Bomberjacken, Jogginghosen, Tarnfleck. Supreme, Yeezys, Off White, Vetements – was das Rampenlicht einer Mode durchlaufen hat, verschwindet im Dunkel, wird entwertet und vergessen. Doch die Bewegungen der Mode bringen Menschen zusammen, formen Gemeinschaften, trennen sie wieder. Sie zerstören jede Ordnung und bauen sie wieder auf, sie sind schön und hässlich, kommen kapitalistisch daher, gleichzeitig spukt in ihnen der Aufstand. Und weil Mode uns so hautnah kommt, während unsere Körper in ihre Hüllen schlüpfen, erscheint die polyamouröse Affäre mit ihr wie ein andauernder Ausnahmezustand.
HANS-CHRISTIAN DANY, geboren 1966, lebt als Künstler in Hamburg und ist schon lange im Urlaub von dem, was er tun soll. Wie viele, die nicht wissen, wohin mit sich, schreibt er. Manchmal werden daraus Bücher. Bei Edition Nautilus erschienen Speed. Eine Gesellschaft auf Droge (2008, Neuausgabe 2012), Morgen werde ich Idiot. Kybernetik und Kontrollgesellschaft (2013) und Schneller als die Sonne. Aus dem rasenden Stillstand in eine unbekannte Zukunft (2015).
Edition Nautilus GmbH
Schützenstraße 49 a · D - 22761 Hamburg
www.edition-nautilus.de
Alle Rechte vorbehalten · © Edition Nautilus GmbH 2018
Originalveröffentlichung · Erstausgabe September 2018
Autorenfoto Seite 2: © Donnie Londi
Umschlaggestaltung: Maja Bechert, Hamburg
www.majabechert.de
1. Auflage
ePub ISBN 978-3-96054-090-8
Der Wunsch zu verschwinden
Mobilisierung der Angst
Erfindung einer Jacke
In der Wüste der Verweise
Töten im Team
Eine kleine Firma
Bis zum Ende des Staunens
Zauber der flachen Zeichen
Ins Leere laufen lassen
Die Bühne betreten
Du wirst angeschaut
Ich blieb ein Ei in der Schale
Das Zeichen des Feindes
Postmoderne Männer
Der Held
Der Mann will sein
Die Frau muss weg
Einheitlich verkleidetes Selbst
Dressur der Körper
Ich habe den Kontext nicht bedacht
Nach Diktat verreist
Jede Mode lockt in eine Enttäuschung
Was für eine schöne Jacke
Gewählte Unterwerfung
Kein Geschmack
Vor dem Ende war eine Uniform
König seiner Form
Im Blick der anderen
Falsch, aber voll von Leben
Der Mann lernt sprechen
Der Mädchen-Junge
Comeback der Bomberjacke
Meine Jacke
Klassenverhältnisse
Jeder Kopf hat seinen Preis
Perverse Helden ihrer Zeit
Teilhabe durch Identifizierung
Jugendkultur als Zeichensystem
Sei dein Produkt
Ich bin noch doofer, als du denkst
Zum Glück komm ich aus Osnabrück
Störungen im Wolkenbild
Traumexperten
Netz ohne Spinne
Alles ist Zahl
Wo du nicht erwartet wirst
Kleider über Kleider
Systemerhaltende Kritik
Frischzellenkur als Zitat der Revolution
Rechnende Augen sehen dich an
Es ist Donnerstag
Markenmüll
Ne travaillez jamais. Shop till you drop
Sei dabei
Ein weißer Schimmel
Die Freiheit, zu kaufen
Emanzipation als Motor
Alle sollen großartig aussehen
The system is down
Dieser Krieg kennt kein Ende
Übergabe des Risikos
Sehen und gesehen werden
Dank
Literatur
Abbildungsverzeichnis
Es schleicht sich heran, packt zu und hat dich erwischt.
So ging das vor zehn Jahren. Mir war kalt. Ein Sonderangebot winkte. Ich nahm es von der Stange, zog es an und blickte in den Spiegel. Es passte und gefiel mir. Eine Minute später kaufte ich die erste Bomberjacke meines Lebens. Die Lonsdale war ein Schnäppchen. Ich zahlte gerade mal 50 Euro. Sie wurde verramscht, niemand wollte sie haben. Ihre treuen Träger, die Nazi-Skins, hatten sich von ihr verabschiedet, da Lonsdale seit kurzem begonnen hatte, mit nichtweißen Models zu werben. Und die neue Zielgruppe hatte bisher noch kein Vertrauen zu ihr gefasst, da Lonsdale zu lange mit den Rechten gute Geschäfte gemacht hatte. Bomberjacken wurden in jenem Herbst nur noch von Leuten getragen, die bei Wind und Wetter Bier trinkend auf Parkbänken saßen.
Vor dem Laden besah ich die Jacke im Sonnenlicht. Ihre Nähte wirkten stabil, die Bündchen saßen stramm. Ihre Passform gab mir eine Erscheinung, in der ich einen Moment lang dachte, ich würde Sport treiben. Zuhause angekommen legte ich mich aufs Bett und schlief sofort ein. Die Schuhe hatte ich gerade noch ausgezogen, für die Jacke war es schon zu spät. Mag sein, dass ich träumte, auf jeden Fall entwickelte ich von diesem Moment an eine besessene Beziehung zu ihr. Was ich tat oder nicht tat, was ich dachte oder nicht dachte, alles stand in einem Verhältnis zu ihr. Ich trug nur noch sie und schlief regelmäßig mit ihr. Schmutz sah man ihr nicht an, aber nach einer Weile roch sie streng. Wenn der Geruch überhand nahm, wusch ich sie bei vierzig Grad. Anschließend brauchte ich sie nur eine halbe Stunde über die Heizung zu hängen und konnte sie schon wieder anziehen.
Nachdem ich die Bomber einige Jahre fast durchgehend getragen hatte, begann ich zu befürchten, die mittlerweile etwas angegriffen Aussehende würde bald auseinanderfallen. Um darauf vorbereitet zu sein, begann ich nach Ersatz zu suchen. Aber nichts, was ich fand, gefiel mir. Als die Suche zwei Jahre lang ergebnislos geblieben war, brachte ich die Jacke zum Schneider, der alle gerissenen Nähte reparierte. Die Renovierte zog ich an, setzte mich an den Küchentisch und begann zu schreiben.
Der Kauf der Jacke hatte wohl mit meinen Konflikten in der Rolle als Vater eines zweijährigen Sohnes zu tun. Die endlosen Nachmittage auf dem Spielplatz fielen mir schwer. Ich fürchtete, bald so auszusehen wie die wenigen Männer, die mir dort begegneten. Leicht gebückt, rutschte ihnen unter ihren mit Milch bekleckerten Wollpullovern der Bauch aus der Hose, während sich ihre Gesichter zum Gähnen verzerrten. Alle Farben wirkten ausgeblichen von den langen Tagen in der Sonne. In der schwarzen Nylon-Jacke hoffte ich zumindest weniger wollig und auf eine attraktivere Art müde auszusehen. Und ich stellte mir vor, mit meinem Anflug von Skinhead würden mich die anderen Eltern in Ruhe lassen.
Mit meinen kleinen Sorgen beschäftigt, übersah ich, was um mich herum geschah. Nach dem Zusammenbruch der Finanzmärkte suchten 2008 viele nach bleibenden Werten. Verunsichert durch den Absturz der Spekulationen auf das Kommende wandten sich viele von der Zukunft ab. Der zuversichtliche Blick nach vorn kam aus der Mode. Und während geklagt wurde, wie schnell sich alles in eine im Zweifelsfall dunkle Zukunft bewegte, betraten wir einen lahmen Herbst in gedeckten Farben. Den Spaziergang in die Entschleunigung nannten sie Heritage. Wer mitging, zog sich jetzt wie die eigenen Großeltern an, die in einem vergangenen Amerika gelebt haben mussten. In Kleidung, die so aussah, als würde sie ewig halten, verabschiedete man sich von allen Eintagsfliegen der Mode und schwor, nun auf immer so zu bleiben.
Die Bomberjacke gehörte nur bedingt zur Erbschaftsmode. Es gab solche Jacken zwar, so lange ich denken konnte, aber weder mein Vater noch mein Großvater hatten eine besessen. So alt war sie nun auch wieder nicht. Deshalb fand die Bomber nur am Rand in die Regale der nostalgischen Welten mit ihren Echthaar-Rasierpinseln und Anzügen nach original-alten Schnittmustern von vor dem Krieg.
Bomberjacken haben aber auch etwas Stetiges. Ein bleibender Wert, der so zeitlos aussieht, als wäre sie mit der Helvetica verwandt, jener von allen Schnörkeln befreiten Schrift, die als eine in die Jahre gekommene Vorstellung von Modernisierung auftritt.
Von der neutralen Helvetica unterscheidet sich die Bomber durch ihre militärische Vergangenheit und ihr zweites Leben in den Subkulturen, die sie aus ihrer ursprünglichen Funktion entfremdeten.
Als Uniform demonstrierte die Bomberjacke Zugehörigkeit. Auch die subkulturelle Zweckentfremdung begann mit dem Bekenntnis einer Gruppe. Bewegungen wie die Skinheads bekannten sich durch sie zueinander und gegen den Rest der Welt. All das liegt zwar schon viele Jahre zurück, prägt die Jacke aber bis heute.
Dank ihrer subkulturellen Vergangenheit wurde die Bomberjacke 2008 zum Motiv einer der ersten KunstIkonen des 21. Jahrhunderts, einer Serie von Relief-Arbeiten mit dem Titel Vintage Bomber (2006/8). Der Künstler Seth Price druckte mit Hilfe eines Tiefziehverfahrens aus der Verpackungsindustrie die Oberfläche einer am Boden liegenden Bomberjacke in Kunststoff ab. Von dem mit Bedeutung aufgeladenen Ding blieb eine Serie leerer Hüllen, die transparenten Produktverpackungen ähnelte. Eines der Objekte tunkte Price in goldene Farbe mit dem künstlichen Charme von Bling, andere überzog er mit kühlen Farbspritzern, die wie Instant-Pollocks von Starbucks aussahen. Was Price mit Vintage Bomber erfand, wirkte wie das Gedenkbild einer vergangenen Idee, die noch romantisch verklärt durch die Erinnnerungen spukte: Subkultur als eine gemeinsam zur Schau getragene Stilisierung, verbunden mit der Kultivierung von Geheimsprachen, was gemeinsam zum Ausdruck brachte: Wir wollen eure Normalität nicht. Für genau diese Abgrenzung hatte die Bomberjacke gestanden und tat es immer noch, obwohl die Zusammenhänge, die diese Bedeutung hergestellt hatten, verschwunden schienen.
Der Vorsprung, den die schnelleren Subkulturen gegenüber einer behäbigen Verwertungsindustrie gehabt hatten, war am Ende des vergangenen Jahrhunderts geschrumpft, bis die Subkulturen durch Stil von der Verwertung eingeholt wurden. Jetzt konnte sich alles, wenn es nur ausreichend strahlte, innerhalb kürzester Zeit in eine Warenform verwandeln. Der Verwertung der Oberflächen schienen keine Grenzen mehr gesetzt. Kaum tauchte etwas Neues auf, waren Trendscouts, die direkt aus den Subkulturen angeheuert wurden, schon zur Stelle. Subkulturen als untergründige Stil-Vereinbarung wirkte zunehmend wie ein aus der Zeit gefallener Jahrgang, der sich bestenfalls noch als sentimentale Erinnerung hervorholen ließ. Die verschobene Situation erforderte von denen, die aus den Verhältnissen ausspuren wollten, andere Handlungsweisen.
Während Subkulturen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch Strategien in Anschlag bringen konnten, weil die Wohlfahrtsstaaten Rückzugsräume boten, wurden in einer immer stärker von Wirtschaftlichkeit und digitaler Durchsicht geprägten Umgebung veränderte Bewegungen mit taktischem Charakter erforderlich. Diese Wandlung wurde oft bedauert, sie lässt sich aber auch als Möglichkeit betrachten.
Strategisches Handeln benötigt Rückzugsgebiete, in deren Schutzraum Beziehungen organisiert, Zeichen entworfen und die Kräfteverhältnisse auf dem Feld des Konfliktes abgeschätzt werden können. Taktisches Vorgehen bezeichnet hingegen Handlungsweisen, die vom Fehlen des Eigenen bestimmt werden. »Die Taktik hat nur den Ort des Anderen. Sie muss mit dem Terrain fertig werden, das ihr so vorgegeben wird, wie es das Gesetz einer fremden Macht organisiert. Sie ist nicht in der Lage, sich bei sich selbst aufzuhalten … sie ist eine Bewegung innerhalb des Sichtfeldes des Feindes« (de Certeau). Die Verengung der Rückzugsräume, in denen man sich noch für ein strategisches Vorgehen sammeln konnte, führte zur Auflösung der sich über Stil verbindenden Subkulturen, die einer Hinterbühne bedurften. An die Stelle des sich in Nischen Organisierenden treten nun diskretere Zeichen, die bereit sind für eine laufende Konfrontation im offenen Gelände. Das Geschehen hat sich in ein ungeschütztes Jetzt verlagert, in dem laufend Kräfte aus dem gezogen werden müssen, was einem fremd erscheint. Der Konflikt, dem die Gemütlichkeit genommen wurde, gewinnt dadurch oft an Lebendigkeit.
Während die Subkulturen der Vergangenheit im unbeobachteten Hinterhalt noch strategische Figuren entwarfen, befindet sich nun alles in einem andauernden Gefechtszustand. Die widerständische Abweichung durch Stil wird dadurch der Mode ähnlicher. Sie taucht kurz auf, um sich bald wieder in ihre Verallgemeinerung aufzulösen. Die kurzfristigen Selbstinszenierungen durch Stil wirken verfügbarer, aber auch austauschbarer, etwas, das sich schnell nehmen, ablegen oder kombinieren lässt. Ihre Codes scheinen weniger Ausdruck denn manipulierbare Sprachen zu sein, die sich ständig neu ordnen. Der Preis für die Freiheit des beschleunigten und modifizierbareren Umgangs, der zudem leichtfüßiger die Widersprüche in sich aufnimmt, liegt in einer abnehmenden Verbindlichkeit. Was der Begriff Subkultur noch an Vorstellungen von Dauer vermittelte, scheint für die veränderten, in einem ständigen Wandel befindlichen Inszenierungen kaum noch treffend. Die Träger teilen sich zwar durch Kleidung mit, die gesendeten Nachrichten bleiben aber flüchtig und widersprüchlich. Auch wird verstärkt in Zungen gesprochen, deren verschiedene Sprechweisen sich laufend miteinander vermischen. Stile werden weiterhin gepflegt, ihre Benutzer wechseln jedoch zwischen den Möglichkeiten, die verfügbarer erscheinen. Wie in einer Gegenbewegung zur Flüssigkeit der Stile boomt eine Form von Bezeichnungen, die hartnäckig am Körper bleiben: die Tätowierungen. Sie vermitteln das Gefühl, Entscheidungen zu fällen, für die sich die Stile als Selbstversicherung nur noch kurzfristig eignen.
Kurze Zeit nach der Relief-Serie Vintage Bomber veröffentlichte Seth Price How to disappear in America (2008). Das Handbuch montiert aus dem Internet gefischte Ratschläge für Menschen, die sich vor der Polizei, vor Geheimdiensten, der Mafia oder ähnlichen Organisationen auf der Flucht befinden. Der handliche Ratgeber für das Unwahrnehmbar-Werden empfiehlt, auf jede Art von Versicherung zu verzichten und Arbeitsverhältnisse auf keinen Fall über Agenturen zu suchen. Gläser und Geschirr in Restaurants sollten nur mit Servietten angefasst werden, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen. Kopfbedeckungen würden Überwachungskameras die Arbeit erschweren. Auf die Verwendung von Magnetkarten sollte, wer unsichtbar bleiben will, völlig verzichten. Wer noch telefoniert, sollte ausschließlich anonymisierte Prepaid-Karten benutzen. Bezahlt würde nur mit Bargeld. Digitale Spuren sollte man, ebenso wie den Kontakt zur Familie, vermeiden. Es sei besser, seine alte Kleidung einfach wegzuschmeißen und sich einen ganz neuen Stil zuzulegen.
Die unausgesprochene Verbindung, die Seth Price zwischen Vintage Bomber und How to disappear herstellt, wirkt wie eine Ankündigung des sich am Ende der Nullerjahre immer stärker entfaltenden Lebensgefühls, unter dem Radar zu tauchen.
Unter den Bedingungen der auf möglichst vollständige Beobachtung des Lebens gebauten Regierungsformen, die seit dem 11. September 2001 immer tiefer in die Körper eindrangen, verbreitet sich der Wunsch, unauffällig zu werden. Es heißt zwar weiterhin, alle wollten ihre fünfzehn Minuten Ruhm, aber stimmt das noch in einer Welt des andauernden Monitorings, in der man vor dem eigenen Schatten weglaufen könnte, ohne als paranoid zu gelten?
An die Stelle des Traums vom Ruhm trat immer öfter die Phantasie vom leeren weiten Raum, den die Bernadette Corporation bereits vor den Anschlägen auf das World Trade Center im Angesicht immer zudringlicherer Wunschmaschinen beschworen hatte: »Ein Ort, an den wir alle verschwinden können, statt gegen alles zu sein und ein weiteres Manifest zu schreiben, oder alles zu sein und die neueste CD zu kaufen.« Was in der Vergangenheit lag, die Strategien, die es gegeben hatte und mit denen man sich wehren konnte, wirkten verbraucht. Aber wie sollte man sich zukünftig verhalten?
Nach dem Absturz der Finanzmärkte 2008 wurde neben viel American Standard alter Schule auch die Barbour-Jacke aus den Kleiderkisten der Vergangenheit hervorgekramt. Groß geworden war das 1894 gegründete Unternehmen J. Barbour & Sons durch die Ausstattung der Aufstandsbekämpfungstruppen in den britischen Kolonien mit tropischen Regenjacken. Über hundert Jahre später passt die gewachste Funktionsjacke mit dem Geruch von englischem Landleben jetzt in eine Zeit, in der sich die gehobene Mittelschicht schützend gegen ihren befürchteten Untergang einkleidet. Die Barbour verkörpert im Unterschied zur Bomber soziales Prestige. Und sie passt zur melancholischen Atmosphäre eines unveränderlich auftretenden Kapitalismus.
Was sich am Ende der Nullerjahre enger zieht, ähnelt jenem Lebensgefühl, das der Schweizer Schriftsteller Christian Kracht in seinem Meilenstein der Popliteratur Faserland bereits zehn Jahre zuvor treffend beschrieben hatte. Ein lebensmüder Barbour-Jackenträger, der alles haben kann, ohne zu wissen, was er damit anfangen soll, kann in der Erzählung gar nicht so viel essen, wie er kotzen möchte. Was von dem Ausgestoßenen an ihm kleben bleibt, lässt sich von der gewachsten Jacke leicht abwischen. Das Außen bleibt an der Oberfläche, alle Nähte sind doppelt gerollt und gesichert.
Mit dem Rückgriff auf die Barbour-Jacke, die jetzt nicht mehr nur von erwachsen gewordenen Poppern getragen wird, beginnt eine neue Welle der Uniformierung des zivilen Lebens. Eine Politik der Angst greift die Körper an, deren Langeweile dies manchmal sogar zu gefallen scheint, und versetzt sie in andauernde Alarmbereitschaft einer schleichenden Militarisierung des Alltags. Kriege beginnen in die Städte einzuziehen. Zahllose Terroristen spazieren jetzt in echt oder als vorgestellte Phantome aus dem Fernsehen auf die Straße. Im Krieg gegen den Terror werden nach Anschlägen alle elektronisch informiert, ob Kontakte aus dem eigenen Netzwerk beim jüngsten Anschlag ums Leben gekommen sind oder sich in Sicherheit befinden.
Zu den Erfolgsgeschichten der Militarisierung des zivilen Lebens durch den entgrenzten Krieg zählt neben Barbour das etwas später einsetzende Revival der für ihre Bomberjacken bekannten Marke Alpha Industries. Vor einem Jahrzehnt noch im Angebot schmuddeliger Army-Shops, wirbt die Firma mittlerweile in Modemagazinen auf glänzenden Doppelseiten: »Alpha’s mission is to protect and inspire heroism in all forms.«
Zur Alpha-Heldentat erklärt die Werbung den ersten, mathematisch mit der Mach-Zahl auf die Formel Ma>1 gebrachten Überschallflug, der einem Piloten in der MA-1 gelungen sein soll. Der Durchbruch der Schallmauer gelang Chuck Yeagar aber schon 1947, zwölf Jahre bevor die erste MA-1 überhaupt hergestellt wurde. Für die griffige Geschichte schien es den Werbern angemessen, dreie gerade sein zu lassen, da es in den nachmodernen Kriegen an Vorzeigehelden fehlt. Woher sollten die Helden auch kommen, wenn Soldaten wie Industriearbeiter ein Land nach Art des Fließbandes mit Napalm vernichten oder heute aus weiter Entfernung töten?
Wie die Barbour hat die Bomberjacke ihren Ursprung in der Aufstandsbekämpfung der Kolonialkriege. Sie entstammt einer Kriegsführung, bei der Soldaten polizeiliche Aufgaben übernahmen, wodurch sich die Grenzen zwischen Krieg und Frieden aufzulösen begannen. Mit Bomberjacke meine ich hier zunächst die Vorläufer der MA-1, jene Jacken, die die Pioniere der Technik trugen, die Bomben aus der Luft aus einem Flugzeug auf am Boden liegende Ziele warfen.
»Ich habe mich zu dem Versuch entschlossen, heute vom Flugzeug aus Bomben abzuwerfen. Noch nie hat jemand so etwas probiert, und falls es mir gelingt, werde ich mich glücklich schätzen, der Erste zu sein«, schrieb der junge Pilot Giulio Gavotti am Morgen an seinen Vater. Für das von dem Sohn erdachte Experiment gab es keinen Befehl. Mit seiner ausgesprochen männlichen Phantasie, etwas durch ein Loch im Boden seiner Maschine zu stoßen und eine möglichst große Wirkung zu erzielen, erfand der Leutnant am 1. November 1911 das bis dahin unbekannte Konzept des Abwurfs von Bomben aus einem Flugzeug und damit den Bomberpiloten. Ziel des Angriffs war die fünfzehn Kilometer südöstlich von Tripolis entfernt gelegene Oase Aïn Zara.
Flugzeuge waren damals erst seit wenigen Monaten militärisch eingesetzt worden, und Bomben hatte man bisher nur mit unbemannten Ballons ins Feindgebiet geflogen und abgeworfen.
Aus dem als gelungen betrachteten Experiment in der Wüste Libyens entstand noch vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Disziplinartechnik des police bombing, eine Methode, mit der die Kolonialmächte, der Erfindung Gavottis folgend, aus dem Himmel mit Bomben für Gehorsam in den von ihnen unterworfenen Ländern sorgten.
Der 29-jährige Gavotti revolutionierte mit seiner Erfindung den Krieg. Er erweiterte den Kampf der feindlichen Soldaten gegeneinander durch neue Angriffsziele, indem sich zivile und militärische Anteile vermischten. »Gavotti hat dadurch eine neue Art und Weise in die Welt gebracht, wie Krieg gedacht und geführt werden kann: und zwar die hybriden und asymmetrischen Kriege, die uns bis heute heimsuchen.« (Hippler)
Schon mit dem ersten Bombenabwurf, der eine Unterscheidung von ziviler und kampftätiger Bevölkerung aufhebt, wurde eine wichtige Basis des Völkerrechts zerschlagen.
Die Dramaturgie des Krieges beginnt sich durch die Bomberpiloten zu entgrenzen. Ging es im klassischen Krieg noch darum, dem Feind seinen Willen aufzuzwingen und ein Ziel zu erreichen, mit dessen Erreichen, dem Sieg, der Krieg beendet war, eröffnete der Luftkrieg einen Krieg ohne Ende. Bei Bombenangriffen treten die Piloten als Polizisten mit der Bombe als Knüppel auf. Ihre Schläge sind Maßnahmen, die ständig wiederholt werden müssen, aber zu keinem Abschluss kommen können, da der Widerstand nie ganz aufgehoben werden kann.
Schon die ersten Bombenabwürfe aus der Luft bildeten vor mehr als hundert Jahren ein Vorspiel zu den endlosen Konflikten ohne Sieg oder Niederlage. Der Krieg hörte auf, als »Vater aller Dinge« zu wirken, der eine Entscheidung herbeiführte. Er wandelt sich in einen andauernden Ausnahmezustand. Die Bedrohung aus der Luft straft ab und setzt die Politik einer andauernden Herstellung ökonomischer Krisen mit anderen Mitteln fort.
Das Aufgabenspektrum des Bomberpiloten dehnt sich im Ersten Weltkrieg auf grausame Ausmaße aus: »Im Führer eines einzigen Flugzeugs mit Gasbomben vereinigen sich alle Machtvollkommenheiten, dem Bürger Licht und Luft und Leben abzuschneiden, die im Frieden unter tausend Bürovorsteher verteilt sind. Der schlichte Bombenwerfer, der in der Einsamkeit der Höhe, allein mit sich und seinem Gott, für seinen schwer erkrankten Seniorchef, den Staat, Prokura hat, und wo er seine Unterschrift hinsetzt, da wächst kein Gras mehr – das ist der imperiale Führer, der den Verfassern vorschwebt.« (Benjamin)
Bomberpiloten beanspruchen eine Deutungshoheit über den Tod aus der Sicherheit abgehobener Distanz. Das 20. Jahrhundert war die große Zeit dieser Männer. Sie ging vorbei. Die Helden, die nie Helden waren, traten ab. Anfang des 21. Jahrhunderts werden immer öfter Drohnen eingesetzt. Die ferngesteuerten Flugkörper schafften die Konfrontation des Kampfes als wechselseitige Gewaltaussetzung ab. Gestorben wird noch, aber nur auf der Nebenbühne. Während sich die Drohnenkommandeure in Sicherheit wiegen, werden ihre menschlichen Ziele am Boden mit Phantommaschinen konfrontiert, die wie unangreifbare Gespenster kämpfen. »Nach Maßgabe klassischer Kategorien erscheint die Drohne als Waffe des Feiglings« (Chamayou). Aber es geht nicht um Moral, sondern um eine einfache Rechnung: Damit die Fortsetzung der Strafmaßnahmen gewährleistet werden kann, werden die Ausführenden immer unangreifbarer gehalten. Im Krieg, der kein Ende kennt, muss man mit dem menschlichen Material haushalten, indem die Soldatinnen aus den Zonen, in denen sie verwundet werden könnten, abgezogen werden. Genau darin liegt das wesentliche Ziel unbemannter Flugzeugsysteme.
Zum ersten Mal hatte Philipp eine Drohne im Film gesehen. Sie flog hinten durchs Bild in einem Geschehen, das so aussah, als hätte sich James Cameron vorgenommen, Walter Benjamins Satz, »jeder kommende Krieg ist zugleich ein Sklavenaufstand der Technik«, zu verfilmen. Der Hauptdarsteller, einer dieser Sklaven, trägt eine M-65 von Alpha Industries – keine Bomberjacke, sondern eine Feldjacke. Er sagt kaum etwas, dafür aber einen der berühmtesten Sätze der Filmgeschichte: »I’ll be back«, womit der Androide Arnold Schwarzenegger 1984 den postmodernen Nerv seiner Zeit trifft.
Als Philipp den Terminator zehn Jahre später im Kino sieht, passt der Film zur Techno-Musik, die er hört. Heute dient Philipp seiner Regierung. Der in die Jahre gekommene Slacker hat es am Ende doch noch weit gebracht. Nach einem verkifften Jahrzehnt, verbracht mit Videospielen, hat er doch einen festen Job gefunden. Er arbeitet in der Basis Creech in der Nähe von Indiana Springs in Nevada und ist mittlerweile zum Offizier aufgestiegen. Für die verbliebene Stunde bis zum Feierabend hat Philipp sich vorgenommen, noch einen Rebellen in Afghanistan zu töten. Fünf hat er heute bereits erledigt. Morgen erwarten ihn hier im Büro weitere Vorgänge.
Sein Arbeitsplatz im »Home of the Hunters« ist in jeder Hinsicht eine sichere Angelegenheit. Deshalb kann er sich auch bei der Bank of America so hoch für seine Modesucht verschulden. Über seinem Arbeitsstuhl hängt eine besonders schöne Bomberjacke von Comme des Garçons. Junya Watanabe hätte sie selbst entworfen, das hat er in einem Modeblog gelesen. Er fand die Jacke in einer Boutique in Las Vegas, wo er, eine Stunde vom Büro entfernt, in der Vorstadt wohnt.
Bei der Bomber, die jetzt über seinem Stuhl hängt, handelt es sich nicht um seine Uniform. Er zieht die Jacke erst als Privatperson an, bevor er in sein Auto steigt, um durch die Wüste nach Hause zu fahren. In seinem wohltemperierten Büro braucht er keine Jacke. Auch wenn er ihm ansonsten ähnelt, geht es Philipp nicht so wie dem Offizier in Kafkas Erzählung In der Strafkolonie