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Rolf Steininger

Die USA und EUROPA nach 1945

in 38 Kapiteln

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Bibliografische Information
der Deutschen Nationalbibliothek

Mit 47 Abbildungen

ISBN 978-3-95768-187-4
eISBN 978-3-95768-199-7
© 2018 Lau-Verlag & Handel KG, Reinbek
Internet: www.lau-verlag.de

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vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlagentwurf: pl, Lau-Verlag, Reinbek
Umschlagabbildung: US-Präsident John F. Kennedy
am 26. Juni 1963 in West-Berlin.
John F. Kennedy Presidential Library, Boston, Massachusetts
Satz und Layout: pl, Lau-Verlag, Reinbek

Inhalt

Vorbemerkung

Die USA und Europa nach 1945 in 38 Kapiteln

1. Nachkriegsplanungen für Deutschland

2. Der Morgenthau-Plan für Deutschland

3. Die Anfänge des Kalten Krieges

4. Die Konferenz von Jalta

5. Jalta und der Kalte Krieg

6. Die Potsdamer Konferenz

7. Auf dem Weg in den Kalten Krieg

8. Truman-Doktrin, Marshallplan und Berlinblockade

9. Italien (1)

10. Griechenland

11. Italien (2)

12. Südtirol

13. Österreich (1)

14. Österreich (2)

15. Der Schuman-Plan

16. Deutsche Wiederbewaffnung (1)

17. Die Stalin-Note

18. Deutsche Wiederbewaffnung (2)

19. Österreich (3)

20. Volksaufstand in der DDR

21. Aufstand in Ungarn

22. Berlinkrise und Mauerbau (1)

23. Berlinkrise und Mauerbau (2)

24. Der deutsch-französische Vertrag

25. Die Multinationale Atomstreitmacht MLF

26. Frankreichs Austritt aus der NATO

27. Der Vietnamkrieg

28. Das Ende des »Prager Frühlings« 1968

29. Der Vietnamkrieg und das Europajahr 1973

30. Der Yom Kippur-Krieg und die Energiekonferenz

31. Die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

32. Der NATO-Doppelbeschluss

33. Ronald Reagan und der Kalte Krieg

34. Kriegsrecht in Polen 1981

35. Bitburg 1985 und Berlin 1987

36. Die Wiedervereinigung

37. Golfkrieg und Krieg auf dem Balkan

38. 9/11 und Krieg gegen den Terror

Fazit

Anhang

Anmerkungen

Zeittafel

Literaturauswahl

Personenverzeichnis

Verzeichnis der Abbildungen

Bildnachweis

Vorbemerkung

Kurt Biedenkopf, einer der bekanntesten und wichtigsten Politiker in der Bundesrepublik Deutschland, studierte seit Ende 1948 mit einem amerikanischen Stipendium ein Jahr an einem College nördlich von Charlotte in North Carolina. 56 Jahre später erinnerte er sich:

»Es war für mich ein ungeheures Erlebnis, dahin zu kommen, freundlich aufgenommen zu werden. Kein Mensch hat über irgendeine Verantwortung, die ich haben könnte für das, was da Schreckliches passiert war, gesprochen, sondern ich wurde wirklich aufgenommen in diesem College. Ich war da wirklich wundervoll aufgehoben. Und die Weite des Landes und die Möglichkeit, mit dem Auto zu fahren, in die Berge zu fahren; es war alles da. Es war im Grunde genommen ein Märchenland, wenn man aus Deutschland kam.«1

Die USA ein Märchenland. So sahen das viele Menschen in Europa am Ende des Krieges 1945. Europa lag in Trümmern, während aus der Großmacht USA die Weltmacht schlechthin geworden war. Alle anderen am Krieg beteiligten Länder waren verwüstet und erschöpft. Amerika hatte nicht nur die geringsten Verluste an Menschen und Material erlitten, der Krieg hatte dazu noch Wohlstand gebracht. 1945 befanden sich drei Viertel des auf der Welt investierten Kapitals und zwei Drittel ihrer Industriekapazität in den USA. Und die USA waren die einzige Atommacht. Das amerikanische Jahrhundert hatte begonnen – schon bald mit einem neuen Feind: der Sowjetunion.

Wenn wir über die USA und Europa nach 1945 sprechen, dann ist das ein Thema, das jahrzehntelang von einem Begriff beherrscht wurde: dem Kalten Krieg. Vom Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 war die Welt – und damit auch Europa – in zwei Lager geteilt: im Ost-West-Konflikt standen sich auf der einen Seite die westlichen Demokratien unter Führung der USA und auf der anderen Seite die kommunistischen Staaten unter Führung der Sowjetunion unversöhnlich gegenüber.

Dieser Krieg wurde mit geradezu »religiöser Intensität« geführt, wie das der amerikanische Historiker Arthur Schlesinger Jr. genannt hat. Er nahm schon bald apokalyptische Formen an. Der Besitz der Atomwaffen unterschied die Siegermächte von den übrigen Mächten. Das machte sie zu potenziellen Zerstörern der Welt, zeigte ihnen aber gleichzeitig die Grenzen zum Abgrund, die am Ende niemand überschritt. Lediglich »aus Versehen« geriet die Welt mehrfach an den Rand eines Atomkrieges.

Mit der Geschichte dieses Kalten Krieges hat sich die Forschung seit Jahren intensiv beschäftigt. Mit am interessantesten war dabei die Frage, wie es zu dieser unversöhnlichen Konfrontation kommen konnte, wer folglich die Verantwortung für die »Teilung der Welt« trug. Hatte man immer nur falsche Vorstellungen vom »anderen«? Führte also nur eine »Fehlperzeption« zum Kalten Krieg? Wann begann der Konflikt? Mit der Oktoberrevolution in Russland 1917? Und war dieser Konflikt unvermeidlich? War es nicht im Kern ein ideologischer Konflikt zwischen zwei fundamental unterschiedlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen, der ausgetragen werden musste und nur durch die Anti-Hitler-Koalition während des Zweiten Weltkrieges unterbrochen worden war? Wer ist dann verantwortlich für das Auseinanderbrechen dieser Koalition? Die aggressive, expansive Sowjetunion unter Josef Stalin, die den Westen zu einer Politik der Eindämmung des Kommunismus zwang?

So sahen das in den ersten 20 bis 30 Jahren des Kalten Krieges die »Traditionalisten« unter den Historikern – bis der Vietnamkrieg ausbrach. Eine Reihe zumeist junger Historiker, die »Neue Linke«, revidierte dieses Geschichtsbild. Für diese »Revisionisten« war nämlich nicht mehr der totalitäre Herrschaftsanspruch des Kommunismus verantwortlich, sondern der amerikanische Kapitalismus. Inzwischen scheint das überholt. Mit neuen Quellen haben die »Postrevisionisten«, die »Realisten«, das Wort – und die nähern sich mehr und mehr den Traditionalisten an. Das Fazit lautet: mit Stalin war der Kalte Krieg unvermeidlich. Der sowjetische Diktator sah die Welt durch die marxistisch-leninistische Brille: die Sowjetunion war expansiv und aggressiv. Stalin unterstützte die kommunistischen Parteien, um das Nachkriegschaos in Europa auszunutzen, in Asien unterstützte er Mao im chinesischen Bürgerkrieg, gab grünes Licht für den Angriff Nordkoreas auf Südkorea und verhinderte dann einen Waffenstillstand. Im Folgenden geht es um diesen Kalten Krieg, um die Rolle der USA und Europas in diesem Krieg – bis hin zum Ende der Sowjetunion 1990/91 und zur Rolle der USA und Europas seit den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts.

Im Winter 2016/17 habe ich auf Rai Südtirol in 38 Folgen jeden Samstag von 19:40 Uhr bis 20:00 Uhr – mit Wiederholung am Sonntag – für ein größeres Publikum etwas über »Die USA und Europa nach 1945« erzählt. Es ging im weitesten Sinn um den Kalten Krieg, um das Verhältnis zwischen den USA und Deutschland, Italien, Südtirol, Griechenland und Österreich, dann um die großen Themen, die in der Folge das Verhältnis zwischen den USA und Europa bis zu den Terroranschlägen am 11. September 2001 ausmachen. Der Schwerpunkt lag dabei auf der politischen Geschichte, d. h. im Mittelpunkt standen die diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und diesen Ländern, nicht um deren Coca-Colonization2: Themen wie Wirtschaft, (Pop-) Kultur, Gesellschaft, Parteien, Gewerkschaft, Militär, EG und EU wurden nur am Rande berührt. Über jedes dieser Themen müsste es eine eigene Sendereihe geben oder müsste man ein eigenes Buch schreiben. Die 38 Folgen werden hier zum Nachlesen gesammelt vorgelegt. Danken möchte ich Mag. Harald Dunajtschick, der mit großem Engagement die Druckfahnen kritisch geprüft hat.

Mein ganz besonderer Dank gilt der Programmdirektorin von Rai Südtirol, Frau Dr. Renate Gamper, für die gute Zusammenarbeit und das freundliche Arbeitsklima im Funkhaus in der Bozner Mazzinistraße. Nach Zweiter Weltkrieg und Kalter Krieg, Entscheidungen im Kalten Krieg, Tirol im Ersten Weltkrieg, Südtirol im 20. Jahrhundert und Der Nahostkonflikt war Die USA und Europa die vorerst letzte große Hörfunkserie.

Innsbruck, im November 2017

Rolf Steininger
www.rolfsteininger.at

Die USA und Europa nach 1945 in 38 Kapiteln

1. Nachkriegsplanungen für Deutschland

Im Ersten Weltkrieg waren die USA mit ihrem Kriegseintritt im Jahr 1917 zur kriegsentscheidenden Macht geworden – hatten sich dann aber enttäuscht von Europa abgewandt. Sie wurden nicht einmal Mitglied des Völkerbundes, dessen Gründung auf ihren Präsidenten Woodrow Wilson zurückging. Unter F. D. Roosevelt, seit 1933 US-Präsident, war das anders. Lange vor dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor im Dezember 1941 war er entschlossen, gegen Japan und Nazideutschland vorzugehen. Bei Europa ging es dabei von Anfang an um die Frage, wie die Welt in Zukunft vor 70 Millionen Deutschen in Sicherheit leben konnte. Was sollte mit Deutschland nach dem Krieg geschehen? Die immer wiederkehrende Frage in den zahllosen Memoranden, die die späteren Sieger während des Krieges erstellten, lautete: »What to do with Germany?« Ein Begriff beherrschte dabei lange Zeit die Diskussion: bedingungslose Kapitulation. Anders als nach dem Ersten Weltkrieg sollte Deutschland diesmal bedingungslos kapitulieren.

Am 24. Januar 1943, wenige Tage vor dem Ende der 6. deutschen Armee bei Stalingrad, formulierte Roosevelt beim Treffen mit dem britischen Premierminister Winston Churchill in Casablanca – und mit dessen Wissen – zum ersten Mal öffentlich als Kriegsziel der Alliierten diese »bedingungslose Kapitulation« Deutschlands, Japans und Italiens. Bis dieses Ziel erreicht war, musste zwar noch ein langer Weg zurückgelegt werden, aber spätestens im Herbst 1943 war klar, dass Deutschland militärisch keine Chance mehr hatte.

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(1) 14.–26. Januar 1943: Konferenz von Casablanca. US-Präsident Franklin D. Roosevelt und der britische Premierminister Winston Churchill beraten mit ihren Militärs das weitere Vorgehen gegen Deutschland. Roosevelt verkündet anschließend das Kriegsziel der Alliierten: bedingungslose Kapitulation Deutschlands, Japans und Italiens. Hinter Roosevelt (v. l.): Admiral Ernest King, dann General George C. Marshall, 1939–1945 Stabschef der US-Armee und von 1947–1949 Außenminister.

Zu diesem Zeitpunkt gab es auf britischer und amerikanischer Seite bereits zahlreiche Überlegungen im Hinblick auf Nachkriegsdeutschland, das von Anfang an im Mittelpunkt aller Planungen stand. Auf der Außenministerkonferenz in Moskau im Oktober 1943 überreichte dann der amerikanische Außenminister Cordell Hull einen detaillierten, aber noch inoffiziellen Vorschlag für eine relativ milde Behandlung Deutschlands. Der Plan sah u. a. vor: ganz Deutschland wird von amerikanischen, britischen und sowjetischen Streitkräften besetzt; eine interalliierte Kontrollkommission übernimmt die vorläufige Regierungsgewalt; Deutschland wird entmilitarisiert, entnazifiziert, demokratisiert, die Kriegsindustrie zerstört, die NSDAP sofort verboten und aufgelöst; Deutschland leistet Reparationen.

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(2) 18.–30. Oktober 1943: Außenministerkonferenz in Moskau. V. l.: Cordell Hull (USA), Wjatscheslaw Molotow (Sowjetunion) und Anthony Eden (Großbritannien) beschließen u. a. die Einrichtung der Europäischen Beratenden Kommission mit Sitz in London und die »Moskauer Deklaration« über die Zukunft Österreichs (s. Kap. 13).

Die Frage der Grenzen des zukünftigen Deutschland sollte »bei einer allgemeinen Regelung des deutschen Problems« ins Blickfeld gerückt werden. Diese Formulierung machte die Meinungsverschiedenheiten zwischen Präsident Roosevelt und dem State Department – mit Ausnahme seines Vertrauten, Unterstaatssekretär Sumner Welles, der für eine Zerstückelung Deutschlands eintrat – deutlich. Hull sprach sich für eine »politische Dezentralisierung«, d. h. für ein föderalistisch strukturiertes Deutschland aus, um so die preußische Vorherrschaft über das Reich zu beseitigen.

Das waren Überlegungen, die auch den Vorstellungen des Foreign Office entsprachen. Für den britischen Außenminister Anthony Eden war das Memorandum dann auch ein »nützlicher Beitrag«. Der sowjetische Außenminister Molotow reagierte ebenfalls zustimmend – angeblich war Stalin geradezu begeistert –, bezeichnete den Plan allerdings als »Minimal- und nicht als Maximalvorschlag«; er versicherte Hull, dass »die Sowjetunion allen Maßnahmen voll zustimme, die Deutschland für alle Zukunft unschädlich machen würden«, entschuldigte sich aber gleichsam dafür, dass seine Regierung angesichts der starken Beanspruchung durch militärische Aufgaben »mit dem Studium der Behandlung Deutschlands nach dem Kriege noch nicht weit genug sei«.1

Im Anschluss an die Außenministerkonferenz trafen die »Großen Drei« – Stalin, Roosevelt und Churchill – vom 28. November bis 1. Dezember 1943 in Teheran zusammen, wo Roosevelt und Churchill ihre Lieblingsvorstellungen mit Blick auf Deutschland entwickelten. Roosevelt sprach von fünf Staaten:

1. Preußen;

2. Hannover und Nordwestdeutschland;

3. Sachsen mit dem Raum um Leipzig;

4. Hessen-Darmstadt, Hessen-Kassel und das Gebiet südlich des Rheins;

5. Bayern, Baden, Württemberg.

Außerdem sollten Kiel, der Nord-Ostsee-Kanal und Hamburg sowie das Ruhrgebiet und das Saarland unter internationale Kontrolle gestellt werden.

Churchill plädierte dafür, Sachsen, Bayern, die Pfalz und Württemberg vom Reich zu lösen und einem zu schaffenden Donaubund (Österreich, Ungarn) einzugliedern. Stalin legte keinen eigenen Plan vor, gab aber zu erkennen, dass auch er eine Zerstückelung Deutschlands favorisierte. Über einen unverbindlichen Meinungsaustausch kam man in dieser Frage aber nicht hinaus.

In zwei anderen Fragen wurden dagegen Grundsatzentscheidungen von historischer Bedeutung getroffen. Zum einen ging es um die zukünftigen Grenzen Polens, zum anderen um die Errichtung der »zweiten Front«– ein Begriff, den Stalin geprägt hatte. Roosevelt und Churchill akzeptierten als neue polnische Ostgrenze die Curzon-Linie. Diese Linie war 1919 als polnisch-russische Grenze festgelegt worden, so benannt nach dem damaligen britischen Außenminister Lord Curzon. Sie war von Polen 1923 aber in einer Schwächephase der jungen Sowjetunion um 200 km nach Osten verschoben worden. Mit der Anerkennung der Curzon-Linie durch Roosevelt und Churchill in Teheran war auch klar, dass Polen in irgendeiner Weise mit deutschem Territorium entschädigt werden sollte. Diese »Westverschiebung Polens« sollte dann auf der nächsten Gipfelkonferenz im Februar 1945 in Jalta ein entscheidendes Thema werden. Wichtiger war in Teheran aber die Frage, wo die »zweite Front« errichtet werden sollte.

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(3) 28. November – 1. Dezember 1943: Treffen der »Großen Drei« in Teheran; v. l.: Kremlchef Josef Stalin, US-Präsident Franklin D. Roosevelt und Winston Churchill. Es geht in erster Linie um die zukünftigen Grenzen Polens und die Errichtung der »zweiten Front«. Mit dabei (hintere Reihe): US-Botschafter in Moskau, W. Averell Harriman (verdeckt), dann W. Molotow, der britische Botschafter in Moskau, Archibald Clark Kerr, und Anthony Eden.

Churchill versuchte eine Entscheidung herbeizuführen, diese Front in Oberitalien, im Rücken der Deutschen zu errichten, um so die Basis für einen Durchbruch nach Laibach zu gewinnen und von dort weiter nach Wien vorzustoßen, um noch vor den Sowjets in Zentraleuropa präsent zu sein – und so das Ergebnis künftiger Friedensverhandlungen zu präjudizieren. Stalin sah das offensichtlich genauso und forderte daher die Errichtung der »zweiten Front« in Nordfrankreich. Er behandelte dies als Bündnisfrage und wurde darin von Roosevelt unterstützt. Der amerikanische Präsident begriff nicht, dass es schon in der Planung der Operation darauf ankam, den Grundstein für den zukünftigen Frieden zu legen. Amerika werde, so erwartete er die zukünftige Entwicklung, nach diesem Krieg stärker als jede andere Großmacht und stark genug sein, um die richtigen politischen Lösungen durchzusetzen. Im Überfluss der Macht könne er sich leisten, zurückzustellen, was nicht unmittelbar jetzt entschieden werden müsse. Als man sich im Februar 1945 in Jalta traf, war das eingetreten, was Churchill befürchtet und Stalin offensichtlich gehofft hatte: in Ost- und Südosteuropa stand die Rote Armee; die Westmächte konnten dort keinen Einfluss mehr nehmen.

Auf der Außenministerkonferenz in Moskau war auf Antrag der Briten die Einrichtung eines interalliierten Planungsgremiums mit Sitz in London beschlossen worden. Dieser Europäischen Beratenden Kommission (European Advisory Commission, EAC) legte der britische Vertreter, Sir William Strang, am 15. Januar 1944 einen Plan vor, der die Aufteilung Deutschlands in drei Besatzungszonen vorsah: je eine für die Sowjetunion, die USA und Großbritannien. In den einzelnen Zonen sollten auch jeweils Truppen der übrigen Mächte stationiert werden. Ausdrücklich betonte Strang, es handele sich lediglich um einen Diskussionsbeitrag, der Plan könne noch abgeändert werden, seine Regierung sei nicht darauf festgelegt. Insgeheim gab er zu, nur mit großem Unbehagen den Plan überhaupt vorgelegt zu haben.

Prophetisch erkannte damals der Vorsitzende des britischen Planungsausschusses, Gladwyn Jebb: »Diese Karte, in diesem Moment vorgelegt, wird sich möglicherweise als besonders bedeutend für die zukünftige Geschichte Europas erweisen.«2 Er sollte recht behalten: was lediglich als Demarkationslinie gegenüber der von den Sowjets zu besetzenden Zone für eine Übergangsphase gedacht war, wurde später zu jener Grenze, die Deutschland in zwei Staaten und Europa in zwei Blöcke spaltete.

Wir wissen heute, wie es zu diesem Plan gekommen ist. Demnach tauchte die Grenzlinie zum ersten Mal am 24. September 1943 in einer Karte des britischen Ausschusses für Nachkriegsplanung (Post-Hostilities Planning Sub-Committee) auf.

Bei den Überlegungen für diesen Plan waren militärische und politische Interdependenzen besonders deutlich. Nach dem Sieg der Roten Armee bei Stalingrad und angesichts der Erfolge im Sommer 1943 (Operation »Zitadelle«; Panzerschlacht bei Kursk) und der Ungewissheit in Hinblick auf die Errichtung der »zweiten Front« befürchteten die Briten, dass die Rote Armee den größten Teil Deutschlands überrannt haben würde, bevor überhaupt westalliierte Truppen den Rhein überquert hätten. Und für diesen Fall wollte man die Sowjets vertraglich binden und sich einen Rechtsanspruch sichern.

Bei der Zoneneinteilung war man von Deutschland in den Grenzen des Jahres 1937 ausgegangen, wobei allerdings schon damals Ostpreußen, Danzig, Oberschlesien und Teile Pommerns für Polen (als Ausgleich für den von der Sowjetunion annektierten Teil Ostpolens östlich der Curzon-Linie) abgezogen worden waren. Der Rest war einfach: die Demarkationslinien entsprachen den alten Verwaltungsgrenzen – mit Ausnahme Preußens, das geteilt wurde –, und in allen drei Zonen sollten etwa gleich viele Menschen wohnen, mit dem Ergebnis, dass der Sowjetunion ein Besatzungsgebiet zugewiesen wurde, das fast genauso groß war wie das der Briten und Amerikaner zusammengenommen (47 % der Gesamtfläche). Die Sowjets stimmten denn auch dem Teilungsplan sofort zu, lehnten aber die Stationierung alliierter Truppen in allen drei Zonen ab.

2. Der Morgenthau-Plan für Deutschland

Sämtliche Überlegungen von State Department und War Department liefen damals im Kern darauf hinaus, das deutsche Potenzial zu sichern und ein geläutertes und geschwächtes Deutschland wieder in die Gemeinschaft der Nationen einzugliedern, was eine harte Bestrafung der Deutschen nicht ausschloss. Für Finanzminister Henry Morgenthau, den engen Vertrauten Roosevelts, war dies aber der falsche Weg zur Lösung des deutschen Problems.

Er legte Anfang September 1944 einen Plan vor, in dem er die bis zu diesem Zeitpunkt angestellten Überlegungen für einen harten Frieden zusammenfasste, sie teilweise verschärfte (das betraf insbesondere Umerziehung, Kriegsverbrechen, Naziorganisationen) und dann neue, radikale Elemente einführte, die darauf hinausliefen, Deutschland in einen Agrarstaat zu verwandeln.

Dieser Vorstoß des amerikanischen Finanzministers ist nur zu verstehen vor dem Hintergrund der von den Nazis betriebenen »Endlösung der Judenfrage«, über die er, wie viele andere auch in Washington, genauestens informiert war. Morgenthau war einer der führenden amerikanischen Juden und hatte Anfang 1944 in einem Memorandum an Roosevelt die »gleichgültige, gefühllose und vielleicht sogar feindselige« Haltung des State Department zur jüdischen Frage gebrandmarkt. Auf seine Initiative war ein Kriegsflüchtlingskomitee zur Rettung der europäischen Juden gebildet worden, das das Morden in den Konzentrationslagern – etwa durch deren Bombardierung – dennoch nicht verhinderte. Die Lager wurden nicht bombardiert.

Dass bei seinem Deutschlandplan die völlige Zerstörung der Industrie zu einer Geisterlandschaft an der Ruhr und zu Hungertod und furchtbarem Elend der dortigen Bevölkerung führen würde, kümmerte ihn unter diesen Umständen nicht, wie ein Ausschnitt aus einer Besprechung mit seinen Mitarbeitern am 4. September 1944 mehr als deutlich macht. Anwesend waren bei dieser Besprechung neben Morgenthau Harry Dexter White, Daniel Bell und Herbert Gaston.

White wurde 1892 in Boston geboren; er stammte aus einer jüdischen Familie in Litauen. Er war der entscheidende Mann bei der Errichtung des Internationalen Währungsfonds 1944, wo er den US-Dollar als globale Ankerwährung durchsetzte. Er war maßgeblich bei der Ausarbeitung des Morgenthau-Plans beteiligt. 1945 wurde er als sowjetischer Spion entlarvt; er starb 1948. Bell wurde 1919 als Sohn eines polnisch-jüdischen Einwanderers geboren und war Staatssekretär bei Morgenthau. Gaston war von 1939–1945 stellvertretender Finanzminister.

Eröffnet wird das Gespräch an jenem 4. September 1944 von Harry Dexter White. Es geht um die Zukunft des Ruhrgebietes. White schlägt vor, das Gebiet unter internationale Kontrolle zu stellen und 20 Jahre für Reparationen produzieren zu lassen. Darauf

Morgenthau: »Harry, das können Sie mir auf keinen Fall verkaufen. Das einzige, was Sie mir verkaufen können, ist die komplette Schließung der Ruhr. Ich würde jedes Bergwerk, jede Fabrik und Produktionsstätte nehmen und zerstören.

Gaston: Schlagen Sie wirklich die Schließung der Bergwerke, der Stahlwerke und der chemischen Fabriken an der Ruhr vor?

Morgenthau: Ja.

Gaston: Und die Bevölkerung?

Morgenthau: Es kümmert mich nicht, was mit der Bevölkerung geschieht. Was ich jetzt sage, betrifft die Zukunft meiner Kinder und Enkel. Ich will nicht, dass diese deutschen Bestien noch einmal einen Krieg anfangen.

Wenn man eine Million Menschen umsiedeln kann, kann man auch 20 Millionen umsiedeln. Das scheint schrecklich, unmenschlich und grausam zu sein, aber: mich interessiert das Schicksal der Bevölkerung nicht. Wir haben diesen Krieg nicht gewollt. Wir haben nicht Millionen Menschen in die Gaskammern geschickt. Wir haben nichts von diesen Dingen getan. Die Deutschen wollten es nicht anders haben.«1

Warum hat Roosevelt dem Plan zugestimmt? Der amerikanische Präsident war überzeugt davon, dass alle Deutschen Nazis waren und somit die ganze deutsche Nation an einer verbrecherischen Verschwörung gegen die Zivilisation teilgenommen hatte und dafür bestraft werden musste. Insofern entsprach der Strafcharakter des Plans seinen Vorstellungen. Man kann jedoch bezweifeln, ob er sich über die Konsequenzen des Plans insgesamt – so wie sie Morgenthau intern beschrieben hatte – völlig im Klaren war. So schnell, wie er den Plan akzeptierte, ließ er ihn denn auch wieder fallen, als in der amerikanischen Öffentlichkeit massive Kritik laut wurde; dies war kein Wahlkampfthema (am 7. November fanden die Präsidentschaftswahlen statt). State Department und War Department setzten sich letztlich durch. US-Kriegsminister Henry Stimson lehnte kollektive Rache als sinnlos und gefährlich ab und erklärte in einem Memorandum für Roosevelt:

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(4) Die Zerstückelung Deutschlands nach den Vorstellungen von US-Finanzminister Henry Morgenthau.

»Ich kann mich auch nicht damit einverstanden erklären, dass eines unserer Kriegsziele sein sollte, die Deutschen auf dem Niveau des Existenzminimums zu halten, wenn dies praktisch völlige Armut bedeutet.« Und weiter: »Das deutsche Volk würde dadurch zur Sklaverei verurteilt werden und es könnte seine Position in der Weltwirtschaft selbst durch äußersten Fleiß nicht verbessern. Die Folgen wären neue Spannungen und Ressentiments, die den unmittelbaren Vorteil für Sicherheit weit überwögen und außerdem die Schuld der Nazis in Vergessenheit geraten ließen.«

Warum hat Churchill dem Plan zugestimmt? Beim Treffen mit Roosevelt in Quebec im September 1944 lehnte er den Plan zunächst schroff ab, mit dem Argument, Großbritannien werde an einen Leichnam – Deutschland – gekettet. Schließlich paraphierte er aber mit Roosevelt am 15. September eine entsprechende Direktive – ohne dass das Kabinett davon wusste. Morgenthau berichtet, den Ausschlag für Churchills Kurswechsel habe das Argument gegeben, die Verwirklichung des Planes werde die für Großbritannien gefährliche deutsche Konkurrenz auf dem Eisen- und Stahlmarkt ausschalten.2

Morgenthaus Plan stand allerdings im Widerspruch zu sämtlichen britischen Überlegungen. Das Kabinett hatte ihn am 14. September in einem Telegramm an Churchill mit folgenden Argumenten abgelehnt:

»Eine Politik, die das Chaos fördert, ist nicht schwer; das reicht aber einfach nicht aus. Wir sind nicht für einen ›weichen‹ Frieden gegenüber Deutschland, aber das Leid, das Deutschland erdulden muss, sollte der Preis sein für die von uns angeordneten und kontrollierten Maßnahmen, die von Nutzen sind für die Vereinten Nationen.«3

Churchill sah dies anders; er verwies auf den wirtschaftlichen Vorteil für Großbritannien: etwa 300–400 Millionen Pfund im Jahr. Möglicherweise ist Churchills Zustimmung noch in einem anderen Zusammenhang zu sehen: erst in Quebec war Roosevelt bereit, den Briten Nordwestdeutschland als Besatzungszone zuzugestehen. Für die USA liegt die Bedeutung des Plans darin, dass der Einfluss Morgenthaus eine konstruktive Deutschlandplanung über Monate lähmte. In der viel zitierten Direktive JCS 1067 der amerikanischen Stabschefs (Joint Chiefs of Staff, JCS) für die Besatzung Deutschlands vom April 1945 finden sich dann einzelne Elemente des Planes wieder, die allerdings nicht allein auf Morgenthau zurückgehen. Schärfer als geplant fielen die Wirtschaftsbestimmungen aus, was Lewis Douglas, den Finanzberater des stellvertretenden amerikanischen Militärgouverneurs in Deutschland, General Lucius Clay, zu der Aussage veranlasste, die Direktive sei »von ökonomischen Idioten« gemacht worden, die den »qualifiziertesten Arbeitern Europas verbieten wollen, für einen Kontinent, auf dem ein verzweifelter Mangel an allem herrscht, soviel wie möglich zu produzieren«.4

Die Direktive ließ Clay allerdings genügend Spielraum für die Verwirklichung seiner Ziele. Im Juni 1945 stellt er fest: »Wie alle allgemeinen Direktiven lässt sich auch JCS 1067 auf verschiedene Weise interpretieren.«5 Und nur sechs Wochen später galten deren wirtschaftliche Restriktionen durch die Bestimmungen des Potsdamer Abkommens denn auch als überholt.

Ziele und Methoden der Entnazifizierung, wie sie sich in der Direktive wiederfinden, waren ein Kompromiss; sie gingen nicht allein auf Morgenthau zurück. In dieser Frage bestand später soweit Konsens, dass aufgrund amerikanischer Initiative wesentliche Punkte in das Potsdamer Abkommen übernommen wurden.

Der Morgenthau-Plan spielte zwar für die tatsächliche amerikanische Besatzungspolitik keine Rolle, wurde allerdings von der NS-Propaganda unter Minister Joseph Goebbels nach seinem Bekanntwerden zur Verteufelung des amerikanischen Gegners und zum verstärkten Kampf benutzt. Der Plan des »Juden Morgenthau«, so hieß es Anfang Oktober 1944 in der NS-Zeitung Völkischer Beobachter, laufe darauf hinaus, 30 Million Deutsche verhungern zu lassen. Bis heute dient der Plan in diversen NS-Publikationen rechtsradikalen Gruppen als willkommener Aufhänger für ihre antisemitische Propaganda.

3. Die Anfänge des Kalten Krieges

Das Verhältnis der USA zur Sowjetunion war während des Krieges alles andere als schlecht. Zwei Jahre nach Kriegsende aber war aus einer Kooperation die offene Konfrontation geworden, hatte das begonnen, was als Kalter Krieg in die Geschichte eingegangen ist.

Für die Nachkriegspolitik kann man in den USA zwei gegensätzliche Konzeptionen unterscheiden: Kooperation versus Konfrontation. Ihre Vertreter waren gleichermaßen von der Überlegenheit der amerikanischen Gesellschaftsordnung, ihrer Wirtschaftsstruktur, also des American way of life, überzeugt. Die eine Seite wurde von Präsident Roosevelt repräsentiert, der sein Grand Design, die Vorstellung von der einen Welt, der one world, realisieren wollte: die USA und die Sowjetunion würden in friedlichem Wettbewerb miteinander stehen und künftige Auseinandersetzungen nicht auf militärischem, sondern primär auf politischem, ökonomischem und ideologischem Gebiet führen, und – davon ging man aus – die USA würden natürlich siegen.

Die Vertreter der anderen Richtung setzten sich schon seit Ende 1944, Anfang 1945 für einen harten Kurs gegenüber der Sowjetunion ein. Die Kooperation sollte durch Konfrontation ersetzt werden. Vertreter dieser Richtung waren u. a. der Vorsitzende des Senatsausschusses für außenpolitische Beziehungen, der republikanische Senator Arthur H. Vandenberg, der einflussreiche John Foster Dulles, ab 1953 Außenminister (s. Kap. 18), dann der Marineminister James Forrestal, Armeeminister Robert P. Patterson sowie der stellvertretende Kriegsminister John J. McCloy und der Oberbefehlshaber im Pazifik und spätere Chef der Militärregierung in Japan, Douglas MacArthur. Sie wurden maßgeblich beeinflusst von den Russlandexperten des State Department, die Vertreter der sogenannten »Riga-Fraktion«, jene Diplomaten, die vor Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Washington und Moskau im Jahre 1933 auf dem Beobachterposten in Riga waren und anschließend ihre Erfahrungen in Moskau machten. Hier ist George F. Kennan zu nennen, der besser Russisch sprach als die meisten Russen, aber auch Robert F. Kelly, der Direktor der Osteuropa-Abteilung im State Department, sowie Elbridge Durbow und Charles Bohlen, ebenso der erste US-Botschafter in Moskau, William C. Bullitt, dessen Nachfolger während des Krieges, W. Averall Harriman, sowie der Verbindungsmann des Pentagon zur Roten Armee, General John Deane. Bei den Briten war es Frank Roberts, der seit Februar 1945 an der Botschaft tätig war.

Vieles kam zusammen: seit Mitte Juni 1944 gab es einen amerikanischen Luftwaffenstützpunkt in der Sowjetunion, Poltava in der Ukraine. In Italien gestartete amerikanische Bomber wurden hier neu betankt und munitioniert. Die deutsche Luftwaffe bombardierte den Stützpunkt am 21. Juni 1944. Amerikanische Jagdflugzeuge auf zwei benachbarten Stützpunkten erhielten von den Sowjets keine Starterlaubnis. Sowjetische Flugzeuge griffen allerdings genauso wenig ein wie die sowjetische Flugabwehr.

Es sollte noch schlimmer kommen. Während des Warschauer Aufstands im August verweigerte Stalin amerikanischen Flugzeugen, die die belagerten Polen aus der Luft versorgen wollten, die Landung in Poltava. Er stimmte erst zu, nachdem Roosevelt interveniert hatte. Aber da war es bereits zu spät. Die anti-sowjetische polnische Heimatarmee unter General Bór-Komorowski wurde vernichtet, der Weg für ein kommunistisches Polen war damit frei. Und so ging es weiter. Harriman warnte im September: »Es beängstigt mich, wenn ein Land beginnt, mit nackter Gewalt und als Sicherheit verkleidet seinen Einfluss jenseits der Grenzen zu tragen.«1 Und in einem Schreiben an den Vertrauten Roosevelts, Harry Hopkins, forderte er vom US-Präsidenten, die Politik gegenüber den Sowjets zu ändern. Harriman: »Die Zeit ist gekommen, dass wir ihnen klarmachen müssen, was wir von ihnen als Preis für unseren guten Willen erwarten.«2 Roosevelt reagierte nicht, da er Stalin nicht verärgern wollte.

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(5) Mitte September 1944 überschreiten die ersten US-Truppen die Reichsgrenze bei Roetgen. Kurz vorher wurde dieses Flugblatt – mit Rechtschreibfehler – in hoher Auflage über Deutschland abgeworfen.

Für Kennan war das damals der Augenblick, wie er nach Washington schrieb, »in dem wir mit den Sowjets zu einer grundsätzlichen politischen Auseinandersetzung hätten kommen sollen«. Aus Washington kam keine Reaktion. Daraus ließ sich, so Kennan später in seinen Erinnerungen, »ganz deutlich der fundamentale Mangel an Realismus ablesen, den Roosevelt während der letzten Kriegsmonate gegenüber allen Problemen Osteuropas bewies«.3

Das war wohl so. Schon auf der Konferenz der »Großen Drei« mit Churchill in Teheran Ende 1943 hatte Roosevelt zu Stalin gesagt: »Wegen Polen werden wir keinen Krieg mit euch anfangen.«4 Und im Mai 1944 zu Harriman, ihm sei es egal, ob die an Russland angrenzenden Länder kommunistisch würden. Und im September zu seinem Außenminister Cordell Hull: »In den von ihnen eroberten Ländern werden die Sowjets machen, was sie wollen.«

Harriman beschrieb das so: »Der Vorstoß der Roten Armee nach Europa gleicht einer Invasion durch die Barbaren.«5 Bezeichnend dafür war auch, was nach der Befreiung von 7000 amerikanischen und britischen Kriegsgefangenen durch die Rote Armee im März 1945 geschah.6 Die Sowjets nahmen ihnen zunächst unter vorgehaltener Waffe die Uhren ab und überließen sie dann ihrem Schicksal. Sie mussten sich zu Sammelstellen durchschlagen und wurden dann in Viehwaggons nach Odessa am Schwarzen Meer befördert. Voller Verachtung berichteten sie später über das, was sie gesehen hatten: »Für die Russen gehört Vergewaltigung einfach zum Krieg. Vergewaltigung deutscher Frauen ist patriotisch, Vergewaltigung polnischer Frauen macht einfach nur Spaß.« Oder: »Diese Soldaten sind wie die Tiere.« Erklärungen des langjährigen sowjetischen Botschafters in London, Fedor Gusew, seine Landsleute seien immer schon weit hinter der westlichen Zivilisation zurückgeblieben, wiesen die Briten inzwischen als »billiges Alibi für alles« zurück.

Harriman wollte die befreiten Kriegsgefangenen mit in Poltava stationierten amerikanischen Flugzeugen direkt ausfliegen lassen, doch die Sowjets lehnten ab. General Deane sprach von seinen »schwärzesten Tagen in Moskau. So wie die Russen unsere befreiten Gefangenen behandeln, so behandeln sie auch die von ihnen befreiten Länder – als Kriegsbeute.« Harriman war entsetzt und warnte Roosevelt vor negativen Reaktionen in den USA, wenn die Sache dort bekannt würde. Der wiegelte ab, spielte die Sache herunter und blieb auf sein großes Ziel fokussiert: Zusammenarbeit mit Stalin nach dem Krieg.

4. Die Konferenz von Jalta

Trotz kritischer Stimmen aus dem eigenen Lager mit Blick auf Stalin Ende 1944 setzte Präsident Roosevelt weiter auf Zusammenarbeit mit dem sowjetischen Diktator, der für ihn Uncle Joe war. Das setzte sich auch beim zweiten Treffen der »Großen Drei« – Churchill, Roosevelt, Stalin – vom 4. bis 11. Februar 1945 in Jalta auf der Halbinsel Krim fort. Stalins Geheimdienstchef Lawrenti Beria hatte »maximale Gastfreundschaft« für den amerikanischen Präsidenten angeordnet.1 Die amerikanische Delegation war im Livadia-Palast untergebracht, wo wegen Roosevelts Rollstuhl sogar der Fußboden mit Marmor ausgelegt worden war. Jeder Raum war im doppelten Sinne des Wortes »verwanzt«: Briten und Amerikaner wurden abgehört, jedes Wort von ihnen lag bereits am Abend in schriftlicher Form auf Stalins Schreibtisch.

Für Roosevelt war Jalta dennoch wie ein Familientreffen, da er sich mit Stalin prächtig verstand. An einer Stelle meinte er, die von der Wehrmacht angerichteten Zerstörungen, die er auf der Fahrt vom Flughafen gesehen habe, hätten ihn »noch blutrünstiger« mit Blick auf die Deutschen gemacht; für sie müsse jetzt »Auge um Auge« gelten. Dass Stalin genau aus diesem Grund eine lange Fahrt vom Flughafen zum Konferenzort angeordnet hatte, war Roosevelt nicht in den Sinn gekommen. Als Stalin auf seine Frage, wer denn Beria sei, antwortete: »Das ist mein Himmler«, blieb das ohne Nachfrage.2 Heinrich Himmler war bekanntlich eine der schlimmsten Naziverbrecher. Es ist möglich, aber doch eher unwahrscheinlich, dass Roosevelt das nicht wusste.

Auf der Tagesordnung in Jalta standen die zukünftige Ordnung Deutschlands, Polens, insbesondere dessen zukünftige Grenzen, Reparationen, der Krieg gegen Japan und die Gründung der Vereinten Nationen. Alexander Cadogan, damals der höchste Beamte im britischen Foreign Office, hatte wenig Hoffnung auf konkrete Ergebnisse. Wohl in Erinnerung an die vorhergehende Konferenz der drei Politiker in Teheran Ende 1943 schrieb er in sein Tagebuch:

»Es wird nichts Greifbares dabei herauskommen. Sie werden dinieren und Wein trinken, was ja völlig in Ordnung ist, aber niemand weiß nachher (am wenigsten sie selbst), was beschlossen worden ist, wenn überhaupt etwas beschlossen worden ist.«3

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(6) Jalta auf der Halbinsel Krim, 4. – 11. Februar 1945: Zweites Treffen der »Großen Drei« (v. l.) Winston Churchill, Franklin D. Roosevelt und Josef Stalin. Die Zukunft Polens ist das große Thema, dann die Gründung der UNO und der Krieg gegen Japan; für Deutschland werden die Besatzungszonen festgeschrieben. Frankreich wird vierte Besatzungsmacht. Hinter Roosevelt dessen Stabschef Admiral William D. Leahy; hinter Churchill der Oberbefehlshaber der britischen Mittelmeerflotte, Admiral Sir Andrew Cunningham, und der Chef des britischen Luftwaffenstabes, Luftmarschall Sir Charles Portal; am linken Bildrand die Außenminister Anthony Eden (etwas verdeckt) und Wjatscheslaw Molotow sowie der amerikanische Russlandexperte und spätere Botschafter in Moskau, Charles Bohlen.

Das klang nicht sehr optimistisch.

In Jalta gab es dann zwar auch wieder wie schon zuvor in Teheran viele Friedenstrinksprüche mit Wodka, Krimsekt und viel Kaviar – Stalin hatte drei Waggons davon in den Konferenzort karren lassen –, aber auch Ergebnisse. Selbst der überaus kritische Cadogan hat später die Konferenz als Erfolg gewertet. Von Stalin war er diesmal außerordentlich beeindruckt, wie ein entsprechender Tagebucheintrag deutlich macht:

»Ich muss gestehen, von den drei Männern macht Onkel Joe bei weitem den stärksten Eindruck. Er ist sehr ruhig und zurückhaltend. Am ersten Tag saß er rund eineinhalb Stunden da, ohne ein Wort zu sagen – er war nicht aufgefordert worden. Der Präsident überschlug sich fast, und der P. M. [Premierminister Churchill] redete ununterbrochen, aber Joe saß nur da, hörte sich alles an und schien eher amüsiert. Als er sich dann äußerte, sagte er nicht ein einziges überflüssiges Wort und blieb immer genau bei der Sache.«4

Einer der Teilnehmer, Frank Roberts, Leiter des Central Department im Foreign Office, erinnerte später daran, wie Stalin verhandelte: er wollte immer »konkreto«-Ergebnisse.5

»Konkret« war zu diesem Zeitpunkt nur die militärische Lage. Für Deutschland gab es noch keine verbindlichen Richtlinien für die Zeit nach der Kapitulation. Einig waren sich Amerikaner, Briten und Sowjets im Prinzip allerdings darüber, dass Deutschland nie wieder zu einer Bedrohung des Weltfriedens werden durfte: die Kriegsindustrien sollten zerstört, der Nationalsozialismus und der deutsche Militarismus ausgerottet, die Kriegsverbrecher bestraft, das deutsche Volk umerzogen und für die Kriegsschäden Reparationen geleistet werden.

Nicht einig war man sich über die zukünftige Grenze Deutschlands im Osten, Form und Höhe der Reparationen, vor allen Dingen aber – und damit hingen alle Fragen mehr oder weniger zusammen – über die zukünftige Struktur Deutschlands: sollte es in Einzelstaaten zerstückelt werden oder aber als Einheit erhalten bleiben?6

Das Thema Zerstückelung, das Roosevelt in Teheran aufgeworfen hatte, wurde jetzt von Stalin angesprochen, möglicherweise aus Furcht vor einem separaten Waffenstillstand der Westmächte mit Deutschland. Die Frage, ob er eine Zerstückelung zu diesem Zeitpunkt wirklich wünschte, können wir bis heute nicht definitiv beantworten. Churchill sprach sich zwar »prinzipiell« für eine Zerstückelung aus, das Kriegskabinett hatte allerdings »keine bindende Verpflichtung« eingehen wollen und empfohlen, das Problem im Zusammenhang mit den Reparationen zu prüfen. Man einigte sich schließlich auf die Einsetzung eines Ausschusses, der diese Frage weiter untersuchen sollte.

Schwierigkeiten bereitete die Festlegung der endgültigen Ostgrenze Deutschlands und die Höhe und Art der Reparationen – beides Probleme, die in den folgenden Jahren immer wieder im Mittelpunkt der Verhandlungen stehen sollten.

In Teheran war über die Oder-Linie und die Neiße gesprochen worden, ohne dass Beschlüsse gefasst worden waren. Roosevelt hatten die Details nicht interessiert, während Churchill sich bereit erklärt hatte, Polen auch den Bezirk Oppeln zu geben. Damit war zugleich klar, dass er von der östlichen Neiße gesprochen hatte. Stalin hatte geschwiegen.

In Jalta brach jetzt ein Streit darüber aus, als Stalin behauptete, mit Neiße sei die westliche, die Görlitzer Neiße gemeint gewesen. Damit beanspruchte er ganz Schlesien für Polen. Churchill widersprach: die britische Öffentlichkeit werde nicht akzeptieren, dass die polnische Grenze tief in nur von Deutschen bewohntes Gebiet vorgeschoben würde. Polen solle im Westen nicht mehr erhalten, als es im Osten abzugeben habe und »verdauen« könne. Das war eine dehnbare Definition. Dahinter aber stand noch eine andere Befürchtung: die Deutschen würden Briten und Amerikanern zur Last fallen, wenn sie einen zu großen Teil ihrer landwirtschaftliche Flächen verlieren würden.

Über die letzten Sorgen der britischen Regierung schwieg er: dass die Zerstückelung Deutschlands im Osten die Forderungen Frankreichs begünstigen werde, im Westen das ganze linke Rheinufer zu annektieren und aus dem Ruhrgebiet einen separaten Ruhrstaat zu machen. Und dass Stalin mit seinen Gebietsforderungen für Polen beabsichtigte, das deutsch-polnische Verhältnis für alle Zeiten so zu belasten, dass Polen bei der Sowjetunion Schutz vor Deutschland suchen müsse. Oder dass Deutschland, im Osten und Westen amputiert, überfüllt mit Flüchtlingen und Vertriebenen, im Elend versinken und ein Herd der Unsicherheit für ganz Europa würde und schließlich von selbst in die Hand der Sowjetunion fallen würde, zumal nach dem Abzug der Amerikaner. An der deutsch-polnischen Grenze, so fürchteten Churchill und das Foreign Office, hänge am Ende das Wohl und Wehe ganz Europas. Wenige Tage nach seiner Rückkehr von Jalta vertraute er seinem Privatsekretär John Colville seinen Albtraum an: wenn demnächst Deutschland vollends zerstört sein werde, »was wird dann noch zwischen den weiten Ebenen Russlands und den weißen Klippen von Dover liegen?«

Ohne Roosevelts Unterstützung konnte er sich in der Frage Neiße nicht durchsetzen, wollte es aber darüber mit Roosevelt auch nicht zum Streit kommen lassen. Der aber blieb auch in Jalta bei seiner Ansicht, keinen Konflikt mit Stalin vom Zaun zu brechen. Die Debatte über die künftige deutsch-polnische Grenze wurde abgebrochen, das Problem mit der Formel zugedeckt, Polen im Norden und Westen einen beachtlichen territorialen Zuwachs zuzugestehen. Die definitive Grenze sollte auf einer zukünftigen Konferenz festgelegt werden. Wenige Wochen später schuf Stalin dann vollendete Tatsachen: die Gebiete östlich von Oder und – westlicher – Neiße wurden zu polnischen Wojewodschaften erklärt und damit Polen zugewiesen.

Das nächste Problem betraf die Reparationen. In dieser Frage entwickelten die Sowjets für Jalta dezidierte Vorstellungen: 20 Milliarden Dollar (nach heutigem Wert etwa 200 Milliarden Dollar), davon 10 Milliarden für die Sowjetunion innerhalb von zehn Jahren, und zwar »in natura«, nicht in Geld: in erster Linie von Demontagen (innerhalb von zwei Jahren) und Entnahmen aus der laufenden Produktion. Roosevelt war bereit, die Summe von 20 Milliarden Dollar als »Diskussionsgrundlage« anzuerkennen, während die Briten mit Nachdruck jede Festlegung vermieden. Churchill bezweifelte, ob Deutschland überhaupt in der Lage war, nach Kriegsende hohe Reparationsleistungen zu erbringen. Er sprach von dem »Gespenst eines hungernden Deutschland mit seinen 80 Millionen Menschen«, die zu versorgen zum großen Problem werden könnte; selbst Großbritannien müsse Waren exportieren, um Nahrungsmittel einzuführen. Wie üblich, wenn man nicht weiter kam, wurde die Bildung einer Kommission beschlossen, die der nächsten Konferenz Empfehlungen vorlegen sollte.

In anderen Fragen gab es konkrete Ergebnisse: Frankreich wurde auf Drängen Churchills als gleichberechtigter Partner vierte Besatzungsmacht in Deutschland (und in Österreich). Außenminister Eden meinte später, man habe dafür »wie die Tiger« gekämpft. Das Motiv Churchills war leicht zu erkennen: mit Frankreich wäre Großbritannien stärker im Konzert der beiden Großen. Stalin stimmte nach anfänglichem Zögern zu – unter einer Bedingung: für die französische Besatzungszone mussten Briten und Amerikaner sorgen. Damit war auch die britische Hoffnung hinfällig, bei einer Beteiligung Frankreichs zu einer Neueinteilung der Besatzungszonen zu kommen.

Das Hauptthema in Jalta war jedoch Polen. Neben der Grenze war der Streit um die Frage, wie es in Polen weitergehen sollte, so Churchill in seinen Memoiren, »der dringlichste Grund« für die Konferenz gewesen. In nicht weniger als sieben der acht Sitzungen ging es um dieses Problem. Churchill und Roosevelt wünschten ein freies, unabhängiges Polen, wollten es aber deswegen nicht zum Bruch mit Stalin kommen lassen. Im Frühjahr 1943 hatten die Deutschen in Katyn das Massengrab der vom sowjetischen Geheimdienst 1939/1940 ermordeten polnischen Offiziere entdeckt. Als die polnische Exilregierung in London eine Untersuchung durch das Internationale Rote Kreuz gefordert hatte, hatte Stalin die diplomatischen Beziehungen abgebrochen und seinerseits die von ihm abhängigen polnischen Kommunisten des sogenannten Lubliner Komitees im Vorfeld der Konferenz Anfang Januar 1945 als rechtmäßige polnische Regierung anerkannt.

Der schließlich in Jalta erzielte Kompromiss entsprach den Realitäten – in Polen stand die Rote Armee – und ließ Roosevelt und Churchill ihr Gesicht wahren: die von Stalin kontrollierte kommunistische Regierung sollte durch Hinzuziehung von »demokratischen Parteiführern« der Exilregierung in London auf »breiter demokratischer Basis« umgebildet werden und alsbald »freie und uneingeschränkte« Wahlen organisieren. Roosevelt ließ seine ursprüngliche Forderung nach Bildung einer völlig neuen, aus Kommunisten und Exilpolitikern paritätisch besetzten Regierung ebenso fallen wie die Kontrolle dieser Wahlen durch die Alliierten. Die Verständigung mit der Sowjetunion sollte nicht gefährdet werden, zumal Stalin auch eine »Erklärung über das befreite Europa« (freie Wahlen für die befreiten Völker und ehemaligen Verbündeten des Dritten Reiches in Osteuropa) unterschrieb, die ebenfalls vielseitig interpretierbar war. Roosevelts Vertrauter, Harry Hopkins, kommentierte die Erklärung so: »Dehnbar von hier bis Washington.« Roosevelts Antwort: »Harry, ich weiß.«