Band 2: Die Feier der Eucharistie
Luzerner Biblisch-Liturgischer Kommentar zum Ordo Missae –
Erschließung 2
www.bibelwerk.de
ISBN 978-3-460-33139-6
Alle Rechte vorbehalten
© 2017 Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH, Stuttgart
Für die Texte aus der Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift:
© 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart
Umschlaggestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart
Satz: Corrigenda, Erfurt
Druck und Bindung: Finidr s.r.o., Český Těšín, Tschechische Republik
Auch als E-Book erhältlich unter ISBN 978-3-460-51035-7
Vorwort
Einführung in die Gabenbereitung
Segensgebete über Brot und Wein
Stille Begleitgebete und -handlungen
Einladung zum Gabengebet
Einführung in das Eucharistische Hochgebet
Eröffnungsdialog des Eucharistischen Hochgebets
Sanctus
Einsetzungsbericht und Erschließung der Deuteworte von Brot und Wein
Gemeindeakklamation
Schlussdoxologie des Eucharistischen Hochgebets
Vaterunser
Einschub und Lobpreisung zum Vaterunser
Friedensritus
Brotbrechung und Lamm Gottes
Stilles Gebet des Priesters vor der Kommunion
Einladung zur Kommunion
Kommunionspendung
Reinigung der liturgischen Gefäße
Entlassung
Glossar und Abkürzungsverzeichnis
Hiermit können wir den zweiten Band der biblisch-liturgischen Erschließung der Eucharistiefeier vorlegen. Auch dieses Buch steht nochmals unter dem Anliegen, „mit der Bibel die Messe [zu] verstehen“. Diese Leitidee verbindet beide Bände zu einer Einführung in das Verständnis der Texte und Riten der Eucharistiefeier, die immer gleich bleiben. Sie möchte helfen, das verständlich zu machen, was Christinnen und Christen regelmäßig feiern. Dabei wird ein besonderes Augenmerk gelegt auf den vielfach und auf intensive Weise eingewobenen biblischen Hintergrund zahlreicher Aussagen und Leitgedanken.
Erneut baut diese Erschließung auf den bisher erschienenen drei Bänden des Luzerner Biblisch-Liturgischen Kommentars zum Ordo Missae (LuBiLiKOM) auf, in dem die Frage nach dem Einfluss der biblischen Überlieferung auf das Verständnis der Eucharistiefeier auf wissenschaftlicher Ebene erarbeitet wurde. Für die Bearbeitung des Eucharistischen Hochgebets konnte auf die Vorarbeiten zum vierten Band des wissenschaftlichen Kommentars zurückgegriffen werden.
Das vorliegende Buch hat jene vielen Menschen im Blick, denen die Vertiefung ihres liturgischen Feierns und Verstehens ein Anliegen ist, ohne dass dafür eine größere theologische Bildung vorausgesetzt werden muss. Jede Leserin und jeder Leser möge selbst entscheiden, bei welchem Teil der Ausführungen jeweils das besondere Interesse liegt. Anderes mag in den Hintergrund treten. Mit Gewinn kann der Text der gleich bleibenden Texte der Eucharistiefeier begleitend herangezogen werden. Er findet sich im Gotteslob (Nr. 580–591) sowie im Katholischen Gesangbuch der Schweiz (Nr. 29–33). Biblische Texte wurden zumeist nach der bisherigen Einheitsübersetzung zitiert oder in einer wortgetreuen Arbeitsübersetzung wiedergegeben. Auch bei diesem zweiten Band der biblisch-liturgischen Erschließung wurde darauf geachtet, dass jeder Abschnitt in sich vollständig bleibt. Die da und dort entstandenen Überschneidungen wurden bewusst belassen. Sie können als wiederholende Vertiefungen betrachtet werden.
Der weit ausholende inhaltliche Bogen von der Gabenbereitung über das Eucharistische Hochgebet zu Kommunionfeier und Entlassung macht es notwendig, dass zahlreiche gewichtige theologische Themen zur Sprache kommen. So mag es sinnvoll sein, sich das Buch Stück für Stück anzueignen und auch entsprechende Reflexionsphasen einzuschalten. Das Ziel ist nicht nur eine Vermehrung des entsprechenden Wissens, sondern die persönliche und / oder gemeinschaftliche Aneignung mit der Absicht, das aufmerksame und bewusste Feiern der eucharistischen Liturgie, die im Zentrum unseres Glaubens und Lebens steht, nachhaltig zu fördern.
All jenen, die auch bei diesem Band mitgeholfen und zu seiner Entstehung beigetragen haben, sei an dieser Stelle herzlich gedankt: Da ist Judith Heinemann, die im Hinblick auf eine gute Lesbarkeit das Manuskript des vorliegenden Bandes Korrektur gelesen hat, Daniela Kranemann, die bei allen Bänden dieser Reihe das Layout übernommen hat, und Ulrike Voigt, die seitens des Verlags die Betreuung der Drucklegung innehatte.
Möge dieses Buch dazu beitragen, dass wir verstehen, was wir feiern, und im Leben verwirklichen, was sich uns in der Liturgie geistlich erschließt.
Luzern, den 6. August 2017,
dem Fest der Verklärung des Herrn
Birgit Jeggle-Merz
Walter Kirchschläger
Jörg Müller
Das Neue Testament berichtet vom letzten Abendmahl Jesu folgendes: Jesus nahm das Brot und den Kelch, sprach den Lobpreis, brach das Brot und reichte beides seinen Jüngern mit den Worten: „Nehmt, esst und trinkt, das ist mein Leib, das ist der Kelch meines Blutes. Tut dies zu meinem Gedächtnis“ (vgl. Mk 14,22–24 par; 1 Kor 11,23–26). Der eucharistische Teil der Messfeier ist diesem Bericht nachgebildet. Er beginnt mit der Gabenbereitung, bei dem der Altar gedeckt wird und Brot und Wein sowie Wasser zum Altar gebracht werden. Dann betet die versammelte Gemeinde unter der Führung des Priesters das Eucharistische Hochgebet, jenes große lobpreisende Gebet, in dem Gott für sein Heilshandeln in Jesus Christus Dank gesagt wird und der Herr selbst in Leib und Blut gegenwärtig wird. In der Kommunion nehmen die Gläubigen dann an der eucharistischen Tischgemeinschaft teil, sie empfangen diesen Leib und dieses Blut und werden so zur Einheit im Leib Christi zusammengeführt.
Ähnlich wie bei einem festlichen Mahl das Herrichten der Tafel einen wesentlichen Teil der Vorbereitung darstellt, so hat auch die Gabenbereitung innerhalb der Eucharistiefeier ihre Aufgabe: Brot und Wein werden für die Feier der Eucharistie bereitet, was bedeutet, dass die Gemeinde diese Gaben vor Gott trägt. Die Gabenbereitung besteht aus vielen kleinen Handlungsabschnitten, die mit Gebeten begleitet werden. Oftmals werden diese Gebete vom Priester leise gesprochen. Die Gemeinde sieht zwar, was am Altar geschieht und kann dieses Geschehen nachvollziehen. Die Deutung der rituellen Handlung durch das Gebet erschließt sich ihr aber in der Regel nicht.
Zunächst spricht der Priester über Brot und Wein, die ihm von Ministrantinnen und Ministranten (oder auch von weiteren Personen) gebracht werden, folgende Segensgebete:
Gepriesen bist du, Herr, unser Gott, Schöpfer der Welt. Du schenkst uns das Brot, die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit. Wir bringen dieses Brot vor dein Angesicht, damit es uns das Brot des Lebens werde.
Gepriesen bist du, Herr, unser Gott, Schöpfer der Welt. Du schenkst uns den Wein, die Frucht des Weinstocks und der menschlichen Arbeit. Wir bringen diesen Kelch vor dein Angesicht, damit er uns der Kelch des Heiles werde.
Dazu werden Hostienschale und Kelch jeweils etwas emporgehoben. Die Gemeinde kann, wenn die Gebete laut gesprochen werden, darauf jeweils antworten: „Gepriesen bist du in Ewigkeit, Herr, unser Gott.“
Zwischen den Segensgebeten über Brot und Wein sowie dem Gabengebet, das die Gabenbereitung abschließt, werden vom Priester oder gegebenenfalls vom Diakon weitere kurze Gebete gesprochen. Das Eingießen von Wein und Wasser in den Kelch wird begleitet mit folgenden Worten:
Wie das Wasser sich mit dem Wein verbindet zum heiligen Zeichen, so lasse uns dieser Kelch teilhaben an der Gottheit Christi, der unsere Menschennatur angenommen hat.
Nach dem Segensgebet über den Wein folgt das sogenannte Annahmegebet:
Herr, wir kommen zu dir mit reumütigem Herzen und mit demütigem Sinn. Nimm uns an und gib, dass unser Opfer dir gefalle.
Die sich anschließende Händewaschung wird ebenso mit einem Gebet begleitet:
Herr, wasche ab meine Schuld, von meinen Sünden mache mich rein.
Die Allgemeine Einführung in das Messbuch bemerkt dazu, dass der Priester diese Gebete „manchmal nur im eigenen Namen betet, um seinen Dienst mit größerer Sammlung und Andacht zu erfüllen“.
An das Annahmegebet kann sich eine Beräucherung mit Weihrauch anschließen. Besonders in festlichen Gottesdiensten wird von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Der Priester beweihräuchert Brot und Wein auf dem Altar, umschreitet anschließend mit zwei Ministrantinnen bzw. Ministranten den Altar und schwingt dazu das Weihrauchfass. An dieser Stelle werden dann auch Personen inzensiert – so das Fachwort für beweihräuchern. Das ist das einzige Mal in der Eucharistiefeier, wo dies geschieht. Es werden der Priester und anschließend die ganze Gemeinde inzensiert. Damit wird die priesterliche Würde aller Versammelten zum Ausdruck gebracht.
Die Gabenbereitung findet ihren Abschluss im Gabengebet. Das deutschsprachige Messbuch gibt drei unterschiedliche Gebetseinladungen an. Diese Gebetseinladungen betonen Unterschiedliches und greifen je verschieden auf das weitere Geschehen der Eucharistiefeier aus. Im Frühmittelalter hat sich für das Gabengebet eine besondere Gebetsaufforderung entwickelt, die heute der Form C im Messbuch entspricht.
Form A: |
Form B: |
Form C: |
P: Lasset uns beten zu Gott, dem allmächtigen Vater, |
P: Lasset uns beten. Oder eine andere geeignete Gebetseinladung. |
P: Betet, Brüder und Schwestern, dass mein und euer Opfer Gott, dem allmächtigen Vater gefalle. |
dass er die Gaben der Kirche annehme zu seinem Lob und zum Heil der ganzen Welt. |
Alle verharren eine kurze Zeit in stillem Gebet. |
A: Der Herr nehme das Opfer an aus deinen Händen zum Lob und Ruhm seines Namens, zum Segen für uns und seine ganze heilige Kirche. |
Bei Form A und C folgt ohne Gebetsstille das vom Priester gesprochene Gabengebet, das die Gemeinde mit dem „Amen“ bekräftigt.
Zu Beginn der Gabenbereitung werden Brot und Wein zum Altar gebracht. Der Priester nimmt die Gaben entgegen und spricht folgendes Segensgebet über das Brot:
Gepriesen bist du, Herr, unser Gott, Schöpfer der Welt. Du schenkst uns das Brot, die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit. Wir bringen dieses Brot vor dein Angesicht, damit es uns das Brot des Lebens werde.
Es folgt das Segensgebet über den Wein:
Gepriesen bist du, Herr, unser Gott, Schöpfer der Welt. Du schenkst uns den Wein, die Frucht des Weinstocks und der menschlichen Arbeit. Wir bringen diesen Kelch vor dein Angesicht, damit er uns der Kelch des Heiles werde.
Die Gemeinde kann darauf antworten:
Gepriesen bist du in Ewigkeit, Herr, unser Gott.
In den Begleitgebeten zur Gabenbereitung klingt eine ganze Reihe biblischer Motive an:
Gepriesen bist du, Herr, (unser Gott), Schöpfer der Welt. Du schenkst uns das Brot, den Wein, die Frucht der Erde des Weinstocks und der menschlichen Arbeit. Wir bringen dieses Brot diesen Kelch vor dein Angesicht, damit es / er uns das Brot des Lebens der Kelch des Heiles werde. Gepriesen bist du in Ewigkeit, Herr, unser Gott. |
1 Chr 29,10; Ps 119,12 2 Makk 7,23; 13,14; vgl. Gen 1f; Ps 104 Gen 28,20; Ex 16; Ps 104,14; 127,2; 146,7; Joh 6 Ps 104,15; Jes 25,6-8; Joh 2,1-11; Vgl. Mk 4,26-28 Mk 14,25 par Gen 3,17-19; Ps 104,14 Lev 23,9-14; 24,5-9 Lev 23,9-14; 24,5-9 Joh 6 Ps 116,13; 1 Kor 10,16 Vgl. Dan 3,26.52-56 |
Der Beginn der Segensgebete „Gepriesen bist du, Herr, unser Gott“ erinnert an jüdisches und frühchristliches Beten. Im jüdischen Gebetsleben beginnt mit diesen Worten eine lobpreisende Gebetsform, die die Bezeichnung berakaträgt. Diese Gebetsform liegt auch dem christlichen Beten zugrunde. Gott wird im Alten Testament oft in dieser Weise angesprochen. So beginnt beispielsweise König David sein Dankgebet an Gott für den Beginn des Tempelbaus mit diesen Worten (vgl. 1 Chr 29,10). In der Heiligen Schrift finden sich zudem Segensgebete über Speisen, die derselben Struktur folgen.
Die beiden Segensgebete sind jeweils in der ersten Hälfte von Schöpfungsmotiven durchdrungen (vgl. Gen 1f; Ps 104). Gott wird zum einen direkt als „Schöpfer der Welt“ angesprochen. Zum anderen wird herausgestellt, dass dieses Wirken des Schöpfers im Geben von Brot und Wein verdeutlicht wird, denn Gott ist die eine Quelle aller Gaben. Dies erinnert sowohl an die Manna-Erzählung (Ex 16) im Rahmen der Wüstenwanderung des Volkes Israel als auch an die Brotrede Jesu nach der Speisung der Fünftausend (Joh 6). Wein als Getränk steht biblisch für die Festfreude. Unentbehrlich ist der Wein daher bei einem Festmahl. Deshalb begegnet das Motiv des Weines beim Festmahl Gottes (Jes 25,6–8) sowie bei der Hochzeit zu Kana (Joh 2,1–11); bei allen weiteren Mählern Jesu ist es ebenso vorausgesetzt, besonders natürlich bei der Feier des letzten Abendmahles (Mk 14,22–24 par; 1 Kor 11,23–26).
Die Segensgebete verdeutlichen, dass sich die göttlichen Gaben einem Zusammenspiel verdanken: Da ist die natürliche Quelle einerseits („Frucht der / des“) und der menschliche Einsatz auf der anderen Seite. Auch dieses Zusammenspiel ist biblisch grundgelegt: Der menschliche Anteil wird dabei unterschiedlich schweißtreibend entfaltet (vgl. Gen 3,17–19 gegenüber Ps 104,14). Immer wird betont, dass Wachstum durch den Menschen allein jedoch nicht machbar ist (vgl. Mk 4,26–28; 1 Kor 3,6f).
Im Segensgebet wird das Brot (und auch der Wein) vor das „Angesicht Gottes“ gebracht. Dies kann als Spur zum (Tempel-)Kult verstanden werden: Hier kommen das „Fest von der ersten Garbe“ (Lev 23,9–14) und die „Schaubrote“ (vgl. Ex 25,30; 40,23; Lev 24,5–9; 1 Sam 21,2–7) in den Sinn.
Schlussendlich kommt in beiden Gebeten zum Ausdruck, dass Brot und Wein zum „Brot des Lebens“ und zum „Kelch des Heiles“ werden. Ersteres ist neutestamentlich auf Jesus selbst zu beziehen, der sich in der Brotrede (Joh 6) als „Brot des Lebens“ zu erkennen gibt. Letzteres verweist auf 1 Kor 10,16 (und Ps 116,13), wo Paulus den „Kelch des Segens“ von den anderen Bechern beim Herrenmahl in Korinth unterscheidet.
Die lobpreisende Anrede begegnet in der Bibel vor allem in der dritten Person: „gepriesen / gesegnet ist bzw. sei der Herr“. Diese Gebetsformel ist fester Bestandteil des religiösen Lebens im Alten Testament und im Judentum: Der biblische Mensch, der sein ganzes Leben in und aus der Hand des Schöpfers weiß, kann seinen Glauben, seine Dankbarkeit und seine Hoffnung am besten zum Ausdruck bringen, indem er Gott die Ehre gibt. Dabei kann Gott ganz unterschiedlich angesprochen werden: als „du“, als „Herr“ (2 Sam 22,2), als „Herr, mein Gott“ (2 Sam 7,18), als „Herr, der Gott Israels“ (1 Sam 10,18), als „Retter Israels“ (1 Sam 14,39) oder als „Herr, Gott unserer Väter“ (1 Chr 29,18).
Der betenden Person oder der betenden Gemeinschaft geht es um Dank und Lob, sie können aber auch in der Situation von Bedrohung und Gefährdung stehen, wenn sie sich in dieser Weise an Gott wenden. So findet sich diese Gebetsformel auch im Zusammenhang von Rettung und Bitten.
Dass Gott der Schöpfer der Welt ist, ist biblische Grundüberzeugung (Gen 1f; Ps 104). Die Wendung „Schöpfer der Welt“ findet sich allerdings selten und nur in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, in der sog. Septuaginta. Eher wird vom schaffend-schöpferischen Gott erzählt und berichtet, auf welche Art er handelt (z. B. Jdt 13,17f). Auch in der Gebetsanrede im Zusammenhang von Bitte und Dank wird Gott oft als „Schöpfer“ angesprochen. Dabei spielt die erflehte oder bejubelte Rettung vor den Feinden eine wichtige Rolle. Der Ausdruck „Schöpfer der Welt“ begegnet in 2 Makk 7,23 im Zusammenhang des Bekenntnisses zu Gott.
Gott ist nicht nur der Schöpfer des Großen und Ganzen, sondern Gott wirkt auch lebenserhaltend im Kleinen – Tag für Tag. Von Gott kommt, was alle Geschöpfe zum Leben brauchen. Auf Gottes Befehl bringt nicht nur die Erde Pflanzen hervor (Gen 1,11f), sondern Gott wird auch als Geber von Brot angesehen (z. B. Ps 127,2) und in die Pflicht genommen (z. B. Gen 28,20). Gegenüber der heidnischen Umwelt, die teils die „Muttererde“ als eigene Gottheit verehrte, betont das Alte Testament, dass bei der Versorgung der Geschöpfe mit Nahrung immer Gott im Hintergrund steht. Darüber hinaus gibt Gott Brot, und zwar das Manna als das „Brot vom Himmel“ (Ex 16,4; Neh 9,15; Ps 78,24). Nur der Vater, so Joh 6,32f, gibt das wahre Brot vom Himmel, das Jesus selber ist.
Auch Wein kommt von Gott. Während Brot das Überlebensnotwendige verkörpert, steht Wein für Luxus, Überfluss, Fülle und Festfreude. Fehlt der Wein, so ist dies gleichbedeutend mit der Abwesenheit von Freude und Jubel. Ein Hochzeitsfest ohne ausreichenden Wein hat den Namen nicht verdient, so wie es auch beim ersten Wunder Jesu in Joh 2,1–11 deutlich wird: Jesus sorgt durch die Verwandlung von Wasser in Wein für den entsprechenden Nachschub an Wein und hält damit die Festfreude in Gang. Andere Evangelien berichten von Jesus, der Festen und Weingenuss nicht abgeneigt ist, was ihm seine Gegner auch entsprechend vorwerfen (Mt 11,19 par Lk 7,34). Jesus feiert gern und dies meistens in gesellschaftlich nicht akzeptierten Runden: Zöllner, Sünder, Außenseiter (Mk 2,16; Lk 15,1f). Gerade in der Art, wie Jesus Mahl hält, wird konkret sichtbar: Die Königsherrschaft Gottes bricht an (Mk 1,15), sodass das endzeitliche Mahl Gottes (Jes 25,6–8) bereits im Hier und Jetzt aufblitzen kann, mitten im Alltag.
Bei der Gabenbereitung rufen Brot und vor allem Wein somit biblisch weitreichende Gedankenverknüpfungen wach. Gleichzeitig betonen die Begleitgebete beides als Gaben Gottes: Gott schenkt Brot, Gott schenkt Wein.
Die Gaben Gottes fallen nicht vom Himmel. Sie sind „Früchte“ der Erde und Ergebnis menschlichen Einsatzes. Sah der paradiesische Garten noch ein relativ unbeschwertes Leben und Versorgtsein des Menschen von den Früchten der Erde vor (Gen 2,9.16), so betont Gen 3,17–19 nach der Vertreibung die Härte des Broterwerbs außerhalb des Paradieses. Der Mensch hat also seinen Teil zu leisten (Bebauung, Saat und Ernte). Dabei kann er das Wachstum nicht selbst bestimmen, denn Gott schenkt das Wachstum (1 Kor 3,6f), ja es passiert über Nacht (Mk 4,26–28). Entsprechend muss der Bauer geduldig auf die Frucht der Erde warten (Jak 5,7).
In der Brotrede (Joh 6,22–59) stellt sich Jesus selbst in einem der sieben „Ich-bin-Worte“ als „Brot des Lebens“ vor. Damit erschließt er sein Wesen und bringt zum Ausdruck, was er für die Menschen bedeutet. Als Brot, das vom Himmel herabkommt (V. 32f.50f, vgl. auch V. 41), gibt er der Welt ewiges Leben (V. 33.58).
In den Berichten über das letzte Abendmahl sprechen Lukas und Paulus davon, dass „dieser Kelch der neue Bund in meinem [= Jesu] Blut“ ist (Lk 22,20; 1 Kor 11,25). Vom „Kelch der Rettung“ wird in Ps 116,13 gesprochen: Nach erfahrener Rettung will der Betende auch den Kelch der Rettung bzw. des Heiles erheben. Dieser Becherritus, der parallel zum Schlachten des Dankopfers (Ps 116,17) steht, kündigt im feierlichen Lob- und Dankmahl die rituellen Handlungen an.
In 1 Kor 11,16 argumentiert Paulus mit dem „Kelch / Becher des Segens“: Alle, die den Becher in guter Absicht teilen, bekommen Anteil am Blut Christi. Paulus führt somit vor Augen, dass der Kelch eine Gemeinschaft stiftet – mit Christus sowie den Menschen untereinander.
Die Begleitgebete bringen die dankbare Zustimmung zum Ausdruck, dass der Mensch sich als Geschöpf Gottes versteht und sich letztlich einem Anderen verdankt. Er ist auf diese Weise zur Teilnahme am Leben des Schöpfers bestimmt und aufgerufen. Wenn Gott als der Schöpfer des Großen und der Geber der Gaben im Kleinen angesprochen wird, ist dies ein grundsätzliches Bekenntnis zu dem einen Gott, dessen liebend-sorgende Zuwendung zur ganzen Schöpfung die Grundlage jeden Lebens darstellt.
Brot und Wein werden in der Feier der Eucharistie zu Leib und Blut Christi, bleiben aber auch Zeichen für die gütige Schöpfung Gottes. Hier erweist sich noch einmal mehr und sehr konkret Gottes Handeln als Schöpfer der Welt. Deshalb gilt der Dank dem Schöpfer für das Brot und den Wein, die jeweils „Frucht der menschlichen Arbeit“ sind, zunächst aber „Frucht der Erde“ und „des Weinstocks“, also Gaben des Schöpfers. Es geht weniger darum, dass Menschen Brot und Wein eine besondere symbolische Bedeutung geben. Vielmehr wird in Brot und Wein das Heilshandeln Gottes in der Gegenwart als wirksam erfahrbar. Dieses nimmt in der Schöpfung seinen Anfang und findet in Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi seinen Höhepunkt.
Im Alltag ist das Brot Grundnahrungsmittel für das irdische Leben. Der das Brot schenkende Gott erinnert an das Manna-Wunder des Alten Testaments. Darüber hinaus besteht in der Feier der Eucharistie das Wesen des Brotes darin, dass es zum Leib Christi wird, zu Christus selbst, den die Feiernden empfangen. Die erbetene Wandlung zum „Brot des Lebens“ verweist auf den sich im Brot schenkenden Gott. Der Wein ist Ausdruck einer überfließenden Fülle, die in Jubel ausbrechen lässt.
Zum Lobpreis Gottes gehört ganz wesentlich der Ruf „Gepriesen sei Gott“ bzw. „Gepriesen bist du, Herr, unser Gott“. In ihm wird deutlich, dass Gott sich ganz den Geschöpfen zuwendet. Zwischen Gott und Mensch besteht ein Band, das ermöglicht, vor Gott zu treten und sein Heil zu erfahren. Wenn die Kirche so den eucharistischen Teil der Messfeier beginnt, stellt sie sich in die Gebetstradition der Bibel und des Judentums. Sie schließt damit auch an die Praxis Jesu an, der bei seinen Mählern und Speisungen und ebenso beim letzten Abendmahl ganz in jüdischer Tradition stehend „Dank sagte“ und „den Lobpreis sprach“. Wenn Christinnen und Christen Eucharistie feiern, werden die Gaben von Brot und Wein vor Gott getragen als Zeichen dafür, dass der Mensch in der Liturgie mit allem, was ihn bewegt, sich vor Gott öffnet und sich in das liturgische Geschehen einbringt. Darin bekunden die Mitfeiernden ihren Willen zur Nachfolge.
Wenn das Begleitgebet zur Gabenbereitung formuliert „wir bringen dieses Brot / diesen Kelch vor dein Angesicht“, dann lässt dies eine Verbindung zum (Tempel-)Kult aufscheinen. Damals und auch heute tragen Menschen mit Lob und Dank etwas von dem vor Gott, was ihnen Gottes schöpferische Güte schenkt. Dieses Brot wird geheiligt, d. h. es soll den Mitfeiernden zum „wahren Himmelsbrot“ werden: „Selig, die zum Hochzeitsmahl des Lammes geladen sind“ (vgl. Offb 19,9).
Die beiden Segensgebete werden in der Regel leise gesprochen. Gegen das laute Beten wird immer wieder ins Feld geführt, dass dies eine Art Verdoppelung des nachfolgenden Eucharistischen Hochgebets darstellen könnte. Doch füllen diese Begleitgebete nicht die kurze Formulierung im Einsetzungsbericht „sprach den Lobpreis / dankte“ gewissermaßen mit Leben? Machen Sie das, was im Eucharistischen Hochgebet folgen wird, nicht schon einmal ganz konkret?
Und tatsächlich lenken diese Gebete den Blick nach vorne und bilden eine Art Schlüssel, der das folgende Geschehen im Eucharistischen Hochgebet verständlich zu machen hilft. Umgekehrt greift das Hochgebet, das als „Mitte und Höhepunkt“ der Eucharistiefeier erfahren werden soll – so die Allgemeine Einführung in das Messbuch –, die Handlungen der Gabenbereitung wieder auf. Die liturgische Handlung wird anschließend im Brotbrechen und Austeilen der Gaben in der Kommunion fortgeführt. Gabenbereitung, Hochgebet und Kommunion sind also aufeinander bezogen. Dabei kommt den Segensgebeten zur Bereitung der Gaben die Funktion zu, die feiernde Gemeinde auf das vorzubereiten, was sich im Eucharistischen Hochgebet vollziehen wird: Das Brot wird zum Leib Christi, zum „Brot des Lebens“, der Kelch mit Wein wird zum Blut Christi, zum „Kelch des Heiles“. Im „Kelch des Heiles“ klingt bereits an, dass die Gemeinde im Hochgebet Gott danken wird für die Rettung, die dieser an ihr bereits bewirkt hat.
Brot und Wein werden gewissermaßen zum Symbol für all das, was die Gemeinde bei der Eucharistiefeier von sich selbst Gott zum Opfer bringt und im Geiste darbietet. Es ist wichtig, daß dieser erste Akt der eucharistischen Liturgie im engeren Sinn auch im Verhalten der Teilnehmer zum Ausdruck kommt. Dem entspricht die sogenannte Gabenprozession.
In einer solchen Gabenprozession bringen Vertreterinnen und Vertreter der Feiergemeinde die Gaben zum Altar, wo sie vom Priester entgegengenommen werden. Um diesen Vorgang in seiner ganzen Tiefe und Bedeutung wirksam werden zu lassen, ist es sinnvoll, die Segensgebete, die dann vom Priester gesprochen werden, unmittelbar nach der Entgegennahme laut zu sprechen: „Wir bringen […] vor dein Angesicht“. Es sind die Gaben der Liturgie feiernden Christinnen und Christen, die dann im Eucharistischen Hochgebet zu Leib und Blut Christi werden. Es ist auch zu überlegen, die Gebete dabei nicht hinter dem Altar, sondern vor ihm stehend zu sprechen, um den Eindruck einer Doppelung zu vermeiden. In jedem Fall sollte sich die Gemeinde mit der sich anschließenden Akklamation „Gepriesen bist du in Ewigkeit, Herr, unser Gott“ das Segensgebet zu eigen machen. So wird sicht- und hörbar, dass die Feiernden gemeinsam Eucharistie, d. h. Danksagung, feiern.
Die Segensgebete über Brot und Wein verdeutlichen, dass der Mensch teil hat an dem Heilsplan Gottes, der in der Schöpfung beginnt, seinen Höhepunkt in Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi findet und sich im Heute fortsetzt. In Brot und Wein wird das Heilshandeln Gottes in der Gegenwart als wirksam erfahrbar.
1Dieser Beitrag geht zurück auf den wissenschaftlichen Kommentar zu „Segensgebete über Brot und Wein“ von Christian Schramm / Nicole Stockhoff, in: Birgit Jeggle-Merz / Walter Kirchschläger / Jörg Müller (Hrsg.), Das Wort Gottes hören und den Tisch bereiten. Die Liturgie mit biblischen Augen betrachten, Stuttgart 2015 (Luzerner Biblisch-Liturgischer Kommentar zum Ordo Missae 2) 79–95.
Zwischen den Segensgebeten über Brot und Wein sowie dem Gabengebet, das die Gabenbereitung abschließt, werden vom Priester oder gegebenenfalls vom Diakon verschiedene kurze Gebete gesprochen. Zum einen ist das ein Gebet, welches das Eingießen von Wein und Wasser in den Kelch begleitet:
Wie das Wasser sich mit dem Wein verbindet zum heiligen Zeichen, so lasse uns dieser Kelch teilhaben an der Gottheit Christi, der unsere Menschennatur angenommen hat.
Zum anderen handelt es sich um das sogenannte Annahmegebet:
Herr, wir kommen zu dir mit reumütigem Herzen und mit demütigem Sinn. Nimm uns an und gib, dass unser Opfer dir gefalle.
Die sich anschließende Händewaschung wird ebenso von einem Gebet begleitet:
Herr, wasche ab meine Schuld, von meinen Sünden mache mich rein.
Im Alten und Neuen Testament erfährt der Wein eine hohe Wertschätzung. Er „erfreut Götter und Menschen“ (vgl. Ri 9,13; Ps 104,5; Koh 10,19; Sir 31,27) und darf bei keinem Fest fehlen (vgl. Jes 25,6). Daher verwundert es nicht, wenn der Wein auch im Leben Jesu und besonders in seiner Mahlpraxis eine besondere Bedeutung einnahm (Joh 2,2–10; Mt 11,19; Lk 7,34). Im Kulturraum der griechischrömischen Antike und auch des Frühjudentums war es grundsätzlich üblich, Wein mit Wasser vermischt zu trinken. Das Zweite Makkabäerbuch notiert, dass es „bekanntlich nicht gesund“ sei, „den Wein pur zu trinken“. Wasser allein sei jedoch „gleichfalls unerfreulich“ – „erst mit Wasser gemischter Wein schmeckt gut und macht das Trinken zum Genuss“ (2 Makk 15,40; vgl. Spr 9,2.5). Allein im kultischen Bereich kannte man den Gebrauch von unverdünntem Wein (vgl. Ex 29,28–41; Num 15,2–15).
Nach der Rede vom Guten Hirten im Johannesevangelium sagt Jesus: „Ich und der Vater – wir sind eins“ (Joh 10,30). Dieses überlieferte Jesuswort spiegelt die Schwierigkeiten, vor denen die Frage nach Jesus, dem Christus, steht. Die Zusage, der Hirte setze sein Leben für die Schafe ein, um sie zu sammeln und zu schützen, ist nur dann glaubwürdig, wenn sie direkt von Gott kommt – und wenn Jesus Gottes Wort nicht nur im Mund führt, sondern mit ihm geradezu eins ist. Eine solche Aussage klingt in den Ohren gläubiger Juden unerhört und stellt nichts Anderes als Gotteslästerung dar: „Du bist ein Mensch und machst dich selbst zu Gott“ (Joh 10,33). Die Antwort des Johannesevangeliums auf diesen Vorwurf ist, dass nicht der Mensch Jesus vergöttlicht, sondern das göttliche Wort in Jesus Mensch geworden ist (Joh 1,14).
Der theologische Gedanke, dass Jesus als Sohn Gottes (Mk 1,1) durch das Ereignis seiner Menschwerdung menschliche Natur angenommen hat, wird im Neuen Testament ausführlich dargestellt. Gottsein und Menschsein Jesu widersprechen sich nicht, sondern gehören eng zusammen.
Das Johannesevangelium beginnt mit einem Paukenschlag: Der unermesslich große Gott, der Schöpfer von Himmel und Erde, wählt den Weg zu den Menschen – so radikal, so konsequent, so verlässlich, dass er sich als Mensch unter Menschen in deren Geschichte hineinbegibt. In dem großen Lobpreis, mit dem das Johannesevangelium beginnt, bringt der Evangelist es auf den Punkt: In Jesus schickt sich nicht ein Mensch an, Gott zu sein, sondern in Jesus ist Gott selbst Mensch geworden, um Zeugnis zu geben von dem Gott, der die Menschen liebt (Joh 1,14.18). An vielen Stellen wird in diesem Evangelium beschrieben, dass Jesus ganz von Gott her und auf ihn hin lebt. Dadurch macht Jesus Gott in uneinholbarer und zugleich unüberbietbarer Weise sichtbar. In Jesus ist Gott selbst gegenwärtig. Deshalb kann die Antwort Jesu auf die Bitte des Philippus, ihm den Vater zu zeigen, lauten: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ (Joh 14,9). Umgekehrt betont Johannes auch das Menschsein Jesu (vgl. Joh 11,33.38). Dies lässt die ganz besondere Beziehung Gottes zu den Menschen aufleuchten.
Das Annahmegebet spricht vom Opfer und greift damit einen wichtigen biblischen Gedanken auf. Um seinen Glauben auszudrücken, ist es dem Volk Israel sehr wichtig, Gott sein Opfer darzubringen. Auf diese Weise verwirklicht es sein Verhältnis zu Gott, dem Heiligen Israels. Die alttestamentliche Opferpraxis (vgl. Lev 1–7) ist in ihrer langen Geschichte von vielen Einflüssen aus der Umwelt geprägt. Die Motive für das Opfer und auch für das Verständnis, was dieses Opfer bedeuten soll, sind daher vielfältig. Allerdings lässt sich, wie in anderen Religionen auch, ein Ur-Motiv herausfiltern: Der Mensch gibt einer Gottheit ein Opfer, damit diese sich ihm als wohlwollend erweist. Dieses Motiv „Ich gebe – du gibst“ ist in Israel sowohl mit Gefühlen von Dankbarkeit als auch mit der Sehnsucht nach Vergebung beseelt (vgl. Lev 1,4). Es ist also ein tiefes religiöses Zeichen der Verbundenheit mit Gott.
Die Opfergabe in Israel besteht als blutiges oder unblutiges Opfer, als tierisches oder pflanzliches. Weil diese Opfergabe dem alltäglichen Bereich des zum Leben Notwendigen entnommen war, ist diese Gabe immer ein dankbares Lob, das dem Schöpfergott entgegengebracht wird.
Hinzu kommen die Schlachtopfer. Weil ein Teil des Opferfleisches innerhalb des Kultes verzehrt wurde, war das Volk Israel davon überzeugt, dass Gott im Opfer seine Bundesgemeinschaft wirksam werden lasse und zugleich Gemeinschaft unter den Angehörigen des Gottesvolkes stifte. Indem das Opferblut auf dem Altar ausgegossen und auch die Gläubigen damit besprengt wurden, kommt diese gemeinschaftsstiftende Funktion des Opfers deutlich zum Ausdruck. Fest verbunden war mit diesem Schlachtopfer auch die Vorstellung kultischer Sühne und Entsühnung, denn Gott bindet seinen Versöhnungswillen an die Gabe des Schlachtopfers, so die damalige Vorstellung (vgl. bes. Ex 24,1–8; Lev 16).
Diese Kultpraxis wird allerdings schon innerhalb der Bibel kritisch bedacht und diskutiert. Die Kritik der Propheten bezieht sich dabei nicht auf die Opfer selbst. Sie zeigen vielmehr auf, dass das Opfer mit einer inneren Wahrhaftigkeit vollzogen werden muss, damit es nicht inhaltsleer (vgl. Hos 2,5; 4,13) und damit zu einer wertlosen Geste wird, die Gott missfällt (vgl. Jes 1,11–16; Hos 6,6; Am 4,4; Mi 6,8). Denn das innere Opfer ist das eigentliche und wesentliche (Ps 51,18f) und ersetzt sogar zuweilen das kultische Opferhandeln (Sir 35,1–10; vgl. auch Dan 3,38f).
Das Annahmegebet zitiert dem Wortlaut nach Dan 3,38f:
Wir haben in dieser Zeit weder Vorsteher noch Propheten und keinen, der uns anführt, weder Brandopfer noch Schlachtopfer, weder Speiseopfer noch Räucherwerk, noch einen Ort, um dir die Erstlingsgaben darzubringen und um Erbarmen zu finden bei dir. Du aber nimm uns an! Wir kommen mit zerknirschtem Herzen und demütigem Sinn.
Dieser flehentliche Ruf zu Gott schildert eine Praxis, wie sie den Vorstellungen der Propheten entspricht. Entscheidend ist nicht eine materielle Opfergabe, sondern allein die echte und glaubwürdige Hingabe an Gott. Der theologische Begriff Demut betont in diesem Zusammenhang, dass die erbetene Begegnung mit Gott ohne jedwede Berechnungen und Erwartungen geschieht. Damit ergibt sich eine direkte Linie zum Verständnis Jesu, der die Kritik der Propheten an einer leeren Opferpraxis teilt. Jesus stellt vielmehr die gelebte Gottes- und Nächstenliebe als das eigentliche „Opfer“ an Gott in den Vordergrund, die auch die Bereitschaft zu Versöhnung mit einschließt (Mt 5,23f; Mk 12,33).
Den zentralen Aspekt der Lebenshingabe Jesu bringt das Neue Testament zum Ausdruck in der bildhaften Übertragung des Opfers, welche aus dem Alten Testament oder aus römischer bzw. hellenistischer Umwelt übernommen wurde. Den biblischen Autorinnen und Autoren schien dies ein gangbarer Weg zu sein, um den Leserinnen und Lesern die Bedeutung von Leben, Sterben und Auferstehen Jesu verständlich zu machen.
Der „demütige Sinn“, den das Gebet im Licht von Dan 3,39 als Grundhaltung des Betenden verlangt, hat ein breites biblisches Fundament. Demut ist die Haltung des Betenden und zugleich Inhalt des Gebets (1 Sam 1,11–13; 2,7–10; Ps 10,17; 18,28). Neutestamentlich verbindet sich Demut auf der Seite der Glaubenden mit der Zusage, dass die Gottesherrschaft bereits angebrochen ist (Lk 1,46–55). Selbst Jesus ist demütig (Mt 11,29) und kann vorbildhaft nicht nur vor Ich- und Geltungssucht warnen (Lk 14,11; 18,14), sondern hilft den Menschen, ihren Weg zu Gott zu finden (Mt 11,28–30). Seinen Kreuz- und Leidensweg nimmt Jesus in Demut auf sich und geht ihn um der Menschen willen bis ans Ende.
Demut leitet sich aus dem Verhältnis des Menschen zu Gott ab: Wo der Mensch sich und seine Mitmenschen unter die sorgende und liebevolle Hand Gottes gestellt sieht und zugleich anerkennt, dass ein Urteil über den anderen ihm selbst nicht zusteht, lebt der Mensch die Demut (vgl. Mt 5,43–48; 7,1–5).
Das Gebet zur Händewaschung zitiert fast wörtlich Ps 51,4. Die Bitte um Abwaschung von Schuld und Reinigung von Sünde zählt zu den großen Themen der Menschheit, die in allen Religionen vorkommen. Im Horizont des Alten Testaments überträgt sich Unreines und Unheiliges insbesondere durch Berührung. Darum ist es erforderlich, Wasser zu nehmen und sich zu waschen (Ex 29,4; 30,18f; Lev 8,9). So wird der Unreine rein und kann gefahrlos den Bereich des Heiligen betreten.
Die Reinheits- und Heiligkeitsgesetzgebung (Lev 11,24f.28.32.40; 15; 22,6) sieht zudem die rituelle Reinigung von Gefäßen, Kleidern und Personen vor, die durch Unreinheit befleckt sind. Waschungen können umgekehrt dazu dienen, eine unstatthafte Berührung mit Heiligem zu tilgen. Der Hohepriester, der am Versöhnungstag das Allerheiligste betreten hat, muss darum seine Kleider waschen (Lev 16,24) und sich baden, ebenso derjenige, der den Sündenbock in die Wüste getrieben hat (Lev 16,25).