicht schaffen, uns noch mehr Menschen, die Gott in unser Leben bringt, zur Verfügung zu stellen. Aber wir sehen seine Güte, wenn wir ihm und anderen Menschen die Arme ausbreiten.

Er bringt sie immer. Menschen kommen zu uns, weil sie ein Glas Wasser suchen, ein freundliches Lächeln, eine Erlösungsgeschichte, einen Ort, an dem sie gern gesehen sind. Er füllt unser Leben und unser Zuhause mit schönen, kaputten Menschen und er erweist sich als Gott, der die Gebrochenen heilt und die Wunden benutzt, um seine Herrlichkeit zu offenbaren.

Die Geschichten, die ich auf diesen Seiten erzähle, sind nicht meine eigenen Geschichten. Es sind die Geschichten von vielen, die treuer sind als ich und diese Dinge erlebt haben. Es sind Geschichten von Menschen, die Gott meinem Herzen anvertraut hat. Ich bete, dass meine schwachen Worte ihnen die nötige Wertschätzung zukommen lassen. Es sind Geschichten voller Wahrheiten, die nicht nur für mich wahr sind, sondern für jeden, der Jesus in der Finsternis erlebt und diese dunkle Zeit sogar als Geschenk erfahren hat.

Es ist eine beängstigende Aufgabe, alles aufzuschreiben, Gott um Worte zu bitten, die wirklich nur auf ihn hinweisen, die Sie einladen, alles zu sehen: das Gute und das Hässliche, die Freude und den Schmerz, mein Herzblut, mit dem ich es zu Papier bringe. Aber auf der anderen Seite dieser beängstigenden Aufgabe, auf der anderen Seite des Risikos, der ganzen Welt mein verwundbares Herz zu zeigen, steht die Chance, dass Sie Jesus hier sehen, hier in unserer Küche, hier in unserem Leben. Vielleicht sehen Sie Jesus auch in unserem Chaos und in unserer Gebrochenheit und sind ermutigt, weil sie erkennen, dass auch in Ihrem Chaos und in Ihrer Gebrochenheit Barmherzigkeit und ein Sinn zu finden sind.

Vielleicht lesen Sie diese Worte und erleben eine reale, echte, anhaltende Hoffnung, die nur in Jesus zu finden ist. Eine Hoffnung, die mir an Orten begegnete, an denen ich es nicht erwartet hatte, an Orten, die ich mir nicht ausgesucht hätte. Eine Hoffnung, die inmitten von Schmerz und Schiffbruch geboren wurde.

Und so lade ich Sie ein, liebe Leser. Nicht weil wir Antworten hätten, sondern weil ich den Einen kenne, der die Antworten hat. Die Küche ist nicht groß, aber wir machen Platz. Kommen Sie herein. Zu einem Glas kaltem Wasser, zu einem freundlichen Lächeln, zu einer Erlösungsgeschichte, an einen Ort, an dem Sie gern gesehen sind. Mein kühnstes Gebet ist es, dass Sie hier auf den Seiten unserer Geschichten den Herrn finden, und noch mehr, dass Sie ihn auf den Seiten Ihrer eigenen Geschichte finden. Er ist in den schwersten Anfechtungen und in der größten Freude mein Begleiter. Es ist sein tiefster Wunsch, auch Ihr Begleiter zu sein.

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Gotteskämpfer

Die verknitterten Seiten meiner Bibel liegen beim Buch 1. Mose aufgeschlagen neben Bergen von Gemüse, die darauf warten, zu Spaghettisoße verarbeitet zu werden, während ich den Mädchen durch das Küchenfenster zuschaue.

Dann blieb er allein zurück. Da kam ein Mann und kämpfte mit ihm bis zum Morgengrauen.

Als der Mann merkte, dass er Jakob nicht besiegen konnte, gab er ihm einen Schlag auf sein Hüftgelenk, sodass es ausrenkte.

Dann sagte er: »Lass mich los, denn der Morgen dämmert schon.«

Doch Jakob erwiderte: »Ich lasse dich nicht los, bevor du mich gesegnet hast!«

»Wie heißt du?«, fragte der Mann.

Er antwortete: »Jakob.«

»Du sollst nicht länger Jakob heißen«, sagte der Mann. »Von jetzt an heißt du IsraelF1. Denn du hast sowohl mit Gott als auch mit Menschen gekämpft und gesiegt.«

»Nenn mir deinen Namen!«, forderte Jakob ihn auf.

»Warum erkundigst du dich nach meinem Namen?«, fragte der Mann. Dann segnete er Jakob.

Jakob nannte die Stätte Pnuël – »Angesicht Gottes« –, denn er sagte: »Ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen und trotzdem bin ich noch am Leben!«

Die Sonne ging gerade auf, als er Pnuël verließ. Wegen seiner Hüfte hinkte er.2

Ich stehe am Spülbecken, meine Hände sind vom Spülwasser runzelig, und ich schaue zu, wie die Kinder mit Kohlblättern auf den Köpfen im Garten tanzen, während sie Sonnenblumensamen ansäen. Ich staune über ihre Widerstandskraft. Es ist November. Das Leben ist ausgefüllt. Lachen und glückliche Stimmen sind um mich herum zu hören, während ich Gott im Stillen harte Fragen stelle. Ich hätte nie erwartet, dass ich einmal solche Fragen haben würde.

Vor einem Monat wurde mein Leben an einem Tag wie heute, an dem die Sonne schien und der Wind wehte, auf den Kopf gestellt. Die leibliche Mutter eines meiner Pflegekinder, die ihr Kind verlassen hatte, tauchte nach drei Jahren zum ersten Mal auf und erklärte, dass sie ihre Tochter zurückhaben wolle.

Ich war immer ein großer Befürworter von Familienzusammenführungen, und bei uns haben im Laufe der Jahre viele Pflegekinder und sogar Erwachsene gewohnt. Wir hatten für sie immer das Ziel im Blick, wieder selbst auf die Beine zu kommen und ein eigenes Zuhause zu finden. Wir konnten dabei viele Erfolge verbuchen, und wir haben neue Pflegekinder mit echter Freude bei uns aufgenommen, bei denen wir wussten, dass sie nur für eine gewisse Zeit in unserer Familie bleiben würden. Wir liebten diese Menschen von ganzem Herzen. Unsere Hilfsorganisation Amazima – dieses Wort in der Sprache Luganda, die in Uganda gesprochen wird, bedeutet »Wahrheit« – versucht, dafür zu sorgen, dass Kinder bei ihren leiblichen Familien bleiben können.

Aber dieses Mal wollte ich das absolut nicht, denn dieses Mal ging es um meine Tochter. Wir rechneten nicht damit, dass Jane nur vorübergehend bei uns wohnen würde. Sie war mit nicht einmal zwei Jahren in einem großen, leeren Haus allein gelassen worden und wohnte bei uns. Eine Nachbarin hatte sie gefunden und zu uns gebracht. Es gab keine Anzeichen dafür, dass irgendwelche leiblichen Angehörigen bereit wären, sich um sie zu kümmern. Und so begann ich mit dem Papierkrieg, um ihre Adoption rechtlich abzusichern. In meinem Herzen war sie jedoch schon ein festes Mitglied unserer Familie. Ich nannte sie mein Kind, und ich hatte das Gefühl, dass Gott das auch so sah. Ich kämmte ihr die Haare und lehrte sie das Alphabet und legte sie als ihre Mutter mit einem Kuss abends schlafen. Ich küsste ihre Wangen mit den Grübchen, schwang sie lachend auf meinen Schoß und erinnerte sie als ihre Mutter daran, sich die Zähne zu putzen. Sie sprang aufs Bett und saß mit ihren Schwestern am Tisch und stellte ihre kleinen Schuhe zu den anderen Schuhen unserer Familie neben die Tür.

Plötzlich wurde klar, dass sie nicht zu unserer Familie gehören sollte.

Ich hatte das Gefühl, dass ich mich über Lisas Wunsch, Jane als ihre Tochter zurückzuhaben, eigentlich freuen sollte. Aber bei dieser völlig unerwarteten und scheinbar unfairen Wende erfüllten mich nur Wut und Trauer um einen schmerzlichen Verlust. Ich kannte Lisa nicht. Obwohl ich ihr eine Chance geben wollte, beunruhigten mich die vielen Hinweise zutiefst, dass sie vielleicht nicht für die Verantwortung bereit sein könnte, die es bedeutet, Mutter zu sein. Die süße Jane war wegen dieser fremden Frau, die aus heiterem Himmel auftauchte und ihr Leben auf den Kopf stellte, völlig verwirrt. Wir waren die einzige Familie, die sie je gekannt hatte, die einzige Familie, an die sie sich erinnern konnte. Äußerlich tat ich, was ich konnte, um ihr eine erfolgreiche und gesunde Umstellung zu ermöglichen, aber innerlich kämpfte ich. Ich war Jakob, der Gotteskämpfer.

Ich erinnere mich an diese Zeit wie an eine Diashow mit Standbildern: Janes abgeblätterter, rosa Nagellack an ihren Fingern, die sich um ihren Rucksack verkrampften, als sie zu einer Frau, die sie nicht kannte, ins Auto stieg. Ihre Schwestern, die mich anflehten, sie zurückzuholen, und meine stammelnden Worte, als ich versuchte, ihnen die Sache mit Barmherzigkeit und Verständnis zu erklären. Ich, wie ich später in Tränen aufgelöst im Garten zusammenbreche. Mein lautes Flehen zu Jesus, dass das bitte nicht wahr wäre, dass alles bitte nur ein schlimmer Traum sein solle, aus dem ich bald aufwachen würde und mein Leben wäre wieder normal und meine Kinder, alle meine Kinder würden gemeinsam zufrieden am Mangobaum schaukeln.

Aber mein Weinen änderte nichts. Jane lebte in einer anderen Stadt mit einer anderen Mutter, die ihr half, sich die Zähne zu putzen, und sie das Alphabet lehrte. Sie zog ihre Schuhe an der Tür eines anderen Hauses aus, während ihr Platz an unserem Tisch und ihr Bett in ihrem Zimmer leer blieben. In dem Monat, als sie weggegangen ist, habe ich oft auf diesem Bett gesessen und den Herrn unter Tränen angefleht, mir mein kleines Mädchen zurückzubringen. Aber er hat gesagt: Nein, dieses Mal nicht.

Was tust du, wenn deine vierjährige Tochter plötzlich nicht mehr dein Kind ist und in deiner Familie ein Loch ist? Und wenn in deinem Herzen ein noch tieferes Loch ist? Wie stehst du Tag für Tag wieder auf und begegnest einer Welt voll Gebrochenheit, Schmerz und Versagen? Du murmelst die Frage und hoffst, dass dich niemand hört: Ist Gott wirklich gut? Sieht er mich wirklich? Wie kann er uns in diesem ganzen Durcheinander lieben?

Zum ersten Mal stellte ich Gott infrage, obwohl ich ihm, seit ich klein war, immer aus ganzem Herzen vertraut habe. Ich flüsterte Fragen, obwohl ich das Gefühl hatte, dass ich sie nicht stellen sollte: »Bist du wirklich gut? Kannst du gut sein, wenn es auf dieser Welt so viel Leid gibt? Siehst du mich wirklich? Liebst du uns wirklich?« Diese Fragen beunruhigten mich, aber sie ließen sich nicht verdrängen. Wie sollte ich Gottes Güte in dieser Situation erleben, wenn ich nicht in dieser Situation sein wollte?

Wie Jakob taumelte ich, aber Gott ließ mich nicht los. Im Gegenteil, er hielt mich noch stärker fest.

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Das Leben, wie ich es jahrelang gekannt hatte, gab es nicht mehr. Jede Woche fuhr ich die fünf Stunden in die Kleinstadt, in der Jane jetzt mit ihrer Mutter lebte. Sie sollte unbedingt wissen, dass wir sie nicht im Stich ließen und nicht vergessen hatten. Sie sollte sich geliebt fühlen und merken, dass wir sie bei ihrer Umstellung auf das Leben bei ihrer Mutter unterstützten. Ich war diejenige, die Jane bis vor Kurzem als Mutter gekannt hatte. Ich musste meinem vierjährigen Mädchen versichern, dass diese Veränderung gut und sicher und in Ordnung war. Ich war überzeugt, dass es für Jane gut wäre, diese Sicherheit zu fühlen, auch wenn ich immer noch kämpfte. Auch Lisa sollte wissen, dass ich sie dabei unterstützen würde, die beste Mutter zu sein, die sie sein konnte, auch wenn ich das selbst überhaupt nicht wollte.

Während der langen Fahrt zu Janes neuem Zuhause schaute ich auf die holprigen Lehmstraßen und grünen Teefelder hinaus und versuchte, das alles zu verstehen. Ich versuchte, in dem Schmerz einen Sinn zu finden, versuchte zu glauben, dass Gott hier und jetzt gut zu mir war. Wir aßen zu dritt, ich wusch Janes lange, dicke Locken und kämmte vorsichtig ihre verknoteten Haare. Ich kitzelte sie und schmiegte sie an mich und versuchte, dem kleinen Mädchen das Lachen zu entlocken, das ich so liebte. Aber seine Augen starrten jetzt leer und verwirrt eine Frau an, die es jahrelang »Mami« genannt hatte und die es jetzt im Haus einer anderen Frau zurückließ. Ich betete über ihrem kleinen Kopf und erzählte ihrer neuen Mutter Geschichten aus ihren ersten Lebensjahren. Ich erklärte Lisa, welche Lotion Janes empfindlicher Haut guttat und dass sie ihre Schuhe mit einem doppelten Knoten zugebunden haben wollte, damit sie nicht das Spielen unterbrechen musste, um sie wieder zuzuschnüren. Ich zwang mich zu einem Lächeln und zu begeisterten Worten über das neue Leben, das sie jetzt führten, während ich im Stillen Gott fragte: Warum? Dann küsste ich beide und fuhr nach Hause zurück, wo meine anderen Kinder ihre kleine Schwester vermissten. Während der ganzen langen Fahrt bat ich Gott um meinen Weg und dass mein Wille geschehen würde.

Ich kämpfte wie Jakob. Ich ballte die Fäuste und sagte zu dem, was Gott mir gegeben hatte: »Nein.« Nein, ich wollte das nicht. Ich wollte nicht dieser Mensch sein, nicht diese Familie. Das war nicht mein Plan gewesen. Das passt mir nicht, Gott.

Aber irgendwie glaubte ich tief in meinem Herzen, dass ich Gott hier sehen könnte.

Wenn ich an Jakobs Geschichte dachte, hatte ich das Gefühl, dass er in seiner Forderung an Gott zu kühn war: »Segne mich! Ich lasse dich nicht los, bevor du mich gesegnet hast!«3 Aber meine Kühnheit stand Jakobs kühner Forderung in nichts nach. Es ist kühn zu erleben, wie das Leben um dich herum zerbröckelt, und trotzdem irgendwie zu glauben, dass Gott seinen Segen schenkt. Diesen Glauben habe ich nicht in mir gefunden. Es war ein Glaube, den Gott mir auch in meinem Zweifel ins Herz legte. Mein Herz verlangte auf seiner Suche nach einem Gott, der nicht nur gut, sondern auch persönlich ist, wie Jakob: »Ich will dich hier sehen! Ich will den Segen sehen!«

Gott ließ mich nicht los. Und die Sonne ging weiterhin auf. Langsam, zögernd erlebte ich, dass der zerbrechliche Rahmen meines Glaubens entfernt und durch ein tieferes Verständnis ersetzt wurde, das mich mein Leben lang nicht losgelassen hat: Ich würde Gott in meinem Kampf sehen.

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Gott begann, in seiner Sprache Dinge neu zu definieren, die ich früher in meiner eigenen Sprache definiert hatte. Ich hatte immer geglaubt, dass Schönheit in allen Dingen gefunden werden kann. Bis vor Kurzem hatte ich gedacht, diese Schönheit wäre in einem »Happy End« zu finden. Ich hatte unbewusst geglaubt, Gottes Segen zeige sich nur, wenn alles gut ausgeht. Und so betete ich und wartete darauf, dass sich die Schönheit nach meinen Vorstellungen offenbaren würde. Ich wollte eine schöne Geschichte schreiben, in Glanzpapier und mit Schleife. Die Geschichte mit dem Happy End, das ich wollte, hübsch und sauber und nicht schmerzhaft oder verwirrend.

Aber Tage, Wochen und Monate vergingen, und diese Geschichte ging nicht nach meinen Vorstellungen aus.

Ich schaute meine ugandischen Brüder und Schwestern in ihrem leidenschaftlichen Glauben an Christus an und sah, dass ihre Geschichten auch nicht so endeten, wie sie es planten oder sich wünschten. Ich kannte Frauen, die treue Ehefrauen und Mütter waren, dem Wort Gottes treu, und die trotzdem Müllhaufen durchwühlen mussten, um am Ende des Tages etwas für ihre Kinder zu essen zu haben. Ich kannte Familien, die ihre Kinder genauso sehr liebten wie ich meine, aber mit ansehen mussten, wie sie starben, weil sie keinen Zugang zu bezahlbaren Medikamenten hatten. Ich kannte Kinder, die ihre Eltern aufgrund einfacher Krankheiten, die verhindert oder behandelt werden könnten, verloren. Überall, wohin ich schaute, sah ich Leiden. Ich sah dafür zwei Erklärungen: Entweder ist Gott nicht der, der er sagt, oder er ist es und ich musste neu lernen, ihn auch in schweren Situationen zu erkennen.

Ich verschlang die Bibel auf neue Weise und versuchte, Antworten auf meine Fragen zu finden. Ich bewegte mich wie im Nebel und las die Worte aus dem Römerbrief immer wieder: »Gott hat nicht einmal seinen eigenen Sohn verschont, sondern hat ihn für uns alle gegeben. Und wenn Gott uns Christus gab, wird er uns mit ihm dann nicht auch alles andere schenken?«4 Alles. Alles, was wir brauchen. Konnte ich das glauben? Konnte ich glauben, dass Gott alles gab, was ich brauchte, selbst wenn es nicht das war, was ich wollte?

Ich wusste, dass ich lernen musste, das zu glauben. Für mich, für meine Kinder, für die, denen wir dienten. Wir mussten glauben, dass Gott, der seinen Sohn gegeben hat, uns alles gibt, was wir brauchen. Wir mussten glauben, dass dies Schönheit genug ist, auch ohne Happy End. Auch wenn Gott mein Gebet nicht so erhörte, wie ich wollte, hat er es erhört. Auf mein ganzes Schreien und mein ganzes Bitten und meine ganzen Fragen hatte er eine Antwort. Er sagte zu meiner Bitte nicht Ja, aber er schwieg auch nicht. Ich mache das auch schön, flüsterte er. Konnte er das? Ich habe dich bereits gesegnet, sprach er wieder in mein Herz. Und dann betete ich immer wieder: Oh, Herr. Gib mir Augen, die sehen.

Ich begann bei Jesus, dem Segen, den ich nicht übersehen konnte. Er, der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, dachte ich. Was hat er noch gegeben? Was muss ich noch sehen? Ich dachte immer noch über diese Fragen nach, als ich eines Tages in meiner Küche stand und wieder einmal nach einem Besuch bei Lisa und Jane Geschirr spülte. Ich zog mit immer noch runzeligen Händen einen Klebezettel heraus und schrieb darauf: Danke, Herr, für die Widerstandskraft meiner Kinder. Danke für das Licht, das durch die Küchenfenster hereinfällt, und dass der Geschirrberg sauber ist. Danke für den Sonnenblumensamen, der eines Tages schön aufblühen wird. Und dann mehr zu mir selbst als zu ihm: »Wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?« Wasser tropfte auf den Zettel und die Tinte verlief. Ich klebte den rosa Zettel an die Wand.

Konnte ich auch hier die guten Dinge sehen? Konnte ich lang genug kämpfen, um auch in dunkler Nacht seinen Segen zu sehen?

An diesem Tag sah das Leben von außen gut aus, mit glücklichen Kindern im Garten und dem Eintopf, der auf dem Ofen köchelte. Man hätte meinen können, dass ich »es« als Christ geschafft« hätte. Ich war Mutter mit einem Haus voll kleiner Menschen. Ich leitete von zu Hause aus einen immer größer werdenden christlichen Dienst, der Hunderten Kindern und Familien half, indem wir sie mit Bildung, Essen, Medikamenten und biblischer Lehre versorgen. Aber trotz dieser oberflächlichen Zeichen für angeblichen Erfolg lernte ich erst jetzt, mich vollständig und rückhaltlos auf Gott zu verlassen. Ich musste erst noch seine schöne, zarte Seite kennenlernen, die mich, obwohl ich so bin, wie ich bin, rückhaltlos liebt.

Nicht äußerlicher Dienst oder Erfolg lehrten mich, wer Gott wirklich ist. Nicht der lange Weg zum Pnuël veränderte Jakob, sondern das Kämpfen. Ich kämpfte darum, das Gute zu sehen, die Worte zu glauben, die ich andere zu lehren versuchte. Mein Schrei war derselbe wie der aus Jakobs Mund: »Ich lasse dich nicht eher los, bis du mich gesegnet hast!«

Und so begann ich, meine eigenen Worte aufzuschreiben, nur für mich. Ich schrieb die vielen Dinge auf, die ein Segen sind. Klebezettel begannen, die Küchenwände zu säumen und alles zu bezeugen, was Gott uns gegeben hat. Ich musste es sehen. Ich musste es glauben. Und so schrieb ich: Klebrige Lutscher und schnelle Entschuldigungen. Lachen um Mitternacht und ein warmes Baby in der Trage. Ein volles Haus, in dem jeder Raum für die Liebe genutzt wird. Schwestern, die helfen. Der Wind in meinen Haaren. Die Küche füllte sich mit diesen kleinen Zetteln, die mir als Erinnerung dienten. Sie wurden zwischen dem Kartoffelschälen und dem Versorgen von Herzen und dem Bücken über den Wäschebergen, wenn die Kinder im Bett lagen, geschrieben.

Wenn mein Kopf keine Ruhe fand, weil ich mich fragte: »Wo ist Gott in diesem Chaos?«, begann mein Herz, die unerklärliche Tatsache zu begreifen, dass er direkt neben mir war. Der eine Segen war groß, der andere war klein, aber es war nicht zu leugnen, dass er überall war. Ich kannte Gottes Gegenwart auf eine Weise, wie ich sie früher nicht gekannt hatte. Die Dankbarkeit heilte mich. Dem Gott zu danken, der gibt und der nimmt und der in jeder Situation mein Erlöser bleibt, hat mein Herz neu auf ihn ausgerichtet und mich stark gemacht. Ich leide immer noch. Gotteskämpfer. Ich humpelte. Ich konnte immer noch kaum fassen, was er alles für mich hatte, ich lernte immer noch zu sehen. In diesem Kampf begann Gott, mir in einem langen Prozess die Augen zu öffnen. Saubere Wäsche, Regen, der auf dem Blechdach tanzt, Freunde, die zuhören. Mangos von unserem Baum, geflüsterte Gebete, Gnade für heute.