ARNIKA
Königin der Heilpflanzen
Johannes Wilkens
Frank Meyer
Ruth Mandera
ARNIKA
Königin der
Heilpflanzen
Inhalt
Einführung
Alltägliche Arnikageschichten
Arnikawiesen am Sitz der Götter
Ein goetheanistischer Blick auf die Arnika
Die Arnika – eine Königin und ihr botanischer und geografischer Umkreis
Die Korbblütler
Amerika – der Kontinent der Arnikas
Amerikanische Arnikas – Heilpflanzen der Indianer
Die Fähigkeiten der Arnica montana
Gestalt und Entwicklung der einzelnen Pflanzenteile
Die Bildung von ätherischen Ölen
Das Wesentliche der Arnika
Polarität …
… und Steigerung
Pflege und Anbau
Die Verwandten der Arnika
Ringelblume (Calendula officinalis)
Kamille (Matricaria recutita, früher Matricaria chamomilla)
Sonnenhut (Echinacea-Arten)
Gänseblümchen (Bellis perennis)
Löwenzahn (Taraxacum officinale)
Wegwarte (Cichorium intybus)
Disteln
Mariendistel (Silybum marianum, früher Carduus marianus)
Eselsdistel (Onopordum acanthium)
Artischocke (Cynara cardunculus subsp. flavescens, früher Cynara scolymus)
Benediktenkraut, Benediktendistel, Bitterdistel (Cnicus benedictus)
Edelweiß (Leontopodium nivale)
Arnika – Geschichte und Mythos
Die Arzneigeschichte der Arnika
Die Namensgebung
Wolfsblume Arnika
Sonnentier Wolf
Heilen mit der Arnika
Goethes Krankengeschichte als Vorbild der Arnikawirkungen
Wirkstoffe der Arnika
Arnika in der Pflanzenheilkunde
Eine Fallgeschichte
Selbstversuch mit Arnikatee
Arnika in der Homöopathie
Ergebnisse der Arzneimittelprüfung
Ein historischer Fall
Wissenschaftliche Untersuchungen zur homöopathischen Anwendung von Arnica montana
Arnika bei Schädigungen von Wirbelsäule und Bandscheiben
Arnika (und Brennnessel) bei Verbrennungen
Arnika bei entzündlichen Erkrankungen
Die Bedeutung der Arnika bei Blutern
Arnika beim psychischen Trauma
Arnika in der Anthroposophischen Medizin
Strukturgebung für das Nervensystem
Arnika und Gold
Arnika beim Herzinfarkt
Arnika beim Schlaganfall
Arnika bei multipler Sklerose
Arnika und die Honigbiene bei Nervenentzündungen und -schmerzen
Arnika bei Hirntumoren
Arnika und Auge
Arnika bei und nach Impfungen
Arnika und Arseneisen bei Muskeldystrophie
Epilog
Literatur
Bildnachweis
Autoren
Stichwortverzeichnis
Einführung
Arnika
Wo über mächt’ges Felsgestein
Der wilde Bergfluss jagt,
Und seiner Quellen Heimatort
»Leb wohl auf immer« sagt,
Wo tosend er in grauser Schlucht
Dem tiefen Abgrund nah –
Still trauernd wiegt im Wind ihr Haupt
Die gold’ne Arnika.
Dort, wo der Menschen Lieb’ und Hass
Nicht lodert hoch empor,
Dort, wo die Ruh’ ohn’ Unterlass
Zaub’risch umspinnt das Ohr –
Da trägt zu des Gebirges Ruhm
Dem blauen Himmel nah,
Ein Festgewand im Heiligtum
Die gold’ne Arnika.
Emil Schlegel (1852–1934)
Alltägliche Arnikageschichten
Die Triathleten hatten ihre Übungsstunde im Wasser beendet und betraten nun wieder den festen Boden. Ich bewunderte ihre Kraft und Ausdauer, ließ mich aber selbst gerade passiv von der Sonne bescheinen und genoss den Tag. Mein kleiner Sohn tauchte und schwamm im Wasser. Als er dann zu mir zurückeilte, stürzte er heftig und verletzte sich an der rechten Wade. Noch ehe ich mich erschrocken aufraffte und zu ihm eilte, war bereits einer der Triathleten zu ihm gerannt: »Hier, nimm Arnikaglobuli, dann wird es wieder.«
Meine Freundin konnte es nicht lassen. In der Fußgängerzone begrenzten Steinpolder im Abstand von einem Meter den Weg. Es war ihr ein Vergnügen, von Polder zu Polder zu springen, sie sang und sprang. Dann geschah doch das, was ich befürchtet hatte. Sie stürzte kopfüber mit der Stirn auf das Pflaster. Die Beule an ihrer Stirn wuchs in Sekunden an und hatte schnell die Größe von einem kleinen Ei erreicht. Arnica D30 hatte ich dabei. Sie nahm sofort ein paar Globuli davon, und verblüfft konnte ich zuschauen, wie die Schwellung sich binnen weniger Minuten fast komplett zurückbildete. Auch einen Tag später zeigte sich nur im Ansatz ein Bluterguss. Wer so etwas nicht selbst gesehen hat, der glaubt es nicht. So dachte ich schon damals, lange Zeit vor meinen wissenschaftlichen Forschungen zur Arnika.
Bei einem Patienten war es wieder passiert. Dabei hatte er sich von seinem Schlaganfall so gut erholt. Nach einem Sturz war erneut eine große Blutung im Gehirn aufgetreten. In der Klinik war man zögerlich und entschloss sich, erst einmal abzuwarten und zu beobachten. Ich riet dazu, täglich Arnika-Wundtücher (WALA) auf den betroffenen Schläfenbereich aufzulegen. Ergebnis der Kontrolle nach sieben Tagen: Hämatom komplett resorbiert.
Drei typische Arnikageschichten. Keine andere homöopathische Arznei hat so schnell den Weg in die moderne Hausapotheke gefunden wie Arnika. Keine andere Arznei ist so populär und wird von fast jeder Mutter in der Tasche mitgeführt. Arnika ist vielen Menschen ein Begriff beziehungsweise wieder ein Begriff geworden. In den Reformhäusern und Apotheken schmückt ihr Bild so manchen
Artikel: Shampoo, Fußbäder, Massageöle und viele weitere weisen als Inhaltsstoff Arnikaauszüge auf.
Viele der alten Bauersfrauen aus dem Frankenwald und dem nahegelegenen Fichtelgebirge kennen sie aus eigener Anschauung und haben früher selbst Arnika in Alkohol eingelegt. Noch vor fünfzig Jahren gab es Wiesen, die in Gänze mit Arnica montana besiedelt waren. Arnika aus dem Fichtelgebirge galt zur damaligen Zeit in Deutschland als die arzneikräftigste. Das ist inzwischen Legende. Sie ist fast vollständig aus dem hiesigen Gebiet verschwunden, und nur der Kenner weiß noch kleine Standorte zu nennen; Überdüngung und andere Nebenerscheinungen der modernen Landwirtschaft haben sie von ihren alten Standorten verbannt.
Es ist eine gegenläufige Entwicklung zu beobachten: Je seltener Arnika infolge der modernen Landwirtschaft und der Industrialisierung geworden ist, desto mehr wird sie für die Zivilisationskrankheiten des Menschen benötigt. Sie ist tatsächlich eine Heilpflanze für die heutige Zeit: Bluthochdruck, Herzkrankheiten, Unfallfolgen, Nervenerkrankungen gehören zu ihrem Heilrepertoire – alles Krankheiten der stressreichen heutigen Zeit.
In allen komplementärmedizinischen Richtungen nimmt die Arnika einen Stammplatz ein: Die Phytotherapie setzte sie bevorzugt bei Herzkrankheiten ein, die Homöopathie betont seit Hahnemanns Zeiten ihre Heilkraft bei Unfallfolgen, die Anthroposophische Medizin bedient sich ihrer zusätzlich für Nervenschädigungen in Rückenmark und zentralem Nervensystem. Man kann sich fragen, wie das möglich ist: Eine Pflanze heilt zugleich Rhythmusstörungen des Herzens, Nervenschwäche und Verletzungen der Blutgefäße. Was verbirgt sich hinter diesem »Mixtum compositum«, wie Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophischen Medizin, die Arnika einmal in einem Kurs für Mediziner bezeichnet hatte (Vortrag vom 2. 1. 1924)?
In diesem Buch soll versucht werden, dieser Pflanze in Geschichte, Botanik, Homöopathie, klinischen Studien und der anthroposophischen Anschauung nachzugehen. Die Darstellung beansprucht dabei keine Vollständigkeit; unsere Kenntnis ihrer vielen Seiten scheint noch sehr unvollkommen.
Das zeigt sich auch in der Forschung zur Arnica montana. Die Pflanze ist zu komplex, um in ihren Wirkungen auf bestimmte Inhaltsstoffe reduzierbar zu sein. Zu vielfältig sind die Einsatzmöglichkeiten. Fast jede neue Studie zeigt Arnika mit einem anderen Gesicht, findet etwas anderes. In alldem dennoch eine Linie, einen roten Faden zu finden und Ihnen eine der größten Arzneipflanzen Europas nahezubringen, das ist das Ziel unseres Buches.
Dr. med. Johannes Wilkens
Arnikawiesen am Sitz der Götter
Der Mount Shasta im Westen der USA gehört zu den heiligen Bergen dieses Planeten. Mit über 4300 Metern ist sein weiß vergletscherter Gipfel eine weithin sichtbare Landmarke in der kalifornischen Wildnis. Er strahlt eine erhabene Ruhe aus, die nicht ahnen lässt, dass es sich um einen Vulkan handelt, der jederzeit wieder ausbrechen kann. Die Mythen der indigenen Völker, die hier seit Jahrtausenden leben, kreisen um den heiligen Berg als Ausgangspunkt der Schöpfung und Wohnstätte des »Großen Geistes«. Bis heute ist er das zentrale Heiligtum mehrerer Stämme. Er ist ihre Kathedrale, und die arnikareichen Blumenwiesen an seinen Hängen sind die Gebetsteppiche, auf denen sie ihre religiösen Rituale verrichten.
An einem kühlen Augustmorgen vor zehn Jahren machte ich mich mit meiner Familie auf, um diese heiligen Wiesen zu erkunden. Eingebettet in die schützenden Flanken des Berges umfing uns eine unberührte Natur mit alpinen Wäldern und Fluren, die noch nicht durch menschliche Bewirtschaftung entweiht waren. Der Weg führte uns langsam hinauf auf weit über 2000 Meter durch die immer karger werdende Vegetation. Die Luft wurde spürbar dünner, und die Sonne, die sich klar gegen die spärliche Bewölkung durchgesetzt hatte, brannte erbarmungslos, als wir in alten Lavabetten aufstiegen. Während wir eine kaum bewachsene, staubige Steinwüste durchquerten, stellten wir fest, dass wir den Pfad verloren hatten. Desorientiert in der bizarren vulkanischen Landschaft, ohne verlässliche Karte oder Kompass und mit viel zu wenig Wasser, folgten wir jetzt nur noch unseren Instinkten und sprachen uns gegenseitig Mut zu. In der Richtung, in der wir unser Ziel, die Arnikawiesen vermuteten, sahen wir nicht eine Spur von Grün. Allerdings entdeckten wir in der Ferne einen steinigen Bergrücken, über den ein Pass zu führen schien, was die Hoffnung weckte, dort wieder einen Weg aufnehmen zu können – wohin auch immer.
Mit sinkender Hoffnung, jemals die berühmten Wiesen zu finden, kletterten wir über den steilen Kamm, und als wir ihn überquert hatten, änderte sich die Landschaft schlagartig. Vor uns breitete sich ein feuchter, schattenspendender Nadelwald aus, durch den wir alsbald abstiegen. Im Schutz von flechtenüberzogenen Tannen zogen kleine Bäche durch den moorigen Untergrund, Insekten und Vögel schwirrten umher und funkelten im einfallenden Sonnenlicht. Hier entdeckte ich die erste Arnika, die amerikanische Arnica mollis mit ihren wolligen Blättern, dem behaarten, überwiegend nackten Stamm, weichen, sanft leuchtenden, gelben Blütenköpfchen und dem typisch würzigen Duft. Als sich der Wald lichtete, breitete sich vor uns die herrlichste Wiese aus, eingerahmt von schneebedeckten Gipfeln, Bergwäldern und vulkanischen Felsformationen, durchzogen von gurgelnden Bächen und kleinen Wasserfällen, die eiskaltes Gletscherwasser führten, das aus unzähligen Quellen sprudelte. Der fragile, steinige Untergrund wurde vom Wurzelwerk uralter Heidekrautstöcke zusammengehalten, die auch in den harten Wintern und während der Schneeschmelze den Elementen trotzen und dichte Rasen bilden, zwischen denen sich dunkle, fruchtbare vulkanische Erde angesammelt hat. Hier, nicht mehr allzu fern vom eisigen Gletscherrand, beschienen von einer kräftigen Sonne und einem makellosen Sternenhimmel, beschallt vom Murmeln und Plätschern der Bergbäche, gedeiht diese Arnika in vitalster, ungehemmtester Weise.
Die Schönheit dieser Wiesen mit der sie beherrschenden Farbe des goldenen Gelbs der Arnika, in perfekter Abstimmung mit dem Rot des Indian Paintbrush, auch »Präriefeuer« genannt (Castilleja-Arten), dem Violett vieler Blüten und dem allgegenwärtigen satten Grün, ist mystisch. Es handelt sich in der Tat um ein Heiligtum. Zum ersten Mal hatte ich intuitiv verstanden, was in den alten Mythen mit »Paradiesgarten« gemeint war und was es mit der ewigen Suche der Menschen nach paradiesischen Orten auf sich hat, nach Shangri-la, dem Gesundheit und Unsterblichkeit spendenden Ort, tief verborgen im Gebirge. Von diesem Moment an wurde die Arnika meine Geliebte. Bis zu diesem Augenblick auf der Blumenwiese am Sitz der Götter hatte ich ihre europäische Vertreterin, die Arnica montana, als Arzt zwar unzählige Male verordnet, voller Überzeugung, das Richtige zu tun – aber ohne dass ich mit dem Herzen wirklich dabei war.
Seitdem kehre ich immer wieder in meinen Träumen an diesen Ort der Kraft zurück. Ich sah Eiszeiten kommen und gehen und Vulkanausbrüche, die das Land bis zum Horizont in Feuer und Asche hüllten. Jäger und Krieger zogen über die Wiese, vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend, um keinen Stängel zu knicken. Einmal wartete dort eine Gestalt in festlicher Stammeskleidung auf mich, die Augen auf den glitzernden Bach zu Füßen gerichtet. Als sie den Blick hob und mich anschaute, griff sie sich gleichzeitig ans Herz und reichte mir sodann eine Arnika, die wie aus dem Nichts auf ihrer Handfläche erschienen war. Ein anderes Mal begegnete ich einer alten Frau mit langen grauen Haaren, die in der Wiese kauerte und ins Gebet vertieft schien. Ich näherte mich ihr vorsichtig, bedacht, sie nicht zu stören. Plötzlich und unerwartet drehte sie mir ihren Kopf zu, und ich sah zu meinem Erstaunen, dass es sich um einen grauen Wolf handelte, der mich aus gelben, leuchtenden Augen anschaute. All das hat mit der Arnika zu tun, der sonnigen Wolfsblume, die unser Herz erfreut und die Heilung nach Verletzungen aller Art befördert. Sie ist viel älter als die heutige Menschheit und, wer weiß, vielleicht wird sie diese auch überleben. Eines ist jedoch sicher: Wir haben ihre Heilkräfte heute nötiger denn je.
Dr. med. Frank Meyer
Ein goetheanistischer Blick auf die Arnika
Unter dem Datum des 24. Februar 1823 berichtete Kanzler von Müller (1956, S. 63), Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) habe sich über die ihn behandelnden Ärzte geärgert, und notierte: »Er triumphierte, dass sein scharfer Geschmack etwas Anis in einer Arznei entdeckt habe, und dass man sich, weil ihm diese Kräuter stets verhasst gewesen, zur Umänderung des Recepts entschlossen. Mit Wohlgefallen hörte er, dass man ihm Arnika geben wolle, und hielt ganz behaglich eine kleine botanische Vorlesung über diese Blume, die er häufig und sehr schön in Böhmen getroffen.«
»Auch Arnika ist eine Goethe-Pflanze« heißt es deshalb in dem Essay, den der Medizinhistoriker Johannes Gottfried Mayer gemeinsam mit Franz-Christian Czygan, dem langjährigen Professor für Pharmazeutische Biologie in Würzburg, im Jahr 2000 veröffentlichte. Die tiefe Beziehung Goethes zur Arnika durchzieht auch unser Buch bis hin zu seinen dramatischen Krankengeschichten. Goethe hatte die Fähigkeit, polare Aspekte zu bemerken und sie in Worte zu kleiden, die durch ihre paradoxe Verknüpfung wachrütteln können, so zum Beispiel beim »offenbaren Geheimnis« oder der »anschauenden Urteilskraft«. Seine Art, Pflanzen wahrzunehmen, die Verwandlung ihrer Blätter zu beachten, Polaritäten und Steigerungen in ihrem Leben zu beschreiben – all dies hat immer wieder Menschen begeistert. Die goetheanistische Pflanzenbetrachtung bemüht sich, in seinem Sinne Entwicklungen von Pflanzen zu erfassen, die dazu passenden Begriffe zu bilden und die entsprechenden Prozesse innerlich mitzuerleben.
Glückliche Fügungen brachten uns drei Autoren zusammen. Alle lieben wir die Arnika schon lange und hatten uns jeweils intensiv mit ihr beschäftigt. Es war faszinierend zu erleben, wie aus unseren unterschiedlichen Begabungen in einem langen Prozess etwas ganz Neues entstand, ein echtes »Gesamtkunstwerk«, das niemand von uns allein zustande gebracht hätte. Die Gegensätze liebende Arnika ist in dieser Hinsicht ein großartiges Vorbild.
Ruth Mandera
Die Arnika – eine Königin und ihr botanischer und geografischer Umkreis
Die Korbblütler
Die Familie der Korbblütler (Asteraceae, Compositen), der die Arnika angehört, ist mit etwa 1600 Gattungen und etwa 24 000 Arten eine der größten Familien im Pflanzenreich – zehn Prozent aller Blütenpflanzen umfasst sie –, sie ist zudem fast über die ganze Erde, von der Arktis bis zu den Subtropen, verbreitet. Ihre großen, farbig leuchtenden »Überblüten« bilden einen absoluten Höhepunkt im Bereich der Blütenpflanzen. In anderen Pflanzenfamilien wird das Zusammenfügen von Einzelblüten zu langgestreckten oder kugeligen Blütenständen bereits kreativ ausgelebt. Den Doldenblütlern gelingt es zum Beispiel, fünfzig, hundert oder noch mehr kurze Stängelabschnitte zuerst auseinanderstrahlen zu lassen und dann zu einer großen Komposition zusammenzufassen: Es entsteht eine Dolde, eine plane oder konvexe Einheit der meist weißen, kleinen Endblütchen auf höherer Ebene. Die Korbblütler steigern dieses Prinzip des Zusammenschließens dadurch, dass sich ihr blütentragender, markerfüllter Stängel an seinem oberen Ende stark weitet. Auf diesem »Hochbeet« wachsen nun die zahlreichen Blütchen, dicht gedrängt, eng nebeneinander. Das Erstaunliche ist dabei, dass sich zusätzlich zwei ganz unterschiedliche Blütenformen entwickeln, die aufrechten, kleinen, glockenförmigen Röhrenblüten im Inneren des Korbes und die langgestreckten, ausgeweiteten Zungenblüten am Rand. Der Blütenstand eines Gänseblümchens, einer Kamille oder einer Calendula sieht wie eine Einzelblüte aus, mit Staubgefäßen und Fruchtknoten in der Mitte und andersfarbigen Blütenblättern außen herum. In Wirklichkeit aber ist es eine »Blüte aus Blüten«, also eine »Überblüte«, die zusätzlich außen von mehr oder weniger großen, grünen Hüll- oder Hochblättern umgeben ist, die an Kelchblätter erinnern.
Mit diesem »Material« aus Röhren- und Zungenblüten eröffnen sich den Pflanzenwesen schier unbegrenzte Variationsmöglichkeiten, Blütenkörbe zu füllen. So gibt es eine große Gruppe von Gattungen, die nur Zungenblüten tragen und innerlich Milchsaft bilden (Löwenzahn, Wegwarte), oder es wachsen nur Röhrenblüten in den Körbchen, wie bei Disteln, Pestwurz oder dem Wermut. Hier entstehen bevorzugt fette oder auch ätherische Öle. Die weitaus meisten Gruppen der Compositen zeigen jedoch sowohl Röhren- als auch Zungenblüten und ähneln dadurch einer »normalen« Blüte am ehesten. Allen Körbchenarten gemeinsam ist einerseits eine intensive Farbigkeit der Einzelblütchen und andererseits das vollkommen geordnete Aufblühen: in einer sich einwickelnden Spirale setzt es sich vom Rand aus allmählich nach innen fort. Da oft Hunderte von Blüten zusammengefasst sind, ist verständlich, dass sich das Blühen über eine sehr lange Zeit erstrecken kann, ohne dass das Körbchen als Ganzes unansehnlich wird, was viele Korbblütler zu beliebten Zierpflanzen werden ließ.
Blütenköpfchen des Echten Alant (Inula helenium) mit eng stehenden, dunkleren Röhrenblüten in der Mitte und sehr schmalen, gelben Zungenblüten.
Die kleinen Blüten der Korbblütler sind immer fünfzählig. Das ist besonders leicht bei den Röhrenblüten zu erkennen: Die fünf Blütenblätter sind zu einem fünfzipfeligen, aufrecht stehenden Glöckchen verwachsen. Innen stehen die fünf Staubgefäße, zu einer engen Röhre zusammengefügt. Durch diese Röhre schiebt sich vom unterständigen Fruchtknoten ausgehend der Griffel und öffnet sich erst oberhalb des Blütchens in seine beiden charakteristischen Gabeläste. Die kleinen harten Früchte werden Achänen genannt. Wie bei den Doldenblütlern sind Frucht- und Samenschale so eng miteinander verwachsen, dass die Früchtchen wie Samen wirken. Die Zungenblüten bestehen ebenfalls aus fünf Blütenblättern, sind aber nur ganz unten noch röhrenförmig verwachsen, ansonsten »geöffnet« und lang gestreckt. Ob sie zusätzlich zu ihrem unterständigen Fruchtknoten noch eine Staubbeutelröhre mit befruchtungsfähigen Pollen ausbilden, ist artspezifisch verschieden.
Amerika – der Kontinent der Arnikas
Stellen Sie sich vor, Sie blicken von oben auf einen Globus, auf den Nordpol, und jemand hätte das Verbreitungsgebiet der Gattung Arnica eingezeichnet, dann würde sich dieses rings um den Nordpol erstrecken, mit einem Schwerpunkt auf der westlichen Erdhalbkugel. Die Heimat der Arnikas umfasst weite Teile West-, Nord- und Mitteleuropas, Nordamerika sowie Japan. Heutzutage werden etwa 30 Arten (27 bis 32, je nach Wertigkeit der Unterarten) zur Gattung Arnica vereint. Die meisten davon leben im Westen von Nordamerika, von Alaska bis nach Kalifornien und New Mexico, drei Arten auch in Japan.
Auffällig ist, dass die Arnikas Regionen bevorzugen, in denen heute die auf Industrialisierung und damit verbunden Ausbeutung der Natur basierende »westliche« Zivilisation zu Hause ist: die westlichen Industriestaaten einschließlich Japans. Die Gattung besitzt einen absoluten Schwerpunkt hinsichtlich Verbreitung und Artenvielfalt dort, wo die moderne Informationsindustrie ihren Hauptsitz und ihr Zentrum hat: im amerikanischen Westen, in der Heimat von Giganten des Informationszeitalters, wie Apple, Google, Microsoft und anderen, sowie unzähligen größeren und kleineren Internet- und Technologie-Unternehmen. Spontan möchte man fragen: Ist es reiner Zufall, dass Vertreter der Gattung vor allem dort zu finden sind, wo heute gewissermaßen das zentrale Nervensystem der industrialisierten Menschheit lokalisiert ist?
Die Verbreitung der Arnikas (nach MAGUIRE). In der Mitte der Darstellung befindet sich der Nordpol. (Aus EKENÄS 2008)
Arnica mollis, eine amerikanische Art, die in Gestalt und Aroma der europäischen Arnica montana recht nahe kommt.
Interessanterweise wachsen die Arnikas aber eben gerade nicht wie Gänseblümchen am Wegesrand oder Löwenzahn in einer überdüngten Wiese (um zwei verwandte Heilpflanzen zu nennen), sondern sie brauchen zu ihrem Gedeihen abgelegene Gebiete, möglichst wenig vom Menschen gestört. Es ist eine Besonderheit des äußersten amerikanischen Westens, dass sich dort unberührte Bergwildnis in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Schaltstellen der hochtechnisierten westlichen Zivilisation findet. Wir werden noch genauer erfahren, dass Arnica montana eine besondere Affinität zum zentralen Nervensystem des Menschen hat (siehe vor allem »Arnika in der Anthroposophischen Medizin« ab Seite 143). Arnikaarten lieben Böden, die reich an Silikaten (wie man die Verbindungen der Kieselsäure nennt) sind. Das in der Kieselsäure bzw. den Silikaten enthaltene Silizium ist zugleich der Rohstoff schlechthin für die Computerindustrie – woraus die Bezeichnung Silicon Valley (»Silizium-Tal«) für die bedeutendste Hightech-Region in Kalifornien herrührt.
Was hat es mit diesen merkwürdigen Entsprechungen auf sich? Lassen sie womöglich auf eine tiefere Beziehung zwischen geografischer Region, Pflanzenwelt und menschlicher Kultur schließen? Und was sagen sie über das Wesen der Arnika aus?
Womit haben wir es überhaupt zu tun, wenn wir als Europäer von dem »Westen«, dem »Norden«, dem »Osten« und dem »Süden« sprechen? Vielfach geht es ja dabei nicht einfach um die Himmelsrichtungen als solche, sondern es gibt eine ganze Reihe von mitschwingenden Bedeutungen, die wir mit ihnen verbinden. So meinen wir, wenn wir die Begriffe »Orient« und »Okzident«, die alten lateinischen Bezeichnungen für »Osten« und »Westen« gebrauchen, auch nicht nur lediglich geografische Richtungen, sondern auch die jeweiligen Kulturen. Und auch »Osten« und »Westen« stehen manchmal nicht nur für verschiedene Traditionen, sondern für unterschiedliche, ja polare Geisteshaltungen, die in den entsprechenden Regionen der Welt günstige Bedingungen gefunden haben. Nicht umsonst gibt es Ost-West-Konflikte. Und auch mit dem viel zitierten Nord-Süd-Gefälle hat es eine Bewandtnis, die weit über unterschiedliche geografische Bedingungen hinausweist.
Die antiken Philosophen haben bereits gewusst, dass Himmelsrichtungen mehr sind als nur geografische Koordinaten. In der alten Lehre von den vier Elementen (Erde, Wasser, Luft und Feuer) waren Norden, Süden, Westen und Osten mit Qualitäten verbunden, was heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist. So war in der Vier-Elemente-Lehre dem Norden das Element Erde (mit den Eigenschaften kalt und trocken) und dem Westen das Element Wasser (mit den Eigenschaften kalt und feucht) zugeordnet (siehe Tabelle).
Element |
Eigenschaft |
Himmelsrichtung |
Feuer |
warm und trocken |
Süden |
Luft |
warm und feucht |
Osten |
Wasser |
kalt und feucht |
Westen |
Erde |
kalt und trocken |
Norden |
Die vier Elemente in ihrer Beziehung zu den vier Himmelsrichtungen und den vier Eigenschaften.
Beiden, dem Wasser und der Erde, ist in diesem Ordnungssystem die Kälte gemeinsam. Die Arnikas orientieren sich also, wenn man der Vier-Elemente-Lehre folgt, zur Kälte hin: Sie bevorzugen den Nordwesten. Zusätzlich gedeihen sie gern in gebirgigen Gegenden mit kalten Wintern.
In spiritueller und kultureller Hinsicht lässt sich die Bedeutung der Himmelsrichtungen auch so verstehen, dass vom Osten das Geistige in die Welt kam. Alle geistigen Traditionen haben letztlich ihre Quelle im Osten, das Christentum eingeschlossen. Im Westen hingegen tritt an die Stelle der Traditionen das Freiheitsstreben der Menschen. Das Geistige steht im Westen nicht länger im Zentrum der religiösen Verehrung. Infolge von Aufklärung und naturwissenschaftlicher Entwicklung machen sich die Menschen von traditionellen Bindungen frei und stoßen vom reinen Erfahren des Geistigen zu den angewandten Wissenschaften vor, mit dem Ziel der Emanzipation des Menschen von göttlichen und natürlichen Zwängen.
Zusammenfassend kann man sagen: Während das Geistige im Osten (Element Luft, warm und feucht) in Form des Denkens (als Religion und Philosophie) in die Welt kam, verbindet es sich im Westen mit den Kräften und Stoffen der materiellen Welt und wird hier zum Instrument des freien Willens und der willensbasierten freien Handlungen. Die Folge sind die technologischen Entwicklungen, die uns Raum und Zeit überwinden lassen, zunächst in Form von physischen Transportmitteln, zunehmend aber durch digitale Vernetzung im Internet. Diese Entwicklung geht hauptsächlich von der Westküste der USA aus, jener hochindustrialisierten Region, die sich vor allem vom bereits erwähnten Silicon Valley in Kalifornien bis hoch in den Nordwesten in den Staat Washington erstreckt, wo in der Nähe von Seattle Firmen wie Boeing (Flugzeuge, Weltraumfahrt) und Microsoft (Software) zu Hause sind.
Die besonderen Qualitäten des Nordens wiederum treten in Erscheinung, wenn wir uns die Polarität Süd-Nord vor Augen führen. Der Süden (Element Feuer, warm und trocken) spricht den Menschen vor allem an, indem er die Sehnsucht nach Emotionalität, nach farbenfrohem Eros, nach lichterloh brennender Liebe weckt. Im Norden hingegen herrschen Kälte, Nüchternheit, Zurückhaltung und Erstarrung vor, Eigenschaften, die der naturwissenschaftlich-technologischen, einseitig verstandesmäßig gesteuerten Entwicklung zugutekommen.
Kulturelle Einseitigkeiten, wie sie in den nordwestlichen Industriestaaten vorherrschen, begünstigen die Anfälligkeit für bestimmte Krankheiten. Das gilt vor allem für die sogenannten stressassoziierten Beschwerden, zu denen die meisten Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber auch viele neurologische Krankheitsbilder gehören.
Der große amerikanische Neurologe und Begründer der modernen Nervenheilkunde George Miller Beard (1839–1883) stellte diese Zusammenhänge zwischen Industriekultur und Zivilisationskrankheiten als einer der Ersten fest, als er in seinem berühmten Hauptwerk American nervousness (1881, »Amerikanische Nervosität« – Nervosität war damals eine gängige Bezeichnung für Stress und seine Begleiterscheinungen) schrieb: »Die amerikanische Nervosität breitet sich über Europa aus, das, zumindest in bestimmten Ländern, rasch amerikanisiert wird.« Dieser Prozess ist heute weit vorangeschritten – mit dem Ergebnis, dass sich die westlichen Zivilisationskrankheiten in den Industrieländern seit Generationen manifestiert haben.
Es ist faszinierend, sich an dieser Stelle den berühmten Vers von Friedrich Hölderlin (1770–1843) ins Bewusstsein zu rufen, der lautet: »Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.« In diesem Falle – »wachsen« darf hier ruhig wörtlich genommen werden – wächst es seit langen Zeiten in Form von Pflanzen, die vornehmlich in den Bergwelten des Nordwestens zu Hause sind: die Arnikas. Hier finden wir diese Pflanzen in Massen gigantischen Ausmaßes, von denen wir im dicht besiedelten Europa nur noch träumen können.
Dass die Arnikas in Nordamerika in so großer Zahl und so artenreich gedeihen, hat auch geografisch-geologische Hintergründe, die der Vorliebe der Arnikas für raue Umgebungsbedingungen mit starken Temperaturschwankungen entgegenkommen. Arnikaarten lieben Gegensätze – und hiervon hat Nordamerika, vor allem im Westen, viel zu bieten. Das hängt mit der sogenannten Plattentektonik zusammen. Die Lithosphäre, der äußere Teil des Erdmantels, besteht aus keiner einheitlichen Gesteinsschicht, sondern aus einzelnen Platten, die sich gegeneinander bewegen, wie Eisschollen auf einem See. Man spricht auch von der Kontinentalverschiebung oder Kontinentaldrift. Der nordamerikanische Kontinent nun besteht aus einer einzigen Steinplatte, der sogenannten Nordamerikanischen Platte. An ihrem Westrand stößt diese mit der Pazifischen Platte zusammen. Die Pazifische Platte bewegt sich nach Osten und taucht im amerikanischen Westen unter die Nordamerikanische Platte ab, was man auch Subduzieren nennt. Folgen der Subduktion der Pazifischen Platte unter die Nordamerikanische sind der weitverbreitete Vulkanismus in dieser Region sowie die hohe Erdbebenaktivität.
Die Subduktion hat aber auch erhebliche Auswirkungen auf die Gestalt des nordamerikanischen Kontinentes als Ganzes. Denn sie ist der Grund dafür, weshalb sich die langen Hochgebirgsketten am Westrand der Nordamerikanischen Platte in Nord-Süd-Richtung aufgefaltet haben, nämlich infolge der beim »Abtauchen« entstehenden physikalischen Kräfte (in Europa geschieht dies in Ost-West-Richtung). Aus diesem Nord-Süd-Verlauf ergeben sich die spezifischen Bedingungen, die der gegensatzliebenden Arnika ideale Voraussetzungen bieten und mit denen sich auch die Menschen auseinandersetzen müssen, die sich in dieser Region niedergelassen haben. Sie führen dazu, dass die temperaturausgleichenden milden und feuchten pazifischen Westwinde nicht das Landesinnere erreichen, und ermöglichen stattdessen vor allem einen ungehinderten Luftmassenaustausch zwischen der Arktis und den Subtropen. Die Folge sind warme, trockene Sommer und extrem harte, lang andauernde Winter mit Dauerfrost über viele Monate. Blizzards, heftigste Schneestürme, wie wir sie in Europa überhaupt nicht kennen, sind damit auch weit im Süden möglich, während es umgekehrt im Sommer Warmlufteinbrüche bis weit hoch in den Norden gibt. Wegen dieser Polaritäten ist Nordamerika der Kontinent der Arnikas. Auch die dort ansässigen Menschen und ihre Kulturen wurden durch die Polaritäten auf vielen Ebenen geprägt.
Amerikanische Arnikas – Heilpflanzen der Indianer
DieVerwendung der amerikanischen Arnikaarten durch die Indianer wurde im Jahre 1927 erstmals von Alpheus HyattVerrill beschrieben. Verrill, der angesehene Universalgelehrte und Schriftsteller, geht sogar so weit zu behaupten, die Arnika sei wie Kartoffeln, Mais, Tabak und andere Pflanzen vor der Entdeckung Amerikas in Europa unbekannt gewesen. Dieser Vergleich ist sachlich nicht richtig, schließlich ist Arnica montana, ganz im Gegensatz zu Tabak, Mais und Kartoffel, eine in Europa heimische und weit verbreitete Pflanze. Es bleibt jedoch bemerkenswert, dass die europäische Arnika, der Bergwohlverleih (Arnica montana), erst ab dem 16. Jahrhundert an Popularität gewann (siehe »Die Arzneigeschichte der Arnika« ab Seite 86). Der Siegeszug von Arnica montana ist vor allem der Homöopathie zu verdanken, durch die Arnikaglobuli, -salben und andere Arnikamittel in die entferntesten Winkel der Erde Einzug gehalten haben.
Wissenschaftlich belegte Arnikaanwendungen bei den indigenen Völkern Nordamerikas
In der folgenden Übersicht werden die jeweils dokumentierten Arten nicht extra berücksichtigt. Fast allen der genannten Indikationen begegnen wir auch in Europa bei der Verwendung von Arnica montana.
• Sinnesorgane, Kopf und Hals: Augenentzündungen, Zahnschmerzen, Halsschmerzen, Haarausfall
• Schmerzen: Rückenschmerzen, Schmerzen aufgrund von Schwellungen
• Verletzungen: Prellungen, Verstauchungen, Schnittverletzungen und andere Wunden, Insektenbisse
• Bauch: Magenprobleme, Verdauungsstörungen
• Sonstiges: Tuberkulose, Warzen, Altersflecke, allgemein als Stärkungsmittel
• Ebenso ist die magische Verwendung von Arnica latifolia, der breitblättrigen Arnika, als Liebeszauber belegt, wie bei Hildegard von Bingen (siehe Seite 86) für »de Wolfesgelegena«. Außerdem die Einnahme von Arnica latifolia und der herzblättrigen Arnika, Arnica cordifolia, als Aphrodisiakum. Verwendet wurden bei den genannten Indikationen sowohl die unterirdischen Teile als auch die ganze Pflanze. Zubereitet wurden Aufgüsse für die innerliche und äußere Anwendung sowie Breis aus der ganzen Pflanze für Umschläge. Zahn- und Halsschmerzen wurden durch Kauen von Arnica cordifolia behandelt.
Welche Arten von den Indianern verwendet wurden, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. Der Chicagoer Historiker Virgil J. Vogel (1918–1994) spricht von vier Arten, die von den einzelnen Stämmen genutzt wurden: Arnica fulgens, Arnica sororia, Arnica cordifolia, die herzblättrige Arnika, und Arnica acaulis. Ferner sind Anwendungen belegt für Arnica discoidea und die wollige Arnica mollis. Die reduzierte Gestalt und das würzige Aroma der letzteren, die auch in einer der Kalifornischen Blütenessenzen Verwendung findet, kommen dem Habitus von Arnica montana recht nahe. Es ist davon auszugehen, dass die Indianer je nach Bedarf mit anderen Arnikaarten geheilt haben.
Heinz J. Stammel (1926–1989) nennt 1986 Arnica lanceolata und Arnica chamissonis als indianische Heilpflanzen. Letztere, die Wiesenarnika (Meadow Arnica), ist von Alaska bis Kalifornien verbreitet und wächst in feuchten Wiesen. Näheres über sie auf der folgenden Seite.
Die Fähigkeiten der Arnica montana
Sowohl innerhalb ihrer großen Korbblütler-Verwandtschaft als auch in ihrer Gattung stellt Arnica montana eine Besonderheit dar. Sie ist in mehrfacher Hinsicht einzigartig, denn sie vereint sehr eigenwillige Qualitäten, die nur für sie charakteristisch sind.
Es beginnt mit ihrem Verbreitungsgebiet: Was bedeutet es, wenn sich eine Pflanzenart so eindeutig von ihren Verwandten separiert? Nur Arnica montana ist eine wirklich gesamteuropäische Pflanze, von Südeuropa bis nach Skandinavien lebend. Sie wurde von Linné montana genannt, weil sie typischerweise in Mittelgebirgen wächst; sie kann aber auch im Hochgebirge bis in 2800 Meter Höhe gefunden werden. Die viel kleinere Arnica angustifolia (auch als Arnica alpina bezeichnet) wird nur bis 15 Zentimeter groß und wächst in Skandinavien, im nördlichen Russland und auf Spitzbergen, beschränkt sich also auf den Norden Europas. Von den zahlreichen nordamerikanischen Verwandten ist bei uns nur die bereits erwähnte Wiesenarnika, die Arnica chamissonis, bekannt. Ihren Namen bekam sie von dem Arzt und Botaniker Christian Friedrich Lessing (1809–1862), einem Enkel des Dichters Gotthold Ephraim Lessing, zu Ehren des aus Frankreich geflohenen preußischen Offiziers, Dichters und Weltumseglers Adalbert von Chamisso. In Schweden hat sie sich als Neophyt eingebürgert, in Russland und in Ostdeutschland wird sie seit Längerem angebaut. In Gartenmagazinen wird mit ihrer einfachen Kultivierbarkeit geworben. Ihre Unterart Arnica chamissonis ssp. foliosa ist bis zu 90 Zentimeter groß, reich verzweigt, trägt viele Blätter und zahlreiche gelbe Blütenkörbchen. Sie war von 1984 bis 2000 als Stammpflanze im Arzneibuch ebenfalls zugelassen (WICHTL 2016), um zusätzlich zu Arnica montana »Arnikablüten« für phytotherapeutische Zubereitungen zu liefern (entsprechend der Monographie der Kommission E, der Sachverständigenkommission des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte).
Beim Betrachten von Bildern der amerikanischen Arnikaarten fällt sofort eine Besonderheit von Arnica montana auf. Sie wird für eine Gebirgspflanze erstaunlich lang (30 bis 60 Zentimeter), verzichtet aber weitgehend auf Verzweigungen und Blattmasse. Ihr Thema ist: Zurückhaltung in der oberirdischen Gestalt.
Alle Arnikaarten haben gegenständige Blätter, was bei Korbblütlern selten ist. Typischerweise sind bei diesen vegetativ so kräftigen Pflanzen die Blätter spiralig angeordnet – das ist an einer Sonnenblume schön zu sehen. In der goetheanistischen Naturbetrachtung gilt die Gegenständigkeit von Laubblättern als Zeichen einer blütenhaften Durchdringung, wie beispielsweise bei den Lippenblütlern. An natürlichen Standorten beschränkt sich Arnica montana oberirdisch auf einen aufrechten Stängel und eine Dreiergruppe von Blütenkörbchen: nämlich auf den größeren endständigen Blütenstand sowie zwei kleinere aus den beiden etwas tiefer stehenden Blättern. Erst viel weiter unten, näher am Boden, entspringt in der Regel ein weiteres, größeres Blattpaar.
Arnica montana wächst am liebsten in Mooren, in Heiden, in Silikatmagerrasen und lichten Wäldern, auf feuchten, nährstoff- und kalkarmen, sauren Böden. Von daher liegen die wichtigsten Standorte im kieselhaltigen Urgestein. Sie ist jedoch auch in Kalkgebirgen zu finden, zum Beispiel in den Karawanken, wenn durch starken Niederschlag der Kalk in den obersten Erdschichten ausgewaschen wurde. Sie liebt Stellen mit einer relativ dichten Rohhumusschicht aus abgestorbenem, aber noch nicht vollständig zersetztem Pflanzenmaterial; Stellen, die feucht und ausreichend durchlüftet sind, sich im Sommer gut erwärmen und beim Betreten federnd schwingen. Immer braucht die Arnika in der Erde genügend Feuchtigkeit. Oberirdisch sind ihre Standorte meist stark dem Wind, dem Licht sowie Wärme und Kälte ausgesetzt.
Eine eindrückliche Beschreibung eines Erlebnisses mit der Arnika gibt die Apothekerin Christina Kiehs-Glos. Sie zeltete in den Vogesen am Rande von Arnika-Hochflächen, als Regenfluten und ein Orkan über die Landschaft hereinbrachen: »In der dritten Nacht gab ich auf, flüchtete, das Zelt dem Sturm überlassend, ins Auto, vorbei an Hunderten blühender Arnika. Sie alle tanzten im Wind und schienen das entfesselte Element zu genießen. Keine einzige war geknickt, keine einzige hatte den Kopf verloren« (KIEHS-GLOS 2002, S. 21).