Der Tote auf der Koppel
von A. T. Gudnis
Der Tote auf der Koppel
von
A. T. Gudnis
Copyright 2018 A. T. Gudnis
Alle Rechte vorbehalten
Autor:
A. T. Gudnis
angie171921@freenet.de
ISBN: 978-3-96376-190-4
Kapitel 1
In der Notrufzentrale läutete das Telefon. Der zuständige Einsatzbeamte hob den Hörer ab und meldete sich:
„Notrufzentrale! Um was handelt es sich?“
Am anderen Ende der Leitung war nervöses Atmen zu hören. Dann platzte eine weibliche Stimme heraus: „Auf meiner Koppel liegt ein toter Mann!“
Der Einsatzbeamte schüttelte kurz den Kopf: „Wie, bitte!“
„Auf meiner Koppel liegt ein toter Mann! Bitte, was soll ich denn jetzt tun?“
„Jetzt bleiben sie erst mal ganz ruhig. Wie ist ihr Name?“
Es war wieder ein gestresstes Nach- Luft- Schnappen zu hören:
„Angelika Scherm, bitte, was soll ich denn jetzt tun, auf meiner Koppel liegt ein toter Mann!“
„Wo befindet sich ihre Koppel denn?“
„Oh, das ist kompliziet. In Neuburg direkt beim Flugplatz.“
„Wie lautet denn die Adresse?“
„Hier gibt es keine Adresse, ich kann Ihnen nur beschreiben, wo es ist!“
Der Beamte am Telefon versuchte wieder, die offensichtlich sehr verwirrte Frau zu beruhigen.
„Schnaufen Sie erst mal tief durch und dann beschreiben Sie mir den Weg, damit ich einen Streifenwagen zu Ihnen schicken kann.“
Angelika Scherm atmete ein paar Mal tief durch, ohne Erfolg. Das Schwirren im Kopf wurde nicht weniger. Aber sie wurde sich darüber klar, was gerade mit ihr passierte. Adrenalin – sie hatte einen Adrenalinschub, der sich gewaschen hatte. Damit konnte sie etwas anfangen. Sie setzte alle mühsam erlernten Methoden, zurück zur Klarheit zu finden, ein.
Durchatmen, focusieren, nachdenken, handeln…
Jetzt konnte sie eher entscheiden, was sie sagen musste, um dem Mann am anderen Ende der Leitung die Situation zu erklären.
„Ich bin gerade im Stall angekommen und habe die Pferde zum Füttern angehängt. Die waren irgendwie ein wenig durch den Wind, nervös und unsicher.
Da hab ich mir schon gedacht, dass heute Nacht wohl irgendwas passiert ist, was sie aus der Ruhe gebracht hat. Ich hab aber gedacht, ein Fuchs oder ein Marder wäre im Stall gewesen oder vielleicht hat der Wind ja heute Nacht etwas umgeworfen. Das geschieht schon mal.
Ich hab die Pferde also angehängt und ihnen das Futter hingestellt und dann bin ich über das Gelände gelaufen, um zu sehen, ob ich etwas entdecken kann. Und da liegt auf der Koppel irgendetwas rum.
Ich habe gedacht, da hat der Wind wohl eine Plane mitgenommen und auf meine Koppel geweht.
Ich mach mich also auf den Weg, um das Ding wegzuräumen. Da trifft mich fast der Schlag – DA LIEGT EIN TOTER MANN AUF DER KOPPEL!
Ich hab mein Handy genommen und beim Notruf angerufen und… ach, das wissen sie ja selbst!“
Jetzt war die Luft erst mal wieder raus. Angelika Scherm musste sich ausruhen.
Der Einsatzbeamte erkannt den Ernst der Lage und nutzte seine Chance:
„Wo liegt der Stall?“
Angelika blinzelte ein paar Mal nervös und versuchte sich zu konzentrieren.
„Wenn sie die Georgstrasse in Neuburg stadtauswärts fahren und dann gerade über die B16 fahren, kommt nach so 200 m eine Querstrasse, da müssen sie nach links abbiegen und nach 200 m kommt dann rechts ein kleiner Feldweg. Den müssen sie reinfahren, der endet bei meinem Stall!“ kam es atemlos zurück.
„Sind Sie sicher, dass der Mann tot ist?“
„Na, der rührt sich jedenfalls keinen Millimeter und ziemlich blass sieht er auch aus, so aus der Entfernung besehen.“
„Wie nah sind Sie denn dran? Würden Sie sich trauen, zu dem Mann hin zu gehen und den Puls zu fühlen?“
Wieder atmete Angelika Scherm tief durch, jetzt merkte sie langsam, dass der Druck im Kopf nachließ. Sie spürte auch den Wind wieder auf der Haut und fing wieder an, den Tag zu riechen.
„Also gut“, seufzte sie, „ich geh hin und schau ihn mir genauer an!“
Das Handy in der Hand, tastete sie sich langsam zu dem Mann vor. Die Füße fühlten sich ein wenig wacklig an und das Herz schlug laut. Der Druck im Kopf stieg wieder und das Schwirren kam zurück.
„Tief durchatmen, Bauchatmung und Angst geht nicht zusammen! Fest auftreten, lass Dir Zeit, noch ein Schritt und genau hinkucken, einmal den ganzen Körper entspannen!“, machte sie sich selbst Mut.
Dann musste sie lachen: „Man könnte glatt glauben, du hast es mit einem Vierbeinigen Killer zu tun, so wie Du Dich aufführst. Das ist ein Mensch, der am Boden liegt und vielleicht Hilfe braucht. Jetzt fahr mal ein paar Gang runter und geh hin, vielleicht lebt der ja noch!“
Upps, das war dann doch nicht ganz der richtige Gedanke!
„VIELLEICHT LEBT DER JA NOCH!“ Die Panik stieg wieder hoch.
„Hallo, sind sie noch da!“ Die Pause war dem Polizisten am Telefon doch zu lang gewesen.
„Was ist, wenn der noch lebt?“, hauchte Angelika in das Telefon.
„Dann müssen wir dafür sorgen, dass ihm schnellstens geholfen wird!“ der Beamte wusste, dass nur Geduld in dieser Situation helfen würde, aber die aufzubringen, war nicht ganz einfach.
Wieder holte Angelika sich in Erinnerung, wie sie gelernt hatte, übermäßiges Adrenalin zu verarbeiten.
„Wer 600 kg- Pferde durch die Gegend scheucht, braucht vor einem bewußtlosen Mann keine Angst zu haben!“ redete sie sich ein.
„Und vor einem toten erst recht nicht!“
„Na, vor dem toten Mann nicht, aber vielleicht vor dem Anblick eines solchen….?“
Ihr rutschte das Herz wieder in die Hosentasche, aber es half nichts. Sie musste nachsehen, ob der Mann Hilfe brauchte.
Langsam ging sie die letzten 5 m auf den am Boden Liegenden zu und kniete neben ihm nieder. Der Mann rührte sich nicht. Sie zog den Kragen seiner Jacke zu Seite und befühlte den Hals.
„Der ist schon kalt, ich glaube, da kommt jede Hilfe zu spät! Aber komisch riechen tut es hier noch nicht.“
Im selben Augenblick, wie sie das aussprach, huschte ihr der Gedanke durch den Kopf, dass die Pferde das vielleicht anders beurteilen würden, und dass die wussten, wie der Mann auf die Koppel gekommen war und warum der jetzt tot da herum lag.
Langsam kämpfte sich die Stimme des Einsatzbeamten wieder in ihr Bewußtsein.
„Hallo, hallo? Sind sie noch da?“
„Ja, ja, ich bin schon noch da. Was soll ich denn jetzt tun?“
„Gehen sie erst Mal von der Leiche weg. Und gehen Sie bitte auch nicht mehr hin. Ich schicke ihnen einen Streifenwagen und einen Krankenwagen vorbei. Schaffen Sie das?“
Dem Polizeibeamten war klar, dass die Situation für Frau Schrem gerade nicht ganz einfach war.
„Ja, ja, das schaffe ich schon!“
Da fuhr ihr ein Schreck durch die Glieder. „Die Pferde, wie lange hängen die denn jetzt schon an ihren Futterplätzen!“
Wie viel Zeit war vergangen, seit sie auf die Koppel gelaufen war? Sie musste sie losbinden, aber wie sollte sie verhindern, dass sie auf die Koppel liefen?
„Na, wie immer – das Tor zumachen!“, maßregelte sie sich selbst.
Angelika atmete wieder tief durch, um sich zu beruhigen, und schüttelte die Schultern, um lockerer zu werden. Die Anspannung wurde langsam anstrengend.
„Gott- sei- Dank, unter Adrenalin vergeht die Zeit langsamer. Das hatte sich nicht geändert. Es waren nur ein paar Minuten vergangen. Die Aufregung war umsonst. Alles war gut.
Nein, gar nichts war gut. Da liegt ein toter Mann auf der Koppel.“
„Ich muss die Pferde jetzt losmachen, sonst zerlegt mir Marnie noch den Stall!“, klärte sie den Beamten am Telefon auf.
„Nein, warten Sie bitte, bis der Streifenwagen bei ihnen ist und dafür gesorgt ist, dass keiner an die Leiche rankommt.“
Ohne weiter zuzuhören, drückte Angelika das Gespräch weg und lief zurück in den Stall.
Die Pferde standen ruhig an ihren Plätzen und warteten darauf, dass sie losgebunden werden würden - bis auf Marnie, die sich ihren Po an der Wand schabberte. Das Pferd war echt nervig.
Die konnte keine halbe Stunde einfach warten.
Angelika ging wieder auf den Paddock hinaus und schloss das Tor zur Koppel, das sie vorhin zum Füttern erst aufgemacht hatte, wieder. Dann kehrte sie in den Stall zurück und atmete erneut tief durch.
„Jetzt keine Fehler machen, nicht aus Verwirrtheit noch mehr Schaden verursachen. Den Automatismus überprüfen, vor dem Handeln!!
Also, abbinden in der Rangfolge von unten nach oben – Struppel, Star, Lantana, Gräfin und als letzte Marnie. Wamba, der Neue, musste in der Isolationsbox bleiben, bis sie Genaueres wissen würde. Der konnte nicht mit den anderen auf den Paddock. Dann die Futterpötte einsammeln und raus bringen, die Tränke überprüfen, überprüfen, ob genug Heu in der Raufe ist…
Ich muss in der Arbeit anrufen, ich komme heute sicher nicht pünktlich… Ich komme heute wahrscheinlich gar nicht!“
Angelika merkte, wie sich Erschöpfung in ihr breit machte.
„Was jetzt?
Erst mal raus gehen und hinsetzen.“
Und weiter atmen und weiter entspannen und versuchen zu verstehen, was da gerade passierte.
Da klingelte das Handy.
„Frau Scherm, geht es Ihnen gut? Das Gespräch war plötzlich weg.“
Der Beamte aus der Notrufzentrale war wieder am Apparat.
„Ich habe die Polizeidienststelle Neuburg benachrichtigt. Es müsste gleich jemand bei ihnen auftauchen. Bleiben Sie bitte, von der Leiche weg und versuchen Sie ruhig zu bleiben, bis die Beamten bei ihnen sind. Die kümmern sich dann um alles. Der Krankenwagen ist auch schon unterwegs.“
Der Mann machte sich scheinbar wirklich Sorgen.
Kapitel 2
Als Michael Wiesner von seinem Telefon aus einem traumlosen Tiefschlaf gerissen wurde, fuhr gerade ein Polizeiwagen mit Blaulicht und Sirene an dem Feldweg zu Angelika Scherms Pferdestall vorbei.
Er hatte den gestrigen Abend mit einem ausgiebigen Training auf dem Platz seines Fußballvereins und danach mit einem ausgiebigen Training in der Vereinsgaststätte verbracht. Entsprechend wachte er nur widerwillig auf. Aber das Telefon war hartnäckiger als sein Wunsch weiter zu schlafen.
Noch reichlich unkoordiniert tastete er nach dem Hörer.
„Ja, Wiesner!“ nuschelte er in das Telefon und bemühte sich angestrengt, zu verstehen, was da am anderen Ende gesprochen wurde.
„Auf geht’s, Michael, wir werden gebraucht. Da ist eine Leiche gefunden worden.“
Eine Leiche – Michael war erst seit ein paar Tagen bei der Kriminalpolizei Ingolstadt. Er hatte seine Ausbildung vor ein paar Wochen abgeschlossen und war nach einigen Tagen Urlaub der Kripo Ingolstadt unter der Leitung von Werner Meier zugeteilt worden.
Die Erkenntnis, dass sein erster Fall in der neuen Dienststelle auf ihn wartete, erleichterte Michael Wiesner das Wachwerden erheblich.
Er hörte ein paar Sekunden zu, griff sich den voraus schauend neben dem Telefon platzierten Schreibblock und den dazu gehörenden Stift und notierte sich die reichlich komplexe Anfahrtsbeschreibung. Hoffentlich hatte er da alles richtig verstanden.
„Ich komme, ich fahr gleich hin!“
Michael Wiesner verließ das Bett mit sehr viel mehr Elan, als man ihm vor ein paar Minuten
noch zugetraut hätte.
Sein Chef war schon auf dem Weg zu Angelikas Stall. Während der Fahrt ordnete er die Informationen, die er bekommen hatte, in seine persönliche „Liste“ ein. Das war eine Methode, die er im Laufe seiner Dienstjahre entwickelt hatte, und die ihm bei der Lösung seiner Fälle half.
- 15.08.2017, 7.50 Uhr
- Leiche auf einer Koppel
- Aufgefunden von der Besitzerin der Koppel, Angelika Scherm
- Stall am Ende der Welt
Und auch er verpasste die Einfahrt zu dem Feldweg, der zu Angelika Scherms Stall führte. Das wurde ihm klar, als ihm ein Streifenwagen und ein Krankenwagen mit Blaulicht und Sirene entgegenkamen.
Angelika stand auf dem Vorplatz ihres Stalles, hatte das Telefon am Ohr und beobachtete verblüfft, wie alle, die offensichtlich zu ihr wollten, mit Karacho vorbeifuhren.
„Das darf doch nicht wahr sein. Sind das alles Analphabeten? Die müssen doch wissen, wie lang 200 m sind!“
Der Beamte in der Notrufzentrale war noch in der Leitung und hatte mitgehört. Über den Polizeifunk informierte er die Kollegen und so dauerte es nicht lang bis die Wagen zurück kamen. Diesmal erheblich langsamer und vorsichtiger.
Vor der Einfahrt blieben sie fast stehen und Angelika meinte sogar auf die Entfernung das ungläubige Staunen zu erkennen, als den Fahrern klar wurde, dass tatsächlich das der richtige Weg war.
Sie schalteten die Sirene aus und schlichen im Schritttempo den mit Schlaglöchern übersäten Feldweg zu dem Stall entlang.
Die Pferde auf dem Paddock hatten reichlich geschockt auf den Lärm und die Lichter reagiert. Sie galoppierten umher, sprangen in die Ecken und blieben dann mit gespitzten Ohren und aufgerichteten Hälsen am Zaun stehen, die Körper unter Spannung, jederzeit bereit umzudrehen und wieder davon zu galoppieren. Gräfin, die Leitstute der kleinen Herde, blies laut den Atem durch die Nüstern aus und hoffte so, die „Angreifer“ einzuschüchtern. Als die Sirenen ausgeschaltet wurden, ließ die Anspannung der Pferde unmerklich nach. Sie waren immer noch bereit, sich beim kleinsten Anlass gemeinsam zur Flucht zu wenden.
So trafen der Streifenwagen, der Krankenwagen und auch Werner Meier, der seinen Wagen schnellst möglich gewendet hatte, beinahe gleichzeitig auf dem kleinen Parkplatz an dem Stall ein. Sofort machte dort alles einen heftig überfüllten Eindruck. Angelika Scherm lief auf die Beamten zu und rief:
„Schalten Sie bitte das Blaulicht aus! Die Pferde sind schon ganz panisch. Nicht dass noch einer versucht weg zu laufen und sich verletzt oder über den Zaun springt!“
Die Polizisten reagierten nur zögernd. Ihr Fokus war auf die anstehenden Aufgaben gerichtet.
Nach einer erneuten eindringlichen Aufforderung kamen sie den Bitten der Stallbesitzerin allerdings nach und sahen erstaunt, dass die Aufregung unter den Pferden sofort weniger wurde. Von echter Entspannung konnte aber noch nicht die Rede sein.
Einer der beiden Uniformierten ging auf Frau Scherm zu.
„Sind Sie Frau Scherm? Wo liegt der Mann denn?“
Angelika wendete sich um und gab den Polizisten ein Zeichen ihr zu folgen.
„Da hinten, auf der Koppel! Die Pferde sind eingesperrt, die können jetzt nicht hinter. Sie können die Koppeltür auflassen.“
Werner Meier hatte die Kollegen zügig überholt und forderte Sie jetzt auf zu warten. Die Sanitäter des Krankenwagens waren im Laufschritt hinter den anderen her geeilt und ließen sich nicht aufhalten. Sie rannten auf den am Boden liegenden Mann zu, stellten ihre Koffer ab und machten sich an ihm zu schaffen. Nach wenigen Sekunden stand der eine auf und ging auf Werner Meier zu.
„Tut mir leid, der ist tatsächlich tot! Da könne wir nichts mehr tun. Wir warten jetzt auf den Notarzt. Der kommt mit seinem eigenen Einsatzwagen. Der kann dann den Tod offiziell feststellen und die Papiere erledigen.“
Im selben Augenblick raste ein weiterer Wagen mit Blaulicht und Sirene an der Einfahrt zum Stall vorbei. Der Sanitäter, der zuerst bei dem Toten geblieben war, stand auf, zog sein Handy aus der Tasche und wählte eine Nummer.
Jetzt ging Werner Meier zu dem Toten. Nach einem kurzen Blick auf den Mann erhob er sich und drehte sich einmal um sich selbst.
Was wollte dieser Mann hier in der Einöde?
Er schickte alle Anwesenden ein paar Meter zurück und richtet sich an Frau Scherm.
„Gibt es noch eine anderen Weg auf diese Koppel?“
„Nein, es ist mir total schleierhaft, wie der hierher gekommen ist. Auf der Seite ist der Zaun vom Flugplatz und auf der anderen der Längenmühlbach. Der ist zu breit um da drüber zu springen. Ich könnte es jedenfalls nicht. Und vorn ist das Tor zugeschlossen gewesen. Ich habe es aufgesperrt, wie ich gekommen bin!“
Als der Kommissar sich auf machte, um die Angaben selbst zu überprüfen, fuhr der Notarztwagen wieder mit Blaulicht und Sirene in umgekehrter Richtung auf die Einfahrt zu, gefolgt von einem weiteren Wagen im Tiefflug. Kurz bevor er die Abzweigung erreicht hatte, hörten alle einen der Sanitäter rufen:
„Halt, langsam! Da geht’s rein!“
Der Notarztwagen legte beinahe eine Vollbremsung hin und in Folge auch der zweite Wagen. Das war knapp, beinahe hätte es gekracht.
Werner Meier richtete sich auf und schrie:
„Macht langsam, ihr könnt hier keinem mehr helfen! Mann- o – Mann...“
Angelika Scherm spurtete schon auf den Eingang zu.
Atemlos kam sie bei den beiden ankommenden Wagen an. Die Pferde galoppieren wieder wie wild auf dem Paddock herum.
„Bitte, schnell – machen sie die Blaulichter und die Sirene aus. Die Pferde flippen aus. Schnell!“
Der Notarzt war auf den Vorplatz gefahren und tat verwirrt, was ihm geheißen wurde. Michael Wiesner musste schon draußen auf dem Weg parken. Es war kein Platz mehr.
Die beiden Männer begleiteten Angelika Scherm zurück auf die Koppel.
Der Notarzt gesellte sich zu den beiden Sanitätern und begab sich dann mit den beiden zu dem Toten. Michael ging auf seinen Chef zu.
„Ziemlich kurios das Ganze“, begrüßte ihn sein Vorgesetzter. „Ich glaube, wir kommen nicht drum rum die Spurensicherung zu rufen.“
Nach einem kurzen Telefonat machte er sich auf die Suche nach Angelika Scherm.
Er sah sie auf dem Paddock bei den Pferden. Sie versuchte die immer noch ziemlich aufgeregten Tiere zu beruhigen. Sie stand bei einer großen braunen Stute und redete sanft auf sie ein. Das Pferd spielte mit den Ohren, während es weiter den kleinen Vorplatz beobachtete. Als Angelika dem Tier über die Schulter und den Hals streichelte, senkte es den Kopf und die Anspannung verließ das Pferd. Es drehte sich um und ging auf die Heuraufe zu. In diesem Moment entspannten sich auch die anderen Tiere und begannen zu fressen. Angelika ging noch einmal von Tier zu Tier und streichelte jedem über die Schulter, nur ein kleines Pony, dass im hinteren Teil des Paddocks völlig ungerührt weiter das spärliche Gras geknabbert hatte, ließ sie aus.
Dann verließ sie den Paddock.
Kapitel 3
Herr Meier fing sie ab.
„Frau Scherm, haben sie einen Moment Zeit für mich?“
„Ja, natürlich!“ Frau Scherm lief auf den Beamten zu.
„Frau Scherm, haben sie sich den Mann genau angesehen? Kannten sie ihn?“
„Nein, der ist mir völlig fremd und wenn ich ehrlich sein soll, bin ich ziemlich schockiert. Nicht nur , dass ein wildfremder Mann auf mein Gelände kommen kann. Ich meine, das ist hier alles abgesperrt, wenn ich weg bin. Und der wildfremde Mann ist auch noch tot. Wie kann denn das sein?“
„Ja, Frau Scherm, das ist in der Tat ziemlich ungewöhnlich. Sie sind sicher, dass sie den Mann nicht kennen?“
„Völlig sicher. Sagen sie Herr...“
„Meier, Werner Meier – Kriminalkommissar bei der Kripo Ingolstadt und da kommt auch mein Mitarbeiter! Michael Wiesner – Anwärter zum Kriminalkommissar ebenfalls Kripo Ingolstadt.“
„Sagen Sie, Herr Meier… Ich möchte nicht zickig sein, aber wie geht es denn jetzt weiter. Ich muss noch ausmisten, die Koppel abmisten und eigentlich müsste ich schon in der Arbeit sein...“
„Ja, Frau Scherm, das wird heute noch länger dauern. Die Situation ist so, dass wir die Spurensicherung angefordert haben. Die werden jetzt dann auftauchen. Wir müssen das Gelände absuchen, denn es ist, wie sie ja schon gesagt haben, nicht offensichtlich, wie der Mann hier her gekommen ist. Wir müssen also davon ausgehen, dass es zumindest Einbruch war, wenn Sie den Mann nicht selbst hereingelassen haben, und die Todesursache muss auch festgestellt werden. Wir müssen das Ganze auf jeden Fall genauer untersuchen, bevor wir wieder abrücken können. Am besten rufen Sie in ihrer Arbeit an und sagen Bescheid, dass sie heute nicht kommen können. Sie werden sich ja auch nach dem Vorfall nicht besonders wohl fühlen.“
„Nicht wohl fühlen ist leicht untertrieben. Ich fühle mich als hätte mich jemand durch den Wolf gedreht. Und ich mache mir Sorgen. Das hat ja sicher Auswirkungen auf mich und meinen Stall.
Da die Nachbarschaft schleicht auch schon vorbei und reckt die Krägen...“
Angelika deutete auf ein Bundeswehrfahrzeug, das extrem langsam auf der anderen Seite des Zauns vorbei fuhr.
„Das wird die Wachrunde sein. Ich habe mich hier immer ziemlich sicher gefühlt, weil ja die Wache die ganze Nacht über öfter vorbeifährt. Ich habe wirklich gedacht, dass sich hier keiner rein trauen würde.
Ich meine, die Pferde sind ja auch nicht ganz harmlos. Die können sich schon wehren, wenn ihnen jemand blöd kommt. Und die Wache fährt immer wieder vorbei...“
Werner Meier hatte sich ebenfalls zu dem Fahrzeug gewandt und machte dem Fahrer Zeichen anzuhalten. Das Auto hielt an und ein uniformierter Mann stieg aus.
„Entschuldigen Sie, mein Name ist Werner Meier, Kriminalkommissar der Kripo Ingolstadt. Fahren Sie hier Wachrunde?“
„Ja, im Moment bin ich gerade auf Tour. Was ist hier denn passiert, das sieht ja gefährlich aus!“
„Wir haben einen Toten auf der Koppel von Frau Scherm gefunden. Es wäre interessant zu wissen, ob jemand von Ihnen etwas beobachtet hat. Sie fahren doch regelmäßig hier vorbei, oder? Auch nachts...“