Ágnes Heller
Was ist komisch?
Kunst, Literatur, Leben und die unsterbliche Komödie
Edition Konturen
Wien • Hamburg
Wir legen Wert auf Diversität und Gleichbehandlung. Im Sinne einer besseren Lesbarkeit der Texte werden manche Begriffe in der maskulinen Schreibweise verwendet. Grundsätzlich beziehen sich diese Begriffe auf beide Geschlechter.
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2018 Edition Konturen
Mediendesign Dr. Georg Hauptfeld GmbH – www.konturen.cc
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Umschlaggestaltung: Georg Hauptfeld, dressed by Gerlinde Gruber
Umschlagbild: Statue von Don Quijote und Sancho Panza in Madrid, Spanien, ID 9249301 © Alain Lacroix | Dreamstime.com
Übersetzung: Georg Hauptfeld
Lektorat: Bettina Plenz
ISBN 978-3-902968-35-7
„... denn nur als aesthetisches Phänomen ist das Dasein und die Welt ewig gerechtfertigt ...“
Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie
Dieses Buch sollte als Versuch gelesen werden, über das Phänomen des Komischen im Allgemeinen philosophisch nachzudenken. Soviel ich weiß, ist dies der erste Versuch, dies zu tun. Ich habe nach etwas Vergleichbarem gesucht, aber nichts gefunden, deshalb bin ich einen neuen Weg gegangen. Mein Buch soll keine Zusammenfassung sein, sondern eine Ouvertüre. Es ist nicht provokant, auch wenn Form und Inhalt vielleicht stellenweise provokant wirken. Ich hoffe, es wird angefochten, zurückgewiesen oder lächerlich gemacht. Nur dann kann ich von einem Erfolg ausgehen.
Sehr wenige Dinge müssen vorab gesagt werden. Ich habe kein Wort verloren über einen Roman, eine Komödie, ein Gemälde oder einen Film, den oder die ich nicht gelesen oder gesehen habe – oder mich auch nur indirekt darauf bezogen. Ich verlasse mich nie auf Informationen aus der Sekundärliteratur. Ich habe versucht, die Sekundärliteratur überhaupt zu übergehen, mein eigenes Verständnis jedes einzelnen Werkes zu bieten, das hier besprochen wird, und Interpretationen anderer zu vergessen oder gar nicht erst zur Kenntnis zu nehmen. Ich wollte dieses Buch ohne Krücken schreiben und ohne die Sichtweisen anderer zurückzuweisen. Ich wollte ein schmales Buch ohne endlose Anmerkungen. Ich wollte über komische Phänomene nachdenken und nicht bloß Informationen darüber sammeln.
Nur wenn es um die Erörterung von Theorien der Komödie ging, war das nicht ganz so. Um solche Theorien zu besprechen, muss man sie beschreiben. Doch auch dabei behandle ich nur philosophische, literatur- oder kunsttheoretische Arbeiten, die ich gelesen und für wesentlich befunden habe. Ich beziehe mich nie auf Werke, auf die sich von mir besprochene Arbeiten stützen oder die sie kritisieren.
Das Ziel, ein dünnes Buch über ein dickes Thema zu schreiben und dem Leser, der Leserin Gedanken anstelle von Lexikonwissen zu bieten, führt zweifellos zu Unzulänglichkeiten. Man kann nur eine begrenzte Zahl von Büchern lesen. Mir ist bewusst, dass ich einige literaturtheoretische und ästhetische Arbeiten berücksichtigt habe, die manche als unbedeutend ansehen, und dass ich einige andere übergangen habe, die andere Fachleute für bedeutend und wichtig halten. Die Auswahl der Lektüre hängt von vielen Dingen ab, unter anderem auch ganz einfach von der Verfügbarkeit.
Meine Auswahl an komischen Dramen, Romanen, Novellen, Büchern, Gemälden, Filmen oder auch Witzen mag manche stören. Ich habe viel mehr Werke gelesen und erwogen, als ich in einem kurzen Buch erörtern kann, und daraus jene ausgewählt, die ich besonders bedeutend und/oder besonders charakteristisch fand für das komische Genre, für das sie stehen. Manche werde ich mehr im Einzelnen besprechen, auf andere mich nur beziehen. Oft folge ich dem Urteil der Überlieferung – weil es auch mein eigenes war – und analysiere jene Werke besonders genau, die zweifellos die leuchtenden Sterne des komischen Genres sind, Werke wie „Don Quijote“ unter den Romanen, „As You Like It“ und „Tartuffe“ unter den Komödien sowie die Werke von Pieter Brueghel und Honoré Daumier unter den Malern.
In einer Auswahl wie meiner gibt es mehrere zufällige Elemente. Vor allem leitet mich mein Geschmack. Vielleicht werden andere bestimmte Werke aufgrund ihres Geschmacks für wichtiger halten. Manche werden sich ärgern, dass ich die Romane von Rabelais oder den großartigen „Tristram Shandy“ nur erwähne, ohne sie im Detail zu besprechen. Ich kann das begründen, auch wenn manche Leser und Leserinnen meine Entschuldigung nicht überzeugend finden werden. Es gehört nicht zu den Zielen meines Buches, eine Stimme unter vielen zu sein. Seit dem Buch von Michail Bachtin ist Rabelais der bevorzugte komische Autor moderner Literaturtheorie, nur vergleichbar mit Lawrence Stern. Sie werden seither ununterbrochen und von allen Seiten kommentiert. Ich hätte mir und meinen Lesern und Leserinnen einen Bezug auf diese Diskussion nicht ersparen können. Ich hätte nicht vermeiden können, meine Zustimmung zu oder Ablehnung von Aspekten der Debatte zu formulieren – ich hätte also nicht umgehen können, was ich am meisten vermeiden wollte. Ich bitte alle Leser und Leserinnen, die nicht persönlich betroffen sind (so wie viele Literaturtheoretiker des Betriebes), diese Romane selbst zu lesen und erst danach die vielen Bücher zu konsultieren, die bereits über sie geschrieben wurden. Und schließlich war meine Auswahl auch nicht von meinen ganzheitlichen Neigungen getrieben (und ich muss gestehen, dafür habe ich einige Erwähnungen unentschuldbar ausgelassen), sondern von einer Sehnsucht nach einigen Schriften, die ich nicht auslassen konnte, die einbezogen werden mussten, auch wenn sie nur kurz erwähnt werden – einfach aus Liebe.
Am Ende des Kapitels über komische Bilder nenne ich zu viele Werke. Vielleicht kann ich mich damit entschuldigen, dass die meisten zeitgenössische Werke sind und ich dadurch zeigen wollte, wie positiv unsere zeitgenössische Welt komischen Bildern gegenübersteht. Ich wollte darstellen, wie eine früher marginale Haltung heute zentral geworden ist. Eine weitere Schwierigkeit ist, dass nicht jeder dieselben Ausstellungen besuchen, dieselben Sammlungen aufsuchen oder dieselben Musikstücke genießen kann. Ein spezielles Problem könnte sein, dass einige meiner komischen Lieblingsbilder zu privaten Sammlungen gehören. Doch ich hoffe, dass Leser und Leserinnen den Ehrgeiz haben, die Liste wichtiger komischer Bilder durch Hinzufügen verschiedener Künstler und Bilder zu erweitern, statt auch nur wenige herauszunehmen.
Es ist auch problematisch, dass ich im Kapitel über komische Filme prinzipiell nur solche bespreche, in denen Drehbuchautor, Regisseur und Hauptfigur ein und dieselbe Person sind. Diese Entscheidung für eine klare Autorenschaft kann man natürlich kritisieren. Außerdem gibt es in meinem Wissen über Stummfilme und frühe Tonfilme einige Lücken, die bisher noch kein Videoangebot füllen konnte.
Ich glaube jedoch nicht, dass irgendeines der genannten Bedenken, selbst wenn sie alle berechtigt sind, auch nur das Geringste an meiner Theorie oder vielmehr meinen Theorien über komische Genres ändern könnte oder geändert hätte. Denn die Wahrheit einer Theorie hängt nicht von der Anzahl der Beispiele ab. Es gibt allerdings ein gewichtigeres Problem, das in eine einzige Frage gefasst werden kann: Welche Werke sind tatsächlich komisch?
Wie ich in den Hauptkapiteln dieses Buches immer wieder sagen werde, sind manche Dinge, Figuren und Ereignisse zu einer bestimmten Zeit oder für bestimmte Personen überhaupt nicht komisch, die zu anderen Zeiten und von anderen Personen als durchaus komisch empfunden werden. Komisch „sein“ ist also nicht wie Zucker oder Salz, nicht wie eine chemische Substanz, denn man muss einen Sinn für das Komische haben, sowohl einen persönlichen wie einen unpersönlichen, um das Komische zu schmecken, zu fühlen und zu würdigen. Überlieferung, Geschichte und Gedächtnis haben bereits vor uns Werke ausgewählt, die als komisch gelesen und angesehen wurden, und diese werden auch heute als komisch angesehen. Doch trifft das Gegenteil nicht immer zu. Manche nicht komischen Werke können heute nur noch unter der Bedingung gewürdigt werden, dass man sie in einem komischen Licht sieht. Zeitgenössische Theaterregisseure kennen dieses Phänomen genau und nutzen es manchmal glänzend, vor allem in der Oper. Doch wenn wir einen zeitgenössischen Roman lesen oder ein zeitgenössisches Bühnenstück sehen, haben Geschichte und Gedächtnis noch in keiner Weise entschieden, ob es als komisch betrachtet werden soll. Die Absicht des Autors ist, auch wenn sie ausgesprochen wurde, nicht allein entscheidend, denn er ist ja auch nur ein Rezipient seines Werkes unter vielen.
Um auf den Punkt zu kommen: Manche mögen beanstanden, dass ich einige Romane von Samuel Beckett im Kapitel über den komischen Roman besprochen habe, und auch einige seiner Dramen im Kapitel über das komische Drama. Man kann Einwände dagegen erheben, dass „Die Blechtrommel“ als komischer Roman bezeichnet wird, denn wie soll man Nazideutschland auf komische Weise betrachten? Ein ähnliches Problem mögen manche damit haben, dass ich in Franz Kafkas „Die Verwandlung“ stark komische Züge entdeckte. Doch so lese ich diese Bücher, so sehe ich sie. Ich glaube, selbst die, die das nicht tun, können trotzdem verstehen, warum. Dazu habe ich ein eigenes Kapitel über die „existenziale Komödie“ geschrieben, ohne Dramen und Romane zu trennen, um zu zeigen, dass es eine Art von Komödie gibt, die sich vom Komischen, wie es traditionell dargestellt wird, unterscheidet, und die als repräsentativ gelten kann für zeitgenössisches Auftreten des unsterblichen komischen Phänomens in der Literatur.
Genug des Vorspiels, Vorhang auf!